Adolphe Monod

Als in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts Frankreich – wie Ranke es nennt – seinen Welttag erlebte und in fast allen Zweigen menschlicher Thätigkeit Geister ersten Ranges den Ruhm der Regierung Ludwigs XIV. verherrlichten, da blühte auch die Kanzelberedsamkeit auf: Bossuet, Bourdaloue und Massillon in der römischen und Saurin in der reformirten Kirche glänzen noch immer als Sterne erster Größe in der Geschichte der französischen Literatur. Das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Aufklärung und des Unglaubens, kann jenen großen Rednern keine ebenbürtige Namen an die Seite stellen; erst in unserm Jahrhundert hat Frankreich in beiden Kirchengemeinschaften wieder Kanzelredner aufzuweisen, deren man weit über die Gränzen ihres Vaterlandes hinaus mit Ruhm und Verehrung gedenkt. Die römische Kirche zählt namentlich Lacordaire zu ihren größten Rednern, und er verdient diese Auszeichnung, obgleich die Fehler seines Volkes, die zugleich nicht selten auch Fehler seiner Kirche sind, nämlich der blendende Prunk, die Effekthascherei, die Ueberredung durch Einwirkung auf das Gefühl und die Phantasie, wo die Belehrung durch überzeugende Gründe und helle, klare Stellen des göttlichen Wortes an der Stelle wäre, obgleich diese Fehler, sage ich, gerade in vielen seiner gepriesensten Reden die wahre Erbauung wesentlich verkümmern. Während Männer wie Bossuet und Lacordaire weit mehr hinreißen, entzücken, aufregen und blenden, als erheben, kräftigen, belehren und erbauen, und ihre glänzendsten Eigenschaften besonders da hervortreten, wo sie ihre Kirche verherrlichen: verschmähen es die größten evangelischen Kanzelredner Frankreichs oder der französischen Zunge der Neuzeit, Vinet und Adolf Monod, das Evangelium durch äußeren Flitter gleichsam zu schmücken; sie verkünden die Heilslehre, des Menschen Elend und Gottes Erbarmen, sie predigen Christum den Gekreuzigten, führen den Beweis des Geistes und der Kraft, und in der gewissen Zuversicht, daß das Evangelium eine Kraft Gottes ist, selig zu machen Alle, die daran glauben, stellen sie sich in den Dienst des einfach großen Evangeliums also, daß sie in selbstverleugnender Demuth ihre eigne Persönlichkeit ganz zurücktreten lassen und im schönsten Sinne des Wortes nichts wissen als Jesum den Gekreuzigten. Adolf Monod liegt der Gedanke ganz fern, in seinen Reden Muster der Kanzelberedsamkeit, oratorische Meisterstücke geben zu wollen, er will seinem Heiland Seelen gewinnen, will selbst aber nichts gelten und nichts sein, und gewinnt grade durch diese Demuth seiner Gesinnung, durch diese Lauterkeit und diese Inbrunst seines Strebens seine Zuhörer und Leser, wird gerade dadurch wider Wissen und Willen der gewaltige Redner, dessen Namen die evangelische Christenheit nicht mit kalter Bewunderung, sondern mit Liebe und Verehrung nennt.

Sprechen wir jedoch zuerst von A. Monods äußern Lebensverhältnissen. Leider sehen wir uns noch immer auf die wenigen Notizen, die sich in verschiedenen Blättern finden, angewiesen; die Familie des Verewigten bereitet jedoch jetzt die Herausgabe eines ziemlich umfangreichen Buches vor, welches außer wichtigen Briefen die Lebensgeschichte Monods enthalten wird.

Monod wurde am 21. Januar 1802 zu Kopenhagen, wo sein Vater, Jean Monod, Pfarrer der französischen Gemeinde war, als der vierte Sohn einer Familie, die zwölf Kinder zählte, geboren; seit dem Jahre 1808, also im Alter von sechs Jahren, wurde der Knabe, als der Vater zum Prediger in Paris ernannt wurde, auf französischen Boden verpflanzt. Der würdige Vater und die gleich vortreffliche Mutter, eine geborene de Conind aus Kopenhagen, erzogen ihre Kinder mit der größten Sorgfalt; sie hatten die Freude, daß sich unter ihren acht talentvollen Söhnen vier aus voller Neigung dem evangelischen Pfarramte widmeten. Nachdem A. Monod seine Gymnasialbildung im College Bonaparte zu Paris erhalten hatte, begab er sich nach Genf, um sich mehrere Jahre philosophischen und theologischen Studien zu widmen. Er war einer von den sechs Studirenden, die sich hier damals ganz besonders für die zerstreuten Glaubensgenossen in Italien interessirten. Nachdem er daher seine Studien in Genf beendigt hatte, begab er sich im Jahre 1825 mit seinem Bruder Wilhelm nach Italien und gründete in Neapel die evangelische Gemeinde, während der Bruder Wilhelm den Grund zu der evangelischen Gemeinde in Florenz legte. Der Aufenthalt in Neapel, wo er fünfzehn Monate verweilte, war für Monods innere Entwicklung von großer Bedeutung. Der zur Zeit seiner Universitätsstudien allgemein herrschende Rationalismus befriedigte ihn schon lange nicht mehr; im täglichen Verkehr mit dem einem todten Werkdienste und einem halbheidnischen Cultus ergebenen neapolitanischen Volke lebte er sich immer tiefer ein in die frohe Botschaft von der Rettung des sündigen verlorenen Menschen durch Jesum Christum, den Heiland der Welt. Nun hatte er Glauben und damit für sich den festen Lebensgrund und zugleich den Inhalt für seine Predigten gefunden: die zwei herrlichen Reden „des Menschen Elend“ und „Gottes Erbarmen“, die sich in der ersten Lieferung dieser Sammlung finden, sind der lebendige Ausdruck seiner nun ganz im Evangelium eingewurzelten Ueberzeugung. „Ich habe nie einen jungen Mann gekannt“, sagt der Bruder Wilhelm Monod, „der seine Studien mit einem solchen Feuer ergriff und ein so glühendes Verlangen nach Vollendung besaß. Das ernsteste Streben seiner Jugend war das Suchen nach Wahrheit, das Forschen nach dem Heilswege des Menschen. Jahre lang war seine Seele wie versunken in dem Forschen nach dieser Wahrheit aller Wahrheiten, bis er nach schwerem Ringen zu jenem Glauben gelangte, der seiner Seele Frieden und Freude gab, daß nämlich der aus freier Gnade gerettete Sünder durch den Glauben an Jesum Christum selig werde. Sobald diese Ueberzeugung in ihm feststand, seines Lebens Leben geworden war, nahm sein Geist einen neuen Aufschwung, wurde sein Wort ein Licht in der Kirche. Und dieser Glaube zwängte seinen Geist nicht ein, sondern gab ihm erst volle Freiheit und Stärke, gab seiner Predigt Fülle des Inhalts, Salbung und Gewalt.“ Während Vallette, der Freund und Studiengenosse A. Monods in Genf, als evangelischer Prediger nach Neapel ging, kehrte Monod nach Frankreich zurück und wurde als Pastor in Lyon angestellt.

Hier erwarteten ihn heftige Kämpfe. Der junge eifrige Prediger, der das Licht, welches ihm selber erst vor kurzem aufgegangen war, gern in alle Welt getragen hätte, gerieth mit dem rationalistischen Consistorium zu Lyon und manchen Gemeindemitgliedern in Zwiespalt; die Predigt vom Gekreuzigten, von der Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen galt ihnen für Pietismus und Mysticismus. Man wünschte ihn zu beseitigen und wartete nur auf eine Gelegenheit, dies Vorhaben auf schickliche Weise ausführen zu können. Diese Gelegenheit fand sich, als Monod gegen den Leichtsinn, mit welchem Manche ohne Reue und Buße sich dem Tische des Herrn nahten, in einer die Fehlenden allerdings mehr abstoßenden als gewinnenden Weise in der Predigt: „Qui doit communier?“ sich aussprach. Das Consistorium verklagte den jungen, eifrigen Prediger beim katholischen Cultusminister, und Adolf Monod ward seiner Stelle entsetzt. Er war aber nicht gewillt, seinen Gegnern das Feld zu räumen; verschloß sich ihm die öffentliche Kirche, so öffnete sich ihm ein Saal, ja bald, da die Zahl seiner Anhänger sich rasch vermehrte, eine geräumige Kapelle. „Dreißig Jahre sind seitdem verflossen; und heute ist die evangelische Kirche in Lyon eine zahlreiche lebendige Gemeinde mit vier Pastoren, mehren Evangelisten und acht Kapellen, in welchen den arbeitenden Klassen in und um Lyon das Evangelium gepredigt wird. So veranlaßte das Consistorium, ohne es zu wissen und zu wollen, dies so sehr gesegnete Werk Adolf Monods.“ (Bonnet.)

Erst 1836 erlangte der Verkannte auch von der Regierung einen Beweis der Anerkennung seines Strebens; in diesem Jahre wurde er zum Professor in Montauban ernannt. Mit wie großem Eifer er hier sich auch den gelehrten Studien hingab, er blieb doch auch in Montauban dem Berufe treu, für welchen ihn Neigung und außerordentliche Begabung bestimmten; er predigte freiwillig jeden Sonntag, selbst seine Ferien benutzte er, um den im südlichen Frankreich zerstreuten kleineren und größeren evangelischen Gemeinden das Evangelium zu verkündigen. Monods Ruhm als Kanzelredner war bald so allgemein in Frankreich anerkannt, daß die öffentliche Stimme ihm seinen Platz auf der ersten protestantischen Kanzel Frankreichs anwies. Im Jahr 1847 wurde er als Adjunkt des Pastors Juillerat nach Paris berufen und im Jahre 1849 als wirklicher Pastor der reformirten Kirche von Paris angestellt; neun Jahre lang hat er dann noch in der Hauptstadt Frankreichs dies Amt verwaltet. Er predigte aber nicht blos in der Hauptkirche, dem Oratoire, sondern auch im Panthémont und andern evangelischen Kirchen von Paris; ja er predigte oft schon in aller Frühe des Sonntags den evangelischen Schülern der höheren Lehranstalten, und jeden Sonntag Abend hielt er noch im Oratoire eine Bibelstunde, die wegen der reichen Belehrung und Erbauung, welche sie bot, sehr fleißig besucht war.

Adolf Monod war ein von Natur reich begabter Mensch, und seine herrlichen Anlagen waren durch eine musterhafte Erziehung und treuen Fleiß auf’s schönste entwickelt worden. Mit klarem Verstande verband sich lebhafte Phantasie und tiefes Gemüth; der Umfang seiner Kenntnisse war sehr bedeutend, denn seine Studien umfaßten nicht blos die ihm zunächst liegenden Fächer der Philosophie und Theologie, sondern auch die französische, englische und deutsche Literatur; mit der deutschen Theologie zumal ging er stets weiter. Standen diese großen Fähigkeiten und umfassenden Kenntnisse allein, so würde Monod ein Schönredner und Modeprediger geworden sein, nie aber hätte er dieser die Tiefen des menschlichen Herzens erfassende, das Gemüth in Reue und Buße niederbeugende und in Glaube, Hoffnung und Liebe aufrichtende Verkündiger des Evangeliums werden können, wenn nicht seine Rede der einfache und zugleich tief ergreifende Erguß seines christlichen Charakters gewesen wäre. Er hatte seine schönen Naturgaben am Fuße des Kreuzes auf Golgatha seinem Erlöser zum Opfer gebracht und sie dann geläutert und geheiligt zurückerhalten. Ihm war das zeitliche und ewige Heil Aller, die ihn hörten, Herzenssache; er klagte um jede sich verirrende, und frohlockte um jede wiedergewonnene Seele. Er hatte es im eigenen Leben erfahren, wie Christus allein der dürstenden Seele jenes Wasser des Lebens reicht, nach welchem uns nimmermehr dürstet; auf diese Weise sah er es schon als die heiligste Pflicht der Dankbarkeit an, dies Heil einfach und lauter Allen anzubieten, die Sehnsucht nach diesem Heil durch Bloßlegung der verborgensten Seelenzustände des natürlichen Menschen zu erwecken und das Verlangen der mühseligen und beladenen Seele nach Trost und Frieden durch die Verkündigung des Evangeliums der Gnade zu stillen. Ueberall fühlt man es seinen Worten an, es ist Alles erfahren und erlebt. Nirgends trockene Dogmatik, todte Orthodoxie, überall der warme Hauch des aus dem wiedergeborenen Herzen hervorquillenden Lebens. Und aus der Quelle dieses Lebens, aus dem Glauben an den erbarmenden Gott und Jesum Christum, den Heiland der Welt, hatte er die Stärke und Lebendigkeit seiner Ueberzeugung, die glühende Liebe zu seinen Brüdern, die Treue in seinem Amte geschöpft. Sein Glaube war nicht ein todtes aus Glaubensbekenntnissen überkommenes Fürwahrhalten, sondern Geist und Leben, das Leben seines Lebens. Wenige Tage vor seinem Tode, als er in der Ueberzeugung, sein letzter Augenblick sei nahe, den Seinigen sein letztes Lebewohl zugerufen und ihnen seinen Segen gegeben hatte, sprach er: „Mein ganzes Amt, alle meine Werke, alle meine Predigten, alles erscheint mir jetzt wie ein unreines Gewand; ein Tropfen von Christi Blut ist mir weit köstlicher.“ Und wie einfältig war dieser Glaube! Er, der sein Lebenlang gearbeitet, gelernt, gedacht, geforscht hatte und in seinem wissenschaftlichen Erkennen stets gewachsen war, faßte das Ergebniß seiner Studien und Arbeiten kurz vor seinem Tode in die wenigen Worte zusammen: „Ich danke Gott, daß er mir den Glauben eines kleinen Kindes gegeben hat.“ Und wie lebendig war dieser Glaube! Als am 6. Oktober 1855 seine eilf Geschwister und die andern Familienmitglieder an seinem Bette sich versammelt hatten, faßte er Alles, was ihm das Leben, sein Amt und sein langes Leiden gelehrt hatten, in die Worte zusammen: „Christum wissen macht nicht heilig und nicht selig, sondern Christum haben. Es gibt kein anderes christliches Leben als das Leben Christi, als Christus in uns, wie es auch kein anderes Heil gibt als die Gegenwart Christi in uns.“ So fest er selbst am Glauben seiner Kirche hielt und wie entschieden er auch seine Ueberzeugung aussprach, so hat er sich zugleich gegen nichts mit mehr Bestimmtheit erklärt als gegen die todte Rechtgläubigkeit. Und sein Leben stand mit seinen Worten im schönsten Einklang. Wie nie ein Pastor das Evangelium treuer geliebt und gepredigt hat, so hat auch keiner je gewissenhafter geübt, was er predigte. Seine Predigt war gerade deshalb so gewaltig, weil sie aus einem für das Heil seiner Brüder zitternden, betenden und arbeitenden Herzen hervorging. Schon seine äußere Erscheinung zeigte eine Schwermuth, wie sie jenen edlen und großen Herzen so eigenthümlich ist, welche, wenn sie auch selber in Treue und Ernst der Heiligkeit nachstreben und den Gottesfrieden in ihrer Brust tragen, doch im Hinblick auf Christum und im Bewußtsein der eignen Unvollkommenheit von einer heiligen Trauer erfüllt sind. Man sah an dem blassen, schwermüthigen Antlitze, daß, wenn Adolf Monod seine Zuhörer bei dem Gedanken an die Gerichte Gottes zittern machte, er selbst für sie zuerst gezittert hatte, und das milde Feuer, das aus seinen Augen strahlte, wenn er in seiner unnachahmlich schönen und einfachen Sprache von der Barmherzigkeit Gottes erzählte, offenbarte die Freude und die selige Gewißheit seines eignen Herzens, daß der Vater um Seines Sohnes willen dem aufrichtig bereuenden Sünder Gnade widerfahren lasse. „Als Vertheidiger der in Christo geoffenbarten Wahrheit,“ sagt sein Freund, Pastor Grand Pierre, „hatte er das Herz eines Löwen, er war unerschütterlich in seinen Grundsätzen, und doch zeigte er jedem Menschen, auch seinem Gegner, im Leben das Herz eines Lammes, die Einfalt eines kleinen Kindes; er vereinigte in seinem christlichen Charakter die so selten verbundenen Eigenschaften – männliche Energie und evangelische Sanftmuth.“ Kurz, A. Monod ist der große Redner nicht blos und nicht hauptsächlich durch seine großen Naturgaben, sondern weil er der wahrhaft große, d. h. der durch Christum geläuterte und wiedergeborne, für das Heil seiner Brüder erglühte Mensch war.

Niemand aber hat sich schöner über das, was der Grundgedanke seiner Predigt war und wie er das evangelische Predigtamt auffaßte, besser ausgesprochen, als er es selber gethan in jenen zwei Reden, mit denen er in Paris als Suffragant und als wirklicher Prediger auftrat. Lassen wir darum ihn selber sprechen.

In der am 31. Oktober 1847 bei seiner Einführung als Suffragant des Pastors Juillerat gehaltenen Rede (la parole vivante) sagt er: „Ich möchte nach dem Maße, das mir geworden, beständig die Betrachtung meiner Zuhörer auf die lebendige Persönlichkeit Jesu Christi richten; ich möchte weniger vom Christenthum, von seiner Lehre, seiner Moral und seiner Geschichte reden, als euch den Heiland selbst zeigen und geben. Ich möchte gern noch mehr. Ich möchte mich nicht damit begnügen, der Person Christi den ersten Platz zu geben; ich möchte aus ihr den Mittelpunkt und das Herz meines ganzen Predigtamtes machen; ich möchte sie in jedem andern Gegenstande sehen und jeden andern Gegenstand in ihr. Die Lehre mit Strenge und im Zusammenhang auseinandersetzen und mit Kraft vertheidigen, ist ohne Zweifel nützlich und oft nothwendig; aber ich möchte sie vor allen Dingen aus der Person Christi nehmen: das Erbarmen Gottes aus der Sendung Seines lieben Sohnes; das Geheimniß der Dreieinigkeit aus dem Wunder Seiner Geburt; das dem Glauben umsonst dargebotene Heil aus Seinen Heilungen; aus Seinem Tode den Fluch und zugleich die Sühnung der Sünde; aus Seiner Auferstehung das Unterpfand unserer Auferstehung; aus Seiner Himmelfahrt den Himmel, der sich aufthut, um die Seinigen aufzunehmen, diesen Himmel, dessen Herrlichkeit und Freude Er selber ist. – Es ist ferner gut, die Vorschriften der Moral zu erläutern, sie auf die ersten Prinzipien zurückzuführen, durch die Heilige Schrift zu rechtfertigen und dem Gewissen einzuschärfen; aber ich möchte dies Sittengesetz, damit es ein lebendiges Gesetz wird, vor allen Dingen gern in der Person Christi erforschen: die Liebe in Seiner Sendung, die Selbstverleugnung in Seinem Gehorsam, die Frömmigkeit in Seinen Gebeten, die Wahrheit in Seinen Reden, die Geduld in Seinen Leiden, die Heiligkeit in Seinem ganzen Sein und Wesen. Die biblische Geschichte ferner ist so wahr, so schön und belehrend wie keine andere; aber ich möchte vor allen Dingen gern die zerstreuten Glieder in der lebendigen Einheit der Person Christi verknüpfen, denn Er allein erfüllt alle Jahrbücher der Geschichte vor, während und nach Seiner kurzen Erscheinung auf Erden. – Es ist endlich gut, das Ansehn der Heiligen Schrift auf die Prophezeiungen, Wunder und Thaten zu stützen, weil sie jedem unbefangenen Gemüth die Autorität der Schrift beweisen; aber vor allen Dingen gern möchte ich auch hier geradeswegs auf die Person Christi verweisen, wie Er sich durch das geschriebene Wort kräftigt und diesem das Zeugniß gibt, welches Er von ihm empfängt, wie Er die Inspiration der Propheten anerkennt, die der Apostel verbürgt und so in der Praxis die schwierigsten Fragen der biblischen Kritik löst. Ja, mein göttlicher Heiland, nur in Dir möchte ich den Anfang, das Mittel und Ende meines Predigtamtes suchen! Du bist es, Dein Leben, Deine Person, Dein Geist, Dein Fleisch und Blut, nach welchem mich hungert und dürstet für mich und für die, welche mich hören! Du bist es, den ich auf diese Kanzel tragen, diesem Volke verkündigen, meinen Katechumenen lehren und in den Sakramenten austheilen will! Du, ganz Du, Du für immer!

Ganz abgesehen von den Gründen, die mich zu jeder Zeit bestimmen würden, die lebendige Persönlichkeit Christi vor allen Dingen hervorzuheben, finde ich noch einen besondern Grund in dem religiösen Erwachen, durch welches sich unsre Zeit auszeichnet. Gott hat sich unser erbarmt und unsrer Väter sich erinnert. Er hat allen protestantischen Kirchen das Evangelium Seiner Gnade, das auch sie in der allgemeinen religiösen Erschlaffung vergessen hatten, zurückgegeben. Er hat im Schoße der Reformation eine neue Reformation geschaffen. Dies Erwachen – brauche ich das noch zu sagen? – hat unsre ganze Sympathie. Denn es ist ein Erwachen, dem die Hand Gottes die Hoffnung der Kirche, die Keime einer bessern Zukunft anvertraut hat. Sein letztes Wort freilich hat dies Erwachen noch nicht gesprochen, namentlich ist die Betrachtung der lebendigen Persönlichkeit Jesu Christi noch zu sehr vernachlässigt worden. Wir haben noch immer zu sehr das geschriebene und nicht das lebendige Wort vor Augen gehabt; die ganze Bewegung ist bis jetzt mehr biblisch als geistlich gewesen. Die Rechte der Bibel hat mau in ihrer ganzen – soll ich sagen – Wahrheit oder Strenge anerkannt; man lehrt und predigt die Grundlehren des Evangeliums, besonders die freie Gnade Gottes im Heilswerke, klar und kräftig. Um die Erde dem Evangelio zu gewinnen, namentlich durch die Bibel zu evangelisiren, hat man mit einem Eifer, welcher dem sechzehnten Jahrhundert unbekannt war, über Land und Meer hin die Heilige Schrift verbreitet, so daß ein christlicher Denker sagen konnte, wie das erste christliche Jahrhundert das der Erlösung, das sechzehnte das der Reformation, so sei das neunzehnte das der Bibel. Das ist der Ruhm des jetzigen Erwachens.

Aber reich beladen mit den Früchten des geschriebenen Wortes, hat unsre Zeit in geringerem Grade die des lebendigen Wortes eingesammelt. Die Predigt verkündigt nicht selten mehr die christliche Lehre als Christum selbst; der Heilige Geist hat noch zu wenig das erstorbene Leben der wahren Christen erweckt; die Frömmigkeit hat noch zu viel Dogmatisches, zu viel Aeußerliches in ihren Zwecken, zu viel Lärmen in ihren Werken, zu viel Menschliches in ihren Mitteln. Indem man das Evangelium selbst bis ans Ende der Welt zu verbreiten sucht, müßte man zu gleicher Zeit die täglichen Obliegenheiten des häuslichen Lebens gewissenhafter erfüllen. Man hat zu sehr darauf gesehen. daß die Menschen die Lehre Christi annehmen, aber nicht genug darauf, ob sie Christum auch in ihrem Herzen aufgenommen haben und Ihn überall mit sich tragen. Wird der lebendige Christus nicht fleißiger bei uns einkehren, so wird man uns, so rechtgläubig wir auch sind, sagen können, was man dem kalten und verneinenden Christenthum vorgeworfen hat: „Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie Ihn gelegt haben!“

Sodann fehlt unserm Erwachen zu sehr der Trieb nach brüderlicher Einigung, überall tritt die Neigung hervor, sich wegen Dinge, die Gott nicht zur Hauptsache gemacht hat, zu trennen. Möchte doch Christus unter die erbitterten Streiter treten und ihnen zurufen: „Friede sei mit euch!“ Möchten doch Alle ihren Blick auf Ihn gerichtet haben und nur auf Ihn, auf die lebendige Persönlichkeit Christi! Man beklagt sich endlich, daß diesem Erwachen die Kraft der Evangelisation gebricht. Wahr ist allerdings, vielleicht ist die Evangelisation seit den apostolischen Zeiten nie so allgemein, so rein, so thätig und hingebend gewesen; aber der Erfolg steht in keinem Verhältniß zu den Anstrengungen und Opfern. Man sieht jetzt nichts Aehnliches wie in den Tagen der Reformation, wo die große Bewegung ganze Nationen mit sich fortriß. Sollte dieß daher kommen, daß die Welt jetzt so wenig Empfänglichkeit für das Evangelium besitzt? Oder sollte der Grund nicht vielmehr darin zu suchen sein, daß wir der Welt uns zu sehr mit dem geschriebenen Worte und mit der Idee, aber nicht genug mit dem lebendigen Worte und mit dem Leben genaht haben? Lehrbeweise liebt die Zeit nicht, gebt ihr in der Person des Heilandes etwas Direkteres, Ergreifenderes, Lebendigeres. Ihr habt eure Zuhörer nicht von der Bibel zu Jesus führen können; versucht es, sie von Jesus zur Bibel zu führen. Gebt ihnen die Bibel durch die Hand Jesu, als das Buch Jesu, und sie werden, wenn sie anders ein grades, offenes Herz haben, erkennen, daß Jesus des Menschen Ruhe, des Menschen Heil, der Gott des Menschen ist.“

Dieselben Gedanken, welche die deutsche evangelische Welt sich gleichfalls sagen und zu Herzen nehmen muß, führt Monod in der zweiten Rede, die er am 5. August 1849 am Tage seiner Einführung als Pastor der reformirten Kirche zu Paris hielt, (la vocation de l’Église) noch weiter aus. Auch ihr entnehmen wir einige, sowohl A, Monod charakterisirende, als auch in unsern Tagen sehr beherzigenswerthe Gedanken über den Beruf der Kirche.

„Wie Christus der Fleisch gewordene Gott ist, so soll die Kirche der Fleisch gewordene Christus sein. Sie muß Gott lieben, wie Jesus Christus den Vater liebte; sie muß die Brüder also lieben, daß die Welt unwillkürlich ausrufen muß: „Sehet, wie haben sie einander so lieb!“ Sie muß endlich ein solches geistiges und geistliches Leben entwickeln, daß der Herr ihr wie der Kirche der ersten Zeit Tag für Tag tausend wahrhaft Bekehrte zuführt. Dies Glück kann ihr aber nur werden, wenn sie Jesu Leben, dies reiche Leben des Gehorsams, der Liebe und der Aufopferung, wieder lebt. Das würde ihr die Herzen auch ohne Worte gewinnen; zu dieser Insel der Heiligkeit, der Liebe und des Friedens würden aus dem Ocean der Sünde, der Selbstsucht und der Unruhe die Menschen eilen wie zu einem zweiten Eden; vor diesem Beweise des Geistes und der Kraft wären keine Zweifel und Einwürfe möglich. Mit solchen Bundesgenossen wäre die Kirche allmächtig; eine solche Kirche gibt der Predigt der Apostel mehr, als sie von ihr empfängt, – Seien wir Erben der ersten Kirche, und zwar nicht blos ihrer Lehre, sondern auch ihrer Werke, nicht blos Nachahmer ihres Glaubens, sondern auch ihrer Liebe. Klagen wir nur nicht ohne weiteres unsre Zeit der Lieblosigkeit und des Unglaubens an; schlagen wir an unsre eigne Brust. Unsre Zeit ist wahrlich nicht unempfänglich, sie muß nur von den Gläubigen Thaten sehen, den Geist Christi in dem Leben der Frommen spüren. Es gibt viele aufrichtige, nach der Gerechtigkeit hungernde und durstende Seelen; aber sie sind zaghaft, ihnen fehlt die Thatkraft, die Entschlossenheit voranzugehen; sie erwarten nur ein Zeichen, um sich zu erheben und ohne Rückhalt ihrem göttlichen Meister zu ergeben. Hören sie nur von einer noch so kleinen Gesellschaft reden, die es sich angelegen sein läßt, aus diesem göttlichen Leben eine geistige Realität, aus diesem brüderlichen Leben eine kirchliche Realität, aus diesem Missionarleben eine sociale Realität zu machen, so sollt ihr sehen, sie fliegen euch zu, wie die Eisentheilchen dem Magnet, der sie anzieht. Die Herzen sind bereit, es braucht nur ein Weg gebahnt, ja nur ein Zeichen gegeben zu werden. Darum die Hand ans Werk! Nur Eins thut noth – ein Herz voll Glaube und Hingebung, ein Glaube ohne Wanken und Schwanken, eine Hingebung ohne Rückhalt und ohne jegliche Selbstsucht. Wesley forderte nur zehn wahre Methodisten, um England zu erneuern; von zehn wahren Protestanten hoffte ich eben so viel für die reformirte Kirche Frankreichs. Möchten sich doch alle evangelischen Christen zu dem gemeinsamen Werte einer innern Neubelebung der Kirche die Hand reichen! In allen Kirchen und Confessionen findet sich ein Volk Gottes, klein an Zahl, aber groß an Glauben und Liebe, jenes Volk Gottes, das die Kirche der Zukunft, die geistige, brüderliche, missionäre Kirche, herbeizuführen trachtet. Möchte diese neue Ordnung der Dinge kommen! Nach ihr seufzt die ganze Christenheit.“

Ueber die Veränderung, welche durch seine Ernennung zum Pastor in seiner Stellung eintrat, spricht sich Monod in dieser Rede also aus: „Die einzige Veränderung, welche dieser Tag (5. August 1849) in meiner Stellung hervorbringt, ist die, daß ich aus einem Prediger (prédicateur) ein Pastor werde, und damit vom Worte mehr zum Thun, oder vielmehr, da ich die Theorie nie von der Praxis getrennt habe, von der action individuelle zur action collective übergehe. Als Prediger mußte ich die Gläubigen zu bilden, als Pastor muß ich die Kirche zu entwickeln, zu verbessern, und, wenn sich die Gelegenheit bietet, zu reformiren suchen. Diese Aussicht erschreckt und erfreut mich zu gleicher Zeit. Sie erschreckt mich wegen der Ausdehnung, die mein Amt von jetzt an erhält, denn es steigt von der christlichen Kanzel herab, um sich auf der Straße, im Hause, im Leben zu bethätigen; aber sie erfreut mich zugleich, weil mich nach der öffentlichen und lebendigen Anwendung der Lehre, die ich verkündige, verlangt. Uebrigens kann die Predigt dadurch nur gewinnen. Ich fühle täglich mehr, daß, wie Vinet sagt, eine Rede in Wahrheit nur dann etwas nützt, wenn sie zugleich eine That (action) ist. Ihr Alle fühlt es mit mir: Schöne Reden sind, Gott sei Dank, auf der christlichen Kanzel wie auf der politischen Tribüne nicht mehr Mode; man verlangt von uns eine einfache Ermahnung, die, schön durch ihre Wahrheit und reich an Heiligkeit, gradeswegs zum Ziele hinstrebt und das Evangelium von der Höhe der rednerischen Kunst zu der Wirklichkeit des Lebens hinabsteigen läßt.

Das evangelische Predigtamt ist nach dem Evangelio ein Dienst, nicht eine Autorität; wenn der Hirt seiner Heerde vorangeht, so geschieht es nicht, um sie zu regieren, sondern um im Namen und im Interesse aller Glieder der Kirche die Gnaden, welche Gott der ganzen Kirche gespendet hat, zu verwalten. Groß durch seine Demuth, wie das Werk des Hirten der Hirten, der nicht gekommen ist, sich dienen zu lassen, sondern selber zu dienen, wird das evangelische Hirtenamt seine Aufgabe um so vollkommener erfüllen, als es geneigt ist, vor der Kirche zu verschwinden und von sich sagt, was Johannes der Täufer von seinem Meister und Herrn sagt: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.“ Ich will mich bestreben, ganz meiner pastoralen Wirksamkeit zu leben; so viel ich kann, will ich von Haus zu Haus das Wort Gottes bringen und es auf alle Bedürfnisse eurer Seele und eures Gebens anwenden; ich will für euch beten und durch inbrünstiges Flehen dahin trachten, daß der Same des göttlichen Wortes, den ich mit meinen schwachen Händen ausstreuen werde, in euren Herzen aufgehe. Und das Alles will ich thun ohne Schmeichelei und Menschenfurcht und ohne Parteilichkeit, ohne daß ich die Reichen den Armen, oder die Armen den Reichen vorziehe. Doch, ich wage nicht zu sagen, daß ich es thun werde, ich habe zu sehr gelernt, mir selber zu mißtrauen; aber ich habe wenigstens den Willen, es zu thun, und bitte Gott, Er möge in Seiner Gnade meine Kraft stärken. Er weiß, daß ich meine Aufgabe mit Ernst erwogen habe, daß ich mit Ernst an ihre Lösung gehe, und ich hoffe, ihr wißt es auch; ich glaube in eurem Gewissen das Zeugniß zu lesen, welches es mir gibt, und sollte Jemand unter euch anstehen, es mir zu geben, so will ich es ihm durch mein Leben abzuringen suchen. Von der Wahrheit, wie ich sie gefaßt habe, von der Lehre der Gnade Gottes, auf der das Evangelium und unsre Kirche ruht, von dieser weitherzigen und geistigen Auffassung der Wahrheit, in der ich durch das Forschen im Worte, durch die Unterweisung des Geistes und durch die demüthigende Erfahrung meines Lebens etwas gelernt zu haben glaube, werde ich fürder nimmer weichen. Zugleich sollt ihr, deß bin ich gewiß, erkennen, daß ich die Wahrheit in Liebe üben werde und daß ich nach der Treue in meinem Amte nichts lieber habe als Eintracht und Frieden. Nehmt mich mit dem Vertrauen auf, mit dem ich euch entgegenkomme.“

„Ich komme zu euch “, spricht er an einer andern Stelle, „mit der Liebe Gottes im Herzen. Ich will die Gewissen nicht einschläfern, sondern zu ihrem Heil aufwecken. Ich will die Sterbenden nicht selig sprechen, sondern die Lebenden retten. Wie glücklich wäre ich, o wie glücklich, könnte ich euch alle wie einen einzigen Menschen in meine Arme und an mein Herz schließen, um euch in die sichersten Arme und an das treueste Herz zu legen.“ Und für sich selber betete er: Stütze mich, o Herr, durch Deine Gnade; und während die wahren Christen das Vorbild der Heerde sind, so mache mich, den Hirten, zum Vorbild der Christen! Mache mich wie den Timotheus zum Vorbild der Gläubigen in Worten und im Wandel, in der Liebe, im Geist, im Glauben, in allen Dingen. Lehre mich über mich selbst wachen und über die ganze Heerde, über die der Heilige Geist mich zum Hirten bestellt hat, damit ich Deine Gemeinde weide, die Du mit Deinem Blute Dir erworben hast. Lehre mich meine Arbeiten verrichten wie ein guter Streiter Christi; lehre mich gern leiden, wenn nur Dein Wort nicht gebunden ist; laß mich mein Leben nicht für kostbar achten, wenn ich nur in Freuden vollende meinen Lauf und das Amt, welches ich von unserm Herrn Jesus empfangen habe, die frohe Botschaft Seiner Gnade zu verkündigen, auf daß ich, nachdem ich das Evangelium durch meine Rede gepredigt und durch mein Leben bewiesen habe, wenn Du mich aus dieser Welt abrufst, vor meinem Sterbebette alle Häupter dieser Gemeinde versammeln und ihnen an der Gränze der Ewigkeit mit Paulus in Wahrheit sagen kann; „Ihr seid mir deß Zeugen, daß ich die Pflicht eines treuen Hirten erfüllt habe; ich bin rein von eurem Blute und dem Blute der Eurigen.“

Die Aufgabe aber, die sich Monod mit solcher Klarheit und Entschiedenheit stellte, nämlich durch seine Predigt und durch sein Leben seinem Heilande Seelen zu gewinnen, hat er bis zu seinem Tode mit dem ganzen Ernste und der vollen Treue eines Jüngers Jesu Christi erfüllt. Monod wurde aber auch in seinem Vertrauen und in seinen Erwartungen nicht getäuscht. Mochte Monod im Oratoire oder im Penthémont predigen, die Kirche war schon lange vor dem Beginne des Gottesdienstes gefüllt; Katholiken wie Protestanten eilten herbei, und Viele fanden keinen Platz mehr in den überfüllten Räumen. Und wie Vielen gab Monod in seinem Hause Lehre, Trost und Unterstützung. Dies Haus in der stillen Straße Lateur d‘ Auvergne war von französischen Protestanten wie von Reisenden aus allen Ländern, besonders von Engländern, vom Morgen bis zum Abend aufgesucht. Die Einen kamen, um den musterhaften Seelsorger, die Andern, um den berühmten Redner zu sehen, und Alle schieden mit dem Gefühl, einen edlen Mann und wahren Christen kennen gelernt zu haben.

