Johann Jacob Rambach

Johann Jacob Rambach

Johann Jacob Rambach war den 7. März 1737 zu Teupitz in der Mittelmark geboren, und ein Sohn des zu Breslau 1775 verstorbenen Oberconsistorialraths Friedrich Eberhard R. Die erste Zeit der Kindheit und einen Theil seines Jünglingsalters verlebte Rambach in Magdeburg. Sein Vater, damals zweiter Prediger an der dortigen Heiligengeistkirche wirkte durch das Beispiel einer ungeheuchelten Gottesfurcht, eines unermüdeten Fleißes und einer ausgezeichneten Bildung wohlthätig auf die Entwicklung der geistigen und moralischen Anlagen des Knaben. Auf seinen Entschluß, sich der Theologie zu widmen, hatte vielleicht das Beispiel seines Vaters und die Achtung, die derselbe bei seinen Gemeindegliedern und Mitbürgern genoß, keinen geringen Einfluß. Den ersten Unterricht verdankte Rambach der Schule zu Magdeburg und seit dem J. 1749 dem Pädagogium des Liebfrauen-Klosters. An Folgsamkeit, guten Sitten, Fleiß und Lernbegierde übertraf ihn nicht leicht einer seiner Mitschüler. Wilde, ausschweifende Vergnügungen hatten keinen Reiz für ihn. Desto mehr Geschmack fand er an geistiger Unterhaltung und an dem Genusse der Natur.

Bereits im J. 1754 bezog Rambach die Universität Halle. Unter seinen dortigen Lehrern Baumgarten, Meier, Stiebritz, Wiedeburg, Simonis, Weber u.a. scheint Baumgarten durch seine seltene Gelehrsamkeit, seinen ungemeinen Scharfsinn und seine theologische Denkungsart den größten Einfluß auf Rambachs Bildung gehabt zu haben. Auch in spätern Jahren pflegte er dieses Gelehrten, den er noch vor der Beendigung seiner akademischen Laufbahn zu Grabe tragen sah, nie anders, als mit der größten Hochachtung, Ehrfurcht und Bewunderung zu gedenken. Seinen Fleiß und seine Kenntnisse zeigte Rambach in einer lateinischen Abhandlung über die außerordentlichen Gebräuche bei der Taufe und dem Abendmahle, welche er noch während seines Aufenthalts in Halle schrieb.

Im J. 1759 erhielt er eine Lehrerstelle an dem Pädagogium des Liebfrauen-Klosters zu Magdeburg. Als er ein Jahr später Rector dieser Anstalt geworden war, rechtfertigte er durch den ungetheilten Beifall, den er sich durch seine Amtsführung erwarb, die Wahl des Convents. Ein bei weitem größerer Wirkungskreis eröffnete sich indeß seiner Thätigkeit, als er, auf Empfehlung des Oberhofpredigers A.F.W. Sack zu Berlin, der ihn während seines Aufenthalts in Magdeburg als ausgezeichneten Schulmann kennen gelernt hatte, im J. 1765 Rector des Gymnasiums zu Quedlinburg ward. Diese damals sehr tief gesunkene Anstalt wieder zu ihrem frühern Flor zu erheben, scheute er keine Zeit und Mühe. Der von ihm entworfene neue Schulplan wurde von dem Consistorium und der Regierung genehmigt. Ein reifes Urtheil und eine verständige Berücksichtigung des Geschmacks und der Bedürfnisse des fortschreitenden Zeitgeistes war in jenem Plane nicht zu verkennen. Noch mehr aber wirkte Rambach durch den Geist, der seine Amtsführung beseelte, durch seinen unermüdlichen Eifer für das Beste der Schule und durch das Vertrauen, das er sich bei seinen Collegen zu erwerben wusste. Die Liebe seiner Schüler gewann er sich durch das lebhafte Interesse an den verschiedenartigsten Gegenständen des Unterrichts. Für manche Beschwerden seines Amts bot ihm die Freude, zur Aufnahme des Quedlinburger Gymnasiums wesentlich beigetragen zu haben, so reichlichen Ersatz, dass er, nach keiner Veränderung sich sehnend, auf das im J. 1771 ihm angetragene und mit größeren Vortheilen verbundene Rectorat an der Martinischule zu Braunschweig unbedenklich Verzicht leistete.

Aber den Ruf zum Oberprediger an der Nicolaikirche in Quedlinburg, der im J. 1774 an ihn erging, glaubte er, ungeachtet der Vorliebe zu sein Schulamt, doch nicht ablehnen zu dürfen. Aus diesem Verhältnisse, in welchem er das Vertrauen und die Liebe seiner Gemeine in nicht geringem Grade besaß, trat er im J. 1786 wieder heraus, um dem Rufe eines Pastors an der St. Michaeliskirche in Hamburg zu folgen. Dort bot er alle Kräfte auf, um den Pflichten eines viel angreifendern Amts, als sein bisheriges gewesen war, Genüge zu leisten. Ohne sich eines starken Körperbau’s rühmen zu können, blieb er, mit wenigen Ausnahmen, auch in Hamburg von eigentlichen Krankheiten verschont. Dort war er ein Zeuge mancher freudiger Ereignisse. Dazu gehörten besonders die Einweihung des Thurms der Michaeliskirche (1786), die Feier seiner 25jährigen Hamburgischen Amtsführung (1805) und sein 50jähriges Lehramtsjübiläum (1809). Als Patrioten wurden für ihn die Befreiung Hamburgs am 5. Juny 1814 und der Gedächtnißtag der Leipziger Schlacht am 18. October des genannten Jahres besonders wichtig. Das Dankfest für den Sieg bei Belle-Alliance mußte er wegen einer bedeutenden Schwäche, von der er einige Wochen zuvor befallen worden, in der einsamen Stille seines Zimmers feiern.

Jener körperliche Zustand zog ein allmälig in gänzliche Erschöpfung übergehendes Dahinsinken seiner Kräfte nach sich. Durch die Stärkung, die er dem ländlichen Aufenthalte in Ottensen verdankte, war der Wunsch in ihm rege geworden, wieder zu seinen Amtspflichten zurückkehren zu können. Den Anfang machte er mit dem katechetischen Unterrichte, den er im Frühjahre 1817 fortsetzte, ohne durch die dabei erforderliche Geistesanstrengung einen nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit zu spüren. Den 19. Sonntag nach Trinitatis betrat er sogar seine seit mehr als zwei Jahren verlassene Kanzel. Dort, so wie bei der Einweihung der für die Hamburger Bürgerwehr neuverfertigten Fahnen (am 18. October 1817) sprach er mit einer für seinen Gesundheitszustand, so wie für seine Jahre bedeutenden Kraft. Diese schien aber seit dem April 1818, besonders durch den Hinzutritt eines katarrhalischen Uebels immer merklicher zu schwinden, und den 6. August des genannten Jahres versank er, nachdem ihm Tags zuvor ein Schlagfluß die linke Seite des Körpers gelähmt hatte, in einen tiefen Schlummer. Der sanfte Tod, den derselbe herbeiführte, war von keiner Erscheinung begleitet, die sonst wohl dem Anblicke Sterbender etwas Widriges beizumischen pflegt.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Urbanus Rhegius

Urbanus Rhegius

Urbanus Rhegius (König) wurde im J. 1490 kurz vor dem Urbanustage (gegen Pfingsten) zu Langenargen am Bodensee von unbemittelten Ältern geboren. Er besuchte die Schule zu Lindau und sodann die Universität Freiburg im Breisgau. Hier nahm ihn der als Jurist und Philologe ausgezeichnete Ulrich Zasius in sein Haus auf. Zasius’ grosse Bibliothek hatte für den Jüngling eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Oft schlich er sich heimlich hinein, nahm Bücher auf sein Zimmer mit und studirte sie des Nachts sammt den Randbemerkungen seines Lehrers. Wenn dann dieser, häufig von schlaflosen Nächten geplagt, in seinen Zimmern die Runde machte und den fleissigen Schüler über seinen Büchern antraf, zupfte er ihn freundlich am Ohre und sagte: „Du nimmst mir meine ganze Gelehrsamkeit weg.“ Zuweilen fand er ihn auch über den Büchern eingeschlafen, den Kopf auf den Tisch gesenkt. Dann pflegte er ihm leise einige Folianten auf den Rücken zu legen und in einiger Entfernung über Urban’s Schrecken bei’m Gepolter der herunterstürzenden Bände sich zu ergötzen. Auch den nachmals berüchtigten Eck, der schon im 15. Lebensjahre Vorlesungen hielt, hatte Urban in Freiburg zum Lehrer und Freunde. Zwanzig Jahre alt ging er nach Basel und zwei Jahre darauf nach Ingolstadt. Hier trieb er, wie bisher, besonders poetische und philologische Studien, gab Privatunterricht und übernahm die Erziehung adliger Jünglinge. Aber diese, deren Bürge er war, machten Schulden, und die Ältern zahlten nicht. Da fasste der bedrängte Mentor den Entschluss, seine Habe, die grösstentheils in seinen Büchern bestand, den Gläubigern zu überlassen und sich von einem kaiserlichen Offizier zum Soldaten gegen die Türken anwerben zu lassen. Als aber D. Eck, seit 1510 Professor der Theologie in Ingolstadt, ihn unter den Recruten erblickte, kaufte er ihn los und veranlasste die Ältern seiner Zöglinge zur Zahlung. Auf’s neue sich mit ganzer Seele den Studien hingebend wurde er vom Kaiser Maximilian bei dessen Durchreise durch Ingolstadt zum Dichter und Redner gekrönt. Auf Eck’s Verwendung empfing er bald darauf eine Professur der Redekunst, und, nachdem er eine Zeit lang Theologie getrieben, da theologische Doctordiplom. Aber Eck’s Freundschaft verblendete ihn nicht gegen das Licht von Wittenberg, dem er sich zwar nicht plötzlich zuwandte, wie seine noch ganz katholische Schrift de dignitate sacerdotum vom Jahre 1518 beweis’t, das aber allmälig desto durchdringender und blendloser seinen Geist erhellte. Schon 1520 finden wir sein Verhältniss zu Eck gelös’t. Nachdem er eine Zeit lang bei dem Weihbischofe Johann Faber zu Costnitz ein freundliches Asyl genossen, wurde er von dem liberalen Bischof Christoph von Stadion an Ökolampad’s Stelle zum Prediger am Carmeliterkloster St. Annä nach Augsburg berufen. Als er aber in der Erklärung des Vaterunsers Fegefeuer, Ablass und Cölibat verwarf, auch das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgetheilt hatte, erregte er bei den Papisten grossen Anstoss. Eines Tages begann nach der Predigt ein Domherr mit ihm einen Streit, der damit endete, dass jener ihm ein Schlüsselbund in’s Gesicht schlug. Hierauf verliess Urbanus die Stadt, und obwohl er zur Rückkehr genöthigt wurde, musste er doch auf päpstlichen Betrieb weichen. 1521 ging er nach Hall in Tyrol und predigte das reine Wort, das von da aus auch zu den Salzburgern drang. 1523 kehrte er auf den dringenden Wunsch einiger Senatoren nach Augsburg zurück, wo inzwischen Rana (Frosch) als lutherscher Prediger angestellt war. Beide wirkten von nun an in reichem Segen. Grosses und heilsames Aufsehen machte sein 1523 am Frohnleichnamsfeste erschienener himmlischer Ablassbrief, 1524 schrieb er gegen Carlstadt, 1525 gegen die Bauern und 1527 gegen die Wiedertäufer.

Im J. 1527 kam eine schwere Anfechtung über Urbanus, der er auf eine Zeit lang erlag. Sie bestand in dem unabweisbaren Eindrucke, den die Abendmahlslehre Zwingli’s, zumal, nachdem dieser angelegentlich an ihn geschrieben hatte, auf ihn ausübte. Seinem Wesen nach wahr und aufrichtig scheuete er sich nicht, sich zu ihr zu bekennen, worüber Luther tief trauerte. Aber Urban hörte nicht auf zu prüfen und auf’s neue überzeugt von der Schriftmässigkeit des lutherschen Sacraments verwarf er eben so aufrichtig den erkannten Irrthum und kehrte zu Luther zurück. Was dieser bei dem ersten Gerüchte von Urbanus’ Sinnesänderung empfand, schildert folgender Brief, den er am 7. Juli 1528 an Urbanus schrieb: „Gnade und Friede in dem Herrn. Nun kam ein erfreulicheres Gerücht, denn ehemals, zu uns, mein bester Urban! Denn so wohl einiger Freunde Brief, als auch Zwingli’s prahlerisches Vorgeben brachte mich auf den Verdacht, Ihr wäret von uns, in Ansehung der Lehre vom heiligen Abendmahle, gänzlich abwendig gemacht worden. Nun redet man freilich ganz anders von Euch, so dass mein ehemaliger hoffnungsloser Gram über Euer Ausreissen mir kaum noch zu glauben erlaubt ist. Doch wünsche ich es mit jedem heissen Wunsche, dass Christus meine Seufzer um Euch erhöre und uns mit dieser frohen Nachricht erfreue. Das soll für uns eine Osterfeier, ein wahres brüderliches Passahfest sein, wenn Ihr Euch nicht von uns trennt, wenn Ihr eines Glaubens mit uns seid! Ich schreibe Dies nicht ohne Besorgniss. Denn ich weiss es aus der Erfahrung, wie oft wir uns nicht nur mit schlimmen, sondern auch mit frohen Botschaften zu täuschen pflegen. Ich bitte Euch daher, beehrt mich mit einem Schreiben, worin Ihr mir zu wissen thut, was für ein Geist Euch belebe, was für Gesinnungen Ihr heget. Gehabt Euch recht wohl in Christo.“ – Merkwürdig ist, alle Häupter der vornehmsten Confessionen strebten Urbanus zu gewinnen; denn ausser Zwingli und Luther versuchte auch Eck, auf ihn zu wirken. Eck hatte seinen früheren Freund nie aus dem Auge verloren und mit steigendem Ingrimm von seiner anti-papstischen Wirksamkeit vernommen. Seiner eigenen Überredungskunst vertrauend machte er sich auf den Weg nach Augsburg, um ihn persönlich zu bearbeiten. Aber Urbanus blieb standhaft, so sehr er auch die frühere Güte Eck’s anerkannte. Jetzt begann Eck zu schimpfen und zu verdammen, und als auch Faber und Cochläus vergebens versucht hatten, Urbanus zum Proselyten zu machen, verbreiteten die Papisten das Gerücht, er habe mit einer vornehmen Freu die Ehe gebrochen, und bewogen eine gemeine Dirne, ihn des gebrochenen Eheversprechens anzuklagen. Durch den Beweis seiner Unschuld und durch seine bald darauf erfolgte Verheirathung wurde ihre Wuth noch gesteigert. Urbanus verehelichte sich mit Anna Weisbrück aus Augsburg. Sie war im Hebräischen und Chaldäischen wohlbewandert und nach Melanchthon’s Urtheile „mit allen Tugenden ächter Weiblichkeit geschmückt.“ Die glückliche Ehe wurde mit 14 Kindern gesegnet, deren jüngstes Herzog Ernst der Bekenner aus der Taufe hob. Dieser hatte ihn auf dem Reichstage zu Augsburg kennen gelernt, wo nächst Melanchthon Urbanus am meisten sich auszeichnete. Nach der Predigt, die er am Pfingstfeste gehalten, hatte Ernst auf die Frage, wie Urbanus geredet, geantwortet: Urbane et regie. Urbanus folgte dem Herzoge, oder vielmehr, da dieser noch in Augsburg verweilen musste, seinem Comitate, als Hofprediger und Generalsuperintendent nach Celle. Unterwegs besuchte er in Coburg Luther, der ihn so gut unterhielt, dass er nachher versicherte, nie einen vergnügteren Tag gehabt zu haben. Aber die Liebenswürdigkeit des lutherschen Gemüthslebens hatte keineswegs den tiefen Eindruck der Erhabenheit geschwächt, den Luther durch seine Schriften längst auf ihn geübt. Das beweis’t die Äusserung Urbanus’: „Luther ist ein so gewaltiger Theolog, dergleichen es keinen jemals gegeben hat. Ich habe ihn immer hochgeschätzt; aber jetzt, da ich ihn selbst gesehen und gehört habe, weiss ich meine Hochachtung keinem Abwesenden auszudrücken. Seine Schriften sind zwar Beweise der Grösse seines Geistes, hört man ihn aber selbst von göttlichen Sachen mit apostolischem Geiste reden, so muss man bekennen, er ist über allen Tadel seiner Gegner erhaben.“

Als Herzog Ernst nach Celle zurückgekehrt und von seinen Hofleuten gefragt war, was er Neues und Kostbares vom Reichstage heimgebracht habe, erwiderte er, „er habe einen unvergleichlichen Schatz für das ganze Fürstenthum mit sich gebracht, nämlich einen Mann von grosser Gelehrsamkeit und Treue, den er höher achte, als aller Fürsten Kleinodien. Es gereue ihn all das Geld und die Unkosten nicht, so auf die schwere Reise gegangen, weil er diesen vornehmen, theuern Mann daselbst bekommen habe.“ Als nach zwei Jahren Urbanus nach Augsburg zurückberufen wurde, liess ihn der Herzog nicht ziehen und sagte, indem er auf seine eigenen Augen wies, „er wüsste nicht, ob er lieber ein Auge, als Urbanum missen wollte; denn er habe zwar zwei Augen, aber nur einen Urbanum.“ Zu diesem aber wandte er sich mit den Worten: „Lieber Herr, bleibet bei uns. Ihr mögt wohl Leute finden, die Euch mehr Geld geben; aber Ihr könnt keine Zuhörer finden, die Eure Predigten lieber hören, denn ich.“

Urbanus’ reformatorische Thätigkeit wurde von dem frommen Herzoge mit allen Kräften unterstützt. Ernst’s kirchliche Erlasse begannen gewöhnlich mit den Worten: „Wir von Gottes Gnaden Ernst, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg und Urbanus Rhegius, der heiligen Schrift Doctor, gebieten“ u.s.w. 1531 ging Urbanus auf das vom Herzoge bewilligte Gesuch des Rathes auf zwei Jahre zur Ordnung des Kirchenwesens nach Lüneburg, wo gegen das anfängliche Widerstreben des Rathes schon seit 1528 Friedrich Hennigs und Stephan Kempe der empfänglichen Bürgerschaft das Evangelium gepredigt hatten. Urbanus fand bei Patriciern und Pfaffen starken Widerstand. Die damals herrschende englische Schweissucht wurde als eine Strafe des Himmels für die gottlose Neuerung gedeutet, und der Pfaffe Augustinus Götel griff in einer Druckschrift Urbanus’ Predigt von der Rechtfertigung an. Leicht wurden die Einwendungen widerlegt und eine angesetzte öffentliche Disputation von den Papisten kaum benutzt. Urbanus wirkte nicht bloss durch seine Predigten, sondern auch durch Unterweisung der Geistlichen und vor Allem durch Verbesserung des Schulwesens. Auf seinen Betrieb wurde Herrmann Tulich, Professor der Dichtkunst, zum Director des Gymnasiums berufen und eine Anzahl anderer erleuchteter Lehrer ihm beigesellt. In der von ihm revidirten Lüneburgischen Kirchenordnung Stephan Kempe’s gab er der Stadt ein bleibendes kirchliches Statut. 1533 kehrte er befriedigt nach Celle zurück. Im folgenden Jahre ordnete er das Kirchenwesen in Hannover, 1537 predigte er auf dem Tage zu Schmalkalden und unterschrieb daselbst die Artikel, 1538 war er mit Herzog Ernst auf dem Fürstentage in Braunschweig und 1541 folgte er ihm auf den Convent zu Hagenau. Auf der Rückreise erkrankt starb er zu Celle unter dem trostreichen Zuspruche seiner Amtsbrüder den 23. Mai 1541.

Urbanus war ein Mann von grosser Gelehrsamkeit, Frömmigkeit und Genialität. Ein Zeugniss Luther’s über ihn liegt in einer Vorrede vor, die jener zu Urbanus’ Buche „wider die gottlosen, blutdürstigen Sauliten und Doegiten dieser letzten, fährlichen Zeiten“ schrieb. „Wiewohl“ – so beginnt dieselbe – „Doctor Urbanus Regius seliger weder meiner, noch keiner Vorrede bedürfte auf seine Bücher, sintemal er für sich selbst nicht allein hoch genug gelehrt, sondern auch hochberühmt unter den Lehrern der heiligen christlichen Kirchen zu unserer Zeit, als ein reiner, rechtschaffener Prediger des heiligen, reinen, ungefälschten Evangelii erkannt, von allen Frommen, Rechtgläubigen lieb und werth gehalten ist, denn er dem päpstlichen Gräuel und allen Rotten mit Ernst feind gewest (wie der 139. Psalm sagt: Ich hasse sie in rechtem Ernst, darum sind sie mir feind); das reine Wort aber hat er herzlich lieb gehabt und mit allem Fleiss und Treu gehandelt, wie seine Schriften Dess ihm hie und dort reichlich Zeugniss geben: doch weil man’s allhier hat sollen drucken, hab ich’s wollen mit meinem Zeugniss bestätigt lassen ausgehen“ u.s.w. Das Interesse Luther’s an Urbanus zeigt auch der oben mitgetheilte Brief; nicht minder ein Trostschreiben, das er dem körperlich leidenden Freunde am Davidstage (30. Decbr.) 1535 in folgenden Worten zugehen liess: „Gnade und Friede in Christo, der unser Friede und Trost ist. Ich habe mich nicht sonderlich betrübt, lieber Urban, dass Ihr schreibet, Ihr littet des Satan’s Engel und den Pfahl Eures Fleisches. Denn hierinnen erkenne ich, dass Ihr dem Ebenbilde des Sohnes Gottes ähnlich werdet und aller Heiligen, und dass Euch und andern Brüdern, die an hohen Orten stehen, dergleichen Kreuz ganz nöthig ist, so Euch erniedrige. Darum handelt männlich und seid mit dem Herrn zufrieden, der zu Paulo gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in den Schwachen vollbracht. Der uns berufen hat, ist treu und wird uns vollenden an seinem Tage. Amen. – – Wir können nicht alle Zeit fest und freudig sein, aber auch nicht alle Zeit schwach und gebrechlich; sondern nach dem er will, welcher bläset, wo und wann er will, dass er uns durch diesen Wechsel lehre, und wir nicht, wenn wir immer freudig und tapfer wären, stolzirten, oder, wenn wir immer schwach wären, verzageten. Er weiss unser gar staubicht und aschenhaftes Gewächs. Aber was soll ich Viel vor euch sagen, der Ihr Christi seid? Ausser, dass Brüder einem Bruder zureden und einander Handreichung thun müssen in diesem Jammerthal, bis der Tag aufgehe, auf den wir warten. Ihr werdet Euern Fürsten ehrerbietig grüssen, welchem ich, Gott weiss es, vom Herzen Glück wünsche zu dem Geist, der die Schrift so lieb hat, und bitte Gott, dass er solchen Segen in ihm, und uns Allen mehren wolle, der Vater der Barmherzigkeit. Amen. Gehabt Euch wohl mit den Euern in eben dem Herrn, und bittet für mich, der ich auch ein Sünder bin.“

