Huldrych Zwingli#

Huldrych Zwingli

Ulrich Zwingli ist geboren den 1. Jan. 1484 zu Wildhaus, einer Berggemeinde im Tockenburg zwischen den Kuhfirsten und dem Säntis. Er war von acht Kindern das dritte. Sein Vater war Amman der Gemeinde, dessen Bruder Pfarrer zuerst in Wildhaus, dann 1487 in Wesen, seiner Mutter Bruder Abt in dem von Wildhaus eine Tagereise entfernten Kloster Fischingen. So stammte Zwingli, wenn nicht aus einer reichen, doch aus einer wohlhabenden und angesehenen Familie. Den ersten Unterricht empfing er bei seinem Oheim, dem Pfarrer in Wesen, dann war er von seinem zehnten Jahre an in der Schule zu St. Theodor in Basel drei Jahre unter Georg Büchli, der ihn unter seine besten Schüler zählte. Von Basel kam er nach Bern in den Unterricht des Heinrich Wölfli; dieser war der Wissenschaften nicht unkundig, hatte eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht, las mit den Schülern die lateinischen Klassiker und trieb auch Musik mit ihnen. In beidem zeichnete sich der junge Zwingli aus und die Dominikaner suchten ihn für ihren Orden zu gewinnen; denn durch den Jetzerschen Handel in die tiefste Schmach gekommen, hatten sie nöthig auf Mittel zu denken, ihr Ansehen wieder zu heben. Allein Zwingli begab sich 1499 auf die Universität nach Wien, dort studierte er zwei Jahre, und befreundete sich besonders mit Joachim von Watt von St. Gallen, dem nachmaligen Bürgermeister Vadian und mit Glarean. 1501 kehrte er nach Wildhaus zurück; 1502 ward er, 18 Jahre alt, Lehrer an der Martinsschule, in Basel, studierte aber zugleich unter Thomas Wittenbach von Biel die heilige Schrift, befreundete sich mit Leo Judä, ward Magister und wurde 22 Jahr alt als Pfarrer nach Glarus berufen, einer damals den dritten Theil des Kantons umfassenden Pfarrei.

Neben den vielen Amtsgeschäften stiftete er hier die erste Schule, bildete besonders durch die Klassiker studierende Jünglinge, u. a. den Valentin Tschudi, studierte selbst außerordentlich fleißig namentlich den Picus und Erasmus, vor allem aber die heilige Schrift; die Briefe Pauli schrieb er in kleinem Format ab mit den Erklärungen der besten Ausleger am Rand, und wußte das griechische Testament wörtlich fast ganz auswendig. Daneben verfolgte er mit scharfem Blick den Gang der schweizerischen Politik und schrieb darüber 1510 und 1511 zwei Lehrgedichte „den Labyrinth“ und „das fabelisch Gedicht von einem Ochsen und etlichen Thieren“. In den Jahren 1512 und 1515 begleitete er als Feldprediger das glarner Banner in die mailändischen Feldzüge. Aus dem ersten Feldzug 1512 haben wir von ihm einen Bericht in lateinischer Sprache, der von allgemeiner und ungewöhnlicher Bildung zeugt, so wie von seiner Selbstständigkeit und seinem auch in politischen Dingen gesunden Urtheil. Als Knabe verwilderte er nicht unter den fahrenden Schülern oder Bachanten, wie sie hießen, er wurde auch nicht verdüstert oder heuchlerisch und verderbt unter Mönchen, er blieb ein freier Sohn der Berge, und seine Studien und Erfahrungen, sein Geist und seine seltne Willenskraft, mit Einem Wort: Gott machte ihn wie zum kirchlichen, so zum politischen Reformator. Und zwar als politischer Reformator, als ein Prediger republikanischer Tugenden trat er zuerst auf. Er hatte als das Verderben der damaligen Reisläuferei, den Menschenkauf, das Pensionenwesen in den mailändischen Feldzügen in den schrecklichsten Erscheinungen mit erlebt, mit eigenen Augen gesehen; er war selber in der für die Schweizer so unglücklichen, wenn gleich ruhmvollen Schlacht zu Marignano gestanden. Zurückgekehrt nach Glarus predigte er um so schärfer gegen die Reisläufer und wurde deßwegen von diesen um so mehr gehaßt, je größer die Macht seiner Beredtsamkeit war und damals schon sein Ansehen. Schon war der päpstliche Stuhl auf ihn aufmerksam geworden, und gab ihm, wohl ihn zu gewinnen, eine jährliche Pension von 50 Gulden; er nahm sie an, wie er sich erklärte, einzig als eine Förderung seiner Studien zum Ankauf von Büchern, also um sich gerade gegen das dazumal so verdorbene Papstthum noch besser zu rüsten und zu waffnen.

Im Jahre 1516 berief ihn der nichts weniger als mönchisch gesinnte Fürstabt von Einsiedeln, Conrad von Hohen-Rechberg, als Prediger an diesen von aller Welt besuchten Wallfahrtsort. Zwingli folgte dem Rufe. Die Mehrheit der Glarner sahen ihn ungern scheiden und behielten ihm noch eine Zeit lang, daß er wieder zu ihnen zurückkehre, seine Pfarrstelle bei ihnen offen. In Einsiedeln wirkte er als Prediger mächtig. An der Engelweihe 1517 vermochte er durch die Macht des evangelischen Wortes, daß Viele das Geld, mit dem sie sich Ablaß erkaufen wollten, den Armen gaben. Unterstützt wurde er wie vom ritterlichen Abt, so von dem Verwalter des Stifts, dem Freiherrn Theobald von Geroldseck und seinem Freunde Leo Judä, der nun hier sein Diakon war. Immer mehr sah er ein das Eine, was Noth thue, nehmlich die freie Verkündigung des Evangeliums und sprach und verkehrte darüber mit den einflußreichsten Männern seines Landes, die er in Einsiedeln öfter Gelegenheit hatte, zu sehen. Schon von Glarus aus hatte er den Erasmus in Basel besucht. Mit dem Erzbischof Schinner war er vertraut. Der päpstliche Legat Pucci zeigte ihm am 14. August 1518 an, daß ihn der Papst Leo X. zum Kaplan ernannt habe. Im nämlichen Jahre folgte er einem neuen Rufe des Chorherrn-Stifts am Großen Münster in Zürich, das ihn fast einmüthig zum Leutpriester erwählte. Er hatte als solcher noch zwei Helfer zu besolden, und hätte von der Stelle nicht leben können, da trat ihm sein Freund der Canonicus Engelhard seine Chorherrn-Stelle ab.

Am 1. Jan. 1519 begann er in Zürich sein Predigtamt mit der Erklärung des Ev. Matthäus, indem er voraus lehrte, daß dieß die älteste von den Kirchenvätern geübte, die nothwendigste und wohl auch fruchtreichste Predigtweise sei. Bald hatte er außerordentlichen Einfluß gewonnen. Er verwehrte dem Samson, dem schweizerischen Tetzel, seinen abscheulichen Ablaßkram und, was fast noch mehr ist, er bewirkte, daß Zürich im Mai 1519 dem neuen Bündniß, das die übrigen 12 Stände (Orte oder Kantone) mit Franz I., König von Frankreich schlossen, nicht beitrat. Recht republikanisch war aber darüber das ganze Züricher Volk vorher von der Regierung um seinen Willen angefragt worden. Der Haß der Franzosen-Freunde warf sich auf Zwingli und seine Predigten. Diese wirkten fort. Die Fasttage wurden nicht mehr streng gehalten. Am Gottesdienst wurde bis 1522 nichts geändert. Aber nunmehr forderte Zwingli sammt zehn Amtsgenossen vom Bischof und den sämtlichen Regierungen der Eidgenossenschaft die Priesterehe. Der Bischof von Constanz aber gab darauf eine Klagschrift von 69 Punkten gegen den Convent am Großen Münster ein. Zwingli vertheidigt sich in seinem Archeteles so freimüthig, daß selbst Erasmus ihn warnte; denn bekanntlich wollte dieser Gelehrte es mit keiner Partei verderben. Den nun durch die Eidgenossenschaft wachsenden Streitigkeiten ein Ende zu machen, lud die Regierung von Zürich auf Donnerstag den 29. Jan. 1523 alles Volk zu einer offenen Disputation ein. Auf derselben vertheidigte Zwingli das Evangelium siegreich, besonders gegen des Bischofs von Constanz Generalvikar Faber. Der Rath beschloß nun: die Prediger sollen muthig fortfahren, das Wort Gottes zu verkündigen. Nach der Disputation schrieb Zwingli seine Schlußreden, 300 enggedruckte Seiten, sie sind sein Glaubensbekenntniß. Nun gab auch die Regierung des mächtigen Kantons Bern die Predigt frei und dort wie in Zürich wurden die Nonnenklöster geöffnet; einzelne Klosterfrauen heiratheten, dieß that auch in Zürich der Pfarrer zu Witikon Räubli als der erste im April 1523. Solches, die Ungeduld und die Wühlereien der Bilderstürmer, der beginnende Communismus der Wiedertäufer machte eine zweite Disputation zu Zürich nöthig, die den 26. Oct. 1523 gehalten wurde. Zwingli erwies mit der Schrift das Unchristliche der Messe und der Bilder, und drang auf die Abschaffung von beidem. Man versteht aber weder seinen Geist noch sein Gemüth, wenn man meint, er habe im Abendmahl bloß eine Gedächtnißfeierlichkeit begehen wollen, bloß eine symbolische Handlung. Nur die leibliche Gegenwart Christi wollte und konnte er nicht zugeben, von der geistigen Gegenwart des Versöhners und von der geistigen Kraft des gläubig genossenen Sakraments hatte er die höchsten Vorstellungen und war weit davon entfernt, das Göttliche der Stiftung zu mindern und sie zu einer bloßen Redefigur zu machen. „Wer denkt an solches?“ sagte er an dieser Disputation unter Thränen. Ebenso wenig war er ein Verächter der Kunst, er selbst dichtete und komponierte, er spielte mehrere Instrumente. Aber auch die Kunst muß damals in Zürich und anderwärts so verweltlicht gewesen sein, daß es für einmal nothwendig war das Volk ausschließlich zu lehren und zu lehren. Kunstwerke wollte er nicht zerstören, sondern im Gegentheil, wenn auch aus den Kirchen für einmal entfernen, doch erhalten; an der gleichwohl einbrechenden Bilderstürmerei trägt er keine Schuld, so wenig als an der Wiedertäuferei. Diese stand in Verbindung mit dem deutschen Bauernkrieg. Münzer war im Frickthal und in Waldshut, hier sein Anhänger der Pfarrer Hubmeier, der predigte, wie 1848 Ronge in den Kellern zu Frankfurt, auch unter dem Schalle weltlicher Musik und feierte auch so das Abendmahl; seinen Rotten liefen auch Freischaaren aus der Schweiz zu. Diese Communisten verbreiteten sich besonders in der östlichen Schweiz und plünderten das Kloster Rüti. Auf zwei Gesprächen suchte Zwingli diese Wiedertäufer, die keine Obrigkeit mehr anerkennen wollten, zu belehren, im Januar und November 1525. Umsonst; es wurden dann als Empörer einige Häupter derselben 1527 ertränkt.

Inzwischen hatte sich auch Zwingli mit einer Witwe, Anna Reinhardt, verheirathet, den 2. April 1524, und waren in Zürich die Klöster aufgehoben worden, 3. Nov. 1524. Er hatte davon keinen Privat-Vortheil. Er war uneigennützig und überaus wohlthätig. Die Kloster-Güter blieben kirchlichen und wohlthätigen Zwecken geheiligt, doch flossen auch Kirchen-Zierden wie die Meßkelche des Großen Münsters in den Staatsschatz. Das Große Münster-Stift trat auch seine Gerichtsbarkeit dem Staat ab. Die Regierung wurde der Bischof. Zwingli wie andere Reformatoren täuschten sich darin, daß sie meinten, die Regierungen würden in allen Zeiten kirchlich sein, sonst hätten sie durch die Kirche ein Presbyterium an die Stelle des Bischofs einsetzen lassen. Später ließ freilich Zwingli die Regierung zum Evangelium schwören. Alle diese Aenderungen und Neuerungen erbitterten die am alten Glauben und Gottesdienst hängenden Orte. Zwar wollten auch sie Unordnungen abthun, und zwar ohne, und theilweise auch wider den Papst, und waren hierin ganz im Geist der Reform. Ja auch sie schrieben eine Disputation nach Baden im Aargau aus, in ein sogenanntes Unterthanenland oder eine Gemeine-Herrschaft, wo auch sie Mitregenten waren und beriefen den Wortfechter Eck von Ingolstadt; sie handelten auch hierin im Sinn der Reform, denn bisher hatten sie behauptet, über Lehre und Ordnung der Kirche habe bloß ein Concilium zu bestimmen. Zwingli ging nicht nach Baden. Er wußte, daß ihm als einem Ketzer das Geleit nicht gehalten würde. Er unterstützte aber den für ihn dort kämpfenden Oekolampad mit rastloser Thätigkeit. Thomas Plater war ihr Briefbote. Die katholischen Orte schrieben sich den Sieg zu. Das war im Oct. 1526. Dagegen zog Zwingli mit hundert Predigern und Gelehrten im Januar 1528 auf die Disputation nach Bern und wirkte mächtig zur Reformation dieses großen Kantons. Auch hier trat die Regierung an die Stelle des Bischofs und ließ die Priester sich schwören. Die Klöster wurden aufgehoben. Die Gotthausleute aber des reichen Stiftes Interlaken wollten ganz frei werden, und mit Hülfe der Obwaldner empörten sie sich, 800 Obwaldner waren den Haslithalern zu Hülfe gezogen; mit Waffengewalt wurden diese aber von Bern bezwungen und bestraft, die Rädelsführer enthauptet, einer sogar geviertheilt.

Zu gegenseitiger Befestigung der Reform schloß zuerst Zürich mit Constanz ein Bündniß, Bürgerrecht hieß es, dem trat auch Bern bei, dann das sich dem Abte zum Trotz reformierende St. Gallen, auch Basel, wo die Reform mit Gewalt eingeführt wurde.

Die Seele dieser von Zürich aus geführten Unterhandlungen und Verbündungen war Zwingli, der in Zürich an den Rathssitzungen Theil nahm und schon vor der Berner Disputation einen Vertheidigungsplan gegen die katholischen Orte gezeichnet hatte, wie er denn nicht ohne Kriegserfahrung war. Denn bereits hatten die fünf Orte Gewalt geübt, den Bilderstürmer Hottinger aus Zürich in Luzern hingerichtet, eben so die drei Zürich Angehörigen, Wirth von Stammheim, Vater und zwei Söhne auf eine empörende Weise trotz ihrer Unschuld zu Baden enthauptet, und den Züricher Pfarrer Kaiser in Schwyz verbrannt, auch im Februar 1529 ein Bündniß mit dem östreichischen Erzherzog Ferdinand, König von Ungarn und Böhmen geschlossen.

Zürich erklärte den 9. Jan. 1529 den fünf Orten Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug den Krieg; freiwillig zog Zwingli mit, eine Hallbarde auf der Achsel. Bern erklärte: es werde dem angreifenden Theile entgegentreten. Der Glarner Landamman Aebli vermittelte wider Zwinglis Willen, der schrieb und sagte: „Gebet nichts um ihr Flennen.“ Es wurde Friede gemacht. „Ihr werdet über diesen Frieden,“ sagte Zwingli, „noch die Hände über dem Kopf zusammen schlagen.“ Die fünf Orte mußten den Bundesbrief mit Oestreich herausgeben; über die Annahme der Reform in den Gemeinen-Herrschaften sollte überall die Mehrheit der Stimmen in den Gemeinden entscheiden. Das war der erste Kappeler Krieg und Friede, der, wie Zwingli richtig sah, eben kein Friede war.

Denn nun nahm die Reform in den Gemeinen-Herrschaften zu; Zürich begünstigte hauptsächlich die Gotthausleute von St. Gallen; wie Zürich und das mit ihm gehende Glarus waren auch Luzern und Schwyz Schutzherrn des Abtes von St. Gallen. Zürich aber schaltete im Gebiete des Abts von St. Gallen willkürlich und Zwingli lehrte rücksichtslos und wider uralte Rechte und Verträge: alle geistliche Herrschaft sei schriftwidrig. „Wenn das so ist, sagten die Gotthausleute, so wollen wir uns selbst regieren.“ Was Zürich auch nicht recht war, denn es strebte offenbar in Thurgau, St. Gallen, Tockenburg, Rheinthal nach Oberherrschaft; in diesen Landestheilen verschaffte es auch der Reform den Sieg; es wurden in denselben Synoden eingerichtet, von Zwingli besucht, geordnet und gestärkt. Ja selber ein Luzerner, welcher, wie ihn die Reihe traf, als Landeshauptmann der St. Gallischen Stiftlande aufzog, sollte schwören, die Reform zu schützen, und ein der Reform feindseliger Landweibel eines Landvogts aus Unterwalden wurde in Zürich gefangen und enthauptet.

Solches geschah zum Theil während Zwingli im Sept. und Oct. 1529 mit Luther zu dem Religionsgespräch in Marburg zusammen kam. Der für das Evangelium und die Reform begeisterte, damals 25 Jahr alte Philipp von Hessen wünschte, Luther und Zwingli möchten sich besonders in der Abendmahlslehre verstehen. Es sollte nicht sein; – und waren doch beide Reformatoren in der göttlichen Verehrung des Erlösers und seiner Stiftung durchaus einig. Zwingli hatte sich von je unabhängig von Luther gehalten, die Reform auch vor Luther begonnen, zwar dessen Schriften verbreitet, aber selbstständig die Schrift und Geschichte erforscht; an Sprachen- und Schrift-Verständniß stand er wohl dem Luther nicht nach, an Kraft der Beredtsamkeit auch nicht, ebenso wenig an unermüdlicher Thätigkeit, an Eifer und Geschick auch das Studium echter Theologie zu fördern; aber ihr Lebensgang war ganz ein andrer und auch in der Frage: Wie gegen den der Reform feindseligen Kaiser Karl V. zu handeln sei, konnten sich Luther, der Freund und Diener seines Churfürsten, und Zwingli der Republikaner nicht verstehen. Luther predigt mit Paulus unbedingten Gehorsam unter die Obrigkeit und ein neues Märtyrerthum, Zwingli lehrte ebenfalls mit Paulus: Kannst du frei werden, so brauche deß um so mehr, 1 Cor. 7, 21. und spricht in seinem dem Augsburger Reichstag 1530 eingegebenen Glaubensbekenntniß sogar von der Absetzbarkeit schlimmer Regenten. Doch waren beide, Luther und Zwingli, gleich entschiedene Bekämpfer der rebellischen Wiedertäufer und andrer Rotten damaliger Communisten. Gegen Luther sprach er die aufrichtigste Verehrung aus und reichte ihm zur Verbrüderung die Hand. Allein Luther, sprach: „es braucht des Brüderns und Gliederns nicht, Ihr habet nicht den rechten Geist;“ Zwingli schied mit Schmerzen und Thränen; Luther blieb bis zum Tode gegen ihn unversöhnt.

Desto besser verstanden sich aber der Landgraf Philipp und Zwingli und wurden unter ihnen zum Schutze und zur Verbreitung der Reform und zur Vereinigung aller Protestanten, wie sie seit dem Reichstag zu Speier 1529 hießen, größere Pläne besprochen. Und hier ist es nun, wo Zwingli den Acker, auf dem er bisher so ernstlich wie nur ein Luther gereutet und gepflügt, gesäet und gewässert, verließ, und sich in ein fremdes Gebiet begab und mit sich selber sogar in Widerspruch kam.

Von ihm sagt sein Geschichtschreiber und Herausgeber seiner Werke Melchior Schuler in seiner vortrefflichen und wahrhaften Schweizergeschichte (II. S. 59): „Edelmüthig war sein Betragen gegen Luther, der ihn aus Rechthaberei und Eifersucht so unwürdig schmähte und seine und seiner Freunde Schriften in Sachsen verbrennen ließ. Zwingli pries dagegen Luthers Verdienste, ließ selbst dessen schmähende Streitschriften wider ihn frei in Zürich feil bieten (es war seit 1522 in Zürich Censur) und widerlegte sie mit Ruhe und Würde. Wahr ist es aber auch, daß er sich bei der Begeisterung für seine Ueberzeugung durch die Heftigkeit seines Charakters, durch Unbill und Widerstand seiner Gegner und die Gewalt der Umstände auf Irrwege hinreißen ließ, die ihn über die Grenze des Rechts hinausführten; dadurch ward der Fortschritt der Reformation selbst gehindert und er selbst in einen Kampf geführt, worin er sich endlich mit Heldenmuth opferte.“

Dieser neue Kampf und Krieg wurde nun beschleunigt durch die gewaltsame Weise, mit der Zürich in den Gemeinen-Herrschaften und den St. Gallischen Stiftsländern die Reform förderte und die katholischen Orte es hinderten. Zwingli, der bisher so kräftig wider das Reislaufen gepredigt und gewirkt, suchte jetzt selber Verbindungen mit Venedig und Frankreich zu Gunsten der Reform, sein Freund Collin reiste nach Venedig und zur franz. Botschaft. Zwingli rieth Zürich zu einem Bund mit Frankreich. Franz dem Ersten war es aber nicht um die Reform, sondern um die Lombardei zu thun. An ihn schrieb Zwingli im Jun. 1531 selber und schickte ihm seine, noch in Paris aufbewahrte, Confession. Dagegen suchten die katholischen Orte wieder des Kaisers und östreichische Hülfe. Hinwieder trat Straßburg in der Reformirten Bürgerrecht, auch Hessen sollte darin aufgenommen werden, Bern aber weigerte sich. Es war nicht ohne Eifersucht auf das sich im Osten verstärkende Zürich. Die Tagsatzungen, die nun gehalten wurden, erfachten das Feuer der Zwietracht noch mehr. Endlich kündete Bern den fünf Orten die angedrohete Sperre 21. Mai 1531. Zwingli war entschieden gegen diese nur reizende und nicht entscheidende Maßnahme. Sie vermehrte und stachelte seine Feinde. Am 26. Jul. gab er sogar sein Amt in die Hände der Regierung zurück und wollte Zürich verlassen. Der Landgraf von Hessen hatte ihm einen Zufluchtsort angeboten. Dringend vom Rathe gebeten erklärte er sich am 29. Juli wieder zu bleiben und auszuharren bis in den Tod. Am Laurentiustag 1531 war er noch in Bremgarten, um die Berner Gesandten zu einem entscheidenden Schritte zu vermögen; umsonst; mit Todesvorgefühlen nahm er von seinem Freunde, seinem Nachfolger, Heinrich Bullinger Abschied und empfahl ihm die Kirche. Indeß Bern zögerte, Zürich unschlüssig war, hatten sich die 5 Orte gerüstet und kündeten am 9. Oct. 1531 den Krieg. In Zürich war Verwirrung und Verrath. Nur in geringer Zahl zog seine Mannschaft aus und nahm den Kampf an, ohne die von allen Seiten anrückende Verstärkung abzuwarten. Zwingli war mitgezogen, focht, die Streiter ermunternd, tapfer und in der vordersten Reihe und fiel unter Steinwürfen und Lanzenstichen.

Dreimal raffte er sich wieder auf. „Welch‘ ein Unglück, rief er, ist denn das? Den Leib können sie wohl tödten, die Seele aber nicht.“ Die Feinde, die ihn fanden, wie er auf dem Rücken lag und in den Himmel blickte, mutheten ihm zu, zu beichten und die Heiligen anzurufen; er winkte „Nein.“ Da durchstach ihn ein Reisläufer. Der Dekan Schönbrunner aber von Zug sagte, die Leiche des Helden betrachtend: „Was immer war dein Glaube, du warst ein rechter Eidgenoß.“ Mit ihm waren gefallen 25 seiner Amtsbrüder, 26 Regierungsglieder, 64 andre Stadtbürger, im Ganzen 512 Mann. Das war die für Zürich unglückliche Schlacht bei Kappel den 11. Oct. 1531, in der Zwingli starb 48 Jahr alt, ein treuer Hirte mit und unter seiner Heerde. Sein Leichnam wurde schändlich mißhandelt, geviertheilt und verbrannt; die Asche in die Winde zerstreut. Aber sein Geist lebt fort im wissenschaftlichen Leben Zürichs, das er erweckt, in der freien Verkündigung des Worts, die er angehoben und mächtig gefördert, in uneigennütziger Vaterlandsliebe, wie sie auch nach seinem Vorbilde je die Edelsten geübt. Die hundertjährige Wiederkehr des Tages seines Amtsantrittes, der erste Januar 1519 wurde schon in drei Jahrhunderten mit hoher Verehrung des Helden und Märtyrers gefeiert und wird in ferneren Jahrhunderten gefeiert werden. Ein Birnbaum, wo Er auf Kappels Schlachtfeld im Angesicht der Alpen gefallen, bezeichnete den Ort, da sein Blut geflossen und da er hingeschieden. Der Baum ist gesunken, frisch aber steht der edle Stamm, den er als ein Reis vom Lebensbaum in Zürichs Erde gesenkt, behütet, groß gezogen, mit seinem Blute befruchtet hat. An der Stelle jenes Birnbaums steht nun ein Granit, erinnernd an den Fels, auf den Er sich stellte und auf den die Kirche gegründet ist, und von dem Er nie gewichen ist.

  1. E. Fröhlich in Aarau

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

 

Katharina Zell

Matthäus Zell, vormals Professor und Rector der Universität zu Freiburg im Breisgau, seit 1518 Leutpriester zu St. Lorenz an dem Münster zu Straßburg, war der erste evangelische Pfarrer d. h. Prediger und Seelsorger dieser wichtigen Reichsstadt. Sein Leben hat der Unterzeichnete anderwärts nach den Quellen dargestellt.

Mit Zell’s Wirken auf das Innigste verbunden war dessen Ehefrau Katharina, eine wackere Frau, wohlbegabt an Verstand und Gemüth; mit Beredsamkeit und nicht geringem Muthe ausgerüstet, mit einem menschenfreundlichen, dem Herrn Christo innig zugewandten Herzen voll warmen Eifers für das Evangelium, steht diese merkwürdige Frau da, als eines der schönsten Denkmale der oberrheinischen Reformationsgeschichte in Glaube und Liebe, in Treue und Thatkraft. Es mag sein, daß Frau Katharina Zell in ihrem Eifer zuweilen zu weit gegangen sei, daß sie in spätern Jahren vornehmlich, nach ihres Gatten Tod, sich in Streitigkeiten gemischt habe, wie ihr vielleicht nicht zustand; daß ferner in ihren schriftlichen Aeußerungen sich ein Selbstgefühl, eine Art von Selbstgefälligkeit finde, die allerdings nicht zu rühmen; – auf jeden Fall bleibt Frau Zell ein nicht minder bemerkenswerthes, ehrwürdiges Bild aus der bewegten Zeit der Reformation. Ihre Lebensgeschichte ist ein ergänzender Theil in der Localgeschichte dieser Periode und es kann von Matthäus Zell nicht gesprochen werden, ohne daß der Frau Katharina Zell ehrende Erwähnung geschehe.