Manche haben sich über den Eindruck, den Monod auf sie als Kanzelredner machte, ausgesprochen; wir wollen nur Dr. Ebrard hören, der den Redner in der reformirten Kirchenzeitung vom Jahre 1852 besonders treffend charakterisirt hat. Nicht etwa pikante Gedanken, frappante Wendungen, nicht Glanz der Rhetorik, Pracht der Sprache, hinreißender Strom der Bilder, ebensowenig ein künstlicher, oder was man so nennt, brillanter Vortrag war es, der sich in Monod’s Reden zur Schau stellte. Der Vortrag war wie der Stil und der Stil wie der Mann: schlicht, demüthig, einfach und natürlich, aber kraftvoll, Mark und Bein durchdringend, nicht trotz jener Schlichtheit und Wahrheit, sondern durch dieselbe.

„Monod ist schon durch natürliche Begabung einer der geistvollsten Menschen. Nicht überraschende gute Einfälle sind es, mit denen er wie mit Perlen das Gewand seiner Rede stickt, – wenn das geistreich heißt, so sind Viele geistreich; sondern bei ihm wirken alle Geistesthätigkeitem Gedächtniß, Gelehrsamkeit, Combinationsvermögen, Tiefsinn, Scharfsinn in glücklicher Harmonie zusammen. Der Zuhörer oder Leser geräth allerdings aus einer Ueberraschung in die andere durch die sprudelnde Fülle neuer, treffender Gedanken, Gesichtspunkte, Blicke; aber es sind nicht etwa blendende Gedanken, die hinterher bei näherer Besichtigung wie Seifenblasen zerrinnen, sondern es sind gehaltvolle, tiefbegründete Gedanken, deren je einer Stoff genug bietet, um Stunden lang darüber nachzudenken, deren je einer oft über ganze Partien der Heiligen Schrift ein nie geahntes Verständniß eröffnet. Denn – und das ist die Hauptsache – diese Gedankenfülle ist nicht etwa mühsam zusammengeholt, sondern man fühlt und sieht, wie die Gedanken dem Manne zuströmen, wie so ganz natürlich einer aus dem andern fließt und hervorwächst; aber das kommt freilich daher, daß Monods Predigten auf dem treusten, gründlichsten wissenschaftlichen, exegetischen und dogmatischen Studium ruhen.

„Zu dieser Geistesfülle gesellt sich bei A. Monod eine seltene Schönheit und Reinheit des Stils. Die französische Sprache hat an sich etwas Kaltes, in seinem Munde wird sie zur Sprache der Herzlichkeit; sie hat etwas Rhetorisches, zu Bombast Verlockendes, in seinem Munde wird sie schlicht, und bei all dieser Schlichtheit ist seine Rede doch wie von Blitzen durchzuckt, welche zünden und einschlagen. Gewandt und treffend, anmuthig und einschlagend, zwanglos und markig, schlicht und hinreißend ist seine Diktion; es ist hier vereint, was sich sonst nur selten vereint findet. Und ebenso sein Vortrag. Man denke sich einen nicht sehr großen Mann, Herzensgüte und christliche Liebe mit Feuer und Energie in seinen Mienen gepaart, von Natur mit einer nicht gerade starken, aber merkwürdig reinen, klangreichen Stimme begabt; er besteigt sehr anspruchslos die Kanzel und beginnt nun ganz zwanglos zu reden, nicht wie Einer, der eine Predigt halten will, sondern wie Einer, der gar viele heilsbedürftige und heilsdurstige Sünder und Mitgenossen der Gnade vor sich sieht und nun mit ihnen sich über das, was ihm das heiligste und Theuerste ist, unterhalten will. Mit dem Inhalte wird seine Rede lebhafter und ernster, von willkürlichen, gemachten oder gar theatralischen Modulationen der Stimme keine Spur, ebensowenig von nicht überwundenen üblen Gewohnheiten und unschönen Manieren.“

Das lebendige Wort, wie es von den Lippen dieses von seinem Gegenstande ganz durchdrungenen Mannes strömte, hob natürlich den Eindruck der Reden Adolf Monod’s; aber daß die äußere Beredsamkeit nicht den Mangel der innern Gediegenheit verdeckte, sondern daß der innere Werth den großen, bleibenden Eindruck dieser Reden hervorbrachte, dafür zeugt unwiderleglich die Wirkung der Worte Monod’s auf den Leser seiner Reden. Und nicht minder bezeichnend ist ferner, daß die Reden Monod’s uns nicht nur zu einmaligem Lesen einladen, sondern daß wir gern zu ihnen zurückkehren, ja die meisten uns bei wiederholtem Lesen mehr und mehr ansprechen. Namentlich ist die Fülle tiefer und feiner Züge aus dem Seelenleben des Menschen in jeder Rede so groß, der Reichthum feiner, geistvoller und praktischer Bemerkungen so unerschöpflich, daß auch der aufmerksamste Leser nicht im Stande ist, jeden dieser vielen einzelnen das Leben charakterisirenden Züge beim ersten Lesen in seiner ganzen Bedeutsamkeit zu würdigen.

Ja, in dieser Beziehung verdienen sie ganz besonders von unsern Predigern studirt zu werden. Es ist eine alte Klage, daß unsere deutsche Kanzelberedsamkeit im Allgemeinen an einer gewissen Einförmigkeit der Ideen leidet und der Kreis der behandelten Gegenstände ein gar zu beschränkter ist. Unsere Prediger bleiben oft zu sehr im Allgemeinen und Abstrakten, sie tadeln Zweifel und Unglauben, verfolgen aber die Seelenzustände des Zweiflers und des Gläubigen zu wenig in ihrem Entstehen und in ihrer Vollendung; sie schildern mehr die traurigen Folgen des Nihilismus und des Materialismus im häuslichen wie im öffentlichen Leben, als daß sie durch die Darstellung des innern Glückes, des innern Befriedigtseins und der reichen gesegneten Wirksamkeit eines Jüngers Jesu Christi die schwankenden und unbefriedigten Seelen zu gewinnen trachteten. Das Evangelium erhielt dann gar leicht etwas Herbes, Kaltes und Erkältendes, die Dogmatik etwas Nüchternes und Todtes, während sie in Monods Munde stets etwas Gewinnendes, Lebendiges, Praktisches, aus dem Herzen Kommendes und zum Herzen Dringendes hat. Die Dogmen sind bei ihm nicht etwas durch den Buchstaben der Schrift oder der Glaubensbekenntnisse Gebotenes, sondern Wahrheiten, die Jeder, der sich redlich selbst prüft und es ehrlich mit seinem Seelenheile meint, in ihrer rettenden und beseligenden Kraft anerkennen muß, Predigten wie Nathanael, die großen Seelen, das Glück des christlichen Lebens und andere bekämpfen den Irrthum besonders dadurch so kräftig, daß sie dem Elende und der Ohnmacht des Ungläubigen gegenüber die Glückseligkeit und die weltüberwindende Kraft des in Christo Wiedergeborenen in überwältigender und zugleich gewinnender Weise darstellen. Sie beweisen durch die Analyse der Seelenzustände auf einfache und überzeugende Weise die Tiefe, die Gewißheit und die Kraft der christlichen Heilswahrheiten. Wie der Beweis des Geistes und der Kraft geführt werden muß, zeigt Monod dem christlichen Kanzelredner wie kaum ein Anderer unter den Rednern der neueren Zeit. –

Kehren wir noch einmal zu Monods Leben und zwar zu seinen letzten Lebenstagen zurück; denn wer könnte von diesem Manne sprechen, ohne seines Todes zu gedenken! Die Geschichte der christlichen Kirche führt uns an wenige so ergreifende Krankenlager. Monod hat nie so erschütternd die weltüberwindende Macht des Evangeliums gepredigt wie in jenen Monaten, als ein unsäglich schmerzhaftes Leiden ihm nur noch erlaubte, seine Predigt durch seinen Duldermuth und seine Gottergebenheit zu bestätigen.

Lassen wir auch hier einen Augenzeugen sprechen. Krummacher, der 1855 der Versammlung des evangelischen Bundes zu Paris beiwohnte, berichtet uns in seiner Sabbathglocke über diese schreckliche und doch wieder so erhebende Leidenszeit Adolf Monods. „Einen der bewährtesten und begabtesten protestantischen Christen Frankreichs, den ersten kirchlichen Redner seiner Nation, trafen wir auf dem Krankenbette an, von welchem er, ärztlicher Aussage nach, seine Himmelfahrt halten dürfte. Dieser Umstand breitete einen Trauerflor über unsere Versammlungen aus; doch träufelte er auch nährendes Oel in die Beterglut der brüderlichen Liebe. Die Stunden, die ich mit dem Missionar Ostindiens, dem trefflichen Dr. Duff, an dem Schmerzenslager jenes theuren Bruders zugebracht, nenne ich die erhebendsten, die seligsten und gesegnetsten meines ganzen Aufenthalts in der Weltstadt. Sein Angesicht leuchtete wirklich wie eines Engels Angesicht. Als wir uns in Klagen zu ergießen begannen, daß er uns hier und nicht mehr auf dem Felde seiner so reich gesegneten Wirksamkeit begegne, lächelte er und schien uns durch seine Mienen zu fragen, ob wir das Wort nicht kennten: „Es sind auch eure Haare auf eurem Haupte alle gezählt.“ Er wußte, daß die Aerzte nicht eben viele Hoffnung mehr auf seine Wiedergenesung setzten; aber er glaubte an den Tod nicht mehr, weil der Herr bezeuge: „Wer da lebt und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Wie war seine Stirn so wolkenfrei und klar, und wie floß sein Mund nur von Ergüssen des Glaubens, der Ergebung und der Liebe! Wir knieeten bei seinem Lager und beteten mit einander, selig in lebendigster Erfahrung des erfüllten Verheißungswortes: „Wo Zwei oder Drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Er betete dann, unbehindert durch die brennenden Schmerzen, die ihn nicht einen Augenblick verließen, mit kräftig gehobener Stimme selbst, und – welche demüthige, goldgrundig lautere und geheiligte Seele sahen wir in der Weihrauchwolke des Gebets sich himmelwärts schwingen! – Sollte es dem Herrn gefallen, den geliebten Bruder heim zu rufen, so sage ich und werde immer sagen: „Mein Ende sei wie dieses Gerechten Ende!“ Sagt Alle getrost mit mir dasselbe: denn man kann nicht friedsamer und seliger an des Todes Thüren liegen, als wir ihn da gebettet sahen. In der Versammlung verbreitete sich die Kunde, wen es dränge, den kranken Bruder auf seinem Siechbette mit einem Gruße der Liebe zu erfreuen, der finde dazu ein Blättchen in der Sakristei in den Händen der Vorstandsglieder des evangelischen Bundes. Bald waren die Blätter alle vergriffen, und theils schon an demselben Abend, theils am folgenden Morgen kamen sie zurück, mit feurigen Liebeszügen bedeckt, auch wohl getränkt mit Thränen. Gebetlein standen darauf, herzliche Danksagungen, Worte des Trostes, Liebessprüche, Verslein rc., und ich denke, sie werden dem kranken Bruder einige Erquickungen gebracht haben. Mir kamen diese Blatter vor wie frische Frühlingsblätter, am schönen Baume der Gemeinschaft der Heiligen getrieben, und in dieser Gemeinschaft zugleich als liebliche Zeugen, daß von der apostolischen Kirche doch noch etwas auf Erden gesunden werde.“

Diese entsetzliche Krankheit währte zwei Jahre. Die ersten sechs Monate widmete er einer gezwungenen Unthätigkeit und einer peinlichen Ruhe; die folgenden sechs Monate gehörten wieder trotz der unaufhaltsam fortschreitenden Krankheit seinem Amte; fast ein ganzes Jahr war er dann noch bei immer steigenden Schmerzen an sein Krankenlager gefesselt. Ende September 1855 erkannte Monod die Gefahr, in welcher er schwebte, er bestellte sein Haus und schloß sich nun um so inniger an Gott und seinen Erlöser an. Auch in den letzten neun Monaten, wo er sein Bett nicht mehr verlassen konnte und den Tod langsam, aber sicher herankommen sah, zeigte er unter brennenden Schmerzen stets dieselbe ruhige und heitere Unterwerfung unter Gottes Willen, unter den Willen eines erbarmungsvollen und weisen Vaters. Was der Glaube an den Erlöser, die Liebe zu Gott, die Kraft des Glaubens und die Hoffnung des ewigen, seligen Lebens vermögen, hat Adolf Monod wie kaum ein anderer Märtyrer der Kirche gezeigt. In dem Grade, wie der äußere Mensch zerstört wurde, wuchs der innere Mensch, wurde er stark in Jesu Christo. Er war nie beredter als auf dem Lager der Schmerzen, nie stärker als auf dem Lager der Schwäche; er, der für seine eignen Prüfungen alles Muthes bedurfte, ermuthigte Andere; in dem halb erstorbenen Leibe lebten und arbeiteten die Kräfte des Geistes und der Seele ungeschwächt weiter; als seine Hand keinen Buchstaben mehr zu schreiben vermochte, hatten seine Worte nichts von ihrer Kraft und Klarheit verloren. Als seine Familie am 6. Oktober 1855 sein Sterbebett umgab, sprach er; „Wenn ich den Himmel offen sähe und Gott mir sagte; Komm, ich erwarte dich – ich könnte nicht ruhiger über meine Zukunft und meine Seligkeit sein, als ich es jetzt bin.“ In dieser Zeit äußerte ein Amtsbruder, wie das heilige Abendmahl ein stärkendes Gnadenmittel sei, es würde ihm auf seinem Schmerzenslager zur höchsten Erquickung gereichen. Der Kranke folgte dem Rath und ließ sich nun jeden Sonntag das heilige Mahl reichen, an dem bald auch einige Freunde Theil nahmen. Vom 14. Oktober 1855 an richtete er an die Versammelten einige Worte und setzte dies ohne Unterbrechung bis zum 30. März 1856 fort. Prediger der verschiedenen evangelischen Kirchengemeinschaften, Reformirte, Lutheraner, Independenten, Wesleyaner, administrirten bei diesem Feste der brüderlichen Liebe am Krankenbette ihres sterbenden Bruders. Dreißig bis vierzig Personen feierten so das heilige Mahl in seinem Zimmer mit Gebet, Gesang, Bibellesen und Austheilung des Sakraments; dann ergriff Monod, nicht als Prediger und Redner, sondern als ein sterbender Bruder ohne lange Vorbereitung das Wort und sprach oft mit der Lebendigkeit und Kraft wie ehemals in gesunden Tagen, immer aber mit einer Wirkung, wie sie der beredte Mann schwerlich jemals auf seiner Kanzel geübt hatte. In den letzten Wochen erlaubten es die abnehmenden Kräfte dem Leidenden nicht, die Abendmahlsgenossen eine Stunde lang in seinem Zimmer zu empfangen; der administrirende Pastor brachte dem Kranken dann die geistliche Nahrung an sein Bett und darauf traten alle vor das Krankenlager, um Monods Worte des Trostes, der Belehrung und der Ermahnung zu vernehmen. Oft sprach er unter heftigen Schmerzen und litt jedesmal in der Nacht vom Sonntag auf den Montag um so heftiger. Er wußte dies, aber er ergab sich gern darein. „Ich leide sehr,“ sagte er eines Sonntag Abends, in der Nacht vom Sonntag auf den Montag, „aber es muß so sein; es ist ein Opfer, welches ich meinem Gott gern bringe.“ In einem Gebete sagt er. „Wenn ich auch jede Woche durch ein verdoppeltes Leiden das Vorrecht erkaufen muß, Dein Wort zu verkündigen, Dein Wille geschehe und nicht der meinige.“ Vier Wochen vor seinem Tode sprach er noch den Wunsch aus, Gott möge ihm bis zu seinem Ende die Gnade erweisen, Ihn zu verherrlichen und zu preisen. Diese Gnade wurde ihm zu Theil. Am Osterfeste, 23. März, hielt er seine letzte längere Rede über die Auferstehung Christi, und am 30. März raffte er die letzten Kräfte zusammen, um die ewige, unendliche Liebe Gottes zu preisen, und beschloß so in einem feurigen Dankgebete seine Predigt und sein Predigtamt auf Erden, beschloß es wie sein Meister und Herr mit einem priesterlichen Gebete. In einer Predigt am Weihnachtsfeste 1854 sprach Monod: „Wenn unter dem mannigfachen Kreuz, das euch der Herr zu tragen gibt, eins ist, das euch, ich will nicht sagen, schwerer als die andern zu tragen scheint, sondern euch für euren Dienst störend, ja todbringend für alle Hoffnungen eures heiligen Berufs erscheint, wenn sich die äußere Versuchung zur innern gesellt, wenn Alles, Leib, Geist und Seele, elend, kurz, wenn Alles unrettbar verloren scheint, so nehmt auch dieses Kreuz oder diese Kreuzeslast in einem besonders demüthigen, hoffenden und dankbaren Sinne hin als ein Leiden, in welchem euch der Herr einen ganz neuen Beruf will finden lassen; begrüßt es als die Quelle des Dienstes der Trübsal und der Schwachheit, welchen Gott als den besten und schönsten für das Ende aufgespart hat und den Er reichlicher mit den Früchten des Lebens segnen will, als je vorher euren Dienst der Kraft und Fülle.“ Dies Wort sollte sich an Monod selbst bewähren. Seinem Predigtamte fehlte nichts als das Siegel dieser letzten furchtbaren Krankheit; wer ihn in den Tagen seiner Kraft gehört und nachher in den Tagen der Schwache gesehen hat, der kann sagen, ob der Prediger in der Fülle körperlicher Gesundheit und aller Freiheit seines Geistes wirksamer und segensreicher zu seinem Herzen geredet hat oder der leidende und sterbende Christ. „Unsre menschliche Natur,“ sagt Köstlin so schön und wahr, „hegt freudige Bewunderung für Männer, welche einer augenblicklichen Todesgefahr, wenn ein höherer Beruf es fordert, mit festem Muthe sich entgegenwerfen. Als etwas noch höheres verehren wir es, wenn Einer, wie der edelste griechische Philosoph, in einer ruhigen Erwartung des sicheren, unmittelbar bevorstehenden Todes auch von keiner innern Aufregung in der schönen sittlichen Harmonie seines Innern und in der Offenbarung desselben seinem Nächsten gegenüber gestört wird. Hier aber haben wir ein Beispiel, wo der gleichsam schon zum Tode verurtheilte noch eine Zeit des Wartens, die Leidenden sonst endlos lang zu sein dünkt, zu bestehen hat, und doch, während seine Lage für jeden theilnehmenden Beobachter etwas peinlich Spannendes haben mußte, nie in eine unnatürliche Steigerung seiner Stimmung verfällt.“

Ehe am Sonntag, den 6. April 1856, die Stunde der Versammlung gekommen war, und während in den reformirten Kirchen, wie seit mehreren Monaten, für den sterbenden Bruder und Pastor gebetet wurde, hatte der fromme Dulder Nachmittags bald nach ein Uhr ausgelitten und der Herr seine Bitte erhört: „Que ma vie ne s’éteigne qu’avec mon ministère, et que mon ministère ne s’éteigne qu avec ma vie.“ Die evangelische Kirche Frankreichs zählt viele Märtyrer, die in den Flammen des Scheiterhaufens und unter den Qualen der Tortur ihr Leben ausgehaucht haben; in Adolf Monod erhielt sie einen neuen Märtyrer aus jener Klasse, die auf einem langen Schmerzenslager der Welt lehren, was der Glaube an Christum, die Liebe zu Christo und die Hoffnung auf Christum vermögen. –

Die Worte, welche Monod in jenen Schmerzenstagen von seinem Sterbebette aus gesprochen hat, wurden von seinen Kindern, gleich nachdem sie geredet waren, nach dem Gedächtniß aufgezeichnet und sind unter dem Titel: „Les Adieux d‘ Adolphe Monod“ gedruckt worden: – ein theures, reich gesegnetes Vermächtniß des großen Redners, ich will lieber und richtiger sagen, des großen Christen, des demüthigen Jüngers Jesu Christi!

Am Tage des Begräbnisses, dessen Kosten, wie ehemals bei seinem Vater, der Presbyterialrath der reformirten Kirche zu Paris übernommen hatte, Dienstag den 8. April, 1 Uhr Nachmittags, fand der Gedanke, der ihn sein Lebenlang beseelt hatte, und den er in der Stiftung des evangelischen Bundes und in der von Reformirten, Lutheranern und Independenten an seinem eignen Sterbebett gemeinschaftlich gefeierten Communion so ergreifend verwirklicht sah, der Gedanke der Einigung der verschiedenen äußern Gemeinschaften der evangelischen Kirche einen schönen Ausdruck. Nicht blos daß trotz des strömenden Regens und des heftigen Windes aus allen Kreisen der Gesellschaft die von Adolf Monod auf den Weg des Lebens geführten und geleiteten Gläubigen, selbst viele Frauen, zum Trauerhause eilten, sondern alle Geistlichen der verschiedenen evangelischen Kirchen von Paris fanden sich im Trauerhause und auf den Friedhofe Père-Lachaise ein, wo sich das Familienbegräbniß befindet, und am Grabe selbst sprach nicht blos Juillerat, der Präsident des reformirten Consistoriums, sondern auch Cuvier, der Präsident des Consistoriums der Augsburger Confession, und Edmund v. Pressensé als Vertreter der Independenten. Sie alle sprachen es aus, wie sie nicht blos den Glanz der seltenen Talente Adolf Monods, die Macht seines Wortes, den tiefen Ernst seines Lebens und die Stärke und Innigkeit seines Glaubens bewunderten, sondern sich auch im Grund des Glaubens mit ihrem heimgegangenen Bruder einig fühlten.

„Wir haben nie mehr gefühlt“, sagt Coquerel, der Jüngere, der mit seinem Vater mehr die rationalistische Richtung in der reformirten Kirche vertritt, „wir haben nie mehr gefühlt, daß Gott, Christus und das Evangelium, die uns vereinigen, größer und mächtiger sind als die Dogmen, welche uns trennen. Am Grabe Adolf Monod’s und seines Vaters, in der Mitte seiner Brüder, seines einzigen Sohnes, auf den sich Aller Blicke mit tiefer Theilnahme richteten, in der Mitte dieser zahlreichen, in allen ihren Gliedern so achtungswerthen Familie, die unsrer Kirche schon drei Geschlechter von Pastoren gegeben hat, von denen einer als Opfer der Treue kurz vorher in der Krimm seinen Tod gefunden hatte, fühlten wir uns alle wahrhaft als Brüder im Schmerze und in der Trauer, im Glauben und in der Hoffnung.“ Und Cuvier, der Präsident des Consistoriums der Augsburger Confession, sprach am Grabe: „Wir weinen mit euch, den Brüdern der reformirten Kirche, unser Schmerz ist dem eurigen gleich; auch wir haben Theil an dem gesegneten Einfluß. den er ausübte; das Gute, was er vollbrachte, ist unser gemeinsames Erbe. Wir theilen mit euch die Früchte seiner evangelischen Thätigkeit, des Vorbildes in der Treue und Festigkeit seines Glaubens, und der Inbrunst in Hingabe seines Eifers, im Vertrauen auf Gott inmitten schwerer Leiden, in der Liebe für unsern Erlöser, in dem Frieden, mit welchem er dem Tode entgegensah, und in der Freude und Hoffnung, mit der er seinen Geist in Gottes Hände befahl.“

Die ganze evangelische Kirche Frankreichs fühlte sich tief erschüttert bei der Nachricht, daß Adolf Monod in der Kraft und Reise seiner großen Gaben ihr entrissen sei. Seit Vinet, der schon im Alter von fünfzig Jahren abberufen wurde, hatte die reformirte Kirche Frankreichs in keinem ihrer Pastoren eine solche Vereinigung glänzender Talente, tiefer Demuth und frommen Lebens gesehen, und nun wurde ihr auch Monod so früh im Alter von 54 Jahren entrissen; ja fast zu derselben Zeit starb ihr noch ein zweiter durch Beredsamkeit und evangelischen Lebenswandel hervorragende Geistliche, Verny, schon im 49. Lebensjahre, und zwar im wunderbaren Gegensatze zu Adolf Monod ohne Krankheit, ohne Schmerz und Todesqual, in der Mitte einer feurigen, begeisterten Rede auf der Kanzel der Thomaskirche zu Straßburg am 16. Oktober 1854 vom Schlage getroffen. Wer wird die Lücken ausfüllen, wenn Gott uns die Besten und Stärksten, die, welche uns als Führer vorangingen, entreißt? fragte die evangelische Kirche Frankreichs in ihrer Klage; aber vom Grabe solcher Männer her stärkt der Anhauch ihrer Kraft; das Bewußtsein, solche Todte sind nicht gestorben, sondern sie leben in Gott, leben im Herzen der Gläubigen, leben durch ihr Leben und ihre Werke in der Kirche fort, ermuntert und stärkt die Lebenden, keine unfruchtbaren Thränen zu weinen und nicht zu klagen als Solche, die keine Hoffnung haben. sondern in den Wegen solcher Glaubenszeugen zu wandeln und das Werk derselben bis zu dem Tage der eignen Ruhe und des Widersehens mit gottvertrauendem Muthe fortzusetzen. Alle, die mit nassem Auge an Adolf Monod’s Grabe standen, erfüllte die Zuversicht, daß, so mächtig durch Gottes Gnade auch die Predigt des heimgegangen auf der Kanzel und im Leben gewesen, die Predigt seines Todes für alle Zeiten noch mächtiger sein und in der Kirche fortleben werde. Ein Jahr vor seinem Tode, grade an seinem Begräbnißtage. am 8. April, am Osterfeste, hatte er in einer Rede über die Worte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, obgleich er stirbt“ jedesmal, so wie er die Namen der Patriarchen, der Propheten der Apostel, der Reformatoren und der Heiligen aller Zeiten genannt hatte, ausgerufen: „Sie sind nicht todt, sondern sie leben “, und damals nicht geahnt, wie ein Jahr später an demselben Tage viele seiner Zuhörer an seinem eigenen Grabe stehen würden. Nun standen sie am 8. April 1856 an seinem Grabhügel und sprachen, eingedenk jener Osterpredigt: „Er ist nicht todt, sondern er lebt!“ und mit diesem über Grab und Tod erhebenden Gedanken haben die Trauernden in der Zuversicht des Glaubens Adolf Monods letzte Ruhestätte verlassen.

Um Adolf Monod trauerte die ganze evangelische Kirche Frankreichs, trauerten in aufrichtiger Anerkennung seiner großen Gaben viele Katholiken – nannte ihn doch ein katholisches Blatt den größten Kanzelredner, den Frankreich jemals gehabt! – trauerte auch eine große Zahl evangelischer Christen in England, in der Schweiz und in Deutschland; denn Monods Name war schon damals weit über die Gränzen seines engeren Vaterlandes hinausgedrungen. Monod’s beredtes Wort aber ist, seitdem sein beredter Mund stumm geworden, nicht verklungen; im Gegentheil, soweit die Gläubigen in der evangelischen Kirche nach Belehrung und Erbauung auf Grund des göttlichen Wortes suchen, da finden sich auch Adolf Monod’s Reden im Original oder in der Übersetzung, und noch immer erweitern sich die Kreise, in denen das gute Wort eine gute Stätte findet. Die zwei Reden über das Weib, d. h. über die Bestimmung und den Beruf des christlichen Weibes, haben zuerst Monod’s Namen in alle Lande getragen; die fünf Reden über den Apostel Paulus gewannen ihm neue Verehrer, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß viele andre gleich vortreffliche Reden des Verewigten erreichen werden, was er mit seinem Worte überhaupt bezweckte, nämlich dem Heilande Seelen gewinnen, das Evangelium als die Kraft Gottes erscheinen zu lassen, selig zu machen Alle, die daran glauben.

Während Monod, von seinen Zuhörern zur Veröffentlichung seiner Reden gedrängt, lange Zeit sich nur zur Herausgabe einzelner Reden bestimmen ließ, entschloß er sich im Jahre 1852, eine Sammlung seiner Kanzelvorträge zu veranstalten. Er kämpfte schon mit jenem schrecklichen, unheilbaren Leiden, als er im Juni 1855 die Vorrede zu dem ersten Bande schrieb, der die in Neapel und Lyon von 1825 – 1836 enthaltenen Reden enthielt. Der zweite Theil umfaßt die von 1836 – 1847 zu Montauban gehaltenen Reden; Monod hat sie seinen alten Schülern als ein neues Zeugniß seiner treuen Liebe zu ihnen gewidmet; der dritte Theil endlich beginnt mit den zwei zu Paris gehaltenen Antrittsreden, enthält überhaupt die in der Hauptstadt Frankreichs von 1847 an gehaltenen Reden. Außerdem sind aber noch eine nicht unbeträchtliche Zahl einzelner Reden erschienen, die in jenen drei Bänden keine Aufnahme gefunden haben; zu den Kanzelreden kommt außerdem hinzu das vortreffliche, viel gelesene und viel übersetzte Buch: Lucile oder das Lesen der Bibel.

In Deutschland ist das letzte Werk in zwei Uebersetzungen erschienen, ebenso die Abschiedsworte, während die zwei Reden über das Weib in mindestens sechs Ausgaben, von denen einige mehre Auflagen erlebt haben, verbreitet sind; die fünf großartigen Reden über den Apostel Paulus sind vom Consistorialrath Bonnet zu Frankfurt a. M. vortrefflich übersetzt; außerdem sind hie und da, in Bremen, Stuttgart und Potsdam, einzelne Reden herausgegeben worden.

Wir übergeben hiermit der Oeffentlichkeit eine Auswahl der vorzüglichsten Reden Monods. Wir haben uns in der Zusammenstellung nicht an die für uns bedeutungslose Reihenfolge der Jahre, in denen sie gehalten sind, gebunden, sondern das dem Inhalte nach Verwandte an einander gereiht. Die ersten Reden (Wen da dürstet, des Menschen Elend und Gottes Erbarmen) zeigen uns den erlösungsbedürftigen Menschen, die folgenden den erlösenden Gott und den auf Erden erschienenen Erlöser, wie Er für sie da ist und sie für Ihn; sodann lernen wir den in Glauben, Reue und Buße seinem Erlöser sich nahenden Menschen und das Leben des wiedergebornen Christen in den mannigfachsten Beziehungen kennen.

Die Uebersetzung hat mit aller Treue Monods Worte wiederzugeben gesucht, zugleich aber jene Treue zu vermeiden gestrebt, die weniger den Sinn und den Gedanken, als den Buchstaben des Originals zu übertragen sich bemüht. Monod deutsch reden zu lassen, ist oft sehr schwer; die deutschen und französischen Ausdrücke decken sich zu wenig; auch die beste Uebersetzung kann die Schönheit und Kürze des Originals nicht ganz erreichen. Jeder billige Beurtheiler wird der Uebersetzung jedoch hoffentlich das Zeugniß geben, daß ihr treuer Fleiß gewidmet ist. Wer aber den Vollgenuß der Worte Monod’s haben will, den weisen wir von unserer Uebersetzung auf das Original mit seiner einfachen Schönheit und Klarheit; der mit der theologischen Literatur Vertraute wird dann zugleich an vielen Stellen mit Freuden bemerken, wie Adolf Monod namentlich auch durch deutschen Geist und deutsche Forschungen in seiner Erkenntniß des Evangeliums wesentlich gefördert worden ist.

Wird man bei der Reichhaltigkeit unsrer deutschen homiletischen Literatur vielleicht die Uebertragung französischer Kanzelreden tadeln? Wird man sagen: Man solle doch erst in Deutschland kennen lernen, was Kant oder Schleiermacher über das weibliche Geschlecht gesagt haben, ehe man lese, was ein französischer Pastor über das Weib urtheile? Nichts verkehrter als eine solche Behauptung. Es handelt sich bei Adolf Monod gar nicht um eine französische Auffassung des Weibes oder der Religion, er will nicht Franzose sein und gleichsam ein französisches Christenthum lehren und predigen, die nationalen Elemente sind in ihm überwunden, sondern er ist ein Diener des für alle Völker und Zeiten immer sich gleich bleibenden, für alle Menschen gleich nothwendigen, und über alle Beschränktheit der Zeit und des Ortes erhabenen Evangeliums Jesu Christi.