Als Prediger stand Urbanus Regius durch die überzeugende Kraft, Klarheit und sorgfältige Ausführung seiner Vorträge sehr hoch. Er musste Bedeutendes leisten, da er mit hervorragenden Gaben die grösste Gewissenhaftigkeit und Vorsicht verband. Letztere ist recht eigentlich ein hervorstechender Zug seines Wesens, und es ist nicht bloss in den Umständen , sondern vorzugsweise in seinem Charakter begründet, dass er ein Buch schrieb: „Wie man fürsichtiglich und ohne Ärgerniss reden soll von den fürnehmsten Artikeln christlicher Lehre.“ Diese Schrift, eine vortreffliche Anweisung für Prediger, kann zugleich als eine Beschreibung seiner eigenen Praxis angesehen werden. Er selbst sagt in der Vorrede zu wiederholten Malen, dass er die aufgestellten Regeln befolge, und überdies weisen die von ihm erhaltenen gedruckten Predigten die Übereinstimmung seiner Praxis mit der in jener Schrift gegebenen Theorie aus. Gleich zu Anfang der Vorrede (an die jungen Prediger im Fürstenthum Lüneburg) spricht sich seine hohe Auffassung der Predigtthat und sein Respect vor dem irdischen und überirdischen Auditorium in folgenden Worten aus: „Es ist (wie die ganze Schrift zeugt) gar ein schwer Amt voller Sorgen und Fahr öffentlich reden und lehren in der Kirche oder Gemeine Gottes, darin ohne Zweifel Gotteskinder sitzen und zuhören, welchen die lieben Engel dienen, und Gott selbst als in seinem Tabernakel allda gegenwärtig ist und allenthalben aufschauet sammt seinen Engeln, und Gottes Wort von allen Creaturen mit grosser Ehrerbietung gehöret wird. Denn also hört der christliche Glaube, dass Alle Gottes Wort (dadurch sie geschaffen sind) ehren und vor Augen haben, ohne allein der Mensch und der Teufel, welche durch gräuliche Undankbarkeit die Ohren dagegen zustopfen und Nichts davon hören wollen.“ Mit Beziehung auf verschiedene Pastoralsprüche des Apostels Paulus (z.B. 2. Timoth. 2,15) fährt er dann fort: „Hier will St. Paulus nichts Anderes lehren, denn dass man bedächtiglich und mit grossen Sorgen und Fleiss das erschreckliche Geheimniss des Wortes Gottes handeln soll, oder wie St. Ambrosius sagt, dass man zu rechter Stätte und Zeit und mit Bescheidenheit von dem Glauben rede; denn wo durch unsern Unfleiss die Lehre unseres Glaubens nicht lauter und rein gehandelt, oder nicht ganz und völlig dem Volk fürgetragen und nicht recht getheilet wird, so werden wir gar schwere Strafe dafür leiden müssen an jenem Tage des Herrn, wenn wir Rechenschaft dafür geben sollen von unserer Haushaltung vor dem Richterstuhle Gottes.“ Hierauf nimmt er die einzelnen Fälle durch, in denen das Volk durch Unvorsichtigkeit der Rede geärgert wird. So sagt er in Bezug auf die Behandlung der Lehre von der Busse: „Etliche sagen gar selten Etwas von der Busse, wenn sie reden vom Glauben und Vergebung der Sünde, gleich als könnten Die, so nicht Busse thun, dem Evangelio gläuben und Vergebung der Sünde empfangen, so doch das Evangelium Beides zugleich inne hält als in einer Summa, nämlich Busse und Vergebung der Sünden, wie Luca ultimo stehet: Also ist’s geschrieben und also müsse Christus leiden und auferstehen von den Todten und predigen lassen in seinem Namen Busse und Vergebung der Sünde unter allen Völkern. Da siehest du die Ordnung, so Christus selbst stellet, dass man soll zum Ersten von der Busse predigen, darauf soll dann folgen die Predigt von der Vergebung der Sünden. Etliche treiben wohl die Busse und schrecken die Leute feindlich mit dem Gesetz, können sie aber nicht wieder trösten mit dem Evangelio. Solche lehren nur ein Stück von der Busse und verstümmeln sie. Dass ich aus eigener Erfahrung dafür halte, wer den Artikel von der Busse nicht recht verstehet, dass Der der Christenheit so nütz ist, als ein Wolf unter den Schafen. Wiederum sind Etliche, wenn sie das Volk richtig und klar unterrichten sollen vom Glauben und guten Werken, so fahren sie daher mit solchen Worten: Es ist Nichts mit unseren Werken, sie sollen Nichts, sie stinken vor Gott, er will ihrer nicht, sie machen eitel Gleissner; es thut’s allein der Glaube; wenn du gläubst, so wirst du fromm und selig. Solches reden sie so stumpf und unbesonnen dahin, thun gar kein Salz dazu, damit die Worte erklärt würden, wie sich’s gebührt. Darum ist nicht Wunder, dass die Einfältigen sich daran ärgern, sonderlich Die, so zuvor nicht viel das Evangelium predigen gehört haben; denn sie meinen, man rede also vom Glauben, als sollten die Werke gar verworfen und kein nütze sein. Darum denken sie bald, solch ein Prediger muss ein loser, verzweifelter Bube sein, als der gute Werke verdammt, welche doch Christus selbst gethan hat und von uns fordert, und halten also unsere ganze Lehre für unchristlich und verführerisch.“ Von Denen, welche gegen die Messe schreien, ohne ihren Kern, das heilige Abendmahl, zu wahren, sagt er: „Sie thun gerade, als wenn Jemand einen köstlichen Edelstein, im Koth gefunden, wieder hinwegwürfe, als wäre er kein nütz mehr, um des Kothes willen, so daran klebte, und könnte nicht solchen Edelstein von dem Kothe fegen und rein behalten.“ Diejenigen, welche die Lehre von der natürlichen Unfreiheit des Willens zum seligen Leben und von der Erwählung überspannen, greift er folgendermaassen an: „Vom freien Willen plaudern Etliche auch grob und ungeschickt genug vor dem Pöbel, so da sagen: Wir haben keinen freien Willen überall; was wir thun, das müssen wir thun. Und sagen Nichts weiter dazu, dass man solche Rede könnte leiden, sondern fladdern davon uns lassen solchen Stift in der Einfältigen Herzen stecken, dass sie müssen denken: Ist das wahr, dass ich Alles, was ich thue, aus Noth thun muss, was bin ich denn besser, denn ein Vieh? Und wie kann ich mich vor Sünden hüten? So ich sündigen muss, warum straft mich Gott? u.s.w. Also geben solche unvorsichtige Wäscher dem Pöbel Ursach, dass sie halten, Gott sei eine Ursach der Sünde, welches ist eine Gotteslästerung; denn Gott ist gar nicht eine Ursach der Sünden, sondern hat uns dagegen seinen Willen offenbart im Gesetz, dass er die Sünde hasset, weil er sie so ernstlich und strenge verbeut und dazu straft, beide, zeitlich und ärgerlich, da sie sollten bei den Worten und Lehre St. Pauli bleiben. Denn also reden sie unterweilen: Bist du von Gott zur Seligkeit versehen, so kannst du nicht verdammt werden, du thuest, was du wollest, Böses oder Gutes. Davon werden die Zuhörer entweder gar wild und ruchlos, verachten allen Gehorsam und fallen in Verzweiflung und lästern also: Was wollt’ ich mich Viel mit Fasten, Beten, Almosengeben, meinem Nächsten Verzeihen und dergleichen guten Werken beladen! Unser Pfarrherr spricht, es helfe mir Nichts, ich will ein gut Gesell sein und Nichts sorgen. Bin ich versehen, so werde ich selig, bin ich nicht versehen, so fahre ich hin mit dem grossen Haufen. Ich thue gleich, was ich wolle, so gilt’s gleich Viel. Also muss menschliche Vernunft gewisslich alle Zeit lästern, wenn sie höret einen solchen Plauderer, der so mit ungewaschenen und so unsauberen Worten von dem hohen, heiligen Geheimniss der Versehung geifert und speiet. Nein, es gilt nicht gleich so Viel, was du thuest; denn wir wissen, dass Christus Matth. 25. spricht: Kommet her, ihr Gebenedeieten meines Vaters, besitzt das Reich, welches euch von Anbeginn der Welt bereit ist; mich hat gehungert und ihr habt mir zu essen gegeben u.s.w. Hie hörst du, wer Gutes thut, Der wird selig, wer Böses thut und darin verharret, Der wird verdammt.“ Besonders nachdrücklich sind seine Warnungen vor dem Libertinismus und Spiritualismus in Sachen des Cultus. „Vom Gebet“ – schreibt er – „wissen Etliche Nichts zu reden, denn solche thörichte Worte: Viel Beten und Plappern ist ein heidnischer Irrthum und Gleissnerei, Gott hat gar keinen Gefallen daran. Da brechen sie aber die Rede zu kurz ab, da sie sollten Raum nehmen und ordentlich handeln und ausstreichen, was zu dem Gebet gehört, damit die Leute nicht von so nöthiger christlicher Übung des Gebets durch solch thöricht Geschrei gezogen würden.“ „Von gemeiner Sonntagsfeier und anderen Festen reden sie auch den Schwarmgeistern gleich, dadurch der Pöbel von Gottes Wort zu hören, das hochwürdige Sacrament zu empfahen, gezogen wird.“ „Also von Ceremonieen oder Kirchenordnung predigen sie auch nicht wie sich’s gebühret; denn von Vielen hört man nicht anders, denn solche Worte: Es ist ein vergeblich Ding mit den Ceremonieen, sie tragen Nichts. Was bedarf man in den Kirchen besonderer Kleider? Es ist eitel unnütz Menschentand. Gleich als könnte das Leben ohne Ceremonieen sein! Darum sollte man wohl unterscheiden zwischen unchristlichen Ceremonieen und anderen, die da frei sind, und welche Ceremonieen dazu dienen, dass es ordentlich in der Kirche zugehe, die sollte man züchtiglich halten und nicht so frech abthun und verwerfen; denn solche unzeitige Änderung der alten Ceremonieen hat alle Zeit viel Zwietracht und Unruhe in der Christenheit gemacht.“ Diese in der genannten Schrift weiter ausgeführten Grundsätze haben entschiedenen Einfluss auf die evangelische Homiletik ausgeübt, ja in der Ausprägung des besonnenen Charakters der lutherschen Kirche im Gegensatz zu anderen Confessionen und den Secten mitgearbeitet. Herzog Julius von Braunschweig liess das Buch des Urbanus, aus dem sie excerpirt sind, sogar in das Corpus doctrinae aufnehmen.

Die unten zu lesende erste Predigt ist ein besonders treuer Spiegel der in jener Schrift empfohlenen Regeln; die zweite zeigt bereits einen Anfang synthetischer Methode. leider sind fast sämmtliche Predigten Urbanus’ unverhältnissmässig lang, eine Eigenschaft, die, als sie auch an der von ihm auf dem Tage zu Schmalkalden gehaltenen Predigt sich nicht verleugnete, das Witzwort Luther’s hervorrief: Hoc neque urbanum est neque regium.

Urbanus ist Verfasser von mehr als hundert Schriften, unter denen folgende die bemerkenswerthesten sind: Opusculum de dignitate sacerdotum. Constantiae 1518. 8. Erklärung der zwölf Artikel christlichen Glaubens. Augsb. 1523. 8. Ein Sermon von dem dritten Gebot. Hall im Innthal. 1522. 4. Ein Sermon von der Kirchweihe. Hall. 1522. 4. Vom hochwürdigen Sacrament des Altars. 1523. 4. Wider den neuen Irrfall Dr. Andreae von Carlstadt. 1524. 4. Kurche Verantwortung auf zwei grosse Gotteslästerungen wider die Feinde der heiligen Schrift. 1524. 4. Von Vollkommenheit und Frucht des Leidens Christi (ohne Ort und Jahreszahl). 4. Ob das neue Testament recht verteutscht sei. 1524. 4. Ein Sermon vom ehelichen Stand (bei der Copulation Frosch’s). 1525. Von Leibeigenschaft. 1525. 4. Warnung an alle Christgläubigen wider den neuen Tauforden. Augsb. 1527. 4. Eine Predigt, warum Christus den Glauben ein Werk Gottes genannt habe. 1529. 4. Seelenarznei für Gesunde und Kranke. Augsb. 1529. 8. Der vier und zwanzigste Psalm. Zelle 1530. 4. Trostbrief an alle Christen zu Hildesheim. Zelle 1531. 4. Sendbrief, warum der jetzige Zank im Glauben sei. Nürnberg 1531. 4. Gewisse Lehre, bewährter Trost wider Verzweiflung der Sünde halben. Lüneb. 1532. 4. Widerlegung der münsterschen neuen Valentinianer. Zelle 1534. 4. Enchiridion eines christl. Fürsten. Wittenberg 1535. 8. Formulae quaedam caute et citra scandalum loquendi de preacipuis christianae doctrinae locis. Witeb. 1536. 8. Dieselbe Schrift deutsch, Wittenberg 1536. 8. Catechismus minor puerorum. Viteb. 1535. 8. Verantwortung dreier Gegenwürfe der Papisten zu Braunschweig. Zelle 1536. 4. Kirchenordnung der Stadt Hannover. Magdeb. 1536. 8. Trostbüchlein an die Christen zu Hannover. Wittenb. 1536. 4. Der fünfzehnte Psalm. Magdeburg 1537. 4. Abdias propheta caplanatus. Magdeb. 1537. 8. Der vierzehnte Psalm. Magdeb. 1537. 4. Ein Sermon von den guten und bösen Engeln. Wittenb. 1538. 4. Predigt, wie man die falschen Propheten erkennen, ja greifen mag. Wittenb. 1539. 4. Dialogus von der herrlichen, trostreichen Predigt, die Christus Luc. 24. von Jerusalem nach Emmaus gehalten hat. Wittenb. 1539. 4. Ein Sermon von den zwei Mirakeln Christi Matth. IX. Wittenb. 1539. 4. Wider die gottlosen blutdürstigen Sauliten und Doegiten dieser letzten Zeiten (mit Vorrede Luther’s). Wittenb. 1541. 4. Loci communes theologici, post obitum autoris a Jo. Fredero editi. Francof. 1545. 8.

Gesammtausgaben: Urbani Regii deutsche Bücher und Schriften. Nürnb. 1562. fol. (17 Alph.) Opera Urbani Regii latine edita cum ejus vita et praefatione Ernesti Regii, filii. Noribergae 1562. fol. (23 Alph.) Hierin ausser den genannten verschiedene werthvolle Abhandlungen z.B. responsio ad quaestionem, an homo hominem post hanc citam agniturus sit (pars II); articulus nostrae catholicae: Passus sub Pontio Pilato cet. (pars III): de descensu Christi ad infern (pars III); mors et sepultura missae papisticae (pars III).

Quellen: Vita in der Vorrede zu den Opp. latt. Grabe, vita Regii vor der Schrift Urbanus’: Formulae caute loquendi, Regiom. 1672. Adami Vitae eruditorum theol. p. 33 seqq. Bytemeister, vita preasulum Luneburgensium (1726). P. 5 seqq. Rotermund, Geschichte des Augsb. Glaubensbekenntn. Hannover 1829. S. 443 ff. Heimbürger, Ernst der Bekenner. Celle 1839. S. 85 ff. Kranold, Urbanus Regius, ein Reformationsbild. Göttinger Vierteljahrsschrift. 1845. Heft 2. S. 172 ff. (Urbanus’ Jugendgeschichte).

Georg Rieger

Georg Konrad Rieger

Georg Konrad Rieger, den man den bedeutendsten Prediger Württembergs im Zeitalter des Pietismus genannt hat, wurde am 7. März 1687 in Cannstatt als Sohn eines Weingärtners geboren ( Einen kurzen Lebenslauf hat Rieger auf seinem Krankenbett diktiert. Er beschließt ihn mit folgenden Worten: „Mein ganzer Lebenslauf steht in jenem Sprüchlein: Ich bin ein armer Sünder! Und die letzte Nachricht von mir soll diese sein: Jesus Christus hat ihn selig gemacht!“). Von früher Kindheit an lebte in ihm der Wunsch, Pfarrer werden zu dürfen. Der Vater war mit der Berufswahl seines Sohnes nicht einverstanden; es dauerte lange, bis er seinen Widerstand aufgab und die Erlaubnis zum Studium der Theologie erteilte. Der junge Rieger konnte nach der Überwindung aller Schwierigkeiten von 1702 -1706 die theologischen Seminare in Blaubeuren, Maulbronn und Babenhausen besuchen. Im Jahr 1706 wurde er in das Theologische Stift in Tübingen aufgenommen. Damals lehrten dort die Professoren der Theologie Andreas Adam Hochstetter, Christoph Reuchlin und der Kanzler J. W. Jäger. Am meisten fühlte sich er zu Hochstetter hingezogen, den A. H. Francke „unter seine liebsten Freunde “ zählte. Rieger, der inzwischen die Magisterprüfung abgelegt hatte,bestand im Jahr 1710 das theologische Examen vor dem Konsitorium in Stuttgart. Nach der Prüfung war er einige Jahre als Hauslehrer in der Familie des Tübinger Professors Harpprecht tätig, bis er 1713 als Repentent nach Tübingen und zwei Jahre später als Stadtvikar nach Stuttgart berufen wurde.

Im Spätherbst des Jahres 1717 kam A. H. Franke auf seiner „Reise ins Reich“ auch nach Stuttgart. Rieger legt bei einer Begegnung dem berühmten Theologen die Frage vor: „Wie predige ich am erbaulichsten?“ Francke erwiderte ihm: „Ich muß allem so predigen, daß, wenn mich einer nur dieses einzige Mal hört und darüber hinstürbe, er nicht nur etwas, sondern den ganzen Weg zur Seligkeit in der rechten Ordnung, wie es im Herzen aufeinander geht, auf einmal gehört hat. “

Die Kirchenbehörde, die auf den begabten jungen Theologen aufmerksam geworden war, wollte ihm die Stelle des Klosterpräzeptors in Babenhausen übertragen und ihm den Weg in die wissenschaftliche Laufbahn öffnen. Rieger dagegen fühlte sich zum Predigtamt hingezogen und bat die Behörde, daß sie ihn von der Übernahme des Amtes befreien möchte. Kurz darauf wurde ihm die zweite Stelle in Urach übertragen. (Im Jahre 1718 trat er in den Ehestand mit Regina Dorothea Scheinemann aus Stuttgart. Von den beiden Söhnen, die dieser Ehe entstammen, ist der ältere der bekannte Oberst Philipp Friedrich Rieger, der als Staatsgefangener lange Jahre hindurch in unwürdiger Haft auf der Festung Hohenwiel gefangen saß. Er starb, nachdem ihn der Herzog begnadigt hatte, 1782 als Kommandant der Festung Hohenasberg. Der jüngere Sohn, Carl Heinrich Rieger, ist der bekannte Schriftausleger, dessen „Betrachtung über das neue Testament“ im 19. Jahrhundert zahlreiche Auflagen erlebte). Hier entfaltete er als Prediger und Seelsorger bald eine gesegnete Tätigkeit. In seinem Hause richtete er eine Erbauungsstunde ein, in der er Speners Schrift : „Einfältige Erklärung der christlichen Lehre und Ordnung der kleinen Katechismus Luthers“ seinen Andachten zugrundelegte. Nach kaum drei Jahren mußte er die Uracher Gemeinde verlassen; denn seine Behörde hatte ihn in eine neue Arbeit als Professor am Gymnasium und als Mittwochsprediger an der Stiftskirche nach Stuttgart berufen, wo er über zwei Jahrzehnte wirken durfte. Im Auftrag des Konsitoriums legte er in seinen Wochenpredigten das Evangelium des Matthäus aus. Er hat in seinem Leben etwa tausend Predigten über das Evangelium gehalten, wiewohl er mit seiner Auslegung nur bis zum 19. Kapitel gekommen ist. „ Der Herr“, so bekannte er gelegentlich, „hat mir manche Erquickung unter dem Nachsinnen und viel Trost und Aufmunterung beim Halten dieser Predigten geschenkt“. Über manchen kleinen Textabschnitt hat er acht Predigten gehalten. Einen Teil seiner Predigten über das Matthäus-Evangelium hat er im Lauf der Jahre im Druck erscheinen lassen. Es handelt sich dabei um die Predigtsammlungen: „Die Kraft der Gottseligkeit im Verleugnung seiner selbst“ und die „Betrachtung von der herzlichen Sorgfalt des himmlischen Vaters und seines Sohnes auch nur um eine einzige Seele“. Nach seinem Tode erschienen die Predigtbänder „Richtiger und leichter Weg zum Himmel“ und „Die Geschichte von der Verklärung Jesu Christi“, denen Texte aus dem Matthäusevangelium zugrunde liegen.

In jenen Jahren stand er als Seelsorger in besonders herzlicher Verbindung mit Beata Sturm, deren pietistisch-mystische Frömmigkeit ihn stark beeinflußte. Ihre Lebensgeschichte hat er ausführlich beschrieben in dem Buch: „Die württembergische Tabea oder das merkwürdige äußere und innere Leben der weiland gottseligen Jungfrau Beata Sturmin“ (1730). Das Buch hat damals 1732 und 1737 Neuauflagen erlebt. Im 19. Jahrhundert hat es Carl Friedrich Ledderhose nach gründlicher Überarbeitung nach einmal herausgegeben.

Das Jahr 1733 brachte ihm einen erneuten Stellenwechsel; denn er wurde zum Stadtpfarrer an der Leonhardskirche ernannt. In welchem Sinn er sein Amt zu führen gedachte, das zeigen die folgenden Worte in seiner Antrittspredigt: „Weil ich aber nicht das Meine, sondern das, was Jesu Christi ist, bei euch suche, nicht eure ohnehin fast abgeschorene Wolle, nicht eure fast ausgemolkene Milch, sondern eure übriggebliebenen Seelen, eure köstlichen und unschätzbaren Seelen, darum traue und glaube ich, daß ich sie finden, daß ich wenigstens manchen finden, werde; und wieviel habe ich gefunden, wenn ich eine Seele gefunden habe!“ Diese Worte zeigen auch, daß Rieger nicht an den politischen Ereignissen seiner Zeit gleichgültig vorübergegangen ist. Die Ausdrücke „fast abgeschorene Wolle“ und „fast ausgemolkene Milch“ beziehen sich auf die Mißwirtschaft des Herzogs Eberhard Ludwig und seiner Mätresse, der Landhofmeisterin von Grävenitz. Das Land konnte damals aufatmen; denn 1733 war Herzog Ludwig gestorben. Wie sehr Rieger für politische, vor allem auch für staatspolitische Fragen aufgeschlossen war, zeigt seine Schrift: „Moralisch-theologische Belehrung von dem eigentlichen Ursprung des bürgerlichen Regiments“ (1733). Am Sonntag vor der Hinrichtung des ehemaligen Finanzministers Süß Oppenheimer, die am 4. Februar 1738 in Stuttgart stattfand, hielt er seine berühmte Predigt über Matthäus 20, 8. In ihr warnte er die Gemeinde vor Haßgefühlen und ermahnte sie zur Buße und Besinnung. In seinem Schlußgebet gedachte er des Verurteilten, den er wiederholt im Gefängnis besucht hatte, und forderte die Zuhörer auf, daheim mit der Fürbitte fortzufahren: „Solche Liebe sind wir einem Juden um eines Juden willen, um Jesu Christi, unseres hochgelobten Heilandes willen, schuldig“. Die Predigt erschien als Sonderdruck unter dem Titel: „Gute Arbeit gibt herrlichen Lohn“.

Neun Jahre später berief ihn das Konsistorium zum Pfarrer der Hospitalkirche und übertrug ihm das Dekanatamt. Im gleichen Jahr erschien sein umfangreiches Predigtwerk: „Herzenspostille oder zur Fortpflanzung des wahren Christentums im Glauben und Leben über alle Fest-, Sonn- und Feiertags-Evangelien gerichtete Predigten“. Merkwürdigerweise wurde das Buch außerhalb des Landes im Verlag Züllichauer Waisenhauses gedruckt. Einen Neudruck des Buches, das Riegers Ruhm als Prediger begründete, veranlaßte 1843 Pfarrer Johann Hinrich Volkening, der Erweckungsprediger des Ravensburger Landes.