Charakteristisch ist noch folgende Zusammenstellung. Butzer, Zell’s Amtsgenosse, nennt achselzuckend unsern Zell als „von einem Weibe beherrscht“. Frau Katharina Zell dagegen bezeugt, wie sie in Allem ihrem Manne gefolgt sei und ihres Mannes Ehre und Willen ihr als das Höchste auf Erden gegolten habe. Es sind zwei Willen, die dasselbe Ziel erstrebten auf verschiedenen Wegen. Dieß ist ein durchsichtiger Blick in das Leben der Reformatoren und auch anderer Leute, bis in die einfache Pfarrwohnung herab. Wie aus Kleinem oft Großes entstehe, unter der leitenden Hand der göttlichen Fürsehung, mag sich hier ahnen lassen. Auf jeden Fall verdient es Frau Katharina Zell, die ehrenwerthe Gattin des Reformators, die edle Menschenfreundin, die geübte und geistreiche Schriftstellerin, als „ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen“, wie sie selber sich nennt, hier aufgeführt zu werden. – Auch fand sie auswärts, obwohl ziemlich selten, Anerkennung. Gottfried Arnold erwähnt ihrer neben der gelehrten Olympia Fulvia Morata; Joh. Georg Müller, in seinen Reliquien, hat ihr ein Denkmal gestiftet und während der plumpe Waislinger auch über Frau Katharina Zell seinen Geifer ausgelassen hat, ließen ihr die Geschichtschreiber der elsässischen Reformation die ihr gebührende Ehre widerfahren. Ihr Ehrengedächtniß wurde erneuert bei Anlaß der Jubelfeier der Reformation 1817, indem zu Straßburg das Facsimile eines Briefes von Luther, nebst einigen Notizen über die Frau von Matthäus Zell, an welche dieser Brief geschrieben ist, in Druck erschienen ist. Allein diese Nachrichten sind nur kurz und dürftig-). Frau Katharina war zu Straßburg geboren, um das Jahr 1497, aus einer ehrbaren Handwerkerfamilie, der Vater war Schreiner. Einen wohlbegabten Geist und ein warmfühlendes Herz hatte sie. Diese Naturgaben wurden erhöht durch eine sorgfältige Erziehung, welche dieselben entwickelte und ihren Sinn auf’s Geistliche richtete. „Von Mutter Leibe an“, schreibt sie, „hat mich der Herr gezogen und von Jugend auf gelehrt; darum hab‘ ich mich auch seiner Kirche, nach dem Maße meines Verstands und der verliehenen Gnade, zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; daß mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben. Deshalb auch mein frommer Matthäus Zell zur Zeit und Anfang seiner Predigt des Evangeliums mich zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hülfe in feinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugniß geben wird am großen Tag seines Gerichts, daß ich treulich und einfältig gethan habe, mit großer Freud und Arbeit, Tag und Nacht meinen Leib, meine Kraft, Ehre und Gut, dir, du liebes Straßburg! zum Schemel deiner Füße gemacht habe. Dieß hat auch mein frommer Mann mir herzlich gern zugelassen, und mich sehr darum geliebet, sich selbst und sein Haus meiner oft ermangeln lassen, und mich gern der Gemeinde geschenket“.

Weiter erzählt dieselbe Katharina Zell, vornehmlich in Beziehung auf ihre spätere Wirksamkeit: „Ich bin seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrte geliebt, viele besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden, noch Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehabt. Deshalb auch mein Vatter, Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele besprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben. Da aber meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in all meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost, noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich an Seel und Leib bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir gangen, wie dem armen Weiblein im Evangelio, das alles sein Gut bei den Aerzten immerdar verlor; da es aber von Christo höret und zu ihm kam, da wurde ihm durch denselbigen geholfen. Also mir auch, und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnaden Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Uebung und Sacramenten derselbigen Kirche nie keine Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften, den lieben und jetzt seligen Doctor Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschriebe, daß ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen, bitteren Hölle in das lieblich süß Himmelreich, daß ich gedacht an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen und hinfüro sollt du Menschen sahen“. Und hab mich Tag und Nacht bearbeitet, daß ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hie das Evangelium habe lernen erkennen, und helfen bekennen, das laß ich Gott befohlen sein.“

Wenige ihres Geschlechts möchten wohl ein ähnliches Bekenntniß abzulegen im Stande sein. Frühe schon hatten sich also in diesem reichen Gemüth die Elemente des Christenlebens entwickelt; eifriger, demüthiger Glaube, thätige oder doch nach Thätigkeit sich sehnende Liebe und eine Thatkraft und Hingebung, wie sie selten gefunden werden.

Am 3. December 1523 verheirathete sich Katharina Schütz, in ihrem 26. Lebensjahre, mit Hl. Matthäus Zell, Pfarrer zu St. Lorenz in dem Münster zu Straßburg. Martin Butzer, der schon früher in die Ehe getreten war, segnete diesen Bund ein; zum Schluß der heiligen Handlung feierte das neue Ehepaar das heilige Abendmahl unter beiden Gestalten. Die weiten Räume des Münstergebäudes waren dabei gedrängt voll Menschen, die Alle ihre frohe Beistimmung bezeugten. Frau Zell ward eine fromme, thätige, treue, verständige Hausfrau nicht bloss, sondern auch eine Helferin ihres Mannes im Amt, eine rechte Diaconissin, im apostolischen Sinne des Wortes.

Das zunächst in die Augen fallende dieses schönen Berufs that sich kund bei ihr durch Werke unermüdlicher Wohlthätigkeit gegen Nothdürftige überhaupt und insbesondere gegen bedrängte, verfolgte, flüchtige Glaubensgenossen. Wir lassen auch hier am liebsten die edle Frau selber Zeugniß geben:

„Ich hab schon im Anfang meiner Ehe viel herrlicher gelehrter Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmüthigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt, unterstütze und stärke die müden Kniee. Das hab ich nach meinem Vermögen, und gegebner Gnaden Gottes gethan, da einmal fünfzehn lieber Männer aus der Markgrafschaft Baden mußten weichen, sie wollten dann wider ihr Gewissen thun, unter welchen ein gelehrter, alter Mann war, heißt Doctor Mantel, der mich sammt andern zu Baden innen ward, zu mir kame, Rath und Trost von mir begehrte, da er mit Weinen sagte: „Ach ich alter Mann mit viel kleiner Kinder“! Da ich ihm aber Mathäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreuet und seine müden Kniee gestärket! Dann er Angst und Schrecken versucht hatte, vier Jahre schwer gefangen gelegen. – Im 1524. Jahre mußten auf Eine Nacht anderthalb hundert Bürger aus dem Städtlein Kenzingen im Breisgau entweichen, kamen gen Straßburg, deren ich auf dieselbe Nacht achtzig in unser Haus aufgenommen und vier Wochen lang nie minder dann fünfzig oder sechzig gespeiset, darzu viel frommer Herren und Bürger steuerten und halfen erhalten. – Im 1525. Jahre, nach dem Todtschlag der armen Bauern, da so viel elender erschrockener Leut gen Straßburg kamen, hab ich sie mit Meister Lux Hackfurt, den gemeinen Almosens Schaffner, nebst zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, in das Barfüßer Kloster geführt, da es eine große Menge ward und hab viel ehrlicher Leute, Mann und Weib angerichtet, daß sie ihnen dieneten und große Steuer und Almosen gegeben wurden“.

Dieselbe erzählt an einer andern Stelle, wie ihr Mann solche Werke der Barmherzigkeit ihr herzlich gern zugelassen; „er hat mich um so mehr, sagt sie, darum geliebet, sein Leib und Haus meiner vielmehr lassen ermangeln und mich gern der Gemeinde geschenket; mir auch solches nicht mit Gebot, sondern mit freundlicher Bitt, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen; dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahr und eilf Wochen nach Zell’s Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselbigen Gutes gethan habe, in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ Unter andern rief sie nach Straßburg in ihr Haus den treuen frommen Prediger, Marx Heilandt, von Calw im Württemberger Land, damals verjagt, „durch mich beschrieben hieher“, sagt Frau Zell, „kam er hie auf den Predigtstuhl und hat auch hie sein Leben geendet“. – Frau Zell fuhr fort in diesem Sinne zu handeln und wo ein wohlthätiges Werk zu vollbringen war, da war sie eine der Vordersten, die Hand anlegten und das Ihre nicht sparten. Als im Jahr 1543 in Folge der Reformation, und da Straßburg ein von alter Zeit her berühmter Bildungsort war, sich eine bedeutende Zahl armer Schüler in dieser Stadt zusammengefunden hatte, da war Frau Zell eine der thätigsten, um denselben ein Unterkommen zu verschaffen. Sie fanden dasselbe in dem ehemaligen Wilhelmskloster und Frau Zell pflegte ihrer auf die treueste Weise. Sie half nach Kräften dazu mit, daß das noch jetzt bestehende Studienstift, St. Wilhelm genannt, zu Stande kam.

Doch nicht bloss an Armen und Flüchtigen bewies Zell’s Hausfrau ihre Liebesthätigkeit. Sie gefiel sich besonders im Umgang mit gelehrten und berühmten Männern, die ihren Gatten besuchten; auch unterhielt sie sich mit nicht wenigen derselben in Briefwechsel. So gedenkt sie selber des Bischofs von Straßburg, dem sie „rauhe Briefe“ geschrieben habe. Auch an Dr. Luther schrieb sie mehrmals und erhielt von ihm freundliche Antwort. Eine Glanzperiode in ihrem thätigen Hausleben war die Zeit, als im Spätjahr 1529 die berühmtesten oberdeutschen und schweizerischen Theologen auf das Religionsgespräch zu Marburg reisten. „Ich bin, so erzählt sie selber, vierzehn Tag Magd und Köchin gewesen, da die lieben Männer Oecolampad und Zwingli im 29. Jahr hie zu Straßburg waren, daß sie sammt den Unsern gen Marburg zu Doctor Luther reiseten“.

Wie ihr Gatte, so missbilligte auch Frau Zell die Abendmahlsstreitigkeiten und überhaupt die manchfachen Lehrhändel in der jungen evangelischen Kirche. Sie erkannte das Wesen dieser letztern im liebethätigen Glauben und nicht im Festhalten an gewissen Worten und Formeln. Daher geschah es, daß sie nicht selten durch ihre freimüthigen Aeußerungen mit den lehreifrigen Collegen ihres Mannes in Conflict kam, insbesondere mit Martin Butzer, der in diese Lehrstreitigkeiten als Friedensstifter vielfach verflochten war und der in einem ungedruckten Brief sich äußert: „Frau Zell sei eine tadellose Frau, doch habe sie zu viel Selbstliebe.“

Nachdem endlich im Jahre 1536 die Wittenberger Concordie abgeschlossen worden, unternahm der schon alternde Zell noch eine Reise zu Dr. Luther nach Wittenberg, gleichsam zur Versiegelung des Friedens. Seine Gattin begleitete ihn. Sie erzählt: „Ich bin eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Krankheit und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab dennoch meinen Mann so lieb gehabt, daß ich ihn nit allein hab lassen wandeln, da er (1538) unsern lieben Doctor Luther, und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören, hab ich meinen alten fünf und achtzig jährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen und bin mit ihm wohl dreihundert Meilen aus und ein auf derselbigen Reis gezogen. So bin ich mit ihm in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andre Ort gereiset, diese Gelehrten alle auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihn zu tragen, wie er es denn wohl bedurft hatte, daß ich mehr denn sechshundert Meilen mit ihm in seinem Alter gereiset mit großer Mühe und Arbeit meines Leibes, und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, das mich aber nit gedauert, und noch nit reuet, sondern Gott darum danke, daß er mich solches Alles sehen und hören hat lassen.“

Die Wohlthätigkeit und Gastfreundschaft der Frau Zell war weitherzig und umfassend. In völliger Uebereinstimmung mit ihrem Gatten wiederholte die edle Frau oft: „Es soll jeder seinen Zugang zu uns haben und Alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Theil und Gemein an unserm Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Theil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, er sei wer er woll‘ . Also hab ich, mit Zell’s Willen und Wohlgefallen, mich vieler Leut angenommen, für sie geredt und geschrieben, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwinglin, oder Schwenkfelden und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis oder unweis, nach der Red des heiligen Pauli, Alle haben zu uns dürfen kommen. Was hat uns ihr Namen angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

Eben weil ihr Herz so warm war für Andrer Noth, fiel es der wackern Frau so schwer, daß frühe schon in der evangelischen Kirche der alte Pharisäergeist sich regte, nämlich die Verfolgungssucht gegen Andersgläubige, zunächst gegen die Wiedertäufer. Sie äußert sich hierüber also gegen die Verfolger: „Die armen Täufer, da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzet, wie ein Jäger die Hund auf ein wild Schwein und Hafen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darinnen wir uns vom Pabstthum getheilt haben, über die Erlösung Christi, aber sich in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängniß, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebet euch die Schuld, daß wir in Lehr und Leben Ursach sind, daß sie sich von uns trennen. Wer Böses thut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen und regieren, wie ihr meinet, er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Leset alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium bei uns wiederum erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, der noch lebet, was er geschrieben hat von ihnen, und sie so hoch beschirmet, daß eine Obrigkeit nit mit ihnen zu thun hab, dann in bürgerlichen Sachen. Leset es in dem Büchlein, das der gut Mann Martinus Vellius an den Fürsten und Herzog Christofel zu Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todbrand zu Genf, da er für und zu dieser Zeit aller Frommen, Verständigen, Gelehrten . . . Rede und Meinung fleißig zusammengezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, die man Ketzer nennt, soll handeln. – Wenn euch die Obrigkeit folgete, so würde bald ein Tyranney anfangen, daß Städt und Dörfer leer würden. – Straßburg stehet noch nicht zum Exempel, Schand und Spott dem Teutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmung der Elenden; ist auch noch nit müd worden, Gott sei Lob, und ist mancher armer Christ noch darinnen, den ihr gern hättet gesehen hinaus treiben. Das hat der alte Matthäus Zell nit gethan, sondern die Schafe gesammelt, nit zerstreut; hat auch in solches nie gewilliget, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel und im Convent der Prediger gesagt: ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, daß ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute“. –

Unter all‘ den vielen Fremden, welche Gastfreundschaft im Zell’schen Hause genossen, war’s insbesondere Caspar Schwenkfeld, der schlesische Edelmann, welcher als Vertriebener im Jahre 1528 nach Straßburg kam, der den meisten Anklang fand. Die Innerlichkeit seiner Religionsauffassung, sein achtungswerther Charakter und seine auserlesene, adeliche, äußere Erscheinung gewannen ihm das Herz des Zell’schen Ehepaars. Je mehr er von den Predigern als Kirchenfeind angefochten war, desto mehr fühlte sich Frau Zell von seiner Lehransicht angezogen. Sie ehrte ihn als einen frommen, obwohl irrenden, aber sehr demüthigen Mann. Auch nachdem Schwenkfeld die Stadt Straßburg verlassen hatte, blieb Frau Zell im Briefwechsel mit ihm. Mehrere dieser Briefe sind gedruckt in Schwenkfeld’s Epistolar; andere sind bloss handschriftlich vorhanden. Diese Briefe sprechen alle gegenseitige innige Hochachtung, Liebe und Geistesgemeinschaft aus. Schwenkfeld nennt sie „herzliebe Frau Katharina“, wünscht ihr Beständigkeit und Wachsthum im Glauben und für ihren Hauswirth Meister Matthäus Zell bittet er, „der Herr Jesus Christus wolle ihm in wahrer Einfalt des heiligen Geistes sich selbsten mit Fried und Freud im Herzen zu erkennen geben, daß er mit dem lieben alten Simeon vor seinem End nu recht wahrhaftig das Bekenntnis möge singen.“ – In einem ungedruckten Briefe (19. Oct. 1553) erzählt Frau Zell: „Mein lieber Mann hat mir Plath und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät, Tag und Nacht vergönnt, ja große Freud daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibeswartung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Er hat mir auch nie gewehret, mit euch (Schwenkfeld), dieweil ihr in Straßburg gewesen, zu reden, zu euch und euch zu mir zu gehen, euch zu hören, Guts zu beweisen, oder euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft oder gehasset, sondern vielmehr deshalb mich sehr geliebet.“

Frau Zell bewies übrigens ihre geistige Thätigkeit nicht bloss durch ihre fleißige Correspondenz, sondern auch durch mehrere Schriften, die sie bei verschiedenen Anlässen veröffentlichte zum Frommen der ihr so theuern evangelischen Kirche. So ließ sie im Jahr 1524 eine Entschuldigung des Matth. Zell erscheinen, die aber von der Obrigkeit eingezogen wurde und wahrscheinlich nicht mehr vorhanden ist. In demselben Jahr verfaßte sie eine Trostschrift „an die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen meinen Mitschwestern.“ 150 Bürger von Kenzingen waren damals um ihres evangelischen Glaubens willen durch östreichische Soldaten aus der Stadt Kenzingen, im Badischen Lande, vertrieben worden; sie fanden gastliche Aufnahme in Straßburg und besonders im Zell’schen Hause. Im Jahr 1534 schrieb Frau Zell eine Vorrede zu dem bei Jakob Frölich in Straßburg erscheinenden Abdruck des Michael Weisse’schen Gesangbuchs, unter dem Titel: „Von Christo Jesu, unserm säligmacher, seiner Menschwerdung, u. s. w. etlich christliche und tröstliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt Frau Katharina Zell: „dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch den Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher aller Laster, Buhlerey und anderer schandlicher Ding, den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dunkt es mich ein sehr gut und nutz Ding seyn, wie dieser Mann (Michael Weisse) gethan hat, die ganz Handlung Christi und unsers Heils in Gsang zu bringen, ob doch die Leut also mit lustiger Weis und heller Stimmen ins Heil ermahnet möchten werden, und der Teufel mit seinem Gsang nit also bei ihnen Statt hätte.“ Uebrigens war dieses von Frau Zell bevorwortete Gesangbuch keineswegs ein Gemeindegesangbuch, ein solches gab es damals noch nicht. Aber die gangbarsten Kirchenlieder finden sich in allen damaligen Liedersammlungen wieder, und so auch in dieser. – Unter viel Arbeit, Mühe und Liebesthaten alterte Frau Zell. Sie war aber noch rüstig als ihr ehrwürdiger Gatte starb, am 9. Januar 1548 im 71. Lebensjahr. Noch in der letzten Nacht hatte Zell seine Frau gebeten, „sie solle seinen Helfern (Diaconen, Unterpredigern) sagen, daß sie Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen, und Christum predigen“ . Herzerhebend war Zell’s Hinscheiden und rührend ist der Bericht, den dessen Gattin uns davon hinterlassen hat. Betend für seine Gemeinde entschlief er. Die treue Gattin hatte seiner bis zum letzten Athemzug gepflegt und auch bei dessen Leichenbegängnis^ bewies sich Frau Zell als glaubensstarke Christin. Durch den Magistrat ward ihr vergönnt, noch längere Zeit in der Pfarrwohnung zu verbleiben.

Die stückweise Einführung des Interim in Straßburg fiel ihr gar schwer, als eifriger Protestantin. Es ist ein Band von Interimsschriften erhalten worden, welcher der Frau Zell gehörte und dem sie schriftliche Randnoten beigegeben hat. Wir theilen hier nur einige dieser charakteristischen Aeußerungen mit:

„O Straßburg, wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen. Nimmt Gott Matthis Zellen bald davon, lug um wie es dir wird gehn!“

Und ferner: „Oh Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr, Lüt und Bücher geben, erbarm dich auch unserer Nachkommen. Kath. Zellin.“ – „Oh Herr Christus, mach mich fromm in dir; mein Herz soll solchem Recht nimmermehr abfallen. Katharina Zellin.“

Diese Aeußerungen deuten auf die Gemüthsstimmung hin, welche in dem Herzen der Frau Zellin von jetzt an die herrschende wurde. Es erfüllte sie eine Sehnsucht, ein Heimweh nach der Vergangenheit, das durch die Umstände noch gesteigert wurde und zwar auf sehr empfindliche Weise.

Mit dem Tode Zell’s und der Abreise Butzer’s nach England, trat in Straßburg eine große Aenderung ein in dogmatisch-theologischer Hinsicht. Die freiere, vermittelnde, ächt evangelische Ansicht und Auffassung der Kirchenlehre, wurde allmählig verdrängt durch starre Eiferer für das, was sie orthodoxes Lutherthum nannten. Diese Leute, meist jüngere Prediger, verfuhren mit rücksichtsloser Schroffheit, ja mit bitterer Feindschaft gegen die alten, ehrwürdigen Lehrer und Reformatoren der straßburgischen Kirche, welche Frau Zell so werth hielt. Am empfindlichsten aber schmerzte es sie, als ihr gleichsam aus ihrem eigenen Hause ein Widersacher erwuchs. Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war Pflegling im Zell’schen Hause gewesen als unbemittelter Jüngling, der sich dem evangelischen Lehramt widmete. Frau Zell erwies sich ihm als treu sorgende Mutter. Der junge Rabus war wohl begabt und entwickelte ein nicht geringes Rednertalent. Er wurde bald ein Lieblingsprediger des Volkes in Straßburg und nach Zell’s Tode ward Rabus als dessen Nachfolger erwählt. Von jetzt an steigerte sich sein heftiger Charakter je mehr und mehr. Anfänglich war es das Interim und der Chorrock, gegen die er sich entsetzte und ereiferte. Bald aber warf sich seine scharfe Polemik auf die frühern Zustände der straßburgschen Kirche, auf die Lehransichten der Reformatoren und auf den gutmüthigen Schwärmer Schwenkfeld. In harten Ausdrücken ließ er sich gegen Beide aus nicht bloss im Privatgespräch, sondern auch in öffentlicher Predigt. Frau Zell, als „noch ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen“, konnte dies neue Wesen nicht ertragen. Sie übernahm die Ehrenrettung der Geschmäheten. Zuerst mündlich, dann schriftlich. Rabus antwortete der würdigen Frau auf die gröbste Weise, von Ulm aus im Jahre 1557, wohin er als Superintendent war berufen worden. Sein Brief beginnt also: „Dein heidnisch, unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zukommen den 16. Aprilis, welcher der Charfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem, giftigen, neidischen, erstunkenen und erlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch kein Besserung an dir zu verhoffen, sondern du für und für in schrecklichen Irrthumben, falscher Zeugniß und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrest“ u. s. w. Auf solche Anrede antwortete Frau Zell mit ebensoviel Sanftmuth als Ernst, mit richtigem Verstand, warmem Gefühl und in bibelfestem Ton. Wir theilen nur Einiges aus ihrer Verantwortung mit, die sie im Jahre 1557 an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg gerichtet, in Druck ausgehn ließ: „Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief, aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habet ihr mir unfreundlich und zugeschlossen wiederum geschickt und nit gewüllt lesen. Das hat mir wohl weh gethan, als einer die euch geliebet, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden, auch helfen fürdern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es wohl aber auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzet ist worden, hab gedacht Jahr und Verstand kommen mit der Zeit miteinander, der Herr Christus könne alle Ding ändern und Verstand geben. Habs demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist“. – „Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, daß ihr meinet, die Leut seien Narren und verstehen nit, wann sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red‘ und lehre, und was ihr vielmal aus Unverstand, auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch, redet und lehret! Und ihr sollet es nit zürnen, ihr lernet erst aus Schwenkfeld’s Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euern Predigen, und fluchet ihm dannoch gleich darauf; gleichwie die armen Päbstler aus unsers lieben Dr. Luther’s seligen Büchern haben etwas gelernet und ihn darnach verdammen; und wann ihre Bücher nicht noch vorhanden wären, dürften sie wohl sagen, Luther redete die Unwahrheit von ihnen, sie hätten nit also gelehret. Luget! machet euch ihrer nit theilhaftig, es wird euch sonst gehn wie dem Propheten Bileam: was du fluchest, will ich segnen.“ – An einer andern Stelle sagt dieselbe: „O seliger Wolf Capito, Caspar Hedio, Matthäus Zell, wie ruhet ihr so wohl in Christo, die so treulich gehandelt, und eure Mitarbeiter nit also dem Teufel übergeben habt, deß müsset ihr jetzt im Grund verachtet werden, (aber ohn Zweifel hoch vor Gott geehrt). Ich glaub‘ aber, lebtet ihr jetzt noch bei uns, man hüge (hiebe) euch wiederum mit Ruthen, ihr müßtet schweigende Kinder werden und bei denen die ihr geboren wiederum in die Schulen‘ gehn, und Krummes für Schlechtes (Gerades) lernen. Gott hat euch aber aus Gnaden, vor dem und viel Unglück hinweggeruckt, ihm sei darum Lob. Amen.“

Die Wohlthätigkeit, welche Frau Katharina während ihrer Ehe so reichlich und im Einverständniß mit ihrem würdigen Gatten, in so hohem Grade geübt hatte, wurde von ihr auch als Witwe fortgesetzt. Folgendes Beispiel mag dieß bezeugen. Als des Interims wegen im April 1549 die beiden Straßburger Prediger Butzer und Paul Fagius ihr Amt ablegen und nach England fliehen mußten, hinterließen sie der Witwe Zell, ohne deren Wissen, etliche Goldstücke, um dieselbe in ihrer bedrängten Lage zu unterstützen. Wie Frau Zell dieselben angewandt habe, erzählt sie selber in einem Brief an diese Männer: „Ihr habt mich mit dem Geld, so ihr mir heimlich in dem Brief hinterlassen, auf das äußerste betrübet. Auf daß aber meine Schamröthe eines Theils hingelegt werde, hab‘ ich euch eure zwei Stücke Golds wiederum in diesen Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern zu mir kommen, und eines Prädikanten Frau, deren Mann vor ihren Augen man den Kopf abgeschlagen hat. Die hab ich zehn Tag bei mir gehabt und hab das eine Stück Gold diesen Beiden zur Zehrung geschenkt, aber nicht mein, sondern euretwegen; das andre hab ich euch wiederum in diesen Brief gethan, daß ihr es selber sollet brauchen und ein andersmal nit so gütig seyn. Ihr werdet noch viel bedürfen, auch euer Volk (Familie), wenn es in Engelland euch nachkommen soll, und seid also Gott befohlen in seinem Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und eure Feind!“ –

Das Todesjahr dieser ehrwürdigen Frau ist nicht bekannt. Aber noch am 3. März 1562 ließ sie sich durch Conrad Hubert, ihren bewährten Hausfreund, bei Ludwig Lavater von Zürich entschuldigen, daß sie diesem so lange nicht geantwortet habe; sie seye durch lange Krankheit halb todt und könne seit vielen Monaten sich der Feder nicht mehr bedienen.

  1. W. Röhrich in Straßburg

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

 

Katharina Zell, geborene Schütz

„Du thust treulich, was du thust, an den Brüdern und Gästen, die von deiner Liebe gezeuget haben vor der Gemeinde; und du hast wohlgethan, daß du sie abgefertigt hast würdiglich vor Gott. Denn um seines Namens willen sind sie ausgezogen. – So wollen wir nun solche aufnehmen, auf daß wir der Wahrheit Gehülfen werden.“ (3. Joh. 5 – 8)

Wie Wittenberg, so hat auch Straßburg zur Reformationszeit seine „Frau Käthe“ von Gottes Gnaden gehabt, als Schmuck und Ehr, beides, des frisch glänzenden Evangeliums, und des deutschen Frauenthums.

Unsere Katharina Zell ist dem Handwerkerstande entsprossen, ums Jahr 1497 geboren, und die Tochter des ehrsamen Schreinermeisters Schütz. Aus ihrer Jugend weiß man nur, was sie selbst hier und da nebenher davon erzählt. Denn sie hatte eine schöne Begabung de Rede, welche sie sowohl mit der Zunge, als mit der Feder Vielen zum Trost und Segen zu üben pflegte. Hiernach ist sie im Geringsten nicht etwa eine jener idealischen Naturen gewesen, welche der Außenwelt gegenüber schüchtern und zurückgezogen erscheinen, während inwendig die unsichtbare Welt des Gemüthes in reicher, reiner Blüthe steht, und wie wir uns Maria, die Bethanierin, so gern denken, als ein Bild deutscher Jungfräulichkeit. Vielmehr schaute sie von Kindesbeinen an mit Augen, wackern Augen in die vorliegenden, nächsten Verhältnisse, erkannte rasch den Punkt, wo sie eingreifen müsse, und griff dann frischweg, fröhlich und ungeheißen an. Zum Thun, Lieben, Dienen und hülfreichen Beispringen war sie geschaffen, durchaus eine Martha; auch im Anfang ihres Wirkens mit jenem Anflug selbstgefälliger Vielgeschäftigkeit, auf welche der Herr dort im Lazarushaus mit warnendem Finger hindeutete.