Und so mag denn diese Sammlung mit den Worten in die Oeffentlichkeit treten, mit der A. Monod die Vorrede zu dem ersten Bande seiner gesammelten Reden schließt: „Möge Gott diese Reden zu Seiner Ehre dienen lassen!“ Möchten sie durch Gottes Gnade vielen Lesern den Weg des Friedens weisen; möchte aber auch der demüthige Grundsatz des treuen Knechtes Gottes immer mehr in Erfüllung gehen: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen!“

Dr. Ferdinand Seinecke.

Quelle: Sechs Reden von Adolf Monod
mit einem biographischen Vorwort.
Aus dem Französischen
Bielefeld.
Verlag von Velhagen und Klasing.
1860

 

Niklaus von der Flue

Niklaus von der Flue wurde den 21. März 1417 auf dem Hofe seines Vaters, im Fluehli genannt, im Lande Unterwalden geboren. Ursprünglich hieß die Familie Löwenbrugger, sie vertauschte diesen Namen mit dem, den ihre Besitzung trug. Der Familie Ursprung ist unbekannt, aber seit dem eilften Jahrhundert ist sie hochgeachtet im Schweitzerland.

Von frommen Eltern wurde er in heimischer Sitte erzogen, lernte beten und arbeiten wie die andern Kinder des Landes. Sein inneres Leben soll von je ein besonderes gewesen sein, erleuchtet von himmlischen Erscheinungen, geneigt zu einem beschaulichen Leben und auffallender Enthaltsamkeit. Zwei seiner Jugendfreunde legten nach seinem Tode folgendes Zeugniß über ihn ab: „Er war allwegen ein züchtiger, gütiger, tugentlicher, frommer, wahrhafter Mensch gewesen, der Niemanden erzürnte und wann wir je von Acher gangen, oder andern Werchen kement, sich allwege schybe (schied) allein hinter ein Gaden oder sonst an ein ander Einigkeit (Abgeschiedenheit). Da betete er und ließe uns und ander Knaben laufen, wo sie wollten.“

Dieser Hang zur Beschaulichkeit wechselte nicht mit einem andern Hang, wie bei der Jugend sonst üblich, bildete stätig sich aus, blieb der Grundton seiner Seele. Von dem Jüngling wird gezeuget, daß er des Abends nach der Arbeit dem Kreise der Genossen sich entzogen, an abgelegenen Orten in Andacht sich versenkt. Zugleich alle Wochen 4 Tage und die ganze Fastenzeit durch alle Tage gefastet habe, so daß er nichts genossen, als einen Bissen. trocken Brot, einige gedörrte Birnen und einen Trunk frischen Quellwassers.

Doch Kopfhängerisches war nichts an ihm, stets heitern Gemüthes that er mit Freudigkeit, was ihm oblag. Sobald er waffenfähig geworden, focht er in den Kriegen der Eidgenossen, zeichnete sich aus durch Tapferkeit und Milde, ward Rottenmeister, erhielt eine goldene Denkmünze, rettete mit Lebensgefahr das St. Katharinenstift zu Dießenhofen, welches von den zornigen Eidgenossen angezündet, bereits in hellen Flammen stand. Mit dieser That, 1460, schloß er seine Kriegsfahrten. Ein glücklicher Gatte, glücklicher Vater von 5 Söhnen und 5 Töchtern war er ein hochgeehrter Bürger, Landrath und Richter; das höchste Amt des Landes, ihm angeboten, die Landammannsstelle schlug er standhaft aus. Ein Lohn solcher Demuth war es wohl, daß im Laufe der Jahre 40 Männer aus seiner Nachkommenschaft, zwölf seines Geschlechts mit diesem Amte geehrt wurden. Treue Erfüllung seiner Pflichten störte sein wachsend Leben in Gott nicht. Vor der Sonne begann er sein Tagewerk und schloß es mit erlöschendem Tage. Dann war er unter den Seinen, lehrte sie, betete, vertheilte die Arbeit des folgenden Tages und segnete jedes ein zur Ruhe. Von ihm aber zeugte sein ältester Sohn: „Mein Vater ist „zwar immer mit seinen Kindern und Hausgenossen schlafen gegangen, aber alle Nächte habe ich ihn wieder ausstehen und in „der Stube beten hören bis am Morgen.“ Wie seine Familie lag ihm das Vaterland am Herzen, sein Name wurde unter den ersten Eidgenossen genannt. Besondern Ruhm erwarb er sich 1462 bei einem schiedsrichterlichen Urtheil in einem Streite zwischen dem Kloster Einsiedeln und der Gemeinde Stanz! Neunzehn Jahre war er Landrath und Richter gewesen, als er sich diesen Aemtern entzog. In einem Streite war besondere Leidenschaftlichkeit entbrannt, hatte selbst die Richter ergriffen. Es war Niklaus von der Flue, er sehe bei einigen Richtern, als sie ihren Ausspruch abgaben, Schwefelflammen aus ihrem Munde fahren. Dies drang ihm so gewaltig ins Gemüth, daß er sich für immer seinen Aemtern entwand. Dieser Eindruck und das Zurückziehen aus dem öffentlichen Leben beschleunigten wohl den Entschluß, sich dieser Welt voll Aergerniß zu entziehen. Nachdem er denselben lange vor Gott geprüft, theilte er ihn zuerst seinem Weibe mit. Als Bitten bei dem geliebten Manne umsonst waren, der Schmerz sie -überwältigen wollte, vernahm sie eine innere Stimme: der Herr hat mit Niklaus Höheres vor. Darauf willigte sie ein, dann auch mit tiefem Weh die Seinen Alle. Auf den 16. October 1467 bat er Alle zu sich, auch seinen greisen Vater Heinrich.

Als sie versammelt waren trat er unter sie in grobem, braunen Gewande mit bloßen Füßen, bloßem Haupte, einen Rosenkranz in der einen, einen gekrümmten Stab in der andern Hand, dankend, betend, segnend schied er. Er pilgerte hinaus in die Welt, aber ein Ziel in der Welt hatte er nicht. Als er in die Landschaft Basel bis gen Liestal gekommen war, schien ihm plötzlich der ganze Ort in Flammen. Dessen erschrak er sehr, wandte sich, kehrte in einem einsamen Gehöfe ein, vertraute sich dem Bauer. Dieser rieth die Heimkehr und alsbald trat Bruder Klaus sie an. Als er in selber Nacht neben einem Zaune schlief, ward ihm ein neu Gesicht. Ein heller Schein von oben umfloß ihn, sein Inneres ward mit großer Pein erfüllt und er hörte eine Stimme, welche ihm gebot zurückzukehren in sein Land. Er gehorchte, gelangte ungesehen auf eine ihm eigne Alp, im Klüßer genannt, baute sich dort unter einer Arve eine Hütte. Hier ward er von Jägern gefunden und den Seinigen von ihm Nachricht gegeben. Ihren Bitten zurückzukehren widerstund er, eröffnete seinem Kirchherrn seine Erlebnisse und wie er ohne Hunger und Durst zu leiden seit 8 Tagen nichts genossen. Da dieser ihn wohl dürre fand von Gestalt, daneben aber bei guter Kraft und hellerm Sinn, rieth er ihm in Vertrauen auf Gott diese Lebensweise fortzusetzen, was dann auch 20 Jahre lang geschah, so daß Bruder Klaus nichts genoß, als was der Priester beim Abendmal ihm reichte. Dagegen verließ er die Alp und baute sich seine Hütte in einem wilden Felsentobel (Felsenschlucht), im Ranft genannt, eine Viertelstunde von den Seinigen. Auch hieher soll ihn ein Gesicht geleitet haben.

Der Entschluß des geachteten Mannes ergriff seine Landsleute, durch seinen Wandel fühlten sie sich selbst geehrt. An einer Landsgemeinde von Obwalden ward erkannt, dem frommen Mann eine Kapelle sammt Klause zu erbauen, die erstere 28 Fuß lang 18 Fuß breit, die Klause 6 Fuß Mannshöhe 2 1/2 Schritte lang und V Schritt breit. – Hier lebte er fortan, spendete Segen, tröstete und betete. Sein liebstes Gebet war:

O, mein Gott und mein Herr! nimm Alles von mir
was mich abwendet von Dir;
O, mein Gott und mein Herr! gieb Alles mir
was mich fördert zu Dir;
O, mein Gott und mein Herr! nimm mich mir
und gieb mich ganz eigen Dir.

Der Ruf des frommen Bruders verbreitete sich schnell, seine wunderbare Enthaltsamkeit erregte anfangs das größte Aufsehen. Viele glaubten nicht an sie, Viele dachten an frommen Betrug. Sie dachten nicht der Gewöhnung ans Fasten, von Jugend auf, sie kannten die (vom großen Haller seither nachgewiesene) Möglichkeit solcher Nahrungslosigkeit nicht.

Die Obrigkeit ließ ihn geheim bewachen, sein Bischof versuchte ihn: die erstere fand seine Enthaltsamkeit bestätigt, der letztere sah, wie großen Schmerz ihm die aufgedrungene Speise verursachte. Ueber allen Verdacht erhob ihn aber immer mehr seine klare, lautere Frömmigkeit, sein Wesen ohne Falsch und Trug, seine Demuth ohne Heuchelschein, ohne Schatten von Selbstüberhebung. Fragte man ihn selbst über diese Nahrungslosigkeit, antwortete er: Gott weiß! So nahm es allgemach auch die Welt. Dieses und die Macht seiner Fürbitte, welche er bei einem Brande in Sarnen bewährt, verbreiteten seinen Ruf immer mehr. Hohe und Niedere von nah und fern drängten sich an seine Klause, brachten Spenden, baten um Fürbitte und Rath. Sein Leben war im Himmel, aber klar lagen vor ihm die menschlichen Verhältnisse, Gottes Wort und die Zeitläufe kannte er ungetrübt. Daher klangen seine Reden oft so wunderbar, galten als Weissagungen von Gott, dem Heiligen geoffenbaret. Der Schmerz, den er auf Erden hatte, galt dem Vaterlande. Mit dem Ruhme der Eidgenossen wuchs die Sucht nach Macht, darum wurden fremde Händel mehr gesucht als gemieden, fremde Händel brachten fremden Sinn und fremde Sitten. Der Welt, die ihm fremder ward, entzog er sich immer mehr. Anfangs hatte er alle Sonntage die Kirche zu Sachslen besucht, bei Gelegenheiten sah man ihn auch in den andern Kirchen des Landes. Durch reiche Gaben war er im Jahr 1477 in Stand gesetzt durch einen Kaplan Messe lesen zu lassen in seiner Klause, später für eine eigne Pfarrei zu sorgen. Seinen Rath genoß seine Familie, die erhaltenen Gaben aber brauchte er zu Liebeswerken und der Verehrung Gottes. Die Zwietracht der Eidgenossen ward immer größer, Bruderstreit stund vor der Thüre. Kein Eidgenosse fühlte dieses Elend tiefer als Bruder Klaus, denn keiner wußte klar wie er, wie Brüder, die unter einander sich verzehren, nicht nach dem Himmel trachten und suchen können was droben ist, zum Frieden Gottes, der über allen Verstand geht, nicht kommen können. Auf seinen Rath, die letzte Sühne zu versuchen, wurde noch eine Tagsatzung nach Stanz im Lande Unterwalden angestellt. In der Mitte des Christmonats 1481 ritten in Stanz die Boten ein, aber ihnen fehlte der Geist der Versöhnung, jeder trachtete nach dem vermeintlichen Recht. Drei Tage lang saßen sie zusammen, jeden Tag mit größerm Zorn, am Schlusse des dritten trennten sie sich mit flammenden Gesichtern, ohne Gruß, drohend blieben die Schwerter um die zornigen Glieder; zur Abfahrt rüstete sich jeder, der letzte Versuch zu Erhaltung des Friedens schien gescheitert. Ein Schrei des Entsetzens ging durch den Flecken Stanz. Heinrich im Grund, Pfarrer daselbst und des frommen Bruders Freund davon ergriffen, eilte durch Schnee auf unwegsamen Pfaden hinauf nach der 3 1/2 Stund entfernten Klause im Ranft, brachte in später Nacht dem Bruder die schreckliche Kunde.

Geh, sagte der Greis unerschrocken in seinem gläubigen Vertrauen, geh, sage den Boten, Bruder Klaus habe ihnen etwas vorzubringen. Die Boten zur Abreise bereits gerüstet blieben. Früh kam der Greis, die Boten fand er schon versammelt. Als er unter sie trat, der hohe Mann, barhaupt und barfuß, in schlechtem Rocke, dem wunderbaren Wesen, dem klaren Auge voll Liebe, als er mit langsamen ernsten Worten nach seiner Art sie grüßte, stunden die Boten Alle, Helden aus den Burgunderkriegen, Häupter der mächtigen Volksstämme von ihren Sitzen auf, und neigten sich vor dem hehren Greis. Er sprach zu ihnen in Gottes und der Väter Namen, mahnte sie den Zaun nicht zu weitern, fremde Händel fahren zu lassen und zeichnete in kurzen scharfen Zügen den natürlichen Vergleich. Und Gott gab Gnade zu des heiligen Einsiedlers Worten, was Jahre lang im Streit gelegen, ward in einer Stunde verglichen. Also (beginnen die Tagherren ihren Abschied), des Ersten weiß jeder Bote heimzubringen, die Treu, Müh und Arbeit, so der fromme Mann, Bruder Klaus, in diesen Dingen gethan hat, ihm deß treulich zu danken. Nun aus dem Flecken Stanz hinauf in den Gotthard, hinunter bis Zürich, bis nach Rhätien und in den Jura allgemeines Freudengeläute, wie nach der Schlacht bei Murten, mit Recht. Es hatten die Eidgenossen sich selbst überwunden. Das war Bruder Klausen großer Tag, an welchem ihm Gott die seltene Gnade gab, sich selbst ein ewig Andenken zu stiften in dem Lande, welches er so innig liebte.

Die Stände vergaßen den Dank nicht. In selbem Monat noch sandte Solothurn eine kostbare Gabe. Bern durch eigene Boten eine gleiche, so andere Stände ebenfalls.

Damals bei wilden Sitten lebte in den Gemüthern ein tief Gefühl für Hohes und Heiliges; damals mitten in kriegerischem Uebermuthe, wußte man doch den Frieden unter Brüdern zu schätzen und hoch zu ehren die, welche unter den Brüdern den Frieden zu erhalten und zu vermitteln wußten.

Die Enkel jener Eidgenossen haben Tage gesehen, wo der Friede der Brüder muthwillig zerrissen, die, welche mitteln wollten, mit Koth beworfen, mit Füßen getreten wurden. Solchen Sinn erbten die Enkel nicht von den Vätern, sie ließen sich denselben in kindischer Thorheit einimpfen durch die Enkel jener Väter, welche durch unsere Väter aus dem Lande gejagt wurden. Hoffentlich werden unsere Kinder wieder Tage sehen, wo dieser fremde Sinn nicht mehr ist, fremde Sitten nicht mehr das Land vergiften, der Sinn unserer Väter wieder in ihren Enkeln, unsern Kindern, wohnet.

Von diesem Tage an verklärte sich sein Name immer mehr. Seine Vermittelung wurde gesucht von Hohen und Niedern, von Einzelnen und von Städten und Ständen, in Werken des Friedens flossen seine Tage ungetrübt dahin, er war ein wahrhafter Bote Gottes, ein Engel des Friedens auf Erden. In Stunden höherer Weihe hatte er öfters sein siebenzigstes Altersjahr sein Todesjahr genannt. Er trat es an mit ruhiger Ergebung, ordnete seine Angelegenheiten wohlgemuth und mit gewohnter Weisheit, ertrug eine heftige Krankheit, in welcher seine Glieder sich krümmten, wie ein Wurm unter den Füßen seines Peinigers, gefaßt und geduldig, Worte des Trostes den Seinigen spendend. Als er acht Tage lang unbeschreiblich gelitten, verlangte er die Sterbesakramente, empfing sie inbrünstig auf den Knien, empfahl seine Seele und die aller Anwesenden Gott, legte sich dann auf sein hartes Lager nieder und entschlief im Herrn 1488 den 21. März am Tage seiner Geburt.

Als sein Tod bekannt war, stund alle Arbeit still und ein großes Weinen war im Lande als um einen Vater. Als er bestattet werden sollte, ließ alles Volk die Arbeit liegen, geleitete Bruder Klaus zu Grabe, und weit umher im Lande wurde keine Messe gelesen als vor der Leiche und dem Grabe des Seligen. In der ganzen Eidgenossenschaft war die gleiche Trauer, ein deutscher Fürst, Siegmund von Oestreich ließ sein Todesandenken mit hundert Seelenmessen und seltener Pracht begehen.

So starb Bruder Klaus von der Flue, wenn je einer, ein heiliger Mann. Unterwalden war aber nicht reich und Rom nicht edel genug ihn unter die canonisirten zu bringen, erst Clemens der Neunte 1669 erhob ihn die Klasse der Heiligen, welche verehrt werden konnten, aber nicht verehrt werden mußten; doch sein Altar ist ewig in Gemüthern, die ihn fassen.

Alb. Vitzius gen. Jeremias Gotthelf in Lützelslüh, Kanton Bern

 

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

Philipp Nicolai

Philipp Nicolai

Philipp Nicolai wurde am 10. August 1556 zu Mengeringhausen im Fürstenthum Waldeck geboren. Sein Vater, Dieterich Nicolai, war ein vortrefflicher Prediger und Seelsorger. Er erzog seine Kinder, zu denen auch Jeremias Nicolai, der später in sein Predigtamt eintrat, gehörte, mit christlicher Sorgfalt; dabei hielt er streng auf wissenschaftliche Ausbildung. Philipp zeigte schon früh ausgezeichnete Anlagen des Geistes und Herzens. Nach dem Besuche verschiedener Schulen und der Universitäten Erfurt und Wittenberg kehrte er im 20. Jahre in seine Vaterstadt zurück und unterstützte seinen Vater eine Zeit lang im Predigtamte. Sodann lebte er einige Jahre mit seinem Bruder Jeremias in dem Kloster Volkhardinghausen tiefen Studien hingegeben, als deren Frucht seine commentariorum de rebus antiquis germanicarum gentium libri sex anzusehen sind. 1583 erhielt er einen Ruf zum Pfarrer im Kloster Herdeck, von wo er aber schon nach drei Jahren wegen seiner entschiedenen Bezeugung der evangelischen Lehre von den Papisten vertrieben ward. Hierauf wurde er nach Cöln und schon im folgenden Jahre (1587) zum Pastor nach Nieder-Wildungen, 1588 aber zum Hofprediger nach Alt-Wildungen berufen. 1590 reiste er nach Marburg, um den theologischen Doctorgrad zu erwerben. Als aber Landgraf Wilhelm den Theologen verbot, mit der Promotion vorzugehen, bis Nicolai sein Buch „fundamenta fidei calvinianae“ widerrufen haben würde, reiste er ohne Promotion von Marburg ab und erhielt den Doctorgrad erst 1594 in Wittenberg durch Hunnius, der inzwischen von Marburg dahin versetzt war.

1596 wurde er Pfarrer zu Unna. Er übernahm das Amt trotz der Ueberzeugung, dass er den zahlreichen Calvinisten, mit denen die lutherische Bevölkerung vermischt war, so willkommen sein würde, „wie eine Sau im Judenhaus“. Da er von der Ansicht ausging, dass der Calvinismus einen unbarmherzigen, blutdürstigen Moloch verehre, Gott zum Urheber der Sünde mache und in seinem absoluten Determinismus, sowie in seiner Leugnung der communicatio idiomatum einen versteckten Muhamedanismus lehre, so glaubte er, nicht eifrig und heftig genug ihn bekämpfen zu müssen. In der 1597 erschienenen Schrift „Kurzer Bericht von der Calvinisten Gott und ihrer Religion“ erklärt Nicolai unumwunden, „dass die Calvinisten anstatt des lebendigen wahrhaftigen Gottes den Teufel ehren und anrufen“. In einer 1599 über die Ubiquität Christi herausgegebenen Schrift erläutert er im Gegensatz zu der calvinischen Behauptung, „dass das göttliche Wesen keiner Creatur mitgetheilt werden könne“, die Verbindung der göttlichen Natur Christi mit der menschlichen durch die Analogie der geistlichen Vereinigung mit Gott und folgert, dass, so gewiss den Gläubigen göttliche Werke zugeschrieben werden (Joh. 14,12), auch die menschliche Natur Christi der göttlichen Wirksamkeit fähig gedacht werden müsse. Zugleich stritt er, besonders in seiner Historia des Reiches Christi (1598), gegen die römische Kirche, deren Oberhaupt er als den Antichristen brandmarkte.

Zwischen diese heißen Kampfesarbeiten tritt eine stille That der Andacht. Es war im Jahre 1597, als eine furchtbare Pest den Streitern in Unna einen Waffenstillstand gebot. Alle ernsten Gemüther wandten sich von den Hadersachen zum Gebet. In solchen Zeiten pflegt selbst die Seele des Scholastikers in das Eine fliehend, was Noth ist, ihre Theologumena unbeachtet zu lassen. Damals schrieb Nicolai seinen „Freudenspiegel des ewigen Lebens“. „In solchem Jammer und Elend“ – so erzählt er selbst – „als es hie zu Unna in allen Gassen rumorte, und oftmals etliche Tage nach einander bis in die dreissig Todte nicht weit von meiner Wohnung auf dem Kirchhofe unter die Erde verscharrt worden, habe ich mit Todesgedanken mich immer schlagen müssen, und war mir nicht ein Mal zu Muthe wie dem Könige Hiskia, da er sprach: Nun muss ich nicht mehr sehen den Herrn, ja den Herrn im Lande der Lebendigen. Meine Zeit ist dahin und von mir aufgeräumt wie eines Hirten Hütte, und reisse mein Leben ab wie ein Weber (Jesaia 38). Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüthen die Stadt wie ein unvorhergesehener Platzregen und Ungewitter, liess kein Haus unbeschädigt, brach endlich auch zu meiner Wohnung herein, und gingen die Leute meistentheils mit verzagtem Gemüth und erschrockenem Herzen wie erstarret und halb todt daher, dass einer hätte mögen hierherziehen, was Moses schreibt mit nachfolgenden Worten: Der Herr wird dir ein bebend Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrete Seele, dass dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, dass ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: Ach, dass ich den Morgen erleben möchte! vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird und vor Dem, was du mit deinen Augen sehen wirst. Zu Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Hildesheim, Göttingen, desgleichen in Niederhessen und in der Grafschaft Waldeck, meinem lieben Vaterlande, zu Corbach, Wildungen und Mengeringshausen fehlte es auch nicht. Und was Einer an solchen Orten hin und wieder an bekannten Freunden hatte, davon hörte er fast Nichts, denn von ihren Krankheiten und tödtlichem Abschiede von diesem Leben, inmaassen denn auch mir eitel traurige Zeitung zu Ohren kam von etlichen meiner Schwestern, Blutsfreunden und Schwägern, die durch die Pest erwürget und hingerissen wurden, welches mir mein Bekümmerniss vermehrt und so viel weitläuftigen Anlass gab, all‘ mein Datum, Herz und Gedanken von der Welt abzuwenden. Da war mir nichts Süsseres, nichts Lieberes und nichts Angenehmeres, als die Betrachtung des hohen, edeln Artikels vom ewigen Leben durch Christi Blut erworben. Ich liess denselben Tags und Nachts in meinem Herzen walten und erforschte die Schrift, was sie hiervon zeugte, las auch des alten Lehrers St. Augustini liebliche Tractätlein, darin er dies hohe Geheimniss als ein Nüsslein aufbricht und den wundersüssen Kern herauslanget, brachte darauf meine Meditationes von Tage zu Tage in die Feder, befand mich, Gottlob, dabei sehr wohl, von Herzen getrost, fröhlich im Geist und wohl zu frieden, gab meinem Scripto den Namen Freudenspiegel und nahm für, denselben verfassten Freudenspiegel, da mich Gott von dieser Welt entfernen würde, als ein Zeugniss meines friedlichen, fröhlichen und christseligen Abschieds zu hinterlassen, oder aber, da er mich gesund sparte, an den nothleidenden Christen, welchen er die Pest auch zu Hause senden würde, aus christlicher, schuldiger Liebe damit zu dienen und gleich als mit gegenwärtigem Trost beizuwohnen. Nun hat mich der gnädige, fromme Gott mitten unter den Sterbenden vor der grausamen Pest allergnädigst bewahrt und mein Leben über alle meine Gedanken und Hoffnung wunderbar gefristet, dass ich mit dem Propheten David zu ihm sagen kann: „Wie gross ist deine Güte, die du verborgen hast Denen, die dich fürchten!“ (Vorrede zum Freudenspiegel.)

Der Ruf Nicolai’s drang vorzüglich durch seine Schriften immer weiter, in’s Besondere auch nach Hamburg. Die Geschworenen der St. Katharinenkirche daselbst sandten in der Zeit einer Pfarrvakanz Deputirte nach Unna, die ihn predigen hörten, und wählten ihn auf deren Bericht am 14. April 1601 einstimmig zum Pastor. Auch in Hamburg setzte Nicolai seine Polemik gegen die Reformirten und Papisten energisch fort. Gegen jene schrieb er u. A. die „grundfeste und richtige Erklärung des streitigen Artikels von der Gegenwart unseres Seligmachers Jesu Christi nach beiden Naturen im Himmel und auf Erden (Hamburg 1604. 8.)“, worin er die Lehre von der Person Christi und seiner Ubiquität auf Grund und nach der Analogie des Verhältnisses Gottes zum Menschen entwickelt. Gottes Wesen – so lehrt Nicolai – ist die Liebe. „Auch die Eigenschaften Gottes sind Nichts als Formen seiner Liebe; selbst der Zorn Gottes ist Manifestation dieser Liebe, freilich nicht der geehrten, der geküssten, sondern der beleidigten Liebe, der erzürnten, verlassenen Liebe“. Aus Liebe hat Gott den Menschen nach dem Bilde seiner Liebe geschaffen. Indem dadurch der Mensch mit Gegenliebe ausgerüstet ist, wird er der wesentlichen Einwohnung Gottes theilhaftig; „denn wo solche gegenseitige Liebe Statt findet, da wohnt Gott mit seiner Liebe als in einem Tempel im Menschen und lässt dem Menschen hinwiederum in ihm seine Wohnung haben“. „Christi geistliche Wohnung in uns besteht darin, dass er seine Christen in dieser Welt, wenn sie ihn mit dem Glauben im Wort und heiligen Sakramenten ergriffen haben, kräftiglich besitzt und als wahrer Gott und wahrer Mensch in ihnen mit dem Vater und heiligen Geist wohnet, und sie dermassen regiert und beweget, dass sie mit Leib und Seele sein eigen sein und mit seiner Gerechtigkeit durch den Glauben geschmücket, wie auch mit dem Geist der himmlischen Kindschaft begabt, desgleichen ihrem himmlischen Bräutigam Jesu Christo ähnlich, verknüpft und verbunden, und nunmehr von ihm bewohnet, besessen, und mit einem neuen Leben angezündet, dem Teufel, der Welt, dem Fleisch und Blut absterben, tödten den alten Adam, streiten wider die Sünde, stellen und zeigen sich als Tempel Gottes, grünen, blühen und schlagen aus zu guten Werken, wandeln im neuen Gehorsam, nehmen ihr Kreuz geduldig auf sich, folgen Christo nach und stellen sich also, dass ihr Licht leuchte für den Menschen, zu Gottes Ehr‘ und Preis und zur Bekehrung vieler irrenden Seelen“. Wie die Gottlosen schon hier die Hölle in sich haben, so ist auch der Himmel schon hier inwändig in den Gläubigen. Der Uebergang aus diesem in jenes Leben ist für die Christenseele „nicht ein räumliches Aus- und Eingehen, sondern nur ein wunderliebliches, inwändiges Aufwachen der Seelen in Gott, der in ihr wohnt (auch die Welt nicht äusserlich, sondern in sich hat), ein Aufgehen der Gottesherrlichkeit, die sie verborgen in sich trägt“, während sie für die Gottlosen „das Aufschlagen der Höllenflammen ist, die allbereits in ihm brennen“. „Hast du Christum durch den Glauben, so hast du die Gegenwart des Reiches Gottes und des ewigen Lebens in dir, so besitzest du Denjenigen, der alle Creaturen in ihm selbsten gegenwärtig hat und die ganze Welt, sammt Allem, was darinnen ist; ja du kannst in Gott geistlich auch Dasjenige gegenwärtig haben, was räumlicher und leiblicher Weise von dir fern abgelegen ist“. Aus der Einwohnung Gottes im Menschen ergiebt sich schon die Nichtigkeit der reformirten Lehre, dass das Endliche das Unendliche nicht fassen könne. Zugleich erläutert sich von daher die Allgegenwart Christi; denn „kann ein christlicher Mensch aus Grund, Effect und Wirkung seiner geistlichen Vereinigung mit Gott das Reich Gottes in sich haben, im Himmelreich durch den Glauben wandeln und das edle Reich in Gott, seinem allerhöchsten Schatz und allerwerthesten Einwohner, besitzen, welches viel hundert tausend Mal mächtiger, prächtiger, reicher, schöner und herrlicher ist, denn irgend ein Königreich auf Erden und die ganze Welt sein kann; vermag Solches unio pneumatica, und schaffet Solches unsere christliche Verknüpfung mit dem Allmächtigen, da wir mit ihm Ein Geist sind: sollte es denn nicht viel tausend Mal leichter sein unserm Heiland Jesu Christo, dass er aus persönlicher Vereinigung beider Naturen (welche unermesslich höher ist, als die geistliche) nach dem Fleisch, in der Fülle Gottes und in dem Licht solcher Fülle Himmels und der Erden, Alles, was darin begriffen ist, übernatürlicher Weise gegenwärtig haben könnte? Können wir aus geistlicher Vereinigung unsern Wandel im Himmel haben, da wir noch räumlich und leiblich auf Erden pilgrimiren, sollte sein Fleisch denn nicht aus persönlicher Vereinigung viel leichter (ob es wohl leiblich und sichtbar nirgend als im Himmel ist), dennoch auch in dem unendlichen Licht, Thron und Stuhl der göttlichen Majestät und Herrlichkeit, auf dieser Welt unräumlicher und unbegreiflicher Weise allenthalben gegenwärtig und zugegen sein können?“ „Ja, es rühmen sich die Calvinisten selbst ihres geistlichen Wandels im Himmel, wenn sie das heilige Abendmahl halten und hienieden auf Erden leiblich zu Tische sitzen? Wirkt und bringt nun Dies zuwege unsere geistliche Vereinigung mit Gott, dass sie können zugleich auf eine Zeit leiblich in der Welt und geistlich daroben im Himmel sein, was fechten sie dann die streitige Ubiquität viel an und wollen nicht gestehen, dass Christus nach seiner Menschheit aus persönlicher Vereinigung beider Naturen unräumlicher weise bei uns auf Erden gegenwärtig sei und sichtbar und leiblich sein möge, und gleichwohl auch im Himmel sichtbar und leiblich bis hin zum jüngsten Tage bleibe? Hier frage ich abermal wie droben: Ist denn unio spiritualis mit ihrer Kraft und Wirkung mehr als unio personalis in Christo Jesu?“

Gegen die Papisten verfasste er sein unvollendet gebliebenes Werk de antichristo romano, worin er die Identität des Papstes und Antichrists auf Grund von siebenzehn Merkmalen nachzuweisen sucht. Erfreulicher und erbaulicher wirkte Nicolai durch seine Predigten. Besonders berühmt wurden diejenigen, welche er über die Briefe an die Römer und Thessalonicher, so wie über die Offenbarung Johannis hielt. Während der Erklärung der letztern nahmen seine Kräfte merklich ab. Er musste oft auf der Kanzel lange inne halten, verweigerte jedoch die ihm von seinem Amtsbruder angebotene Vertretung, bis ein hitziges Fieber ihn nöthigte, das Lager zu suchen. Auf diesem erbauete er noch seine Collegen und Freunde durch Geduld und wiederholtes Bekenntniss, bis er am 26. October 1608 im Herrn entschlief.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Felix Neff