Nur noch kurze Zeit konnte Rieger sein Amt versehen. Am 22. März 1743 erlitt er einen Zusammenbruch seiner Kräfte, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Er selber fühlte, daß der Herr ihn heimholen wollte. Geduldig ergab er sich in Gottes Willen und legte in seiner Lebenszeit ergreifende Zeugnisse des Glaubens ab. Am Dienstag vor Ostern empfing er auf seinem Krankenlager das Heilige Abendmahl. Nach der Feier sprach er bewegten Herzens: „Nun, was soll ich mehr verlangen? Mich umströmt die Gnadenflut!“ Als er am Tag darauf sehr um Luft ringen mußte, sagte er zu einigen Freunden: „Nun, ich sterbe, und Gott wird mit euch sein. Ich besiegle da Evangelium, das ich gepredigt habe, mit meinem Tod; und es reut mich kein Wort“. Ein wenig später bat er um ihre Fürbitte: „Unterstützt mich vollends mit eurer Liebe und Kraft, bis es gar überwunden ist. Ich bin wie eine ausgetrocknete Scherbe. Ich weiß nicht, wie lange es noch währt; bleibt bei mir abwechslungsweise und seid Zeugen meines Glaubens bis an mein Ende!“ Dann wieder bat er, daß man singen möchte zum Lob der Engel, die ihn abholen werden: „Es sind zwei Heere wie bei Jakob. Ihr seid das eine; überliefert mich mit Beten und Singen an das andre Heer, nämlich an die heiligen Engel!“

Am Osterfest sprach er zu seiner Frau: „Liebes Kind, ich sterbe und hätte noch viel zu reden, aber halte dich an Christus allein und behalte ihn!“ Am Abend bekannt er bei zunehmender Schwäche: „Es ist immer das Alte. Ich bin eben der arme Sünder, der Gnade bekommen hat, der arme Sünder, der errettet worden ist, arme Sünder, den er selig gemacht hat; und wenn man`s tausendmal umkehrt, so ist es immer das Alte. Mir ist nichts groß und nichts ansehnlich als Jesus allein!“ Als ihm in der letzten Leidenszeit das Atmen außerordentlich schwer wurde, meinte er: „Das gehört zu dem ängstlichen Herren der Kreatur.“ Einer der Anwesenden ergänzte ihn mit den Worten: „Welche wartet auf die Freiheit der Kinder Gottes.“ Rieger erwiderte: „Auf die herrliche Freiheit“ Dieses Wörtlein wollen wie nicht vergessen!„ Zu einem anderen, der ihm das Wort vorhielt: „Sprich du zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe“, sagte er: „Es heißt eigentlich: Ich bin dein Jesus!“

Seinen Schwiegersohn, Pfarrer Ludwig David Cleß, verdanken wir einen Bericht über die letzten Stunden des großen Predigers: „In dieser seiner letzten Nacht fing er von morgens ein Uhr an, je länger je mehr zu erstarren. Gegen fünf Uhr wurde man eines Brandmals am linken Fuß und gegen sechs Uhr eines an der linken Hand gewahr. Man brachte die ganze Nacht mit ihm unter Beten und Singen zu, wie er befohlen hatte, daß man ihn den Chören der heiligen Engel entgegenbringen und mit Gesang an sie überliefern sollte, und obschon er die Sprache fast völlig verloren hatte und das Kinn ihm bereits merklich steif zu werden anfing, so faßte er doch nicht lange vor seinem Ende auf die Frage eines ihm werten Freundes, wie ihm sei und ob die Wunden Jesu recht offen stünden, noch alle seine Kräfte zusammen und sagte mir vernehmlicher Stimme: „In Absicht auf mich, ja freilich!“

Am 16. April 1743 ist er in den Morgenstunden selig eingeschlafen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof an der Hospitalkirche. Dankbare Liebe ließ auf den Stein, der sein Grab schmückte, die Worte setzten:

An Aarons Tage starb ein Aaron unserer Zeit;
er war von Jugend auf den Dienst des Herrn geweiht.
Wie stark sein Geist, sein Glaub`, sein Licht gewesen,
das kann ein jeder noch aus seinen Schriften lesen.

Sein Glaub` und Hoffnung, sein Wort und Leben steht in seinem Leichentext: 1. Timotheus 1, 15.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

Cyriakus Spangenberg

Cyriakus Spangenberg

Cyriacus Spangenberg, Johann Spangenberg’s ältester Sohn, wurde zu Nordhausen am 17. Juni 1528 geboren. Er genoss den Schulunterricht des durch seinen thesaurus eruditionis scholasticae berühmten Rectors Basilius Faber und den Privatunterricht seines Vaters, der mit ihm den Justicus und das Chronicon Abbatis Urspergensis las, auch das Chronicon Carionis in’s Lateinische von ihm übersetzen liess. Schon im 14. Jahre bezog er die Universität Wittenberg, wo er besonders Luther und Melanchthon hörte. Von seiner schon damaligen hohen Begeisterung und Verehrung für Luther legt er in einer Predigt das Zeugniss ab: „Gleichwie das grosse venedische Schiff Galeon mit aller Gewalt auf dem hohen Meere daherfährt, unter die türkischen Renn- und Raubschiffe getrost sich waget und noch alle Zeit den Sieg davon gebracht hat: also setzet der Glaube auch getrost hinein, wie es Gott zuschicket, und behält immer den Sieg; denn es ist ein unüberwindlich Ding um einen gläubigen Menschen. Wenn ich D. Luther, seligen Gedächtnisses, vor drei und zwanzig Jahren zu Wittenberg etwa gehen sah, da dünkte mich gleich, als sähe ich also ein gross, gewaltig, vollgerüstet Streitschiff, das unter die Feinde auf dem ungestümen Meere dieser Welt, unter die Papisten, Juden, Schwärmer und Rottengeister getrost und unverzagt hineinsetzt, Alles verjagt und erlegt und mit fröhlichem Triumpf den Sieg herwiederbrächte; denn durch den Glauben an Jesum Christum hat dieser heilige Mann alle seine Widersacher überwunden und ist also ihr Obermann geworden.“ Die hier ausgesprochene, bis zum Staunen gesteigerte Bewunderung Luther’s hat ihn nie verlassen und ihm später bei seinen Gegner den Spottnamen „Luther’s Lieutenant“ eingetragen. – Sp. verband mit vorzüglichen Gaben so grossen Fleiss, dass er nach kurzer Zeit Magister und schon im 19. Jahre zum Schullehrer nach Eisleben berufen wurde. 1550 wählte man ihn dort an die Stelle seines verstorbenen Vaters zum Prediger. Als solcher stritt er eifrig und heftig gegen das Interim, auch in der von Melanchthon gemilderten Leipziger Fassung. 1553 wurde er zum Stadt- und Schlossprediger zu Mansfeld, wie auch zum Generaldekan der Grafschaft berufen.

Immer fester und entschiedener bildeten sich die Lutherschen Züge im innern Leben Spangenberg’s aus, immer ausschliesslicher dreheten sich seine erbaulichen Gedanken um die Ideen der Sünde und Gnade. Daher sein grosser Eifer gegen Striegel, wider den er 1563 eine Predigt „vom tauben und stummen Menschen“ herausgab, sowie gegen Major und die Lehre von der Nothwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit. Leider wurde an ihm ein Zug zur Carricatur. Im Eifer für die Lehre von der Verderbtheit des natürlichen Menschen wurde er, der „sein Lebtag für nichts Anderes angesehen wein wollte, als für einen alten und unbeweglichen Discipel Luther’s“, zu einem Anhänger des Flacius und seiner Irrlehre von der verderbten menschlichen Substanz. Unter dem Schutze der Grafen Wolrath und Johann Ernst legte er eine Druckerei auf dem Schlosse zu Mansfeld an und verbreitete von hier aus ausser vielen vortrefflichen Schriften auch die Spreu des Flacianismus. Seine Lehre fand heftigen Widerstand. Auch das Eislebensche Ministerium, das Anfangs auf seiner Seite gewesen, aber durch Wigand und Chemnitz umgestimmt war, schrieb gegen ihn. Zwei Colloquia, in die es sich auf Befehl des Grafen mit ihm einliess, führten zu keinem Ziele. Besonderes Aufsehn machte ein von Sp. 1573 herausgegebenes Bekenntniss von der Erbsünde und eine auf Wolrath’s Aufforderung in Eisleben gehaltene Predigt, in welcher er seine Lehre u.A. mit Citaten aus Luther’s Schriften vertheidigte. „Und wie nun beide Theile auch in diesem gemeldeten Jahre wider einander zu predigen und zu schreiben und zwar in den empfindlichsten Terminis, fortfuhren, und Einer den Andern zum Ketzer machen wollte, also wurden nicht nur damit ihre eigenen Gemüther gegen einander immer mehr und mehr erbittert, sondern auch die gesammten Zuhörer rege gemacht, dass sie in zwei Partieen ritten, und es Etliche mit Spangenberg, Etliche aber mit dem Eislebischen Ministerio hielten, woraus grosse Unruhe in der Grafschaft entstund, dass Keiner vor dem Andern fast mehr sicher war. Denn wenn die Zuhörer entweder bei ihrer Arbeit oder in der Zechen zusammenkamen, so war dies ihre erste Anfrage: Bist du ein Occedenter (Accidentianer) oder Substansioner (Substantianer)? Standen sie nun nicht in einerlei Meinung, so fingen sie nicht nur an, mit einander zu disputiren, sondern schlugen oftmals sich auf das grausamste; ja, die gesammten Landesherren und Grafen von Mansfeld harmonirten, wie in anderen Stücken, so auch in dieser Lehre nicht mit einander, denn einige Grafen hielten es mit den Eislebern, andere aber, besonders Graf Wolrath und Car sen., hielten es mit Spangenberg, daher sie auch anfingen von beiden Theilen, diejenigen Kirch- und Schulbedienten, so nicht ihres Sinnes waren, abzusetzen, oder ihnen die Kanzel zu verbieten.“ (Leuckfeld.)

Endlich kamen chursächsische Soldaten nach Mansfeld und verjagten auf Befehl des Grafen Hans Georg I. von Eisleben die Flacianer (1575). Spangenberg entfloh, „und meinet man“ – erzählt Kindervater – „dass er in Weibskleidern, vor eine Wehemutter sich ausgebend, durch die Wache sich zum Thore hinauspracticirt habe.“ Mit einem kleinen Jahrgehalte von 208 Thalern, den Graf Wolrath ihm aussetzte, lebte Sp. von nun an an verschiedenen Orten, u.a. zu Sangerhausen, wo er 1577 mit Jacob Andreä öffentlich ohne Erfolg disputirte und seinen Gönner Wolrath feierlich begrub. Hierauf begab er sich nach Strassburg, von wo aus er am 23. Mai 1579 den Churfürsten August von Sachsen in einem Schreiben für sich zu gewinnen suchte, worin es heisst: „Dieweil ich durch meine Widersacher und Abgünstige in der Grafschaft Mansfeld (die nicht bei ihrem vorigen christlichen Bekenntniss und wahren lutherischen Lehre bestanden) bei Männiglich mit Ungrund öffentlich für einen Manichäer ausgeschrieen bin, der da lehre, die Erbsünde sei ein Wesen; Gott habe die Erbsünde geschaffen; der Teufel schaffe die jetzigen Menschen; schwangere Weiber tragen lebendige Teufel; die Erbsünde werde am jüngsten Tage wieder auferstehen, und was solcher Auflagen mehr sind, damit sich mit armen, unschuldigen Diener Jesu Christi in Verdacht gebracht, verhasst und verachtet gemacht haben, obgleich sie diese Reden aus meinen Schriften nicht beweisen können, ich mich auch auf meine Schriften, Predigten, Zuhörer und alle unverdächtigen Theologen berufen, sieben Jahre mich alle Zeit zu einem Colloquim oder Verhör auf einem ordentlichen Synodo erboten, und daneben, was zu leiden Gott mir zugeschickt, mit Geduld gelitten, und, so Viel möglich, durch christliche Schriften meine Unschuld an den Tag gegeben: so hat doch solches Alles bei Denen, so wider mich verbittert, Nichts haften, noch gelten wollen, sondern es ist für und für das Urtheil wider mich ergangen: Spangenberg ist ein Manichäer. – Ich habe Gottlob 32 Jahr lang das Wort Gottes rein, lauter und unverfälscht gepredigt, wie ich’s 4 Jahr lang aus des sel. Dr. Luther’s, meines einigen praeceptoris heiligem Mund, Predigten, Lectionibus und Gesprächen selbst gehört und in seinen werthen Schriften hernachmals gefunden und noch täglich lese. Und hat mir auch der Mann Gottes, da er verstanden, dass ich mich in’s Predigtamt mit der Zeit zu begeben, Vorhabens, in Gegenwärtigkeit Dr. Jonas’ und anderer Theologen dazu geglückwünscht und dieses Kreuz, (so ich jetzt seiner Lehre halben tragen muss) zuvor geweissagt. Gott sei Lob und Dank, der mich erhalten, dass ich von solch reiner lutherischer Lehr nicht eine Hand breit gewichen! Wie aber mein Gegentheil (so allbereits mit den Calvinisten lernen fein sagen: O, Luther ist ein Mensch gewesen! hat auch irren können! Sollte Luther jetzt leben, er würde viel Dinge in seinen Büchern ändern!) von Lutherscher Bahn ausgeschritten, und mehr denn in 20 offene manachäische Irrthümer gerathen und in 174 Punkten wider Luther’s Katechismus lehren: habe ich sie aus ihren eigenen Büchern und aus ihren eigenen Worten überwiesen. Ach, hochgeborener und durchlauchter Churfürst! es ist gar bald um einen Theologen geschehen, der sich auf seine Kunst und Geschicklichkeit, hohen Verstand, scharfes ingenium und Schwarzkunst verlässt und nicht täglich in Demuth und Gottesfurcht die heilige Schrift und daneben deren einigen rechten Ausleger Luther mit Fleiss lies’t. Fürwahr, es hat uns Deutschen Gott den Luther nicht vergeblich gesandt, er will ihn unverachtet und die Gaben, die er uns durch ihn geschenkt hat, in Dankbarkeit gebraucht haben. Und fürchte ich sehr, dass Gott eben darum so viel gelehrte Theologen hat sinken und fallen lassen, dass sie des werthen Mannes geachtet, wenig gelesen, und dann schier gar nicht gefolgt. Und was ist auch die Ursach, dass man so unfruchtbar wider die Calvinisten und andere Secten streitet, denn dass man die Rüstung wider die Rottengeister nicht aus der heiligen Schrift und lutherschen Harnischkammer, sondern aus eigenem Kopf und philosophischen Argumenten nimmt? – Euer Churf. Gnaden wollen meine Unschuld daraus erkennen und mich wider meine Feinde in gnädigen Schutz nehmen, dass ich die übrige Zeit meines Lebens in beständiger Bekenntniss reiner lutherscher Lehre mit nützlicher Auslegung göttlicher Schriften hinbringe und in meinem Alter eine bleibende Stätte haben möge.“ Obgleich Spangenberg diesem Schreiben („damit Jedermann sehe, was der Manichäer Schwarm und Lästerung gewesen“) „3 lateinische Büchlein über die Mänichäer, von ihrem Anfang, Leben und Lehre“ beifügte, vermochte der Churfürst, von seinen geistlichen Rathgebern belehrt, sich nicht von der Integrität der Spangenbergischen Lehre zu überzeugen, und liess die Bitte unerhört. Späterhin, und zwar noch 1590, lebte Sp. als angestellter Prediger zu Schlitzsee in Hessen, von wo er, wieder abgesetzt, nach Vacha in Niederhessen zog. Hier verfasste er viele historische Schriften, u.a. den Adelsspiegel. Seine Verfolgungen dauerten fort, aber sein Eifer für seine ihm mit dem Kern des Evangeliums verwachsene Irrlehre erkaltete nicht. „O Gott,“ schreibt er, „wie viele untreue Diener hast du unter Denen, die sich für deine Diener ausgeben und nicht dir, sondern ihnen und ihrem Bauche und der Welt dienen! Ich bitte euch, ihr wollet euch nicht lassen überreden, dass der Streit, darein ich mit meinen Widersachern gerathen, von einem Wortgezänk oder Schuldisputation sei. Es trifft der grossen und fürnehmsten Artikel unserer Religion einen. Nämlich, was eigentlich nach des Gesetzes Urtheil Sünde, hinwieder nach dem Evangelio Gerechtigkeit sei und heisse, und gehet unsere Meinung nach dem Spruche Davids: Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gieb Ehre, nur dahin, dass Gott allein gerecht sei und den Gottlosen gerecht mache, und sage mit Luther im Glösslein Röm. 3, dass Sünde Alles Das ist, was nicht durchs Blut Christi erlöset, im Glauben gerecht wird.“ Die Mansfeldische Gemeinde liess sich durch den Spangenbergischen Flacianismus, aus dem man die Consequenz gezogen hatte, dass Christus unser wahres Fleisch nicht angenommen habe, zu einer eigenthümlichen Demonstration bestimmen, von der Kindervater (nach Leuckfeld) Folgendes berichtet: „Merkwürdig ist, was nach Sp.’s Entsetzung in der Mansfeldischen Stadt- und Schlosskirche verordnet, dass zu Verabscheuung seiner Lehre jederzeit bei Absingung des gewöhnlichen christlichen Glaubens vier Knaben in Mänteln auf den Knieen vor dem Altare mit halber Stimme, dabei sie ihre Häupter auf die Schwelle oder Stufe des Altars gelegt, diese Worte: Ist ein wahrer Mensch geboren, allein intonirt, da inmittelst die Orgel und die ganze Gemeine stille geschwiegen, und gleichsam pausirt haben. Welche Gewohnheit bis diese Stunde noch in diesen beiden Kirchen in Acht genommen wird, da es sonst in der ganzen Grafschaft, die doch über 100 Kirchen und 72 Prediger hat, nicht gebräuchlich.“

Von Vacha, wo Sp. gleichfalls bald nicht mehr sicher war, zog er nach Strassburg. Hier fand er an Wolrath’s Neffen, dem Grafen Ernst, einen literarischen Freund und treuen Beschützer. Bis an sein Ende mit historischen Arbeiten, vorzüglich mit Abfassung von Chroniken beschäftigt, starb er zu Strassburg den 4. Febr. 1604. „Nach seinem Tode wurde er von Vielen wegen seines Fleisses, seiner Aufrichtigkeit und Erfahrung bedauert, auch entschuldigt, dass er nur den Philippisten nicht weichen wollen, und desswegen leiden müssen.“ (Arnold.)

Sp.’s Predigten sind gehaltvoll und erbaulich. Die Methode ist überwiegend synthetisch, die Diction einfach-angenehm. Ein Verzeichniss fast sämmtlicher Schriften Sp.’s findet sich bei Thilo (s.u.); die wichtigsten homiletischen sind folgende: Fünf Predigten über den Anfang des Ev. Johannis. Eisleb. 1159. 8. Eilf Predigten über das 23. Capitel Jesaja. Strassb. 1560. 8. Predigten über die Paulinischen Briefe, z.B.: Auslegung der 1. Ep. an die Corinther in 59 Predigten. Eisleben, 1561. fol. Auslegung der Epistel an die Römer in 34 Predigten. 2. Thle., Strassb. 1566. fol. Passio. Vom Leiden und Sterben unseres Herrn, etliche schöne und nützliche Predigten. Eisleben 1564. 8. Vier kurze und einfältige Predigten von der Historie des Leidens Jesu Christi. Eisleben 1564. 8. Cithara Lutheri zum Katechismus. Erfurt 1569. 4. Neueste Ausgabe von Wilhelm Thilo. Berlin 1855. 8. Viele Leichen- und Brautpredigten (letztere im Ehespiegel), zuerst Eisleben 1562). Predigten über Luther, einzeln von 1563-1572. Busspredigt, das ganze Deutschland betreffend. Eisl. 1569. 8. (Eigentlich nicht eine Predigt, sondern ein langer Tractat.) Sieben Predigten von der göttl. Gnadenwahl. Frankf. a.O. 1615. 4. Von seinen übrigen praktischen Schriften sind besonders sein Katechismus (zuerst Erf. 1564) und verschiedene geistliche Lieder, z.B. „nach dir, o Herr, verlanget mich,“ „da Christus nun hatt’ dreissig Jahr,“ „am dritten Tag ein’ Hochzeit war“ bemerkenswerth.

S. Leuckfeld’s historia Spangenbergensis. Quedlinb. u. Aschersleben 1712. 4. Thilo, Cithara Lutheri zum Katechismus oder Spangenberg’s Predigten über Luthers Katechismus lieder, mit Lebensbeschreibung und Schriftenverzeichniss Spangenberg’s versehen von Wilh. Thilo. Berlin 1855. Daselbst findet sich auch die weitere Literatur. Dazu: Kindervater, Nordhusa illustris Wolfenb. 1715. 1715. S. 289 ff. Vorzüglich: Wangemann, Recension der Thilo’schen Cithara Lutheri in Reuter’s Repertorium, Jahrg. 1856, Juliheft 8. 38 ff., wo man auch einen Nachtrag zum Spangenbergischen Schriftverzeichnisse findet.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Georg Strigenitz

Georg Strigenitz, ein Sohn des Tuchmachers und Rathsmitgliedes, nachmaligen Stadtrichters Paul Strigenitz zu Meissen, war dasselbst am 9. Febr. 1548 geboren. Er besuchte zuerst die Stadtschule seiner Vaterstadt, seit seinem vierzehnten Jahre aber fünf Jahre lang die dortige, unter Georg Fabricius, Hiob Magdeburger, Peter Thomäus und Wolfgang Figulus blühende Fürstenschule. Von den Predigern zu Meissen wirkten besonders Alexius Prätorius und Caspar Eberhart anregend und belebend auf ihn ein. Prätorius’ Psalmenpredigten schrieb er in der Kirche eifrig nach und trug sie sauber in einen Folioband ein, der noch jetzt auf der Bibliothek zu Annaberg vorhanden sein soll. Eberhart, der später nach Wittenberg ging, würdigte den Jüngling seiner Freundschaft und berieth ihn segensreich bei theologischen Vorstudien. Paul Striegnitz starb 1564, und Georg ging drei Jahre darauf mit geringen Geldmitteln, aber guten Kenntnissen und vortrefflichen Zeugnissen nach Leipzig. Dort wurde es ihm möglich, durch Unterricht, den er ertheilte, und mit Hülfe von Stipendien fünf und ein halbes Jahr zu studiren. 1572 am 4. März reis’te er nach Wittenberg und promovirte daselbst zum Magister. „So viel aber seine vocationes zu Schul- und Kirchendiensten belanget, ist es mit denselben alle Zeit legitimo modo, ohne all sein Vorwissen, Rennen und Laufen zugegangen, wie die Epistel zu den Hebräern am 5. Cap. auch fein redet: Niemand nimmt ihm selbst die Ehre, sondern der auch berufen sei von Gott, gleich wie der Aaron – welches er ihm auch die ganze Zeit seines Lebens, sonderlich in vielen Widerwärtigkeiten, die ihm zugestossen, einen Trost hat sein lassen, daher auch Sirach vermahnet am 10. Capitel: Mein Kind, in Widerwärtigkeiten sei getrost und trotze auf dein Amt.“ (Kirchbach). Nachdem er seit Michaelis 1572 ein halbes Jahr lang den Rectorat zu Döbeln verwaltet hatte, folgte er Ostern 1573 einem Rufe zum Pfarradjuncten nach Wolkenstein. Als er vom Consistorium zu Meissen ordinirt war, entliess ihn Eberhart mit den Worten: „Ziehet hin, betet fleissig und studirt fleissig; Ihr müsst doch einmal einen Hofprediger abgeben!“ Diese Weissagung traf ein. Strigenitz wurde 1581 vom Churfürsten August, dem Vormunde der Herzöge Friedrich Wilhelm und Johann von Weimar, zum Hofprediger und Assessor des churfürstlichen Consistoriums zu Weimar berufen. Die ihm 1584 angebotene dortige Superintendentur schlug er aus. Auch folgte er nur ungern einer Vocation zum Prediger und Superintendenten nach Jena i. J. 1587. „Ich kenne einen Menschen“ – so sagt er in seinen Predigten von der Vocation des Jeremias S. 18. – „der war Hofprediger an eines löblichen Fürsten Hofe ausserhalb dieses Landes und sollte sich zur Zeit auf Befehl und Begehren der hohen Obrigkeit zu einem Pfarrherrn und Superintendenten auf die Universität desselben Landes gebrauchen und bestellen lassen. Solcher Vocation weigerte er sich lange und bat unterthänigst dafür. Dieses kam dem Landesfürsten etwas befremdlich für, und er fragte seiner Kammerräthe einen, was er wohl möchte für Ursachen und Bedenken haben, dass er solche Vocation nicht annehmen wolle? Da antwortete der Kammerrath darauf und sagte: Gnädigster Fürst und Herr, ich kann den Hofprediger darum nicht verdenken, dass er sich so weigert; denn es gemahnet mich eben, als wenn man eine Katze nehme und würfe sie in einen Graben, da viel grimmiger Löwen innen wären, die würden ihr bald die Freude vertreiben und Feierabend geben. Er weiss, der Prediger, wie es ihm allbereit gegangen ist, und siehet, dass ihrer viele des Orts sind, die ihm feind und aufsätzig und ihm heftig werden zusetzen; derwegen ist er nicht zu verdenken, dass er in solche Vocation nicht bald willigen will.“ Doch fand St. in Jena neben vielen Feinden auch entschiedene Freunde. Zu ihnen gehörte D. Mylius, der Denen gegenüber, die St.’s Predigten um ihrer Einfalt willen verachteten, mit Begeisterung bekannte, „er sei nimmer aus seinen Predigten gegangen, er habe denn etwas Sonderliches gelernt.“ 1590 übernahm St. ein Pfarramt und die Superintendentur zu Orlamünde, von wo er aber schon 1593 zum Hofprediger und Consistorialassessor nach Meissen berufen wurde. Hier wirkte er, wie wohl unter harten Kämpfen mit den Calvinisten in grossem Segen und reicher Befriedigung bis an seinen am 16. Mai 1603 erfolgten Tod. Gottes Wort, Gebet und Sacramente erleichterte ihm sein letztes Krankenlager. Besonders tröstete er sich mit dem Spruche 1. Thess. 5,9.10: Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesum Christ, der für uns gestorben ist, auf dass wir, wir wachen oder schlafen, zugleich mit ihm leben sollen. Diese Worte wurden auch auf das Kreuz an seinem Grabe geschrieben. Der Grabstein enthält sein Familienwappen: eine Taube mit einer Schlange umgeben, hindeutend auf seinen Wahlspruch: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Zugleich findet sich dasselbst folgende von ihm selbst in seiner letzten Krankheit verfertigte Grabschrift:

Angelus. Defunctus.