Das Mägdlein wuchs in den frommen Sitten und Ehren deutschen Bürgerthums auf, und hielt sich also von Herzen getreu zur Kirche und ihrem Werke. Sie liebte sehr das Gespräch mit ihren geistlichen Lehrern über christliche Gegenstände, und ward dafür wegen ihrer Bereitwilligkeit und Geschicktheit zu allerhand Aushülfe von Allen geliebt und gelobt. So war’s ihr keine Entbehrung, „Tanz, Weltfreude oder Fastnacht“ zu meiden. Denn allen Wegen, auf welchen es zu Tändelei und Leichtfertigkeit hinaus ging, war sie von Herzen gram. Schier zu viel Werkdienste muthete die Jungfrau sich zu, in der allerfrömmsten Meinung, ihrer Seele Ruhe zu erwerben. Sagt sie doch selbst: „sie sei von ihrem zehnten Jahre an eine Kirchenmutter gewesen.“ Sie hatte das „gute Theil“ noch nicht erwählt. Da brach das Licht der Reformation hindurch, und sie vernahm des Meisters Stimme: „Martha! Martha! Du hast viel Sorge und Mühe; Eins aber ist Noth!“ Sie selbst gedenkt später dieser Zeit des in ihrem Herzen aufgehenden Morgensterns mit folgenden Worten: „Da aber meine Anfechtung und des Himmelreichs willen groß ward, und ich in all meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten keinen Trost, noch Sicherheit der Liebe und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich an Leib und Seele bis auf den Tod krank und schwach worden, und ist mir gangen, wie dem armen Weiblein im Evangelio, das alles sein Gut bei den Aerzten immerdar verlor. Da es aber von Christo höret, und zu ihm kam, da wurde ihm durch denselbigen geholfen. Also mir auch, und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig, und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnaden Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Uebung und Sacramenten derselbigen Kirche nie keine Ruhe finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften, den lieben und jetzt seligen Doctor Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschriebe, daß ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen, bittern Hölle in das lieblich süße Himmelreich, daß ich gedacht an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen, und hinfüro sollst du Menschen fahen.“ Und hab mich Tag und Nacht bearbeitet, daß ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich das Evangelium habe lernen bekennen, das laß ich Gott befohlen seyn.“

Unter den Ersten, die in der alten deutschen Reichsstadt Straßburg der Wittenberger Nachtigall das Hohelied „von der Gnade Gottes in Christo, und von der Gerechtigkeit durch den Glauben allein“ nachsangen, ist der ehrwürdige Matthäus Zell zu nennen. Derselbe lag zuvor als Lehrer der theologischen und philologischen Wissenschaft an der Hochschule zu Freiburg im Breisgau ob, deren Professor und Rector er eine Zeitlang war. Im Jahr 1518 siedelte er nach Straßburg über, wo er zu St. Lorenz im Münster Leutpriester wurde. Er entschied sich für die Reformation schon in ihrer frühen Morgenstunde, und ward der erste evangelische Prediger und Pfarrer an diesem wichtigen Punkte des deutschen Reiches, welcher für viele Jahre die Bestimmung hatte, ein brennender Herd des Evangeliums zu seyn.

Da nun auch Zell durch Gründung eines christlichen Hauswesens zeigen wollte, er sei der Fesseln Roms ledig, so warb er um die Hand der Tochter des Meisters Schütz. Der gelehrte Mann achtete nicht gering ihren Handwerkerstand, achtete aber hoch ihr muthiges, frommes Herz, und ihren hellen, hurtigen Verstand. Katharina verlobte sich mit Freuden dem hochverehrten Pfarrherrn. Martin Bucer, der schon verehelichte Straßburger Reformator, segnete im Münster, dessen weite Räume von der freudig theilnehmenden Menge gefüllt waren, die Verlobten zum Ehebündniß ein. Nach der heiligen Handlung genoß das junge Paar das Abendmahl des Herrn nach der Schrift und beiderlei Gestalt. Ihre Ehe war glücklich, den sie führten sie in Treue und Gottesfurcht.

Zell sah alsbald, daß Gott ihm in Wahrheit eine Gehülfin, die um ihn sei, geschaffen hatte. Denn die rüstige, rührige Katharina erkannte, daß sie als Hausfrau des Pfarrers in den Dienst nicht bloß der Straßburger Gemeinde, sondern auch der weiten evangelischen Glaubensgenossenschaft gestellt sei. und indem sie mit frischem Muth und wirthschaftlichem Geschick und in großem Maßstabe ihrem Diakonissen-Amte oblag, machte sie ihres Mannes Hände desto freier für das Amt der Verkündigung und der Seelsorge. So gewannen Sie aneinander Kraft, Freudigkeit und Ausdauer, und wurden, da sie nicht Aeltern leiblicher Kinder seyn sollten, Vater und Mutter einer großen Schaar verlassener, elender Menschen.

Abgesehen davon, was Katharina ununterbrochen den Armen ihrer Gemeinde an leiblicher Hülfe und freundlicher Tröstung bot, so machte sie das Pfarrhaus zu einer stets gastfrei offen stehenden Herberge derer, die um des evangelischen Bekenntnisses willen von Haus und Heimath vertrieben, in Straßburg Zuflucht suchten. Oft war der Andrang so groß, daß ihre eigenen Mittel bei Weitem nicht ausreichten. Aber sie ward drum nie verzagt, ihre Liebe war so weit, klug und kräftig, daß sie immer wieder frischen Rath und Hülfe zu schaffen wußte. Stadt und Gemeinde standen ihr gern zu Gebot, um so mehr, als sie jederzeit ganz ohne Aufschub und Bedenken mit dem Beispiel eigner Aufopferung Allen vorleuchtete.

Sie erzählt: „Ich habe schon im Anfang meiner Ehe viel herrliche, gelehrte Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmüthigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: „Unterstütze und stärke die müden Kniee!“ Das habe ich nach meinem Vermögen, und gegebener Gnade Gottes gethan, da einmal fünfzehn liebe Männer aus der Markgrafsschaft Baden mußten weichen, unter welchen ein gelehrter alter Mann war, heißt Doctor Mantel, der mein sammt Anderer zu Baden inne ward, zu mir kam, Rath und Trost von mir begehrte, da er mit Weinen sagte: „Ach, ich alter Mann mit viel kleiner Kinder!“ DA ich ihm aber Matthäus Zeller Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreuet, uns seine müden Kniee gestärket! – Im 1524ger Jahre mußten auf Eine Nacht anderthalb hundert Bürger aus dem Städtlein Kenzingen im Breisgau entweichen, kamen gen Straßburg, davon ich auf dieselbige Nacht 80 in unser Haus aufgenommen, und 4 Wochen lang, nie minder denn 50 oder 60 gespeiset, darzu viel frommer Herren und Bürger steuerten und halfen erhalten. – Im 1525ger Jahre, nach dem Todschlag der armen Bauern, da so viel elender, erschrockener Leute gen Straßburg kamen, hab ich sie mit Meister Lux Hackfurt, des gemeinen Almosens Schaffner, nebst zweier ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, in das Barfüßer Kloster geführt, da es eine große Menge war, und hab viel ehrlicher Leute, Mann und Weib angerichtet, daß sie ihnen dieneten, und große Steuer und Almosen gegeben wurden.“ Unter solchen Arbeiten, deren sie nie ledig wurde, war es ihr eine Herzenserquickung, die Gespräche der reformatorischen Männer zu hören, die bei ihrem Manne aus und ein gingen. Und besonders, als im Jahr 1529 die schweizerischen und oberdeutschen Theologen auf ihrer Reise zu dem Marburger Religionsgespräch in Straßburg sich sammelten, erzählt die mit großer Freude: „Ich bin 14 Tage Magd und Köchin gewesen, da die lieben Männer Oekolampad und Zwingli hie zu Straßburg waren, daß sie sammt den Unsern gen Marburg zu Doctor Luther reiseten.“ Auch unterhielt sie mit Vielen schriftlichen Verkehr. Luther hat ihr auf einige Briefe freundlich geantwortet.

In diesem Umgang lernte sie die Aufgabe der Reformation, für christliche Volksbildung Sorge zu tragen, hochschätzen. Und auch dafür suchte sie, mit richtiger Erwägung dessen, was sie als Frau vermochte, thätig zu seyn. Als nämlich zu den altberühmten Bildungs-Anstalten in Straßburg sich viele arme Schüler eingefunden hatten, gab sie die Anregung, daß man ihnen freies Unterkommen und mütterliche Pflege verschaffte. Das St. Wilhelms-Kloster wurde dazu hergegeben. Und so ist sie als eine Mitbegründerin des Studienstiftes St. Wilhelm, welches bis auf diesen Tag besteht, anzusehen.

Die Pfarrfrau nahm mit ihrem lebhaften Herzen wärmsten Antheil am Gang und den öffentlichen Schicksalen der Reformation. Nach den Abschluß der Wittenberger Concordie 1538 begleitete sie ihren Mann auf seiner Reise zu Luther. Da gibt sie nun Rechenschaft von all den Städten und Merkwürdigkeiten, welche sie gesehen. Sie sey mit ihm bei 300 Meilen auf derselbigen Reis‘ aus und ein gezogen bis an das Meer. Viele große Müh und Arbeit ihres Leibes, und große Kosten der bloßen Nahrung habe sie erlitten, „das mich aber nit gedauert, – fügt sie freudig hinzu – und mich nit gereuet, sondern Gott darum danke, daß er mich solches Alles sehen und hören hat lassen.“ – Das Interim, jener unlautere Versuch, den neuen Most in alte Schläuche zu füllen, d. h. Papstthum und Evangelium in einander zu weben, welcher theilweise und vorübergehend auch in Straßburg geduldet wurde, machte der deutschen, graden, frommen Frau viel Herzeleid. In ihrem Nachlaß fand sich ein Bündel Flugschriften über diesen Gegenstand. Auf den meisten stehen zu r Seite von ihrer Hand geschriebene Randbemerkungen, die wie Seufzer klingen, z. B. „ O Straßburg, wie willst Du bestehen, um deines Unglaubens willen? Nimmt Gott Matthis Zeller bald davon, lug um, wie es dir wird ergehn!“ Ein ander Mal: „ O, Herr Christus, mach mich fromm in dir! Mein Herz soll solchem Recht nimmermehr abfallen.“ Katharina Zellin.“

Nach Zell’s Tode, – er starb den 9. Januar 1548, – in den Armen seiner treuen Frau, – und nach Martin Bucer’s Flucht nach England stand auch in Straßburg ein anderes Geschlecht auf den Kanzeln und Lehrstühlen. Die heilige, großherzige, in ihrer Demuth so schöne Begeisterung für da Evangelium verlosch mehr und mehr. man begann um Nebendinge gehässig zu hadern, man buchstäble an Lehrsätzen herum, um deretwillen man sich verketztere, und in den Bann that; man stolziere mit der Rechtgläubigkeit des Bekenntnisses, man redete mit Menschen- und mit Engelzungen und es war doch eine klingende Schelle und tönendes Erz; denn die Liebe war draus hinweg gestorben.

Wie bitter weh ward der Witwe Zell unter den Zänkern! Sie erlebte persönlich schmerzlichsten Undank. Sie hatte lange Zeit einen Pflegesohn im Haus, einen reich begabten Jüngling aus Memmingen, den nachmaligen Dr. Ludwig Rabus. Dieser wurde Zells Nachfolger, ließ sich aber bald zu solcher Leidenschaftlichkeit hinreißen, daß er schamlos und mit den gehässigsten Worten die heimgegangenen Lehrer und Reformatoren Straßburgs der Ketzerei beschuldigte. Seiner Pflegemutter, die ihm als „noch ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen“ Vorstellungen machte, schrieb er von Ulm aus, wohin er versetzt worden war, unholdige Briefe. Sie antwortete, wie eine Mutter, ernst und sanft. Ihr Verhalten zum Interim zeigt, wie unverbrüchlich fest sie an dem Evangelium hielt. Aber auf diesem Grunde, außer welchem kein Anderer gelegt werden kann, hatte sie einen freien Stand. Mit ihren hellen Gedanken unterschied sie bestimmt die Hauptsache von Nebendingen. Mit wem sie sich in der Hauptsache Eins wußte, der war ihr Glaubensgenosse, sollte er auch in Einzelnem von ihrer Ueberzeugung abweichen; und die hierin Irrenden wollte sie viel lieber schonen und tragen, als anfeinden. Viel fromme Leute gab es damals wie jetzt, welche Christum lieb hatten, die Schrift als einziges Richtmaß der Lehre erkannten, dieselbe aber in manchen Stücken anders auslegten, als es in den öffentlich anerkannten evangelischen Confessionen geschah. Von diesen hielten sich besonders viele Wiedertäufer und Anhänger des schlesischen Edelmanns Caspar Schwenkfeld in Straßburg auf. Den Letztgenannten hatte das Zell’sche Ehepaar als einen Flüchtling längere Zeit in seinem Hause beherbergt und liebgewonnen, um seiner demüthigen, innerlich zarten Frömmigkeit willen. Sie übersahen es, daß er in einigen Stücken ein Schwärmer sei, und hatten mit ihm Gebet und brünstige Heilandsliebe gemein.

Als nun die Tage kamen, da man nicht bloß mit Gift und Geifer des Wortes, sondern mit blutiger Verfolgung hinter allen Andersgläubigen her war, wurde das im Glauben so liebeswarme Mutterherz unserer Katharina voll heiliger Entrüstung. und in der That, man weiß nicht, soll man mehr die Herrlichkeit der evangelischen Freiheit rühmen, oder das schöne nicht aufzuhaltende Feuer der Liebe, welches sich in der Entrüstung dieser Phöbe zeigt, die um des Herrn willen von dem engherzigen Buchstabendienste ihren Liebesdiensten keine Schranken will ziehen lassen. Ihre Worte hierüber sind köstlich, und leuchten hell in unsere Zeit und Zustände hinein:
„Es soll Jeder seinen Zugang zu uns haben, – ruft sie aus, – und Alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Theil und Gemein an unserm Tisch und Herberg haben; wir wollen auch Theil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, er sei, wer er woll! Also habe ich mit Zells Willen und Wohlgefallen mich vieler Leut angenommen, für sie geredt und geschrieben, es seien, die so unserm lieben Doctor Luther angehangen, oder Zwinglio, oder Schwenkfelden, und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis oder unweis, nach der Red des heiligen Pauli. Alle haben zu uns kommen dürfen. Was hat uns ihr Name angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen; das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

„Die armen Täufer, da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzet, wie ein Jäger die Hund über ein wild Schwein oder Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, da wir uns vom Papstthum getheilt haben, über die Erlösung Christi; aber sich in andern Dingen mit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und Viele unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebet euch die Schuld, dass wir in Lehr und Leben Ursach sind, dass sie sich von uns trennen! Wer Böses thut, den soll die Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen und regieren, wir ihr meint; er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Leset alle alten Lehrer und die, so euch das Evangelium bei uns wieder erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, der noch lebet, was er geschrieben hat von ihnen, und sie hoch beschirmet, dass eine Obrigkeit nit mit ihnen zu thun habe, denn in bürgerlichen Sachen. Leset es in dem Büchlein, das der gute Mann Martinus Bellius an den Fürsten und Herzog Christofel zu Wirttemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todbrand zu Genf, da er für uns zu dieser Zeit aller Frommen, Verständigen und Gelehrten…Red und Meinung fleißig zusammengezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, die man Ketzer nennt, soll handeln! Wenn euch die Obrigkeit folgete, sie würde bald ein Tyrannei anfangen, daß Städt und Dörfer leer würden. – Straßburg stehet noch nicht zum Exempel, Schand und Spott dem Teutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmung der Elenden, ist auch noch nit müd worden, Gott sei Lob, und ist mancher armer Christ noch darinnen, den ihr gern hättet gesehn hinaustreiben. – Das hat der alte Matthäus Zell nit gethan, sondern die Schafe gesammelt, nit zerstreut; hat auch in solches nie gewilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auf einmal also bei der Obrigkeit anrichten, öffentlich auf der Kanzel und im Convent der Prediger gesagt: Ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, dass ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.“

Wie eifersüchtig ist sie im Angesicht Deutschlands auf den unbefleckten Nachbarn ihres Straßburgs! Und ein schöner Charakterzug, ein recht deutscher und weiblicher an dem Wesen dieser Frau ist das Ineinandergeschlungensein ihrer Heimathliebe und ihres Glaubens. „Christus wird mir dessen Zeugnis geben, – schrieb sie einst, – dass ich mit großer Freud und Arbeit, Tag und Nacht meinen Leib, meine Kraft Ehre und Gut, dir, du liebes Straßburg!, zum Schemel deiner Füße gemacht habe.“

Nach Zells Tode hatte man ihr gestattet, noch einige Jahre im Pfarrhaus zu wohnen. Sie fuhr auch nachher fort im Dienst an der Gemeinde, und wo möglich noch mit größerem Eifer, weil sie dadurch das Andenken ihres Mannes, welches ihrem Herzen sehr theuer war, zu ehren gedachte. „Er hat mich, sagte sie in wehmüthig süßer Erinnerung, um so mehr darum geliebet, sein Leid und Haus meiner vielmehr lassen ermangeln, und mich gern der Gemeinde geschenkt, mir auch solches nicht mit Gebot, sondern mit freundlicher Bitt, solchem weiter nachzukommen, an seinem Ende befohlen; dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch 2 Jahr 11 Wochen nach Zells Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselbigen Gutes gethan habe, in meine Kosten, ohne Jemandes Steuer.

Auch im Witwenstande und bei drohender Noth war es ihr eine Ehrensache, sich mit eignen Kräften durchzuschlagen. Wie leicht ihr das Dienen ward, so schwer das Sichdienenlassen. Bucer und Fagius, als sie nach England flüchten mußten, ließen heimlicher Weise der verehrten Frau einige Goldstücke als Nothpfennig zurück. „Ihr habt mich, schrieb sie ihnen, mit dem Gelde, so ihr mir heimlich in dem Brief hinterlassen, auf das äußerte betrübet. Auf dass aber meine Schamröthe eines Theils hingelegt werde, habe ich euch eure zwei Stücke Goldes wiederum in diesen Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädicant mit fünf Kindern zu mir kommen, und eines Prädicanten Frau, deren Mann vor ihren Augen man den Kopf abgeschlagen hat. Die hab ich zehn Tag bei mir gehabt, und hab das eine Stück Gold diesen beiden zur Zehrung geschenkt, aber nicht mein-, sondern euretwegen; das andere hab ich euch wiederum in diesen Brief gethan, dass ihr es selber sollet brauchen, und ein anderes Mal nit so gütig sein. Ihr werdet noch viel bedürfen, auch euer Volk, wenn es in Engelland euch nachkommen soll. Und seid also Gott befohlen in seinem Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und eure Feind!“

Das Jahr ihres Heimgangs ist unbekannt; wahrscheinlich aber war’s 1562, oder bald darnach. Denn in einem Brief vom 3. März 1562 läßt sie sich durch einen Freund bei Ludwig Lavater in Zürich entschuldigen, daß sie diesem auf sein Schreiben noch nicht geantwortet, denn „sie sei durch lange Krankheit halb todt, und könne seit vielen Monaten die Feder nicht mehr zur Hand nehmen.“

Wie steht doch der Reformationsgarten so voller Blüthen! Und auch diese Straßburgerin ist seiner frischesten Rosen Eine.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

 

Bartholomäus Ziegenbalg

Bartholomäus Ziegenbalg, Missionar zu Trankebar.

(Geb. 24. Juni 1683, gest. am 23. Februar 1719.)

„Saget unter den Heiden, daß der Herr König sei, und habe sein Reich, soweit die Welt ist, bereitet„
(Ps. 96, 10.)

Bartholomäus Ziegenbalg ist der Erstling derer, die aus der deutschen evangelischen Kirche das Wort vom Kreuze unter die Heiden gebracht haben. Er ist zu Pulsnitz in der Oberlausitz am 24. Juni 1683 geboren. Schon frühe war er eine Waise; aber den Tod seiner Aeltern hat er sich zum Gedächtniß in seine Brust eingeschrieben. „Ich weiß mich noch zu erinnern, erzählte er später, wie meine Mutter auf dem Todtenbette uns Kinder alle zu sich kommen ließ, und zu uns sagte: Liebe Kinder! ich habe euch einen großen Schatz gesammelt, einen sehr großen Schatz habe ich euch gesammelt. Als dann meine älteste Schwester sie fragte: Liebe Mutter, wo habt ihr doch diesen Schatz? so antwortete sie: Suchet in der Bibel, meine lieben Kinder! Da werdet ihr schon finden; den ich habe jedes Blatt mit meinen Thränen benetzt.“ Der Vater hatte sich schon lange vor seinem Tode einen Sarg machen, und in seine Wohnung stellen lassen. Er lag einst krank darnieder. Da brach in Pulsnitz eine Feuersbrunst aus. Die Flammen wälzten sich auf sein Haus. Da legten die Kinder den kranken Vater in ihrer Herzensangst in seinen Sarg und trugen ihn auf den Markt. Da ist er unter freiem Himmel verschieden.

Solche Lebensereignisse mußten in Ziegenbalgs Brust einen tiefen, religiösen Ernst erzeugen. Auf dem Gymnasium zu Görlitz gab ihm Gott einen Freund, der ihm ein Wegweiser zum Leben wurde. Mit diesem betete er täglich, trieb täglich mit ihm das Wort Gottes, und ging dann mit ihm aufs Feld, wo derselbe ihm zeigte, wie man sich in Anschauung der Creaturen Gottes ergötzen, und ein jedes Geschöpf zu seiner Bekehrung gebrauchen könnte.“ Doch bald stand Ziegenbalg wieder allein; seine Mitschüler verspotteten ihn, und er mußte schon jetzt schwere Glaubenskämpfe durchmachen. Von dieser Zeit schreibt er: „Ich wurde von Gott gleichsam wie verlassen, indem ich seine tröstliche Gemeinschaft in meiner Seele nicht mehr empfinden konnte. Hingegen sah ich bei mir und bei allen Menschen Nichts als Jammer, Elend und Herzeleid. vor innerster Betrübnis meines Herzens konnte ich mit Niemand reden, hatte auch nicht eine Seele, der ich meinen Zustand hätte offenbaren, indem ein Jeder meinte, es wäre nur eine bloße Melancholie, die durch Lustigkeit mußte vertrieben werden. mir ekelte vor allen weltlichen Dingen, und ich konnte in Nichts meine Rufe und mein Vergnügen finden.“ Der tief bekümmerte Jüngling wandte sich an August Hermann Francke in Halle. Auf seinen Rath ging er auf das Friedrichs Gymnasium nach Berlin, wo sich der damalige Direktor, Joachim Lange, und Spener, seiner annahmen. „Da hörte ich die Prinzipien der wahren Weisheit so rein und deutlich, daß ich mich höchlich erfreute!“ jauchzt Ziegenbalg. Nächst Gott, bekannte er später oft, habe er das Meiste diesen beiden Lehrern zu verdanken.

Im Jahre 1703 bezog er die Universität Halle. Er wurde hier durch Francke tiefer in den Erlöser und in die Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit hineingeführt. Sein Geist wurde zerknirscht; er fing an, sich für einen Prediger des göttlichen Wortes unwürdig zu halten, und beschloß, die Theologie zu verlassen, und Ackerbauer zu werden. Es ging mir bald, sagt er, wie dem Jonas, der gleichfalls von einer solchen schweren Bürde befreit werden mußte. Denn ob ich gleich nicht, wie Jonas, ins Meer geworfen wurde, so mußte ich doch unter schweren Züchtigungen die Hand Gottes fühlen, so daß ich mich endlich dem Willen Gottes gefangen geben mußte.“ Er offenbarte auch diesmal den Zustand seiner Seele dem geisteserfahrenen Francke. Dieser erhielt den Jüngling für den Dienst Gottes. Ein Wort besonders, welches er bei dieser Gelegenheit gegen ihn äußerte, ist tief in Ziegenbalgs Seele eingedrungen. „Wenn man Eine Seele unter den Heiden rechtschaffen zu Gott führt, so ist solches ebensoviel, als wenn man in Europa hundert gewinnt, indem diese täglich genugsam Mittel und Gelegenheit zu ihrer Bekehrung haben, jenen aber diese mangeln.“ Er blieb Theologe, und zog bald darauf als Lehrer nach Merseburg. Sein hallescher Freund von der Linde schloß sich hier mit ihm zu Einem Herzen und seiner Seele zusammen. Ziegenbalg wurde indessen bald als Lehrer nach Erfurt berufen. Von der Linde gab ihm das Geleite. Ehe sie schieden, gaben sie sich unter freiem Himmel vor Gottes Angesicht die Hände, und schwuren: „Wir beide wollen in der Welt nichts Anderes suchen, als die Verherrlichung des göttlichen Namens, die Ausbreitung des göttlichen Reichs, die Fortpflanzung der göttlichen Wahrheit, das Heil unseres Nächsten und die stete Heiligung unserer eigenen Seelen; wir mögen auch noch sie viel Kreuz und Leiden deshalb begegnen.“ Ziegenbalg war kaum zwei Monate in Erfurt, als körperliches Leiden ihn zwang, in seine Heimath zu seiner Schwester zu reisen. In Jahresfrist wurde er Prediger in der Nähe Berlins. Doch nun war seine Rüstzeit zu Ende. Sein Herr und Meister rief ihn in seinen Weinberg. Wir wollen sehen, woher ihm dieser Ruf kam.

Im Monat März des Jahres 1705 saß König Friedrich IV. von Dänemark in seinem Zimmer, und laß mehrere Bittschriften durch. in seiner derselben hat eine Witwe für sich und ihre fünf Kinder um Hülfe. Ihr Mann und ihr ältester Sohn waren auf der dänischen Besitzung Trankebar in Ostindien im Dienst des Königs von den Heiden ermordet worden. Dieser geringfügige Brief ist sehr wichtig geworden. König Friedrich fühlte in seinem Innern eine große Unruhe. Er nahm die Karte von der Küste Coromandel, auf der Trankebar liegt, legte den Finger darauf, und sagte: „Hier wohnen die Heiden, die das Licht der Welt nicht kennen, obgleich die Sonne so heiß und hell auf ihre Häupter scheint. Sie sollen nicht verloren werden. Es soll dort ein Licht angezündet werden, heller, als das der Leuchtthürme auf den Felsen der gefährlichen Küsten. Ich will Männer aussenden, die das Evangelium verkündigen, ihre Seelen zu retten für das ewige Leben.“ Er ließ sogleich seinen Hofprediger Lütkens kommen, theilte ihm seinen Entschluß mit, und trug ihm auf, sich nach tauglichen Männern in Dänemark umzusehen. Aber da war Niemand zu finden, der um Christi willen sein Vaterland verlassen wollte. „Das thut mir wehe, sagte der König, daß mein Land keine solche Rüstzeuge hat. Das ist keine feine Gottesgelahrheit, in der keine Liebe für die armen, verfinsterten Heiden lebt. Nun, so schreibt nach Deutschland!“ Man wandte sich an Francke, und dieser schlug Ziegenbalg vor, als den Mann, der den König gebrauchen könnte. Freudig nahm dieser den Ruf an. Sein Freund, Heinrich Plütschau aus Mecklenburg, schloß sich ihm an. Viele schüttelten über den unerhörten Entschluß der beiden jungen Männer die Köpfe. Sie aber empfahlen sich Gott, zogen im Oktober 1705 nach Kopenhagen, wurden hier zu Predigern des Evangeliums unter den Heiden ordiniert, und stachen schon am 29. November in See. Nach einer glücklichen Fahrt stiegen sie am 9. Juli 1706 zu Trankebar ans Land. Hier wurden sie jedoch von den dänischen Beamten und Kaufleuten sehr kalt empfangen. Man ließ sie bis zum Abend in der großen Hitze erst außerhalb der Stadt, dann auf dem Marktplatz stehen. Diesen Empfang sahen sie an, als vom Herrn geschickt, daß sie Nichts von Menschen, Alles aber von ihm erwarten sollten. Sie schreiben: „Da wir keinen Menschen in der Nähe hatten, den wir um Rath fragen konnten, wie dies, oder jenes angefangen werden sollte, so gingen wir allezeit zu unserm lieben Vater im Himmel und trugen ihm Alles im Gebet vor, wurden auch von ihm erhört, und mit Rath und That unterstützt. Nahmen wir unsere Zuflucht zu Andern hier in Indien, um sie um Rath zu fragen, so wurden wir noch weit mehr, als in Europa, von unserm Unternehmen abgeschreckt, da uns allezeit die Unmöglichkeit, unser Ziel zu erreichen, vorgehalten wurde. Nun fanden wir auch wirklich viele und große Schwierigkeiten, und konnten uns, wenn wir sie ansahen, keinen sonderlichen Eingang bei den Heiden versprechen. Doch ließen wir den Muth nicht sinken, sondern lasen fleißig zu unserer Stärkung im Glauben die Apostelgeschichte, und benutzten dabei alle die Mittel, welche wir für nothwendig erachteten, unser Amt im Segen anzufangen.“

Die Heiden, welchen Ziegenbalg das Heil in Christo verkündigen sollte, waren die Hindus. Ihre oberste, allgegenwärtige, allwissende und ewige Gottheit ist Brahm, oder Barabrahma. Aus ihm sind drei Götter entsprungen. Brahma, der Schöpfer, Wischnu, der Erhalter und Schiwa, der Zerstörer der Welt. Wischnu hat sich neunmal den Menschen in verschiedener Gestalt offenbart, als Fisch, Schildkröte, Schwein, Löwe, Zwerg, Riese u. s. w. Außerdem sind aus Brahma viele andere Götter hervorgegangen, Alles in Allem 330 Millionen. Ein Götzenbild des Schiwa beschreibt Ziegenbalg: „Es steht in einer großen Pagode, hat drei Augen, unter welchen das eine in der Stirn ist, und Alles verbrennen soll, was es ansieht. Auf beiden Seiten hat er acht Hände, zusammen sechzehn, in welchen er ganz besondere Dinge hält. An seinem Halse hängt eine Schelle, wie die Kühe sie zu haben pflegen. An der Stirn hat er einen halben Mond, und ist mit Schlangen und Tigern bekleidet.“ – Die Hindus sind in vier Klassen, oder Kasten eingetheilt. Jede ist von der andern scharf abgesondert; keine darf sich mit der andern vermischen; was der Vater ist, muß auch der Sohn werden. Die unterste Kaste ist ganz verachtet; die ihr Angehörigen werden als ganz andere, geringere und unreine Geschöpfe betrachtet, und dürfen nicht einmal berührt werden. Die aus der obersten Kaste aber, die Brahminen, halten sich den Göttern verwandt, und erhalten allen andern in der niedrigen Knechtschaft. Diese Kasteneintheilung ist für die Fortschritte des Evangeliums ein mächtiges Hinderniß gewesen. – Um selig zu werden, martern und quälen sich die Hindus in unmenschlicher Weise. Da gibt es Büßer, die sich alle Tage einige Stunden an den Füßen über ein Feuer aufhängen lassen; andere, die auf Pantoffeln mit eisernen Nägeln gehen, wieder andere, die sich mit dem nackten Leibe viele Meilen im glühenden Sande fortwälzen, bis sie ohnmächtig liegen bleiben. Welche Verfinsterung! –

Außer den Hindus gab es noch andere Heiden, die man Portugiesen nannte. Früher hatten nämlich die Portugiesen das Land inne gehabt; sie hatten sich mit den Heiden vermischt, und ihre heidnischen Nachkommen wurden mit ihrem Namen benannt. Einen dritten Theil der Bevölkerung bildeten die Muhamedaner.