Den 12. April 1829 starb zu Genf: Felix Neff, Prediger der Waldenser Gemeinden in den (franz.) Oberalpen. Er war um’s Jahr 1797 geboren, und verlebte die Jahre seiner Kindheit bey seiner Mutter in einem nahe bey Genf gelegenen Dorfe. In seinen Jugendjahren bewahren ihn seine strengen Grundsätze vor vielen Schlingen der Welt, obgleich er dazumal von den demüthigen und zarten Tugenden des lebendigen Christenthums noch weit entfernt war. Nachdem er von seinem Ortpfarrer einigen Unterricht im Lateinischen genossen hatte, wurde er zu einem Kunstgärtner in die Lehre gethan. Allerley schwere Erfahrungen aber veranlaßten ihn, sich in seinem siebenzehnten Jahre bey der Stadtgarnision in Genf anwerben zu lassen. In seinem neunzehnten Jahre wurde er Wachtmeister bey der Artillerie, und studierte jetzt, von vorzüglichen Anlagen unterstützt, Mathematik und Naturwissenschaft. In dieser Zeit gelang es der göttlichen Gnade, ihm aufzudecken, daß auch seine besten Werke befleckt seyen mit Sünde, und daß seiner Rechtschaffenheit als Beweggrund und Absicht nur sein eigenes Ich zu Grunde liegt. Dieß brachte eine Unruhe in ihm hervor, die bis zur Gewissens-Angst erwuchs durch seinen Unglauben. Das Lesen der Bibel offenbarte ihm noch deutlicher seinen Herzenszustand, und der bekannte Traktat: „Wilkok’s Honigtropfen aus dem Felsen Christo“, führte ihn darauf, in Christo eine vollgültige Erlösung zu suchen. Er schloß sich 1818 an die „neue Kirche zu Genf“ an, und ließ, durchdrungen von Dank und Liebe gegen seinen Heiland, die Predigt vom Kreuz Christi in der Kaserne, im Spital und in den Gefängnissen erschallen. 1819 legte er die Uniform ab, und durchzog nun die Dörfer in der Umgegend von Genf, mit Kraft und Einfalt das Wort Gottes verkündigend. Er that dieß mit solchem Nachdruck, solcher Ueberzeugungskraft, und doch zugleich mit solcher Innigkeit der Liebe, daß die Gewissen tief erschüttert wurden. In den Kantonen Waadt, Neuchatel und Bern wurden viele Seelen durch ihn aus dem Schlafe der Sünden erweckt. Daneben studierte er mit solchem Eifer die Heilige Schrift, daß er ganze Bücher derselben auswendig hersagen konnte, und alle seine Lehrsätze gründlich mit Schriftworten zu belegen wusste. Im J. 1821 begehrte Pfarrer Bonifaz in Grenoble von Genf einen Vicar, der, während er eine Reise machte, sein Amt verwalte. – Man sandte ihm den Felix Neff, welcher nun sechs Monate in Grenoble vicarirte, aber viele Ursache fand, sich über die hier herrschende Gleichgültigkeit in geistlichen Dingen zu beschweren. Hierauf wurde er Vicar bey dem Pfarrer zu Mens. Hier traf er eine größere Empfänglichkeit für die Wahrheit. Die Leute hielten den Glauben der Väter noch in Ehren, und er bemühte sich, demselben eine feste Grundlage zu geben, indem er wöchentlich vier Mal die Confirmanden um sich versammelte. Gegen Romanlesen, Kartenspiel und Tanzen eiferte er, jedoch mit kluger Vorsicht. Bald zeigte sich eine religiöse Erweckung. Die Kirchen füllten sich, wenn Neff auftrat; es herrschte eine auffallende Stille und Aufmerksamkeit. Einige Haushaltungen ließen keine Romanen mehr aus den Leihbibliotheken kommen. Die Arbeit wuchs ihm unter den Händen. auch die Filial-Gemeinden wollten Vorträge von ihm hören. Machte er Krankenbesuche, so kamen Nachbarn herbey, und aus dem Zuspruche an den Kranken ward eine Erbauungsstunde gehalten. An Einem Sonntage mußte er oft fünf bis sechs Gottesdienste halten; nicht selten redete er von Morgens fünf bis Abends elf Uhr fast an einem fort. Von Jugend auf an Anstrengung gewöhnt, fühlte keine Gesundheit lange keine üblen Folgen von dieser außerordentlichen Thätigkeit. Seine größte Freude war, daß so viele seiner Confirmanden den guten Weg zu betreten begannen. Um den Leuten verständlicher zu werden, lernte er ihre Patoissprache reden. Noch war er aber nicht ordinirt, und mußte daher fürchten, daß die erwachende Eifersucht der Geistlichkeit seiner Wirksamkeit Hindernisse in den Weg legen möchte; er begab sich daher nach London, wo er den 19. Mai 1823 von neun Geistlichen der Independenten-Kirche die Weihe erhielt. Allein nun mußte eben der Umstand, daß er im Ausland ordinirt sey, Grund zu seiner Verfolgung geben; er mußte nach einiger Zeit Mens verlassen, und folgte einem Rufe zu den protestantischen Waldensern auf den Oberalpen, welche in den drey Thälern Queyras, Freisstaiere und Chamser wohnen. Diese Pfarrgemeinde hatte drey Kirchen und zwölf Filiale, und war 15-18 Stunden lang. Um ihr recht dienen zu können, beschloß er, keinen festen Aufenthalt zu wählen, sondern immer umherzureisen. Nicht drey Nächte nach einander schlief er im gleichen Bette, stets wanderte er von Berg zu Berg, um seine Gemeindeglieder zu besuchen. Diese Reisen waren um so beschwerlicher , da es oft über Berge hergieng, die mit ewigen Eis und Schnee bedeckt sind, und um so wohlthätiger, da die dortigen Einwohner zwar dem Leibe nach Nachkommen der alten gläubigen Waldenser, aber dem Geiste nach in große Unwissenheit, Sittenverderbniß, Unreinlichkeit Armuth versunken waren. Neff sorgte vor Allem für bessere Schullehrer, und weil er bey jeder Gemeinde nur selten predigen konnte, für gute Predigtbücher, die am Sonntage vorgelesen wurden. Sein liebevoller Eifer brachte es dahin, daß die Leute bereitwillig wurden, für seine wohlthätigen Absichten bedeutende Opfer zu bringen, und nachdem er etliche Jahre gearbeitet und die Bahn gebrechen hatte, entstand 1825 eine immer weiter sich verbreitende Erweckung. Das Spielen, Saufen und Raufen (?) dem (? unleserlich) Neff sehr schnell, auch sogar unter den benachbarten Katholiken, in Abgang. Auch in irdischen Dingen wurde Neff ihr Lehrmeister und Wohlthäter; unter seiner Anleitung stellten sie eine längst verfallene Wasserleitung wieder her, er lehrte sie den Kartoffelbau u.s.w. Er errichtete ein Schullehrer-Seminar, und wirkte durch Reisen auch bey den Waldensern in der Gegend von Piemont; überall saß er ein herrliches Glaubensleben heranblühen. Dagegen verzehrten sich schnell seine körperlichen Kräfte, und seine Freunde, die dieß besser einsahen als er selbst, veranlaßten ihn, eine Erholungsreise nach Genf zu machen, wo er sehr leidend ankam: er konnte nicht mehr anhaltend sprechen und keine feste Speisen ertragen, und dieß nahm immer mehr zu; endlich konnte er nur noch durch stärkende Einreibungen ernährt werden: als er einmal gewiß wusste, daß er blad sterben würde, freute er sich außerordentlich und wandte vollends seine letzten Kräfte an, um mündlich und schriftlich von Christo zu zeugen. Als schon seine Augen trübe waren, schrieb er noch einen Brief an seine Freunde: „Lebet wohl! Ich fahre auf zu meinem Vater in vollem Frieden. Sieg, Sieg, Sieg durch Jesum Christum!“ – Sein Todeskampf dauerte vier volle Stunden, aber in seinem Blicke drückte sich die siegende Kraft seines Glaubens so sprechend aus, daß auch der Umstehenden Glaube gestärkt wurde.

Quelle: „Aus dem Leben von Felix Neff“, Basel, 1833

Der Christen-Bote.
Herausgegeben von
M. Johann Christian Friedrich Burk,
Pfarrer in Thailsingen und Nebringen bey Herrenberg.
Jahrgang 1833
Stuttgart,
bey Johann Friedrich Steinkopf

Elie Neau

Neau, Elie

„Gott, der die Regungen meines Herzens sieht, weiß, ich liebe meine Feinde, die, die mich gerichtet haben und die, die mich noch gefangen halten. Ich beklage ihr Elend. Ich bitte den Herrn von Herzen, daß er ihnen vergebe.“
Elie Neau an Pfarrer Morin in Bergopzoom am 10. März 1698.

Elie Neaus Geburts- und Heimatdorf, Moize, liegt in der Küstenlandschaft Saintonge, im Nordwesten Frankreichs. Dort ist Elie Neau um 1662, im zweiten Jahr, da Ludwig XIV. König von Frankreich war, als armer Leute Kind geboren worden. Es wundert uns nicht, daß der Knabe schon mit zwölf Jahren als Matrose aufs Meer kam, an dessen Strand er oft genug in die Ferne geträumt haben mag. Noch öfters aber muß er gearbeitet haben, mit zäher Ausdauer, denn nur durch rastloses Streben konnte er, der Mittellose, dem sich keine höheren Schulen auftaten, die gottgeschenkten Gaben so früh entfalten. Er war ganz ein Kind des Volks dieses rauhen Landstrichs, wo die Männer sozusagen von Kindsbeinen auf als Matrosen, als Fischer oder Salzgewinner aufs Meer kamen. Im Kampfe mit Sturm und Wetter wurden sie furchtlos und stark auch zum Kampfe gegen die Stürme der Verfolgung. Seit mehr als einem Jahrhundert waren die Schiffer und Fischer dieser Dörfer treue Anhänger des reformierten Bekenntnisses. Moize bildete eine blühende Gemeinde, bis seit 1681 die Verfolgung auch über diesen Strich des französischen Königreichs fuhr. Es ist bezeichnend, was ein Priester der römischen Kirche von Soubise einem seiner Freunde schrieb: „Ich kann Ihnen bekennen, daß ich gegen die Hugenotten, die nicht das leiseste Wörtchen zu sagen wagen, einen ununterbrochenen Krieg führe. Man faßt sie beim Schnabel wie die Schnepfen, und beim geringsten Widerstande führen wir sie in die Kerker von Rochefort . . .“ Unter den nichtigsten Vorwänden wurden die reformierten Gemeinden ihrer Kirchen beraubt. Schon das bloße betreten eines Tempels – wie die reformierten Gotteshäuser verächtlich genannt wurden – durch einen sogenannten Relaps bildete für die Verfolger Grund, der Gemeinde ihre Kirche zu entziehen oder sie gar niederzulegen. (Relaps, d. h. Rückfällige, wurden jene Protestanten genannt, die, nachdem sie ihren Glauben abgeschworen hatten, aus Reue wieder zu ihm zurückkehrten.) Auf das Zeugnis eines siebenjährigen Mädchens wurde den 6000 Reformierten der Gemeinde Moize der Gebrauch ihrer Kirche untersagt: Es habe, erklärte es auf Befragen, zu Moize gleich wie zu Soubise eine Kanzel, und Pfarrer Morin habe sie bestiegen. Also, so schloß man, müsse das Mädchen diese Kirche einmal betreten haben, als ob es sein Wissen um diese Kanzel nicht ebenso gut vom Hörensagen sich angeeignet haben konnte. Und dabei vermochte dieser Zeuge noch nicht einmal mit Sicherheit sein rechtes vom linken Händchen zu unterscheiden . . . So wurde denn der Großteil der Einwohner dieser Dörfer vor die Wahl gestellt, entweder den Kopf zu beugen oder auszuwandern. Die meisten wählten den Wanderstab. Nichts schreckte dies tatkräftige und willensstarke Volk zurück. Das Meer war für sie die große Befreierin vor der Verfolgung. Man verbarg sich auf den Kauffahrteischiffen unter der Handelsware. Man fürchtete weder die Korsaren, die darauf ausgingen, die feindlichen Schiffe auf offenem Meere zu kapern, noch die Stürme. Selbst Frauen und Kinder überwanden diese Mühen und Strapazen mit ebensoviel Mut und Aufopferung, als unternähmen sie eine Lustfahrt. So entvölkerten sich denn diese einst so volksreichen Gemeinden. „All unsere jungen Leute ziehen fort“, schreibt der Priester eines dieser Dörfer, „und es bleiben uns nur noch Greise und Kinder.“ Bald wurde auch für den jungen Elie Neau die Heimat zur Fremde und die Fremde zur Heimat. Im Jahre 1679, mit siebzehn Jahren, verließ er die Heimat, um seinen Glauben zu retten. so stark war schon damals die Treue zu seinem Glauben, der, wie es scheint, weniger durch das Vorbild seines Elternhauses als durch den Einfluß seines Seelsorgers, des Pfarrers Jean Morin, geweckt und gepflegt worden war.

Zunächst siedelte sich Elie Neau wie viele seiner Landsleute auf der Insel St-Dominique an. Fahrten zwischen den französischen und holländischen Besitzungen im Dienste eines Handelshauses bildeten seinen Tageslauf. Als die Verfolgung mit dem Rückruf des Edikts von Nantes ihre Wellen auch auf die ferne Meeresinsel warf, wandte sich Elie Neau der Neuen Welt zu. Er ließ sich in Boston nieder. Sechs Jahre lang weilte er in dieser damals noch kleinen Stadt. Er ahnte nicht, welche Bedeutung sie für sein Leben gewinnen sollte. Hier war es, daß er dem Apostel der Indianer, John Eliot, begegnete, von dessen Persönlichkeit und Missionswerk unter den wilden Stämmen von Massachusetts er unverlierbare Eindrücke empfing.

In der neuen Heimat suchte Elie Neau nun fürs Leben heimisch zu werden. Im Jahre 1688 schloß er die Ehe mit Suzanne Pare, der Tochter einer angesehenen Flüchtlingsfamilie. Von drei Kindern, die ihm die Gattin schenkte, starb das erste im zarten Alter; ein Sohn zählte 18 Monate, als der Vater in Gefangenschaft fiel, und das jüngste Kind, ein Mädchen, kam einen Monat nach des Vaters Gefangennahme zur Welt. Elie Neau sollte Frau und Kinder erst nach sechs Jahren schwerer Mühsale wiedersehen.

Um Kommandant eines englischen Schiffes werden zu können, ließ sich Elie Neau im Jahre 1690 ins englische Bürgerrecht aufnehmen. Mit seinen Schwägern siedelte er nun nach New York über. Von hier aus stach er am 15. August 1692 als Kommandant eines kleinen Kauffahrteischiffs „La Marquise“ im Dienste des New Yorker Kaufmanns Gabriel Le Boiteux in See. Sein Ziel war Jamaika, die große Insel in den Antillen. Am 9. September wird sein Schiff auf offenem Meere auf der Höhe der Bermuda-Inseln, 120 Meilen von seiner neuen Heimat entfernt, von einem französischen Korsaren gekapert. Der Korsar, Julien Boussaut, Herr du Motte von St-Malo, zwingt den Kommandanten des gekaperten Schiffs, zu dessen Führung er selber nicht genügend Leute hat, ihm die Fracht um 3500 Pfund zurückzukaufen. Und da Elie Neau über diese Summe nicht verfügt, läßt ihn der Korsar mit seinem Leben für diese Summe bürgen, indessen das Schiff nach seinem Heimatport zurückfahren darf. Den Bürgen seiner Beute aber, den unglücklichen Elie Neau, entführt der Korsar an die französische Küste nach St-Malo. Dort läßt er ihn ins Staatsgefängnis legen, bis er das Lösegeld entrichtet hätte. Als Franzose und Protestant, als den sich Elie Neau freimütig zu erkennen gibt, erregt er das besondere Interesse der Gerichtsbehörden. Man meldet den Fall nach Paris und erbittet sich Weisung, wie mit dem Gefangenen zu verfahren sei. Inzwischen gelingt es Elie Neau, mit seinen Freunden in England Fühlung zu nehmen. Man verhandelt über Wege und Mittel, den Gefangenen auszulösen. Man verhaftet sogar zwei französische Kapitäne, in der Hoffnung, Frankreich lasse sich auf einen Tausch ein: zwei gegen einen. Indessen zerschlagen sich alle diese Versuche. Wir wissen nicht, weshalb. Doch einer weiß es. Es ist Elie Neau selber; der die Gewißheit empfängt. Gott wolle seinen Glauben seine Treue und Standhaftigkeit erproben. Vom Pariser Hof kommt Weisung, der Fremde sei zum Widerruf seines Bekenntnisses und zur Unterzeichnung einer Formel seiner Abschwörung zu zwingen. Weigere er sich des Widerrufs, so sei er nach der ganzen Strenge der königlichen Gesetze zu richten. Mit verlockenden Versprechungen und unverhüllten Drohungen gab man dieser Weisung Nachdruck. Man ließ durchblicken, man würde dem Gefangenen den Kaufpreis seiner Fracht erlassen. ja man ließ ihn hoffen, man würde ihm ein hohes Amt oder ein Kommando anvertrauen. Solchen Versuchungen gegenüber aber blieb Elie Neau fest: Diese Angebote wären wohl gut für einen Mann, dem die Welt und ihre Reichtümer lieb wären; aber nicht für ihn. Um einen solchen Preis könne er das, was er mehr liebe als alle Güter der Welt, nicht hingeben, nämlich seine Seele, die Jesus Christus um einen unermeßlichen Preis losgekauft habe.

Nun setzten die Drohungen ein: Elie Neau solle bedenken, daß er keineswegs so unschuldig sei, wie er glauben machen wolle. Er habe gegen die Gesetze des Königs das Land verlassen und sei auf einem feindlichen Schiffe verhaftet worden. Er könne sich aber leicht aus der Sache ziehen, wenn er nicht länger widerspenstig sei und die Richter nicht zwinge, ihn nach dem Wortlaut der königlichen Befehle, deren Strenge er ja kenne, zu richten. Die größte Gunst, auf die er dann rechnen dürfe, wäre eine Verurteilung zu den Galeeren. Daran solle er denken, solange es noch Zeit sei.

Elie Neau macht geltend, er sei englischer Bürger, und zwar seit mehr als zehn Jahren. Dieser Einwand erschien den Richtern von St.-Malo nun doch so gewichtig, daß sie beschlossen, Elie Neaus Bürgerbrief nach Paris zu schicken. Mochten die Hofjuristen zu Paris den Rechtsstreit entscheiden! Wohl hatte Elie Neau seine Heimat nach dem Edikt vom Jahre 1669 verlassen, das die Auswanderung und den Aufenthalt in fremden Ländern ohne besondere königliche Erlaubnis verbot. Doch bestand daneben die Tatsache, daß er seit zehn Jahren schon das englische Bürgerrecht besaß. In Paris wurde der Rechtsstreit zuungunsten von Elie Neau entschieden. Nach vier Monaten, am 12. Februar 1693, wurde er vom königlichen Sitz der Admiralität zu St-Malo dazu verurteilt, sogleich in Ketten gelegt und auf die Galeeren Seiner Königlichen Majestät geführt zu werden, um daselbst als Gefangener für die Zeit seines Lebens zu dienen, denn er sei überwiesen worden, daß er ohne Erlaubnis und gegen die Erlasse und Weisungen Seiner Majestät sich in einem fremden Lande aufgehalten habe.

Elie Neau machte von seinem Rechte der Appellation an das Parlament zu Rennes Gebrauch. Hiezu führte man ihn in das Gefängnis dieser Stadt. Noch ehe das Parlament das Urteil von St-Malo bestätigte, begab sich der Generalprokurator in den Kerker, um dem Gefangenen die Freiheit anzubieten unter der Bedingung: die Messe oder dann die Kette. „Ich wählte die Kette“ schreibt Elie Neau in seiner schlichten Weise seinem Freunde dem Pfarrer Morin. Mit den Worten „Sie tun mir leid, aber da Sie dieses Sinnes sind, können wir nichts mehr für Sie tun!“ verließ der hohe Richter den Gefangenen. So wurde denn das Urteil bestätigt und Neau schon am 3. April 1693 in die „Kette“ 18 eingereiht, in einen jener Transporte von bis zu zweihundert zum Galeerendienst verurteilten Männern aus jedem Stand und Alter. Mit gemeinen Verbrechern, mit Mördern, Räubern, Dieben, Fahnenflüchtigen wurden auch die um ihres Glaubens willen auf der Flucht in die Fremde eingebrachten Glieder der verfolgten Reformierten in wochenlangem Marsche durch das Land dem Süden zu nach Marseille, dem Hauptquartier der Galeeren, getrieben. 37 Tage währte der mühselige Marsch. Ein glaubwürdiger Zeuge, der zehn Jahre später den Weg in der „Kette“ vom Norden Frankreichs bis nach Toulon erlebt hatte, gesteht in seinen Erinnerungen, er habe in diesen Wochen mehr gelitten als sonst in seinem zehn Jahre langen Galeerendienste. Elie Neau litt unterwegs zwar schwer an einer schmerzhaften Dysenterie, erreichte aber dennoch das Ziel der Reise in leidlich guter Verfassung. Es war am Abend vor Pfingsten, als er den Boden von Marseille betrat. Zunächst wurde er der Galeere „Vieille Dame“ zugeteilt. Das war eine Art Sammellager der neu eingelieferten Opfer. Sechs Monate weilte er hier und ebenso lange auf der Galeere. „La Magnanime“.

Über seine Erlebnisse sind wir durch eine Reihe von Briefen unterrichtet, die Elie Neau seinem fernen Freunde und Lehrer, dem Pfarrer Morin, der längst in Holland ein neues Arbeitsfeld und eine neue Heimat gefunden hatte, zu schreiben vermochte. In diesen Briefen erzählt Elie Neau nicht nur sehr eingehend von seinem äußeren Ergehen, von den Mühen und Nöten des Galeerendienstes; er bekennt seinem Seelsorger rückhaltlos und voller Vertrauen auch die Nöte seiner Seele den Wechsel von Bangen und Hoffen, die Niederlagen und Siege in seinem Ringen im Kampf um die Treue zu seinem Glauben. Wenn Elie Neau das Leben auf diesen Galeeren weit erträglicher fand, als er es erwartet hatte, so dankte er dies nicht zum kleinsten Teile dem tapferen Beispiel und Vorbild einzelner Glaubensbrüder die ihn in seiner Haltung bestärkten und ermutigten, sie die schon seit Jahren unerschrocken den Namen ihres Herrn bekannten. „Ihr Vorbild in der Reinheit ihrer Sitten wie im Dienste des wahren Gottes hat mir die Liebe zu allem, was liebenswert ist, eingeflößt“, schreibt er im ersten der uns erhaltenen Briefe an seinen Pfarrer. „Doch bin ich erst ein Liebhaber ihrer christlichen Tugenden, aber noch kein wahrer Nachahmer.-Ich liebe die Wahrheit und die Reinheit. Aber diese Liebe ist schwach, wie sie nur schwach sein kann; sie war nicht immer so stark, und ich muß Innen gestehen, daß es noch nicht lange her ist, daß sie mir geschenkt wurde. Ich bin darum wie ein durstiges Erdreich; ich beginne nach der Gnade zu hungern und zu dürsten. Ich erkenne wohl, es sind meine Sünden, die mich an die Kette geschlossen haben.“ Seit seinem 16. Lebensjahre habe er begonnen, seine Pflicht gegen Gott zu erkennen. Und eben diese Erkenntnis mache ihn heute vor Gott nur um so schuldiger, „denn ich habe seinen Willen erkannt, ohne ihn zu erfüllen. Oft habe ich die Hand an den Pflug gelegt, aber nicht ohne Unruhe habe ich ihn wieder fahren lassen“.

Über das Geschick seiner Familie war Elie Neau lange im ungewissen, da kein Lebenszeichen aus der neuen Heimat ihn erreichte, bis ihm sein einstiger Brotherr nach zwei Jahren gute Nachrichten über Gattin und Kinder senden konnte. Aber auch aus der alten Heimat drang jahrelang keine Stimme zu ihm. Wohl zehnmal habe er an seinen Vater geschrieben, doch nie sei auch nur ein schwaches Echo hinab an den fernen Strand gedrungen. Ein Trostbrief seines Seelsorgers, der unserem Gefangenen in seiner Einsamkeit eine mächtige Hilfe hätte sein können, vermochte nicht bis zu ihm zu kommen, da er inzwischen aus den Galeeren in einen Kerker der nahen Zitadelle St-Nicolas eingeschlossen worden war.

Elie Neau mußte in dem Maße, als er durch seine tapfere Haltung sein stilles Dulden und seine menschenfreundliche Güte die Herzen seiner Gefährten gewann, den Dienern der römischen Kirche, denen die Seelsorge auf den Galeeren anvertraut war, ein tägliches Ärgernis sein. Denn täglich übte er die Mahnung Christi an seine Jünger, ihr Licht vor den Menschen leuchten zu lassen. So wurde denn der Bischof von Marseille ins Vertrauen gezogen, und bald genug erhielt der Minister der Marine aus Paris die Weisung, die Reformierten, die mit ihrem Psalmensingen die andern Gefangenen beunruhigt hatten, unverzüglich in Ketten zu legen und vor allem den Elie Neau in die Zitadelle einzuschließen und ihm jeglichen Verkehr mit der Umwelt zu verwehren.

Es war am 5. Mai 1694, als man Elie Neau als Pestträger und Vergifter der Mannschaft in diesen Kerker überführte. Der Gouverneur, in dessen Obhut Elie Neau nunmehr übergeben wurde, war indessen ein Mann von menschenfreundlichem Sinne. Er gab dem Gefangenen die Erlaubnis, seine Freunde in der Heimat um Hilfe für seinen Unterhalt zu bitten unter der einen Bedingung, daß er ihn all diese Briefe lesen lasse. Doch führte der Tod dieses humanen Gouverneurs bald zu einem Wechsel im Kommando der Zitadelle. Der Major, der in dieses Amt eintrat, nahm an Elie Neaus Psalmengesang Anstoß und ließ den frommen Sänger in ein anderes Gemach bringen in dem dieser bis zum July 1696 blieb. Nichts, was zu seinem Troste hätte dienen können, wurde ihm vergönnt, weder Bücher noch Schreibzeug. Doch kann auch ein noch so geringes Mittel einem Einsamen dienen. In seiner Tasche fand Elie Neau ein Endchen Kreide, das ihm ermöglichte, seinem einstigen Chef nach Boston zu schreiben. Und siehe, die Antwort blieb nichts aus: Nachrichten über seine Familie seit seiner Gefangennahme. Und auch das, was ihm für sein inneres Leben am meisten not war, ließ Gott ihn finden: eine Bibel in englischer Sprache, die ihm zum kostbarsten Besitz wurde. Mochten die äußeren Umstände noch so elend sein, feucht der Kerker, karg die Nahrung, streng die Bewachung, in seiner demütigen Ergebung kamen die Worte Christi über seine Lippen: „Sein Joch ist sanft und seine Last ist leicht, denn er selber macht sie mir leicht und angenehm.“

Ein Brief vom 14. November 1695 an Pfarrer Morin enthüllt uns beides: das äußere Elend, in dem der Gefangene lag, aber auch die unerschütterliche Kraft seiner glaubensstarken Ergebung in den Willen Gottes: Wo die Elenden Trost darin finden, daß sie nicht allein sind und sich gegenseitig Mut zusprechen können, da sieht sich Elie Neau von aller Welt geschieden. „O wie elend müßte ich sein, wenn mir der Gott meiner Seele nicht die Gewißheit gäbe, ich bin nicht allein, denn ich habe meinen Geliebten bei mir. In Wahrheit, er ist’s allein, der in seiner väterlichen Güte die Tränen trocknet. – Mein Gefängnis hat sich wunderbarerweise in eine Stätte der Freiheit verwandelt. Doch wie wir unter Trübsalen ins Reich Gottes eingehen müssen, so dauern auch diese Freuden nicht ewig; jeder Tag hat seine Zeit. Hier ist die Stadt der Kämpfe. Ich bin mitten im Feld der Feinde. Ich muß siegen oder ewiglich verderben. Es gibt keinen Kampf ohne Schläge und wenig Schläge ohne Wunden.“ Drum bittet er seinen Freund, ihm in diesem Kampfe mit seiner Fürbitte beizustehen.

Kaum hatte sich Elie Neau in das neue Leben in der Festung St-Nicolas zurechtgefunden, als er – es war im Juli 1696 – in eine andere Festung übergeführt wurde, ins Chateau, in jene Festung auf einer Insel in drei Kilometer Entfernung von Marseille. Es war, wie Elie Neau Pfarrer Morin erzählt, am 1. Juli, an einem Sonntagmorgen, da der Großprofos in aller Herrgottsfrühe mit vier seiner Trabanten den Kerker öffnete und in aller Heimlichkeit die Überführung vollzog. Vorsichtig schloß man die Fenster der Zitadelle, um keine neugierigen Blicke auf sich zu lenken. Mit Elie Neau wurde dessen einziger Gefährte herausgeholt, ein armer Glaubensgenosse, der durch die harte Behandlung den Verstand verloren hatte und kindisch geworden war und kaum noch ein Wort sprach. „Stellen Sie sich Menschen vor“, schreibt Elie Neau seinem Seelsorger, „die man von Gefängnis zu Gefängnis führt, die ihren Leib dahinschleppen, der nur noch Haut und Knochen ist, weiß wie Gips, der Bart so lang wie die Haupthaare, voller Läuse und Wanzen, die an uns nagen. In diesem elenden Zustande führte man uns in diese Festung.“ Und wieder erlebte es Elie Neau als eine göttliche Fügung, daß er seine Bibel in den neuen Kerker hinüberretten durfte. Wohl hatte er sie mit allen andern Büchern beim Auszug aus der Zitadelle in die Hand des Großprofosen übergeben müssen; doch auf der Überfahrt zur Insel händigte sie ihm dieser auf seine Bitte wieder aus, sei’s, daß dem Profosen die englische Sprache fremd war, sei’s, daß er dem Gefangenen, der ja nun einer noch größeren Einsamkeit entgegenfuhr, wirklich eine Gunst erweisen wollte. Zunächst wurde Elie Neau in das Obergemach eines der Türme des Schlosses gelegt, wo ihn der Blick auf das Meer erquickte und zu frommen Betrachtungen inspirierte. Fünfzig Tage erfreute er sich dieser Gunst. Dann schloß man ihn in die Tiefe eines der untersten Verliese ein. Nach abermals sechs Monaten, die er allein in diesem Gewölbe, das jeden Sonnenlichts entbehrte, zugebracht, mußte oder durfte er mit drei Glaubensbrüdern ein anderes benachbartes Loch teilen. Denn es erschien dem Gefängniswärter bequemer, die karge Kost der Gefangenen nur an einen Ort hintragen zu müssen. Im übrigen waren die äußeren Umstände hier ebenso bedrückend wie in den früher bewohnten Kerkern. Doch blieb Elie Neau auch hier dank seiner seelischen Kraft Sieger über all das, was ihn von außen her zu verderben suchte. Tastend fand er sich in der Finsternis, die ihn und seine Gefährten umhüllte, zurecht. Bald fand sich auch Gelegenheit, durch Briefe mit den fernen Freunden und durch deren Hilfe mit seiner Familie Verbindung zu finden; vermochte er doch einmal an ein und demselben Tage gleich drei Briefe – und zwar Briefe von ordentlicher Länge und tiefem geistigem Gehalte – zu schreiben, einen an Pfarrer Morin, den zweiten an seine Gattin und den dritten an den Vermittler dieser Briefe, den Kaufmann Le Boiteux in New York. „Wäre es mir erlaubt, alles auszumalen, was wir leiden, man würde es nicht glauben. Man müßte den Pinsel eines Seraphs haben, um ein Bild davon zu geben. Das äußerliche Bild, das es Ihnen von unserer Lage zeigen würde, ließe Sie ohne Zweifel erzittern. Wäre unser Inneres nicht von einer ewigen Macht getragen, wir vermöchten in dem traurigen Zustande, in dem wir uns befinden, nicht zu leben. Ich bitte Sie, zu bedenken, welch ein Leben ein Mensch in einem Kerkerloch ohne Licht, außer dem, das durch die Türe dringt, führen kann! Ich habe einen Sack auf dem Rücken und das Käpplein des Sklaven auf dem Haupte, und der Gott, den ich anbete, weiß, daß es schon drei Jahre sind, daß ich dies Käpplein auf dem Haupte trage; die Hemden aus Sackleinwand, ohne Schuhe, denn man gibt uns keine, jedermann verboten, mit uns zu reden oder uns irgendwelche Bücher zu geben, nicht einmal katholische, ohne Licht und ohne Kerze. Ich würde Sie ermüden, wenn ich ihnen alle Einzelheiten, die man gegen uns beobachtet, schildern wollte. Müssen Sie nicht, liebe Herren, zugeben, daß man unser Leben einen lebendigen Tod nennen kann? Aber was würden Sie sagen wenn ich ihnen bekenne, daß an Stelle des natürlichen Sonnenlichtes die Sonne der Gnade ihre göttlichen Strahlen in unsere Herzen leuchten läßt, die uns mit ihrer Kraft unaussprechliche Freude einflößen, die nur verstehen kann wer sie erlebt; wenn ich ihnen bekenne, daß diese Art Leben süßer und köstlicher ist als alles zeitliche Glück?“ Und nun erfahren wir auch, daß nicht bloß die Psalmen, die Elie Neau gesungen, Grund gewesen, ihn auf diese Inselfestung zu verbringen, sondern ebensosehr der Umstand, daß er Briefe in ferne Länder geschrieben und Geldgaben empfangen hatte. Das gab dem Verdachte Nahrung, er und seine Gefährten seien Spione; die Gaben, die sie für sich und ihre Brüder auf den Galeeren und in den Kerkern erhielten, seien Lohn für staatsfeindliche Tätigkeit. Ähnlich erging es einem der Gefährten Elie Neaus im Chateau d’If, dem Graubündner Paul Ragatz, der jahrelang unter diesem Verdachte, Spionage für fremde, Frankreich feindliche, Staaten getrieben zu haben, von Kerker zu Kerker geschleppt worden ist.

Daß Elie Neau in aller äußeren Not aus der unversieglichen Quelle des Wortes Gottes täglich neue Kraft schöpfen und mit seinen Gefährten in brüderlicher Gemeinschaft leben durfte das ließ sein Herz immer wieder in Lob und Dank überfließen: „Ich bin gewiß, daß ich reicher bin als meine Feinde. Oh, wenn sie wüßten, wie reich ein Mensch ist, wenn er vom Antlitz seines Gottes durchstrahlt ist! Wenn sie den Besitz dieser unaussprechlichen Freude erfahren hätten, sie würden uns ohne Zweifel noch ganz anders behandeln. Hier erfahren wir, wie wahr die Verheißung ist: Meine Kraft vollkomnet sich in der Schwachheit.“

Aus dem Dunkel seines Kerkers konnte Elie Neau getrosten Sinnes schreiben: „Ich bin in einen kleinen Winkel eingeschlossen, doch zum Glück ist’s nur mein Leib: mein Glaube ist’s in keiner Weise.“ Daß seine Gattin und seine Kinder drüben in der Neuen Welt frei ihres Glaubens leben durften, war ihm Grund zu täglichem Danken; daß seine Eltern in der alten Heimat im Abfall von ihrem Glauben lebten, war ihm Gegenstand tiefer Trauer. Wie sehr hoffte er, er würde für seine Brüder, die noch daheim weilten, einst ein Joseph, d. h. ein Helfer und Retter, werden. Und wirklich, ihrer zwei hatten auf seine Stimme gehört und die Heimat verlassen und lebten nun, treu ihrem reformierten Bekenntnis, in Boston. Und nun vernimmt Elie Neau eines Tags die Nachricht vom Hinschied seiner Mutter, nachdem der Vater schon früher das Zeitliche gesegnet hatte. Am 14. September 1696 gibt er seinem Schmerz über diese Nachricht in einem Brief an seine Schwester Rahel Ausdruck: „Sie haben mir das Herz mit tiefem Schmerz erfüllt, als Sie mir den Tod meiner geliebten Mutter meldeten. Ich sehe vor mir den Weg gezeichnet, den jeder gehen muß. Ich weiß, das ist der Wille des Allmächtigen und die Fügung, die seine unbestechliche Gerechtigkeit über das ganze menschliche Geschlecht getroffen hat. Die Großen und die Kleinen, die Reichen und die Armen, die Könige und die Sklaven stehen unter dem gleichen Los. Alle müssen wir vor dem Richterstuhl erscheinen und Rechenschaft ablegen vor dem, der Herzen und Nieren prüft. Aber das größte aller Übel ist dies, daß wir fast nie daran denken, oder wenn wir schon bisweilen daran denken, doch nur ganz flüchtig.“ Und nun knüpft Elie Neau an diese Feststellung eine ergreifende Mahnung an seine Schwester, sich von der Sünde des Abfalls vom evangelischen Glauben zu lösen und dies ewige Gut höher zu schätzen als die Güter dieser Welt. Denn es sei schwer, die Welt zu brauchen, ohne sie zu mißbrauchen. Gott will keinen, Teil; er will das ganze Herz. Vierfach sei dies gesagt im Worte der Heiligen Schrift: Du sollst Gott lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken. Er will geliebt sein mit einer Liebe voller Dankbarkeit, voller Gehorsam, voller Erkenntnis und voller Beharrlichkeit. Darum: Fliehen Sie aus der Verderbnis Ihrer Sünden; weinen Sie Tag und Nacht darüber, daß Sie diesen großen und furchtbaren Gott beleidigt haben! Verschieben Sie ihre Reue nicht auf morgen denn der morgende Tag ist nicht in unserer Gewalt. –

Tatsächlich erlebte Elie Neau die Freude, daß seine Schwester die Heimat verließ und sich in Boston ihrem reformierten Glauben wieder zuwandte. In diesem getrosten Glauben lebte und webte der Mann, der über dem Heil seiner eigenen Seele das Heil und das Wohl der wenigen Mitmenschen, die sein Wort erreichen konnte, nie vergaß. Welch ein Kontrast: die Nacht seines Kerkers und das hell strahlende Licht in seinem Herzen!