A. Hör’, lieber Mann, was ich dir sag
Und antwort’ mir auf meine Frag:
Wer bist du, und wie heissest du,
Der du da liegst in deiner Ruh’?

D. Ich bin und heiss Gregorius,
Mit Zunam’ Strigenicius,
Der Christum über dreissig Jahr
Öffentlich gelehrt, hell und klar,
Wie Solches ihr’ Vielen wohlbekannt
In Thüringen und Meissnerland:
Zu Wolkenstein im Städtlein klein,
Zu Weimar am sächsischen Hofe rein,
Zu Jena auf der Universität,
Die mir allda viel Gutes thät,
Desgleichen auch zu Orlamund
Und dann zuletzt in diesem Grund.

A. Was machst du hie im freien Feld?

D. Ich warte auf den theuern Held,
Der alle Todten wird wecken auf
Und die Seinen bringen zu Hauf,
Wenn er wird kommen zu Gericht,
Die Frommen und die Bösewicht.
Da will ich auch zum Himmel fahr’n
Und daselbst meine Zung’ nicht spar’n,
Sondern Gott loben in Ewigkeit,
Die heilige Dreifaltigkeit.

A. Ei, so schlaf wohl in deinem Heil,
Bis anbrech’ das ewige Theil.
Amen.

Seine Gattin Anna, eine Tochter des Bürgermeisters zu Döbeln, Barthel Zimmermann, mit welcher er sich zu Döbeln am 7. Juni 1573 verheirathet hatte, unterstützte ihn in seiner Wirksamkeit mit frommem Wesen und Wandel und gebar ihm zehn Kinder, von denen zwei Töchter früh verstarben. Von den Söhnen ist Gregorius 1635 als Prediger zu Hohenstein heimgegangen, Paulus Stadtrichter in Meissen geworden; von den Töchtern Sophia an den Superintendenten Willisch zu Eckardsberga, Anna an den Diaconus zu Wittenberg, spätern Condjutor zu Braunschweig, Johann Kauffmann verheirathet. Wie ämsig und christlich Strigenitz diese seine Kinder erzog, hebt Kirchbach’s Leichenpredigt mit folgenden Worten hervor: „Wie treulich und väterlich hat er euch in euren Kinderjahren den heiligen Katechismus des seligen Mannes Gottes, Herrn D. Luther’s, gelehrt, selbst fleissig fürgesprochen und mit euch täglich nach Tisch geübt, dadurch ihr in euerm Christenthum aufgewachsen und in Erkenntniss eures Herrn Jesu Christi, welchen ihr in der Taufe angezogen, zugenommen habt! Wie hat er angehalten, dass ihr daneben viel gottseliger, christlicher Gebetlein, Sprüche und Psalmen gelernt und sonst zu euern Studiis euch fleissig gefördert, dass Viele vom Adel, eure Condiscipuli und eure lieben praeceptores alle, so wie fremde Leute Zeugen sein können! Wie liess er’s ihm auch so sehr nöthig angelegen sein, zuvörderst mit seinem andächtigen Gebet zu Gott im Himmel, dass ihr alle Zeit nach seinem Tode der rechten, wahren, reinen, christlichen Lehre in der Augsburgischen Confession und Concordienbuche erkläret, möchtet zugethan sein und bleiben! Darum hat er einen Jeden unter euch neben seiner schönen, grossen, unverdächtigen, gedruckten und geschriebenen Liberey, seine selbst ausgegangenen christlichen Schriften und Bücher etlichfältig schön in Gold binden und als zum höchsten, fürnehmsten Schatze beisetzen lassen, wie ihr es also, als euer bestes und schönstes Erbtheil, finden werdet.“

Str.’s Predigten sind gedankenreich, aber dabei im hohen Grade populär. Ihre zuweilen rücksichtslose Schärfe fand nicht immer Beifall. Dahin deutet folgende Anekdote:

„Als er seine Predigten vom Gewissen zu Weimar gethan, und auch nicht Jedermann an seiner Lauterkeit und Wahrheit Gefallen haben wollen, begiebt sich’s, dass, nachdem er seine letzte Predigt von diesem Inhalte verrichtet, er desselbigen Tages seinen Diener abfertigt zu einem vornehmen Hofrath, Etwas bei ihm zu werben. Derselbige fragt des Herrn Strigenitii Diener also: Ist euer Herr schier mit seiner Conscientia hinaus? Der Diener antwortete: Heute ist die letzte Predigt davon geschehen, und die Predigten werden alle zum Druck gerichtet werden. Ei Lieber, spricht der Hofrath, wem wird er solch Buch zuschreiben? Der Diener sagte: So Viel ich mich bedünken lasse, so wird er’s Ew. Ehrenvesten zuschreiben. Er schreibe es dem Teufel zu und nicht mir! sagte der Hofrath wieder.“ (Zedler).

Die Methode besteht in der Behandlung des Textes nach einzelnen Lehrpunkten.

Str. hat eine erstaunliche Anzahl von Predigten herausgegeben und zum Druck hinterlassen, z.B. Sechs Predigten von der Vocation, Confirmation und Bestallung des Propheten Jeremias über Jer. 1 (4-10). Leipz. 1594. 4. Iter Emahuanticum, 21 Predigten. Jena 1587. 4. Der süsse Jesus Christus, oder acht schöne Weihnachtspredigten aus dem alten deutschen Liede: Ein Kindelein so löblich. Jena 1590. Ossa rediviva, das ist, die wunderbarliche und ganz tröstliche Geschichte von den dürren Todtenbeinen, die der Prophet Ezechiel im weiten Felde hat sehen liegen, in 21 Predigten. Leipz. 1593. 4. („darin hat er den Artikel unseres christlichen Glaubens von der Auferstehung der Todten ausführlich erkläret, welches Buch ihm so lieb und angenehm gewesen, dass er auch vor sieben Jahren in seiner grossen Krankheit dasselbe schön in Gold hat einbinden lassen und begehret, dass man’s ihm mit in’s Grab geben sollte, welches nunmehr geschehen.“ Kirchbach in der Leichenpredigt). Jonas, das ist, Auslegung der wunderbaren und doch ganz lehrhaftigen und trostreichen Historien von dem Propheten Jona in 122 Predigten. Leipz. 1593. fol. Conscientia, das ist, bericht vom Gewissen des Menschen über Jonas 1 (5.6.), in ein und dreissig Predigten. Jena 1596. 4. Das Neue vom Jahre. Sechs Predigten. Leipz. 1609. 4. Infanticidium Bethlehemiticum. Neun Predigten von dem greulichen Blutbade und erbärmlichen Niederlage der Kinder zu Bethlehem. Leipz. 1611. 4. Von des Herrn Christi Pferde. Adventspredigten. Leipz. 1614. 4. Laqueus Aucupis. Das ist, sechs Adventspredigten vom Fallstrick. Leipz. 1614. 4. Schul- und Kinderpostilla, das ist, neun Schulpredigten. Leipz. 1615. 4. Postilla evangelica, oder Auslegung aller Sonn- und Festtags-Evangelien und Episteln. Leipz. 1617. 3 Bde. fol.

8. Leichpredigt bei dem Begräbniss des weiland Ehrwürdigen cet. M. Gregorii Strigenicii, durch Paulum Kirchbach. Leipz. 1620. 4. Zedler, Universal-Lexicon. Leipz. u. Halle 1744. Bd. 40. S. 977.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Hans Sachs

Hans Sachs.

Einen Schuster hat Gott zum Sänger und großen Poeten,
Uns zu belehren, gemacht: „Wunder vollbringe der Herr.“
Ohn‘ Ansehn der Person wählt Gott aus den Völkern die Seinen;
Auch ein Schuster hat oft Worte der Gnade erlangt;

so lesen wir in lateinischen Versen unter einem Kupferstich von Lucas Kilian in Augsburg aus dem Jahre 1617, der Hans Sachsens Brustbild im höheren Alter darstellt, mit freudiger Beistimmung. Hans Sachs, ein Zeitgenosse Luthers, hat sich der Grundgedanken der Reformation mit seltener Klarheit bemächtigt, sie mit Ueberzeugungstreue festgehalten und unter dem deutschen Volke in das Leben zu rufen erfolgreich gestrebt.

Hans Sachs, der Sohn eines Schneidermeisters, wurde am 5. November 1494 in Nürnberg geboren, und wieder zum Handwerk bestimmt, welches daselbst in hoher Blüthe stand, Niemand von allgemeiner Wirksamkeit für die Vaterstadt ausschloß, und den nothwendigen Unterhalt für eine Familie in ausreichendem Maße darbot. Er ward ein Schuster und schämte sich dieses Berufs nie, zu dessen Führung er im Vaterhause „auf gut Sitten, auf Zucht und Ehr“ erzogen und in einer der lateinischen Schulen seiner Vaterstadt mit den Anfängen der Ausbildung versehen worden war, welche die Zeit forderte. Der Sitte gemäß ward er nach vollendetem 15. Lebensjahre Lehrling, und trat 17 Jahr alt 1511 die übliche Wanderschaft an, auf welcher er einen großen Theil Deutschlands kennen lernte und dessen vornehmste Städte zu längerem Aufenthalte nahm, kehrte aber im 22. Lebensjahre 1516 in die Heimath zurück, der er dann bis an seinen Tod mit Liebe und Hingebung angehörte. Schon 1519 begründete er durch seine Heirath mit Kunigunde Creutzer aus dem Nürnberg benachbarten Wendelstein ein eigenes Hauswesen mit so gutem Erfolg, daß er im I. 1540 aus der Vorstadt in die Stadt zog, wo noch heute im Mehlgäßlein nahe dem Spittelplatze Nr. 969 eine Denktafel die Einheimischen und Fremden zum Besuche des durch ihn interessanten Hauses einladet. Da hat er sein Handwerk bis in das höchste Alter fortgesetzt, und es erst ruhen lassen, als die Abnahme des Gesichts und Gehörs es aufzugeben zwang. Nach dem Tode seiner ersten Gattin hatte er sich zum zweiten Male mit Barbara Harscher 1567 vermählt, die ihm bis an sein Ende zur Seite blieb. Erst im 82. Lebensjahre in der Nacht vom 19. zum 20. Januar starb er und wurde am 28. desselben Monats auf dem Johanniskirchhofe begraben. Mit beiden Frauen hatte er in Liebe und Vertrauen gelebt und allen Ansprüchen, die an sein bürgerliches Leben gemacht werden konnten, in vollem Maße genügt. Kinder hinterließ er nicht: zwei Söhne und fünf Töchter waren vor ihm gestorben.

Aber Gottes Gnade hatte ihm seine eigentliche Lebensaufgabe auf einem andern, idealen Gebiete angewiesen. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, (möchte sie sich in unsern Tagen erneuern lassen!) daß viele Handwerker jener Tage mit der kräftigen Ausübung ihres Geschäfts höhere Zwecke zu verbinden wußten, deren Verfolgung allein sonst das ganze geistige Leben zu fordern pflegt. Seine wahre, von Gott gewollte Aufgabe erkannte Hans Sachs in der Poesie, in dem damals blühenden Meistergesang, und wie er, so dachten viele andere Handwerker, durch Singen und Dichten sich des Lorbeers würdig zu machen. Zwölf Häupter der Meistersänger zählt Hans Sachs auf, welche nach einander die Singschule zu Nürnberg geleitet hatten, von Conrad Nachtigall bis auf seinen Lehrer, den Leinweber Lienhard Nunnenbeck, nach welchem er die Leitung der gemeinsamen Arbeiten des Meistergesangs auf sich nahm, der zu seiner Zeit etwa 250 Meister in dieser einen Stadt umfaßte.

Es ist die einfache Betrachtung seines Lebenslaufs, die zur Ueberzeugung führt, daß Hans Sachsens dichterische Thätigkeit von Gott geordnet war. Schon seine Erziehung im Vaterhaus stimmte mit der Idee des Meistergesangs, die tüchtige bürgerliche Gesinnung und sittlich religiöses Leben erwecken wollte, genau überein. Die Schule, welche er besuchte, war zwar, wie er sagt, „nach schlechtem Brauch derselben Zeit“ eingerichtet und verschaffte ihm nur eine unvollkommene, und bald wieder verschwundene Kenntniß der lateinischen und griechischen Sprache; doch lernte er daselbst nicht nur „artlich wol, war und rein“ reden, und die Anfänge „der Kunst des Gesanges und manchen süß lieblichen Saitenspiels“ lieben und üben, sondern erfüllte sich auch mit lebendigem Interesse für alles Wissenswerthe, das ihn fortan durch das ganze Leben begleitete. Als Schusterlehrling fand er in Nunnenbeck einen wackern Führer zur Kunst und durchdrang sich mit begeisterter Liebe zu derselben, und zu ihren höheren Zwecken. Auf der Wanderschaft gelangte er nach und nach zu den Hauptsitzen der Kunst in Deutschland und fing nicht nur selbst an zu dichten, sondern in Frankfurt am Main und anderwärts auch Schule zu halten. Es war in Wels, wo er zum vollen Bewußtfein seiner Bestimmung gelangte: abgeschreckt von der rohen Weise unedlerer Gefährten entschlug er sich ihrer Thorheit und wendete sein Herz der löblichen Kunst zu, wie er im „Gesprech der neun Gab der Muse“ in Hesiods Weise berichtet. Auf dem Wege zum kaiserlichen Thiergarten überraschten ihn die Kunstgöttinnen, als er am Felsenbrunnen unter Blumen im Gras eingeschlafen war: von einer derselben erzählt er:

Die Göttin sah mich freundlich an
und sprach: o Jüngling, dein Dienst sei,
daß du dich auf teutsche Poeterei
ergebest durchaus dein Lebenlang,
nämlich auf Meistergesang,
darin man fördert Gottes Glori
an Tag bringt gut schriftlich Histori u. s. w.

Als aber Hans Sachs zweifelte und seine Unerfahrenheit noch im zwanzigsten Jahre dagegen vorführte, begabten ihn die Musen „mit beständigem Willen, Lust und Liebe, hohem Fleiß, der Künste Grund zu erfahren und mit allen Gaben, deren er bedurfte. So für seinen Beruf geweiht, sang er 1514 sein erstes Meistergedicht, „Geheimnis der Gotheit“ und bezeichnete damit gleich Anfangs die Gesinnung, in welcher er fortan seine ganze Kunst ausüben wollte. Auf derselben Reise aber traf er 1518 mit Martin Luther in Augsburg zusammen und durch ihn erst fand er die letzte Weihe zum Dichterberuf und die eigentliche Entscheidung über den Weg, den er zur unsterblichen Ehrenkrone einschlagen sollte. So kehrte er 1519 mit festem Entschluß und völlig klarer geistiger Richtung in die Vaterstadt zurück, um seinem irdischen und himmlischen Rufe mit der ganzen Fülle seiner Begabung zu dienen.

Welches Interesse er an Luther gewonnen, zeigte zunächst der Eifer, mit welchem er dessen Schriften sammelte. Schon im Jahr 1522 besaß er eine Zahl von 40 Lutherischen Schriften und betrachtete sie als den schönsten Schatz seiner Büchersammlung, die er sich mit Sorgfalt anlegte. „Diese puechlein“, sagt er, „habe ich Hans Sachs alle gesamlet, um Gott in seinem wort zu eren und den nechsten zu gut einpünden lassen, als man zelt Christi Geburt 1522 Jar. Die warheit bleibt ewiglich“. Und schon im nächsten Jahre 1523 begrüßte er seinen Meister als „die wittenbergisch nachtigal, die man iez höret überal“

„Wacht auf, es nahmt gen dem tag!
ich hör singen im grünen hag
ein wunnikliche nachtigal;
ir stimm durchginget berg und tal.
Die nacht neigt sich gen occident,
der tag get auf von orient.
Die lotbrünstige morgenret
her durch die trüben wolken get,
daraus die liechte sunn tut blicken
des mondes schein tut sich verdricken
der ist jez worden bleich und finster.“

Er entwickelt im Fortgang sein ganzes Verständniß des von Luther gepredigten Glaubens und spricht diesen selbst einfach und verständlich als seine eigene innerste Ueberzeugung aus. Man sieht, Hans Sachs besitzt Luthers Bücher nicht etwa nur äußerlich, sondern ist von Luthers Geist angeregt und durchdrungen; er ist in Wahrheit ein evangelischer Christ geworden.

Auch hat er den ganzen, herrlichen Gewinn in sich aufgenommen, den die Reformation Luthers allmählich ins Leben rief. Hans Sachsens Bibliothek umfaßte bald Luthers Bibelübersetzung: hatte er bis dahin mit den früheren Uebertragungen sich behelfen müssen, jetzt gab ihm Luther Arbeit für Inhalt und Form, was seine Seele begehrte. Sofort empfing der von ihm geleitete Meistergesang die Grundregel für seine weiteren Schöpfungen: jede Abweichung von Luthers Ausdruck sollte vermieden und als Fehler angesehen werden. Eine Vergleichung seiner früherer Gedichte mit den späteren läßt den Unterschied sofort deutlich erkennen: er verdankte Luther Befreiung von mittelalterlicher Sprachmengerei, und von scholastischen, dem Leben entfremdeten Stoffen, eben dadurch aber erst den Uebergang zu vollkommner Verständlichkeit und Popularität. Als die ganze Bibel von Luther gedruckt war, ist er nicht müde geworden, den Reichthum der biblischen geschichtlichen Darstellungen wiederzugeben und ganze Bücher in seiner poetischen Weise dem Volke darzustellen. Nur die Nothwendigkeit des Reims zwingt zu kleinen Veränderungen und Zusätzen.

Im Jahre 1523 wendete Luther seine Aufmerksamkeit dem Kirchenliede zu. Auch Sachsens Dichtungen nahmen sofort einen neuen Charakter an: schon 1525 erschienen ganz in Luthers Weise Etliche geystliche, in der Schrift gegründete lieder für die layen zu singen, z. B. „Eine schone Tagweyß von dem wort Gottes; ein christlich lied wider das grausame droen des Sathanas“ u. a. Seine alten Lieder arbeitete er um: an die Stelle von „Maria zart“ trat jetzt „o Jesu zart“; er redete nicht mehr „die Frau vom Himmel“ an, sondern „Christus vom Himmel,“ nicht anders, wie in derselben Zeit Heyden der Rector zu Sebold statt „Sei gegrüßt, Königin, Mutter der Barmherzigkeit“, jetzt singen ließ „Sei gegrüßt, Jesu Christ, König der Barmherzigkeit“.

Auch die damaligen, prosaischen Schriften Luthers trieben ihn zur Mitarbeit in gleicher Form 1524. In vier Dialogen, welche er zusammen herausgab, griff er die Gegner mit reichem, treffendem Witz, überzeugender Beweisführung, echt evangelischer Gesinnung an. Die Hauptperson, welche die gute Sache vertritt, ist der Schuhmacher Hans, also offen er selbst. Der erste Dialog, „Disputation zwischen einem Chorherrn und einem Schuhmacher, darin das Wort Gottes und ein recht christlich Wesen verfochten wird“, geht tief und gründlich auf die Hauptfrage ein, ob auch Laien ein Recht haben, im Streit der Gelehrten mitzureden und in der Schrift selbständig nach der Wahrheit zu forschen, ob der geistliche Stand mit dem Papst an der Spitze in der Schrift gegründet, ob der äußerliche Gottesdienst mit seiner Anrufung der Maria und der Heiligen zulässig sei und löst Alles nach Luthers Sinn und nach dessen Büchlein „von der christlichen Freiheit“. Der zweite Dialog verwirft nach Luthers Schrift „von den geistlichen und Klostergelübden, 1521“ alle diese kirchlichen Einrichtungen, und verweist die Mönche aus dem Kloster zum Leben und zur Arbeit, „dazu sie, wie der Vogel zum Flug geboren sind.“ Sein Werk ist um so weitergreifend, weil er nicht blos die Männer des alten Systems widerlegt, sondern in den folgenden Dialogen auch den Freunden der neuen Lehre vortreffliche Warnungen und Mahnungen zugehen läßt. Sie sollen nach gewonnener Einsicht auch jeder Unsittlichkeit entsagen und von unnützen Streitigkeiten ablassen, vielmehr jene duldende Liebe üben, die um Aergerniß und Anstoß zu vermeiden, lieber in gleichgültigen Dingen nachgiebt, als vorzeitig und leichtsinnig sich in Zerwürfnisse stürzt.

Auch die gleichzeitige Verbreitung der classischen Literatur in Deutschland war ein Verdienst der Reformation, welches Hans Sachs mehr als einer seiner dichterischen Zeitgenossen für seine poetischen Zwecke benutzte. Es erschienen jetzt Uebersetzungen alter Schriftsteller in großer Zahl und wurden schnell in Sachsens Bibliothek aufgenommen und in seinen Dichtungen benutzt. Dazu kommt, was Mittelalter und neuere Zeit geschaffen haben, die Chroniken aller Länder und Städte, die Erzählungen der Volksbücher, Petrarca und Boccaccio, Reuchlin und Erasmus, Luther und Melanchthon herzu und bieten ihm ihre Schätze dar. Hans Sachs erscheint als der umfangreichste Dichter, den Deutschland besessen hat.

Im Jahr 1529 erschien Luthers Katechismus, und schon 1530 bearbeitete er klar und sorgsam die zehn Gebote und das zweite Hauptstück, ganz nach Luthers Geist und Auffassung. Obgleich er aber so innig mit Luthers Werken vertraut und so fest mit ihm verbunden war: verzagte er doch nicht, als der große Reformator 1546 starb. Da tröstet er in seinem herrlichen Klaggesang die Theologie „ein Weib in schneeweißem Gewand, die stunt hin zu der Totenbar, sie want ir Hent und rauft ir Har,“ mit folgenden, ergreifendem Wort:

Got hat dich selbs in seiner hut,
der dir hat überflüßig geben
vil trefflich menner, so noch leben;
die werden dich hanthaben sein
samt der ganz christlichen gemein. –
Dich sollen die Pforten der hellen
nicht überweltigen noch fellen;
darumb so laß dein trauren sein,
das doctor Martinus allein
als ein überwinder und sieger,
ein recht apostolischer krieger
der seinen kampf hie hat verbracht
und brechen deiner feinde macht.

Und augenscheinlich gehörte er selbst zu den Männern, welche des großen Reformators Tagesarbeit durchzuführen und den reinsten Glauben zu erhalten sich mannhaft und ritterlich bemühten.