Vor allen Dingen mußten die Missionare die Sprachen derer lernen, denen sie das Evangelium verkündigen wollten. Das Portugiesische hatten sie bald gelernt. Aber wer sollte sie das Tamulische lehren, welches die Hindus sprachen, wo es keine Wörterbücher, keine Hülfsmittel gab? Der Herr schaffte auch hier Rath. Sie fanden einen gelehrten Hindu, Aleppa, der durch seinen Umgang mit Europäern mehrere europäischen Sprachen gelernt hatte. Ziegenbalg konnte das Tamulische bald so fließend reden, wie sein liebes Deutsch. Im November 1706 begannen die Catechisationen in portugiesischer, im Januar 1707 in tamulischer Sprache. In letztere Sprache übersetzte er auch Luthers Katechismus, kräftige Gebete und geistliche Lieder. Bald sah er den Segen seiner eifrigen Arbeit. Schon am 12. Mai 1707 konnten fünf Sklaven getauft werden. Dabei breiteten die Boten Christi ihre Arbeit auch auf die Europäer aus. Jeden Mittwoch hielten sie in der dänischen Zionskirche zu Trankebar in deutscher Sprache eine Betstunde, welche von sehr Vielen besucht wurde. Christen, Heiden und Muhamedaner waren davon mächtig bewegt, sodaß sich das Gotteshaus allezeit mit Zuhörern füllte.

Ziegenbalg hielt es für nothwendig, ein eigenes Versammlungshaus für seine Zuhörer zu erbauen. aber woher sollte er das Geld nehmen? Das hatte er von seinem väterlichen Freunde A. H. Francke gelernt, der ohne Geld große Häuser bauen konnte. Er und Plütschau gaben ihr Gehalt zu dem Baue; auch mancher Andere trug dazu bei. Dreißig Heiden waren die Bauleute. „Unter großer Armuth, schreibt Ziegenbalg, fingen wir im Glauben und Vertrauen auf den Herrn an, in der Stadt auf eine großen Straße mitten unter den Heiden zu bauen, und obschon wir bei der damaligen Lage der Dinge nicht wußten, wie wir diesen Anfang zu Ende führen sollten, stärkte uns Gott bei unsern Widerwärtigkeiten so im Glauben, daß wir auf denselben Alles, was wir von unserm Gehalt erhielten, und was wir zuvor erübrigt hatten, verwendeten. Viele spotteten unser, aber Einige wurden zum Mitleid bewegt, so daß sie uns bei unserm Baue halfen.“ Am 14. August 1707 stand die Kirche fertig da. Sie wurde Neu-Jerusalem genannt. Christen und Heiden versammelten sich zu ihrer Einweihung. Ziegenbalg predigte in tamulischer, Plütschau in portugiesischer Sprache. Jeden Sonntag wurde in beiden Sprachen gepredigt, Mittwochs, Freitags und Sonntags über Luthers Katechismus katechisiert. Am 15. September fand zum ersten Male in Neu-Jerusalem die h. Taufe und das h. Abendmahl statt. – Eine besondere Fürsorge wendete Ziegenbalg den Kindern zu. im Jahre 1707 wurden eine tamulische und eine portugiesische Schule gestiftet; er übernahm die Aufsicht über die erstere, Plütschau über die letztere. Seit dem 28. Mai stand ihnen ein eingeborner Catechet zur Seite. Kleider, Bücher, und Kost erhielten die Kinder von den Glaubensboten. Da gab es denn oft eine große Noth. Ziegenbalg hat sich oft des Abends zu Bett gelegt, ohne zu wissen, woher er die Bedürfnisse für den folgenden Tag nehmen sollte. Und bei all‘ seiner Armuth wurde er noch wunderbar von dem Herrn geprüft. Im Jahre 1708 landete ein dänisches Schiff, welches für die Mission 1000 Thaler vom Könige brachte. Aber beim Ausschiffen sank das Missionsgeld auf den Meeresgrund, und ist nie wieder ans Tageslicht gekommen. Ein zweites Schiff, welches andere 1000 Thaler überbringen sollte, litt Schiffbruch; auch dieses Geld ging verloren.

Ziegenbalg begann um diese Zeit eine sehr wichtige Arbeit, die Uebersetzung des Neuen Testaments ins Tamulische. Er war bis zum 23. Kapitel im Matthäus gekommen, da wurde er dieser segensreichen Arbeit auf eine gewaltsame Weise entrissen. Er schreibt: „Gott gab zu Allem reichen Segen, was wir in seinem Namen anfingen. Jedoch hatten wir harten Widerstand, und zwar nicht sowohl von den Heiden, als von den europäischen Christen. Auch der Commandant selbst und der ganze Rath fing an, uns konträr zu werden, sodaß sie nicht nur in keinem Stück uns behülflich werden wollten, sondern auch auf alle Weise solches h. Werk zu verhindern sich bemühten. Unsere Gemeinde wurde wöchentlich vermehrt, und es mußten Heiden, Mohren (so nennt er die Muhamedaner), und Christen bekennen, daß solches ein göttliches Werk wäre. Gleichwohl wollten solches die Obersten allhier nicht erkennen, sondern fuhren fort in ihrem Haß und Neid, daß sich sogar auch die Heiden nicht wenig daran ärgerten. Je mehr wir die Wahrheit redeten, desto heftiger wurden wir verfolgt, sodaß sie endlich die ganze Gemeinde auszurotten gedachten.“ Als er in Folge dessen bei dem Könige Beschwerde führte, schickte Hassius, der dänische Commandant, Soldaten in seine Wohnung, um ihn in den Kerker abzuführen. Der Schuldlose fiel auf die Kniee ,und betete mit solcher Inbrunst, daß selbst die Soldaten davon ergriffen wurden. Dann folgte er diesen, und zog mit Gesang und Gebet in’s Gefängniß ein. Hier wollte er an der Uebersetzung des Neuen Testaments weiter arbeiten; aber der Commandant versagte ihm Feder, Dinte und Papier. Der Märtyrer beweis wahrhaft christlichen Geist. Am Neujahrstage 1709 schrieb er an seinen Feind aus dem Kerker einen Brief, worin es heißt: „Ob Sie mir bisher Alles verbieten können, was ich öfters von Ihnen verlangt, so haben Sie mir doch niemals zu verbieten vermocht, daß ich nicht für Sie hätte beten können, und werden auch fürderhin mir solches nicht verbieten können. – Ich bezeuge hiermit vor dem allwissenden Gott, vor meinem allergnädigsten Könige und vor der ganzen evangelischen Christenheit , daß ich rein und unschuldig am Blute derjenigen Heiden bin, die aus Enthaltung meines Amtes durch Ihre Schuld verloren gehen sollten. Ach, bedenken Sie also wohl, was Sie thun, sintemal Sie nicht wider mich, sondern wider Gott und Ihren König streiten!“ Das heißt feurige Kohlen auf des Feindes Haupt sammeln. Bald darauf wurde Ziegenbalg freigelassen; seine Haft hatte vier Monate gedauert. –

Ziegenbalg war wieder frei; aber damit war die Noth nicht vorüber. Noch immer kam kein Geld aus Europa; ihr geringes jährliches Gehalt von 200 Thaler blieb auch aus. Und doch wollten ihre Heidenkinder gespeyst sein. Da kam Geld. Einer brachte 40 Thaler, ein anderer 20, und so kam im Ganzen an 200 Thaler zusammen; und endlich, am 20. Juli 1709 kam ein Missionsschiff mit 3000 Thalern, welche die Christen Deutschlands und Dänemarks gesammelt hatten. Aber mehr als das waren drei neue Arbeiter, die auf demselben Schiff ankamen: Joh. Ernst Gründler, Joh. Georg Böving und Polycarpus Jordan. –

Für ein Drittheil des aus Europa angekommenen Geldes wurde ein geräumiges Missionshaus gekauft, das die Missionare mit Dienern und Schülern bezogen. Sie wollten beständig um die Heidenkinder seyn, weil die dafür hielten, daß der Herr aus ihnen seine Rüstzeuge für die Hindus wählen müßte. „Die Erfahrung hat uns gelehrt, sagt Ziegenbalg, daß, wenn man gute Christen haben will, so muß man fleißig mit Gottes Wort an der Jugend arbeiten.“ Indessen sollte er selbst nur ein Bahnbrecher für spätere Streiter des Herrn seyn. Er sollte arbeiten auf Hoffnung. Kanabadi Wathiar, der bei seiner Taufe am 19. Okt. 1709 den Namen Christian Friedrich erhielt, schien freilich eine Säule des Missionswerks zu seinen Landsleuten werden zu wollen. Er litt sogar viel Schmach und Verfolgung um Christi willen. Dann aber gewann der die Welt wieder lieb, wurde katholisch, und hat endlich als Götzenpriester ein trauriges Ende genommen. Solche Erfahrungen mußten Ziegenbalg in der Seele wehe thun. Aber im Glauben arbeitete er muthig fort, ob der Herr nicht seinen Segen gäbe. Und der fehlte auch nicht ganz. Die Gemeinde der Heidenchristen bestand aus etwa hundert Gliedern, und zu Ende des Jahres 1709 kamen siebenzehn neun hinzu. Unterdessen setzte er die Uebersetzung des Neuen Testaments ins Tamulische mit eisernem Fleiße fort. Im Frühjahre 1711 war das große Werk beendet. Er konnte nun sagen: „das ist hier in Indien ein Schatz, der alle andern irdischen Schätze übertrifft.“ Ein katholischer Priester, Johann Fereira d’Almeida, der zur evangelischen Kirche übergetreten war, hatte das Neue Testament ins Portugiesische übersetzt. Aus England kam im August 1712 eine Missionsdruckerpresse an. Schul- und Gesangsbücher, Schriften von Spener und Francke wurden in der Landessprache, (aber mit lateinischen Lettern), gedruckt, und unter die Heiden geschickt. Bald kam auch aus Deutschland eine Druckerei mit tamulischen Lettern an; und nun konnte der Druck des Neuen Testaments sogleich vor sich gehen. Das Werk hatte seinen Lohn. So bekam Ziegenbalg einst einen Brief von einem Hindu, in dem es heißt: „Ich spreche allezeit: „Herr, vergib mir meine Sünden, die, welche ich weiß, und die, welche ich nicht weiß! Daß ich so weit gekommen bin, dazu sind mir Ihre Bücher behülflich gewesen; sonst wäre ich ein Thier geblieben.“ – Um dieselbe Zeit, – am 19. Juli 1712, – stellte König Friedrich IV. eine Urkunde aus, nach welcher jährlich 2000 Thaler zur Besoldung von 4 Missionaren, und zur Unterhaltung der Schulen und anderer Missionsanstalten überwiesen wurden. Ziegenbalg beschränkte seine Wirksamkeit nicht bloß auf Trankebar; er wollte den Trost aller Heiden auch in das Innere des Landes bringen. So unternahm er mehrere Reisen, zuerst am 23. Juli 1708 nach Nagapateam, einer holländischen Kolonie an der Küste. Er knüpfte mit vielen Brahmanen und andern Heiden Gespräche an, in denen er sie von ihrem eitlen Glauben auf Jesum hinwies. Manche dieser Gespräche hat er uns aufbewahrt, und wir müssen seine Weisheit bewundern, wie er den Götzendienst bekämpft, und von seinem Glauben Rechenschaft gibt. Einst sammelte sich eine Menge Volks um den Sprechenden, und Ziegenbalg erwarb sich durch sein freundliches Benehmen und seine Reden so die Liebe der Heiden, daß sie ihm ihre Kinder zuführten, sie zu segnen. Damit die ersten Eindrücke nicht wieder verloren gingen, trat er mit ihnen in einen Briefwechsel. – Im folgenden Sommer drang er in das Königreich Tanjour ein, dessen König ein großer Feind der Christen war. Als seine Begleiter das Ziel ihrer Reise erfuhren, erschraken sie. Er aber sagte: „Ist Gott mit uns, so kann uns Niemand schaden!“ Indessen hat Jemand ein verzagtes Herz, so gehe er zurück!“ Niemand kehrte zurück. Als sie ins nächste Dorf kamen, kleidete sich Ziegenbalg nach Landessitte, mit einem weißen Gewande, Turban und rothen Pantoffeln. In der Stadt Perumulei traf er eine ansehnliche Versammlung von Heiden. Sie fragen ihn, woher er komme, und wohin er wolle. Er antwortete: „Ich bin ein Priester, und suche solche Leute, welche sich Gottes Wort verkündigen lassen wollen.“ „O, entgegneten die Heiden, so bist du gewiß der junge Priester von Trankebar, der auf Malabarisch predigen kann.“ Es fand sich, daß ein Bramine kürzlich seine Predigt in Trankebar gehört. Die Freude, Bekannte zu finden, wurde ihm bald getrübt. „Wir wundern uns sehr, sagte man ihm, daß Du dich so weit ins Land wagst; denn eine solche Reise kann dir große Gefahr bringen, und wir rathen Dir, als Freunde, umzukehren, sonst möchtest Du heute noch unglücklich werden.“ Auf seine Frage, wie man denn sogleich wissen könnte, daß er von Trankebar gekommen sei, antworteten sie: „Wenn eine Kuh von Trankebar ausgeht, und kommt in unser Land, so gibt Niemand darauf Acht; denn solche Kühe gehen haufenweis hier im Lande, und das ist nichts Neues; aber kommt ein Elephant von Trankebar in unser Land, das werden alle gewahr, und betrachten ihn als ein Wunderwerk, weil Elephanten bei uns etwas Neues sind. So auch, wenn ein einfacher Mann, einer von unseres Gleichen, von Trankebar komm, der wird nicht einmal gefragt, wo kommst Du her, und wo reisest Du hin? Denn er ist gleich uns, und gehört zu unserm Volke. Aber wenn Du von Trankebar kommst, ist es gleichsam, als wenn ein Elephant käme, weil Du ein weißer Priester bist, und allezeit von göttlichen Dingen redest. Deshalb kannst Du nicht verborgen b leiben.“ Als Ziegenbalg sagte, es müsse den Heiden doch eine große Freude seyn, mit ihm sich über die Seligkeit unterhalten zu können, antworteten sie: „Vernünftige und wissbegierige Leute würden es als eine Freude betrachten, täglich mit Dir reden zu können; aber deren gibt es nur wenige im Lande, und sie vermögen Dich nicht aus den Händen der Feinde zu retten.“ Er erkannte, daß die Zeit für Tanjour noch nicht gekommen sei, und kehrte um. Zu Anfang des Jahres 1710 ging er nach Madras, und im folgenden Jahre zum zweiten Mal. Er predigte, wo er nur immer Gelegenheit fand, Christum den Gekreuzigten. Darüber hätte er bald sein Leben einbüßen müssen. In Tirupodi nämlich feierten die Heiden ein großes Fest. Viel Volks kam da zusammen. Auch Ziegenbalg eilte dahin, um am Götzenfest Siege für seinen Herrn zu gewinnen. Seine Reden ließen an manchem Herzen einen Stachel zurück. Er hatte fünf Tage meist barfuß wandern müssen. Seine Füße waren geschwollen; er ging, von Müdigkeit überwältigt, in ein Haus, um zu schlafen. Die Brahmanen faßten den Entschluß, ihn im Schlafe zu ermorden. Schon waren sie im Begriff, Hand an den Schlummernden zu legen. Da erwachte sein Begleiter David, ein erwachsener Schulknabe. Er hatte die Worte der Brahmanen gehört, und weckte den theuern Lehrer. Da gingen die Mörder scheu davon.

Ziegenbalg wurde in Madras krank. Er erholte sich nur langsam. Während dieser Zeit fing er an, Theile des Alten Testaments ins Tamulische zu übersetzen. Als er wieder zurückgekehrt war, beschränkte er seine Thätigkeit über Trankebar hinaus meist auf den Briefwechsel, den er mit Heiden und Muhamedanern angefangen hatte. Er bekam manche bittere, aber auch erfreuliche Briefe. Hier stehe einer: „Den Lehrern der Wahrheit in Trankebar falle ich zu Füßen, und bringe mein Anliegen in Demuth vor. Da ich erfahren habe, daß Sie mit Weisheit und Verstand und Heiligkeit begabt sind, und alle Zeit nach dem Gebot Ihres Gottes leben, auch täglich die drei Feinde, die Welt, die Sünde und das Fleisch überwinden, und überall die Wahrheit Ihres Gottes auszubreiten suchen und um de Wahrheit willen leiden, und doch nicht müde werden, Gutes zu thun, und Jedermann zu Diensten zu seyn, so zweifle ich nicht, sondern glaube fest, daß Sie in der andern Welt die Herrlichkeit, Krone und Scepter des Thrones Gottes empfangen werden. Aber wie nun, wenn eine schöne Blume gepflückt wird, der Stiel, ja die am Stiele sitzenden Dornen mitpflückt, und desselben Glückes theilhaftig zu werden pflegen, so wünsche ich unnützer Stiel und Dornen mit Ihnen, der Sie eine wohlriechende Blume sind, zu der Herrlichkeit jener Welt erhoben zu werden, und bitte, daß Jesus Christus mir helfen wolle, daß ich täglich Ihr Angesicht sehen und Ihre Dienste verrichten, und allezeit das Gesetz, das Gott gegeben hat, hören kann. Da ist mein Wunsch und demüthiges Begehren.“

Im Jahre 1711 war Plütschau nach Europa zurückgekehrt. Unsern Ziegenbalg hielt das Elend der Heiden zurück, obgleich die fünf Jahre, auf welche er sich für die Mission verbindlich gemacht hatte, um waren. Er wollte ihnen sein ganzes Leben widmen, „um dereinst mit den Brüdern vor dem Thron des Lammes zu treten.“ Aber drei Jahre später machte er eine Reise nach der Heimath, weil sie ihm für die Mission nöthig erschien. Er durchzog Dänemark und Deutschland, und entzündete vieler Herzen für das Werk der Heidenbekehrung. Der Fürst von Württemberg ließ für dasselbe in seinem ganzen Lande eine Sammlung veranstalten. Selige Tage verlebte er in Halle mit seinem Freunde A. H. Francke. In Merseburg vermählte er sich mit Maria Dorothea Salzmann. Am 10. August 1716 landete er wieder in Madras. Während seiner Abwesenheit hatte Gründler neue Schulen in Madras und Kudelur gegründet. Am 9. Februar 1717 wurde der Grund zu einer größeren Kirche in Trankebar gelegt. Ziegenbalg predigte über 1. Kor. 3, 11. Am 11. und 12. Oktober wurde sie eingeweiht, und ebenfalls Neu-Jerusalem genannt. Im folgenden Jahre besichtigte er die neue Schule zu Kudelur. Unterwegs und dort selbst redete er das Wort vom Gottes- und Menschensohne mit solchem Erfolge, daß sich auf einmal sieben Familien zum Unterricht im Christenthume meldeten, und 58 Personen durch die h. Taufe der Kirche hinzugethan werden konnten.

Dies war aber auch einer der letzten Freuden, welcher der Herr seinem Knecht auf dieser Erde erleben ließ. Schon im Sommer 1718 fühlte Ziegenbalg heftige Magenschmerzen. Er arbeitete rastlos an der Uebersetzung des Alten Testaments. Am Neujahrstage 1719 predigte zum letzten Male in Neu-Jerusalem. Ein holländischer Arzt verordnete ihm die Stahlkur. Er wurde aber durch dieselbe so entkräftet, daß er die Nähe des Todes fühlte. Am 10. Februar übertrug er die Leitung des Missionswerks seinem Freunde Gründler. Nachdem er unter vielen Gebeten das h. Abendmahl genossen hatte, nach er in seinem Hause Abschied von seiner Gemeinde. Am 23. Februar verrichtete er mit seiner Frau die Morgenandacht. „Da dachte ich noch nicht, schreibt diese, daß dieser Tag sein Todestag werden sollte.“ Aber schon um neun Uhr zeigten sich die Vorboten des Todes. Da sagte einer der Anwesenden zum Sterbenden: „Der Heidenapostel Paulus begehrte abzuscheiden und bei Christo zu seyn.“ Ziegenbalg sagte mit schwacher Stimme: „O, recht gern! Er mache mich durch sein Blut rein von meinen Sünden, und mit Christi Gerechtigkeit bekleidet, lasse er mich von dieser Erde in sein Reich eingehn!“ Der Todeskampf trat an ihn heran. „Das ist der letzte Kampf! wurde ihm zugerufen, labt‘ muthig aus in Christi Kraft, und denke mit Paulo: ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jedem Tage geben wird!“ Der Sterbende sprach: „Ach, ja ich will mit Christo in diesem Kampfe aushalten, da ich eine so herrliche Krone empfangen möge!“ Kurz darauf seufzte er: „Ich kann fast nicht mehr sprechen; Gott lasse nur das, was ich gesprochen, in Segen seyn! Ich habe mich täglich dem Willen meines Gottes erbeten. Christus spricht: Vater, ich will, daß, wo ich bin, da soll mein Diener auch seyn!“ Als er das gesagt hatte, griff er nach einen Augen, und sprach: „Wie ists doch so hell! Es ist, als schiene mir die Sonne in die Augen.“ Aus seine Bitte wurde das Lied: „Jesus, meine Zuversicht“ gesungen und er in seinen Lehnstuhl gesetzt. Dann verschied er. Es war am 23. Februar 1719, Morgens gegen elf Uhr. Seine Gattin schreibt: „Mit welcher Geduld, Ruhe und vollkommener Ergebenheit in Gottes Willen er alle Schmerzen und seine ganze Krankheit trug, das wird meinem Herzen, so lange ich lebe, unvergeßlich seyn!“ Am folgenden Tage wurde er in Neu-Jerusalem neben dem Altar bestattet. Gründler hielt ihm die Leichenrede über Joh. 3, 29. 30: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam; der Freund aber des Bräutigams stehet, und höret ihm zu, und freuet sich hoch über des Bräutigams Stimme. Dieselbige meine Freude ist nun erfüllet. Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.“

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

 

Zinzendorf, Erdmuthe Dorothea Gräfin von Zinzendorf, geb. Gräfin Neuß.

(Geb. 7. Nov. 1700, gest. 19. Juni 1756.)

Erdmuth Dorothea, Gräfin Neuß, die Gemahlin des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf war eine der seltenen Frauen, welche den hohen Beruf ihres Gemahls, die Kirche Gottes auf Erden mit größter Selbstverläugnung bauen zu helfen, nicht bloß in seinem ganzen Umfange als einen gottgegebenen erkannte, und ihn darin unumgeschränkt gewähren ließ, nach Pauli Wort: „Die da Weiber haben, daß sie seyen, als hätten sie keine,“ sondern die auch sich selbst ihrem Gemahle zu einer Gehülfin in seinem Berufe mit einer Opferfreudigkeit und Ausdauer ihr ganzes Lebenlang hingab, daß sie mit Recht eine Säugamme der Brüderkirche, und eine Fürstin Gottes unter den Christen genannt wird. Nur durch eine solche Mitwirkung von ihrer Seite konnte er so Großes leisten, und ein solcher Vater für sein Brüdervolk werden, wie er selbst dankbarlichst bekannte.

Erdmuth Dorothea war eine Tochter des Grafen Neuß zu Ebersdorf, geboren am 7 November 1700. Von dem berühmten Hochmann von Hohenau, der einer ihrer Jugendlehrer war, schreibt sich ihr erster Eindruck von dem Verdienst Christi und dem hohen Werth seines Versöhnungs-Leidens her, welche Lehre sie hernach in der Brüdergemeine so stark unterstützt hat. Ihre Schwester, Gräfin Benigna, hatte großen Antheil an der ihr im Jahre 1720 widerfahrenen Begnadigung.

Bei dem Besuche ihres Bruders, im Jahr 1721, hatte Graf Zinzendorf sie kennen gelernt, und in ihr die für ihn passende Gehülfin erkannt. Da seine Verwandten mit dieser Wahl einverstanden waren, so erklärte er bei seiner Werbung um sie ihr sogleich mündlich, was für eine Gemahlin er suche und nöthig habe. Seine Absicht mit einer Gemahlin ginge eigentlich dahin, sowohl seinem jetzigen, als künftigen Vermögen, Unterthanen und Anstalten eine Hausmutter zu verschaffen, damit er für seine Person das Zeugniß Jesu, dem er bereits diene, freier und ungehinderter durch die Welt tragen könne. Wenn er durch einen künftigen Ehestand daran gehindert werden solle, so wolle er lieber ledig bleiben. Er machte darum auch seiner Braut sogleich mit seinem ganzen Vermögen ein Geschenk, und ersuchte sie, solches allemal zu obengenanntem Zweck zu verwenden, und wolle nicht über hundert Thlr. jährlich zu seinen Special-Bedürfnissen verlangen. Sie ging mit Freuden in seinen Plan ein, gestand ihrem künftigen Gemahl die volle Freiheit zu, seinem Herrn, ganz ungehindert von ihr, auch ohne die geringste Rücksicht auf sie, und künftige Familie, nach vollem Maße seines Erkenntnisses und innern Rufes zu dienen, und solchen Dienst in seiner Person so weit zu treiben, als es die Natur der Sache von Zeit zu Zeit erfordern würde.

Am 7. September 1822 erfolgte ihre Trauung. Ihre Ehe wurde mit 12 Kindern gesegnet, von denen jedoch nur 3 Töchter sie überlebt haben. Besonders vom Jahre 1727 an, wo Graf Zinzendorf seinen bleibenden Wohnsitz in Herrnhut nahm, wenn schon er sein Staats-Amt zu Dresden erst im Jahre 1732 förmlich niederlegte, übte sie das Amt der Hausmutter zum Dienst der armen mährischen Exulanten und aller ihrer andern Unterthanen, mit einer unvergleichlichen Gabe, nicht bloß in den ausgedehnten ökonomischen Angelegenheiten, sondern auch in der Seelenpflege unter ihrem Geschlecht, worin sie ihrem Gemahl eine treue und zuverlässige Mitarbeiterin war. So war sie eine der Gemeinhelferinnen und Seelenpflegerinnen der Frauen der Gemeinde; so hatten sie eine der kleinen Gesellschaften weiblicher Seelen, Banden genannt, welche zur Besprechung ihres Seelenzustandes von Zeit zu Zeit zusammenkamen, unter ihrer Aufsicht.