„Es gibt hier kein Licht, als hätte Gott die Sterne nicht geschaffen, um im unendlichen Raume des Himmels auf die Erde zu leuchten. Wir liegen auf einem Haufen schlechten Strohs, und Gott. der mein Herz sieht, weiß daß die Würmer aus unseren Lumpen kriechen und die Wände hinaufklettern. In dieser Not macht man unser Los noch drückender, da man nicht zugeben will, daß wir eine andere Kost erhalten als die gemeine Kost der Sträflinge. Man weiß sehr wohl, daß man für fünf Sous in einer Zeit, in der alles so ungemein teuer ist, nicht viel bekommt. Wir verlangen ja nicht, daß man uns von unserem Gelde aushändige, sondern es uns in Lebensmitteln gebe. Doch man will nicht auf uns hören. Und als ob dies nicht genüge, uns zu zermürben, steigert man die Grausamkeit auf die höchste Spitze. Wenn wir krank sind, verweigert man uns die Hilfe des Arztes. Man erbat, da wir beim Eintritt in diesen Kerker Fieber hatten, vom Kommandanten die Erlaubnis, uns schröpfen zu lassen. Er erwiderte, lieber würde er uns mit einem Pistolenschuß enden lassen.“ Doch, so triumphierte Elie Neau, der Höchste spottet ihrer. „Es kommt mir vor, ich höre seine Stimme aus der Tiefe meines Herzens. die zu mir spricht wie einst zum Propheten Jesaja: Sprich laut und schweige nicht ! Ich mache deine Stimme wie zu einer Trompete. Zeige meinem Volk deine Leiden und verkünde ihnen den Reichtum meines Erbarmens!“ (Jes. 58, 1).

Wer waren die drei Männer, die ihren Kerker mit Elie Neau teilten? Aus einem Briefe an Pfarrer Morin erfahren wir ihre Namen. Da Elie Neau die Spenden seines Seelsorgers mit ihnen brüderlich teilte, schlossen sie sich dem Danke ihres Freundes an den fernen Wohltäter an und setzten auch ihre Namen unter den Brief.

Am besten sind wir über den ersten dieser drei Männer unterrichtet, den zu Lyon geborenen Graubündner Paul Ragatz aus Tamins, der den aus der Heimat fliehenden Hugenotten als Guide, als Führer, diente und auf einer dieser gefährlichen Fahrten 1686 im Cevennenedorfe Aubaret verhaftet und der Spionage verdächtig, zum Galeerendienste verurteilt, nach grausamer Behandlung aber als zum Ruderdienst untauglich befunden und erst in die Tour de Constance in Aigues-Mortes hernach ins Chateau d’If geworfen wurde. Wir besitzen von Ragatz eine ergreifende Schilderung seiner Erlebnisse und etliche Briefe, die er an die Obrigkeit der Evangelischen Orte zu schreiben vermochte. „Man müßte ein Buch schreiben, wollte man die Leiden darstellen, die man ihm angetan hat“, schreibt Elie Neau über diesen tapferen Dulder.

Der zweite der drei Gefährten, Antoine Capion aus Montpellier, hatte schon 1681 das Land verlassen, war dann auf der Heimkehr von Venedig 1696 verhaftet und verurteilt worden. Der dritte, Jean Mogniere genannt La Croix, aus den Cevennen, wurde 1695 verurteilt, weil er eine Assemblée, eine gottesdienstliche Versammlung seiner Glaubensgenossen, veranstaltet hatte. Während seine drei Gefährten, einer nach dem andern, den Kerker verlassen und in ihre Heimat zurückkehren durften, sollte Mognier sein Leben im Kerker beschließen müssen. Er litt vor allem im strengen Winter 1708, da zu Paris das Thermometer auf 23 Grad unter Null sank und in der Provence fast alle Olivenbäume und das Getreide erfror, unsäglich unter Kälte und Entbehrung. Er starb am 4. März 1709 im Chateau d If.

Elie Neau genoß bei allen Gefangenen, mit denen er in Berührung kam, höchstes Ansehen und ein unbedingtes Vertrauen bei seinen Glaubensgefährten. Sein Einfluß auf die drei Männer, die durch Monate und Jahre hindurch das karge Brot und die Entbehrungen und Leiden der Gefangenschaft mit ihm teilten, muß für ihren Glauben und ihre Standhaftigkeit bestimmend gewesen sein. Paul Ragatz sowohl wie Jean Mognier waren Männer aus dem einfachen werktätigen Volk, ohne besondere geistige Bildung und gelehrte Schulung. Im täglichen Verkehr mit Elie Neau wuchsen sie dank ihrer Aufgeschlossenheit für die Dinge der unsichtbaren Welt immer tiefer und fester in die göttlichen Wahrheiten und Erkenntnisse hinein und gewannen eine große Fähigkeit, ihrem Denken und Empfinden in einer mehr als gewöhnlichen Weise Ausdruck zu geben. Brüder, die Mognier kennen lernten oder seine Briefe lasen, glaubten, einen gebildeten Pfarrer vor sich zu haben, und doch war Mognier bis zu seiner Verhaftung ein schlichter Bauer und Hirte gewesen.

Am 10. März 1698 fand Elie Neau wieder eine jener seltenen Gelegenheiten, seinem Pfarrer zu schreiben. Daß es der letzte Brief sein würde, den er aus dem Kerker an den Freund in Holland schrieb, konnte er nicht ahnen. zunächst war es die Freude über den endlichen Empfang jenes ersten, verlorengeglaubten Briefes, der ihn zum Danken drängte. In kurzem geht der Empfänger auf die Gedanken jenes Briefes ein. Da ist die uralte Hiobfrage, die Not des Sängers des 73. Psalms, die auch ihm und seinen Gefährten von ihren Spöttern immer wieder entgegengehalten wurde: Wo ist nun euer Gott? Warum befreit er euch nicht, wenn doch eure Kirche die wahre sein soll? Gleich den Frommen des Alten Testaments hat sich auch Elie Neau, nachdem seine ersten Antworten taube Ohren gefunden, in demütiges Schweigen gehüllt.

Als der Sommer des Jahres 1698 ins Land kam, schlug für Elie Neau ganz unerwartet die Stunde der Befreiung. Es war der König von England, Wilhelm III. „, der sich durch seinen Gesandten, Mylord Postland, von Ludwig XIV. die Freilassung Elie Neaus und etlicher anderer um des Glaubens willen Gefangener erbat. Ungern genug mögen die Minister den Weisungen des Königs Folge gegeben haben. Mit Elie Neau wurde zugleich auch Antoine Capion freigelassen, und zwar schon am 13. Juni, während sich die Freilassung von Elie Neau durch ein Versehen verzögerte. Der Paß, der ihm ausgehändigt werden sollte, wurde dem Gouverneur der Zitadelle übergeben; der Kommandant des Chateau d‘lf aber wagte nicht, Neau zu entlassen, er wäre denn im Besitze eines besonderen, an ihn gerichteten Befehls des Königs. Am 3. Juli scheint nun auch Elie Neau seinen Kerker verlassen zu haben. Der Paß, der ihm den Kerker öffnete, verschwieg den wahren Grund seiner Verurteilung, schrieb dem Befreiten aber vor, innerhalb sechs Wochen das Land zu verlassen. Aus Bemerkungen in einem Briefe des Ministers Pontchartrain gewinnt man den Eindruck, daß man es in Paris gern gesehen hätte, Elie Neau würde Calais, wo er sich nach der Neuen Welt einschiffen mußte, nicht auf direktem Wege durch Frankreich, sondern auf dem Umwege über Italien zu erreichen suchen, damit ihm verwehrt wäre, in Frankreich neue Unruhe zu stiften oder die Neubekehrten zum Abfall zu ermuntern . . .

In Marseille, wo er sich alsbald zur Reise nach Genf rüstete, gab Elie Neau seinem Freunde Pfarrer Morin die erste Kunde von seiner Freilassung: „Wie lieblich sind die Füße des Boten auf den Bergen, der gute Botschaft bringt, der meinem Herzen den Frieden verkündet und der zu meiner Seele spricht: Zion, dein Gott, regiert (Jes. 52, 17). Meine Worte und Gedanken sind nicht fähig, Ihnen, lieber Herr, die Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, die ich fühle. Ich bin stumm angesichts der Güte meines Beschützers, und mein Schweigen bringt ihm ein höheres Lob dar als meine Worte.“ Mit Betrübnis erfüllt es ihn, daß er seine treuen Kameraden, Mognier und Ragatz, in dem Graben zurücklassen mußte, in dem sie lebten. „Ich empfehle sie ihrer Fürbitte. Sie haben mich gebeten, es zu tun.“ Er selber bittet um die gleiche Hilfe der Fürbitte, damit er in seinem Glücke seines Befreiers nicht vergesse, sondern seinen heiligen Willen lobe bis ans Ende seines Lebens. „Ich bitte Sie, entschuldigen Sie mich; ich schreibe unter viel Zerstreuung, mit Augen, die noch geblendet sind wie die einer Eule im Licht des Sonnenglanzes, den ich so lange nicht mehr gesehen halbe.“ Über Orange und Lyon, wo seine Freilassung von seinen Glaubensgenossen mit tiefer Freude vernommen wurde, eilte der Befreite nach Genf, dem „andern Kanaan“, wie die Hugenotten in der überschwenglichen Sprache jener Zeit diese alte Zufluchtsstätte so vieler Flüchtlinge nannten. In Genf waren es vor allem die Diener der Kirche, die Pfarrer und Professoren, die Elie Neau willkommen hießen und ihn nach den jahrelangen Mühen und Entbehrungen pflegten. Doch kaum daß er sich einigermaßen wieder gestärkt fühlte, setzte er seinen Wanderstab weiter. Sein Ziel war Bern wo er den Leitern des Staates und der Kirche das harte Los der noch in Ketten schmachtenden Brüder schilderte und ihnen insbesondere die Not ihres Landsmanns Paul Ragatz ans Herz legte.

( Als wir im Berner Staatsarchiv nach Spuren von Elie Neaus Besuche fahndeten, stießen wir wirklich im Ratsmanual zum 1. August 1692 auf folgende Notiz des bernischen Staatsschreibers: „Zedul (Befehl) an Hrn. Seckelschreiber: Ihr Gnd (Gnaden) habind einem forcat (Sträfling) Elie Neau, so in die S. Jahr lang in Marseille gefangen gesessen von der religion wegen und nun nach Engelland verreisen wolle, pro viatico (al. Wegzehrung) aus comiseration (aus Erbarmen) zehn Taler uszerichte und zu verrechnen.“ )

Im Herbstmonat finden wir Elie Neau bereits auf holländischem Boden. Zwei Anliegen bewegten sein Herz: der Dank für die erfahrene Hilfe und Befreiung und die Fürbitte für die Brüder, die er in den Kerkern und auf den Galeeren zurückgelassen hatte. Wilhelm III. kehrte soeben von einem Feldzug aus Deutschland nach Holland zurück, wo Elie Neau ihm und seinem Minister persönlich Dank abstatten durften, gewiß hat er auch seinen Seelsorger, Pfarrer Morin in Bergopzoom, aufgesucht. Dann aber es zog ihn mit allen Fasern heim, hinüber in die Neue Welt. In einem Begleitschiff der königlichen Flotte fuhr er nach London hinüber, von wo er sich nach einem Aufenthalt von etlichen Wochen nach Amerika einschiffte. In New York fand er die Seinen in häuslicher Gemeinschaft mit zwei Schwestern und ihren Familien. Dreizehn Personen saßen um seinen Tisch. „Sie werden es gut verstehen“, schrieb er am 27. September 1698 in einem Dankbrief an Professor Calandrini in Genf, dem hingebenden Freunde aller Verfolgten, „daß wir die Luft von unseren Lobgesängen auf unseren Schöpfer erklingen ließen, der seine Kraft so herrlich in meiner Schwachheit hat triumphieren lassen. Unsere ganze Kirche, die recht zahlreich ist, vereinigte sich mit ihren Wünschen bei uns, und all das gab ein liebliches Zusammenspiel des Lobes und Dankes gegen meinen Befreier, dessen Macht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit ich bewundere.“

In der Heimat nahm Elie Neau zunächst seine Tätigkeit als Kaufmann wieder auf. Schon 1701 steht sein Name auf einer Liste der angesehensten New Yorker Kaufleute. Neben seinen Kindern und nächsten Verwandten saß auch ein Neger, wohl als Diener, an seinem Tische. Denn bald stellte sich der einstige, Gefangene in einen besonderen Dienst seines Meisters. Der starke Eindruck den Elie Neau vor seiner Gefangenschaft von John Eliot, dem damals 87 jährigen „Apostel der Indianer“, empfangen hatte, war keineswegs verblaßt. Die Not der von den Weißen verachteten Menschenklasse brannte ihm auf der Seele. So begann er denn einzelne dieser Menschen in seinem Hause zu versammeln und im christlichen Glauben zu unterweisen, da er wohl erkannte, daß mit einer bloß oberflächlichen Bekehrung das Werk an ihnen nicht erschöpft sein konnte. Und im Jahre 1703 schloß sich Elie Neau der „Gesellschaft zur Ausbreitung des Evangeliums in Neuengland“ an. Am 4. August 1704 erhielt er das Brevet als Katechet, d. h. als Unterweisungslehrer der Rot- und Schwarzhäute. Nur am Abend, nachdem sich diese in ihre Winkel zurückgezogen hatten, durfte sich Elie Neau ihnen nähern. Denn eifersüchtig wachten ihre Herren darüber, daß ihre Diener und Sklaven der Arbeit nicht entfremdet oder gar durch unnötige Bildung mit ihrem Los unzufrieden gemacht würden.

Im Jahre 1708 zählte die Schar, die sich abends in Elie Neaus Hause zu versammeln pflegte, schon über 200 Zöglinge, von denen manche die Taufe empfangen hatten und am heiligen Abendmahle teilnahmen. Um als Lehrer und Missionar wirken zu dürfen, hatte Elie Neau die Gemeinschaft der Französischen Kirche zu New York, in der er auch das Amt eines Ältesten bekleidet hatte, verlassen und der Anglikanischen Kirche beitreten müssen, so engherzig standen sich damals die Kirchen auch der verschiedenen evangelischen Bekenntnisse gegenüber. Er wurde nun auch Vorsteher der neuen Gemeinschaft, die sich die anglikanische Kirche der Dreieinigkeit nannte. Ein zweites Opfer, das Elie Neau seiner neuen Arbeit brachte, bestand in der Aufgabe seiner Tätigkeit als Kaufmann. Er verzichtete dadurch auf ansehnliche Einkünfte und begnügte sich mit dem bescheidenen Gehalte von 50 Pfund für seine Missionsarbeit. In ihren Dachkammern und Kellerlöchern und wo immer diese Parias der amerikanischen Gesellschaft wohnten suchte Elie Neau sie auf, tröstete die Kranken, betete mit ihnen, kurz, ward ihnen Bruder und Freund. Und das Beispiel seiner Hingabe, seiner Sittenreinheit, seiner Frömmigkeit blieb nicht ohne Wirkung. Zum Bersten voll war der Obersaal seines Hauses, wenn sich die Indianer und Negersklaven mit ihren Frauen und Kindern am Mittwoch und Freitag zugleich mit englischen, schottischen und französischen Lehrlingen zum abendlichen Gottesdienst versammelten.

Wider Erwarten sollte Elie Neau noch einmal an seinem Lebensabend schwerste Prüfungen zu bestehen haben. Im Jahre 1706 wurden die angesehensten Franzosen, unter ihnen auch Elie Neau, verdächtigt und angeklagt, verräterische Beziehungen zu Frankreich zu unterhalten. Doch konnte das Widersinnige dieser Anklagen rasch erhärtet werden. Weit schwerer aber wurde eine Erhebung der Bürgerschaft New Yorks, die sich im Jahre 1712 gegen die Farbigen richtete. Diese Menschen hätten überhaupt keine Seele, behauptete man, da sie ja von Ham abstammten. Die Schule Elie Neaus wurde geschlossen. Tagelang durfte er es nicht wagen, sein Haus zu verlassen. Der Widerstand einiger Sklaven gegen ihre Herren wurde mit ihrer Unterweisung durch Elie Neau in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht. Man befürchtete einen allgemeinen Aufstand der Farbigen gegen die Weißen. Angst und Schrecken gingen durch die Stadt. Neunzehn Farbige wurden vor Gericht gestellt und hingerichtet. Mit Ruhe und Geduld suchte sich Elie Neau zu rechtfertigen. Nur einer der Neunzehn hatte seinen Unterricht besucht. So endete denn der ganze Sturm mit einer Rechtfertigung des selbstlosen Missionars, daß er sich, wie das Schlußurteil über ihn lautete, „in allen Dingen als guter Christ und treuer Bürger der Stadt erwiesen, daß er auf seinem Posten als Lehrer zu großer Förderung der Religion im allgemeinen und zum Segen, der freien Indianer und ,,der schwarzen Sklaven und anderer Heiden seinen Dienst mit Eifer und unermüdlicher Hingabe dreimal in der Woche versehen und daß keiner in so hohem Maße den Schutz der Gesellschaft verdiene wie er“.

Elie Neau durfte seine Arbeit, wenn auch nicht mehr in bisherigem Umfang, wieder aufnehmen. Bis zu seinem Tode blieb er der hingebende, aufopfernde, Freund seiner farbigen Brüder und Schwestern. Mit der französischen Gemeinde blieb er auch nach dem Übertritt zur anglikanischen Kirche freundschaftlich verbunden. Sein weiter Geist vermochte auch mit Gliedern anderer Kirchen Gemeinschaft zu halten, wenn sie nur den Einen Herrn und Meister liebhatten. Im Dienste seines Meisters ist Elie Neau am 3. September des Jahres 1722 im Alter von 60 Jahren gestorben. Auf dem Friedhof der Trinitätskirche zu New York wurde sein Leib neben den seiner Gattin gelegt, die zwei Jahre zuvor das Zeitliche gesegnet hatte. Auf seinem Grabstein war vor 60 Jahren —und wohl noch heute— zu lesen:

Hier liegt begraben der Leib von
Elie Neau
Katechet zu New York,
geboren zu Soubise
in der Provinz Saintonge in Frankreich
im Jahre 1662.
Er verließ dieses Leben
am 3. Tag des Herbstmonats 1722
im Alter von 60 Jahren.

Vor seinem Hinschied bestimmte Elie Neau, daß 500 Pfund seines Vermögens, das er seinen Neffen und kirchlichen Hilfswerken vermachte, zur Drucklegung von 150 Hymnen, die er in den Kerkern zu Marseille sich und den Brüdern zur Erbauung gedichtet hatte verwendet würden. Wir wissen nicht, warum sein Wunsch unerfüllt blieb.

 

Sir John Oldcastle, genannt Lord Cobham

Wenn ein Mann nur sich selbst und das Seine gesucht hat, so mag er noch so strahlend geleuchtet haben, seine Spuren verwischen sich schnell und sein Gedächtniß bleibt nicht im Segen. Wer aber in seinem Leben Gottes Werk getrieben, seiner Wahrheit gedient, sein Reich gefördert hat, dessen Segensspuren sind bleibend. So Wiclif. Er war am Jahresschluß 1384 gestorben. Aber sein Geist lebte fort. Nicht nur in den „armen Priestern“, die von ihm gelernt hatten, das Evangelium „frei und treu“ zu verkündigen, und welche nach wie vor „Gottes Gesetz“, statt nur menschliche Satzung, predigten; nicht nur in Tausenden vom Bürger- und Bauernstande, die aus dem Munde der „armen Priester“ Gottes Wort gerne hörten und lernten; sondern auch in zahlreichen Anhängern von Rang und Stand, in Rittern und Herren, welche überzeugt waren, daß sie ihren Einfluß und ihr ansehnliches Vermögen nicht besser anwenden könnten, als zu Gunsten einer Sache, welche zugleich zur Ehre Gottes diente und Freiheit und Wohlstand des Vaterlandes erhöhte. Denn in dem Charakter der Lollarden vereinigte sich das Anliegen heilsbegieriger Seelen und das Reformbestreben treuer Patrioten.
Einer der hervorragendsten Gönner und Schutzherrn der wiclifitischen Partei unter den Großen des Reichs war im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts der Mann, dem dieses Lebensbild gewidmet ist. Eben um seiner wiclifitischen Gesinnung willen wurde er eine Zielscheibe von Angriffen, welche zuletzt zu einer furchtbaren Katastrophe führten, in der er als treuer Bekenner evangelischer Wahrheit eines schrecklichen Märtyrertodes gestorben ist.
Sir John Oldcastle war ein edelgeborener Herr, der jedoch den Lordstitel, als Baron von Cobham, mit Sitz und Stimme im Oberhaus, nur dem Erbrechte seiner Gemahlin verdankte. Er war ein ganzer Ritter, persönlich tapfer, ein tüchtiger Feldhauptmann, nebenbei ein gewandter Hofmann und ein weiser Rathgeber. König Heinrich IV. von England, in dessen Gunst er hoch stand, hat ihm einmal ein Commando bei den Hülfstruppen anvertraut, die er im Herbste 1411 dem Herzog von Burgund zusandte, um das belagerte Paris zu entsetzen. Allein der edle Mann schätzte dessen ungeachtet die Gnade Gottes höher als die Gunst seines Königs. Und er verdankte seine Erweckung nächst Gott niemand anders als Wiclif und seiner Lehre. Er hat in einem Verhör vor dem Erzbischof einmal offen bekannt, daß er erst aus Wiclif’s Lehre einen Abscheu vor der Sünde geschöpft habe. Seitdem war er entschlossen Christo nachzufolgen, und die „freie und treue“ Predigt des Wortes Gottes nach Kräften zu fördern. Er hat nicht nur den Predigten wiclifitischer Reiseprediger für seine Person fleißig beigewohnt, und ist denjenigen, welche Widerspruch gegen dieselben zu erheben Lust hatten, nachdrücklich entgegengetreten, hat Mitglieder der Lollardenpartei, wenn sie von der Kirchengewalt bedroht wurden, mit seinem Ansehen und Einfluß, nötigenfalls sogar mit Waffengewalt, in Schutz genommen; sondern er hat auch selbst Reiseprediger ausgesandt, ohne bischöfliche Genehmigung einzuholen.
Begreiflich war ein solcher Mann der papistischen Hierarchie ein Dorn im Auge. Allein es fehlte geraume Zeit an Muth oder wenigstens an Gelegenheit, den hochgestellten und bei Hofe angesehenen Herrn persönlich und unmittelbar anzutasten. Anfangs wagte man sich nur an seinen Kaplan, Namens Johann, welcher unter dem Schutze des Lords an mehreren Orten der Grafschaft Kent, welche zu den Besitzungen desselben gehörten, ohne Erlaubniß des Bischofs von Rochester, als Reiseprediger aufgetreten war. Der Erzbischof ließ den Kaplan im Jahr 1410 zur Verantwortung vorladen, und belegte die Kirchen, in welchen er zu predigen pflegte, mit dem Interdikt.
Nachdem aber im Jahr 1413 Heinrich IV. gestorben war, und sein Sohn, der als Prinz von Wales sich einem tollen Leben hingegeben hatte, als Heinrich V. den Thron bestiegen hatte, ging man dem Lord selbst näher zu Leibe. Zuerst handelte es sich nur um ein Buch, welches in seinem Besitze gewesen war; man wußte den König durch Mittheilung anstößiger Sätze aus demselben, welche Lord Cobham zu vertheidigen nicht gewillt war, gegen ihn selbst einzunehmen. Nun erhob die Convocation vom 26. Juni 1413 Anschuldigungen gegen den Lord und beantragte, eine Untersuchung gegen ihn zu eröffnen, weil er Irrlehren hege und unbefugte Reiseprediger in Schutz nehme. Allein der Erzbischof Thomas Arundel hielt es für gerathen, sich zuvörderst an den König selbst zu wenden, und trug diesem die Sache vor. In Folge dessen gab sich Heinrich V. alle Mühe, durch persönliche Unterredungen den Lord umzustimmen, aber ohne allen Erfolg, indem derselbe seine Ueberzeugungen durchaus nicht verleugnete, im Gegentheil nachdrücklich festhielt. Schließlich ertheilte ihm der König im August 1413 im Schlosse zu Windsor einen höchst ungnädigen Verweis. Daraufhin verließ der Lord eigenmächtig das Hoflager, begab sich auf seine Burg Cowling in Kent, und befestigte dieselbe. Nun setzte der König den Erzbischof von der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen in Kenntniß und forderte ihn auf, kraft kirchlichen Rechts gegen den Lord einzuschreiten.
Der Erzbischof schickte sofort eine schriftliche Vorladung nach Schloß Cowling. Der Lord nahm dieselbe gar nicht an. Eine zweite Vorladung an ihn wurde an dem Portal der Cathedrale zu Rochester öffentlich angeschlagen. An dem darin anberaumten Termin erschien der Vorgeladene nicht. Jetzt sprach der Erzbischof über Lord Cobham den Bann aus wegen beharrlichen Ungehorsams, unter abermaliger Vorladung wegen Verdachtes der Ketzerei. Bald darauf befand sich der Edelmann im Staatsgefängniß, wahrscheinlich hatte er sich freiwillig dem König gestellt. Am 23. September 1413 wurde er vom Tower aus in den Kapitelsaal der Paulskirche dem Erzbischof und dem geistlichen Gerichtshof desselben vorgeführt. Der Primas bot ihm Aufhebung des über ihn verhängten Bannes und Absolution an, falls er darum bitten würde. Allein hiezu verstand sich der Lord schlechterdings nicht, wohl aber bat er um die Erlaubnis sein Glaubensbekenntniß, das er in englischer Sprache aufgesetzt hatte, vortragen zu dürfen. Dieses Bekenntniß klingt einerseits versöhnlich, indem es sich der römischen Lehre möglichst nähert, ist aber andererseits so freimüthig und würdevoll abgefaßt, daß es den Eindruck wahrer Gottesfurcht und eines edlen männlichen Muthes macht, und jedem Unbefangenen unwillkührlich Achtung abnöthigt. Es spricht sich über Abendmahl und Buße, über Bilder und Wallfahrten aus. Der Erzbischof konnte, nach genommener Rücksprache mit seinen Beisitzern, den Bischöfen von London und Rochester so wie mehreren Doctoren der Theologie und Rechtsgelehrten, nicht umhin laut anzuerkennen, daß in seiner schriftlichen Auseinandersetzung manches Gute und Rechtgläubige enthalten sei; er forderte jedoch eine genauere und unumwundene Aeußerung über etliche Fragen, namentlich in Betreff der Wandlung im h. Abendmahl und der Ohrenbeichte. Lord Cobham verweigerte indeß jede weitere Erklärung, und war schlechterdings nicht zu bewegen, die Vollmacht des Papstes und der Prälaten zu bindenden Entscheidungen über Lehrfragen anzuerkennen.
Er wurde in den Tower zurückgeführt. Am 25. September fand ein nochmaliges Verhör statt, wobei ihn der Erzbischof nochmals aufforderte, um Absolution zu bitten. Der Ritter erwiederte: „Nein, das werde ich wahrlich nicht thun; denn ich habe mich noch nie an Euch versündigt, deshalb werde ich Euch auch nicht um Vergebung bitten!“ Bei diesen Worten kniete er aber auf den Fußboden nieder, hob seine Hände gen Himmel auf und betete: „Ich bekenne dir, du lebendiger ewiger Gott, daß ich in meiner schwachen Jugend dich, o Herr, schwer beleidiget habe mit Stolz, Zorn, Begierden und Ueppigkeit. Vielen Menschen habe ich Leid angethan in meinem Grimm, und viel andere schreckliche Sünden begangen. Guter Herr, ich bitte Dich um Erbarmen!“ Und damit stand er unter Thränen wieder auf, und rief den Umstehenden mit mächtiger Stimme zu: „Sehet, guten Leute, seht, wegen Uebertretung von Gottes Gesetz mit seinen großen Geboten haben sie mich noch nie verflucht; aber um ihrer eigenen Gesetze und Ueberlieferungen willen handeln sie auf’s grausamste mit mir und anderen Leuten! Deshalb werden sie selber samt ihren Gesetzen, laut Gottes Verheißung, völlig vernichtet werden!“
Der Erzbischof schritt sodann zu dem Verhör und befragte den Angeschuldigten über seinen Christenglauben, unter Bezugnahme auf einige ihm zuvor schriftlich vorgelegte Fragen. Hiebei legte der Lord ein freimüthiges unumwundenes Bekenntniß ab über die Lehre von der Wandlung so wie über Ohrenbeichte, Kreuzeszeichen und die Schlüsselgewalt des Papstes und der Prälaten. Insbesondere scheute er sich nicht auszusprechen, Rom sei das ächte Nest des Antichrist, der Papst sei das Haupt, Prälaten Priester und besitzende Mönche seien der Leib, Bettelmönche der Schwanz des Antichrist. Einmal breitete er die Arme aus und rief den bei dem Verhör Anwesenden laut zu: „Diejenigen, welche mich richten und verurtheilen wollen, werden Euch und sich selbst verführen und in die Hölle bringen; nehmt Euch in Acht vor ihnen!“ Hernach fiel er wiederum auf seine Knie, und betete für seine Feinde und Verfolger um Vergebung. Da Lord Cobham seiner Ueberzeugung durchaus treu blieb und dem Erzbischof wie den ihm assistirenden Doctoren auf jeden Vorhalt mit Unerschrockenheit und Geistesgegenwart antwortete, so wurde von dem geistlichen Gerichtshof schließlich das Urtheil gefällt, dahin gehend, daß Sir John Oldcastle, Lord Cobham, als verderblicher Ketzer, nebst allen seinen Gesinnungsgenossen und Helfern in den Bann gethan und dem weltlichen Gericht übergeben werde.
Vollzogen wurde das Urtheil nicht sofort. Man ertheilte dem Lord eine Bedenkzeit von 40 Tagen. Und gegen das Ende dieser Frist gelang es dem Ritter, aus dem Tower zu entkommen. Eine Schaar entschlossener Bürger von London rückte in einer dunkeln Nacht, vom 27/28. October 1413 vor den Tower, befreite den verehrten Helden und geleitete ihn zu seiner Wohnung auf Smithfield. Hier verweilte Lord Cobham unbehelligt gegen drei Monate.
Ein Bericht, den freilich nur erklärte Feinde der Lollarden überliefert haben, schreibt dieser Partei den Plan zu, den König und seinen Bruder auf dem Landsitz Eltham zu überfallen; als dieser Kunde davon bekam und sich nach Westminster begab, sollen sie sich verabredet haben, in der Nacht auf den 7. Januar 1414 sich in St. Giles bei London zu sammeln, um dann, durch Zuzug aus der Stadt verstärkt, gegen Krone und Adel, Prälaten und Mönche loszubrechen, in der Hoffnung, Sir John Oldcastle werde sich an ihre Spitze stellen. Allein der König kam ihnen zuvor, besetzte die Ebene St. Giles, und ließ die zusammengelaufenen Banden überfallen. Ihrer 39 wurden in Folge eines sehr summarischen Processes schuldig befunden, und als Hochverräther theils gehangen theils verbrannt.
Thatsache ist, daß in der Nacht vom 6/7. Januar ein Auflauf auf St. Gilesfield stattgefunden hat. Wer jedoch die Urheber und Anstifter gewesen, liegt völlig im Dunkeln. Aber die ganze angebliche Verschwörung wurde auf Lord Cobham’s Rechnung gesetzt. Einen Beweis für seine Schuld hat niemand beizubringen vermocht.
Da indessen am 11. Januar 1414 eine königliche Proklamation gegen ihn erging, so hielt er sich geraume Zeit verborgen, ohne daß man weiß, wann er seine Wohnung in der Stadt verlassen hat. Erst im Jahre 1417 gelang es, ihn in Wales ausfindig zu machen, und nach tapferer Gegenwehr sich seiner Person zu bemächtigen. Er wurde sofort nach London gebracht. Am 14 December wurde er vor dem Hause der Lords verhört, begab sich jedoch aller Vertheidigung, indem er auf das Erbarmen Gottes hinwies, dem allein die Vergeltung zustehe. Zuletzt erklärte er: „Mir ist es ein geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage“ (1. Kor. 4, 3).
Schließlich wurde das Urtheil dahin gefällt, daß er als Hochverräther gehängt und als Ketzer verbrannt werden solle. Und dieses Urtheil wurde buchstäblich an ihm vollzogen. Er wurde auf eine Schleife gelegt mit auf den Rücken gebundenen Händen, und so vom Tower durch die Stadt hinaus nach der Ebene St. Giles geschleppt. Hier angekommen wurde er von der Schleife herabgenommen; nun fiel er auf die Knie und bat den allmächtigen Gott, seinen Feinden zu vergeben. Dann stand er auf, und ermahnte die Menge der Zuschauer, dem Gesetze Gottes, wie es in der Bibel geschrieben ist, zu folgen, und sich in alle Wege vor solchen Lehrern in Acht zu nehmen, deren Leben und Wandel sichtlich Christo zuwider sei.
Nun wurde er in der Mitte zwischen zwei Galgen an Ketten aufgehängt, und ein Scheiterhaufen unter ihm angezündet, so daß er von unten auf langsam verbrannt wurde. So lange Leben in ihm war, pries er Gott und befahl seine Seele in Gottes Hände. So starb der an Rang und Stand hervorragendste, aber auch durch sittliche Würde und christlichen Muth ausgezeichnete Wiclifite, mit einer Standhaftigkeit ohne Furcht und Tadel, als Märtyrer.
G. Lechler in Leipzig.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

Caspar Olevian

Caspar Olevian

Kurtzer Bericht Vom leben und sterben Herrn D. Gasparis Oleviani, Dieners des worts Gottes.