Daß Nürnberg in Hans Sachsens Epoche eine der wichtigsten Städte Deutschlands, im gewissen Sinne die Hauptstadt des Reichs war, ist nicht zu leugnen: eben so wenig, daß Hans Sachs eine der vornehmsten Zierden Nürnbergs, als Stimmführer und Rathgeber der Stadt von hoher Bedeutung für dieselbe wurde. Gewiß ging die Neigung Nürnbergs, sich mit der größten Kraft der Reformation zuzuwenden, aus der Gesinnung der Gesammtbürgerschaft hervor; indem aber Hans Sachs damit übereinstimmte, gewann seine Stimme eine hohe Wichtigkeit und hat die allgemeine Anerkennung der lutherischen Meinung ungemein gefördert, der Stadt aber großen, wesentlichen Nutzen gebracht. Die Beziehungen zwischen der politischen Richtung der Stadt und der Thätigkeit H. Sachsens liegen klar vor Augen. Wollen sie doch Beide die Kirchenreform und die Wiedergeburt der deutschen Nation durch dieselbe. Als im Jahre 1532 die Türken Ungarn eroberten und Deutschland und Wien bedrohten, ließ H. Sachs auf zwei Bogen ein längeres Gedicht ausgehn „wider den blutdürstigen Türken“, in welchem er die ganze Nation in allen ihren Gliedern mächtig aufforderte, mit Kraft und Einigkeit den Erbfeind des Christenthums zu bekämpfen. Mit Carl V. beginnt er und mahnt ihn, sein Adlersgefieder zu schwingen, dann wendet er sich nach einander an das heilige Reich, an alle Stände mit den feurigsten und eindringlichsten Worten, rasch in den Kampf zu ziehen. Dafür waren auch die Nürnberger die ersten, welche im Felde erschienen, und leisteten viel mehr, als ihre Pflicht war. Ein allgemeiner Wetteifer der Städte folgte.

Ueberall, auch in streitigen Fällen, hielt er, wie Nürnberg selbst, am Kaiser fest, nicht nur als er 1536 nach Frankreich zog, sondern auch beim Ausbruch des schmalkaldischen Kriegs. Nur einmal im Jahr 1527, als Carls Truppen als Sieger in Rom einzogen, hatte sich H. Sachs mit Andreas Osiander, Prediger an der Lorenzkirche, welcher die Weissagungen des Abts Joachim aus dem 13. Jahrhundert in Bildern herausgab, vereinigt, einen directen, heftigen Angriff auf das Papstthum zu machen. Die Bürger selbst nahmen an der Schrift keinen Anstoß, der Rath aber fürchtete, sich die Ungnade des siegreichen Kaisers zuzuziehen, als dessen Unterthan er sich anzusehen liebte, und sprach herben Tadel über den Dichter aus. Deß ungeachtet fuhr die Reichsstadt fort, an der Reformation mit Treue festzuhalten und betheiligte sich 1529 nicht nur an der Protestation in Speier, sondern auch an der Verwerfung der Zwingli’schen Meinung, und vollzog auch 1530 die Augsburger Confession, indem sie nunmehr „des Kaisers Gnade nicht höher anschlagen wollten, als die Güte Gottes“. Gerade in diesem Jahre gab H. Sachs eine Reihe werthvoller Gedichte heraus, Luthers Werk dadurch zu unterstützen.

In den Jahren 1541 und 1544 ermahnte Sachs auf das ernstlichste, die Zwietracht im Reiche aufzuheben, zuerst während des Nürnberger Reichstages im „Gefängnis der göttlichen Warheit“, wo er dem Worte Gottes gegenüber vor aller Eigensucht warnt, sodann 1544 in einem Gedicht, in welchem er mit großem Ernste mahnt „respublica, den gemein nutz“ wieder einzuführen und Friede und Einigkeit wieder herzustellen. In diesem Sinne bekämpfte er auch den Feind seiner Vaterstadt, den Markgrafen Albrecht, auf das kräftigste, als dieser die Stadt 1552 belagerte.

So hat er sich stets als guter Bürger bewährt, und zu Gunsten seiner Vaterstadt bis an das Ende seines Lebens eifrig fortgeschrieben. Als er 60 Jahre alt war, kam es ihm vor, als müsse er fortan sein Leben in stiller Ruhe weiter führen, „frei und müßig von aller Poeterei“; die Muse aber ließ ihn nicht los und veranlaßte ihn, wenn auch mit matteren Kräften, zur Ehre Gottes fortzuarbeiten. Als das Leben dem Ende zueilte, sah man ihn mit seinem langen Bart an seinem Tisch sitzen und schweigend die Blicke auf seine Bücher und die geöffnete Bibel richten, welche ihm bis zuletzt als das Kleinod seiner Büchersammlung erschien.

Schönes und seltenes Beispiel eines Mannes, der in würdigster Weise durch Gottes Gnade sein Leben und Streben ganz durchführt, und einem doppelten Berufe trefflich genügt.

Dem Zwecke seiner Lebensarbeit entsprach sein Charakter als Mensch: er hatte von Jugend auf allen verderblichen Einfluß auf sein Herz abgewehrt, auch im Scherz und Humor, dem er sich zuneigte, sich niemals etwas entschlüpfen lassen, was zur Sünde reizen könnte. Wo er doch an solche Gebiete anstreift, und er hatte nach seinen weltlichen Quellen nur zu oft Veranlassung dazu, pflegt er wohl irgend ein entschuldigendes Wort hinzuzufügen, wie „verargt mir’s nit, ich bitt, Hans Sachs“. Aber zuweilen ist der Patriarch der Meistersänger ein Kind seiner Zeit und redet in seiner volksmäßigen Weise mit zu derbem, dem roheren Scherze sich zuwendenden Witze. Seine evangelische Gesinnung und seine ganze sittliche Richtung schützt ihn meist dagegen. Im Urtheil über seine eigene Moralität ist er sehr bescheiden geblieben. Dafür spricht auch der Tadel, den er gegen Ende seines Lebens in seinem Gedichte „die werke Gottes sind alle gut, wer sie im Geist erkennen thut“ über sich selbst ausspricht (s. Dichtungen von Hans Sachs von Goedeke und Tittmann, II, 253 ff.).

So wird er immer zu den evangelischen Männern gerechnet werden, welche Christenthum und Vaterland im Herzen getragen und beiden in ihrer Zeit mit größtem Segen gedient haben; immer ist er treuherzig, unschuldig, heiter und anmuthig. Durch ihn wurde die Reichsstadt Nürnberg eine der Metropolen populärer, literarischer Thätigkeit, welche auf die Bibel gestützt, eben so viel Gottesfurcht und Frömmigkeit, wie Geist und Schwung verriet!^ und in Epochen neuer Anregung des national-deutschen Geistes immer kräftig wieder auflebt, und für die Wiedergeburt des deutschen Vaterlandes, die Befreiung desselben von Fremdländerei, die Rückkehr zu wahrhaft idealem Streben und zum echt evangelischen Christenthum wirksam hervortritt.

F. Ranke in Berlin

Johann Ruysbroek

Dieser durch seinen heiligen Wandel und durch seine geistliche Erkenntniß berühmte Johannes ist von dunkler Abkunft. Sein Todesjahr ist bekannt, sein Geburtsjahr nicht: doch da man sein Alter kennt, so läßt sich berechnen, daß er im Jahr 1293 oder 1294 geboren sein muß. Sein Vater wird nirgends genannt, ist wahrscheinlich ein armer Landmann gewesen und früh verstorben; seine Mutter war eine fromme Frau im Sinne jener Zeit: ob sie die Sage veranlaßt hat, daß der Knabe, kaum sieben Tage alt, sich aus Gottes Kraft in dem Becken, worin die Hebamme ihn wusch, frei aufgerichtet, läßt sich nicht nachweisen. Den Namen Ruysbroek, der ihn in der Geschichte kenntlich macht, ist ihm nach einer in den mittlern Jahrhunderten häufigen Sitte von seinem Geburtsort beigelegt, einem Dorfe in Süd-Brabant, an dem Fluß Senne zwischen Brüssel und Hall gelegen: er war ein ächter Niederländer von deutscher, nicht von romanischer Abkunft und hat nur in seiner Muttersprache geschrieben. Von frühster Jugend an war er ganz auf das innere Leben gerichtet, dies zu beobachten und zu heiligen und dieser Sinn wurde in ihm durch den Zustand der Kirche genährt, der äußerlich glanzvoll und wenigstens in den Rheingegenden reich an Bildung, aber sittlich und geistlich verdorben war. Das ganze Rheinthal entlang war unter Priestern und Laien eine. selbständige Richtung auf innere Erkenntniß und Heiligung verbreitet und die trefflichsten Männer in diesen Landen, in Basels Straßburg, Köln und in den Niederlanden neigten sich auf diese Seite, wie die Namen Eckart, Tauler, Suso und viele Andere beweisen. Die Nachfolge Christi, um durch Selbstverleugnung und Reinigung des Geistes zur möglichsten Vollkommenheit, zur Vereinigung mit Gott, zu gelangen, dies war das Ziel, nach welchem die Frommen jener Zeit auf einem von Jahrhunderten her angebahnten Wege strebten.

Als eifriger frommer und fähiger Knabe wurde Ruysbroek von seiner Mutter einem Blutsverwandten, der Augustiner-Chorherr und Canonicus in Brüssel war, übergeben. Dieser nahm ihn in sein Haus und ließ ihn eine Schule besuchen, in welcher er vier Jahre blieb, aber kaum die ersten Schwierigkeiten der lateinischen Grammatik überwand. Länger hielt er es nicht aus und entsagte der Schulgelehrsamkeit, um allein auf dem Wege der innern Erfahrung sich weiter zu bilden. Seine Mutter kam öfter ihn zu sehen, wurde aber mit ihrer noch zu fleischlichen Mutterliebe von Andern und, wie es scheint, auch von dem heranwachsenden Jünglinge selbst, verhindert sich ihm zu nahen, wie sie wünschte. Sein Vorbild wirkte veredelnd auf ihr Herz zurück: sie begab sich in ein Haus, wo fromme Frauen gemeinschaftlich der Andacht lebten, und blieb daselbst bis an ihren Tod, zufrieden von ihrem Sohne zu wissen, daß er in Gottes Liebe wandelte, auch wenn sie ihn nicht mit leiblichen Augen sah.

In seinem 24. Lebensjahre wurde Ruysbroek zum Priester geweiht und bald nachher als Vicar an der St. Gudilakirche in Brüssel angestellt. So diente er als Weltpriester der Kirche bis in sein 60. Jahr und verwaltete sein Amt mit aller Treue, während der Geist ihn immer zur Einsamkeit und zur stillen Beschaulichkeit hinzog. Als er einmal so stillselig in seiner einfachen Priestertracht auf der Straße wandelte, sprach ein Brüsseler Bürger, der ihm nachsah, zu einem andern: „O daß ich doch auch so leben könnte, wie dieser Priester!“ worauf dieser erwiederte: „Um eine ganze Welt voll Gold möchte ich nicht an seiner Stelle sein: dann hätte ich ja keinen fröhlichen Tag mehr!“ Indem er dies Gespräch vernahm, dachte er bei sich selbst: „O du armer Mensch! hast nie erfahren, welche Süßigkeit die kosten, die den Geist Gottes geschmeckt haben.“ Bei allen seinen Entzückungen aber bewahrte ihn sein gesunder Sinn in der Demuth und er bekämpfte auch die geistliche Hoffart, wo er sie bei Andern entdeckte: so bei einer Frau, die damals in Brüssel sich aufhielt und im Rufe hoher Erleuchtung stand, daß man sagte, so oft sie sich dem Tische des Herrn nahe, würde sie von zwei Seraphim geleitet. Sie hatte ein hoch geistliches Buch vom Geiste der Freiheit und von der seraphischen Liebe geschrieben und viele Fromme hingen ihr an. Ruysbroek entdeckte und bekämpfte ihre gefährlichen Irrthümer furchtlos, ohne die Feindschaft ihrer zahlreichen Anhänger zu scheuen.

Zwei Meilen von Brüssel in einem großen Buchenwalde, Soujenbosch genannt, an dessen südlichem Ausgange das durch die Schlacht von 1815 berühmte Waterloo liegt, war ein Kloster Grünthal. Dahin zog sich ein damals neugestifteter Verein von regulirten Chorherrn des heiligen Augustin unter einen Propst Franco zurück: Ruysbroek, 60 Jahre alt, schloß sich ihnen an und wurde von ihnen zum Prior erwählt. Dort in der Einsamkeit des Waldes, in den Entzückungen heiliger Liebe, ganz in Gott verborgen, war er erst völlig in seinem Elemente und genoß im Alter reichlich, was er von Jugend auf gewünscht hatte. Gegen 28 Jahre lebte er daselbst noch in einem blühenden Greisenalter, bis er endlich nach fünfzehntägiger Krankheit im Kreise seiner frommen Brüder am 2. December 1381 sanft und selig entschlief. Als Prior des Klosters hauchte er der ganzen Gemeinschaft den Geist einer innigen aus Gottes Liebe fließenden Bruderliebe ein, daß man in diesem Kreise erfüllt sah, was Christus im hohenpriesterlichen Gebete für alle seine Gläubigen erfleht hatte. Von allen Seiten des Rheines kamen die ausgezeichnetsten Männer gleicher Richtung nach Grünthal, um den gottseligen Greis zu sehen und zu hören und sie fühlten sich in der Gemeinde der Heiligen, die sich um ihn versammelt hatte, wie in das himmlische Wesen versetzt. So Johann Tauler von Straßburg, Gerhard Groote von Kempen aus, der Ruysbroeks in brabantischer Muttersprache verfaßte Schriften gelesen. Gerhard, damals noch ein junger Mann, denn er ist im Jahr 1340 geboren, reiste in Begleitung des Rectors der Schule zu Zwoll, Johann Cele, der in der Liebe Christi mit ihm Ein Herz und Eine Seele war. Thomas von Kempen, der berühmte Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi, hat uns in seiner Beschreibung von Gerhards Leben einen Bericht von der Einwirkung und Nachwirkung jenes Besuchs hinterlassen, der uns ganz in die Sphäre dieser Frommen versetzt. Ueberwältigend für Gerhard war sogleich der erste Eindruck, den er von dem ehrwürdigen Greise empfing, als dieser ihm an der Pforte entgegen kam und, wiewohl er ihn noch nie gesehn, wie aus göttlicher Offenbarung ihn mit seinem Namen holdselig begrüßte. Die Aermlichkeit und Einfachheit der Umgebungen diente nur dazu, die Erhabenheit der geistvollen Worte, die aus Ruysbroeks Munde flossen und die ihm nur zum Theil verständlich waren, desto fühlbarer zu machen. Mit neuer noch nie zuvor gekannter Inbrunst in der Liebe zum Herrn reiste Gerhard ab und schrieb dann an die Augustiner zu Grünthal: „Innigst wünsche ich euerm Propst und Prior empfohlen zu sein, dessen Fußschemel zu werden ich begehre sowohl in diesem als im zukünftigen Leben, weil meine Seele mit Liebe und Ehrfurcht an ihm hängt, mehr als an irgend einem andern Sterblichen. Noch brenne ich und seufze nach eurer Gegenwart, um von euerm Geiste erneut, durchwehet und erfüllt zu werden.“ Als im Jahr 1381 Ruysbroek starb, wurde sein Tod – so erzählt ferner der fromme Thomas – durch das Anschlagen der Glocken in Deventer, wo es auch einige Bürger vernahmen, Gerharden offenbart und einigen Freunden theilte er insgeheim mit, daß Ruysbroeks Seele, in Einer Stunde von allen Schlacken gereinigt, zur himmlischen Herrlichkeit eingegangen sei.

Seit dem dreizehnten Jahrhundert pflegten die ausgezeichneten Lehrer der Theologie mit ehrenden Beinamen bezeichnet zu werden. So hieß Bonaventura der Seraphische, ein Andrer der Feine, ein Andrer der Wundervolle, wieder Einer der Tiefsinnige. Ruysbroek, der zwar keine Schulbildung auf einer Universität genossen und noch weniger einen öffentlichen Lehrstuhl eingenommen, empfing von seinen Jüngern und von den Lesern seiner gottseligen Schriften den Ehrennamen des Entzückten (Nestatiens). Diese Bezeichnung war in so fern richtig, als er seine geistlichen Erfahrungen mit hohem Genuß den Stunden der Entzückung, der völligen Sammlung und Erhebung in die Sphäre des tiefsten Innern, verdankte. Es ist aber ein Irrthum derer, die auf diesem Gebiete nicht heimisch sind, wenn man meint, er habe nur in Gefühlen und Phantasieen geschwelgt. Auch die biblischen Allegorien und die Bilder, deren er sich in seinen Schriften bedient, beweisen dies nicht: sie dienen ihm vielmehr nur als Mittel, um sich denen, die seine innern Erfahrungen noch nicht theilten, durch Analogieen aus der Natur und Geschichte verständlich zu machen. Was seine Schriften erkennen lassen, ist vielmehr die schärfste Selbstbeobachtung auf dem abstraktesten Gebiete der inneren Seelenkunde und eine gewisse niederländische trockene Verständigkeit in genauer Sonderung der Zustände, die bei der inbrünstigen Richtung auf den Gottesgedanken, der nach seinem Begriffe ihm der höchste war, in fortgehender Steigerung auf einander folgten. Darin hat er nach seiner Begabung ein unübertroffenes Maaß erreicht und zu dieser Ausbildung trieb ihn nicht nur das Verlangen sich selbst zu verstehen und seinen Schülern die inneren Wege des Geistes verständlich zu machen, sondern auch die Sorge, sich und Andre vor naheliegenden Abirrungen in das Gebiet einer unchristlichen Mystik und pantheistischen Selbstüberhebung zu bewahren. Sah er sich doch von ausgearteten Brüdern und Schwestern des freien Geistes umgeben, die oft aus den Häusern der Frommen hervorgingen und in hochmüthige Selbstvergottung versielen. Seine christliche Demuth und Weisheit machte ihn wachsam und vorsichtig, um diese Abgründe zu vermeiden und Andre davor zu warnen. Dennoch hat die deutsche Theosophie überhaupt und Ruysbroek auch für seine Person dem Vorwurf nicht entgehen können, das Maaß der christlichen Besonnenheit überschritten zu haben. Der berühmte französische Gottesgelehrte und Canzler der Universität Paris Johann Charlier von Gerson, der einige Schriften des Grünthaler Theosophen in lateinischer Uebersetzung gelesen, erregte ernste Bedenken gegen manche kühne Aeußerung desselben, lange nach seinem Tode (im Jahre 1404). Nun fand zwar Ruysbroek bald (1406) einen eifrigen und geschickten Vertheidiger, der durch Vergleichung andrer Stellen aus seinen Schriften jene hochfliegenden Ausdrücke auf das rechte Maaß zurück zu führen wußte, und die christlich bescheidene Gesinnung des Grünthaler Prior wird durch seinen ganzen Wandel über allen Zweifel erhoben. Man muß auch zugestehen, daß die französischen Mystiker, auch die gründlichsten, zu eng auf die Sphäre der psychologischen Reflexion beschränkt, nie zu der speculativen Tiefe der deutschen Forschung sich haben erheben können. Aber trotz diesen Zugeständnissen läßt sich nicht leugnen, daß hie und da, insbesondere in dem von Gerson angegriffenen dritten Buche der Schrift von dem Schmuck der geistlichen Hochzeit, das vom „überwesentlichen beschaulichen Leben“ handelt, eine Ueberschätzung des speculativen Schauens hervortritt. Manche Leser werden es uns vielleicht danken, wenn wir eine kleine Probe aus dem ersten Capitel dieses Buches hier mittheilen. Ruysbroek schreibt:

„Diese Beschauung setzet uns in eine Reinigkeit und über allen Verstand, sintemal es eine sonderbare Zierde und Schmuck oder eine himmlische Krone aller Tugenden und alles Lebens ist. Hierher kann aber weder Erkenntniß noch Witz noch irgend welche Uebung der Askese in Fasten, Almosen und Gebet – kommen, sondern, wen Gott mit seinem Geist im Geist zu vereinigen und mit sich selbst zu erleuchten würdigt, der kann solchergestalt Gott beschauen, sonst kein Anderer. Selbst die verborgene Natur der Gottheit beschauet und liebet zwar ewig wirksam im Bereich der (göttlichen) Personen, aber in der Einheit der Wesenheit genießt sie ewig in der Umfassung der Creaturen. Und in dieser Umfassung sind alle andächtigen und innigen Geister in der wesentlichen Einheit Gottes mit Gott eines durch die liebeselige Versinkung oder Zerfließung in ihm, so daß sie aus Gnaden eben eins sind (und dasselbe), das diese Wesenheit in sich selber ist.“

„In dieser hohen Einheit aber der göttlichen Natur ist der himmlische Vater ein Anfang und Ursprung aller Wirkung, die im Himmel und auf Erden geschieht. Ja, er redet auch in den versunkenen oder verschlungenen Verborgenheiten des Geistes also: Siehe, der Bräutigam kommt! gehet aus ihm entgegen! welche Worte wir in diesem dritten Buche auf die überwesentliche Beschauung beziehen, welche ein Grund und Ende (Ziel) ist aller Heiligkeit und alles vollkommenen Lebens, so in diesem Leben geführt werden mag. Zu welcher Beschauung gewiß Wenige kommen, sowohl wegen ihrer eigenen Ungeschicktheit und Untüchtigkeit, als auch wegen der Schlupfwinkel und heimlichen Wege des Lichts, in welchem diese Beschauung geschieht. Daher auch Niemand das, was wir in diesem Buche sagen werden, nach eigener Betrachtung gründlich verstehen wird. Denn alle Worte und Alles, was nach Art der Creaturen verstanden werden kann, ist weit unter dem Wesen dieser Sache und unter der Wahrheit, die wir abzuhandeln vorhaben.“

„Demnach wer mit Gott vereinigt und durch diese Wahrheit erleuchtet ist, wird selbige durch sie selbst fassen und verstehen können: nämlich, er wird Gott über alle Gleichnisse, so wie er an und in sich selbst ist, fassen und verstehen, d. i. sich Gott mit Gott, ohne Mittel oder einige empfindbare oder vernehmbare Anderheit, welche ein Mittel oder Hinderniß machen könnte, zu sein fühlen: doch so, daß ich den Leser einmal für allemal erinnert haben will, allezeit im Gedächtniß zu behalten, daß die Creatur Creatur bleibe und niemals ihre Wesenheit verliere, welches zu sagen gar ungereimt wäre.“

Mit großer Nüchternheit hat Ruysbroek im zweiten Buche desselben Werkes die letzten Capitel dazu angewendet, den Irrthum zu bekämpfen, als ob Gott mit dem Menschen als Creatur ganz zusammenfließen und so vereinigt werden könnte, daß Gott Alles, der Mensch selbst gar nichts wirkte und daß die Werke eines solchen Menschen, er möchte thun, was er wollte, rein nur als Gottes Werke anzusehen wären, was damals, wie zu anderen Zeiten, unreine schwärmerische Geister behauptet hatten. Er verlangte als erste Vorstufe für die göttliche Beschaulichkeit einen reinen unbefleckten Lebenswandel und zürnte mit heiligem Unwillen den Geistlichen wie den Laien, die in Sünden lebten. Die Grundlage seiner Anweisung zur Vereinigung mit Gott und zum seligen Leben ist das hohepriesterliche Gebet des Herrn und insbesondere die Fürbitte für alle Gläubigen in jenen allerheiligsten Worten Joh. 17, 20-23. „Ich bitte aber nicht allein für sie (die eilf Jünger), sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie alle eins seien, gleichwie Du, Vater, in mir und Ich in dir; daß auch sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, Du habest mich gesandt. Und Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du mir gegeben hast, daß sie eins seien, gleich wie Wir eins sind, Ich in ihnen und Du in mir, auf daß sie vollkommen seien in eins, und die Welt erkenne, daß Du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie Du mich liebest.“ Dieser Grundquelle seiner Gottesweisheit ist er sich auch klar bewußt und drückt dieses im ersten Capitel des dritten Buches der Schrift von dem Schmuck der geistlichen Hochzeit mit folgenden Worten aus: „Da sich nun dieses also verhält, bitte ich alle die, zu deren Händen dieses kommen möchte, daß, so sie es etwa nicht verstehen noch in der genießenden Einheit des Geistes fühlen oder erfahren möchten, sie hieraus keinen Anstoß nehmen, sondern es das, was es ist, sein lassen mögen, sintemal der Herr Jesus selbst, die ewige Wahrheit, solches an unterschiedlichen Orten des Evangeliums gelehrt hat, welches deutlich erkannt werden sollte, so wir es nur geschickt ausdrücken, erklären und auslegen könnten.“ Er fährt fort und weist auf den Weg, den der Herr selbst gezeigt hat, um zu dieser Vollkommenheit zu gelangen, Joh. 3, 3.: „Wer aber dieses verstehen soll, muß ihm selbst gestorben sein und in Gott leben.“ Dieses deutet er weiter aus, nicht unrichtig, aber freilich nur mit beschränkter Beziehung auf seinen nächsten Lehrzweck, die christliche Speculation: „Er muß sein Angesicht in dem Grunde seines Geistes, da sich die geheime und verborgene Weisheit ohne Mittel offenbart, zu dem ewigen Lichte kehren.“ Uebrigens dringt er in allen /einen Schriften, wie die andern theosophischen Theologen seiner Zeit, auf die Reinigung von Fleischeslust und Selbstsucht in jeder Beziehung, also auf die rechte Ertödtung und Verleugnung jeder ungöttlichen Eigenliebe und jedes unlautern Eigenbesitzes, sei dies nun eigen Gold und Gut oder eigne Weisheit und Gerechtigkeit.