Alle ökonomischen Gehülfen standen unter ihr; denn ihr und ihres Mannes Vermögen war der vornehmste Fond für die Oekonomie. Sie war auch Herrschaft von Herrnhut, besonders seit der Graf seine Güter im Jahr 1732 förmlich durch einen Kaufact ihr übertragen, und ihr hatte huldigen lassen. Ihr Haus war die Haupt-Werkstatt der ganzen Gemeinde, eine Wohnung der vornehmsten Arbeiter, und ein Ruheplatz der vielen Pilger. Für viele Hunderte Menschen mußte sie fortwährend sorgen.

Während der vielen, langen Reisen ihres Gemahls blieb alle Arbeit der Leitung und Verwaltung der Gemeinde fast allein auf ihren Schultern, so daß sie dadurch oft in große Noth kam. So z. B. bereitete ihr, während der Reise des Grafen nach Kopenhagen, im Jahr 1731, die Ankunft vieler mährischen Exulanten zu Herrnhut, Mißwachs und Theurung große Verlegenheit. Sie erfuhr aber auch dabei, daß der Herr treu ist, und die Last, die er auflegt, selbst tragen hilft. Der Graf dankte dem Herrn dafür bei seiner Rückkehr von Herzen, und Beide verbanden sich auf’s Neue, sich zum Dienste des Heilands und seiner Gemeinde noch kindlicher, herzlicher und einfältiger herzugeben.

In einem Liede singt er davon also:

„Nun haben wir die Hände eingeschlagen,
Und halten sie Dir, treue Liebe hin.
Wir schwören Dir den unverrückten Sinn,
Wir wollen uns um Dich mit Freuden wagen;
Man soll an uns nichts hören, merken, sehn,
Als was in uns durch Deinen Trieb geschehn.
Hier hast Du uns, und unsre lieben Kinder,
Dir uns nur lieb sind, wenn sie Dir gefall’n;
Wir woll’n mit Mund und Herz und That erschall’n
Von unserm guten Herrn und Ueberwinder;
Wir und der Zeugen ganze Gnadenfluth,
Wir bringen Dir, nimm’s, unser Gut und Blut!

Im Februar 1736 reiste sie mit ihrem Gemahl und ihrer ältesten Tochter Benigna und 12 Mitarbeitern nach Holland und Friesland. Als sie auf der Rückreise nach Hessen-Kassel kamen, erhielten sie von Herrnhut eine Abschrift des Königlich-Sächsischen Rescriptus, wodurch dem Grafen der Aufenthalt in Sachsen verboten wurde. Da zur selben Zeit eine Regierungs-Commission von Dresden zur Untersuchung der Brüdergemeinde nach Herrnhut abgehen sollte, so eilte die Gräfin nach Herrnhut, um während der Verhandlungen der Commission gegenwärtig zu seyn, kam auch noch Einen Tag vor dem Eintreffen derselben an.

Dies Exil ihres Mannes beugte aber ihren Muth und ihre Freudigkeit für die Brüdergemeinde so wenig, wie bei ihm selbst. Sie erkannte vielmehr darin die gnädige Absicht ihres Gottes, durch das Exil ihres Mannes die Brüdergemeinde noch nach andern Ländern auszubreiten, wie es mit jener Verfolgung und Vertreibung der Apostel von Jerusalem Apgsch. 8 Statt hatte. Sie sang auf diese Begebenheit folgendes glaubensfreudige Lied:

1. Nun ist’s Zeit;
Völlig an das Licht zu gehn,
Denn der Herr macht offne Bahnen,
Und läßt uns ins Freie sehn.
Er steckt hie und da die Fahnen,
Machet Raum den Seinigen zum Streit;
Es geht weit.

2. Allemal
Wenn Er Seine Herrlichkeit
Auf besondre Art will zeigen,
Führet Er zur Niedrigkeit,
Und ein ganz besonders Beugen,
Die erfüllen soll’n der Zeugen Zahl

3. Allemal.
Und daß nun
Sie nichts mehr verhindern kann,
Recht in Kraft hervor zu brechen,
So erweitert Er den Plan,
Und führt sie auf weite Flächen,
Drauf sie können reiche Beute thun,
Eh’ sie ruhn.

4. Welch ein Loos
Haben wir in unserm Lauf!
Wir sind doch Herauserwählte,
Da kann man sich steifen drauf,
Und zu denen Mitgezählte,
Durch die Er sich, ob sie arm und bloß,
Machet groß.

5. O! man acht’t
Sich der Gnade ja nicht werth,
Daß man also wird erhöhet!
Man hält sich zu hoch geehrt;
Wer in diesem Sinne stehet,
Der will gern mit werden ausgelacht,
Und veracht’t.

6. Fahret fort,
Kehret euch an Niemand nicht!
Unser Aug’ bleibt an dem hangen,
Der auch Sein’s auf uns gericht’t.
Wir sind frei und doch gefangen;
Unsern Füßen leucht’t sein helles Wort
Immerfort.

7. Ei wie leicht
Trägt sich nicht die schöne Schmach
Unserer verwund’ten Liebe!
Und wie frisch geht man ihr nach!
Dahin gehen unsre Triebe.
Ist wohl was, das dieses übersteigt?
Und ihm gleich?

8. Wohl uns nun
Ueber diese Seligkeit!
Da wir so viel Luft bekommen,
Und die Wege sind bereit’t,
Auch viel Hindrung weggenommen,
Woll’n wir treulich das Befohlne thun,
Und nicht ruhn!

Statt daß die Gräfin nun, bei ihrem schwächlichen Körper, auf ihren Gütern zu Herrnhut geblieben wäre, wo sie auch für die Gemeinde viel Nutzen stiften konnte, zog sie vor, das vielerlei Ungemach und die Beschwerde des Exils mit ihrem Gatten zu theilen, so weit es irgend möglich war. So zog sie mit ihm und den Kindern auf die wüste Ronneburg in der Wetterau, und half da ihrem Manne an den vielen verkommenen Armen und Elenden, die dort wohnten, missionieren. Zugleich war sie der mütterliche Mittelpunkt der Pilgergemeinde, die sich um ihn herum sammelte, wo der Graf seinen Wohnsitz aufschlug. Hier waren die Brüder und Schwestern, die er im Dienst des Herrn aussandte; hierher kamen sie, wenn sie von den auswärtigen Stationen zurückkehrten. So füllten denn immer Schaaren von Pilgern das Haus, für deren Nothdurft sie nicht nur nach Vermögen, sondern auch über Vermögen sorgte. Sie wußte dabei Alles so weislich und sparsam einzurichten, daß mit Wenigem Viel geschah, und man pilgermäßig auskam. Wer von den Pilgern noch etwas eigenes hatte, der schaffte sich selbst seine Kleidung und andere geringere Bedürfnisse an; wer aber nichts hatte, dem wurde geholfen, so gut man konnte. Wer eine Gabe zum Dienen hatte, der wurde dazu gebraucht, nahm aber keinen Lohn. So war es auf der Brüder, und auch auf der Schwestern Seite.

Als der Graf in diesem Jahre nach Liefland reiste, in Folge vieler Einladungen von dort, blieb sie mit ihren Kindern und der Pilgergemeinde auf der Ronneburg. Allein die Landes-Herrschaft, der Graf von Ysenburg Wächtersbach, hatte sich von den Feinden der Brüder so gegen sie aufbringen lassen, daß er ihr plötzlich befahl, mit ihrer ganzen Pilgergemeinde die Ronneburg zu verlassen. Obgleich ihre jüngste Tochter in diesem Momente so krank lag, maß man alle Stunden ihr Scheiden erwartete, und obgleich sie noch kein Plätzchen zum künftigen Aufenthalte für sich und ihre Familie hatte, so machte sie sich doch am 11. Oktober mit den Ihrigen auf den Weg, nachdem sie vorher mit den bei ihr anwesenden Brüdern und Schwestern sich dem Heiland zu Füßen geworfen, und der Baron Friedrich von Wattewille, in einem herzlichen Gebet, wobei sich keines der Thränen enthalten konnte, nicht nur die abreisende Gesellschaft, sondern auch die auf der Ronneburg zurück bleibenden Seelen dem Herrn empfohlen hatte.

Sie selbst schreibt davon: „Mein Herz war sonderlich ganz zermalmt vor dem Heilande, um vieler Ursach wegen, und ich bat Ihn, daß er uns immer hinten nach sollte sehen lassen, und Ihm vorher danken, und daß Er auch die so viele und mancherlei Proben in- und äußerlich, die ich da erfahren, zu meinem wahren Nutzen und Seiner Verherrlichung möge gereichen lassen.“ Als die Schwestern, die sie bei sich hatte, zu Fuß nachfolgten, gingen die Mägdchen (auf der Ronneburg) unter vielem Weinen zur Begleitung mit, und versprachen dem Heiland treu zu bleiben. Sie kam dann nach Lindheim zu dem Baron von Schrautenbach, und wurde mit vieler Liebe aufgenommen, resolvierte aber, sich für die Zeit nach Frankfurt a. M. zu begeben, was am 15. Oktober erfolgte. Daselbst richtete sie sich mit ihrer Familie ein, doch sehr pilgermäßig. Wenige Tage darauf kamen viele Leute, und baten wieder um eine Versammlung. Sie schreibt davon: „Wir waren drei Stunden beisammen, und diskurrierten mit einander von dem ganzen Grunde der Seligkeit, und es war sehr herrlich und gesegnet. Am 27. hörten wir, daß sich einige schon darüber aufhielten, daß die Separatisten zum Theil bei uns aus- und eingingen. Herr Jesu, lehr’ mich wandeln in deiner Augen Licht!“

Uebrigens war die Gräfin mit ihrem ganzen Hause (denn die Brüder und Schwestern, die mit ihr auf der Ronneburg gewohnt, kamen auch mit nach Frankfurt) im Herrn vergnügt. Sie verbanden sich bei einem Liebesmahl allerseits mit einander, dem Heiland treulich anzuhangen und zu dienen, und in ungestörter Bruderliebe bei Ihm auszuhalten. Tiefes Leid fühlte ihr Mutterherz durch das frühe Sterben vieler Kinder. Ein Kind, Christian Ludwig, hatte sie schon im Mai d. J. auf der Ronneburg durch den Tod verloren, außerdem früher noch vier, Christian Ernst im J. 1724, Christian Friedrich im J. 1729, Johann Ernst im Mai 1732 und Theodora Caritas im Decbr. 1732.

In der letzteren Tochter, welche nur 2 Jahre und 2 Monate alt wurde, hatte sich außerordentlich früh eine kindliche Frömmigkeit mit geistiger Reife entwickelt, so daß sie ihren Aeltern große Freude machte. Sie sang sehr gerne geistliche Lieder selbst mit schweren Melodien, und Vater und Mutter mußten oft mit ihr singen. Mama fragte sie einmal: „Wo bist Du gewesen?“ „Bei dem Heiland und bei dem Papa!“ antwortete sie. Sie hatte den Vater im Gebete angetroffen. Wenn sie etwas versehen hatte, fiel sie gleich auf ihre Kniee, und bat es dem Heilande ab. Auch ihrem Papa, Mama, und Andern pflegte sie ihre Versehen abzubitten, ohne dazu angetrieben zu werden. Auch vergaß sie nicht in ihren kindlichen Gebeten die ihr bekannten Brüder und Schwestern. Als sie sich zu ihrer letzten Krankheit legte, sang sie auf dem Sterbebett:

„Mein Heiland, nimm mich ein zur Ruh,
Und mich in Dich recht füge!
Thu’ Du mir selbst die Sinne zu,
Und seh Du meine Wiege!“

Dies war damals der gewöhnliche Vers bei der Einsenkung der Kinder ins Grab.

Zu Ende des J. 1836 reiste die Gräfin mit ihrem Gemahl nach Marienborn und nach Holland, und als er von da nach London überschiffte, kehrte sie nach Frankfurt a. M. zurück.

Die ersten Monate des J. 1738 brachte sie mit ihm in Berlin zu, und als er die westindische Reise nach St. Thomas gegen Ende des Jahres unternahm, von wo sie wenig Hoffnung haben konnte, ihn wiederkommen zu sehen, da war sie so wenig betrübt, daß sie in ihrem Glaubensmuthe vielmehr das schöne Lied sang:

1. Willst Du nun Botschaft gehen?
Ist’s nun des Herren Wille;
So will ich in der Stille
Derweile zu Ihm flehn,
Daß, weil Er dich geheißen,
Nach Indien zu reisen,
Er alles laß’ geschehn,
Was Er dadurch erseh’n.

2. Ich bleibe dann zurück,
Und seh dir nach mit Beugung,
Doch auch mit Ueberzeugung
Von deinem Zeugenglück.
Hier soll Natur ersterben,
Und gehen in’s Verderben,
Weil ich in diesem Stück
Nur auf die Sache blick’. –

3. Ich gebe Dir die Hand,
Ich will des Heilands bleiben,
Und seine Sache treiben
In meinem schwachen Stand.
Du gehest dann dann schon weiter,
Und bist Sein Wegbereiter,
Durch Wasser und zu Land:
Sein Sinn ist Dir bekannt.

4. So ziehe denn nun hin
Mit tausendfachen Segen,
Auf den beschwerten Wegen!
Du siehst schon den Gewinn,
Den Du, beim Ueberlassen,
Wirst mit den Händen fassen.
Du weißt des Heilands Sinn,
Und hast Befehl von Ihm.

5. Der Herzog über’s Heer,
Der Hirte seiner Heerde,
Der König Seiner Erde,
Der Herrscher über’s Meer,
Leit’ dich durch Wind und Wellen,
Mit Deinen Reis’gesellen,
In Gnaden hin und her,
Als Seinen Wanderer.

6. Er stärk’ auch euren Muth!
Geht, schaut auf die Gefilde,
Und sehet, ob das Milde,
Das theure Gottesblut,
Die Saaten dort befeuchtet?
Ob’s Wundenlicht hell leuchtet?
Was sonst für Wunder thut,
Dies unschätzbare Blut.

7. Seht nach der schwarzen Schaar,
Ob die gewachsen worden?
Ob sie im Sünderorden?
Und seht ihr, daß es wahr;
So stärket auch die Brüder,
Die dort sind hin und wieder;
Seht ihr was in Gefahr,
So macht es ihnen klar!

8. Wenn alles ausgericht’t,
So kommet als die Tauben,
(Wie, s dann´allzeit geschicht,)
Zu euren Fenstern wieder,
Und sehet, wie die Glieder,
Die Zeit sich eingericht’t;
Gebt ihnen dann Bericht!

9. So wollen wir das Lamm
Mit Einem Munde loben,
Daß es so manche Proben,
So treu, so wundersam,
Hat helfen überstehen;
Wir wollen es erhöhen.
Es brenn’ dann Eine Flamm’
Vor unserm Bräutigam!“

Tags drauf sandte er ihr zur Antwort nachstehendes Lied, aus dem wir die hohe Verehrung ihrer großen Eigenschaften, die er ihr zollte, und die selige Geistes-Gemeinschaft, auch in der Opferfreudigkeit, ersehen, welche bei in dem Dienst ihres Heilandes zeigten.

1. Das ist Dein Gesinde,
Du geschlacht’tes Lamm!
Sende doch geschwinde
Deines Herzens Flamm’,
Und entzünd’ uns beide,
Die Du in der Welt
Sich zu Leid und Freude
Hattest zugesellt!

2. Deine Wegen gehen
Wir schon sechszehn Jahr,
Lamm!, und wir verstehen
Dich nun ziemlich gar.
Ich bin ganz zufrieden;
Meine Schwester auch,
Wie Du nun beschieden,
Reich zum Brauch.

3. O Du Herzenskönig!
Was machst Du das Jahr?
Itzo geht’s ein wenig,
Wie’s vor Alter war,
Wenn die Patriarchen
Deinen Sinn bedacht,
Und bei Deinen Archen
Heiliglich gewacht.

4. Meine Ehgenossin,
Der Dein heiliges Blut
Längst ins Herz geflossen,
Fühlt den Zeugenmuth.
Du willst, daß ihr Bruder,
Der ihr lieb und werth,
Weg vom Kirchenruder,
In die Inseln fährt.

5. Und das größte Wunder,
Bei der Sache ist,
Daß der Liebeszunder,
Mehr entglommen ist,
Als er, weil wir leben
Jemals noch gewes’t,
Und uns gern drein geben,
Wie Du alles drehst.

6. Ueber dieses bleibet’s
Beim Ergeben nicht;
Denn die Gnade treibet’s
In ein höher Licht.
Meine Hochgeliebte
Mitmagd, Schwester, Frau,
Die so manches übte
In der Wetterau; – –

7. Ist bei meiner Reise
Noch dazu erfreut,
Und auf eine Weise,
Fertig und bereit,
Mir mein Glück zu gönnen,
An der Kreuzes Fahn’
Daß ich sie kaum kennen
Und begreifen kann.

8. Meine Herzensschwester!
Du bist wirklich so,
Wie die Fürstin Esther,
Deines Stand’s recht froh.
Unter Centnerlasten
Stehst Du aufgericht’t,
Als wenn sie dir paßten;
Ja, sie drücken nicht. – –

9. Einen Blick der Freude,
Und der Innigkeit,
Sah man, wenn wir beide
Eine kurze Zeit
Von einander waren,
Und uns wieder sahn,
In den sechzehn Jahren
Dir beständig an. – –

Während Graf Zinzendorf in Westindien ist, hält sie sich in Marienborn auf, wo sie mehrere Jahre bleibt. Im Jahr 1741 reist sie mit ihm und der Pilgergemeinde nach Genf. Im Jahr 1742, während er die zweite Reise nach Amerika macht, in Begleitung der ältesten Tochter Benigna, wird sie vom Zeugengeist so mächtig ergriffen, , daß sie im Interesse der Gemeinde größere Reisen, nicht bloß Reisen nach Ebersdorf, Herrnhut und Berlin macht, sondern auch nach Dänemark und nach Liefland, theils um Vorurtheile und Beschuldigungen, gegen die dortigen Brüder zu widerlegen, theils um diese unter den Anfeindungen von außen zu stärken.

Auf dem Schloß Hirschholm bei Kopenhagen erhielt sie auf der ersten Reise eine Privat-Audienz bei der Königin von Dänemark.

Auf der letzteren Reise machte sie in Liefland, wo die vielfach gedrückten Brüder sie mit Sehnsucht erwartet hatten, große Freude. Schon vor ihrer Abreise von Herrnhut erhielt sie die Nachricht, daß ihr jüngster 4jähriger Sohn David zu Marienborn heimgegangen sei, und in Liefland wurde ihr der unterdeß erfolgte Heimgang ihrer zu Herrnhut zurückgebliebenen 5lährigen Tochter, Johanna Salome, gemeldet. Wegen der bedenklichen Lage der Brüder in Liefland und der Anschwärzung derselben bei der Regierung reiste sie nach Petersburg, um eine Audienz bei der Kaiserin zu erhalten. Man erwies ihre große Höflichkeiten von Seiten des Kanzlers Bestuchev und Andrer, ließ sie aber nicht zur Audienz bei der Kaiserin kommen. So verließ sie Petersburg wieder. Kaum aber hatte sie die russische Grenze passiert, so erreichte sie ein Kaiserlicher Eilbote, der sie zu bereden versuchte, wieder zurückzukehren: „Die Kaisersinn wolle sie sehen.“ Sie hatte aber nun schon 100 Meilen zurückgelegt, und ihr Scharfblick sah bei dieser Einladung so viele Bedenken, daß sie sich entschuldigte, und entschlossen weiter nach der Heimath reiste. Sie war wirklich als eine Stifterin der neuen Secte und der liefländischen Unruhen angegeben, und da hätte die in Aussicht gestellte Untersuchung ihr übel genommen werden können. – Bis zum Jahr 1745 behielt sie die Oberaufsicht über die ganze Oekonomie der Brüder, wo ihre zunehmende körperliche Schwachheit sie nöthigte, diese Last abzugeben, was ihr Gemahl auf tiefste bedauerte, und was freilich auch nicht zum zeitlichen Vortheil der Brüder diente. In den Jahren 1745 und 1746 reiste sie mit ihm nach Holland. Im Jahr 1748 wohnt sie im Herrnhaag, während er in England ist. Im Jahr 1750 reist sie zu ihm nach England, ebenso im Jahr 1752, als ihr die tödtliche Krankheit ihres dort bei dem Vater verweilenden einzigen Sohnes, Christian Renatus, gemeldet wird. Sie findet ihn nicht mehr lebend, was ihr Mutterherz auf’s allertiefste verwundet. Denn er war der einzige Sohn, der zu reifen Jahren gekommen war, eine tiefe Herzensfrömmigkeit besaß, und darum von Vater und Mutter auf’s zärtlichste geliebt wurde. Er war nicht bloß ein treuer Vorsteher der lebendigen Brüderchöre, sondern auch dem Vater ein sehr thätiger Gehülfe in der Correspondenz und anderen Amts-Geschäften.

Sie hatte ihre 3 erwachsenen Töchter Benigna, Marie Agnes und Elisabeth schon frühe zu Gehilfinnen bei den lebendigen Mädchen-Chören der Gemeinde heran gebildet, weil sie nichts Seligeres und Heiligeres kannte, als sich mit all ihren Kindern in den Dienst des Herrn zu stellen.

Seit dem Tode ihres Sohnes zog sie sich, so viel zu konnte, in die Stille zurück. Auch ihre Kräfte nahmen in diesen Jahren merklich ab. Anfangs Juni 1756 wohnte sie noch den ersten Sitzungen der in Berthelsdorf eröffneten General-Synode bei, entschlief aber darauf am 19. in Folge der überhand nehmenden Schwäche sanft und selig, ohne besondere vorhergegangene Krankheit, in ihrem 53. Lebensjahre. Die Gemeine in Herrnhut weinte der Seligen mit dem Grafen und den zur Synode versammelten Arbeitern unzählige Thränen der Liebe und des Schmerzes nach. Am 25. Juni wurde die entseelte Hülle dieser Magd des Herrn, bei einem feierlichen Leichenbegräbniß, unter zahlreicher Begleitung, auf dem Gottesacker der Herrnhutischen Gemeinde zur Erde bestattet.

Der Graf verfertigte ihr folgende Grabschrift:

Hier liegt
seit dem 25. Juni 1756
vor eine bestimmte Weile
der Leichnam der Gräfin
Erdmuth Dorothea
von Zinzendorf und Pottendorf,
gebornen Gräfin Reuß,
einer Fürstin Gottes unter uns,
und der Säugamme
der Brüder-Kirche im 18. Seculo.
Das Blut Jesu Christi hat ihn versöhnt,
Sein Geist hat ihn bewohnt,
und das Korn seines Leichnams
verklärt ihn.
Denn er selbst ist die Auferstehung.
Das Leben war auch todt.
Sie war geboren den 7. November
1700
und entschlief den 19. Juni
1756.

Was den Werth und Charakter seiner treuen Gehülfin betrifft, so hatte der Graf schon während ihrer Lebzeit in mehreren Liedern davon gerühmt. Außerdem ist noch die Erklärung merkwürdig, welche er darüber im Jahr 1757 in den naturellen Reflexionen gibt:

„Ich habe 25 Jahre aus Erfahrung gelernt, daß die Gehülfin, die ich habe, die einzige gewesen, die von allen Ecken und Enden her in meinen Beruf paßt. Wer hätte sich in meiner Familie so durchgebracht? Wer hätte vor der Welt so unanstößig gelebt. Wer hätte mir in Ablehnung der trockenen Moral so klug assistiert? Wer hätte den Pharisäismus, der sich alle diese Jahre hindurch immer herbei gemacht, so gründlich gekannt? wer hätte die Irrgeister, die sich von Zeit zu Zeit so gerne mit uns vermengt hätten, so tief eingesehen? Wer hätte meine ganze Oekonomie so viele Jahre so wirthschaftlich und so reichlich geführt, wie es die Umstände erfordert? Wer hätte mir den Detail des Hauswesens so ungern und doch so noble gelebt? Wer hätte so à propos niedrig und hoch seyn können? Wer hätte bald eine Dienerin, bald eine Herrin repräsentiert, ohne weder eine besondere Geistlichkeit zu affektieren, noch zu mundanisieren? Wer hätte in einer Gemeine, wo sich alle Stände beeifern, einander gleich zu werden, aus weisen und realen Ursachen, eine gewisse Distinction von außen und innen zu maintenieren gewußt? Wer hätte zu Land und See solche erstaunliche Mitpilgerschaften übernommen und souteniert? Wer hätte die Welt so à propos zu ehren und zu verachten gewußt? Wer hätte, unter so mancherlei fast erdrückenden Gemeinumständen, sein Haupt immer emporgehalten und mich unterstützt? Wer endlich unter allen Menschen hätte ereignenden Falls ein wahreres, ein plausibleres, ein überzeugenders Zeugniß von meinem innern und äußern Privatwesen ablegen können, als eine Person von ihrer Capacität, von ihrer Noblesse, zu denken, und von ihrer Unvermengtheit mit allen den theologischen Vorgängen, in die ich verwickelt worden?“

Spangenberg gibt noch folgende treffende Schilderung von der Gräfin:

„Die selige Frau Gräfin, deren Charakter mir nicht nur durch Zeugnisse vieler Andern, sondern auch aus eigener Erfahrung bekannt worden ist, hatte an Gnade und Gabe etwas Ungemeines, und ihre lobenswürdigen Eigenschaften bleiben bei Allen, die sie kennen gelernt haben, unvergessen. Sie stammte aus einer Familie, die Gottes Wort in Ehren hielt, und bei der die Kinder und Diener Jesu, wenn sie auch sonst mit Schmach bedeckt waren, lieb und werth gehalten wurden. Sie war in der heiligen Schrift sehr geübt, und hatte die Gotteswahrheiten, worauf sich unser Glaube und Wandel gründet, in einem trefflichen Zusammenhang inne. In andern Wissenschaften war sie nicht unbekannt. Dem Leibe nach war sie schwächlich; aber an Gemüth und Verstand stark und doch dabei von kindlicher Einfalt. Ihre Denkweise war gründlich und zugleich sehr lebhaft. So abgemessen ihre Reden und ihre schriftlichen Ausdrücke waren, so eindrücklich und begnadigt waren sie. Im Umgang distinguierte sie sich, und war doch herablassend gegen Jedermann. Sie war in schweren Umständen muthig und getrost, und im Rathgeben besonders glücklich. In kleineren Ausgaben war sie sehr sparsam und wirthschaftlich; wenn es aber die Sache des Heilandes erforderte, so war sie willig und bereit, nicht nur nach Vermögen, sondern über ihr Vermögen zu thun. Sie wußte das Vergangene mit dem Gegenwärtigen weislich zusammen zu halten, und daraus Schlüsse aufs Künftige zu machen, die gemeiniglich pünktlich eintrafen. Kurz: sie war eine Fürstin Gottes unter ihrem Volk, in einem patriarchalischen Sinn, da sie in der That eine gesegnete Dienerin desselben war; gegen die Elenden und Nothleidenden mitleidig und mütterlich, und um das Kleinste, wie um das Größte besorgt; daher man sie auch nur die Mama nannte; doch ihre Bedienten und Unterthanen blieben in gehörigem Respect gegen sie. Das Köstlichste von Allem, das von ihr gesagt werden kann, war, daß ihr Herz mit einer sehr zärtlichen Liebe am Heiland hing, mit dem sie in einem kindvertraulichen Umgang ihre liebsten Stunden zubrachte. – Es heißt von vielen Menschen: Man weiß nicht, was man an ihnen hat, so lange sie da sind; wenn sie aber nicht mehr da sind, so siehet man es erst. So war es nicht in Absicht auf die selige Frau Gräfin. Man wußte, was man an ihr hatte; sie war erkannt, geliebt und geehrt. – Die Güte, Treue und Weisheit des Herrn hat sich in Absicht auf unsern Grafen sonderlich darin geoffenbart, daß Er ihm diese Gemahlin gegeben. Sie war ihm zur Erreichung des Endzwecks, den der Heiland mit ihm hatte, schlechterdings, nach unsrer Denkart, unentbehrlich, und ihm war am besten bewußt, was er seit 34 Jahren an ihr gehabt hatte. –

Man kann es bei manchen Ehen als eine Schönheit ansehen, wenn der Mann so viel Vorzügliches vor seiner Frau hat, daß sie sich, ohne über die Dinge selbst viel zu denken, von ihm so kann leiten und führen lassen, als ob er ihr Vater wäre. So war es aber nicht mit unserm Grafen und seiner Gemahlin. Sie war nicht dazu gemacht, eine Copie zu seyn, sondern war ein Original; und ob sie gleich ihren Gemahl von Herzen liebte und ehrte, so dachte sie doch selbst über alle Dinge mit so viel Verstand, daß er sie in dem Theil mehr als Schwester und Freundin anzusehen hatten. Er that es wirklich, und das war auch eine Schönheit von einer andern Art. Sie nahm ihrem Gemahl nicht nur die Last der Besorgung der ökonomischen und herrschaftlichen Geschäfte ab; sondern war ihm auch eine treue, weise und gesegnete Gehülfin in den Dingen, welche er als Objecte seines eigentlichen Berufes angab. Der Heiland war mit ihr, und bekannte sich zu ihr, wenn sie als Helferin der Gemeine etwas in die Hände nahm. Sie hatte ein offenes Ohr für Alles, was Rath und Trost brauchte. Zuweilen machte sie sich schwere Stunden durch unnöthige Verlegenheit; welches sie hernach, wen sich die Wolken verzogen, und sie die Sache im rechten Licht sah, selbst erkannte, und darüber beschämt war. Gegen ihre Kinder bewies sie sich als eine zärtliche, sorgfältige, verständige und unermüdet treue Mutter. Von 12 Kindern, 6 Söhnen und 6 Töchtern, haben sie nur 3 Töchter überlebt. Ihren Sohn Christian Renatus konnte sie nicht vergessen, und hatte von der Zeit seines Todes an nicht viel Neigung mehr, sich mit Geschäften abzugeben, sondern war, wie ein Müdes, das sich nach der Ruhe sehnt. Aus ihren Liedern, die zum Theil gedruckt sind, sieht man deutlich, daß unser Herr Jesus Christus und Sein für uns zur Vergebung der Sünde vergossenes Blut der alleinige Grund war, worauf sie als eine arme Sünderin sich gründete. Sie hatte dieses nicht nur im Kopfe, sondern auch im Herzen, und daraus floß ihr Bestreben, dem Heiland zu dienen, und sein Herz zu erfreuen. Sie lebt nun in ungestörtem und vollkommensten Genuß dessen, was ihr derselbe durch Sein Leiden und Sterben erworben hat.“ eine seltene köstliche Mischung in ihrem Charakter dürfen wir zum Schluß nicht unerwähnt lassen, den heldenmüthigen Zeugen-Geist, der sie zu weiten, beschwerlichen Reisen trieb, um Seelen für das Lamm werben zu helfen, und das innigste, zarteste Gemeinschafts-Leben mit ihrem geliebten Seelen-Bräutigam in seligster Stille.