Gestelt durch Johannem Piscatorem, Professorem der Schule zu Herborn.

An den Christlichen Leser.

Christlicher leser / Dieweil zu besorgen / daß nach dem tödlichen abgang des getrewen Dieners des worts Gottes / Doctoris Gasparis Oleviani, der Teuffel allerley lästerungen von desselben leben unnd sterben / seinen werckzeugen / den widersächern des Evangelions / eyngeben und durch dieselbe in die welt außgiessen werde / und sich also unterstehen wirdt / dieses fürtrefflichen Lehrer der Kirchen / Herrn Johann Calvino, allbereit gethan / von welches leben unnd todt vor wenig jahren ein lügenhaffte lästerliche histori in offenen truck außgestrewet worden / ja auch an Doctore Oleviano, als derselbe noch bey leben war / Da nemlich einer anno 1569. mit solchen worten in offener Predigt herauß gefahren / Die Calvinisten nehmen gewönlich ein böß end / wie dann an Doctore Oleviano zu sehen / als welcher sich im gefengnis erhengt habe. Diesen lästerungen nun bey zeiten zu begegnen / und fromme Christen darwider zu verwahren / Hat es etliche fürneme leut diser ort für gut angesehen / daß ich vom leben unnd sterben dieses thewren manns / unnd weiland unsers getrewen lehrers / einen kurtzen bericht in truck verfertigte. Welches ich dann frommen Christen zum besten / unnd zuforderst zur Ehre Gottes / dessen ewige warheit durch die widersächer solcher getrewer lehrer gelästert / unnd so viel an ihnen / undertruckt wirdt / ohnbeschwäret auff mich genommen / und mich von seinem leben in stücken die mir nit allerdings bewußt waren / bey glaubwürdigen zeugen erkündiget. Dann bey seinem Christlichen abscheid und sterben bin ich selber / neben andern fürnemen personen gewesen / also daß ich dasselbige nach notturfft fast mit allen worten / so damals gantz tröstlich geredt worden / verzeichnet hab. Diese meine arbeit / versihe ich mich / wirdt allen guthertzigen frommen Christen lieb unnd angenem seyn / unnd wünsche von Gott unserm himmlischen vatter / daß sie durch lesung dieser histori in liebe der Göttlichen warheit und gottseliger lehrer / durch wirckung des heiligen Geistes im namen unsers HERREN Jesu Christi gesterckt werden / zur ehre Gottes / und irem ewigen heil / Amen.

Iohan. Piscator, Professor der Schule zu Herborn.

Kurtzer Bericht Vom leben unnd sterben Herrn D. Gasparis Oleviani.

Doctor Gaspar Olevianus, Gottseliger gedächtnis / ist auff diese welt geboren auff Laurentii im jar nach Christi geburt 1536. zu Trier / Ist getaufft in S. Laurentii Pfarrkirchen. Sein vatter ist gewesen Gerhard Olevianus ein Becker / unnd nach der zeit der Becker zunfftmeister. Er ist von jugend auff erzogen bey seinem altvatter Antonio Sintzig der Metzler zunfftmeister. Ist in die schul gangen erstlich zu S. Laurentii, darnach zu S. Simeon, darnach in dem Thumbstifft / endlich zu S. German bey dem alten Pater / von welchem er pflegte zu erzehlen / daß derselbige zur Fastenzeit / wann er den Passion außlegte / habe er die propheceyungen des alten Testaments gegen die histori gehalten / zu lehren wie dieselbigen seyen erfüllet worden / unnd sonderlich habe er gemeldet / daß auch die kinder Gottes im alten Testament in den opffern einen vorgeschmack gehabt haben des einigen versöhnopfffers / welches unser HERR Christus am stammen des Creutzes vollbracht / Welche lehr dann als ein füncklein der rechten erkantnis des opffers Christi in seinem hertzen gebliben / biß ihm Gott hernacher zu seiner zeit dasselbige hat völliger zu erkennen gegeben.

Im dreyzehenden jar seines alters / ist er von seinen eltern gen Paris verschickt worden / auff daß er daselbsten die weltlichen Rechte studirte: Welches er auch gethan / zum theil in gemeldter statt Paris / zum theil in andern fürtrefflichen Juristenschulen in Franckreich / als nemlich zu Orlientz unnd Burgis / An welchen beyden orten er sich zur heimlichen Gemeynde Gottes gehalten.

Er hat auch endlich in Doctorem Juris promoviret zu Burgis / anno Domini 1557. wie auß folgendem zeugnis Francisci Duareni und seiner collegarum zu sehen.

DEI optimi maximi nomine invocaro, Franciscus Duarenus, Juris Civilis Doctor, & Decanus in clarissima Biturigum academia, omnibus harum literarum lectoribus falurem. Cum spectatissimus & consultissimus vir Gasparus Olevianus dioecesis Trevirensis strenuam, diligentem diuturnamque Juri Civili operam dederit: & suam nobis insignem eruditionem, innocentiam, castitatem, sobrietatem, modestiam, prudentiarm aliasque animi dotes multis gravissimisq; argumentis approbarit: Nos hominis virtutem & eruditionem, ut ae quum est, amplexi, cui nullus satis dignus honos a nobis tribui potest, Doctoriis insignibus eum ornandum esse decrevimus: eum que Juris civilis Doctorem in eadem Universitate & Juris Civilis Facultate creavimus. Ad cujus rei executionem secundum leges & statuta Universitatis nostrae duximus procedendum: nec quic quam eorum praetermisimus, quae ad solemnem ritum & usitatum necessariumque in schola morem pertinent. Horum omnium ut major certiorque sit fides: has literas ab ejusdem Universitatis scriba siignari, dupliciq, sigillo, nempe sigillo majore Universitatis, & altero quod nostrae Facultatis proprium est, obsignari jussimus. Acta gestaque haec omnia Biturig. suerunt, praesentibus DN. Joanne Rabyrio, Andrea Levescatio, Hugone Donello & Nicolao Bouguyerio Juris doctoribus, in eadem Universitate acto regentibus: M. Huberto Molinaeo, Joanne Vincentio scholasticis in eadem Universitate Bituriguan studentibus, & aliis quam plurimis testibus. Die sexta Junii, anno salutis millesimo quingentesimo quinquagesimo septimo.

Das ist:

Nach anruffung des allergütigsten und höhesten Gottes wünschet Fran. Duarenus, des weltichen Rechtens Doctor, unnd Dechan in der weitberühmten schul zu Burgis / allen die diesen brieff lesen werden / glück unnd heil. Nachdem der Ehrnhaffte und Hochweise Gaspar Olevianus auß dem Bistumb Trier / embsiglich / fleissiglich und ein geraume zeit im weltlichen Recht studieret / unnd uns seine fürtreffliche geschickligkeit / unschuld / keuschheit / nüchterkeit / bescheidenheit / fürsichtigkeit und andere gaben des gemütes / mit vilen und gantz wichtigen anzeigungen mit der that erwisen / Haben wir seine tugend unnd geschicklichkeit / wie billich / mit liebe umfangen / und haben derwegen geschlossen / daß er (dem wir doch keine gnugsam wirdige ehr anthun können) mit den freyheiten der Doctoren zu zieren seye / unnd haben ihn also zu einem Doctor des weltlichen Rechtens in gemeldter Universitet und des weltlciehn Rechten Facultet gemachet. Und zu vollziehung dieser sach haben wir nach den gesetzen unnd ordnungen unserer Universitet procedirt / und haben nichts von denen stücken unterlassen / welche zu der gewöhnlichen ceremoni unnd notwendigem gebrauch der Schulen gehören. Und damit dieses alles desto mehr unnd gewisser bekräfftiget würde / haben wir befohlen / daß dieser brieff von gemeldter Universitet schreiber geschriben / und mit zweyen sigeln / nemlich mit dem grössern sigel der Universitet / und mit dem andern welches unserer Facultet eigen ist / versigelt würde. Diß alles ist verhandelt worden zu Burgis / in beysein Herrn Joannis Rabyrii, Andreae Levescatii, Hugonis Donelli, und Nicolai Bouguyerii, welche allezumal des Rechten Doctores seind / und in gemeldter Universitet jetziger zeit das Schulregiment verwalten / Deßgleichen auch M. Huberti Molinaei unnd Joannis Vincentii, welche studenten damals in der Universitet zu Burgis studierten / und auch viler anderer zeugen. Am sechßten tag Junii, im jar des heyls tausent fünffhundert fünfftzig siben.

Es studirete zur selben zeit zu Burgis ein junger Herr / des Hochgebornen Fürsten und Herrn / Pfaltzg. Friderichen des dritten /welcher hernachmals Churfürst worden) sohn / Dessen praeceptor mit namen Nicolaus Judex, ihme dem Herrn Oleviano mit sonderlicher freundschafft zugethan war. Als sie nun sämptlich auff einen tag nach dem mittagessen mit einander für die statt spatzierten an das wasser welches nicht weit von der statt fleußt / Traffen sie allda etliche Studenten an / welche Teutsche vom Adel waren / Die waren in ein Schiff getretten / und wolten hinüber schiffen. Als nun dieselbe des hochermeldten jungen Herrn und seines praeceptoris ansichtig worden / vermaneten sie dieselben zu ihnen in das schiff zu tretten / und mit hinüber zu fahren. Als aber Olevianus sahe / daß dieselben studenten truncken waren / widerrieht er des jungen Herrn praeceptori sich sampt dem jungen Herrn in dasselbe schiff zu begeben: Dessen aber ungeachtet / hat gemeldter preceptor auff vilfältiges anhalten derselben studenten den jungen Herrn mit sich in das schiff geführet. Da haben dieselbe trunckene studenten / durch mutwillige leichtfertige bewegung das schifflin umbgestürtz / seind also ins wasser gefallen und ertruncken. Da hat der praeceptor, welcher wol schwimmen konte und nüchtern war / den jungen Herrn gefasset / und sich unterstanden mit ime ans ufer zu schwimmen / welches im doch unmöglich gewesen / und ist also sampt dem jungen Herrn ertruncken. Als nun Olevianus am ufer solche not sahe / ist er inen zu hülff zu kommen / ins wasser gesprungen / und in den schlam so tieff hinunder gefahren / daß ihm das wasser biß an den halß gangen ist. Da er nun in solcher not war / und meynet er müßte auch ertrincken / da hat er zu Gott geruffen / unnd daneben ein gelübd gethan / Wann in Gott auß diser not erretten würde / so wolte er seinem vatterland das Evangelium predigen / wann er darzu beruffen würde. Da hat es Gott geschickt / daß ein Lakey daher gelauffen ist / welcher seinen Junckern daselbst gesucht / Derselbe / als er Olevianum im wasser stehen sahe / und vermeynte es were sein Juncker / hat er im herauß geholffen. Als nu Olevianus auß solcher not unnd todsgefahr von Gott errettet worden / hat er neben seinem studio Juris angefangen die H. Schrifft / und darneben gute bücher / so zu außlegung derselben geschriben / als fürnemlich Herrn Johannis Calvini, zu lesen / und hat gleichwol nach der hand in Jure doctorirt, wie obgemelt.

Als er widerumb gen Trier zu seinen freunden kommen / und an ihn begert worden / in einem Rechtshandel raht zu geben / Er aber in solcher handlung gemercket / daß das Recht von etlichen wunderlich gedrähet und gebogen / ist er dardurch bewegt worden / seinem gelübd nachzusetzen / nemlich / sich ins Predigampt durch rechtmüssigen beruff zu begeben / unnd hat also sein ander fürhaben / nemlich die Practicam Juris zu erlernen / gen Speir zu ziehen / unterlassen.

Darnach ist er gen Genff gezogen / allda Theologiam zu studieren / und ist von dannen gen Zürich gezogen / allda Petrum Martyrem und Bullingerum zu hören / wie er dann auch bey Herrn Petro Martyre ist zu tisch gegangen / und sich im predigen vor Bullingero und anderen Kirchendienern geübet.

In der widerkehr von Zürich gen Genff / ist er zu Lausanna in ein schiff getretten / in welchem auch Farellus war / und als er mit demselben in ein gesprech kommen / und er / Farellus, in gefragt / Ob er noch nicht in seinem vatterland geprediget habe / welches er bekant noch nicht geschehen seyn / Hat ihn Farellus zum höchsten vermant / er wölle solches auffs ehest thun / welches er im auch mit gegebner hand verheissen hat.

Als er nun zu Genff die heilige Schrifft studieret / hat die Christliche Gemeinde Gottes zu Metz an das presbyterium zu Genff begeret einen diener des Worts / Auff welches begeren er Olevianus und Petrus Colonius zur wahl fürgeschlagen worden seind / Er aber hat sich entschuldiget / zum theil daß er ihm fürgenommen hette durch Gottes gnad in seinem vatterland das Evangelium zu predigen / wie er auch demselben für anderen zu dienen sich schuldig erkennet / zum theil auch daß er dem Herrn Farello solches zu thun verheissen hette. Darauff dann der Herr Caluinus in in seinen Christlichen vorhaben bestetigt.

Hernacher anno 1559. als er von Genff widerumb gen Trier kommen / ist er sampt seinem bruder Friderico Doctore Medicinae, welcher mit ihm ankommen war / von der freundschafft und auch von dem gantzen Raht freundlich empfangen worden. Und haben Burgermeister und Raht alsbald an ihn begeret / daß er der statt Trier / als seinem vatterland / mit lehren dienen wolte / unnd ihme darauff hundert Rädergülden jargeldt verordnet / daß er in der Bursch (welche Schul nun vil jar her nicht in ihrem gang gewesen war) Dialecticam Philippi und anders deßgleichen lesen solte. Als er nun in erklärung der Dialectica Philippi, da vil exempla Theologica eyngeführet werden / anlaß genommen die Christliche lehr in gemeldten exempeln zu erkleren / haben ihm die Capitelsherren das lesen verbotten / unnd endlich auch die Schul verschlossen.

Darauff haben im Burgermeister und Raht befohlen in S. Jacobs spital / welches der statt zugehörig / zu predigen / Da er dann auff S. Laurentii tag seine erste Predigt gethan. Als er nun etlich mal gepredigt hatte / haben seine widersacher einen Messpriester zugerichtet / welcher auff eine zeit unversehens vor ihme / Oleviano / in einem Chorrock (den er zuvor mit einem mantel bedeckt hatte) auff die Cantzel gestigen zu predigen. Als aber das gemeine volck denselben gesehen / haben sie mit lauter stimme geruffen / er solte wider herab gehen / dann sie wolten ihn nie hören. Doctor Olevianus aber hat sie vermanet / sie solten ihn hören / was er unrecht lehren würde / wolte er sie hernach berichten. Als er aber solches von dem volck nicht hat können erlangen / unnd dem Priester sehr angst gewesen / wie er ohne gefahr darvon kommen möche / hat Doctor Olevianus in geteröstet / mit vermeldung / es solte im kein leid geschehen / und hat also dem volck abgewehret / und den Priester bey der hand zur Kirchen hinauß geführet / unnd ist darauff auff die Cantzel gegangen / allda seine vorhabende Predigt zu thun. Von wegen aber des erregten tumults hat er zuvor die Gemeinde gefraget / ob sie auß forcht der gefahr ihne des predigens erlassen wöllen / oder aber ob sie noch wie zuvor / ihne zu hören begeren / und ine also in disem seinem beruff bestetigen. Darauff sie dann mit auffgereckten händen unnd lauter stimme geantwortet / ja / ja / wir bitten euch umb Gottes willen / daß ir fortfahren wollet.

Auff dise handlung seind die beyde Burgermeister und etliche andere Rahtsgenossen und bürger / durch des Churfürsten befelch / auff das Rahthauß in hafftung eyngemanet worden / unnd haben Doctorem Olevianum erbetten / daß er mit inen solche hafftung gegangen ist / sie allda zu lehren und zu trösten. Unnd seind also sie sämptlich auff dem Rahthauß gefangen gesessen zehen wochen und etliche tag.

Mitler weil seind sie einmal für Recht gestelt worden / und als sie nach geschehener anklag (welche vil artickel in sich hielte) viertzehen tag auffschub begeret / sich zu verantworten / Und aber inen nur zwen tag erlaubt worden / haben sie durch heimliche post den Churfürsten Friderich / Pfaltzgrafen bey Rhein / etc. unnd Hertzog Wolffgang zu Zweybrücken / und die Herrn der statt Straßburg umb hülff angeruffen / welche dann alsbald ire post und gesandten abgefertigt / durch dieselbe den angefangenen Gerichtsprocessz verhindert / und endlich erhalten / daß die gemeldte gefangenen seind entledigt worden.

Und hat zur selgen zeit der Churfürstliche gesandte / Herr Valentin Graf zu Erpach / Burggraf zu Altzen / Doctorem Olevianum, als derselbe noch im gefängnis war / im namen unnd von wegen des hochermeldten Churfürsten Friderichen Pfaltzgrafen / etc. zu dienst beruffen / und ihn auch alsbald mit sich nach Heydelberg geführet / welches geschehen Anno 1560.

Da hat in der Churfürst zum praeceptor in der Sapientz bestelt / welches ampt er dann ungefärlich anderthalb jar verrichtet.

Zur selben zeit hat er sich in den Ehestand begeben mit einer gottsförchtigen witwe Philippina von Metz / und hat bald darnach in Doctorem der heiligen Schrifft promoviret, und ist zum Professore Theologiae in der Universitet beruffen worden.

Unlangst darnach ist er durch vilfältig anhalten Churfürstlicher Rähte zum Predigampt beruffen worden / erstlich zu S. Peter / darnach zum heiligen Geist.

Welches dann gewähret biß zum tödtlichen abgang des hochermeldten Churfürsten hochlöblichster und gottseligster gedächtnis / Friderich des dritten / Pfaltzgrafen bey Rhein / etc. Welcher gottselig im Herrn verschiden Anno 1576. den 26. Octobris.

Wenig tag darnach ist er von dem Wolgebornen Herrn / Herrn Ludwig von Sain / Grafen zu Witgenstein / etc. gen Berleburg beruffen worden / Allda er ihrer Gnaden söhne in Christlicher lehr unnd guten künsten und sprachen underricht / und darneben auch geprediget.

Anno 1584. ist er von dem auch Wolgebornen Herrn / Herrn Johann dem Eltern / Grafen zu Nassaw Catzenelnbogen / etc. zum Pfarrer gen Herborn beruffen / Welches ampt er bey die drey jahr lang versehen / unnd darneben in der Schule gelehret hat: Welche Schule zwr wolermeldter Graf Johann auff sein / des Oleviani / raht und angeben / auffgerichtet und gestifftet hat.

Anno 1587. den 25. Februar ist er auß schwachheit ligen bliben / unnd von tag zu tag matter worden / biß in der HERR auß disen jammerthal zu sich beruffen. Und wiewol er etwas artzney gebraucht / so hat doch die kranckheit von tag zu tag uberhand genommen / und hat der Arzt darfür gehalten / es seye ein wassersucht gewesen.

Als er nun gemercket / daß er je lenger je matter würde / hat er den eylfte Martii sein Testament auffgericht / unn dieselbe gantze zeit uber sich zu einem Christlichen abschid gerüstet / wie dann auß gemeltem Testament zu sehen / welches also lautet:

Im Namen Gottes des Vatters / des Sohns / und des heiligen Geists / hab ich Gaspar Olevianus, Diener des worts Gottes / weil Gott er HERR mich bey gutem verstand gelassen / disen meinen letzten willen kürtzlich also eröffnen wollen. Und erstlich dancke ich meinem lieben Gott / dem Vatter / Sohn und H. Geist / daß er mich zu einer vernünfftigen creatur auff diese Welt geschaffen. Demnach insonderheit daß er mich kräfftiglich beruffen / unnd den glauben geschenckt / und unsern einigen Mitler und Heyland Jesum Christum / mich mit dem lebendig gemacht / da ich erstorben war in sünden / und mir in im geschencket die gerechtigkeit Gottes in dem heiligen opffer meines Heylands Jesu Christi / und zukünfftige herrligkeit / unnd mir offenbaret den reichthumb seiner genaden / daß er mich erwehlet hat zur kindschafft in Christo auß genaden / daher alle dise wolthaten fliessen / und mich der theilhafftig gemacht durch den geist der kindschafft / der da rufft Abba lieber Vatter / Und bitte ihn / daß er seiner gnedigen verheissung nach / seine allmächtige unnd gnedige hand uber mir halten wölle biß ans ende / wie er mir verheissen hat / Meine schäflein wirt mir niemand auß meiner hand reissen / Der mir sie gegeben hat / ist stercker dann sie alle / Ich und der Vatter seind eins. Item im Psalm / Rühret mir meine gesalbten nit an. Ich danck im auch auß grund meines hertzen / für alle andere wolthaten / die er mir unzehlich von muterleib biß auff dise stund geistlich unnd leiblich bewisen hat / ohn alle meine verdienst / als seinem kind / Mir auch weib unnd kind bescheret hat / die ich ihm auch hiemit (wie auch meine liebe muter) in seinem schutz und regierung seines guten Geistes von herzen will befohlen haben / unnd beruhe endlich in der kindschafft / die er auß genaden mir unnd den meinen hat versprochen.

Unnd wolte nun ferners Gottes genad unnd segen wünschen insonderheit der Pfaltz / den Gräflichen häusern / Witgenstein / Solms Braunfels / unnd Nassaw Catzenelnbogen / mit underthenigster bitt / daß sie das angefangene werck der Schulen und Druckerey nicht wollen ersitzen lassen / als eine grosse genad von Gott / die zu vieler Menschen trost dienet / unnd sonderlich zu Gottes ehren / das liecht der warheit zu erhalten unnd fortzupflantzen. Und bitt / daß sie sich bey einer guten sach / die Gottes sach ist / nicht schewen. Ferners / daß sie auch die synodos handhaben / und mit dem zimlichen nutz derselben zu friden seyen / wie auch die Visitationes zu gewissen zeiten. Daß man auch mit verkauffung der Kirchengüter mit grosser fürsichtigkeit handele. Dann sonst die arme Pfarrer allgemach sich nicht werden erhalten können. Man sol auch billich von den Pfarren die vil haben / etwas den andern mittheilen die wenig haben / unnd dasselbe wol vergwissern.

Was dann des Wolgebornen Herrn / Herrn Johann Grafen zu Nassaw Catzenelnbogen Gräfliche kinder anlangt / so mich in meiner kranckheit besucht / bitt ich Gott / daß die erinnerung / so ich inen durch Gottes gnad gethan / unn dargegen auch ihre versprechung / so sie vermittelst derselben gnaden mir auch gethan / Gottes ehr und ihre eigene wolfahrt betreffend / immer kräfftig seye durch Gottes Geist unnd regierung / so wirdt Gottes segen bey ihnen seyn.

Meine liebe Haußfraw Philippinam belangend / danck ich underthenigst dem Wolgebornen / etc. meinem gnedigen Herrn / daß ire Gnaden sie so gnediglich bedacht / wie auch unsere kinder. Insonderheit aber danck ich ir Gnaden / daß sie die wolthaten / so sie meinem sohn Paulo hat widerfahren lassen / freywillig gethan hat ohne verstrickung der obligation, wie ir Gnaden sich selbst gegen mir anfangs außtrücklich gnediglich erkläret: Diweil man durch solche obligationes auß liberalibus ingeniis mehr mancipia zu machen pflegt / dann auffrichtige leut zu ziehen. Wie ich auch gleichfalls solches künfftig von meinem sohn Ludwigen verstehe / Welche beyde meine söhne ich hiemit zur kindlichen danckbarkeit unnd allen trewen will ermanet haben / wie auch meine liebe Haußfraw keinen fleiß sparen wirdt durch Gottes gnad.

[Hie wirdt gemeldet / wie ers mit seiner verlassenschafft wil gehalten haben; darnach folget ferner also:]

Ich hab noch allerhand geschribene ding / welches alles mein Haußfraw fleissig auffheben sol / wil auch nicht daß etwas leichtfertig gedruckt werde. Insonderheit ist noch vorhanden was ich uber die erste Epistel an die Corinther in der Pfaltz geprediget habe.

Wil also hiemit meinem lieben Gott / Vatter / Son und heiligem Geist / durch den einigen unn ewigen Hohenpriester / mein leib und seel befohlen haben / auff seinen gnadenbund und zusag / daß er mein Gott unnd meines samens in ewigkeit seyn wil / und nimmermehr auß keinem zorn wider mich handlen / wie er dann mir deß ein eyd geschworen Esaie am vier unnd fünffzigsten / Es sol mir seyn wie das wasser Noah / da ich schwur / daß die wasser Noah sollten nicht mehr uber den erdboden gehen / Also hab ich geschworen / daß ich nicht uber dich zörnen / noch dich schelten wil. Denn es sollen wol berge weichen und hügel hinfallen / Aber meine gnade sol nicht von dir weichen / unnd der bund meines frides sol nicht hinfallen / spricht der HERR dein erbarmer / Amen.

Ego Gaspar Olevianus manu propria subscripti: & coram sancta Trinitate prositcor, me synceram fidem Christianam per Dei spiritum & gratiam docuisse voce & scriptis, & in ea fide at doctrina per Dei gratiam in salutem aeternam per obsignationem Spiritus sancti perstare, fretum ipsius gratia: qui mihi e verbo suo revelavit. Amen, per Iesum Christum.

Das ist:

Ich Caspar Olevianus hab mit eigener hand underschriben / und bezeuge offentlich für der heiligen Dreyfaltigkeit / daß ich den unverfelschten Christlichen Glauben durch den Geist unnd gnade Gottes / beyde mit stimme und schrifften gelehret habe / Unnd daß ich in demselben Glauben und lehr durch die gnade Gottes zur ewigen seligkeit / durch die versiglung des heiligen Geists / bestehe / mich auff seine gnade verlassende / welcher mir sie auß seinem wort hat offenbaret. Amen / durch Jesum Christum.

Nach auffrichtung dises Testaments hat er den andern tag darnach nemlich den zwelfften Martii einen brieff dictiert an seinen sohn Paulum / welcher damals zu Kirchloch im Bisthumb Speyer kranck gelegen / in welchem er im zu wissen thut / daß er sich nu mehr zu einem Christlichen abscheid schicke / und desselben alle stund erwarte / unnd in derwegen tröstet mit der vätterlichen gnaden Gottes / und auch vermahnet daß er sein studieren dahin richten wolle / damit er vilen leuten nutz seyn möge. Derselbe brieff lautet also:

Charissime fili Paule: Dico eu partiarcha Jacob, Expecto salutare tuum Domine. Eo enim loco sunt res meae, ut dicam cum Apostolo, Cupio dissolvi & esse cum Christo: Cui etiam te totum ut in sacro baptismate, ita etiam nunc in migratione mea ad Dominum, una cum suavissima marre, fratre & sorore commendo & trado, & verbo gratiae ipsius. Fuisset quidem mihi gratus tui conspectus: sed noluite conjicere in periculum, hoc frigore, & crure nondum satis consolidato. Disposuiantem de rebus omnibus ut pium parentem decet: & generosus noster Dominus Comes Joannes munificentiam erga vos cum libertate vestra conjunctam diplomate suo confirmavit. Ego in singulas horas migrationem ad Dominum expecto. Ne praecipitanter te desin in viam: videbimus nos mutuo in vita aeterna, secundum foedus Dei gratuitum. Commendo tibi piissimam matrem, quam scio te diligere: fratrem Ludovium tenerum suscipe ut mea viscera, & pro prudentia tibi a Deo condessa suaviter rege. Ne appetito resaltas, sed esto contentus mediocribus: & studiorum labores eo dirige, ut prosint multis. Benedictio Domini sit in egressit & ingressu tuo, amen: & in γοδεσία gratuita ecquiescat spiritus tuus, expectans mecum haereditatem caelestem, per & propter Dei filiem, Amen. Datae Herbornae, die 12. Martii intra quartam & quintam, dictatae exlecto. Anno 1587.

Tuus pater Caspar Olevianus Trevir, verbi Dei minister, manu propria subscripsi. Domine Iesu suscipe spiritum meum. Act. 7.

Das ist:

Hertzlieber sohn Paule / Ich sage mit dem Altvater Jacob / HERR / ich warte auff dein heil. Dann meine sachen stehen also / daß ich mit dem Apostel sage / Ich begere auffgelöset zu werden / und bey Christo zu seyn: Welchem ich auch dich gantz und gar gleich wie im heiligen Tauff / also auch jetzund in meiner hinfahrt zum HERREN / sampt deiner gantz freundlichen muter / bruder unnd schwester / befehle unnd ubergibe / unnd dem wort seiner gnaden. Es were mir zwar lieb gewesen / daß ich dich hette mögen sehen / aber ich hab dich bey dieser kelt nit wollen in gefahr setzen / unnd da dein schienbein noch nicht genugsam wider zusammen geewachsen unnd gestercket ist. Ich hab aber anordnung gethan von allen dingen / wie einem gottsförchtigen vatter gebüret / Und unser gnediger Herr Graf Johann hat seine milte freygebigkeit gegen euch / welche mit ewer freyheit verfüget ist / mit seiner Gnaden brieff unnd sigel bekrefftiget. Ich warte alle stund daß ich zum HERREN hinfahre. Begib dich nicht eitlends und vor der zeit auff den weg: Wir werden einander sehen im ewigen leben / vermög des Gnadenbunds Gottes. Ich befehle dir deine gottselige muter / welche ich weiß daß du sie lieb hast: Deinen zarten bruder Ludwig nim auff als mein eigen hertz / Unnd regire in freundlich nach der weißheit welche dir Gott verliehen hat. Strebe nit nach hohen dingen / sonder laß dich genügen an mittelmessigen dingen / Unn richte die arbeit deines studierens dahin / daß es vielen leuten nutz bringen. Der segen des HErrn seye in deinem außgang unn eyngang / Amen. Unn dein geist berufe in der gnadenreiche kindschafft Gottes / unn erwarte sampt mir das himlische erb / durch den sohn Gottes und umb seiner willen / Amen. Gegeben zu Herborn den 12. tag Martii zwischen 4. und 5. uhren / Dictieret auß dem bett. Anno. 1587.

Ich dein vatter Caspar Olevianus von Trier / Diener des worts Gottes / hab mit eigner hand underschriben.

HErr Jesu nim meinen geist auff. Act.7.

Es haben ihn in seiner kranckheit besucht die beyde Wolgeborne Herrn / Herr Ludwig von Sain / Graf zu Witgenstein / unnd Herr Johann der elter / Graf zu Nassaw Catzenelnbogen: Zu welchem er sagte / Er habe in dieser seiner schwachheit recht lernen erkennen / was sünd sey / unnd wie hoch die maiestet Gottes seye / und daß es gar nicht gelte / daß wir menschen Gott zu einem gesellen haben wollen. Welches er dann wider die erdichte kräffte und freyen willen des menschen geredt hat.

Es haben ihn auch am achten Martii besucht die beyde auch Wolgeborne junge Herren / des wolermeldten Graf Johannen söhne / nemlich Graf Johann der jünger / und Graf Georg / Dieselbe hat er vermahnet erstlich zu brüderlicher liebe unnd einigkeit / Darnach und zum andern zu erhaltung des angefangenen wercks der schule zu Herborn / Ferners und fürs dritte zu erbermde gegen die arme underthanen / Letstlich unnd zum vierdten / zum gehorsam gegen ihrem Herrn vatter. Auff solche vermahnung dann sie ihme die gemeldte stück versprochen. Und nachdem dieselbe von ihm gegangen / ist ihm etwas wunderbarlichs begegnet / welches er mir und einem studioso, Abelo Conders von Helpen / des folgenden tags erzehlet hat ohngefährlich mit disen worten: Gestern (sprach er) als die beyde junge Herrn von mir gegangen / hab ich uber die vier stunden lang eine unaußsprechliche freude gefühlet / Also daß michs wunder nam / daß mein weib unnd mutter nach der hand mich frageten / ob es besser mit mir worden were. Dann mich dauchte / es hette mir nicht besse seyn können / und ich wils euch erzehlen / ein wunderbar ding. Ich war auff einer sehr schönen wisen / und als ich da spatzieret / wurde ich begossen mit des himmels taw / und dasselbe nit tröpffels weis / sonder als mit schüsseln voll / und daher hab ich an leib unnd seel unaußsprechliche freude empfunden. Als ich darauff zu ihm sagte / Der gute hirt / unser HERR Christus / hat euch als sein schäflein auff seine waid geführet / antwortet er / Ja er hat mich geführet zu den brunnen des lebendigen wassers. Unn als ich an einem andern tag ihne dieser sach / trosts halben erinnerte / und sagte / Gott hette ihn ein vorbild des ewigen lebens sehen lassen / sprach er: Es ist nicht nur ein bild gewesen / sonder eine empfindung. Und diesen wunderbaren handel hat er nicht allein mir / sonder auch andern erzehlet. Er pflegte auch zu sagen / Quemadmodum desiderat cervus ad fontes aquarum, sic desidant anima mea ad te Deus. Das ist: Wie der hirsch ein verlangen hat nach dem wasserbrunnen / also hat meine seel ein verlangen nach dir o Gott. Item, Ego velim meum iter ad Dominum non diu disserri. Das ist: Ich wolte daß meine reise zum HERREN nicht lang auffgezogen würde. Item, Cupio dissolvi & esse cum Christo meo. Das ist: Ich begehre auffgelöset zu werden unnd bey meinem HERREN Christo zu seyn.