Was ihm, wie allen Frommen seiner Richtung, weniger zugänglich war, das ist die Lehre von der Sünde und Versöhnung, wie sie im Briefe an die Römer und an die Hebräer, überhaupt in den apostolischen Briefen entwickelt ist. Aber auf dem Grunde der Bergpredigt unsers Herrn (Matth. Cap. 5-7) steht er fest, indem er den Weg zeigt zur Vollkommenheit in der Nachfolge Jesu. Die Versöhnung des Sünders durch Christi Blut setzte er voraus und genoß derselben täglich in der Messe: aber das Ziel seiner Lehre war die beschauliche Vereinigung mit Gott. Ohne die Schulgelehrsamkeit seiner Zeit studirt zu haben, stand er doch auf dem Grunde einer ererbten aus dem griechischen Alterthum herstammenden wissenschaftlichen Bildung und bildete selbst seinerseits seine theosophische Ethik zum System aus. Er war nicht, wie die meisten Theologen seiner Zeit Neu-Aristoteliker, aber er war Neu-Platoniker und stand mit Gregor von Nyssa, Pseudo-Dionysius, Johannes Erigena, Meister Eckart und den andern deutschen Theosophen des 14. und 15. Jahrhunderts auf den Schultern des Plotinus und Proclus. Darin liegt auch die schwache Seite seines Systems, die er übrigens mit allen jenen „deutschen Theologen“ gemein hat. Der Mangel beruht darauf, daß der Weg, auf welchem der einsame Denker zur Unterscheidung des Gottesbegriffs von dem Begriffe der Geschöpfe hinaufsteigt, schon für den vollkommenen Gottesbegriff gehalten wird, da doch das, was ihm und den andern trefflichen Forschern seiner Art das Höchste und das Ziel der Gottes-Erkenntniß zu sein schien, nur Vorbereitung, nur das Abc dieser Erkenntniß ist. Gott ist nicht, wie die Geschöpfe sind: darin hat er recht. Keine göttliche Eigenschaft, wie sie auch heiße, ist vor und außer Gott da, so daß sie dienen könnte, um das Wesen Gottes aufzubauen: selbst das gegebene Sein, wie es die Geschöpfe haben, ist von ihm nicht auszusagen. Gott ist über dieses Sein erhaben, eben weil er nicht Geschöpf ist. Gott ist überwesentlich, ist über Wesen und Sein in dem Sinne, wie wir beides an den Geschöpfen finden, erhaben. Gott ist in seiner höchsten Einheit gegenstandslos, eigenschaftlos, wesenlos, und als solches das ewig Eine, die absolute Stille, die ist und auch nicht ist. Der Mensch, der dazu gelangen will, Gott zu erkennen, muß daher allem Sein, allem Haben und allem Denken irgend eines Etwas entsagen und in vollkommener Sammlung nur auf das Abziehn seines Geistes von allem Gegebenen gerichtet sein. Dann kommt auch sein Geist in die Stille, in die völlige Freiheit und empfängt in sich den beseligenden Eindruck, zu sein im Allgemeinen, im Vollkommenen, in dem Absoluten. Jeder speculative Denker wird anerkennen, daß der Mensch, um fürs Erste von dem Gewirr eigner und fremder Gedanken und Meinungen, die ihn fesseln und zerstreuen, los zu kommen, diesen Weg gehen muß, und daß er erst, wenn er diesen Vernichtungsproceß alles Eigendünkels durchlebt hat, anfangen kann wirklich zu denken und den Gedanken Gott zu fassen. Aber diese Unbestimmtheit, diese Leere ist nicht Gott, sondern nur ein Zustand der Armuth, in welchem der geschaffene Geist sich anschickt, von Gott Gedanken zu empfangen. Gott ist nie und war nie das Unbestimmte, sondern Er ist der ewig sich selbst und Alles bestimmende, der in steter Eintracht mit sich selbst sich und Alles stets neu und anders bestimmende und geistig zeugende, sich selbst und Alles wissende und erkennende Schöpfergeist, der wirkend spricht: Ich bin; Ich bin, der Ich bin. Zu diesem Begriffe kommt der auf neuplatonischem Grunde stehende christliche Theosoph, ein Eckart, Tauler, Ruysbroek, wohl auch. Aber es bleibt dabei der Fehler, daß jenes Unbestimmte, wovon man ausging, als das Höhere angesehn wird, aus welchem der wirkliche lebendige Gott nur als ein Zweites abgeleitet wird, und daß der Denker meint, die höchste Stufe habe er gerade dann erreicht, wenn er brütend und sinnend noch – nichts denkt. Diese Verwechselung ist sehr folgenreich. Die Offenbarung Gottes in der Schöpfung und Heilsgeschichte ist für diese Geistesrichtung nur in so weit vorhanden und brauchbar, als sie Beispiele oder Bilder für das Abziehen des Geistes von Natur und Geschichte darbietet: die Erkenntniß und das Verständniß der großen Werke Gottes wird nicht gefördert sondern gestört: der Theosoph fürchtet von dieser Seite nur Zerstreuung, weil seine Wissenschaft von Gott ihm keinen Schlüssel dazu darbietet. Schätzbar ist der reine Sinn und Wandel und der starke christliche Charakter, den die Männer dieses Sinnes bewähren und Ruysbroek leuchtet als ein Muster heiliger, gottseliger Milde weit durch die Lande. Was aber die Nachfolge Christi betrifft, so gilt von ihm, wie von den Andern, daß nur das Kreuztragen und die Selbstverleugnung Christi als Vorbild betont wird, da doch der Herr nicht sagt, daß seine Nachfolge lediglich in dieser Entsagung bestehe, sondern nur, daß dieselbe unerläßliche Bedingung der Nachfolge ist. Auch hier sehen wir die Nachwirkung des unvollkommenen Begriffs von Gott, der hauptsächlich nur als eine Abgezogenheit von allen Dingen gedacht wird. Der Herr aber Jesus Christus ist ein Thäter von Thaten und selbst sein Versöhnungsleiden ist eine große hochheilige That und er spricht: „Thuet, was ich euch gebiete“. Die That ist das Höchste, nicht die Beschaulichkeit. Ehren wir dankbar die Gestalt der christlichen Frömmigkeit, die in Ruysbroek und seines gleichen so würdig uns begegnet, aber bleiben wir nicht bei derselben stehen, als ob sie das Höchste wäre.

H. E. Schmieder in Wittenberg.

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

Girolamo Savonarola

Hieronymus Savonarola

Die römische Kirche hat in der Zeit ihrer Macht unternommen, die Reiche dieser Welt zu beherrschen und das Haupt der Fürsten zu beugen. Daher auch derjenige, der das Verderben dieser Kirche kannte und eine edlere Gestalt der Kirche im Herzen trug, versucht sein konnte, mit derselben mächtigen Hand die Kirche wie den Staat zu reformiren.

Hieronymus Savonarola, geboren zu Ferrara am 21. Sept. 1452, war nach dem Vorbilde seines Großvaters, eines hochangesehenen Arztes an der Universität Padua und am Hofe des Herzogs von Este, zu einer stattlichen weltlichen Bahn bestimmt. Der Jüngling entfloh aus dem väterlichen Hause. Ein Brief aus Bologna meldet, daß er eingetreten ist in’s Dominicanerkloster, die Armuth hat er zu seiner Braut erwählt, den Leib will er dran geben, die unsterbliche Seele zu retten, der Vater möge die Mutter trösten, beider Segen mit ihm sein, immer will er für ihre Seelen beten. Als Grund nennt er das Verderben der Welt, insbesondre Italiens, „es bleibt uns nichts übrig, als zu klagen und die Hoffnung eines besseren Jenseits festzuhalten.“ Der Bettelorden der Dominicaner hatte damals ein reichliches Theil an den Ehren und Reichthümern der Kirche; Savonarola gedachte nur als dienender Bruder dem Kloster anzugehören, etwa beschäftigt die Kutten zu nähen, oder den Garten zu bestellen, damit er nicht aus der Aristokratie der Welt in die Aristokratie des Klosters gerathe. Er hat vierzehn Jahre ein stilles Klosterleben geführt, nach dem Gebote seiner Obern mit theologischen Studien beschäftigt, auch zuweilen als Fastenprediger versandt, da versetzten ihn die Obern nach Florenz in das Kloster des heiligen Marcus, um die jüngern Brüder zu unterrichten.

Florenz war damals eine betriebsame reiche Stadt, welche den größten Theil von Mittelitalien beherrschte, dem Rechte nach seit Jahrhunderten eine Republik, deren Staatsämter sogar durch’s Loos vertheilt wurden, aber eine Kaufmannsfamilie, die Mediceer, war durch unermeßlichen, wohlbenutzten Reichthum zur höchsten Gewalt gelangt, nun bereits als ein Erbe seines Großvaters regierte das Haupt dieser Familie, Lorenzo der Erlauchte, wie ein unbeschränkter Fürst die Republik, umgeben von allem Glanze der Kunst und Wissenschaft.

Savonarola, der heimisch war unter den Propheten des A. Testaments und voll der Zukunft, begann in der Klosterkirche am 1. August 1489 die Geheimnisse der Offenbarung Johannis auszulegen. Sein Grundgedanke ist: die Kirche Gottes muß erneut werden, vorher wird Gott mit schwerer Geißel Italien züchtigen, beides wird bald geschehen. Die Erneuerung der Kirche, an die er glaubt, ist eine sittlich religiöse, daß jedes Kirchenamt auf seine fromme Bestimmung zurückgeführt, durch den überflüssigen Reichthum der Kirche die Noth der Armen gelindert werde, jedermann Buße thue und der heilige Geist wieder die Gemeinde regiere. Daher seine Weissagung auf die Reformation zur Bußpredigt wurde. Er hat nicht daran gedacht irgend eine Glaubenssatzung seiner Kirche umzustoßen, aber sich vertiefend in die heilige Schrift hat er gepredigt, daß sie uns hinführe zu Christo, nicht zu den Heiligen; daß, wenn Christus dich nicht absolvirt, was hilft dir alle andre Absolution! daß nicht aus den äußerlichen Werken das Heil komme, sondern aus der Hingabe des Herzens an den Erlöser, aus dem Glauben. Er selbst hat bemerkt, als er vormals von den spitzfindigen Lehren menschlicher Weisheit predigte, da gefiel er einer ungeduldigen und zerstreuten Versammlung: als er sich zur Majestät der heiligen Schrift wandte, da hat er die Herzen der Menschen erschüttert, und wie der sehnsuchtsvolle Glaube an eine Wiedergeburt der Kirche sich seiner bemächtigte, erstanden ihm selber bis dahin ungekannte Kräfte des Geistes und der Rede. Die Klosterkirche wurde bald zu eng, und in die weiten Hallen des Domes mußte man Gerüste bauen, um die Menge des Volks zu fassen, das in der Sonntagsnacht auch vom Gebirge herabzog, um das Brot des Lebens hier zu suchen.

Ein Jahr nach seiner Ankunft wurde Savonarola zum Prior des Klosters gewählt. Man erinnerte ihn an die Sitte sich und das Kloster dem Staatsoberhaupte zu empfehlen. Er antwortete: „Hat mich Gott oder Lorenzo zu diesem Amt erwählt? Laßt uns das Kloster der Gnade des Höchsten empfehlen!“ Lorenzo ließ eine reiche Summe Goldes in die Casse des Klosters werfen. Bei der Eröffnung schied Savonarola das kleine Geld vom Golde, und sprach zu den Mönchen: „Jenes reicht aus für unser Bedürfniß, dieses tragt zu den Armenpflegern der Stadt, daß sie es vertheilen.“ Seine Strafpredigt richtete sich oft gegen Lorenzo, in dessen Palast er den Quell der Weltlust und Gottentfremdung fand, der sich über die Stadt ergossen habe. Als angesehene Bürger ihn ermahnten, um des öffentlichen Friedens und des Klosters willen von dieser rücksichtslosen Predigtweise abzustehen, erwiedert er: daß er gegen die Laster predige, wie es in der alten Kirche Sitte gewesen. „Sagt Lorenzo, daß er Buße thue.“ Und als sie hinwiesen auf die ihm drohende Landesverweisung, entgegnet er: „Was kümmert mich das! Aber Lorenzo mag wissen: er ist der erste Bürger des Staats, ich ein Fremder, ein armer Mönch, doch ich werde bleiben, und er davon gehen müssen.“

Die Rede erfüllte sich rasch, und wohl anders, als sie gemeint war. Lorenzo lag auf seinem Sterbebette, manche ungerechte That lastete auf seiner Seele, er schickte nach dem Prior des Marcusklosters, denn nie hab‘ er einen wahren Mönch gesehn als diesen, bei ihm sucht er das Wort der göttlichen Erbarmung. Savonarola setzte drei Bedingungen, unter denen er ihm die Vergebung seiner Sünden verkündigen dürfe. Vorerst, daß er einen lebendigen Glauben habe, Gott wolle ihm vergeben. Lorenzo antwortete: „Ich glaube also.“ Sodann, daß er alles ungerecht Erworbene wiedererstatte, seinen Kindern werde soviel übrig bleiben als Bürgern zieme. Nach einigem Bedenken sprach Lorenzo: „Auch das will ich thun.“ Zum letzten, daß er die Freiheit von Florenz und die volksthümliche Verfassung wiederherstelle. Da wandte sich Lorenzo ab, und der Mönch verließ ihn.

Nach Lorenzos Ableben erbte sein Erstgeborner, Pietro, seine Macht, aber nicht seine Weisheit, um unter den Formen der Freiheit den Staat zu regieren. Wenn Savonarola von dem Gerichte Gottes redete, das über Italien hereinbrechen werde, sprach er auch: „Das Schwert des Herrn kommt über die Erde und rasch!“ und von einem großen Könige, der über die Berge kommen werde, um die Tyrannen Italiens zu züchtigen und die Kirche mit dem Degen zu reformiren. Er hat noch in einer Zeit tiefen Friedens so gepredigt, im Sommer 1494 zog der König von Frankreich Karl VIII. mit einem mächtigen Heere über die Alpen, um Neapel als sein Erbe und die Oberherrschaft über Italien zu erobern. Indem diese neue Macht in Italien alles Bestehende in Ungewißheit stellte, erhob sich das Volk von Florenz und vertrieb seinen jungen Fürsten. An der Spitze einer Gesandtschaft an Karl VIII. begrüßte ihn Savonarola als den von Gott gesandten König um Italien und die Kirche zu erneuen. Er soll die Hochmüthigen von ihrem Stuhle stoßen und die Demüthigen erheben, aber im Dienste einer höhern Sache als einer bloß zeitlichen Eroberung Barmherzigkeit üben, insbesondre gegen Florenz, dann wird der ihm Sieg geben, der am Kreuzesstamme den Sieg für ihn errungen. Der König empfing den Mönch als seinen Propheten und überließ den Florentinern die Anordnung ihres Staats. Savonarola berief das Volk in den Dom, er sagt Großes von der Monarchie, aber die besondern Verhältnisse von Florenz fordern ein Volksregiment. Gott allein will der König sein von Florenz, wie er der König von Israel war, und zu Samuel sprach, als sie einen irdischen König wollten, hat dieses Volk denn mich verworfen? Bisher habe man geschwankt zwischen den Anmaßungen Einzelner und der Zügellosigkeit des Volks. Fortan solle der Staat gegründet werden auf Gottesfurcht und Gemeinsinn, ein Gottesstaat. In diesem Sinne wurde die Republik eingerichtet, die höchste Gewalt in der Volksversammlung der erbgeseßnen Bürgerschaft, aus ihr gingen durch Wahl und Loos die Behörden hervor im raschen Monatswechsel.

Savonarola mischte sich nicht in die Einzelheiten der Verwaltung, er verstehe das nicht, aber der Staat hing von seinen Rathschlägen ab. Auch seiner Gesinnung fernstehende Zeitgenossen sprechen mit Bewunderung von seiner sittlichen Macht, wie unrechtmäßiges Gut herausgegeben wurde, Todfeinde einander in die Arme fielen, und eine wunderbare Liebe des irdischen wie des überirdischen Vaterlandes die Menschen ergriff. Spiel und Tanz hatten ein Ende, auch auf dem Lande verstummten die Volks- und Liebeslieder, man hörte nur noch geistliche Gesänge. In der Fastnacht wurden allerlei weltliche Dinge, die jedermann freiwillig hergab, Karten, Würfel, Frauenschmuck, verführerische Bücher und Bilder, unter ihnen Werke von unschätzbarem Kunstwerth, im feierlichen Gepränge verbrannt.

Savonarola ward vom Propheten der Reformation zum Reformator, noch in streng katholischer Gesinnung. Er schärfte vielmehr die Klosterregel, und weil ihm die Prachtgebäude seines Klosters zu weltlich sind, auch die Menge der Eintretenden neue Räume fordert, legt er den Grund eines neuen Marcusklosters, das armselig werden soll wie der Stall zu Bethlehem. Was er allein gern hatte von den Gütern der Erde, Bücher und Bilder der Heiligen, das gab er weg. Aber wie Florenz ihm nur der Gottesheerd war, von welchem die heilige Flamme zur Wiedergeburt der Kirche ausgehn sollte, so mußte seine Strafpredigt gegen das entartete Priesterthum sich vor allem gegen die neue Babel richten, wo damals von allen heiligen Vätern, welche die Kirche gehabt hat, der Verworfenste regierte, Alexander VI. Savonarola schrieb auch an die Könige der abendländischen Christenheit, daß sie, statt das Greuel und Siechthum anzubeten, das auf dem erhabenen Stuhle Sanct Peters sitze, der kein Priester, ja nicht ein Christ sei und nicht an den allmächtigen Gott glaube, ein frei christlich Concilium versammeln sollten zur Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern; der König von Frankreich war nicht abgeneigt darauf einzugehen. Ein solcher Brief fiel in die Hand des Papstes, der hierauf im October 1496 ein Gebot erließ: Savonarola, der Zukünftiges verkündet und dadurch Zwietracht angestiftet habe, der ohne kirchliche Bestätigung behaupte, er fei von Gott gesandt und rede mit Gott, soll bis zum Ausgange der über ihn verhängten Untersuchung sich des Predigens enthalten, bei Strafe des Bannes.

Savonarola antwortete: daß Zukünftiges zu wissen nicht verboten sei, Gott rede mit wem er wolle, doch habe er sich nie für einen Propheten ausgegeben. Man möge anzeigen, worin er geirrt habe, und er wolle gehorsam der Kirche widerrufen. Aber der heilige Vater selbst möge nicht länger säumen das Heil seiner Seele zu bedenken. Eine Zeitlang hat er das Predigen eingestellt, dann hob er wieder an, denn die Kanzel war sein Thron. Bereits ist seine Macht bedroht. Die durch ihn verletzte weltliche Bildung und Freude war ergrimmt über das Narrenregiment des Mönchs. Die Anhänger des vertriebenen fürstlichen Hauses regten sich wieder. Alle Staaten Italiens hatten sich gegen Karl VIII. vereinigt und ihn über die Alpen zurückgeworfen, nur Florenz war noch durch seinen Propheten festgehalten an dem Bunde mit Frankreich, zum Aergerniß von ganz Italien. Die Franciscaner in Florenz hielten den von ihnen beneideten Dominicanern vor: ein Kriegsmann Gottes flicht sich nicht in weltliche Händel. Als der Papst vom Schwanken der Volksgunst hörte, schnitt er Savonarola ab vom Stamme der Kirche als ein verdorrtes Glied wegen hartnäckigen Ungehorsams und der Ketzerei verdächtig. Dieser erklärte ungerechten Bann für nichtig, vom irdischen Papste will er zum himmlischen sich wenden, d. h. zu Christo. Seinem irdischen Untergange sieht er entgegen. „Denn der Meister, der den Hammer führt, wenn er ihn gebraucht hat, wirft er ihn weg. So that er mit Jeremias, den er am Ende seiner Predigt steinigen ließ. Aber Mm wird dieses Feuer nicht löschen, und wird dieses gelöscht, so wird Gott ein andres anzünden, und es ist schon angezündet, nur daß sie es nicht wissen.“ Gerade die religiös aufgeregte Bevölkerung war jetzt genöthigt sich zu entscheiden zwischen ihrem Propheten und dem immer noch großen Ansehn der alten Kirchengewalt, welche allen Gottesdienst in Florenz stille zu legen drohte, wenn es nicht von dem Gebannten lasse.

Als die Menge noch hin und her schwankte, erbot sich ein Franciscaner gegen Savonarola zur Feuerprobe, zwar er werde dabei umkommen, doch auch sein Gegner, wenn sich nicht die Wahrheit seiner Weissagung durch ein Wunder erweise. Dieser nannte das Gott versuchen. Aber so oft vordem hat er gläubig versichert, wenn es nöthig sei, werde Gott auch durch ein Wunder die Wahrheit seiner Sache bekräftigen und ihn unversehrt selbst mitten durch’s Feuer führen, als daß er sich jetzt dem Drängen der Seinen entziehn konnte, denn seine Ordensbrüder, auch Frauen und Jungfrauen in Menge wollten die Probe für ihn bestehn. So wurde das Gottesurtheil beschlossen, das zwei Mönche beider Orden, die sich dazu erboten, wider einander bestehn sollten. Nach dem gerichtlich aufgesetzten Vertrage wollte der Dominicaner durch seine wunderbare Erhaltung diese Artikel erweisen: die Kirche bedarf einer Reformation; sie wird heimgesucht werden und nach der großen Heimsuchung wieder grünen; die Ungläubigen werden zum Evangelium bekehrt werden; Florenz wird heimgesucht werden und nach der Heimsuchung wieder blühen; dieses alles wird in unsern Tagen geschehn; der Bann wider Savonarola ist ungültig, die ihn nicht beachten sündigen nicht. Die beiden Gotteskämpfer sollten hart hinter einander einen engen Weg durch zwei brennende Scheiterhaufen gehn. Als die Stunde kam, erwartete das Volk in ungeheurer Spannung den Ausgang. Mochten beide Parteien sich vor dem Feuer fürchten, oder die Franciscaner auf diesen Erfolg gerechnet haben, über die Art, wie die Kämpfer durch die Flammen gehen sollten, in welcher Ordenskutte wegen etwanigen Schutzes durch Zaubermittel, ob mit dem Crucifixe, ob mit dem Leibe des Herrn? darüber wurden von beiden Seiten so viele Schwierigkeiten erhoben, daß über dem Gezänk Stunde für Stunde hinging, endlich am Abende kam ein Platzregen und die Staatsregierung gebot beiden Theilen nach Hause zu ziehn. Die ganze Last der getäuschten Erwartung des Volks, das sich um ein Wunder oder um ein furchtbares Schauspiel gebracht sah, fiel auf die Partei Savonarolas, denn nur sie hatte Wunderbares zu vertreten. An diesem Tage verließ das Volk seinen Propheten. Er wurde schon auf dem Heimwege verhöhnt, in der folgenden Nacht, am Palmensonntage, die Marcuskirche überfallen, Savonarola verhaftet, und seine Todfeinde bemächtigten sich der Regierung. Seine Geständnisse wurden öffentlich verlesen, nach denen seine Weissagung nicht aus göttlicher Eingebung, sondern aus Gründen der Vernunft und heiligen Schrift geschöpft, Ruhm vor der Welt und Herrschermacht sein einziger Zweck gewesen sei. Er war siebenmal während der heiligen Woche auf die Folter gespannt worden, und als er die Geständnisse als erzwungen zurücknehmen wollte, mit fortgesetzter Qual bedroht.