Der erstere Geist spricht sich aus in dem kleinen folgenden Liede, wo man eine Debora, die Mutter in Israel, glaubt mächtig in die Saiten greifen zu hören, aufrufend zu heiligem Streit:

1. Wasser brause, das die Welt umgeht!
Odem sause, der die Welt durchweht!
Gottes ganze Dienerschaft,
Auf! und alle eure Kraft
Aufgeboten, daß ihr Ihn erhöht!

2. Das ist Klarheit, was sich offenbart;
Das ist Wahrheit, was den Grund bewahrt;
Das ist Einfalt, welch ein Wort!
Das ist rechter Zeit und Ort,
So ist’s, wie es soll in seiner Art.

3. Herrnhut, weißt du, Schein vom Morgenstern!
Warum heißt eine Hut des Herrn? –
Daß in dir bei Tag und Nacht
Werde unserm Herrn gewacht;
Und Gottlob! wir rühren uns ihm gern.

4. Weiser Meister, fördre unsern Lauf!
Deine Geister freun sich alle drauf,
Die Dich ohne Aufenthalt
Loben, göttliche Gestalt!
Die Register zeuch du selber auf!

Der kindlich-selige Geist der Gemeinschaft mit ihrem Heilande tönt aus folgendem Liede:

1. Ach, mein Herr Jesu! dein Naheseyn
Bringt großen Frieden in’s Herz hinein,
Und dein Gnadenanblick
Macht uns so selig,
Daß auch’s Gebeine darüber fröhlich
Und dankbar wird.

2. Wir sehn dein freundliches Angesicht,
Voll Huld und Gnade, wohl leiblich nicht;
Aber unsre Seele
Kann’s schon gewahren;
Du kannst dich fühlbar g’nug offenbaren,
Auch ungesehen.

3. O, wer nur immer bei Tag und Nacht
Dein zu genießen recht wär‘ bedacht:
Der hätt‘ ohn Ende
Von Glück zu sagen,
Und Leib und Seele müßt‘ immer fragen:
Wer ist wie du?

4. Barmherzig, gnädig, geduldig seyn,
Uns täglich reichlich die Schuld verzeihn,
Heilen, stillen, trösten,
Erfreun und segnen,
Und unsrer Seele als Freund begegnen,
Ist deine Lust.

5. Ach gib an deinem kostbaren Heil
Uns alle Tage vollkomm’nern Theil,
Und laß unsre Seele
Sich immer schicken,
Aus Noth und Liebe nach dir zu blicken
Ohn Unterlaß!

6. Und wenn wir weinen, so tröst‘ uns bald
Mit deiner Gnad‘ und Friedensgewalt;
Laß dein Bild uns immer vor Augen schweben,
Und ein wahrhaftiges In-uns-leben
Zu sehen seyn!

7. Ein herzlich Wesen und Kindlichkeit
Sei unsre Zierde zu aller Zeit,
Und die Tröstung
aus deinen heiligen Wunden
Erhalt‘ uns Frieden zu allen Stunden
Bei Freud‘ und Leid!

8. So werden wir bis in Himmel hinein
In dir vergnügt wie die Kinder seyn.
Muß gleich unser Auge
Sich manchmal netzen, –
Wenn sich das Herz nur an dir ergötzen
Und stillen kann!

9. Du reich’st uns deine durchgrab’ne Hand
Die so viel Treue an uns gewandt,
Daß wir bei’m Gedächtniß
Beschämt dastehen,
Und unser Auge muß übergehen
Vor Lob und Dank.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

Nikolaus von Zinzendorf

Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Reichsgraf und Herr von Zinzendorf und Pottendorf

Erneuerer der alten Böhmisch-Mährischen Brüderkirche.

(Geb. den 26. Mai 1700, gest. den 9. Mai 1760.)

Die Familie Zinzendorf, seit den Kreuzzügen rühmlich in der Geschichte Oestreichs bekannt, hatte um ihres Glaubens willen Güter und Ehrenstellen verlassen, um in evangelischen Landen frei nach ihrem Bekenntnisse zu leben. Ansehen vor der Welt und Herzensfrömmigkeit walteten seit langer Zeit in dieser Familie. Georg Ludwig, sächsischer Minister zu Dresden, ein Mann von gediegenem Charakter und aufrichtiger Frömmigkeit, ehelichte 1699 Charlotte Justine, Freiinn von Gersdorf. Den Neuverbundenen wünschte ihr Hausfreund Spener, „daß es ihnen gelingen möge, die etwa geschenkten Kinderlein dem Herrn wieder zu schenken.“ Am 26. Mai 1700 erhielten sie ein Söhnlein, unsern Nikolaus Ludwig. Die Mutter schrieb den Tag der Geburt nach alter Sitte in ihre Hausbibel, darunter die Worte: „Der barmherzige Gott regiere dieses Kindes Herz, daß es in den Wegen der Tugend unsträflich einhergehe! Er lasse kein Unrecht über den Knaben herrschen, und seinen Gang gewiß seyn in seinem Worte, so wird es ihm an keinem Guten fehlen, hier zeitlich und dort ewiglich!“ Als da Kind zur Taufe gebracht werden sollte, da baten die Aeltern auch den frommen Spener zur Pathenschaft, auf daß sein Vorbild und Gebet den jungen Grafen zum Guten reize. Schon 6 Wochen nach diesem frohen Ereigniß mußte man das Kindlein ans Sterbebett des noch in voller Manneskraft stehenden Vaters tragen, damit er es segne. „Ich soll dich segnen, mein Sohn? Spricht der sterbende Vater, und du bist jetzt schon seliger, als ich, ob ich gleich bereits vor dem Throne Jesu stehe.“ Segens-Wünsche strömten reichlich von seinem erblassenden Munde, derer die Umstehenden nimmer vergessen konnten. Da war auf die kurze selige Freude der Aeltern gar bald bittere Trauer gefolgt. Die junge Witwe zog nun mit ihrem Säugling aus dem geräuschvollen Dresden auf da stille, abgelegene Landgut Groß-Hennersdorf zu ihren Aeltern. Das Kind schien jetzt recht übel daran zu seyn. Doch Gott ist ja der Witwen und Waisen Vater. Was uns zuerst dünkt Traurigkeit zu seyn, wird hernach eitel Freude. Statt des geräuschvollen, versuchlichen Dresdens stellte Gott die Wiege des Kindes auf stillem Lande in das gar fromme Gaus der Großeltern, wo der Geist Spener’s Franke’s, Canstein’s und andrer Gottes Gottes-Männer, die dort aus- und eingingen, wehte. Die Mutter verheirathete sich nach einiger Zeit wieder; das Kind aber blieb in Hennersdorf. Die Großmutter und Tante Henriette, wozu noch ein treuer Lehrer, Edeling, angenommen wurde, leiteten die Erziehung. Die glaubenssinnige Tante machte es sich zur schönen Pflicht, des Morgens und Abends mit dem Kinde zu beten, und gewann so sein Vertrauen, daß es sein Herz frei von ihr ausschüttete, und ihr sein Gutes, wie Böses, offen bekannte. Es trugen dann gemeinschaftlich in innigem Gebet da H dem Heiland hin. Auch Edeling, ein gottesfürchtiger Lehrer, suchte seinem Zögling nicht todtes Wissen aufzuzwingen, sondern trachtete vor Allem darnach, sein Herz für die Wunder Gottes in der Natur, besonders aber für die Lieblichkeit des Evangeliums zu öffnen. Was die Kirche Christi Heiliges und Schönes hat an Lied und Predigt, an Sakrament und andern Gnadenmitteln, das legte er dem Kinde an’s Herz. Die an Herz und Geist tief gebildete, ehrwürdige Großmutter blieb die Hauptperson in Führung des Mutteramtes. Sie suchte Leib und Seele des Kindes treulich vor Schaden zu bewahren, und da ihr Wandel mit dem, was sie vom Heiland und seiner Nachfolge sagte, übereinstimmt, so schaffte ihm ihr Beispiel nicht weniger Frucht, als ihr herzlicher Unterricht. Unter der treuen Pflege so trefflicher Erzieher ward durch Gottes Gnade Zinzendorf das fromme Kind, welches Thränen der tiefsten Rührung bei der Schilderung vom Leiden und Sterben des Herrn vergoß, kaum sechs Jahre alt, in vertrautem Umgang mit seinem Heiland stand. Voll kindlicher Einfalt schreibt er Briefe an den Heiland, wirft sie zum Fenster hinaus, in der Ueberzeugung, der Heiland werde sie schon finden, und wenn er ihn nur Einmal höre, so werde es genug seyn, daß er auf seine ganze Lebenszeit sein wäre. Mit seiner Umgebung hält er Betstunden. So treffen ihn einst schwedische Soldaten, die 1706 ganz Sachsen plündernd durchzogen, und auch ins Schloß zu Hennersdorf eindrangen. Der kleine beredte Prediger unter der andächtigen Kinder-Versammlung macht einen solchen Eindruck auf die wilden Kriegsleute, daß sie fast den Zweck ihres Kommens vergessen. Die Hausandachten, welche die fromme Großmutter mit ihrem Gesinde hält, versäumt er nie; und als er einst den schönen Vers: „Unser lieber Vater du bist, weil Christus unser Bruder ist,“ verschlafen hat, weint er bitterlich. Auf die alten Kirchenlieder, zumal Weihnachts- und Osterlieder, freut er sich Viertel-Jahre voraus, wann diese würden gesungen werden. Denn Gesang und Predigt an heiliger Stätte erfüllten ihn mit tiefer Ehrfurcht. Wie das Geheimnis des heiligen Abendmals wunderbar auf sein junges Gemüth wirkt, darüber sagt er uns selbst: „Wenn ich vom Abendmahle reden höre, hat mir das Herz gehüpft. Einem Jeden, den ich hatte zu Gottes Tische gehen sehen, konnte ich nicht anders als sehr ehrerbietig begegnen, weil die Worte: „Der den Himmel kann verwalten, will jetzt Herberg bei dir halten;“ mir so zu Herzen gingen, daß ich wahrhaftig glaubte, es habe sich durch den Leib Christi eines solchen Menschen Gebein zu Einem Geist mit Gott vereint.“ Die Bibel war sein liebstes Buch, nächst ihr der kleine Catechismus Luthers, der ihm unter dem besonderen Einflusse des heiligen Geistes verfaßt schien. Seine kindliche Herzensfrömmigkeit äußerte sich auch in seinem ganzen Handeln. Alle, die ihm einen Dienst erwiesen, und ihm wohlwollten, liebte er herzlich. Seine Mutter, die er in seiner Kindheit selten sah, machte durch ihr ernstes, würdiges Wesen einen heiligen Eindruck auf ihn, der ihm stets geblieben ist. Die Erinnerung an seinen Vater, von dessen herzlicher Liebe zur Marter-Person des Heilandes ihm seine Mutter erzählte, entflammte zuerst den heiligen Entschluß in ihm, sich innig und auf ewig mit dem Heiland zu verbinden, so daß er erklärte, wenn der liebe Herr auch von sonst Niemand geachtet werden sollte, so wolle er doch mit ihm vereint leben und sterben. Hierüber äußert er sich später in einem Liede:

Ich war ein Zinzendorf; die sind nicht lebenswerth,
Wenn sie ihr Leben nicht zu rechten Sachen brauchen.
Drum hat die Sorge mich beinahe ganz verzehrt,
Zu früh und ohne Nutz der Erden auszurauchen.
Nun heiß‘ ich gar ein Christ; verdoppeltes Gesetz!
Die Christen dürfen nicht verbrennen, ohne Leuchten.
Der Glaube, der nichts thut, ist ein verdammt Geschwätz,
Und muß Vernünftigen sehr unvernünftig däuchten.

Dieser tiefe Eindruck vom Leiden und Verdienst Christi, und der feste Vorsatz, dem Herrn lediglich zu leben, fingen so in seiner Kindheit an, wuchsen mit ihm fort, und setzten sich in ihm immer fester. Doch fehlte noch gar viel, ehe das fromme Kind ein tüchtiger Streiter für das Reich Gottes wurde. Er hatte, wie jeder Mensch, Fleisch und Blut an sich, wogegen er zu kämpfen hatte. Früh schon tauchten in ihm Zweifel über seinen Glauben auf. Ja, er erzählt uns selbst, wie er in einer Nacht, nachdem die Großmutter vorher ein frommes Lied gesungen hatte, in solch schwere Anfechtungen gefallen sey, daß es ihm gewesen wäre, wie am Abgrunde des größten Unglaubens zu stehen. Nur der feste Entschluß, unter allen Umständen am Herrn zu hangen, gäbe es selbst noch einen andern Gott, hätte ihn gewappnet und gestärkt gegen die Anläufe des bösen Feindes. Auch zog er aus dieser bestandnen Versuchung den großen Vortheil für sein späteres Leben, daß alles, was er später von Zweifeln Ungläubiger las und hörte, ihm nur sehr leicht und schwach erschien gegen das, was er selbst darin erfahren.

Schul- und Universitäts-Leben in Halle und Wittenberg. Jugendreisen nach Holland und Frankreich.

im elften Jahre schickte ihn die Großmutter auf das Pädagogium zu Halle; denn dort wußte sie ihren Enkel unter der Aufsicht und Lehre des frommen Francke gut aufgehoben. Zinzendorf hatte schöne Fähigkeiten und gute Kenntnisse; sein frommes Herz war aber der größte Schatz. Doch nebenbei hatte sich gar viel Eitelkeit, Eigensinn und Hochmuth eingeschlichen, welche, wie Unkraut, die gute Saat zu überwuchern drohten. Es war eben Zeit, daß der lebhafte, geistreiche Knabe aus zarter Frauen Hand unter die strenge Zucht würdiger Männer kam. Das fühlte die verständige Großmutter. Darum bat sie nicht etwa die Lehrer, man möge das zarte Kind recht schonen, und schön mit ihm thun, nach andrer thörichter Mütter Weise, sondern sie schilderte den Knaben als einen geschickten, fähigen, jungen Herrn, den man aber kurz halten müsse, damit er nicht hochmüthig werde, und sich auf seine Gaben etwas einbilde. Dieser Rath wurde getreu befolgt. Da kam denn eine recht schwere Prüfungszeit über Zinzendorf, wobei es sich zeigen sollte, ob sein kindlicher Glaube wahr und lauter, oder nur Schein wäre. Ihm wurden viele Demüthigungen zu Theil; er wurde in den Klassen zurückgesetzt, hart und beschämend bestraft, sein Stand und bisherige Erziehung gar nicht beachtet, so daß ihn auch seine Mitschüler geringschätzten, und gar als Pietisten verspotteten und haßten. Dazu war er sehr kränklich, und ein untreuer Hofmeister behandelte den Knaben hart, und verklagte ihn unbillig bei den Aeltern, wobei Zinzendorf nie zu seinem Rechte kam, weil die Aeltern stets dem Lehrer Recht gaben. So sehr ihn viele Schüler haßten, suchten sie doch den Unschuldigen zu allerhand schweren, geheimen Sünden zu verführen. Aber sein Glaube war kein gemachtes, überspanntes Wesen; sondern ein Herzensglaube, dessen Gold durch diese Prüfungen von den Schlacken gereinigt werden sollte. Er verzweifelte deswegen nicht, sondern dachte: Hat dein Heiland so viel für dich gelitten, so kannst du wohl auch etwas um seines Namens willen leiden. Den Versuchungen zu den Lüsten der Jugend entging er durch die Gnadenzucht, unter der er stand. Statt selbst von den Banden der Sünde umstrickt zu werden, suchte er, von der ersten feurigen Liebe zum Herrn getrieben, Andre von den Stricken des Satans los zu machen. Er sammelte sich ein kleines Häuflein, mit denen er auf abgelegten Böden Betstunden hielt. „Wir baten den Herrn, erzählt er, um Alles, was wir brauchten, insofern, daß er uns so machen solle, wie er uns gern haben wolle.“ Zinzendorf war nun Seelsorger der kleinen Gemeinde; das war eine Herzenslust für ihn. Denn sein innigster Wunsch von frühester Jugend an war immer gewesen, einst ein Prediger zu werden. Doch hatte er auch dabei große Sorge, wie er uns berichtet. Es sei damals bei dieser kleinen Gesellschaft so viel Mühe, Treue und Arbeit nöthig gewesen, als nachher in einer großen Gemeinde; sie wären auch ebenso beneidet und verfolgt worden, wie es nachher geschehen. Aus dieser Gesellschaft bildete sich allmählich ein inniger Bund weniger auserwählter Freunde, welche sich zu beständiger Gemeinschaft mit dem Heiland und zum Wirken für sein Reich verbanden. Dieser Bund, den man den Senfkorn-Orden nannte, hat bis in sein späteres Leben fortgedauert. Die Mitglieder zerstreuten sich wohl nach Holland, Ungarn, Frankreich u. s. w.; aber man setzte die Verbindung durch Briefvereine fort, und senfkornartig ist die ganze spätere Wirksamkeit Zinzendorf’s aus diesem Bunde hervorgegangen. Besonders wichtig ward der Freundschaftsbund, den er schon damals mit Friedrich von Watteville schloß. Angeregt durch die Missions-Thätigkeit, welche damals vom Waisenhaus u Halle ausgeübt wurde, schlossen die Knaben einen Bund zur Bekehrung der Heiden, und zwar wollten die Knaben in frischem Jugend-Muth sich gerade an die schlechtesten Leiden machen, die sonst Niemand bekehren möchte. Freilich beobachten sie mit Schmerz, daß sie wohl selbst nicht würden das Missions-Werk treiben können, da sie von den Aeltern bestimmt waren, als Staatsmänner in der großen Welt aufzutreten, und von einer Verletzung des kindlichen Gehorsams keinen Begriff hatten. Doch trösteten sie sich: Vielleicht schickt der Herr, welcher dem Herrn von Canstein einen Francke zugeführt hat, auch uns solche Leute, die zu diesem Dienste tauglich sind. Zinzendorf ahnte nicht, daß er einst Canstein und Francke würde in Einer Person vereinigen dürfen. Halle wurde nun dem jungen Grafen ein gar lieber Aufenthalt. Er machte gute Fortschritte, gewann die innige Liebe Franckes und andrer Lehrer, und wünschte sehnlich, auch dort studieren zu dürfen. Doch den Verwandten wollte das fromme Wesen des Jünglings nicht gefallen. Wenn sie auch ein bisschen Frömmigkeit gut ganz gut hielten, so fürchteten sie doch, daß solche Hallenser Pietismus einem Edelmann, der am Hofe sein Glück machen sollte, schaden könne. Der Oheim zumal hatte sich vorgenommen, seinem Neffen den Kopf auf eine andere Stelle zu setzen, als wo er ihn gefunden. Er schickte den Jüngling, der noch vor seinem Abschied eine tüchtige Rede „über die Rechthaberei der Gelehrten“ gehalten, nach der alten Lutherstadt Wittenberg. Dort solle er tüchtig die Rechte studieren, aber auch nicht den sonntäglichen Gottesdienst versäumen. Zinzendorf fügte sich mit unbedingtem Gehorsam, wiewohl mit tiefem Schmerze, dem Willen des Oheims, und verließ Halle im April 1816.

Noch vor seiner Ankunft in Wittenberg schreibt er an seine Mutter: „Nunmehr ist das liebe Halle verlassen, wiewohl es aus meinem Sinne nicht kommen wird, weil ich lebe. Denn da habe ich dasjenige erlernt, was mich in Zeit und Ewigkeit glückselig machen kann. Der Abschied ist mit unzähligen Thränen und starker Begleitung geschehen.“ Der junge Student warf sich nun mit Eifer auf die trockene Juristerei, die seinem feurigen Geiste gar schwer anging. Doch die Liebe zum Herrn gab Kraft, seine Pflicht treu zu erfüllen. er lernte auch, weil es die Verwandten so wollten, reiten, fechten, tanzen, aber mit dem Gebet zum Herrn, er möge ihm doch sein viel Geschick zu diesen Dingen geben, um seine Zeit bald zu bessern und nützlichern Sachen anwenden zu können. Hatte er nun nach treu vollbrachter Pflicht ein Paar Mußestunden, gleich wurde die Bibel vorgenommen, und dazu die Schriften Luthers und seines lieben Pathen Spener lustig traktiert, damit, neben einem Juristen, doch noch ein tüchtiger Theologus aus ihm werden möchte. Wie in Halle, mußte Zinzendorf auch in Wittenberg gar manchen Kampf um seines Glaubens willen bestehen. Sein streng christlicher Wandel. sein Bestreben, dem rohen Studentenwesen kräftig entgegen zu wirken, brachte ihm viel Haß und Verfolgung. Auch fand er unter seines Gleichen gar wenige, die Christum lieb hatten. Da schrieb er denn in seiner Bekümmerniß nach Halle, sich verlassen meinend, gleich wie Elias am Berge Horeb, (1. Könige 19.): „Ich bin erbarmungswürdig, daß ich so ganz allein bin; ich soll mein Lehrer, mein Bestrafer, mein Freund und Alles seyn und habe, außer Gottes Wirt und meinem Gewissen, keinen Menschen, den ich brauchen und befragen könnte.“ Doch der Herr hat noch überall seine 7000, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor Baal. Auch Wittenberg war von dem alten Luthers-Geist noch nicht verlassen. Doch hatte Zinzendorf ein arges Mißtrauen gegen die Wittenberger Theologen. Grade damals war ein recht trauriger Streit zwischen den beiden Universitäten Wittenberg und Halle. Beide waren gläubig-evangelisch. Die Wittenberger aber wollten das Kleinod des Glaubens, wie sie meinten, in rechtem Maria-Sinn bewahren. Die Hallenser drangen dagegen auf den in liebe thätigen Glauben; neben dem stillen Maria-Sinn dürfe auch nicht der Geist der geschäftigen Martha fehlen. Beide Theile waren wohl nicht so weit auseinander, als sie glaubten. Aber man brauchte beiderseits mißverständliche Ausdrücke, und dieß verursachte viel Aergerniß. Zinzendorf, bei seiner tiefen Verehrung für Spener und Francke, nahm eifrig Partei für sein liebes Halle, und beschuldigte die Wittenberger arger Zänkerei. Doch bei näherer Bekanntschaft fand er auch unter den Wittenberger Theologen liebe, wahre Christen. Zumal war ein Dr. Wernsdorf ein treuer Diener des Herrn, der gar ruhig und sanft die harten Vorwürfe des feurigen Jünglings ertrug, und in diesem die Sehnsucht weckte, die traurigen Zerwürfnisse zwischen beiden Universitäten ausgeglichen zu sehen. Der junge Graf schien, um seines hohen Standes und seines Liebeseifers willen, ein recht geeigneter Vermittler. Schon wollte Dr. Wernsdorf mit ihm nach Halle reisen, um sich mit Francke zu einigen, als die Aeltern, denen die ganze Sache falsch vorgestellt worden war, dem Grafen ernstlich die Reise untersagten.

Du siehst, lieber Leser, wie viel auch ein Jüngling durch treue Liebe zum Herrn vermag. Wie ernst er aber damals rang, sich von der Welt los zum Herrn zu wenden, ersehen wir aus einem Liede, welches er um jene Zeit verfaßte. Da lautet ein Vers:

Mein treuer Geist ermüdet nicht,
Sich von der Macht der Eitelkeit zu reißen,
Und wenn es ihm an Muth und Kracht gebricht,
Bedenket er, was ihm sein Herr verheißen;
Wie gut wird’s sich doch nach der Arbeit ruhn!
Wie wohl wird’s thun! –

Das Reformations-Jubiläum von 1717 feierte er, statt in das übermäßige Jubilieren auf allen Kanzeln und Kathedern einzustimmen, im Stillen mit inniger Wehmuth über das mannigfaltige, gelehrte Wortgezänke so vieler Theologen über Nebensachen, über ihr verdammungssüchtiges Splitter-Richten und Wühlen in den eignen Eingeweiden der Kirche, und über so manche andre eingerißne Mißbräuche. „Haben wir nicht, fragt er, Ursache, in uns zu schlagen, und uns vor Gott zu schämen?“ – Dabei stellt er sich bußfertig dem Heiland als einen Sünder dar, und bittet ihn um Gnade, für seine Person das Evangelium recht zu gebrauchen, und ihm zur Ehre in der Welt zu seyn. „Was ich bisher profitiert habe, so schreibt er in seinem Tagebuch, ist, daß ich die Eitelkeit der Welt immer mehr verachten, und meine einzige Sorge seyn lasse, wie ich mit dem, der alle Welt gebieten kann, mich immer näher vereinigen, und in ihm erfunden werden möge. Will Gott was Großes, und seinem Reich zum Nutzen Dienendes aus mir machen, so biete ich der ganzen Welt Trotz, und weiß, daß ich’s ohne ihren Dank werden müsse. Will er mich bei den Menschen vergessen machen, so bin ich bei ihm doch unvergessen. Ich lebe überhaupt der festen Zuversicht, daß ich einmal ein hauptsächliches Werkzeug zur göttlichen Ehre werden dürfe, welches durch Haß, Neid und Rachgier bringen wird. Gott hat mir, Ihm sei Dank!, zur Beförderung seines Ruhmes einen unermüdlichen Geist gegeben, welcher nicht einen Augenblick ruhen kann.“ – Das waren prophetische Worte, worauf Gott sein Siegel der Erfüllung gedrückt hat.

Zinzendorf hatte nun drei Jahre studiert, und seine Zeit auch für sein Studium gut angewendet. Aber er wünschte von Herzen, daß er für weltliche Geschäfte nichts taugen möchte, und daß der Herr ihm doch ein Aemtchen zur Arbeit für sein Reich anweisen möchte. Doch die Verwandten kannten für ihren Liebling kein herrlicheres Loos, als einst als Hof-Cavalier vor der Welt zu glänzen. Das Verlangen nach einem geistlichen Wirkungskreise hielten sie für eine krankhafte Stimmung, die sich am besten durch eine Reise in die große Welt heben werde. so ward Zinzendorf auf Reisen geschickt.