Am fünffzehnden Martii / da er zwischen neun unnd zehen uhren verschiden / als ich des morgens umb sechs uhren zu ihm kam / unnd ihn klagte / daß er so matt und schwach were / sprach er zu mir: Ego tendo ad Christum. Das ist: Ich bin auff dem weg zu Christo. Da sprich ich / Tu es in bono itinere: Dominus sua gratia te confirmet. Das ist: Ihr seyt auff gutem wege / Der HERR stercke euch mit seiner genad. Er antwortet / Hoc mihi promisit. Das hat er mir verheissen. Da sagt ich / Er wirts auch thun. Darauff sagt er / Amen. Und bald hernach / Cupio dissolvi & esse Christo meo. Das ist: Ich begere auffgelöset zu werden / unnd bey meinem Herrn Christo zu seyn. Item / Kompt her zu mir alle die ihr mühselig unnd beladen seyt / Ich wil euch erquicken. Item / Es stehet im Psalmen / Nolite tangere Christos meos. Das ist: Tastet meine gesalbten nicht an. Dieses (sprach er) ist fürnemlich von den lehrern zu verstehen. Und zwar diese außlegung bringt der Text selbs mit / Sintemal alsbald im selben versickel folgt / Und thut meinen Propheten kein leyd.

Er hat auch zur selben zeit von mir begeret / ich solte im fürlesen den spruch auß dem 9. capitel Esaie / welcher begriffen ist in dem 2.3.4.5.6.7. versickel. Da unter andern diese wort von Christo stehen: Uns ist ein kind geboren / ein sohn ist uns gegeben / welches herrschafft ist auff seiner schulter / Unnd er heißt Wunderbar / Rath / Krafft / Held / Vatter der ewigkeit / Fridfürst / etc. Darnach den spruch auß dem anfang des eilfften capitels / da von Christo gesagt wirdt / wie der geist des HERREN auff ihm ruhe. Darnach den hundert unnd dritten Psalm / Lobe den Herrn meine seele / unnd was in mir ist / seinen heiligen namen / etc. Letstlich den spruch im sechsten an die Hebreer / vom dreyzehenden versickel an biß ans ende des capitels / Da dann stehet / wie uns GOtt das ewige leben mit einem eyd verheissen hab durch den ewigen Hohenpriester Christum. Auß welchen sprüchen allen / nach verlesung eines jedern / ich ihn getröstet / unnd hat er solchen trost mit hertzen angenommen / wie er dann genugsam mit worten unnd geberden bezeuget. Letztlich hat ihm Iacobus Altstedius, der eine Helffer / fürgelesen das drey und fünffzigste capitel Esaie / vom leiden und sterben unnd aufferstehung Christi / unnd ihn gleichfals darauß getröstet. Ungefährlich dritthalb stund zuvor ehe er verschiden / fragte er mich / ob es nit rathsam were / daß er dem Herrn Bernhardo Textori (welcher der ander Helffer ist) befehle / die predigt etwas bälder anzufangen / und auch etwas kürtzer zu machen / damit die Gemeynde auffs aller beldest das gebett für ihn thun möchte / welches ich dann auff sein begeren bestellet. In währender predigt hat er mich erinnert seines letsten willens von seinen hinderlassenen schrifften / und gesagt / Er habe den Herrn Bernhardo Textori, seinen Helffer / befelch geben / wie wirs damit sollen halten. Und ist diß der befelch / daß wir in den truck verfertigen sollen seine Predigten uber die erste Epistel an die Corinther / und die Notas oder kurtze verzeichnissen seiner Predigten uber die Sontags Evangelia / item / uber die Epistel an die Epheser. Ferner sollen wir / wann man sein buch De foedere wider trucken wirt / hin unnd wider hineyn setzen / was er in seinen letsten dictatis darzu gethan hat. Bald darnach hat er uns die wir bey ihm waren / zum gebett vermahnet / unnd nachdem wir nidergeknyet / mit auffgereckten zusammen gefaltenen händen das gebett selber gesprochen zu Gott dem himlischen vatter / daß er ihn bald auß gegenwertiger noth erlösen wolte.

Aber ein weil darnach hat er an uns begeret / wir wolten mit halber stimm singen / Nu bitten wir den heiligen Geiste. Welches wir dann gethan / unnd hat er mit seiner damals schwachen stimm mitgestimmet.

Er hat auch kurtz zuvor sich zu seiner muter gewandt / unnd ihr erzehlet die summa der Christlichen lehr von unserer seligkeit / ohngefährlich mit diesen worten: Unser HERR Christus ist unser seligmacher auff zweyerley weiß / Erstlich mit seinem verdienst am creutz / da er uns verzeihung der sünden unnd ewiges leben mit seinem tode verdienet hat. Zum andern / dieweil wir von natur so verderbet waren / daß wir solches von uns selbst nicht kondten glauben / sonder solche gnad durch unglauben würden außgeschlagen haben / Gleich als wann man mir jetzund ein artzney eyngeben wolte / würde ich dieselbe von mir schlagen / So hat Christus durch seinen geist den Glauben in unsern hertzen gewircket / mit welchem wir seinen verdienst annemen / unnd also selig werden. Nach vollbrachter predigt als ihn den Oberamptmann / Juncker Bernhard Condertz von Helpen / sampt seinem sohn Abel / unnd auch darneben Dominus Lazarus Schoenerus Professor Mathematicus, und Ioannes Heupelius, ein Kirchendiener / besucht / hat er ihnen allen / einem nach dem andern / die hand gegebe / wie auch seinen collegis, Herrn Bernhardo unnd Altstedio, unnd hat einem jeglichen den segen Gottes gewünschet. Er hat auch als er nu mehr kaum reden kondte / Herrn Altstedium vermahnet / daß er zum Rath der statt gehen wolte / und die Herrn von seiner wegen vermahnen / Daß sie forthin das allmusen nicht so tenuiter, das ist so spärlich unnd genaw / sondern liberaliter, das ist freygeblich und reichliß außtheilen wolten / dann dieses sey der will Gottes / unnd auch unser gnedigen Herrn. Ein wenig darnach / als ihm gemeldter Altstedius ohngefährlich mit diesen worten zusprache / Lieber bruder / Ihr seyt ohn zweiffel ewerer seligkeit in Christo gewiß / gleich wie ir andere gelehret habt: Da antwortet er mit seiner schwachen stimme / Certissimus, das ist / Ich bin meiner seligkeit ganz gewiß / Unnd wise zugleich mit seiner hand auff sein hertz. Welches danan sein letstes wort gewesen. Dann bald darnach ist er in einen sanfften schlaff gefallen / welcher nicht eine halbe viertelstund gewäret / unnd als wir merckten daß er widerumb erwacht were / haben wir noch einmal mit einander gebetet / unnd ist under dem wir das Vatter unser gesprochen / sänfftiglich im HERRN verschiden. Den dritten tag hernach / nemlich den sibenzehenden Martii ist sein leichnam nach Christlicher gewonheit ehrlich zur erden bestattet unnd begraben worden in der Pfarrkirch zu Herborn / in wlcher er die drey letsten jar seines lebens auff diser welt / das wort Gottes rein und lauter und mit allen trewen geprediget hat.

APOCALYPS. XIIII. VERS. XIII.

Beati mortui qui in Domino moriuntur.
Selig seind die todten die im HERREN sterben.

 

Lucas Osiander

Lucas Osiander, ein Sohn des älteren Andreas Osiander, wurde 1534 zu Nürnberg geboren. Schon früh trieb er mit Eifer klassische und hebräische Studien. Er besuchte die Universität zu Königsberg und werde bereits im 21. Jahre zum Diaconus in Göppingen berufen. Hier war er Jacob Andreä’s Amtsbruder und vertrauter Freund. Wahrscheinlich erfolgte auch schon in Göppingen seine Verheirathung mit der Wittwe Caspar Leyser’s, welche ihm in Polykarpus Leyser einen Stiefsohn zubrachte, den er wie seinen eigenen Sohn auferzog. 1557 wurde er Superintendent und Prediger zu Blaubeuern, und drei Jahre darauf ging er zu gleichen Würden nach Stuttgart. 1567 ward er Consistorialassessor daselbst, und 1596 Abt zu Adelsberg und Generalsuperintendent. In der dem Kloster zugehörigen Pfarrei Hundsholz hielt er seine berühmten Bauernpredigten. Als er sich der Aufnahme der Juden in das Herzogthum widersetzte, fiel er bei seinem Fürsten in Ungnade und nahm in Folge derselben einen Ruf zum Pastor primarius nach Esslingen an (1598). Nach einigen Jahren reichgesegneter Wirksamkeit zwang ihn die abnehmende Kraft, in den Ruhestand zu treten. Der Rath bewilligte ihm einen anständigen Ehrengehalt und übernahm die Kosten des von ihm gewünschten Umzuges nach Stuttgart. Nach wenigen Tagen rührte ihn hier der Schlag (1604). Bei grossen Körperschmerzen blieb sein Geist klar und still. Drei Mal communicirte er auf dem Krankenbett, und seine letzten Worte waren: Der Herr wird das gute Werk, so er in mir angefangen, vollführen bis auf den Tag Jesu Christi.

Osiander war bei verschiedenen Religionsgesprächen zugegen und thätig, namentlich 1576 zu Maulbronn, wo die von ihm und Biedernbach aus der schwäbisch-sächsischen Concordie zusammengezogene Formel vorgelegt und genehmigt wurde, 1586 zu Mömpelgart, wo er mit Jacob Andreä gegen Beza den lutherschen Glauben vertheidigte und 1594 zu Regensburg, wo er mit Samuel Huber, der statt der allgemeinen Berufung die allgemeine Erwählung geltend gemacht hatte, disputirte und dafür von ihm den unverdienten Vorwurf des Calvinismus hinnehmen musste. Auch verfasste er die erste lateinische Übersetzung der Concordienformel. Seine Arbeitsamkeit war so gross, dass er noch in seiner letzten Krankheit seiner (zweiten) Gattinn und einem Amanuensis in die Feder dictirte.

Seine von ihm, vorzüglich in der Bauernpostille, befolgten homiletischen Grundsätze beschreibt er selbst in der Vorrede zu jener, und wir theilen sie, wegen ihres allgemeineren Interesses, in Folgendem auszugsweise mit: „Ich habe diese meine Predigten eine Bauernpostill genennet darum, dass ich mich in denselbigen allerdings nach den einfältigen Bauersleutlein gerichtet, damit sie ja dieselbigen wohl verstehen und behalten könnten. Denn ob man wohl den Bauern eben die christliche Lehre fürtragen soll, die man den Bürgern, Canzleiverwandten, Adelspersonen und grossen Herzen predigt; jedoch, wenn man gar einfältige Leute lehren will, muss man etlicher Maassen eine andere Weise und Form fürnehmen, denn wenn man den Leuten predigt, welche studirt haben oder sonst mit mehr Verstand, denn der gemeine Mann, begabt sind. Denn erstlich will es sich bei dem armen Bauersvölklein nicht schicken, wenn man den ganzen fürgelesenen Text und alle desselben Stücklein wollte in einer einigen Predigt erklären und handeln, wie man sonst zu thun pflegt, wo ein Prediger einen biblischen Text ordentlich nach einander auslegt. Denn daselbst steht es zu ihm, dass er wenig oder viel Text nehme und in demselbigen Alles mit einander erkläre und Nichts darinnen übergehe. Wenn man diese Weise mit Erklärung der sonntäglichen Evangelien und Episteln wollte fürnehmen, bei dem armen einfältigen Völklein, so würden die Predigten viel zu lang, und werden die Zuhörer verdrossen. Es ist auch Solches Denen beschwerlich, die aus den Weilern über Feld müssen die Predigten in der Pfarrkirche besuchen und nach derselben wiederum über Feld heimziehen, sonderlich zu kalter Winterszeit. Und weil dergleichen Leutlein gemeiniglich übel bekleidet und über Feld, auch in der Kirche Frost leiden, merken sie endlich nicht mehr fleissig auf die Predigt, wenn dieselbe lang ist und sie vor Kälte nicht wohl in der Kirche bleiben können, da denn billig ein getreuer Hirt seiner Schäflein hierinnen verschonen soll. Es ist auch keine Nothdurft und nicht rathsam, dass ein Prediger in einem Dorf vielerlei locos communes oder Lehren (welche zwar alle können aus einem Text genommen werden) in einer Predigt zu handeln fürnehme, wie man sonst in fürnehmen Städten oder auch zu Hofe (an welchen Orten mancherlei und sehr ungleiche Zuhörer sind) thun kann und mag. Denn an solchen fürnehmen Orten muss man mancherlei Speisen des göttlichen Worts auf ein Mal fürtragen, damit ein Jeder (nach Beschaffenheit und Gelegenheit seiner Person) Etwas höre, dadurch seine Seele gespeiset werde, wenn gleich der Prediger kurz, doch gründlich und satt, von mancherlei Sachen redet. Aber bei dem gemeinen Bauersmann will es nicht sein; sondern man muss ihnen in einer Predigt nur zwei oder drei Lehren (oder locos communes) fürhalten und dieselbigen ausführlich (so Viel die Zeit leiden mag) und verständlich erklären und einbilden, welches nicht geschehen kann, wenn man vielerlei Lehren oder locos communes auf ein Mal bei einfältigen Leuten handeln will. Denn ob man gleich Zeit genug (als im Sommer9 dazu nehmen wollte, so können doch einfältige Leutlein so vielerlei Lehren auf ein Mal nicht fassen und behalten, sondern wenn sie das Letzte hören, so wissen sie nicht mehr, was das Erste gewesen sei, gleich als wenn man einem Schüler in einer Lection allzuviel fürgiebt, so kann er’s nicht behalten. Wenn man ihnen aber zwei oder drei heilsame, nothwendige Lehren (in Gottes Wort wohl gegründet) fürträgt, so sind ihre Seelen gespeiset und haben damit genug zu thun, dass sie solche Lehren die Woche umhin betrachten und ihnen zum Trost und Besserung ihres Lebens nutz machen, und können die anderen übrigen Lehren, etwa auf eine andere Zeit, ja auch wohl über ein Jahr, eben aus demselbigen Text füglich gehandelt werden. – Wenn denn gleich die religionsstrittigen Sachen bei dem Bauernvolk müssen unterweilen auf die Kanzel gebracht werden, so soll Solches nicht gar oft, auch nicht mit spitzigen disputationibus und mit Erzählung vieler Argumente geschehen. Denn solche scharfe disputationibus verstehen die armen Bäuerlein nicht, und wenn sie viele argumenta der Widersacher erzählen hören, kann es wohl geschehen, dass sie mehr dadurch geärgert und verwirret, denn gebessert werden. Darum ist’s genug, wenn ein Prediger in einem Dorf an einen streitigen Artikel kommt, dass er unserer Widersacher irrige Meinung kurz erzähle und derselbigen etliche klare Sprüche der heiligen Schrift entgegensetze, damit ein einfältiger Christ so Viel verstehe und merke, dass der Widersacher (als der Papisten, Zwinglianer, Wiedertäufer, Schwenkfeldianer und dergleichen) Lehre falsch und verführerisch sei; so wird sich ein gutherziger Christ, welcher die Wahrheit lieb hat, wohl wissen vor Irrthum zu hüten. – Es ist auch nicht erbaulich, wenn man solchen einfältigen Zuhörern viele Historien aus den heidnischen Scribenten (darauf man sich nicht gründen kann) fürhält und die Zeit damit verleuert; sondern das Beste ist, wenn der Prediger bei der heiligen Schrift bleibt und seine Lehre mit klaren und (so viel möglich) dem gemeinen Mann bekannten Zeugnissen und Exempeln aus der Bibel beweiset und auf dieselbige gründet. Darauf kann ein Christ sicher fussen und darauf leben und sterben. – Welcher Prediger auch die einfältigen Bauern nützlich lehren will, Der muss nicht sich befleissigen zierlich zu reden, als wenn ein Canzler vor einem Fürsten oder anderen fürnehmen Leuten auf Canzleiisch redet, sondern er soll wohlbekannte Worte und dem gemeinen Mann verständliche Phrases oder Weise und Art zu reden gebrauchen, welche ein jeder einfältiger Mensch wohl verstehen könne. Dazu gehört auch, dass ein Prediger nicht lange periodos mache und nicht viel Reden aneinander knüpfe und dann allererst mit einem Wort endlich beschliesse. Denn ehe ein einfältiger Zuhörer das letzte Wort am periodo hört, so weiss er nicht mehr, was das erste gewesen ist, derwegen er aus solchen Predigten wenig Nutzen empfähet, als deren er einen grossen Theil nicht verstanden hat. – Ein Prediger muss auch die Rede und Stimme also wenden und richten, dass ein jeder einfältiger Zuhörer nicht anders gedenke, denn als wenn der Pfarrer mit ihm allein redet und ihn unterweisen wollte. Wenn Dies geschieht, so merken die Pfarrkinder mit Lust und mit grossem Fleiss auf die Predigten, wird ihnen die Zeit kurz und behalten leichtlich, was sie in einer solchen Predigt gehört haben. – In einer Summe aber und beschliesslich hievon zu reden, so muss sich ein getreuer Prediger zum Höchsten befleissigen, dass ihn auch die allereinfältigsten Leutlein wohl und klar verstehen mögen. Denn Dieses ist am allerzierlichsten und besten in den Predigten geredet, wenn der Prediger die göttliche Wahrheit klar und verständlich predigt. Denn die einfältige Weise zu reden verstehen auch die Gelehrten und Hochverständigen; dagegen aber, wenn man allein den Gelehrten und Hochverständigen will predigen, so kann es der gemeine und einfältige Mann nicht verstehen, und bringen solche Predigten bei den Geringverständigen wenig Frucht. Und soll billig ein hochgelehrter Prediger sich nicht schämen, dass er sich nach den einfältigen Leutlein in seinen Predigten richte. Denn Das hat unser höchster Lehrmeister Jesus Christus, der Erzhirt, selbst gethan, welcher das einfältige Völklein, das häufig zu ihm gelaufen, einfältig und verständlich gelehret und ihnen die heilsame Lehre mit feinen Gleichnissen eingebildet hat, bei denen sie seine Lehre haben behalten können. Es sind auch allerwegen der einfältigen Leute mehr, denn der gelehrten und hochverständigen; darum sich ein Prediger billig nach dem grossen Theil seiner Zuhörer richten soll. Und sind ja die armen Bäuerlein (für welche der Sohn Gottes so wohl sein Blut vergossen als für die allerfürnehmsten Leute) unserm Herrn Gott eben so angenehm und lieb (oft auch viel angenehmer), als die reichen und fürtrefflichen Leute in der Welt. Denn bei Gott dem Herrn ist kein Ansehn der Person. Und schreibt St. Paulus hievon also (1. Cor. 2): Sehet an, liebe Brüder, euern Beruf; nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen, sondern was thöricht ist vor der Welt, Das hat Gott erwählet, dass es die Weisen zu Schanden mache. Und der Herr Christus sagt von seinem Evangelio also: Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, dass du Solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbaret, ja Vater, denn also ist es wohlgefällig gewesen vor dir. Darum soll ein getreuer Prediger allen möglichen Fleiss anwenden, dass er auch die allergeringsten und einfältigsten Bauersleutlein also in Gottes Wort unterrichte, dass sie ihn (zu ihrem ewigen Heil) hören, verstehen und sich aus den Predigten bessern können. Dessen ich mich in dieser meiner Bauernpostille (ohne Ruhm zu melden) zum Höchsten beflissen habe.“

Unter O.’s homiletischen Schriften sind die bemerkenswerthesten: Bawren Postilla, das ist, einfältige, jedoch gründliche Auslegung der Episteln und Evangelien für das einfältige christliche Völklin auf den Dörfern. 5 Theile. Tübingen 1597 – 1600. 4. Predigten über den christlichen Catechismus. Tübingen 1602. 4. Predigt von der Wiedertaufe. Tüb. 1582. 4. Predigt von hoffährtiger, ungestalter Kleidung der Weibs- und Mannspersonen. Tüb. 1586. 4. Libellus de ratione concionandi. Tubingae 1582. 8. Ausserdem schrieb er Commentare über die ganze heilige Schrift (biblia latina. Tubingae 1589), ein Communionbüchlein für junge, einfältige Leute, institutiones religiones christianae, enchiridion controversiarum, epitome centuriar. Magdeburg. u.s.w. Christliche Leichpredigt bei dem Begräbniss des ehrwürdigen sel. Lucae Osiandri, gehalten zu Stuttgart in der Stiftskirche durch M. Johannem Magirum. Tübingen 1604. 4. Freheri theatrum eruditorum p. 332. Frischlini Memoria theol. Wurtembergens. I. p. 146.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Olaf der Heilige

(Gest. 31. August 1030.)

„Fürchtet euch nicht, und erschrecket nicht! – Ist auch ein Gott außer mir? Es ist kein Hort, ich weiß ja keinen. Die Götzenmacher sind allzumal eitel, und ihr Köstliches ist kein Nütze. Sie sind ihre Zeugen, und sehen nichts, merken auch nichts; darum müssen sie zu Schanden werden.“ (Jes. 44, 8. 9.)

Olaf der Heilige, ist ein König und Apostel des Norweger Volkes. Zwar hatten schon vor ihm zwei königliche Männer mit dem Licht des Christenthums in ihres Landes heidnische Macht hineingeleuchtet, zuerst der edle Hakon, und darnach Olaf Tryggvason. Aber sobald sie weggestorben waren, verloren sich und verloschen wieder die Strahlen in der Finsterniß. Jedoch durch Olaf, den heiligen, sollte das wahrhaftige Licht im Lande Norwegen bleibend auf dem Leuchter stehen.

Er war in der Landschaft Gudbrandsdalen geboren. Und da das Fürstenkind 3 Jahre alt war, empfing es von jenem Olaf Tryggvason, der zur Blutsfreundschaft gehörte, die heilige Taufe. auch übernahm dieser selbst mit der Pathenschaft die Bürgschaft christlicher Erziehung, an welcher ihm viel lag. Als der Knabe zum Jüngling herangewachsen war, geduldete er sich nicht länger in dem unthätigen Stilleben am ländlichen Königshofe seines Stiefvaters Sigurd Siv. Er begehrte zur See; denn das ist von je des norwegischen Volkes Dürsten und Trachten. In brausendem Kampf mit Sturm und Meerfluth, lernte der junge Olaf die nöthige Kunst des Steuerns und den Werth der Entschlossenheit. Nach einigen Jahren kehrte er aus den Wogen heim. Mit großen, stolzen Gedanken stieg er an’s Land. Seine Seegenossen, treue rüstige Jünglinge, hielt er um sich geschaart, der mächtigen Blutsfreundschaft versicherte er sich; so trat er kräftig mit dem Plane hervor, sein in viele Herrschaften und Häuptlingsschaften zerklüftetes, und deßhalb seit dem Tod des starken Tryggvason von Dänemark und Schweden abhängig gewordenes Vaterland unter Ein Scepter zu einigen, und von der fremden Botmäßigkeit frei zu machen. Und daß seine Hand dies Scepter der Alleinherrschaft trage, das beanspruchte er als Sprosse des alten norwegischen Alleinherrschers Harald Schönhaar. Die kleinen Fürsten sträubten sich mit zähem Trotz, und fanden an den beiden Königen von Dänemark und Schweden willigste Unterstützung und Aufhetzung. Noch schwerer ward ihm seine Arbeit durch die ganz ungetheilte Anhänglichkeit des Volkes an seine Götter. Denn auch dies stand unerschütterlich fest in Olafs Plan, das Heidenthum bis zur Wurzel zu vertilgen, und das Christenthum auf norwegischer Erde heimisch und herrschend zu machen, so fest, daß er alles Andere nur als kräftiges Mittel zu diesem Zweck wollte.

Nachdem er den Widerstand der Großen gebrochen, die widerstrebenden Theile zu Einem Reich, unter Einem auf alten Grundsätzen erneuten Gesetz geeint, und mit gerechtem Gericht, aber stählernem Willen und Arm sein Regiment führte, da gedachte er, die Zeit sei reif, seinem Volk die letzte und edelste Wohlthat zu bringen, das Kreuz Christi. Dem Land ein Apostel des Herrn zu werden, schien ihm köstlicher zu seyn, als die köstliche Königskrone auf seinem Haupt. Mit Bischof Sigurd und von 850 Gewappneten begleitet, zog er von Ort zu Ort seines Reiches, brachte dem Volk die frohe Botschaft, unterrichtete es im Glauben an Christum, und wies es zur Heiligung des Lebens. Spöttisch-hochmüthigen Widerspruch ahne er mit ernsten Strafen. Wie es bei diesen apostolischen Fahrten König Olafs zuging, werden wir jetzt erzählen.

Der König kam in seine heimische Landschaft Gudbrandsdalen. In diesem schönen Gebirgstal saß ein heidnischer Häuptling, Dale-Gudbrand genannt, im Gehöfte Hundstorp. Dieser war gesinnt, seine alten werthen Götter mit dem Schwerte zu vertheidigen. Er sandte eine kampflustige Schaar unter seinem Sohne dem nahenden König entgegen. Sie ward ohne Mühe von Olafs Leuten überwunden. Der gefangene Sohn des Häuptlings sollte nach dem Gesetz sterben. Olaf aber gab ihn frei, und sandte ihn zu seinem Vater, mit dem Bescheid, er wolle auf einer öffentlichen Volksversammlung die Sache schlichten. Man versammelte sich zu Hundstorp. Als die Männer rings saßen, und es still geworden, stand der König auf, und sprach: „Das Volk im Thale aufwärts hat seine Opferstätten niedergebrannt, und glaubt an den wahren Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, allwissend ist, und seinen Sohn Christum aus dem Himmel hernieder sandte zum Heil der Welt.“ Hierauf setzte der König sich. Dale-Gudbrand stand auf, und sprach: „Wir wissen nicht, von wem Du redest; oder nennst du den einen Gott, den wieder du, noch jemand anders sehen kann? Wir haben einen Gott, welchen man jeden Tag sehen kann, obgleich er heute nicht sichtbar, weil das Wetter schlecht ist; und er würde euch furchtbar und sehr ansehnlich erscheinen; daher, meine ich, würde euch eine Angst in das Blut kommen, wenn er hier auf dem Tagedinge (Rathsversammlung) erschiene. Aber da du sagst, daß euer Gott so gewaltig sei, so möge er das nun dadurch beweisen, daß morgen das Wetter wolkig, doch ohne Regen ist, und laßt und da wieder zusammen kommen!“

Der König brach auf zu seiner Herberge, und verbrachte die Nacht im Gebet. Um die Zeit der Morgenröthe begab er sich zur Kirche. Andacht im Herzen ging er wieder zur Volksversammlung. Der Himmel war wolkig, doch ohne Regen. Bischof Sigurd, im vollen Schmuck seines Amtes, mit Chorkleid, spitzer Mütze und Hirtenstab angethan, stand feierlich auf, und sprach mit beredter Zunge vom christlichen Glauben, und pries ihn hoch den Anwesenden. Nachdem er sich gesetzt hatte, erhub sich der Häuptling Thord Istermage, und sprach: „Mancherlei redet der gehörnte Mann mit dem Stab in der Hand, der oben zierlich gebogen ist, wie ein Widderhorn. Da ihr aber immer saget, daß euer Gott so manche Wunderzeichen thun kann, so sage du ihm, daß er morgen Vormittag klaren Sonnenschein werden lasse, so wollen wir wieder hier zusammen kommen, und eins von beiden thun, entweder uns über diese Sache vergleichen, der den Streit fortsetzen.“

Man ging auseinander. Wiederum verbrachte der König die Nacht im Gebet, und die frühe Morgenstunde am Altar des Herrn.

Die Thalleute waren derweil auch andächtig gewesen. Aus einem nahen Tempel hatten sie das Standbild ihres Götzen Thor auf dem Versammlungsplatz herausgetragen. Er war mit Gold und Silber reichlich behangen, welches im dämmernden Licht der Morgenröthe schimmerte. Und die Thalleute verbeugten sich mit stummer Ehrfurcht vor ihrem Gott Thor. Nachdem aber alles Volk schweigend zur Berathung sich niedergesetzt hatte, stand Dale-Gutbrand auf, und sprach: „Wo ist nun den Gott, König? Ich meine, daß er jetzt lieber in seinem wolkenschattigen Lande weilt, und mir scheint, daß weder du, noch der gehörnte Mann, welchen ihr Bischof nennt, und der neben dir sitzt, heute so guten Muthes seid, wie gestern. Denn nun ist unser Gott gekommen, der über Alles waltet, und blickt auf euch mit scharfen Augen; und jetzo merke ich wohl, daß ihr erschrocken seid, und kaum waget, eure Augen aufzuschlagen. Lasset also nunmehr allen Widerstand fahren, und glaubet an den Gott, der euer ganzes Schicksal in seiner Hand hat!“

Der König erhub sich und sprach: „Mancherlei hast du in dieser Morgenstunde zu uns geredet, und du wunderst dich höchlich darüber, daß du unsern Gott nicht sehen kannst. – Aber wir hoffen, daß er alsbald zu uns kommen wird. Du willst uns mit deinem Gott einschüchtern, der beides, blind und taub ist, und weder sich selbst, noch Andere schützen kann, ja nirgend wohin aus seiner Behausung zu kommen vermag. Aber nun meine ich, daß sein Unglück nahe bevorsteht! Denn wendet jetzt eure Augen gen Osten, wo unser Gott mit einem großen Lichte erscheint!“

Da ging die Sonne auf. Im selben Augenblick trat, auf Olafs Wink, Kolbein, der Starke, aus des Königs Leibwache mit einer Keule hervor, und führte auf den Gott Thor einen Schlag, daß er in Stücke zerbrach. Es krochen aber Mäuse, Ottern und Gewürm aus dem zertrümmerten Götzenbild. Die Thalmänner entsetzten sich, und nicht wenige flohen von dannen. Der König aber hieß sie wieder kehren, und sprach also zu ihnen: „Ich weiß nicht, was euer Lärmen und Laufen bedeutet. Jetzt könnet ihr selber sehen, was euer Gott vermag, welchen ihr neulich mit Gold und Silber gegürtet, und ihm Speise und Trank vorgesetzt habt. Sehet nun, welche Schutzgeister dieselben verzehrt haben, Mäuse und Würmer, Nattern und Kröten; und übel thaten die, welche auf dergleichen vertrauen, und nicht von ihrer Thorheit lassen wollten. Nehmet nun euer Gold und die Kostbarkeiten, welche am Boden zerstreut liegen, und gebt sie eurem armen Volk! Behänget aber fürder nicht Stock und Stein damit! Hier ist nunmehr nur zwischen zwei Dingen zu wählen, entweder ihr nehmet das Christenthum an, oder ihr bestehet mit mir noch heute den Kampf, und da gewinne der den Sieg über den Andern, welchem der Gott, an den wir glauben, ihn vergönnen will.“

Da stand Dale-Gudbrand auf, und sprach: „Wir haben hier großen Schaden genommen an unserm Gott; da er jedoch uns nicht helfen will, so wollen wir nunmehr an den Gott glauben, an welchen ihr glaubt.“

Und Gudbrand, nachdem er sich mit seinen Söhnen und untergebenen Leuten von Bischof Sigurd hatte taufen lassen, bauete eine Kirche in seinem Thal.

Aber es naheten Unglückstage. Viele der unterworfenen Häuptlinge gehorchten nur mit Zähneknirschen. Sie verbanden sich heimlich, und verriethen ihren Herrn an den mächtigen König Knud, welcher Dänemark und England beherrschte, und vor Eifer brannte, Norwegen noch diesen seinen Reichen hinzuzufügen. er sparte nicht Gold noch List, jene Unzufriedenen aufzuhetzen. Bald erschien Knud mit einer großen Flotte an der Norwegischen Küste. Olaf, von allen bis auf wenige Treuen verlassen, entfloh nach Gardareich (Rußland) zu seinem Schwager Jarisleif. Dieser bot ihm ein Stück seines weiten Reiches an, daß er s zum Christenthum führe. Noch überlegte Olaf, ob er es annehmen, oder, was seinem weltmüden Herzen als das liebste erschien, ob er Mönch werden, und nach Jerusalem pilgern solle. Da erschien ihm der alte Olaf Tryggvason, sein Taufpathe und Ahnherr, im Träume, und wies ihn zur Heimkehr, daß er sein väterlich Erbe wieder gewinne, und seinem Beruf, Norwegens Bekehrung, vollende. Olaf gehorchte.

Mit 4000 Mann Kriegsvolk trat er in Norwegen auf den Plan; seine Feinde waren 10,000. Aber er war so wenig verzagt, daß, als er erfuhr, 900 seiner Leute seien Heiden, er deren Taufe verlangte, sprechend: Wir dürfen nicht unsere Zuversicht auf des Volkes Menge setzen; auf Gott allein sollen wir uns verlassen. Den durch seine Kraft und Barmherzigkeit können wir den Sieg erhalten; aber ich will kein heidnisches Volk unter den Meinen.“ Fünfhundert weigerten sich, die Taufe anzunehmen. Olaf entließ sie. Die übrigen 400 ließen sich taufen, gesinnt gleich einem ihrer Anführer, welcher sprach: „Soll ich an einen Gott glauben, warum denn nicht eben so gut an den heiligen Christ, als an irgend einen Andern? und der König hat unsere Hülfe sehr nöthig.“

Da des Königs Streiter so wenige waren, rieth ihm sein Freund Finc Arneson, er solle keine offene Feldschlacht wagen, sondern im Rücken des Heeres der Aufrührer, das lediglich aus Bauern bestehe, deren Gehöfte mit Brand und Raub überfallen; sie würden sich alsdann flugs auflösen, um das Ihre zu retten; mit den Vereinzelten werde man leicht fertig werden. Der Rath wurde von Allen mit Jubel aufgenommen. Nur von Olaf nicht. „Er habe freilich früher bisweilen mit Sengen und Brennen un allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln seinem Willen Gehorsam verschafft; aber damals habe es gegolten, den Götzendienst auszuwurzeln, den Abfall von dem allein wahren Gott zu züchtigen. Drum habe er nicht nach den Mühsalen, die der Kampf hinter sich zurücklassen werde, fragen dürfen. Nun aber gelte es nur den Abfall von seiner Person; und er wolle nicht, daß um seinetwillen die wehrlosen Höfe mit so viel Elend, Brand und Blut erfüllt würden.“

In der Landschaft Vaerdalen bei Stiklastad kam es im Jahr 1030 zur Schlacht. Olaf rückte vor mit dem Ruf: „Vorwärts, Christenmänner, Kreuzmänner und Kriegsmänner!“ Ihm entgegen rückten die zahlreichen Schaaren der Feinde mit dem Rufe: „Vorwärts, vorwärts, Landmänner!“ Olaf mußte der Uebermacht weichen. Ein tiefer Hieb in’s Bein machte ihn kampfunfähig. Er warf sein Schwert weg, und betete zu Gott um Hülfe. De stürmte der Anführer der Feinde, Thorer Hund, auf ihn ein, und tödtete seinen wehrlosen König mit der Waffe. Die Meisten seiner Getreuen lagen todt um ihn her. Mitten während der Schlacht, bei wolkenlosem Himmel, war plötzlich das Licht der Sonne verloschen. Erst nach des Königs Tod bekam sie ihren Schein wieder.