Die letzte Entscheidung wurde noch verzögert, weil der Papst eine Untersuchungscommission schicken wollte. Im Gefängnisse schrieb Savonarola eine Auslegung des 51. Psalms. Es ist die Stimme eines geängsteten Herzens, das seine mächtige Vergangenheit des Hochmuths beschuldigend zu Gott schreit, und die allgemeine Schuld der Menschheit mitfühlend im Gekreuzigten den Frieden findet. Luther, der dieses Büchlein von neuem in Druck gegeben hat, schrieb dazu: „das ist ein Exempel der evangelischen Lehre und christlichen Frömmigkeit. Denn hie siehst du ihn einhertreten nicht als einen Predigermönch im Vertrauen auf sein Gelübde, Mönchskutte, Messen und die guten Werke seines Ordens, sondern im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit als einen gemeinen Christen.“

Der päpstliche Bevollmächtigte verurtheilte Savonarola wegen Ketzerei, das weltliche Gericht nur im allgemeinen wegen erwiesener Schandthaten, mit ihm zwei seiner vertrauten Mönche. Als ihr Todesmorgen kam, der 23. Mai 1498, der Tag vor Himmelfahrt, hat er ihnen und sich selbst das heilige Abendmahl gereicht. Er gebot ihnen schweigend zu sterben, wie Christus, der weit unschuldiger gewesen, sich als ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ und seinen Mund nicht aufthat. Von sich hat er nur gesagt: „Mein Herr hat für meine Sünden sterben wollen, wie sollte ich nicht willig das arme Leben lassen für ihn.“ Er wurde in Mitten seiner beiden Todesgenossen gehängt, der Leib am Galgen verbrannt, die Asche in den Arno geworfen.

Die Spuren seiner Wirksamkeit sind früh verloschen. Dieses Vergebliche lag nicht bloß in seiner Vermischung von Reformation und Revolution, nicht zu früh gekommen, war er doch nach seiner Bestimmung bloß ein Vorläufer und ein Opfer. Sein Gedächtniß ist den Florentinern und seinem Orden heilig geblieben. Luther schrieb in jener Vorrede: „Der damalige Antichrist durfte sich Hoffnung machen das Andenken dieses so großen Mannes würde verlöschen, auch unter dem Fluch sein; aber siehe er lebt und sein Gedächtniß ist ein Segen. Christus spricht ihn heilig durch uns, sollten gleich die Päpste und Papisten mit einander darüber zerbersten.“

  1. Hase in Jena.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

 

Jakob Sturm von Sturmeck

Jakob Sturm

Jakob Sturm ist einer der edelsten und ehrenwerthesten Charaktere der Reformationszeit, er ist der Ruhm seiner Vaterstadt, eine Zierde des deutschen Adels und der evangelischen Kirche; er war ein Mann, ein Christ im schönsten Sinne des Worts voll Thatkraft, Einsicht und Klugheit, voll Glauben und weitreichender Liebe. Wir versuchen hier in der Kürze sein gesegnetes, vielbewegtes Leben zu schildern und bemerken nur noch, daß von manchen Schriftstellern, z. B. Teissier u. A. unser Jakob Sturm mit dessen Zeitgenossen, dem straßburgsschen Schulrector Johannes Sturm, von Sleida gebürtig, vielfach verwechselt worden.

Jakob Sturm gehörte einem alten straßburgischen, von Offenburg stammenden, Adelsgeschlecht an, das seine Ahnen bis auf die Zeiten Rudolphs von Habsburg hinauf führen konnte und dessen letzter Sprößling im Jahre 1640 starb, nachdem eine lange Reihe wackerer Männer ans dieser Familie die höhere Magistratur zu Straßburg geziert hatte. Aus der Ehe Martin Sturms von Sturmeck mit Odilia der Tochter des Alt-Ammeisters Peter Schott, des Schutzherrn Johann Geilers, entsprossen 4 Kinder, Friedrich, Jakob, Peter und Margaretha. Alle 4 Geschwister blieben unverehelicht. Die 3 Brüder bekleideten während vieler Jahre die höchsten ritterlichen Würden in ihrer Vaterstadt. Die Schwester trat in früher Jugend als Nonne in das Margarethen-Kloster ein, verließ es aber in der Reformationszeit wieder und alle 4 Geschwister lebten bis an ihren Tod bei einander in lieblichster Eintracht, im elterlichen Haus in der Brandgasse neben dem ehemaligen Mauerhof.

Jakob Sturm von Sturmeck wurde im Jahr 1489 zu Straßburg geboren. Die verständige, fromme, aber schon in ihrem 34sten . Jahr verstorbene Mutter leitete dessen erste Erziehung. Einen Theil seiner Kinderjahre und auch spätere Erholungstage brachte er auf dem väterlichen Schloß zu Breusch Liedersheim zu, einem zwei Stunden von Straßburg in lieblicher Gegend gelegenen Dorfe. Der berühmte Hausfreund der Eltern und Großeltern des jungen Sturm, Dr. Johann Geiler von Kaisersberg gab seinen gewichtigen Rath zu dessen Fortbildung und Jakob Wimpheling aus Schlettstadt, der Freund des Erasmus, der Kenner des classischen Alterthums und der heiligen Schrift, der Beförderer der wiederauflebenden Wissenschaften an den Ufern des Rheins, wurde von Heidelberg herbeigerufen, um der Lehrer und Führer des 10jährigen, hoffnungsreichen Jakob Sturm zu werden. Der vertraute Umgang mit dem tief religiösen, geistvollen Geiler und die treue Pflege des gelehrten und kindlich frommen Wimpheling, dessen tägliches Gebet war: „Du milter Jesu, biß gnädig mir armen Sünder, der ich des gemeinen Nutzens, der Einigkeit der Christen, der heiligen Geschrift, und daß die Jugend recht ufferzogen werd, ein Liebhaber bin,“ hatten entscheidenden Einfluß auf sein junges Gemüth. Diese Umgebungen so wie der Eifer mit dem er den Studien oblag, förderten in seinem reichbegabten Geist jenen nach Heiligung ringenden Glauben, der erst in den Grundsätzen und Bemühungen der Reformatoren seine volle Befriedigung fand. Wimpheling bezeugte seine achtungsvolle Liebe dem Zögling dadurch, daß er demselben mehrere seiner in Druck gegebenen Schriften in den Jahren 1501, 1506 und 1507 widmete und es ist in der That erstaunenswerth zu sehn, welche Fragen damals den Jüngling beschäftigten. Früh ergriff sein empfängliches Gemüth der Ernst des Lebens. Sturm bezeugte Lust in den geistlichen Stand zu treten und in ein Kloster zu gehn. Aber sein Lehrer Wimpheling, indem er ihm die Ehelosigkeit anpries, machte ihn aufmerksam auf die großen Gefahren, die auch im Klosterleben seiner Tugend drohen würden und wies ihn hin auf das edle Vorbild seines mütterlichen Großvaters Peter Schott und auf Dr. Johann Geiler, die mitten im Weltleben ein reichgesegnetes Wirken und unbescholtene Sitten sich bewahrten.

Diese Ermahnungen des verehrten Meisters brachten Frucht. Sturm befolgte treu den vorgezeichneten Studienplan und an den Lebensgrundsätzen, welche Wimpheling mündlich und schriftlich ihm eingeprägt hatte, hielt er fest. In Begleitung seines Lehrers besuchte er die Hochschule zu Heidelberg, von der er aber in einem spätern Briefe urtheilt: sie sei in ihrem damaligen Zustand eher geeignet gewesen, Geist und Zeit zu verderben als ihnen Nutzen zu schaffen. Am Listen Juli 1504 wurde Jakob Sturm von Sturmeck in die Verzeichnisse der Universität zu Freiburg im Breisgau eingeschrieben. Hier ergab er sich dem Studium der Rechtswissenschaft; schon im folgenden Jahr erhielt er mit Matthäus Zell die Magisterwürde und hielt nun bis zu seinem Abgang von Freiburg 1508 öffentliche Vorlesungen. In Lüttich und in Paris setzte Sturm hierauf seine Studien fort; allenthalben bewahrte er sich dieselbe Reinheit des Charakters, denselben fleckenlosen Wandel. Im Jahr 1518 treffen wir Sturm wieder in seiner Vaterstadt als Mitglied des literarischen Vereins, den Wimpheling und Sebastian Brandt gestiftet hatten und leiteten. In einem Brief an diesen Verein nennt Erasmus unsern Sturm: „einen unvergleichlichen Jüngling, der durch seine Rechtlichkeit die Bilder der Ahnen verherrliche, durch den strengen Ernst seiner Sitten die Jugend ziere, dessen gründliches Wissen eine unglaubliche Bescheidenheit erhöhe.“ Bei seinem Eintritt in das bürgerliche Leben verlobte ihm der würdige Stättmeister Johannes Bock, aus einem der angesehensten Adelsgeschlechter, seine Tochter; allein sie starb als Braut und Sturm wurde so durch das Schicksal auf den von Wimpheling ihm empfohlnen Cölibat hingewiesen.

Im Jahr 1524 wurde Jakob Sturm zugleich mit seinem Bruder Peter, als Konstossler d. h. als Repräsentant des Adels, in den Rath gewählt und bereits im folgenden Jahre trat er, weil er in den Gefahren des Bauernkriegs sich durch Klugheit und Umsicht vielfaches Verdienst um den Staat erworben, in das beständige Regiment ein, zuerst in die Kammer der XV, dann 1526 in die wichtigere Kammer der XIII, welcher die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen war. Noch am Schlusse dieses nämlichen Jahrs wurde er bei Erneuerung des Regiments als Stättmeister erwählt, die höchste Adelswürde der freien Reichsstadt Straßburg, zu welcher er 13mal nach einander erhoben wurde durch freie Wahl. Diese rasche Beförderung in so frühem Alter war die Folge der allgemeinen Anerkennung seiner Talente und seiner Verdienste. Auch ließ der Magistrat in demselben Jahr eine Schaumünze mit Sturms Brustbild zu dessen Ehrengedächtniß prägen, mit der Umschrift: Victrix Fortunae Patientia.

Jakob Sturm war der Mann, den die gnadenreiche Vorsehung als einen Führer und Schutzgeist in jenen großen und schwierigen Zeiten der Reformation, der Stadt Straßburg bestimmt hatte. Straßburg stand vornan in der Reihe der deutschen freien Reichsstädte. Seine Stimme war von großem Gewicht auf den Reichstagen. Straßburgs Bürger hatten sich fast einstimmig für die evangelische Lehre erklärt. Am 20sten Februar 1529 wurde durch einen feierlichen Beschluß die Messe abgeschafft. Schon früher war den Klosterleuten der Austritt frei gestellt worden. Es war vorauszusehen, daß solche Aenderungen die Stadt Straßburg in schwere Kämpfe verwickeln würden. Aber Sturm erhielt mit weiser und kräftiger Hand die innere Ruhe und die äußere Sicherheit der Vaterstadt; er hatte einen Hauptantheil an den wichtigsten Beschlüssen, welche der Magistrat in jener folgeschweren Zeit faßte, und seine Geistesklarheit und Tiefe blickt allenthalben durch. Seine amtlichen Vorträge und Bedächte (Rapporte) sind klar, bündig und abgerundet, einfach, ohne Ziererey. Ein ungemeines Gedächtniß und ein unerschöpflicher Vorrath an historischen Belegen unterstützten seine natürliche Rednergabe, welche auch äußerliche Vorzüge noch mehr hoben: eine deutliche, liebliche Aussprache, ein ebenmäßiger, wenn gleich nicht hoher Wuchs, ein freundliches, geistreiches, würdevolles Wesen, eine sanfte, ruhige Haltung und doch männliche Entschlossenheit und apostolischer Heldenmuth. Dazu kam noch sein biederer, offener Charakter, klug aber ohne Falsch, sein gewandter Blick, der leicht die verworrensten Verhältnisse durchschaute, seine unerschütterliche Ehrenhaftigkeit, die sich nie erniedrigte. Diese Eigenschaften machten Sturm zum Horte seiner Vaterstadt, seine Stimme galt wie keine sonst in den inneren Angelegenheiten Straßburgs und in den äußern Verhältnissen verschafften sie ihm die Achtung der Stände, der Fürsten und Könige. Die straßburgischen Gesandten und an deren Spitze Jakob Sturm, wurden auf den Reichstagen vorzugsweise als Stimmführer der evangelischen Parthei erwählt, und ihre Anträge drangen gar oft durch. Es kann hier nicht der Ort seyn, die einzelnen Verhandlungen, bei denen Sturm betheiligt war, näher zu charakterisiren. Sie sind zu sehr mit dem Ganzen der Zeitgeschichte verflochten, als daß dieses in der Kürze geschehen könnte. Nicht weniger als einundneunzigmal war Sturm Gesandter auf Reichstagen oder andern Zusammenkünften; auch auswärtige Sendungen an den französischen und englischen Hof wurden ihm anvertraut. In allen diesen Sendungen war die Sache der Religion beinahe immer die Hauptangelegenheit. Mit Ernst und Würde vertheidigte Sturm die Rechte des Gewissens und seiner Vaterstadt und so sehr er es verstand, die streitenden Partheien zu vermitteln und friedlicher Auskunft geneigt war, so hatte er doch auch den Muth auf schärfere Maaßregeln anzutragen, wo dies ihm nothwendig schien. Als Straßburg wegen seiner raschen Schritte im Reformationswerk auf dem Reichstag zu Speyer 1529 seiner Stimme bei den Reichsberathungen beraubt wurde, erklärte Sturm öffentlich, daß, so lange dies ungerechte Interdict bestehn würde, Straßburg nichts zu den allgemeinen Reichskosten beitragen würde. – Ueber die Aufhebung der Klöster in Straßburg wurde vom Bischof Klage geführt am kaiserlichen Hof. Bei einer Audienz setzte Kaiser Carl V. den straßburgischen Gesandten zu Rede wegen der erst kürzlich vorgenommenen Einziehung des Klosters der Karmeliter (Unsrer lieben Frauen Brüder). Sturm antwortete unbefangen: „Euer Majestät möge bedenken, daß so lange die Mönche Unsrer lieben Frauen Brüder waren, mochten wir sie wohl leiden, als sie aber unserer lieben Frauen Männer wurden, konnten wir sie weiter nicht dulden.“ Der ernste Kaiser lachte herzlich über solche naive Antwort und gab sich vorerst zufrieden. – Auf dem Convent von Schmalkalden 1532, wo vom Kaiser bedroht, die evangelischen Stände berathschlagten: ob man sich mit den Waffen gegen die ungerechten Angriffe des Reichsoberhauptes vertheidigen dürfe? war es vorzüglich Straßburg, das diese Frage bejahte und Sturm sprach bei diesem Anlaß jenen unveräußerlichen Grundsatz des Protestantismus aus: „Daß er in Glaubenssachen Niemand, auch den Kaiser nicht, als seinen Gesetzgeber anerkenne, sondern nur das Wort Gottes.“ Dennoch rieth Sturm in vertrauter Unterredung mit dem Landgrafen Philipp von Hessen, vorerst nur einige Hauptleute, mit Versprechen eines Wartgeldes, in Sold zu nehmen um durch diesen Anschein von Kriegsrüstungen den Kaiser zu milderen Gesinnungen zu bewegen, denn der Friede schien ihm für die junge evangelische Kirche unentbehrlich.

Sturms vermittelnde Thätigkeit fand in den damaligen straßburgischen Theologen, und besonders in deren Haupt, Martin Butzer, ihren Stützpunkt. Was jener auf politischem Wege suchte, erzielten diese auf dogmatischem Wege. Der unselige Abendmahlsstreit zwischen Luther und den Schweizern drohte der jungen Kirche frühen Untergang. Straßburg in der Mitte zwischen Sachsen und den Schweizern stehend, lief Gefahr von beiden verlassen zu werden. Sturm aus politischen Gründen, Butzer aus dogmatischen suchten den Frieden zu vermitteln. Durch die Besprechung zu Marburg 1529, wobei beide, Sturm und Butzer, anwesend waren, durch die Tetrapolitana 1530, durch das politische Anschließen an die fürstlich Augsburgische Confession 1532, durch die Wittenberger Concordia 1536, durch viel Hin- und Herreisen und Schreiben, aber ohne großen Erfolg. Das bittere Gezänk der Theologen über das heilige Abendmahl empörte und betrübte unsern Sturm so, daß er, der früher oft das heilige Sacrament empfing, nun eine Reihe von Jahren sich desselben enthielt.

Bei Kaiser Karl stand Sturm in hoher Achtung; dieses that sich auch dadurch kund, daß der Kaiser ihn nebst andern ausgezeichneten Männern, im Jahr 1541 als Abgeordneten ernannte, die zu Regensburg über die Beilegung der Religionszwistigkeiten berathen sollten. Ueberhaupt war Sturm von 1539 bis 1549 beinahe fortwährend auf Reisen, so daß er sein Stättmeisteramt in Straßburg fast nie persönlich versehen konnte; er hatte in diesem Zeitraum über 90 Reisen für die Stadt gethan und zusammengerechnet über neun Jahre außerhalb der Stadt zugebracht!

Noch gegen das Ende seiner politischen Laufbahn zeigte sich Sturm in seiner ganzen Größe. Nach dem so unglücklichen Anfang des schmalkaldischen Kriegs, sollte das Interim angenommen werden. Der siegreiche Kaiser forderte vor Allem Unterwerfung. Diese war aber von der evangelischen Bürgerschaft in Straßburg schwer zu erlangen. Hunderte umlagerten murrend und scheltend das Rathhaus, wo der Beschluß gefaßt werden sollte. Manche schüchterne Rathsherrn suchten aus der Versammlung zu entschlüpfen. Da trat Sturm an die Thüre des Rathsaales und ließ keinen hinaus bis der Beschluß der Unterwerfung gefaßt war und nun benutzte Sturm die Gunst des Kaisers, um die möglichst milden Bedingungen zu erlangen, was denn auch geschah. Statt in allen Kirchen der Stadt wurde das Interim nur in drei Stiftskirchen eingeführt; St. Thomä blieb den Evangelischen ungeschmälert durch einen feierlichen Vertrag. Noch im Jahr 1552 wurde Sturm, obwohl schon kränklich, von dem Magistrat beauftragt, den durchreisenden Kaiser bei dem Stadtthor und an der Spitze des Raths mit einer feierlichen Rede zu bewillkommnen; der auf ihm ruhenden kaiserlichen Gunst war die Wahl zu diesem Ehrenposten vornehmlich zuzuschreiben.

Bisher haben wir Sturm vornehmlich in seiner Hauptwirksamkeit, nämlich der politischen, betrachtet. Aber bei ihm ging das höhere geistige Interesse nicht im Weltmanne auf. Sturm blieb ein Freund der Wissenschaft sein ganzes Leben hindurch und die Errichtung von Schulen und Bildungsanstalten blieb eines seiner Lieblingsgeschäfte. Er war der erste unter den 1528 in dem evangelischen Straßburg neu eingesetzten Scholarchen oder Schulherrn. Er und Butzer beriethen sich über die zweckmäßigere Einrichtung der bisher vereinzelten Schulanstalten, er war es vornehmlich, der im Jahr 1538 die Gründung des noch jetzt blühenden, evangelischen Gymnasiums bewirkte und den ersten ruhmwürdigen Rector desselben, Johannes Sturm, von Paris hieherrief. Er war es, der zur Errichtung des ebenfalls noch bestehenden theologischen Studienstiftes für angehende Prediger, Stift St. Wilhelm genannt, im I. 1544 durch Rath und That auf das Kräftigste mitwirkte. Er war es, der durch einen Rathsbeschluß im Jahr 1531 die Gründung einer öffentlichen Bibliothek in Straßburg bewirkte und der den ersten Fonds dazu lieferte mit den seltensten Ausgaben der griechischen Classiker von Aldus Manutius in Venedig; die Kleinode tragen noch sein Wappen, den Schwan, mit der Aufschrift: Studiosae juventuti sac. Sturm. Er war es, der nützliche gelehrte Arbeiten gern förderte, der den berühmten Geschichtschreiber der deutschen Reformation, Johann Sleidan, vermochte, sein monumentales Werk über die erste Geschichte der wiedergebornen Kirche zu vollenden, ihm wichtige Beiträge dazu lieferte und an der Abfassung half. Ja, Sturm hatte den großartigen Plan zu einer vollkommenen Akademie entworfen, „welche auf gemeine Kosten aller protestirenden Stände aufzurichten wäre, in welcher aus allen Religionen, auch aus den Papisten, gelehrte und vortreffliche Männer, die alle Völker mit Lehr und Geschicklichkeit übertreffen und deren Ansehn Niemand könnte verachten, berufen würden.“ –

Jakob Sturm war nie krank gewesen. Aber seit 1552 nahten sich ihm die Vorboten des Alters. Er litt an einem zehrenden, viertägig wiederkehrenden Fieber. Im folgenden Spätjahr wurden die Krankheitssymptome ängstigender. Friedrich, Peter und Margaretha Sturm, die Geschwister, warteten seiner mit treuester Pflege. Diese hielten für nothwendig, am 30. October einen Geistlichen zu dem Todtkranken zu berufen. Es war Dr. Johann Marbach, damals Domprediger und wegen des Interims nicht im Münster, zu welcher Gemeinde Sturm gehörte, sondern in der Predigerkirche; Marbach aber war kein Geistesfreund Sturms. Marbach erzählt in seinem Tagebuch über diese Zusammenkunft Folgendes: „den 30. Octobris 1553 Morgens um vier. Uhr bin ich erfordert worden zu Hrn. Jakob Sturm. Als ich zu ihm kam, lag er bereits im Todeskampf und wiewohl ihm die Red entgangen, so war er doch noch bei gutem Verstand, also daß er auf alle Spruch, so ich ihm aus Gottes Wort recitirte, ja sprach auch mit zusammengeschlagenen Händen mit uns betete und zuletzt verständlich Amen sagte. Solches währte bis uff sechs Uhr und ohngefähr ein halb Viertel darnach sprach ich zu ihm: Herr, wollt ihr noch ein Spruch uß Gottes Wort hören? da that er seine Augen gegen mir auf und sah mich an, indem ich nun die Wort Joh. 3, 17, 18 betete, that er die Augen wieder zu und den Mund uff und ist in zweien Athmen verschieden, ohne alle der Natur weitere Bewegniß.“ Er hatte ein Alter von beinahe 64 Jahren erreicht.

Jakob Sturms Abscheiden war ein allgemeines Leid für die ganze Bürgerschaft. Am folgenden Tag den 31. October um ein Uhr Nachmittags hatte das Leichenbegängniß Statt. Das ganze Regiment, die Geistlichkeit, die Studirenden, der Adel und eine unübersehbare Reihe von Bürgern gaben der Leiche das Geleite nach dem Friedhof „Gott Litten“ genannt (zu den guten Leuten oder St. Helena). Dr. Marbach hielt die Leichenpredigt über Philipper 1, 21: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“

Was Straßburg an Jakob Sturm verloren, das zeigten die von jetzt an auftauchenden leidenschaftlichen, theologischen Partheihändel. Sturms Friedensgeist und Ansehn fehlte leider. Johannes Sturm, der Schulrector, hat dem hohen Entschlafenen ein würdiges Denkmal gesetzet in seiner 1553 erschienenen Trostschrift an den Magistrat über Jakob Sturms Hinscheiden. Sleidan, De Thou, Bayle, Teissier, Adam, Pantaleon u. viele Andre verkündigten Sturms Verdienste. Die Vorsteher des Gymnasiums, außer Ich. Sturm, Jeremias Jakob Oberlin 1805, Carl Maximilian Fritz 1817, haben bei verschiedenen Anlässen Sturms Ehrengedächtniß erneuert. Sein Standbild befindet sich auf der von ihm gestifteten Stadtbibliothek, von einem geschickten Künstler, vielleicht von Baldung Grün gemalt. Im Jahr 1776 hatte die Gesellschaft der Philanthropen zu Straßburg einen Preis ausgesetzt für eine Ausarbeitung seines Lebens, aber die Preisfrage wurde nicht gelöst. Auf dem Guttenbergs Denkmal steht auch Sturms Gestalt, aber ein seiner würdiges Monument hat Jakob Sturm noch nicht erhalten.