Die Jugend hat ja stets große Reiselust; und Mancher würde bei dem Gedanken, den schönen Rhein hinab durch Holland nach Paris, und von da über die Schweiz, bei guter Reisekasse und angenehmen Empfehlungen an die vornehmsten Familien, zu reisen, wohl nicht wenig frohlocken. Doch Zinzendorf hatte zu sehr den Eitelkeiten der Welt entsagt. Er gehorchte zwar, wie immer, dem Willen seiner Verwandten, doch mit der Aeußerung: „Will mich Gott in seinem Reiche zu etwas brauchen, so biete ich der ganzen Welt Trotz, daß ich ohne ihren Dank es werden müßte, und wenn ich etwa zum Versuch, ob mich der Weltgeist ankommen wollte, nach Frankreich gehen soll, so werden die Kosten übel angewendet.“ Gott werde ihn bei seinem Sinne erhalten, deß tröstete er sich, und reiste, in Begleitung eines Hofmeisters, von Wittenberg ab, mit dem Gebet zu Gott: „Der Herr behüte uns nur bei dem Einen, daß wir seinen Namen fürchten!“

Dem schönen, deutschen Rhein entlang steigt der junge Graf in einer der blühendsten Rheinstädte, Düsseldorf, ans Land. Dort tritt er in die große Bildergalerie. Ein Bild fesselt ihn am meisten, es ist ein leidender Christus. Das trägt die Unterschrift: „Dies Alles that ich für dich; was thust du für mich?“ Gar mancher Reisender war an dem Bilde vorbeigeflattert. Er aber bleibt davor stehen. Mir gilt das Wort, denkt er. Was habe ich denn schon für meinen Heiland gethan? Diese Frage liegt, wie ein Stein, auf seinem Herzen, und begleitet ihn auf allen Wegen. – Liegt sie auch dir auf deinem Herzen, lieber Leser? –

Er mußte nach seinen Instruktionen drei Monate an der holländischen Universität Utrecht bleiben, um seine juristischen Kenntnisse zu vermehren. Da lebt er nun ganz nach seiner Vorschrift, vergißt aber auch nicht seiner höheren Instruktionen, die ihm sein Heiland gleichsam auf’s Neue in Düsseldorf gegeben. Da arbeitet er zunächst gar wacker an sich selbst durch Beten und Forschen im Worte Gottes. Eine Anzahl Gleichgesinnter vereinigt er zu gemeinsamen, täglichen Andachtsübungen. Er, schon wahrhaft von Gott gelehrt, legt gar trefflich das Wort Gottes aus. Wo er hinkommt, legt er ein wackeres Zeugniß von seinem Glauben ab. Einst, bei einem Ausfluge in die Holländische Residenz, den Haag, wird er in eine hohe Gesellschaft eingeladen. Ein vornehmer, katholischer Minister bemitleidet den jungen Mann wegen seines einfältigen Glaubens. Er such ihm daher Stundenlang zu demonstrieren, wie solcher Glaube, zumal in der vornehmen Welt, schon längst aus der Mode sei; man könne wohl im Herzen einige Frömmigkeit für sich behalten, müsse aber Andere damit nicht inkommodieren. Da erklärt der Jüngling mit Ernst und Kraft frei und öffentlich: „Gott wolle einen reinen Gottesdienst, und die Eitelkeit der Welt sey nicht bloss Thorheit, sondern seelengefährlich.“ Das schien der ganzen, hohen Gesellschaft doch zu arg, und für einen jungen Edelmann höchst taktlos zu seyn. Sie dringen alle auf ihn ein, um ihm die Lieblichkeit der Welteitelkeiten, wohl auch ihre Nothwendigkeit darzuthun. Das konnte Zinzendorf nicht länger ertragen; er stand plötzlich auf, beurlaubte sich aus der Gesellschaft, und überließ es ihr, wie sie sich diesen Schritt deuten möchte. Solche Versuchung war nur ein kleines Vorspiel von Paris.

Zinzendorf wurde hier in die höchsten Gesellschaften, sogar in die Kreise der königlichen Familie eingeführt. Sein liebenswürdiges, anspruchsloses Wesen, aus dem Keuschheit und wahre, christliche Frömmigkeit sprachen, war eine ungewöhnliche Erscheinung in dem französischen Babel. Da nun die feinen Franzosen das Neue und Ungewöhnliche schon damals sehr liebten so war der junge, deutsche Graf, ohne es zu wollen und zu ahnen, das Tagesgespräch. Er hörte allerlei süße, liebliche Worte von den höchsten Herrschaften, und, wie die Schmeißfliegen, machten sich Herren und Damen um ihn herum, um die zarte Blume seiner Unschuld zu vergiften. Doch die Unschuld, welche im Glauben an Jesum, den Sünderheiland, beruht, steht unter himmlischem Schutz, und ist unantastbar. Das merkten die klugen Franzosen gar bald, und standen nach ihrer Gewohnheit von dem ab, wo kein Erfolg zu hoffen war. Sie meinten nun, der junge deutsche Herr sei ein Sonderling, der gar nicht, wie seine Landsleute, den feinen Pariser Ton erlernen möchte. Sonderbar mußte es den verderbten Weltleuten vorkommen, daß ein junger, vornehmer Herr nicht tanzen, spielen, schwelgen, noch Liebes-Abentheuer anspinnen mochte, auch die üppigen Opern und Schauspiele verabscheute, und, statt dessen, den Umgang mit frommen Leuten suchte. Es hatte sich nämlich noch damals, seit den gesegneten Zeiten der Reformation, eine Parthei Evangelisch-Gesinnter in der katholischen Kirche Frankreichs erhalten; man nannte sie Jansenisten. Aus Menschenfurcht und Kreuzesscheu waren sie in der katholischen Kirche geblieben, in der thörichten Meinung, diese reformieren zu können. Zinzendorf ward mit mehreren dieser Leute bekannt, und durch sie auch bei dem Cardinal und Erzbischof von Paris, von Noailles, eingeführt. Herr von Noailles, früher selbst Jansenist, ein Mann von herrlichen Geistesgaben, war vom Papst als ein gutes Werkzeug befunden, und deßhalb durch den Cardinals-Hut gefördert worden, so daß er jetzt, wohl ober übel. Mit ins Römische Horn blasen mußte. Anfangs suchte er nun auch den artigen, jungen Grafen durch halb verblümte, bald unverblümte Redensarten ins Römische Garn zu locken. Doch kurzweg, und mit Bestimmtheit, entgegnete Zinzendorf auch solche Anläufe des feinen Prälaten: „Die Wahrheit meiner Kirche dispensiert mich, eine andre zu suchen.“ Da gab’s nun nicht zu bekehren, wohl aber hätte sich die Sache bald umgekehrt. Der Papst hatte grade damals eine recht gottlose Bulle in die Welt gesandt, die Bulle Unigenitus genannt, so recht gemacht, um die letzten evangelischen Reste in der katholischen Kirche Frankreichs auszutilgen, welche auf Anstiften der Jesuiten gemacht war, und das Bekenntniß der christlichen Wahrheit in wesentlichen Punkten beeinträchtigte. Der Erzbischof hatte anfangs, an der Spitze vieler Bischöfe und andrer Geistlichen der französischen Kirche, freimüthig dagegen protestiert. Unser junger Graf erfuhr die Sachlage, und ermuthigte mit dem ganzen Eifer seiner ersten Liebe zum Heilande zum Heilande den alten Herrn, er möge doch nicht aus Menschenfurcht die dem Evangelio entgegenstehende Bulle annehmen, und die Kirche Christi in Frankreich zerstören. Doch, wie es so oft geht, wer einmal A sagt, muß auch B sagen. Hatte Herr von Noailles einmal den Cardinalshut angenommen, da mußte er nun schon die gräuliche Bulle annehmen. Zinzendorf war aufs Tiefste betrübt. Mit einem solchen Manne, der die Sache Christi um ein Linsengericht verrieth, konnte er nicht länger umgehen. Er schreibt ihm einen freimüthigen Absagebrief, unterm 29. März 1720. „So ist es denn vorbei, Monseigneur, und der große Muth, der den Gefahren trotzte, und die Feinde der Wahrheit in Erstaunen setzte, weicht der schwachen Hoffnung eines unerlaubten Friedens. –

Ich kann es kaum glauben, Monseigneur, ich, der ich Sie und Ihre guten Absichten kenne. Was werden aber diejenigen sagen, die entfernt von Ihrer Person, Ihre Tugenden jederzeit bewundert haben, wenn sie dies erfahren werden? Was mich betrifft, so habe ich zweimal die Pflichten des treuen Dieners erfüllt, und weiß nichts mehr hinzuzufügen. Auch erkenne ich mich für unfähig, Sie zu bekehren. Da aber meine Augen Sie, nach dieser beklagenswerthen Unterzeichnung, nicht mehr sehen werden, so will ich Ihnen hiermit auf ewig Lebewohl sagen!“ –

Der arme Bischof war nicht beleidigt durch diesen Brief; er mochte wohl seinen traurigen Irrthum nur zu sehr fühlen. Aber er war, wie Simson durch die List der Delila, so in die päpstlichen Bande verstrickt, daß er wohl den freien, deutschen evangelischen Christen um seiner goldenen Freiheit willen beneiden mochte. Zinzendorf war tief gerührt von dem Elend des alten Mannes, und vergaß seiner nicht. Noch sechs Jahre später, im Jahre 1725, sandte er ihm durch seinen Freund Wattenwille 4 Bücher von Arnds wahrem Christenthum, die er ins Französische übersetzt hatte. Der Cardinal bat um achttägige Lese- und Bedenkzeit. Dann erklärte er: „Er habe das Buch so vortrefflich gefunden, daß er es nicht nur für seine Person mit Freuden annehmen, sondern Frankreich glücklich schätzen würde, so schönen Wahrheiten in seiner Sprache zu lesen. Er werde es den Buchhändlern empfehlen, sehe aber voraus, daß der Verkauf desselben werde gehindert werden.“ Das geschah auch wirklich. Es war, als ob das Papstthum mit Blindheit geschlagen, die letzten evangelischen Regungen in der katholischen Kirche Frankreichs unterdrücken wollte, um das Ungethüm de Revolution herauf zu beschwören, welches ihm doch selbst den Kopf zertreten sollte. Zinzendorf war in Paris viel krank gewesen; seine Freunde fürchteten gar, daß Jesuiten-Gift an seinem Gebein nage. Doch diese Kränklichkeit war wohl auch eine züchtigende Gnadenführung Gottes, die ihn von Hoffart und der Welteitelkeit abzog, sowie er an der andren wunderbaren Führung, mitten in dem gottlosen Paris gläubige Christenherzen zu sich finden, die Liebespfeile merken konnte, mit denen der Herr ihn zu sich zog. Dankbar konnte er am Schlusse seiner Reise von der Hirtentreue des Herrn rühmen: „ Je mehr ich in die Welt kam, desto fester hielt er mich, je inniger zog er mich in die Betrachtung seiner Leiden!“ Ueber Genf, wo Zinzendorf den Vater seines Freundes Wattewille kennen lernte, kehrte er nach Deutschland zurück, und verweilte ein halbes Jahr bei seiner Tante, der verwitweten Gräfin von Castell.

Seine Entsagung und Vermählung. Eintritt in den Staatsdienst zu Dresden.

Glücklich von seiner Reise zurückgekehrt in die liebe Heimath, in den Kreis theurer Verwandten, glaubte Zinzendorf bald, in den Hafen einer stillen, häuslichen Ruhe einlaufen zu können. Er gewann hier in Castell seine Cousine Theodora, eine blühende Jungfrau, lieb, und hoffte, diese werde seine ihm vom Herrn zugewiesene Lebensgefährtin seyn. Tante und Vormund waren einverstanden. Theodora schenkte dem scheidenden Grafen ihr Bildniß, und bat ihn, wiederzukommen. Auch seine Verwandten waren mit seiner Verbindung ganz einverstanden. Voll schöner Hoffnungen eilte bald darauf der im ersten Liebesglück schwärmende Bräutigam seiner Geliebten nach Castell zu. Da stürzt sein Wagen in der Gegend von Plauen in den schäumenden Elster-Fluß. Nur mit Lebensgefahr entkommt der Graf dem kalten Bade. Sein Gepäck ist völlig durchnäßt. Er muß einige Tage verweilen. Graf Heinrich XXIX., regierender Herr zu Ebersdorf, ein Universitätsfreund, ladet den Verunglückten auf sein Schloß, damit er sich dort erhole. Im Laufe des Gesprächs äußerte die Mutter des jungen Grafen Heinrich: „Es sei unumgänglich nöthig, daß ihr Sohn sich verheirathe. Unter allen vorgeschlagenen Damen von Stande habe keine so viel Lob, als Gräfin Theodora von Castell; aber an diese dürfe man nicht denken, wie Zinzendorf am besten wisse.“ Dies etwas undelikate Wort, welches besorgte Mutterliebe der sonst so rücksichtsvollen Gräfin entlockte, in Verbindung mit dem gestrigen, lebensgefährlichen Ereigniß, brachte unsern Grafen in ein tiefes Sinnen. Er sah eine wunderbare Führung Gottes in allem dem. Er fühlte, daß er seine Theodora zu leidenschaftlich liebe, daß er über ihr wohl seines Heilands vergessen könne. Nach hartem Seelenkampfe eröffnete er seinem erstaunten Wirthe, daß er von seiner Bewerbung um Gräfin Theodora unbedingt abstehe; ja er drang in den Freund, der dem Freunde an Edelmuth nicht nachstehen wollte, sogleich mit ihm nach Castell zu reisen. Da gab es im gräflichen Schlosse zu Castell ein nicht geringes Verwundern. Es kommt der Bräutigam der blühenden Tochter des Hauses, die wohl Mancher als ein beneidenswerthes Kleinod betrachtete, kommt aber nicht, um zu freien, sondern um ihr für den Freund zu entsagen. Nachdem man sich an das Unglaubliche gewöhnt, erkannten wohl Alle Gottes Finger in der Sache. Theodora hatte sich mehr aus Gehorsam zu der Verbindung mit dem ernsten, stets in himmlischen Betrachtungen lebenden Zinzendorf entschlossen; ihr Herz zog sie mehr zu dem heitern Grafen Reuß. Zinzendorf überwand im Glauben den harten Verlust, der noch erschwert wurde durch den Spott und Hohn vieler Weltleute, die eine solche Entsagung für narrenhaft hielten. Nur, wie ein Ton stiller Wehmuth, klingt die Erinnerung an das Opfer hindurch, was er gebracht, wenn er singt:

„Die Christen sind stille, und lassen den machen,
Der ihnen als Vater mit Rechte befiehlt.
Die andern, die sehen’s und spotten und lachen,
Daß Gott mit den Seinen so wunderlich spielt.
Und dieser erscheint, wenn’s Niemand vermeint,
Und hebt sich in seinen gemessenen Schranken
Weit über der Menschen Vernunft und Gedanken.“

Von neuem, und jetzt noch lebendiger als früher, erwacht in ihm das Verlangen, ausschließlich dem Wirken im Reiche Gottes zu leben. Herr von Canstein war kurz vorher gestorben. Zinzendorf wäre gern sein Nachfolger geworden; er reiste nach Halle. „Francke kömmt seinem Wunsche durch ein freundliches Anerbieten zuvor. Doch auch jetzt mußte er entsagen. Seine Verwandten dringen in ihn, ein Regierungsamt in Dresden anzunehmen. Mit kindlichem Gehorsam tritt 1721 Zinzendorf in den Staatsdienst. Aber mit so viel Thränen und Seufzern hat wohl noch kein junger Hof- und Justizrath sein Patent empfangen. Voll Schmerz ruft er in seinem Liede aus:

O Jesu, gedenke,
Wie sehr es uns kränke,
Dir so nicht zu dienen, wie wir es begehren!
Aufs wenigste mußt du und stille seyn lehren!

Einen so sonderbaren Hof- und Justizrath hatte man aber auch noch nicht in Dresden gesehen. Er ging theilnehmend zu den geringsten Leuten der Stadt, und stand ihnen mit Rath und That bei, immer nur darauf bedacht, Seelen zu Christo zu führen. Darum hielt er auch in seinem Hause Andachtsstunden, an denen Jedermann Theil nehmen konnte; die Armen und Geringen waren ihm die liebsten Gäste. Jetzt sollte sich auch sein geistlicher Wirkungskreis schon etwas erweitern. Er kaufte 1722 das Gut Berthelsdorf von seiner Großmutter, nur eine Stunde von Hennersdorf, dem Segens-Orte seiner Kindheit. Die dortige Pfarrstelle wurde grade erledigt. Da berief er sogleich einen frommen Candidaten, Andreas Rothe, dem er das Wohl seiner Gemeinde dringend ans Herz legte. Er selbst wollte nicht von Rothe als Patron, sondern als treuer Freund und Mitarbeiter angesehen werden. Hatte er doch das Gut gekauft, wie er selbst erzählt, aus keinem anderen Grunde, als sein Leben unter den Bauern zuzubringen, und ihre Seelen für den Heiland zu werben.“ Mit Ernst dachte nun Zinzendorf an seine Verheirathung. Aber er fürchtete dabei gar manche Schwierigkeiten. Als Hauptzweck seines Lebens betrachtete er ja: Christo unter Schmach und Verachtung die Seelen der Menschen werben zu helfen. Als ehrlicher, gewissenhafter Mann konnte er dies seiner Braut nicht verschweigen. Welche Dame, zumal von hohem Stande, ist zu solcher Ehe bereit? Doch grade eine solche Ehe-Gefährtin, ein wahres Kleinod unter den Frauen, wies ihm der Herr zu. Am 7. September 1722 vermählte sich der Graf mit Erdmuthe Dorothea, Gräfin von Reiß, (geb. 7. November 1700), Schwester seines Freundes, des Grafen Heinrich, dem zu lieb er seiner ersten Braut entsagt hatte. Mit welch heiligem Sinne dieser Ehebund geschlossen wurde, das sagt uns am besten ein Lied des Grafen, welches er auf seinen Trauung dichtete, und worin er die Seligkeiten der Berg-Predigt gar herrlich besingt. Der Anfang lautet:

„Kron und Lohn beherzter Ringer,
Der Seligkeit Herwiederbringer,
Herr Jesu, Herr der Herrlichkeit!
Schau vor Deines Thrones Stufen
Zwei Seelen, welche zu Dir rufen,
Sie wären gerne benedeit!
Du segnest ja so gern,
Gesegneter des Herrn,
Wir begehren’s,
So komm herein, wir sind ja Dein,
und laß uns recht gesegnet seyn!

Also müssen wir auf Erden
Nie, als in Dir, erfunden werden
Du hast uns je und je geliebt.
Du hast zuerst um uns geworben,
Du bist aus Liebe gar gestorben,
Wer ist, der solche Proben gibt?
Wohlan, wir lieben dich,
O Liebe, inniglich.
Unsre Liebe
Ist nur ein Bild, so lang es gilt,
Wie Du uns ewig lieben willt.“

Seiner Gemahlin schenkte er gleich beim Heirathskontrakte zur Abschneidung aller Formalitäten sein ganzes Vermögen. Schon vorher hatte er einem treulosen Curator seines Vermögens, der, um sich der Liquidation zu entziehen, ihm frech genug zu verstehen gab, daß er, als Jünger Christi, wohl kein so großes Gewicht auf irdische Güter legen werde, die Rechenschaft mit großmüthigem Sinne erlassen, und mit dem Ueberbleibenden, ganz im Geiste der von ihm besungenen Berg-Predigt, friedselig vorlieb genommen.

Mit seiner Gefährtin machte er zu dieser Zeit einen Bund, „auf des Herrn Wink alle Stunden den Pilgerstab in die Hand zu nehmen, und zu den Heiden zu gehen, um ihnen den Heiland zu predigen.“ Aber von der Hand sah man nicht wie er dazu kommen könnte. Zinzendorf, als Gutsherr, Staatsbeamter und junger Ehegatte, schien so recht zu einem stillen, beschaulichen Leben bestimmt zu seyn. Doch siehe, der Herr braucht oft geringe Mittel zu großen, ungeahnten Dingen. Eben wollte Zinzendorf zur Hochzeit nach Ebersdorf abreisen, da kommt ein armer Zimmermann an ihn heran, und klagt den schrecklichen Druck, den die Evangelischen in Mähren erlitten, und bittet um Aufnahme für Etliche. Gerührt von dieser Erzählung sagt der Graf sehr freundlich die Ausnahme zu, und empfiehlt ihn seinem frommen Haushofmeister Heiz. Was daraus folgen könnte, ahnt er nicht von ferne.

Mährische Brüder gründen Herrnhut. Neu-Begründung der alten Bruderkirche.

Wer waren diese Mährischen Brüder? Da muß ich Dich bitten, lieber Leser, mit mir einen Blick in die alte Kirchen-Geschichte Böhmens und Mährens zu thun. Diesen beiden, von Gott so reich gesegneten Ländern war das Wort Gottes von Constantinopel aus verkündigt worden ums Jahr 900. Der Papst suchte aber diese Länder unter die römische Herrschaft zu bringen. Dies gelang ihm nicht ganz. Es kamen 1176 aus dem Norden Italiens ursprünglich evangelische Christen, die in verborgenen Thälern, wohl schon seit der Apostelzeit, den reinen Glauben bewahrt hatten. Diese, Waldenser genannt, gründeten in Böhmen und Mähren eine gar liebliche, evangelische Kirche, die lange im Verborgenen blühte. 1391 ward sie vom Papst entdeckt und blutig verfolgt. Johann Huß tritt auf ihre Seite, und leidet 1415 den Märtyrertod. Nun werden die Armen erst gar entsetzlich verfolgt. Sie schauen sich in der Welt um, ob nirgends eine evangelische, biblische Kirche sei. Doch ihre ausgesandten Boten bringen die traurige Kunde zurück: „Seufzer nach Erlösung genug, aber nirgends eine ächte Christengemeinde!“ Da erscholl 1517 Luthers gewaltiges Wort zu Wittenberg, auch ihnen Erlösung verkündigend. Sie senden zu Luther Abgeordnete, der sie gar liebreich aufnimmt, und erklärt 1532: „daß die Brüder, trotz der Verschiedenheit der Kirchenübungen, Ceremonien und Ausdrücke mit den Seinen in Einen Schafstall gehören.“ Sie hatten nun wohl eine Zeitlang Ruhe, aber der unglückliche Ausgang des dreißigjährigen Krieges brachte über sie neue Verfolgungen. An 90,000 wanderten in evangelische Länder aus. Nur ein kleines Häuflein blieb in Mähren zurück. Ihr letzter großer Bischof war Amos Comenius, ein weit berühmter Mann. In der Gegend von Funlek lebte noch jetzt, nahe der schlesischen Grenze, ein kleines Häuflein. Zu diesen Brüdern kommt einst ein armer Zimmermann, Christian David, der, früher Katholik, durch wunderbare Führungen Gottes zum lebendigen Glauben erweckt, nun auch den Brüdern reichlich mittheilt aus seinem Schatze evangelischer Weisheit. Die im alten Glauben neugestärkten Brüder wünschten nun sehnlich in ein evangelisches Land auszuwandern, zumal da Christian David vor den Jesuiten fliehen mußte, die gar bald von seiner Wirksamkeit erfahren hatten. Er reiste über Schlesien nach Sachsen, wurde durch gläubige Geistliche an Zinzendorf empfohlen, und hatte dessen Herz durch die Schilderung der Noth jener Brüder mächtig gerührt. Jetzt, am Pfingstmontag 1722, kam er nach Funlek zu den Brüdern zurück, und überbrachte ihnen die fröhliche Botschaft: „Er habe einen jungen Grafen kennen gelernt, welcher nicht bloss selbst ein Kind Gottes sei, sondern auch andre Seelen zu Christo zu bringen suche, auch in dieser Absicht ein Gut in der Oberlausitz, Berthelsdorf, angekauft, und einen erweckten Prediger Namens Rothe, dahin berufen habe, der ein treuer Zeuge Jesu sei.“ Zwei Brüder Augustin und Jakob Reißer, ihres Handwerks Messerschmiede, entschlossen sich sogleich, alles stehen und liegen zu lassen, um nach Berthelsdorf zu ziehen. „Denn, sagten sie, daß thut Gott; das kommt vom Herrn.“ Das war kein kleiner Entschluß für die beiden Brüder, auszuziehen, wie Abraham, aus dem Vaterlande und von ihrer Freundschaft, Hab und Gut, wohl eingerichtete Wirthschaften zurückzulassen, und mit ihren Weibern und Kindern bei Nacht und auf heimlichen Wegen, um nicht entdeckt zu werden, zu pilgern in ein fremdes Land, im Vertrauen auf die unbestimmte Verheißung des Zimmermanns, Christian David. Doch der Herr war mit den Reisenden, und brachte sie allesamt wohlbehalten an den Ort ihrer Bestimmung. Zinzendorf war nicht in Berthelsdorf. Da wurde viel überlegt, was zu thun sey. Endlich entschied die Großmutter und der treue Heiz, unter Beirath anderer treuen Männer, daß sich die Flüchtlinge des Grafen am Hutberge, mitten im Wald, aber an der Landstraße, anbauen sollten. Christian David legte den 17. Juni seine Axt an den ersten Baum mit den glaubensmuthigen Worten: Hier hat der Vogel sein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, nämlich deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott!“

Am 28. Oktober war das erste, neue Haus bezogen; aber im Glauben, daß hier bald eine neue Stadt stehen werde, nannte Heiz den künftigen Ort „Herrnhut“, und schrieb darüber am 8. Juli an den Grafen: „Gott segne dies Werk nach seiner Güte, und verschaffe, daß Ew. Excellenz an dem Berge, der der Hutberg heißt, eine Stadt bauen, die nicht nur unter des Herrn Gut stehe, sondern da auch alle Einwohner auf des Herrn Hut stehen, daß Tag und Nacht kein Schweigen bei ihnen sey.“

Zinzendorf hatte von dem. was auf seinem Gute vorging, gehört, und seine Zustimmung gern gegeben; begrüßte auch die armen, mährischen Ansiedler in einem innigen Briefe, worin folgende Worte stehen: „Und ihr, geliebteste Fremdlinge und Pilgrimme, die der ewige Gott aus fremdem Lande hierher geführt hat, wie selig seyd ihr, die ihr geglaubet habt! Denn es werden euch alle Verheißungen Gottes zufallen, und Amen seyn in Ihm, Gott zu Lobe, durch uns. Gehet den andern Einwohnern, wie im Glauben also auch in den lebendigen Werken des Glaubens, mit anhaltendem Ernst und in der Liebe vor! Seyd das Salz unter meinem Volk! Das Salz ist ein gut Ding. – Hört, liebe Unterthanen! Laßt euch diese Fremdlinge nicht vorlaufen, daß die Speise, die euch bereitet ist, nicht ihnen allein zukomme! – Kommt, und laßt uns Alle zum Heiland ziehen, und mit Ihm einen ewigen Bund machen, so wird er auch mit uns Bund machen in alle Ewigkeit! Er wird Gedanken des Friedens über Euch haben, und nicht des Leids. Ja, der Heiland wird seinem Volke Kraft geben. Er wird sein Volk segnen mit Frieden. Amen, Halleluja!“ – Als Pastor Schäfer von Görlitz den Pastor Rothe zu Berthelsdorf einführte, sagte er: „Gott wird auf diesen Hügeln ein Licht aufstecken, das im ganzen Lande leuchten wird. Davon bin ich lebendig versichert.“ – Ende Dezember 1722 besuchte Zinzendorf mit seiner jungen Gemahlin das erste Mal Berthelsdorf. Da schimmert ihm in der Nähe des Dorfes vom Hutberg der durch das Abend-Dunkel ein Licht entgegen. Er läßt den Wagen halten, und geht mit der Gräfin darauf zu. In einem neuen, ihm ganz unbekannten Hause findet er die vertriebenen, mährischen Brüder. Herzlich reicht er ihnen die Hand, fällt mit ihnen auf die Kniee, und betet inbrünstig, daß Gott seine Hand über diesem Hause halten wolle.