Und dennoch, der Besiegte war der Sieger. Gleich nach der Schlacht, noch über seiner unbeerdigten Leiche, verbreitete sich vom sieghaften Heere aus durch das ganze Land der Glaube: man habe einen heiligen Mann getödtet, und der Gott seines Glaubens habe am Schlachtentage durch Hinwegnahme des Tageslichts ein Zeichen gegeben.

Der zuerst heimlich gleich nach seinem Tode bestattete König wurde das Jahr drauf wieder ausgegraben, und noch unverwest gefunden. Nun erklärte man öffentlich, uns stellte fest durch den Spruch des Bischofs Grimmkell, König Olaf sei ein wahrer Heiliger. Sein Leichnam ward in kostbarem Schrein in der Clemenskirche zu Drontheim, welches damals Nidaros genannt wurde, beigesetzt.

Der Todestag Olafs wird von Gelehrten, aus Berechnung der während der Schlacht eingetretenen Sonnenfinsternis, als der 31. August bestimmt. Aber das Norweger Volk feiert seinen St. Olafstag von jeher am 29. Juli. So ist nun Olaf, der Heilige, in der That ein apostolischer König seines Volks, von seinem Gott und Heiland dazu ersehen, daß er um den Preis der Märtyrerkrone im Lande Norwegen auf den Trümmern der Götzenbilder das Kreuz aufrichte.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

Martin Luther

Martin Luther

Martin Luther geboren den 10. Nov. 1483 zu Eisleben, von Eltern, die geringern Standes, aber rechtschaffen und fromm waren. Sein Name bedeutsam: Martin an seinem Tauftag den 11. Nov. vom Bischof Martin benannt, bezeichnete ihn im voraus als einen Kriegsmann, einen Streiter Gottes: Luther, der Leute Herr oder Herrscher, weist hin auf den Geister beherrschenden Einfluß. Nach alter Sage, die Luther kannte, hat Johann Huß geweissagt: Ihr bratet jetzt eine Gans (Huß heißt Gans), nach hundert Jahren aber wird Gott einen Schwan erwecken, den werdet ihr nicht brennen noch braten; den werden sie singen hören, den sollen sie leiden, da soll’s auch bei bleiben, ob Gott will. Unter -strenger, oft fast harter Zucht, wuchs er auf, und es bewährte sich von hier an und später an ihm die Wahrheit des Ausspruchs (Klagl. Jeremiä 3, 27.): es ist ein köstlich Ding einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage. Das hat er erfahren, als er zu den Nullbrüdern oder Franziskanern in Magdeburg, und darauf auf die Schule nach Eisenach kam, wo sein andächtiges Singen als Currendaner das Herz der frommen Wittwe Cotta ihn zu unterstützen erweckte. Tüchtig vorbereitet bezog er 1501 die Universität Erfurt, anfangs um die Rechte zu studiren, ging aber nach Einem Jahre, durch schwere Schläge von außen und innere Anfechtungen aus Angst für seine Seligkeit erregt, zum Studium der Theologie über, und trat 1505 in den Augustiner Eremiten-Orden, und in dessen Kloster zu Erfurt, wohin ihn nicht Armuth, sondern der Eifer der Gottseligkeit trieb; wiewohl zum Mißfallen seines Vaters. Aber eben das Joch der klösterlichen Zucht, und die fortgehende innere Unruhe zogen ihn in den Ernst des innern Lebens, und ließen ihn den Weg zur Vergebung der Sünden als die wichtigste Aufgabe erkennen. Gott sandte ihm auch in einem alten erfahrenen Klosterbruder und in dem Provinzial Staupitz treuen Rath, und ließ ihn im Kloster eine lateinische Bibel finden, die er begierig las. Unverkennbare Leitungen Gottes, wodurch er ihn zu dem großen Berufe vorbereitete, der ihm bestimmt war. So ward er im J. 1508 auf die Universität Wittenberg berufen, wo er vornehmlich Vorlesungen über die Bibel hielt, auch 1512 die theologische Doctorwürde erhielt. Da „schwor er seiner allerliebsten heiligen Schrift, und gelobte ihr, sie treulich und lauter zu predigen und zu lehren.“ Da schon ging ihm das Licht auf über den Hauptartikel der christlichen Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, ohne Verdienst der Werke. Als ihm der Sinn der Worte Röm. 1, 17. „im Evangelio wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart“ klar ward, daß hier nicht von der Gerechtigkeit Gottes selbst, sondern von der Gerechtigkeit des Menschen vor Gott die Rede sei: „da (so schreibt er) fühlte ich alsbald, daß ich ganz und neu geboren wäre, und nun gleich eine weite aufgesperrte Thür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte: sehe mich auch die liebe heilige Schrift nunmals viel anders an, denn zuvor geschehen war; die ganze heilige Schrift und der Himmel selbst war mir geöffnet.“ Hier fing nun sein scharfer Geist unter den täglichen Vorlesungen und Predigten an, noch mehr hervorzuleuchten, und er hatte schon vor d. J. 1517 klare Erkenntniß über Buße, Glauben und Rechtfertigung; eine Predigt im Jahre 1516 in Dresden ward dem Herzog Georg höchst anstößig.

Wie konnte es anders sein als daß Luther, bei solchem Glauben, an dem Ablaßkram des Tetzel den höchsten Anstoß nehmen und in seinem Gewissen beunruhigt werden mußte? Zwar hatte er schon in der Schloßkirche dawider gepredigt, und bei Herzog Friedrich damit schlechte Gnade verdient. Aber die wachsende Frechheit und die verderblichen Folgen der Ablaßverbreitung drangen ihn, am 31. Oct. 1517 zum Behuf einer Disputation auf den 1. Nov., den Tag aller Heiligen, wo große Wallfahrten nach der Schloßkirche, der Kirche aller Heiligen, mit Ablaßertheilung geschahen, 95 Sätze anzuschlagen, und darin den evangelischen Weg der Vergebung der Sünden zu vertheidigen. Ohne daß Luther es ahndete, wurden diese Sätze Blitze, die in der Kirche ein Feuer anzündeten, und schnell sich verbreiteten, als wären die Engel selbst Botenläufer. Weder die ungestümen Drohungen des Cardinal Thomas Cajetanus, dem er auf die Frage: wo er denn bleiben wollte? (wenn er nirgends geduldet würde) antwortete: „unter dem weiten Himmel,“ noch die höfische Feinheit und Schlauheit des Carl von Miltiz konnten ihn zu einem Widerruf bewegen. Er legte vielmehr den 28. Nov. 1518 in der Frohnleichnamskapelle zu Wittenberg eine förmliche Appellation von dem Verfahren des Papst Leo X. gegen ihn an ein allgemeines Concilium nieder; ja am 10. December 1520 begab er sich, begleitet von den Studirenden, vor das Elsterthor und verbrannte das päpstliche Gesetzbuch und die wider ihn erlassene Bulle mit den Worten: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübet hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer.“ Nicht Rachsucht war es, sondern ein heiliger Trieb, der Luther zu dieser kühnen That begeisterte; ein Signal gab er der Christenheit, den Papst nicht mehr zu fürchten, sondern seine Macht zu verachten, sein Joch abzuwerfen; er that’s zur Befestigung der Wahrheit und des gemeinen Haufens.

Ein gleicher Muth führte ihn 1521 nach Worms. Davor gewarnt mit Huß’s Schicksal, erwiederte er: Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis gen Himmel reichte, weil er aber gefordert wäre, so wollte er im Namen des Herrn erscheinen, und dem Behemoth in sein Maul zwischen seine großen Zähne treten und Christum bekennen, und denselben walten lassen. Und wiederum, da ihm nicht weit mehr von Worms selbst Spalatin warnen ließ, hineinzukommen, antwortete er: „Wenn soviel Teufel zu Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, dennoch wollt ich hinein.“ Wie bewegt sein Herz, aber auch wie getrost zu Gott in dieser Zeit war, sieht man aus seinem Gebete in Worms: „Ach Gott, ach Gott; o du mein Gott! Du mein Gott stehe du mir bei, wider aller Welt Vernunft und Weisheit. Thue du es; du mußt es thun, du allein. Ist es doch nicht meine, sondern deine Sache. Habe ich doch für meine Person allhier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herrn der Welt zu thun. Wollte ich doch auch wohl gute geruhige Tage haben und unverworren seyn. Aber dein ist die Sache, Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe mir bei, du treuer ewiger Gott! ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist, und nach Fleisch schmeckt. O Gott, o Gott! Hörst du nicht, mein Gott? Bist du todt? Nein, du kannst nicht sterben, du verbirgst dich allein. Hast du mich dazu erwählt? ich frage dich; wäre ich es denn gewiß; ey so walt es Gott! denn ich mein Lebelang nie gedacht, wider solche große Herrn zu seyn, hab mir es auch nicht vorgenommen. Ey Gott, so stehe mir bei in dem Namen deines lieben Sohns Jesu Christi, der mein Schutz und Schirm seyn soll, ja meine veste Burg, durch Kraft und Stärkung deines heiligen Geistes. Herr, wo bleibest du? Du mein Gott, wo bist du? Komm, komm, ich bin bereit, auch mein Leben darum zu lassen, geduldig wie ein Lämmlein. Denn gerecht ist die Sache und dein; so will ich mir von dir nicht absondern ewiglich. Das sey beschlossen in deinem Namen. Die Welt muß mich über mein Gewissen wohl ungezwungen lassen; und wenn sie noch voller Teufel wäre, und sollte mein Leib, der doch zuvor deiner Hände Werk und Geschöpf ist, darüber zu Grund und Boden, ja zu Trümmern gehen; dafür aber dein Wort und Geist mir gut ist. Und ist auch nur um den Leib zu thun: die Seele ist dein und gehört dir zu, und bleibt auch bei dir ewig, Amen. Gott helfe mir, Amen.“

Und dieser Gott war mit ihm, und gab ihm Muth, der Wahrheit getreu zu bleiben, und vor Kaiser und Reich ein Bekenntniß abzulegen, das Heldenthaten aufwiegt, „es sey denn, daß ich durch Zeugnisse der heiligen Schrift überführt, oder auf eine einleuchtende Weise durch die von mir angeführten Schriftstellen überwunden bin, und mein Gewissen im Worte Gottes gefangen ist; so will ich weder noch kann ich etwas widerrufen. Hier stehe ich, ich kann nichts andres; Gott helfe mir! Amen!“ Dennoch war er offen genug, in einem Schreiben an Hartmuth von Cronberg, Febr. 1522, zu bekennen: „Das seine Spiel, das der Satan zu Wittenberg angericht (die Bilderstürmer), ist auch mir zur Strafe geschehen, darum, daß ich zu Worms, guten Freunden zu Dienst, auf daß ich nicht zu steifsinnig gesehen würde, meinen Geist dämpfte, und nicht harter und strenger meine Bekenntniß vor den Tyrannen thät; weßhalben ich nach der Zeit öfters von den Treu- und Gottlosen böse Nachreden habe erdulden müssen. Mich hat meine, dieselbe Demuth und Ehrerbietung vielmal gereuet.“ Doch fühlte er mit Schmerz, wie das deutsche Volk sich herabwürdigte, indem es dem Papst zu gefallen, die evangelische Wahrheit und Freiheit von sich stieß. Luther selbst, darauf in die Acht erklärt, ward von dem Churfürsten Friedrich dem Weisen, welcher ihn in Worms zum ersten und einzigen Male gesehen hatte, nach der Wartburg in ein sicheres Asyl gebracht. Hier, in seinem Pathmos, begann er das Werk der Bibelübersetzung, das mit Gott angefangen, mit treuem unermüdlichem Fleiße fortgesetzt im J. 1534 vollendet wurde. Diese deutsche Bibel ist durchweht von göttlichem Geiste, weil Luther selbst den Bibelgeist ganz in sich aufgenommen hatte, und hat eine Kraft gleich dem Original selbst. Doch fühlte sich Luther im März 1522 gedrungen, zur Rettung der Gemeinde vor fanatischen Störungen nach Wittenberg zurückzueilen, wenn auch ohne, ja wider den Willen des Churfürsten. Er theilte dessen Besorgnisse nicht und schrieb kühn an ihn: „Ich komme gen Wittenberg in gar viel einem höhern Schutz, denn des Churfürsten. Ich habe auch nicht im Sinne, von Ew. Churf. Gn. Schutz zu begehren. Ja ich halte, ich wolle Ew. rc. mehr schützen, denn sie mich schützen könnte. Dazu wenn ich wüßte, daß mich Ew. rc. könnte und wollte schützen, so wollte ich nicht kommen. Diesen Sachen soll noch kann kein Schwerdt rathen oder helfen; Gott muß sie allein schaffen, ohne alles menschliche Sorgen und Zuthun. Darum wer am meisten gläubt, der wird hier am meisten schützen. Dieweil ich denn nun spüre, daß Ew. rc. noch gar schwach ist im Glauben, kann ich keinerleiwege Ew. rc. für den Mann ansehen, der mich schützen oder retten könnte.“ Mit Ernst und Liebe wußte Luther bald die unruhigen Bewegungen in Wittenberg zu dämpfen. Mit gleicher Kraft legte er zur Stillung des Bauernaufruhrs Zeugniß ab von der Pflicht des Christen, der Obrigkeit unterthan zu sein, und gegen den Frevel der Empörung: drang auf Stiftung von Schulen, förderte die Kirchenvisitation, und gab Lehrern und dem Volke den Katechismus, dieses Kleinod, das den lautern evangelischen Glauben in ebenso frischer Glaubenszuversicht als kindlicher Herzinnigkeit ausspricht. Warum er sich 1525 in den Ehestand begab, bezeugte er selbst: „Ich habe nicht darum ein Weib genommen, als gedächte ich lange zu leben, sondern daß ich meine Lehre mit meinem eignen Exempel bestätigt, den schwachen Gewissen zum Trost hinter mir ließe: und nichts von meinem vorigen papistischen Leben an mir behielte.“ Er thats auch auf Begehren seines Vaters, und erkannte klar die Heiligkeit des Ehestandes; auch kam ihm die Katharina von Bora mit ihrer Liebe entgegen. Während des Reichstags in Augsburg 1530 war er in Coburg, und half durch Rath und Trost, besonders dem verzagten Melanchthon, und durch eine kräftige Fürbitte, wie einst Moses durch seine ausgebreiteten Arme. Die spätern Jahre seines Lebens gingen unter Arbeiten und Kämpfen, auch unter Kümmernissen, wie er deshalb 1545 Wittenberg verließ, und an seine zurückgelassene Ehegattin schrieb: „Ich wollt es gern so machen, Haß ich nicht dürfte wieder nach Wittenberg kommen. Mein Herz ist erkaltet, daß ich nicht gern mehr da bin, wollt auch, daß du verkauftest Garten und Huf, Haus und Hof. Nach meinem Tode werden dich die vier Elemente zu Wittenberg doch nicht wohl leiden, darum wäre es besser bei meinem Leben gethan, was denn zu thun seyn will.“ Jedoch ward er bewogen, wieder zurückzukehren. Aber sein Lebensziel nahte. Im J. 1546 reiste er, auf Verlangen der Grafen von Mansfeld, nachdem er noch den 17. Jan. am zweiten Sonntag nach Epiphanias in Wittenberg gepredigt, und die Gemeinde mit Vorahnungen seines Endes zur Treue im Glauben ermahnt und vor Abfall gewarnt, am 23. Jan. nach Eisleben ab. „Wenn ich meine lieben Landesherren, die Grafen zu Mansfeld vertragen habe, hie zu Eisleben, so will ich heimziehen, und mich in meinen Sarg legen, und den Würmern meinen Leib zu essen geben.“ Er predigte in Eisleben noch viermal, den 31. Jan. 4. Epiph., den 2. Febr. Maria Reinigung, den 7. Febr. 5. Epiph. und den 12. Febr. am Tage Matthiä. Er hatte oft erfleht, und bestimmt gehofft: „ich habe mit großem Ernst Gott gebeten und bitte noch täglich, er wolle der Feinde Rath steuern und keinen Krieg in Deutschland kommen lassen bei meinem Leben; und bin gewiß, daß Gott solch mein Gebet fürwahr erhört; und weiß, daß, weil ich lebe, kein Krieg in Deutschland seyn wird.“ Es wurde ihm gewährt, und ging an ihm in Erfüllung: „Die Gerechten werden weggerafft vor dem Unglück,“ Jes. 57, 1. Am 17. Febr. erkrankte er, und fühlte seine nahe Auflösung. Er betete: „O mein Vater, ein Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen lieben Sohn, Jesum Christum offenbart hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt habe, den ich geliebt und gelobt habe, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern. Ich bitte dich, mein Herr Jesu Christe, laß dir mein Seelchen befohlen seyn. O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib verlassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muß, so weiß ich doch gewiß, daß ich bei dir ewig bleiben, und aus deiner Hand mich Niemand reißen kann.“ Weiter fuhr er fort: Also hat Gott die Welt geliebt rc. wir haben einen Gott, der da hilft und den Herrn Herrn, der vom Tode errettet, Ps. 68, 21. – Darauf setzte er dreimal hinzu: In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Herr du treuer Gott, Ps. 31, 6. Und als ihm Justus Jonas zurief: Wollt ihr auf Christum und die Lehre, die ihr beständig gepredigt, beständig sterben? antwortete er deutlich Ja: bald darauf entschlief er, am Morgen des 18. Febr. Meine Seele müsse sterben des Todes dieses Gerechten, und mein Ende werde wie dieses Ende!

Wagen wir einen Blick in das Innere dieses Gottesmannes zu thun. Der Grundzug seines Charakters war Wahrheit, Treue, Glaube. Er war eine Nathanaelsseele, frei von Falschheit, von Heuchelei und Zweizüngelei; sein Herz lag offen vor Allen da, seine Sprache ist der volle Ausdruck seiner Seele: wer nur einigen Zinn hat für Einfalt und Treue, muß aus allen seinen Reden diesen Eindruck bekommen. Wenn Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit ein Zug im Charakter des deutschen Volkes seyn soll: welcher deutsche Mann hat darin Luther übertroffen? Es war aber sein deutsches Wesen ganz verschmolzen mit seinen, christlichen: er war treu und herzinnig in seinem Glauben. Seinem wahren Gemüthe drang sich die Wahrheit des Wortes Gottes, vor allem die Wahrheit Jesu Christi, die heilige Klarheit in dessen Bilde mit unwiderstehlicher Kraft auf. Dieß Glauben war ihm zur Natur geworden: es war die Quelle seines ganzen Denkens und Lebens. In der Schrift, in Christo irgend eine Unwahrheit, eine Täuschung zu finden, wäre ihm der entsetzlichste Greuel gewesen, gegen den sich seine ganze Natur empört hätte. Daher sein festes unbewegliches Stehen auf dem Worte Gottes, als auf dem ewigen Felsen. Und in diesem Worte war ihm der Mittelpunkt die Versöhnung des Sünders durch Christum, die Vergebung der Sünden, die Rechtfertigung vor Gott durch den Glauben ohne Verdienst der Werke. Dieser Glaube war ihm ein kräftiges lebendiges Ding, ja die Quelle alles Lebens und aller Kraft; und die Verdächtigung dieses Glaubens nimmt sich seltsam aus, wenn man dagegen hält, was dieser Glaube in Luthern und durch ihn wirkte. Nie hat er die guten Werke bestritten, sondern nur den Stolz, den Dünkel, die Selbstbespiegelung dabei. Dieser Glaube ging hervor aus tiefer gründlicher Erkenntniß der Sündigkeit und Ohnmacht des Menschen. „Gottes Natur ist, daß er aus nichts etwas macht. Darum wer noch nicht nichts ist, aus dem kann Gott auch nichts machen. Die Menschen aber machen alles was etwas: das ist aber lauter unnütz Werk. Darum nimmt Gott nicht auf, denn die Verlassenen; macht nicht gesund, denn die Kranken; macht nicht sehend, denn die Blinden; macht nicht lebendig, denn die Todten; macht nicht fromm, denn die Sünder; macht nicht weise, denn die Unweisen.“ Darum war es der Glaube, der ihm seine Kraft und Haltung gab. Aus dem Glauben ging sein ganzes Werk und das Bewußtsein seines göttlichen Berufs hervor. „Zu einem guten Werk gehört ein gewisser göttlicher Beruf, und nicht eigne Andacht, welches man heißt eigne Anschläge.“ Nichts ist gewisser, als daß er die Reformation nicht aus eignem Einfall unternahm. „Ich bin unversehens und ohne all mein Gedanken und Willen in diesen Zank und Hader kommen, daß ich Gott selbst zum Zeugen anrufe.“ Und wenn man von der Lauterkeit irgend eines Werkes Gewißheit haben kann, so hat man sie bei Luther. Wer so wenig aus seinem Namen gemacht wissen, so wenig „als Oberhaupt“ gelten will; wer da erklärt: „meine Person taste an, wer da will und wie er will, ich gebe mich für keinen Engel aus; aber meine Lehre, dieweil ich weiß, daß sie nicht mein, sondern Gottes ist, will ich Niemanden unverantwortet lassen antasten;“ ja wer frei bezeugt: „ich kenne selbst nicht den Luther, will ihn auch nicht kennen, ich predige auch nicht von ihm, sondern von Christo; der Teufel mag ihn hohlen, wenn er kann, er lasse aber Christum mit Frieden;“ wer so seine Persönlichkeit, sein Ich vergißt, für dessen Lauterkeit und Redlichkeit haben wir die vollste Bürgschaft.

Aus diesem Glauben und der Zuversicht seines göttlichen Berufs ging aber auch der Heldenmuth Luthers hervor. Sein Werk führte ihn in die schwersten Kämpfe. Er redet seine Feinde an: „Wohlan alle zusammen, wie ihr zusammen seyd und zusammengehört, Teufel, Papisten und Schwärmer auf Einem Haufen, nur frisch an den Luther, ihr Papisten von vorne her, ihr Schwärmer von hinten zu, ihr Teufel von allen Enden dran. Hetzt, jagt, treibet getrost, ihr habt das rechte Wild vor euch. Wenn der Luther liegt, so seyd ihr genesen und gewonnen. Ich sehe doch wohl, daß alles verloren ist, es hilft kein Schelten, kein Lehren, kein Vermahnen, kein Dräuen, kein Verheißen, kein Bitten, kein Flehen, keine Geduld, keine Demuth, kein Heucheln, kein Locken, wie ichs versuche, wende und kehre, so gilts nicht.“ Das war ihm eben ein gutes Zeichen: „Wenn sich die Welt nicht an mir ärgerte, so müßte ich mich an ihr ärgern, und in Sorgen stehen, daß was ich vorhabe, nicht aus Gott wäre. Nun sie sich an mir ärgert, werde ich dadurch gestärkt, getröstet und gewiß gemacht, daß mein Vornehmen recht und göttlich ist.“ Ja er hatte auch mit innern Anfechtungen zu kämpfen, und ahndete als erleuchteter Christ, dem die Macht des Fürsten der Finsterniß keine Dichtung ist, daß dieser sich seiner Werkzeuge wider ihn bediente, und feurige Pfeile des Bösewichts in seine Seele schleuderte. Er bekennt: „O wollte Gott! und aber wollte Gott, daß meine Feinde nur Eine Viertelstunde meines Herzens Jammer erfahren könnten, wie sicher wollte ich von ihnen sagen, daß sie wohl bekehrt und geheilet würden. Doch genug hiervon, daß ich nicht wider Gottes Ruthe ungeduldig werde, welche schläget und heilet, tödtet und lebendig macht. Gelobet sey er in seinem heiligen Wohlgefallen und vollkommnen Willen. Es kann nicht fehlen, daß wen die Welt und ihr Fürst so hasset, derselbe Christo gefallen müsse. Wären wir von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb.“ – Aber er schmeckte auch ebenso reichlich den Trost des heiligen Geistes. „Was liegt mir daran, wenn mich die Welt einen Teufel heißt, wenn ich weiß, daß Gott mich seinen Engel heißt? Die Welt heiße mich einen Verführer, wie lange sie will, indeß heißt mich Gott seinen treuen Diener und Hausknecht, die Engel heißen mich ihren Gesellen, die Heiligen heißen mich ihren Bruder, die Gläubigen heißen mich ihren Vater, die elenden Seelen heißen mich ihren Heiland, die Unwissenden heißen mich ihr Licht, und Gott spricht Ja dazu, es sey also, die Engel auch sammt allen Creaturen; ey, was hat die Welt an mir gewonnen? wie großen Schaden hat sie mir gethan?“ Das waren heitere Sonnenblicke in dem innern Leben Luthers, die den tiefen Grund seines Herzens, die Gewißheit seines Gnadenstandes aufdecken. Daher der kühne Muth, der ihn sagen ließ: „Ich will in Gottes Namen und Beruf auf den Löwen und Ottern gehen und die jungen Löwen und Drachen mit Füßen treten, und das soll bei meinem Leben angefangen und nach meinem Tode ausgerichtet sehn,“ der Muth, dessen ganze Fülle sich in sein Heldenlied ergossen hat: Eine feste Burg ist unser Gott.

Wäre es ein Wunder gewesen, wenn dieser Muth zum Uebermuth verleitet hätte? Luther ist noch größer in seiner kindlichen Einfalt und Demuth. Zwar hatte er nicht die falsche Demuth, die die Gaben, die ihm verliehen waren, verleugnen wollte. Aber die wahre Demuth und Einfalt leuchtet klar aus ihm hervor. Nie hat er sich göttlicher Eingebungen gerühmt, aus dem Worte schöpfte er allein: er hielt sich nicht für befugt, an andern Orten zu predigen, wo er nicht ausdrücklich dazu gerufen wurde. Er war fast wider seinen Willen genöthigt worden, viel zu schreiben; und welch ein Schatz von christlicher Wahrheit ist in seinen Schriften niedergelegt, und doch wünschte er, daß alle seine Bücher möchten untergehen, wenn sie irgend etwa dem Lesen der heil. Schrift Abbruch thun sollten, er urtheilt, es sei nicht neutestamentisch, viel Bücher schreiben, wie denn auch die Apostel wenig geschrieben, und ehe sie schrieben, die Leute zuvor mit leiblicher Stimme beprediget und bekehrt hätten: ja „er wollte, wenn er Einem Laien sein Lebenlang mit all seinem Vermögen zu der Besserung gedient, sich gnügen lassen, Gott danken und gar willig darnach lassen alle seine Bücher umkommen.“ Wie leutselig und freundlich er gegen Jedermann gewesen, bezeugen Alle, die ihn kannten. Ja er thut das merkwürdige Bekenntniß: „ich werde täglich nicht allein von meinen Beiwohnern, sondern auch aus vielen Landen schriftlich verwarnt; ich soll mich nicht so gemein jedermann machen, und schelten meinen allzu niedergelassenen Geist: ich habe mir auch oft vorgenommen, ich wollte der Welt zu Dienst mich etwas ernstlicher und heiliger, (weiß nicht, wie ichs nennen soll) stellen, aber Gott hat mir, solches zu thun, nicht gegeben.“ Das Wort des Herrn: es sey denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen, war bei ihm Wahrheit geworden: er war und blieb eine kindliche Seele; er ermahnte einst die Gemeine: „Schäme sich Keiner des Vater Unsers, der zehn Gebote und des Glaubens. Lasset uns bei den Kindern bleiben, so werden wir gewiß nicht verloren. Da helfe uns Gott zu! Amen.“

Konnte einer solchen Seele die Liebe fehlen? Er hat sie bewiesen in seinem Leben. Die Reformation war nicht bloß ein Werk des Glaubens, sie war auch ein Werk der Liebe. Aus Liebe zu dem armen irregeführten Christenvolke unterzog er sich seinem schweren Berufe: er fühlte etwas von dem Jammer, den Christus über die verschmachtete und zerstreute Heerde empfand. Er diente gern Allen, theilte mit, obgleich selbst nicht reich, er liebte seine Freunde, er liebte sein Weib und seine Kinder. Zeuge ist der liebliche Brief, den er von Coburg an seinen kleinen Johannes schrieb. Diejenigen, die ihm die zarten Tugenden der Liebe abgesprochen haben, möchten nur hören, was er schreibt über das Wort Liebe, „wer deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich sein Wort das ist, die liebe Maria, der liebe Gott, der liebe Fürst, der liebe Mann, das liebe Kind; und ich weiß nicht, ob man das Wort „Liebe“ auch so herzlich und genugsam in lateinischer oder andrer Sprache reden möchte, daß es also dränge und klänge in das Herz, durch alle Sinne, wie es thut in unsrer Sprache.“ – Wer so fühlt, der weiß, was Liebe ist.

Aber die Heftigkeit seiner Sprache gegen seine Feinde? die Unnachgiebigkeit gegen Andersdenkende? was hätte denn eine Milde, eine Glimpflichkeit, eine Aengstlichkeit, wie die des Melanchthon, gegen den Feind ausgerichtet? Das Papstthier konnte nur mit einer Keule, wie Luther sie führte, geschlagen werden. Erasmus selbst gesteht: „Gott habe der Welt zu dieser letzten Zeit, darinnen große und schwere Seuchen und Gebrechen überhand genommen, auch einen harten und scharfen Arzt gegeben.“ Seinen Glauben hielt er fest, weil es ihm Gewissenssache war. Er schrieb an Capito: „Meine Liebe ist bereit für euch zu sterben: wer aber den Glauben rühret, der tastet unsern Augapfel an. Zu unsrer Liebe versehet euch alles, was ihr wollet: unsern Glauben aber fürchtet in allen Dingen,“ und an Bucer: „Ihr werdet es nicht meiner Hartnäckigkeit, sondern meinem wahrhaften Gewissen und der Nothwendigkeit meines Glaubens zuschreiben, wo ihr anders rechtschaffen handeln wollt, daß ich diese Eintracht verweigre.“ Und 1538 schrieb er: „So sehr unsre Gegner auf die Einigkeit des Lebens dringen, so sehr dringen wir auf die Einigkeit der Lehre und des Glaubens. Wenn sie uns dieselbe unverletzt bleiben lassen, wollen wir dann die Einigkeit der Liebe ja so hoch preisen als sie: doch allezeit ohne Schaden der Einigkeit des Glaubens und Geistes. Denn wenn du die verlierst, so hast du Christum verloren. Wenn aber der dahin ist, so wird dir freilich der Liebe Einigkeit nichts nütze seyn. Dagegen wenn du die Einigkeit des Geistes und Christum erhältst, schadet dir’s nicht, ob du gleich mit denen nicht Eins bist, so das Wort verkehren und verfälschen, und dadurch die Einigkeit des Geistes zertrennen. Darum will ich lieber, daß nicht allein sie, sondern auch die ganze Welt von mir abfalle, und meine Feinde werden, denn daß ich von Christo abfallen, und ihn zum Feinde haben sollte; welches aber dann geschähe, wenn ich sein klar öffentlich Wort fahren ließe, und hienge ihren losen Träumen an, dadurch sie die Worte Christi auf ihre Meinung zwingen wollen. Mir ist der einige Christus viel größer und mehr, denn unzählig viel Einigkeiten der Liebe.“

So ist Luther ein auserkorenes Werkzeug Gottes geworden dergleichen seit der Apostel Zeit die christliche Kirche keines gesehen; ein andrer Paulus. Er war der Hauptstreiter und Vorkämpfer gegen die Macht, die die Christenheit gefangen hielt, auf den sie daher auch ihren ganzen Haß warf. Er war der Wiederhersteller der reinevangelischen Lehre, deren Quelle er allem Volke in der Bibel eröffnete, und seine deutsche Bibel wurde auch für die katholische Kirche nicht bloß Anlaß, sondern auch Quelle der Uebersetzung. Er wurde der Apostel des deutschen Volkes. Er rühmt dasselbe: „Uns Deutsche hat keine Tugend so hoch gerühmt, und wie ich glaube bisher so hoch erhoben und erhalten, als daß man uns für treue wahrhafte und beständige Leute gehalten hat, die da haben Ja ja, Nein nein lassen seyn. Wir haben noch ein Fünklein (Gott wolle es erhalten und aufblasen) von derselben alten Tugend, nehmlich, daß wir uns dennoch ein wenig schämen und nicht gern Lügner heißen, obwol die Welsche und Griechische Unart einreißt.“ Er nennt darum die Deutschen fast aller Nationen Affen; sagt: „Wir Deutsche sind solche Gesellen: was neu ist, da fallen wir drauf und hangen dran, wie die‘ Narren, und wer uns wehret, der macht uns nur noch toller darauf.“ Hatte doch schon 500 Jahre vor Luther der Abt Siegfried von Görz in einem Schreiben an den Klosterreformator Poppo über die deutsche Nachäfferei der Franzosen Klage geführt. Aber welcher Mann sollte das deutsche Volk so von dieser Thorheit zurückbringen, als Luther, in dem sich die reine deutsche Natur ausgeprägt? Dem deutschen Volke hat Luther die Quelle des Wortes aufgeschlossen und dem deutschen Volke das Evangelium in gewaltiger Predigt verkündigt: in die deutschen Herzen hat er die himmlische Wahrheit in Liedern hineingesungen; die Musik war ihm eine heilige Kunst, die andre Theologie; und wie er einmal die Saite angeschlagen, da klang es nach in tausend Liedern. Welche Kirche hat einen solchen Schatz von heiligen Gesängen, wie die von Luther gestiftete? sie ist die gesangreiche geworden. O wenn auf Luthers Wort wieder gehört würde, wenn deutscher Sinn und christlicher Geist so in unserm Volke verschmolzen würde, wie es in Luther war, es würde eine Wiedergeburt Deutschlands werden: wenn aber sein Wort verhallte, dann würde auch Deutschlands Ruhm dahin sinken. O daß das deutsche Volk wieder lernte, was Gott in Luther ihm gegeben hat!

  1. Heubner in Wittenberg