T. W. Röhrich in Straßburg

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

Johann von Staupitz

Johann von Staupitz

Bei einer guten Anzahl großer Kirchenlehrer ist der Lebensgrund christlicher Frömmigkeit, aus dem ihr ganzes Denken und Thun sich entfaltete, von frommen Müttern gelegt worden. Nicht wenige aber haben auch neben solcher Mutter oder statt ihrer einen geistlichen Vater gehabt: einen Mann, oft nicht blutsverwandt und nur durch höhere Leitung ihnen zugeführt, welcher der jugendlich ringenden, kämpfenden, vielleicht niedergedrückten und irregehenden Seele Licht und Trost gab und ihr die wahre Bahn für die irdische und himmlische Zukunft wies. Ein geistlicher Vater dieser Art für den Jüngling, der nachmals ein Reformator der Kirche, ein Prophet deutscher Nation werden sollte, für unsern Luther, war Johann von Staupitz. Darum verdient sein Name in der evangelischen Kirche stets in gesegnetem Gedächtniß gehalten zu werden.

Er verdient es aber nicht allein um Luthers, sondern auch um sein selbst willen. Freilich ist er nicht, obwohl der Kampf um Erneuerung des reinen Evangeliums noch zu seinen Lebzeiten entbrannte, auf den Wahlplatz hervorgetreten, vielmehr hat er sich in die beschauliche Stille zurückgezogen: aber darin ist er nur seinem eigenthümlichen Wesen getreu geblieben und hat sich in den Schranken gehalten, die ihm von Gott verordnet waren. Hätte er sich zu dem gedrängt, wozu er nicht gesendet war, so wäre er in sich selber unwahr geworden. Auch im Reiche Gottes hat alles seine Zeit und jeder seine besondere Sendung. Bevor die Reihe der Thaten beginnen konnte, welche, in das ganze Leben unseres deutschen Volkes eingreifend und dasselbe erschütternd, eine neue Gestalt des christlichen Glaubens und Gemeinschaftlebens hervorrufen sollten, mußte tief innen in den Gemüthern, zunächst unbekümmert um die Verderbnisse der Welt und der Kirche draußen, der Grund reiner Gottes- und Christusliebe, der Grund evangelischen Glaubensgeistes wenigstens bei den Empfänglichen gelegt werden: denn nur aus diesem Grunde konnten die rechten Thaten für das Evangelium herauswachsen, und nur so konnte im voraus eine größere Anzahl von Menschen zubereitet werden, welche, von jenen Thaten vollends erweckt und von der später folgenden, noch mächtigeren Verkündigung der Buße und des Glaubens ergriffen, den Kern einer neuen evangelischen Gemeinde bildeten.

Diese vorangehende innere Grundlegung war nicht ein Kämpfen und Streiten, sondern ein stilles Pflanzen und Pflegen, und der Mittelpunkt davon lag in dem Streben, die lautere, auf alles Eigene verzichtende Gottesliebe in den Herzen zu entzünden, durch die Liebe und Nachfolge des Erlösers zur vollkommenen Einigung mit Gott und zum wahren Seelenfrieden zu führen: das allein war der rechte Weg, auf dem inmitten all‘ des äußerlichen und todten Werkwesens, welches damals die Kirche beherrschte, ein innerlich lebendiges Christenthum zu gewinnen und das zu erreichen war, was ein Liedervers in den treffenden Worten von Gott erfleht: „Gib, daß deiner Liebe Glut unsre kalten Werke tödte!“ Die Männer, welche, dieses Weges gehend, auf die Reformatoren und ihr Werk, vornehmlich auf Luther, einen großen Einfluß hatten, und unter denen viele der Besten unserm Volk angehörten, aus deutschem Sinn in deutscher Zunge sprachen und schrieben, nennt man Mystiker. Unter ihnen nimmt Johann von Staupitz durch seinen einfachen, practischen, evangelischen Geist eine vorzügliche Stelle ein, und wie sehr wir Ursache haben, ihn auch ganz für sich betrachtet als Mann christlichen Lebens, christlicher Erfahrung und Lehre zu verehren, werden wir sehen, wenn wir auf dem Grunde einer kurzen Erzählung seines einfachen Lebenslaufes uns das vergegenwärtigen, was er uns als den Gehalt seines innern Daseins in mehreren Schriften hinterlassen hat.

Johann von Staupitz stammte aus einem alten, meißnischen Adelsgeschlecht und war schon dadurch im bürgerlichen Leben günstig gestellt. Aber sein Sinn scheint von früher Zeit an mehr auf das Innerliche gerichtet gewesen zu sein. Um sich ganz den Studien und frommen Betrachtungen widmen zu können, trat er in den Augustiner-Orden. Auf mehreren Universitäten erwarb er sich die Bildung der damaligen Schulen und wurde auch zu Tübingen mit Ehren Doctor der Theologie; aber es war nicht sowohl Scharfsinn des Denkens oder Reichthum der Gelehrsamkeit, wodurch er hervorragend und wirksam werden sollte, sondern die Kraft seines Wesens lag in der Fülle seiner christlich frommen. Innerlichkeit und in der milden, heitern Würde seiner Persönlichkeit. Unbefriedigt von der Philosophie, wendete er sich zur Schrift und die Schrift führte ihn zum Leben. Er erkannte, daß nicht bloß das Wissen den Theologen mache, sondern die ganze Gemüthsverfassung, die Bewährung des Erkannten durch die That. So ward er Erfahrungs- und Lebenstheologe, und machte in seiner Person das wahr, was Luther nachmals in dem berühmt gewordenen Spruche so ausdrückte: „den Theologen bilden Gebet, Nachdenken und Anfechtung.“ Indeß gab sich Staupitz nicht einer bloß beschaulichen Innerlichkeit hin. Er hatte zugleich einen practischen Sinn; sein gesunder Verstand, seine vielseitige Bildung und gewinnende Beredsamkeit befähigten ihn zum Umgang mit Menschen aller Art; seine Abstammung und Erziehung, seine anziehende, würdevolle Erscheinung und seine Geistesgegenwart machten ihn besonders auch zum Umgang mit Großen geschickt. Er genoß das vorzügliche Vertrauen seines Churfürsten, Friedrichs des Weisen, und wurde von demselben vielfach zu Rathe gezogen, auch mit Erfolg zu Gesandtschaften verwendet; er bewegte sich mit Freiheit in den vornehmen Kreisen, so daß er eines Tages, da ihm einer der sächsischen Herzoge bei der Tafel eine verfängliche Frage vorlegte, dergestalt antwortete, daß der Churfürst lachend hinzufügte: „Nun wollt Ihr noch mehr fragen? Staupitz wird sich nicht stumm finden lassen.“ In Summa – um Luthers Worte über „seinen“ Staupitz zu gebrauchen – „das war ein großer Mann und nicht nur in Schulen und Kirchen gelehrt und beredt, sondern auch an Höfen und bei Großen angenehm und hochgeehrt. Er hatte einen hohen Verstand, ein redliches, aufrichtiges, adliges Gemüth, nicht unehrbar und knechtisch.“ Diese Eigenschaften: tiefe, fromme Innerlichkeit einerseits, und andrerseits großer Weltverstand, Fähigkeit zum Verkehr mit Menschen aller Art scheinen weit auseinander zu liegen: aber gerade durch die innigste Vereinigung von beiden auf dem Grunde eines „aufrichtigen, adligen Gemüths“ wurde Staupitz am meisten das, was er war, und gewann er die Stellung, in der wir zugleich seine eigenthümliche Sendung anerkennen müssen. Eben dadurch war er, wie kein anderer, geeignet, zuerst in Luthers Seele die Keime tiefen Glaubensgeistes pflanzen und entwickeln zu helfen, aus denen später dessen reformatorisches Thun hervorwuchs, und dann, als die Zeit gekommen war, der Vermittler für ihn zum Wirken in der Welt zu werden, sein Licht unter dem Scheffel der Klostermauern hervorzuziehen und auf den Leuchter einer Universität zu stellen, seine ersten schwierigen Gänge in der Oeffentlichkeit väterlich zu geleiten und einflußreich zu schirmen.

In seinem Orden gelangte Staupitz bald zu bedeutendem Ansehen: im Jahre 1503 wurde er vom Kapitel zu Eschwege zum Generalvicar, im J. 1511 zum Provincial von Thüringen und Sachsen, im J. 1515 zum Generalvicar des Augustinerordens in ganz Deutschland gewählt. Der Erfüllung seiner Pflichten als Ordensvorsteher lag er mit Eifer ob und nahm sich, wie wir an Luther sehen, besonders einzelner Brüder mit Liebe und Einsicht an. Aber im Ganzen erreichte er bei weitem nicht, was er für die Verbesserung seiner Gemeinschaft wünschte, und er sagte dann wohl im Unmuth: „Man muß mit den Pferden pflügen, die man hat; und wer keine Pferde hat, pflügt mit Ochsen.“ Ein weit befriedigenderer, erfolgreicherer Wirkungskreis hatte sich ihm indeß schon bei der Gründung der Universität Wittenberg eröffnet. Diese Hochschule, deren Einfluß sich bald über ganz Europa erstrecken sollte, ward im J. 1502 gestiftet. Friedrich der Weise hatte dabei vornehmlich auch unsern Staupitz zu Rathe gezogen, und da Staupitz zugleich der erste Dekan der theologischen Facultät wurde, so lag ihm nun amtlich ob, was ihm zugleich Herzenssache war, für das Aufblühen der theologischen Studien zu sorgen.

Hier tritt uns nun das Verhältniß zwischen Staupitz und Luther zuerst in seiner ganzen äußeren Bedeutung entgegen. Aber dieß veranlaßt uns, auch auf seine entfernteren innerlichen Anfänge zurückzugehen. Staupitz hatte zuerst bei einer Visitationsreise Luther’n als jungen Bruder im Augustinerkloster zu Erfurt kennen gelernt. Durch Gewissensangst ins Kloster getrieben, rang damals der Jüngling Luther durch kirchliche und mönchische Werke in niedrigem Klosterdienst nach Gewißheit der Seligkeit, ohne zum rechten Frieden hindurchdringen zu können. Staupitz, der den edeln Geist in der düstern Verhüllung erkannte, erleichterte nicht nur seine gedrückte Lage, sondern gab vor allem auch seiner Seele die wahre himmlische Nahrung. Er leitete das Gemüth des Jünglings von selbstquälerischen Gedanken und unfruchtbaren Speculationen auf die versöhnende Liebe Gottes in Christo, zeigte ihm, daß die Anfechtungen ein heilsames Zuchtmittel Gottes seien, um ihn zu größeren Dingen zuzubereiten, verwies ihm aber zugleich, „sich aus jedem Humpelwerk eine Sünde zu machen“, und lehrte ihn, sich ganz an den lebendigen Christus, nicht an ein Bild der Phantasie, sondern an den wirklichen, sündenvergebenden Erlöser zu halten. „Ihr wollt“, sagte Staupitz einmal zu Luther, „ein erdichteter, ja ein gemalter Sünder sein und deßhalb nur einen erdichteten und gemalten Heiland haben.“ Und ein andermal, da Luther beim Anblick des Sakraments erschrocken war: „Ei, eure Gedanken sind nicht Christus; denn Christus schreckt nicht, sondern tröstet.“ Zugleich erweckte Staupitz in Luther die Einsicht, daß das Gesetzeswerk nicht zum Frieden führen könne, weil es im Menschen „entweder Vermessenheit oder Verzweiflung“ wirke; und durch beides, diese Ablenkung von der Gerechtigkeit der Werke und jene Hinlenkung zur Gnade Gottes in Christo, führte er Luther’n in die Bahn, auf welcher Gott ihn wirklich, „zu großen Dingen brauchen wollte.“ So in seinem Innern emporgehoben, setzte Luther seine Studien in der Schrift und in den fruchtbareren Lehrern der Kirche mit der Freudigkeit und dem Erfolge fort, daß, als es sich im J. 1508 um Ergänzung der Lehrkräfte in Wittenberg handelte, Staupitz seinen jungen, damals 26jährigen Freund als Mitarbeiter zu sich berufen konnte. Von dieser Zeit an traten beide Männer in ein so inniges Freundschaftsverhältniß, als es die Verschiedenheit des Alters und der Lebensstellung irgend gestattete.

Es ist bekannt, wie Luther bald ein mächtig wirkender Lehrer ward; wie ihn Staupitz im J. 1512 väterlich nöthigte, Doctor der Theologie zu werden; wie er endlich im J. 1517 durch die Streitsätze über den Ablaß ein Feuer entzündete, das sich bald über ganz Deutschland verbreitete. Ob Luther zu diesem ersten öffentlich reformatorischen Schritt eine äußere Anregung von Staupitz empfangen, steht sehr dahin; aber eine innere Anregung ist nicht zu bezweifeln, besonders nach einer Seite hin, die hier so wichtig ist, in Betreff der Lehre von der Buße. Die allererste unter den berühmt gewordenen Thesen Luthers handelt von der Buße, und auch weiterhin geht alles von der wahren Bedeutung der Buße aus. Ohne die Predigt der Buße wäre Luther nicht Luther und sein Werk keine Reformation gewesen. Eben die Erkenntniß über das Wesen der Buße aber war ihm, seinem eigenen Zeugniß zufolge, durch Staupitz aufgegangen. Wie eine Stimme vom Himmel, sagt er, habe Staupitz ihn belehrt, daß nur diejenige Buße die wahre sei, welche von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes beginne, und daß, was die gewöhnlichen Lehrer als Schluß und Vollendung der Buße darstellten, vielmehr ihr Anfang sei. „Dieses dein Wort,“ fährt er in dem an Staupitz gerichteten Briefe fort, „haftete in mir, wie der scharfe Pfeil eines Gewaltigen; ich fing an, dasselbe mit den Stellen der Schrift über die Buße zu vergleichen, und siehe alles paßte aufs schönste zu dieser Meinung; so daß, während mir vorher in der Schrift nichts bitterer klang, als das Wort Buße, mir jetzt nichts süßer und angenehmer vorkam.“

So viel ist gewiß, daß Staupitz die ersten kühnen Schritte seines jüngeren Freundes mit väterlicher Theilnahme begleitete. „Das gefällt mir,“ schrieb er in dieser Zeit an Luther, „daß du bei der Lehre, die du predigst, Gott allein die Ehre gibst und alles Gott zuschreibst, nicht den Menschen; Gott aber, das ist klar, kann man nicht zu viel Ehre und Güte beilegen.“ Und in Augsburg, als Luther sich vor dem Cardinal Cajetan verantworten sollte, sprach Staupitz, der ihn begleitet hatte, zu ihm: „Sei eingedenk, mein Bruder, daß du diese Sache im Namen Jesu Christi angefangen hast.“ Aber dennoch mußte eine Zeit eintreten, wo die Wege beider Männer auseinander gingen. Staupitz konnte den jugendlichen Glaubenshelden Luther mild und belebend anregen und auf den richtigen Weg weisen; aber er selbst war kein Heldengeist. Seine ganze Richtung, wesentlich auf Liebe gegründet, war eine vorherrschend innerliche und er folgte ohne Zweifel nur der sichern Stimme seiner von Gott gerade so bestimmten Natur, wenn er sich Luther’n nicht kämpfend zur Seite stellte, sondern in den Gränzen der Aufgabe beharrte, die ihm als Vorbereiter gesetzt war. Für ihn war das Wort Christi ein Wort des Friedens, für Luther ein Wort des Schwertes. Darum, je kühner Luther hervortrat, desto mehr trat der friedsame Staupitz demüthig zurück; und zuletzt blieb ihm nichts übrig, als von dem Kampfplatze hinweg sich in gesicherte Stille zu begeben. Er ging nach Salzburg, wo er an dem Erzbischof Lang einen Gönner hatte, bei dem er als Hofprediger thätig war. Hier trat er zum Benedictiner-Orden über, wurde im J. 1522 Abt des Klosters St. Peter und später auch Vicarius und Suffragan des Erzbischofs. Bis zu seinem Tode, der am 28sten December 1524 erfolgte, wirkte Staupitz in dem Geiste, den wir an ihm kennen gelernt haben. Er konnte nicht mit Luther Schritt halten, aber er stellte sich seinem Werke auch nicht entgegen; er brachte die Schriften Luthers nach Salzburg und legte in dieser Gegend den Grund zu einer Ueberlieferung innerlicheren und freieren christlichen Geistes, aus der ohne Zweifel zum Theil die späteren evangelischen Bewegungen zu erklären sind, welche die Auswanderung der evangelisch-gesinnten Salzburger im J. 1732 zur Folge hatten. Ja selbst das persönliche Verhältniß zwischen Staupitz und Luther wurde nicht gelöst; es trat wohl einige Entfremdung ein und fehlte auch nicht an Vorwürfen, aber sie konnten doch nicht von einander lassen. Staupitz lud den bedrängten Luther ein, zu ihm nach Salzburg zu kommen: sie wollten miteinander leben und sterben. Luther aber schrieb noch kurz vor Staupitzens Hingang an diesen das schöne und große Wort: „Wenn ich aufgehört habe, dir angenehm und lieb zu sein, so geziemt es mir doch nicht, deiner zu vergessen oder undankbar gegen dich zu sein, durch den zuerst das Licht des Evangeliums in meinem Herzen aus der Dunkelheit aufzuleuchten anfing.“

Wir haben von Staupitz außer einigem weniger Bedeutenden vornehmlich drei Schriften, aus denen wir seinen Sinn und sein inneres Leben zu erkennen vermögen. Ihre Abfassung fällt in die Zeit des Beginnes unserer Kirchenverbesserung und ihre Titel sind folgende: von der holdseligen Liebe Gottes – vom heiligen christlichen Glauben – und von der Nachfolgung des willigen Sterbens Christi. Der Anfang und Schluß der Tractate Staupitzens sind die kindlich gläubigen Worte: „Jesu, dein bin ich, mach mich selig.“ Das war seine Losung und in diesem Worte ist auch Anfang, Mittel und Ende seiner Theologie zusammengefaßt. Der lebendige Christus war ihm alles: der Mittelpunkt der Schrift, die Offenbarung der göttlichen Liebe und Heilsgnade, das einzige alles in sich schließende Vorbild, der Grund der Seligkeit für den Einzelnen und die Kraft der Gemeinschaft für alle Gläubigen, der Ursprung der wahren Einigkeit der Kirche. Hierbei geht Staupitz von dem Puncte aus, der auch für die edelsten deutschen Mystiker vor ihm der erste Lebenspunct gewesen war: von der Liebe, der Liebe Gottes, die durch Christum vermittelt, die wahre menschliche Liebe entzündet. Aber er bleibt nicht bei diesem Puncte stehen, sondern hebt mit aller Kraft auch die Buße und den Glauben und die hieraus entspringende Nachfolge Christi im Gegensatz gegen alles Gesetzes- und Werkwesen hervor, und das ist es, was ihn der Reformation so nahe stellt und zum unmittelbarsten Vorarbeiter derselben macht.

Gott – dieß sind in der Kürze Staupitzens Gedanken – ist die wesentliche, in sich selbst vollkommene Liebe. Diese höchste Liebe muß um ihrer selbst willen und über alles geliebt werden. Aber eben das kann der Mensch, weil es eine Sache der Erfahrung ist, nicht von Andern, er kann es nicht aus seinem natürlichen Verstand, er kann es auch nicht aus dem Buchstaben der Schrift lernen. Der wahre Lehrer der göttlichen Liebe ist der Geist des himmlischen Vaters und Christi, von dem unsre Herzen mit Liebe durchgossen werden. Gott selbst, der die Liebe ist, muß Wohnung in unsrer Seele machen: daraus überkommt sie Kraft, alle Gebote zu vollbringen; daraus, und nicht bloß aus äußerlicher Lernung der Schrift, entspringt das Licht des christlichen Glaubens; daraus fließt auch die wahre Hoffnung und der sichere Trost, die wir nicht auf unsere Werke, auch nicht auf unsere Liebe gegen Gott, sondern nur auf Gottes Liebe gegen uns, auf das, was Gott in uns wirkt, gründen können. Die Liebe Gottes wird uns aber ins Herz gebildet durch Christum, in dem sich die unaussprechliche Liebe des Vaters gegen uns geoffenbart hat: er ist der Fels, in dem das Zündfeuer der Liebe ruht; doch springt dieses nicht heraus, wenn es nicht von dem festen Eisen, dem heil. Geist, herausgetrieben wird. Geschieht aber dieß, dann zünden die Funken in den Herzen der Gläubigen: es entspringt Liebe aus Liebe, aus der Liebe Gottes zu uns unsre Gegenliebe gegen Gott. Diese Liebe stehet nicht immer in gleicher Höhe, und der Mensch muß unterweilen in der Entziehung der Liebe seiner Schwäche inne werden, damit er Gott als den alleinigen Erlöser groß mache; doch ist sie ein sicheres, beständiges Werk; und wo sie vollkommen ist, da gebiert sie Gleichförmigkeit mit Gott und seinem Willen, macht von allem Eigenen und allen Creaturen ledig und bewirket, daß der Mensch, des eigenen Lebens und Verdienstes vergessend, nur Gottes Ehre und Willen sucht, mit Gott zu einem Geiste vereinigt wird.

Die rechte Gewißheit der göttlichen Liebe haben wir im Glauben an Christum. Glaube, daß er der Sohn Gottes sei und zweifle nicht, oder begehre wenigstens festiglich, an ihn zu glauben, so bist du in ihm gesegnet. Die an Christum glauben, dürfen ihrer Versehung zur Seligkeit gewiß sein; sie werden gerechtfertigt und erneuert und haben Vergebung der Sünden, wozu weder Beichte, noch Reue, noch irgend ein Menschenwerk hilft, sondern nur der Glaube an Christum. Der Glaube an Christum läßt auch keinen Menschen in ihm selber bleiben, sondern zieht ihn über sich und feiert nicht, bis er uns mit Gott vereinige. Er vereiniget alle Gläubigen also, daß sie in Gott ein Herz und eine Seele gewinnen, und daraus entspringt die Einigkeit der Kirche. Er vereiniget aber auch die Gläubigen mit Christo solchergestalt, daß sie mit ihm ein Leib werden, an welchem er das Haupt ist und sie die Glieder sind, und durch diese Einigung geußt Christus alle geistlichen Gaben, ja sich selbst in unser Herz.

Darum folgt auch aus dem Glauben die Nachfolge Christi, zuerst im Leben, dann und vornehmlich im Leiden und Sterben. Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen und hat sich mit der Sünde über alle Menschen verbreitet. Christus hat die Sünde und den Tod überwunden, und ist uns ein Vorbild des rechten Leidens und Sterbens geworden, das Sünde und Tod bezwingt. „Stirb, wie Christus, so stirbst du ohne Zweifel selig und wohl. Wer da will, der lerne von St. Peter sterben oder von andern Heiligen, oder sehe, wie die Frommen ihr Leben schließen. Ich will’s von Christo lernen und niemand anders: Er ist mir von Gott ein Vorbild, nach dem soll ich wirken, leiden und sterben; er ist allein der, dem alle Menschen folgen können, in dem alles gute Leben, Leiden und Sterben aller und jeglicher vorgebildet ist, also daß niemand recht thun, leiden und sterben kann, es geschehe denn gleichförmig mit Christo, in welches Tode aller anderer Tod verschlungen ist.“

Das sind die Grundgedanken unseres Staupitz, die wir zumeist mit seinen eigenen Worten wiedergegeben haben. Wer nun zugleich weiß, was das eigentliche Fundament unserer deutschen Kirchenverbesserung ausmacht: daß Christus als der alleinige Heilsgrund und Vermittler der göttlichen Liebesgnade lebendig in die Mitte gestellt, die Rechtfertigung und Erneuerung des Sünders allein aus dem Glauben an ihn abgeleitet, die wahre Gemeinschaft der Kirche auf ihn gegründet, und überall im Gegensatz gegen alles Menschliche nur Gott und Christo die Ehre gegeben wird, – der wird keinen Augenblick anstehen zu bekennen: die verborgenen Keime von allem dem lagen schon in Staupitzens Seele, und er vornehmlich war auch der nächste lebendige Vermittler, um sie in Luthers Seele einzusenken und zu entwickeln. Luther führte aus, was Staupitz vorbereitet hatte und in diesem war schon vorgebildet, was jener in aller Fülle und Macht im Leben entfaltete.

Aber, wie aufrichtig wir auch den Pflanzenden und den Begießenden verehren mögen, wir können sie doch nur verehren als Werkzeuge in der Hand dessen, von dem, in dem und zu dem alle Dinge sind; und müssen mit dem großen Apostel, der sich rühmen durfte mehr gethan zu haben als alle übrigen, sprechen: „So ist nun weder der da pflanzet, noch der da begießet, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.“

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874