Recht zur passenden Zeit kam damals sein alter Jugendfreund, Friedrich von Wattewille, zu ihm. Er war in gar trauriger Lage. Er war den Lüsten der Jugend eine Zeit lang erlegen, hatte fast sein gesamtes Vermögen vergeudet, und am Glauben Schiffbruch gelitten. Jetzt kommt er, wie der verlorne Sohn zu seinem alten Freunde. „Gott ist die Liebe,“ ruft der treue Freund dem tiefzerknirschten, reuigen Freunde zu. Dies Wort dringt tief in das zerrissene Herz. Mit Thränen der Buße wirft sich Wattewille vor dem Heilande nieder, ringt mit ihm etliche Stunden allein, daß er ihn segne, und fühlt, wie die Todesschatten der Gottvergessenheit schwinden, und ein neues Morgenroth eines frischen Glaubenslebens in ihm aufdämmert. Es ward nun ein inniger Bruderbund geschlossen zwischen Zinzendorf, Wattewille und Pfarrer Rothe, zu denen sich noch der innige Magister Schäfer gesellte, der unserm Christian David zuerst die Glaubensaugen aufgethan, auch die Mährischen Flüchtlinge liebreich beherbergt, und ihnen die Zufluchtsstätte in Berthelsdorf eröffnet hatte. Die vier Freunde gelobten sich nun, überall, wo sie hingelangen könnten, ein kräftiges Zeugnis von Jesu, als dem einzigen Weg ihres Lebens, abzulegen, allerhand nützliche Schriften zu verbreiten, und Anstalten zur Erziehung der Kinder nach dem Sinne Christi zu stiften. Vor allem aber trachtete der Graf, seine sämtlichen Unterthanen zu Berthelsdorf in die Bahn ächter Frömmigkeit zu führen. Nicht eher wollte er ruhen, bis der letzte seiner Bauern dem Heiland gewonnen sey. Nach den Winken Luthers, uns besonders Speners, keine Kirchen in die großen Kirchen zu pflanzen, war sein Hauptzweck, die Mährischen Brüder sollten ein heilsames Salz für seine Gemeinde werden. In der Erbauung und Seelenpflege der Erweckten unter seinen Unterthanen sah er sich als einen Gehülfen des Pastors Rothe an. Nach Rothe’s Sonntags-Predigt und Katechisation wurde von dem Grafen eine Singstunde gehalten, bei welcher Tobias Friedrich, einer seiner Bedienten, von ausgezeichneter, musikalischer Gabe, der um die Ausbildung des Gesanges in der Gemeinde das größte Verdienst hat, den Gesang mit der Orgel begleitete. In einer andern Versammlung des Nachmittags in seinem Hause, wiederholte der Graf die Predigt des Pastors Rothe, über deren Inhalt man sich miteinander unterhielt. Doch noch größere Dinge sollte man nach dem Willen Gottes Zinzendorf ausrichten, an die er bis jetzt nicht gedacht. Im Jahr 1723 reiste er nach Prag, zur Zeit der Krönung Kaiser Karl IV., um sich bei demselben für die armen, gedrückten Protestanten zu verwenden. Der Kaiser nahm ihn sehr gnädig auf, und sein Vetter, der Kaiserliche Erbschatzmeister, Rudolph von Zinzendorf, wollte ihm gleich zu einer Kammerherrn-Stelle beim Kaiser verhelfen, ohne jedoch in den Religionssachen ihm dienen zu wollen. Er dankte aber für diese und andere Vorschläge zu seiner Beförderung am kaiserlichen Hofe.

Zu dieser Zeit zeigte er auch eine lebhafte Theilnahme für die Schritte, welche in Regensburg geschahen, um eine Union zwischen den Lutheranern und Reformirten herbeizuführen, und setzte sich deshalb mit einem der Hauptbeförderer, Kanzler Pfaff in Tübingen, in Correspondenz. Als bald darauf, durch Vermittlung des preußischen und englischen Hofes, das sogenannte Corpus Evangelicorum zu Stande kam, welches die gemeinsamen Rechte der Protestanten im deutschen Reiche vertreten sollte, so freute er sich sehr darüber, in der Hoffnung, daß auf diese Weise wenigstens der seitherige heftige Streit zwischen Lutheranern und Reformirten gemäßigt werden, wo nicht ganz aufhören würde. Von jetzt an that er weiter nichts in dieser Sache. Unterdessen ließ es dem glaubenseifrigen Christian David keine Ruhe in Herrnhut. Er wollte mehr Seelen herbeiführen. Im Frühjahr 1723 nahm er seien Wanderstab zur Hand und pilgerte nach Mähren. In zwei Dörfern Kunnwalde und Zauchenthal entzündete er durch seine Predigten ein gewaltiges Liebesfeuer, welches sich beinah allen Einwohnern mittheilte. Die Viehhirten auf dem Felde beteten und sangen schöne geistliche Lieder bei ihren Herden; Knechte und Mägde waren um ihr Seelenheil bekümmert; es wurde keine Musik mehr auf den Dörfern gehört; Niemand wollte in die Spiel- und Tanzhäuser gehen. David Ritschmann, ein Jüngling von 18 Jahren, mit seinem Bruder Melchior, zeugten kräftig von der Gnade Gottes, die sie an ihrem Herzen erfahren hatten. Der römische Pfarrer erschöpfte sich in Schmäh- und Droh-Worten. Aber er richtete nichts aus. Der griff er zur Gewalt. Man nahm die schönen, geistlichen Bücher weg, forderte viele vor Gericht, und kerkerte sie ein. Melchior Ritschmann ward im Gefängniß durch Hunger gequält, und dergestalt gebunden, daß ihm das Blut zur Nase und zum Mund und durch die Haut herausdrang; daher er auch nach seiner wunderbaren Befreiung 1724 bis an sein Ende elend und kränklich blieb. Fünf junge Männer, die Söhne bemittelter Aeltern, an ihrer Spitze David Ritschmann, mußten des Nachts fliehen, da die äußere Gewalt ihnen die Verkündigung des Evangeliums unmöglich machte. Auf einer Wiese vor dem Dorfe knieten sie nieder, und beteten über Zauchenthal und die ganze Gegend. Sie selbst empfahlen sie der Fürsorge Gottes; denn sie wußten nicht, wohin sich zu wenden. Doch fröhlich setzten sie ihre Wanderschaft fort, indem sie das schöne Lied sangen, welches 100 Jahre vorher ihre Vorfahren bei ihrer Vertreibung aus dem Vaterlande verfaßt hatten:

Selig der Tag, da ich muß scheiden,
Mein liebes Vaterland muß meiden,
Und mich begeben in das Elend!

Der Herr wird mein Geleitsmann seyn,
Mich schützen durch die Engelein,
Der aller Gläubigen Beschützer ist.

Ein Oertlein hat mir Gott ausgewählt,
Daß meinem Herzen wohlgefällt.
Wo ruhen kann die Seele mein.

Gleich wie ein Hirsch verlanget sehr
Nach frischem Wasser, soviel mehr
Dürst’t meine Seel‘ nach Gott allein u. s. w.

Sie wollten nun gern ihre Brüder in der Lausitz aufsuchen, und besonders den Christian David, der das Werkzeug ihrer Erweckung gewesen war. Am 12. Mai 1724 trafen sie glücklich in Herrnhut ein, an demselben Tage, wo dort der Grundstein zu einem großen, neuen Hause, einem Gemein- und Anstalts-Hause, gelegt wurde. Auch die Pastoren Schäfer und Rothe, sodann Wattewille und Milde, der Sekretär des Prof. Francke von Halle, waren gegenwärtig. Der Graf sprach in einer nachdrücklichen Rede über die Absicht des Baus. Wattewille kniete auf den Grundstein nieder, und that ein Gebet mit solcher Geisteskraft, daß die Anwesenden in Thränen zerflossen, und der Graf in der Folge oft bezeugte, ein solches Gebet habe er seitdem nicht wieder gehört. „Sie haben viel versprochen, sagte die Gräfin nach dem Gebet zu Wattewille. Trifft die Hälfte davon zu, so ist’s weit über unsre Erwartungen.“ – Was die fünf Jünglinge hier fanden und hörten von Wattewille und vom Grafen, und wie dieser Gott bat, das Werk zu segnen, wenn es zu seinem Dienste wäre, es aber in seinen Anfängen zu vernichten, wenn es Menschenwerk wäre, ließ sie nicht weiter ziehen. Sie hatten über ihre Erwartung gefunden. Diese Männer waren ächte Glieder der alten Brüderkirche, und gaben die Veranlassung zur Erneuerung derselben. Bald kamen immer mehrere derselben nach.

Aber in einer Gemeinde, die aus Leuten der verschiedensten Gegenden gebildet war, mußte gar bald mancher Streit aus der Verschiedenheit der Gesinnung hervor gehen. einige neigten mehr zum lutherischen, andre mehr zum reformirten Bekenntniß. Viele hatten dazu harten Druck erlitten, und vermochten nur schwer, die neue Freiheit zu ertragen. Die religiösen Neigungen waren gar verschieden. Nur mit Mühe konnte Zinzendorf durch sein Ansehen die Ordnung und Eintracht aufrecht erhalten. Er hatte den mährischen Exulanten nachgegeben, daß an der Stelle der Privatbeichte, welche Rothe eingeführt hatte, die allgemeine Beichte wieder in Brauch kam. Da kam, um die Verwirrung zu vermehren, noch ein Rechtsgelehrter, Krüger, nach Herrnhut, der wegen religiöser Zänkereien allerwärts verstoßen, in Herrnhut Zuflucht suchte. Die Gemeinde nahm ihn in christlicher Liebe auf. Er aber, nachdem er sich bei einem großen Theil der Gemeinde den Schein einer außerordentlichen Heiligkeit zu geben gewußt hatte, begann bald mit seinen unheilvollen Streitigkeiten; Zinzendorf sei der Zerstörer der uralten Brüderkirche, Pastor Rothe sei ein falscher Prophet, sie sollten sich von beiden lossagen. Die Gottheit Christi und die Göttlichkeit der h. Schrift leugnete er. Da gab es schreckliche Verwirrung in Herrnhut. Selbst Christian David ward eine Zeit lang an der guten Sache irre, baute sich eine Strecke entfernt von Herrnhut ein Häuslein, und grub sich einen Brunnen. Denn er mochte nichts mehr wissen von seinem Volk Israel, was er selbst größtentheils aus dem ägyptischen Knechtshause ausgeführt hatte. Die Feinde Zinzendorfs jubelten: „Seht da, das Sectennest Herrnhut, was noch viel Unheil anrichten wird, wenn man es nicht bald zerstört!“ Aber auch Wohlmeinende schüttelten den Kopf über diese Sachen.

Zinzendorf war mit Lebensgefahr wieder nach Oestreich gereist; denn dort lagen viele Brüder in Banden. Sein lieber David Nitschmann war, als er seinen alten Vater besuchen wollte, ins Gefängniß gelegt worden. Diese alle wollte der Graf losbitten. Er hatte deshalb eine Conferenz zu Kremsir mit dem Cardinal von Schrautenbach und dessen Bruder. Er richtete zwar in diesem Punkte nicht viel aus, stärkte und tröstete aber doch viele Brüder, erweckte viele Seelen durch seine evangelischen Vorträge, und kehrte mit Preis gegen Gott für seine glückliche Errettung zurück.

Hier findet er aber seine liebe Gemeine zu Herrnhut durch die auf’s höchste gestiegene Zwietracht am Randes des Verderbens. Rothe hatte schon lange mit gewohnter Kraft und Strenge dagegen gedonnert. Es war aber ein Sturmwind, und kein lindes, sanftes Sausen. Nun betritt Zinzendorf den Kampfplatz. Die Verwaltung seiner Güter und aller weltlichen Geschäfte überläßt er seiner Frau und Wattewille. Er selbst zieht nach Herrnhut in das neue Waisenhaus, obgleich dessen Wände noch nicht trocken sind. Die hingebende Liebe des Grafen und die gewaltige Kraft seiner Erscheinung und seiner Rede übten eine wunderbare Macht auf die Gemüther. Durch feurigen Zuspruch, heiße Thränen und liebevolle Belehrung, die er bald vertraulich, bald öffentlich spendete, brachte er die Versöhnung zu Stande. Krüger wäre gar gerne verfolgt worden, um als Märtyrer glänzen zu können. Doch die erbarmende Liebe, die Zinzendorf ihm, trotz alles seines Undanks und Hasses, bezeugt, nahm der giftigen Schlange den Stachel, andre zu verletzen. Gott aber übte ein schrecklich Strafgericht. Krüger wurde wahnsinnig, kam später ins Irrenhaus nach Berlin, und nahm, von seinem bösen Gewissen gequält, ein klägliches Ende. In Herrnhut war nun wieder Friede eingekehrt. Nur etwas beunruhigte noch die Gemüther. Zinzendorf war ein warmer Verehrer Luthers, den er nach den Aposteln für den gewaltigsten Gottesmann, der je gelebt, erklärte, und verlangte jetzt, die mährischen Brüder sollten sich ganz, auch in der kirchlichen Verfassung, mit der lutherischen Kirche vereinigen. Die Brüder begehrten nun wohl in Gemeinschaft mit der evangelischen Kirche zu bleiben. Doch wollten sie das Kleinod ihrer Verfassung durchaus nicht aufgeben. Selbst Luther habe ja offen zugestanden, daß die Brüderkirche darin etwas vor der seinen voraushabe. Diese bündige Erklärung veranlaßte den Grafen, ernstlicher über die Sache nachzudenken. Je mehr Zinzendorf von der Kirchen-Ordnung der alten Brüder-Kirche hört und las, und damit die Einrichtungen der apostolischen Kirche verglich, desto fester wurde sein Entschluß, trotz der Schmähungen und Mißdeutungen, die seiner harren würden, den Brüdern die alte Verfassung wieder zu geben. Am meisten bestärkte ihn der Schmerz des alten, ehrwürdigen Brüderbischofs, Amos Comenius, der 1671 vertrieben aus seinem Vaterland, aus Gram über den Untergang seiner Kirche gestorben war, in dem Entschluß, ein Wiederhersteller derselben zu werden. Er erklärt sich darüber unter Andern: „Ich durfte des alten Comenii erbärmliche Lamentation nicht lange lesen, da er dachte, nun sey’s mit dem Kirchlein der Brüder am Ende; ich durfte sein wehmüthiges Gebet: „Bringe uns, Herr, wieder zu dir, daß wir wieder heimkommen! Erneure unsre Tage, wie vor Alters!“, nicht zweimal ins Gesicht bekommen, so war der Entschluß da: Ich will dazu helfen, so viel ich kann. Ginge auch Hab und Gut, Ehre und Leben darauf, so soll, so lange ich leben, und, soviel ich dazu thun kann, auch mach mir dieses Häuflein des Herrn ihm bewahrt werden, bis daß Er kommt.“ Der 12. Mai 1727 war der gesegnete Tag, an welchem die alte Brüderverfassung nach dem Vorbild der apostolischen Kirche erneuert wurde. Unter Mitwirkung des Pastors Rothe und der angesehensten Einwohner von Herrnhut hatte der Graf eine christbrüderliche Gemein-Ordnung, mit Berücksichtigung der ersten apostolischen Kirchenverfassung und der Regeln der alten Mährischen Kirche entworfen. An diesem Tage hielt er nun an alle Versammelten drei Stunden lang eine tiefbewegte, gründliche Rede gegen die Uebel religiöser Trennungen und über den Zweck der Gemein-Ordnung. Alle gaben ihm hierauf, beschämt über die betrübenden Zerwürfnisse, mit tiefer Rührung die Hand zum feierlichen Versprechen, im Geist der Liebe Christi Eins seyn zu wollen, und der Erfolg bewährte es, daß hier ein höherer Geist der Eintracht die zersprengten Gemüthsrichtungen bereits zusammengefaßt hatte. Es wurden nun 12 Männer zu Gemein-Aeltesten, und unter diesen 4 zu Ober Aeltesten erwählt, der Graf zum Vorsteher, und Wattewille zu seinem Gehülfen. Außerdem gab es Helfer, Almosenpfleger, Krankenwärter, Ermahner, männliche und weibliche. Die ganze Gemeinde theilte sich, nach Alter und Geschlecht, in Chöre der Jünglinge und Jungfrauen, der Ehemänner und Ehefrauen u. s. w. Jeder Chor hatte seine besondere Andachten, Lieder und Feste. Einfache Kleidung war allen gemein, aller Mode-Putz wurde verbannt. Bürgerliche Streitigkeiten wurden brüderlich von den Aeltesten geschlichtet. Um der Reinheit der Sitten willen sonderten sich die Geschlechter mehr und mehr. Man ordnete tägliche Gottesdienste Morgens und Abends an, theilte die Gemeine in kleinere Gesellschaften, oder Banden, welche sich mit besonderer Offenheit wechselseitig ermahnten und erbauten, und vereinigte sich zu Nachtwachen, woran alle Männer von 16 – 60 Jahren Theil nahmen, so daß die Gemeine auch nächtlich durch Gesänge ermuntert, und daneben in ununterbrochenem Gebete dem Herrn priesterlich vorgetragen wurde. (Jes. 62, 6.)

Dies waren die sogenannten Stunden-Gebete. Es wurde auch eine Aufsicht über die irdischen Handthierungen festgesetzt. „In einer christlichen Gemeine, sagt Zinzendorf, muß gearbeitet, nur gute Arbeit zu dem billigsten Preise geliefert, und noch immer dem Arbeitsunfähigen gegeben werden.“ Er hob auch alle Dienstbarkeit und Leibeigenschaft für Herrnhut auf. Durch solche Wechselwirkung gläubiger Liebe schwand die Mißstimmung und Zwietracht; ein demüthiger, himmelwärts gerichteter Sinn verband die Herzen, und fast jeder Tag wurde durch neue Gnadenregungen bezeichnet. Dieser Segen innigster Verschwisterung im Geiste erreichte durch ein der Gemeine zum unvergeßlichen Andenken gewordenes Abendmahl am 13. August einen seligen Gipfelpunkt, so daß die verschiedenen Genossen recht eigentlich als Ein Herz und Eine Seele zusammenflossen, und, von jener Zeit an, der eigentliche Gemeingeist und das einträchtige Festhalten an Christo, dem Gekreuzigten, seinen lebendigen Anfang nahm. Ein Bericht von jenem Tage sagt hierüber: „Wir brachten diesen und die folgenden Tage in einer stillen, freudigen Fassung zu, und lernten lieben.“ Zu dieser Geistestaufe der Erwachsenen kam bald hernach eine große, segensreiche Erweckung unter den Kindern der Gemeinde, und so wurde jener Tag von Allen mit Recht als der eigentliche Stiftungstag der erneuerten Brüderkirche betrachtet, als welcher er noch heutigen Tages von ihr alljährlich gefeiert wird.

Diese seligen Erfahrungen besang Zinzendorf in dem trefflichen Weiheliede:

„O ihr auserwählten Seelen,
In dem Pella Herrenhut.

wo er unter andern von dem Fundamente der Gemeinde sagt:

„Drum, so gründe dich auf Gnade,
Bau des Höchsten, Herrenhut!
Mache deine Mauern grade,
Deine Pfosten rühr‘ mit Blut!
Jesu Leiden, drin wir weiden,
Haben uns das Herz genommen.
Drauf sind wir zusammenkommen.

Aber in tiefer Demuth fügt er auch hinzu:

Herrnhut soll nicht länger stehen,
Als die Werke deiner Hand
Ungehindert drinnen gehen,
Und die Liebe seh sein Band,
Bis wir fertig, und gewärtig
Als ein gutes Salz der Erden,
Nützlich ausgestreut zu werden.

Mit besonderer Liebe nahm sich Zinzendorf der Kinder an, als der jungen Saat für die künftige Gemeine. Er hielt ihnen gar liebliche, kindliche Reden, machte für sie Lieder, unter denen eins:

„Ich bin ein armes Kindelein,
Und meine Kraft ist schwach.“

besonders bekannt zu seyn verdient. Wie wichtig ihm die Kinderzucht war, äußert er z. B. in folgenden Worten: „Sie ist, sagt er, eine heilige, priesterliche Methode, die Seelen von ihrer Wiege an nichts anders wissen zu lassen, als daß sie für Jesum da sind, und daß ihre ganze Glückseligkeit darin besteht, wenn sie ihn kennen, ihn haben, ihm dienen, mit ihm umgehen, und ihr größtes Unglück ist, auf irgend eine Art von ihm getrennt zu seyn. Daher der Kinder größte Strafe seyn muß, nicht mitbeten, nicht mitsingen, nicht in die Versammlung gehen zu dürfen.“

Losungen. Erweckungs-Reisen. Verbindung mit Professoren und Studenten zu Jena. Erste Reise nach Kopenhagen. Die ersten Missionen.

Die Reden, welche Zinzendorf in den täglichen Abendversammlungen über einen biblischen Spruch, oder über einen Liedervers zu halten pflegte, gaben im Mai 1728 Veranlassung zu den sogenannten „Losungen“ der Gemeine, indem er den behandelten Spruch oder Vers den Brüdern und Schwestern, zu einer Losung für den folgenden Tag, mit nach Hause zu geben anfing. Während das Werk Gottes in Herrnhut fröhlich gedieh, und die Tage unter singen und Beten von Jung und Alt gefeiert wurden, dachte Zinzendorf schon an die Zukunft. Wie leicht konnte weichliche Ruhe und ein unthätiges schwärmerisches Wesen in der Gemeine einreißen, und ihre Glaubenskraft brechen. Er überzeugte sich, daß die Form nur tauge, so lange der Geist darin walte. Von außen mußte neue Lebenskraft und Anregung in die Gemeine kommen. Darum machte er Erweckungsreisen. Obgleich die österreichischen Aemter den Befehl hatten, ihn fest zu nehmen, reiste er doch ohne Furcht und unangefochten durch Schlesien, von da in die Thüringer Lande. Die Universität Jena war damals eine gar liebliche Blume evangelischen Glaubens. Der wackere Gottesmann, Professor Buddeus, der junge Magister Spangenberg und über hundert erweckte Studenten luden den Grafen im J. 1728 zu sich ein, und wurden mächtig erregt durch seine gewaltigen, feurigen Reden. Nicht anders die große Schaar gläubiger Studenten in Halle, die schon damals christliche Verbindungen zu gründen beabsichtigten, noch frisch angeweht durch den Geist Speners und Franckes. Vor Fürsten und Gewaltigen, wo ihm sein Stand Eingang verschaffte, zeugte er mächtig von der Wahrheit des Evangeliums, und erwarb gar viele Freunde. Seine Feinde aber wurden in seiner Gegenwart beschämt, und zum Schweigen gebracht. Die Glaubensfrische, die Zinzendorf von seinen Reisen nach Herrnhut zurückbrachte, ermunterte die Brüder zu ähnlichen Reisen. Johann und David Nitschmann gingen nach Dänemark, drei Andre nach England, Andre nach Mähren; selbst bis Ungarn drangen einige vor. – Schon längst empfand Zinzendorf sehr schmerzlich, daß sein äußerer weltlicher Stand nicht mit seinem innern, geistlichen Berufe übereinstimmte. Er fühlte, er müsse selbst Geistlicher werden, und doch fand er bei diesem Plan so viel Widerspruch. Da schien sich ein Ausweg zu finden. In Dänemark herrschte damals ein frommer König, Christian VI., mit welchem, wie mit der Königin, und seiner Schwiegermutter, der Markgräfin Sophie Christine von Bayreuth, der Graf schon längst bekannt und befreundet war. Er reiste deßhalb im April 1731 nach Kopenhagen, mit der Hoffnung, dort vielleicht einen entsprechenden Wirkungskreis zu finden. Die Königliche Familie empfing ihn mit der größten Auszeichnung. Die höchsten weltlichen Ehrenstellen und Staatsämter wurden ihm angetragen, und der König hing ihm am Krönungs-Tage mit eigener Hand den Danebrogs-Orden um. Doch alle diese Ehren achtete er nicht, er suchte ja nur einen geistlichen Wirkungskreis. „Wenn das Gute bei Hofe gefördert werden muß, – schreibt er an seine Gemahlin, – so kann ichs nicht unternehmen; denn es geht allzu viel Zeit auf die größten Kleinigkeiten, daß man’s bei Gott nicht verantworten kann, seine Stunden und Tage so sehr zu mißbrauchen. Mein Beruf heißt:

„Jesu nach, durch die Schmach,
Durchs Gedräng von auß- und innen,
Das Geraune zu gewinnen,
Dessen Pforte Jesum brach!“

Als der König ihn deßhalb nun frug, was er denn eigentlich wünsche, so schlug Zinzendorf vor, „eine neue Universität zu gründen, welche die Welt mit dem Evangelio erfüllen könne.“ Darüber äußerte der König große Freude. Er habe längst sich schon mit diesem Plane beschäftigt, aber bis jetzt noch nicht den rechten Mann finden können. Als es nun aber zur Ausführung kommen sollte, da zeigte es sich, daß der junge König auch bei dem besten Willen und Plan eines Ausländers gegen das Gutachten seiner Räthe nicht ausführen konnte. Wohl gab es auch unter den Hofleuten einige christliche Männer; die meisten aber behandelten das Christenthum als eine Mode, der man sich aus Liebe zum König, wenn auch mit Widerstreben, fügen müsse. Zinzendorf hatte seinen Zweck nicht erreicht; und doch sollte diese Reise großartige Erfolge haben. Was ein König beim besten Willen nicht thun konnte, dem Grafen einen großen, geistlichen Wirkungskreis anzuweisen, das wirkte ein armer Mohr und zwei Grönländer.

Ein Neger-Sclave, Anton, aus der Dänisch-Westindischen Insel St. Thomas war nach Kopenhagen gebracht worden, um hier bei einem Grafen als Kammermohr aufzuwarten. Zinzendorf wurde mit ihm bekannt. Anton erzählte, wie er sich früher selbst so sehr nach dem unbekannten Gott gesehnt habe, wie seine leibliche Schwester Anna, die in St. Thomas zurückgeblieben sey, so inniges Verlangen nach dem Christen-Gott habe, und wie gränzenlos, elend der Zustand der armen Seelen sey. Das ging dem Grafen durchs Herz. Um dieselbe Zeit sah er zwei Grönländer, die der heldenmüthige Missionar Hans Egede mitgebracht hatte. Das Werk der Mission lag aber jetzt jämmerlich darnieder. Der arme Egede erndtete nur Undank für seine saure Arbeit. Zinzendorf nahm freundlichen Abschied von der königlichen Familie, und kehrte mit neuen Missions-Gedanken erfüllt nach Herrnhut zurück. Die meisten Brüder wollten nicht viel wissen von der Heidenbekehrung; sie waren ja eben erst nach langem Kampf zu stiller Ruhe gekommen. Dazu waren eben erst 74 Vertriebene aus Mähren gekommen, die untergebracht werden sollten. Doch einige Brüder wurden mächtig ergriffen, entschlossen sich zur Reise nach St. Thomas, und erklärten, selbst Sklaven werden zu wollen, wenn sie auf keine andere Weise das Evangelium predigen könnten. Dies waren Leonhard Dober, ein Töpfer, und David Nitschmann, der Zimmermann.

Jeder hatte nur sechs Taler Reisegeld. Alles lachte und spottete über dies kühne Unternehmen. Selbst gottesfürchtige Freunde machten Einwürfe, und suchten sie auf andere Gedanken zu bringen. Nur die Gräfin von Stolberg zu Wernigerode sprach sich für ihr Vorhaben aus. – Sie sprach herzlich mit ihnen, und sagte zum Abschied: „Gehet hin!, und wenn sie euch todt schlagen um des Heilands willen, Er ist alles werth.“ Das war Balsam auf mein Haupt, schreibt Dober, weil sie die einzige auf der ganzen Reise, und, außer dem Grafen Zinzendorf, die einzige auf der ganzen Welt gewesen, die mir meinen Weg nicht schwer gemacht.“ In Kopenhagen ward ihnen durch eine Prinzessin eine Beisteuer zu ihrer Reise und eine holländische Bibel zugewandt. Auch einige Staats-Räthe, die die Glaubensfreudigkeit der Brüder bewunderten, entließen sie freundlich mit den tröstlichen Worten: „So geht in Gottes Namen! Unser Heiland hat Fischer erwählt, sein Evangelium zu predigen, und er selbst war eines Zimmermanns Sohn.“ nach einer beschwerlichen Reise von 10 Wochen kamen die reisenden in St. Thomas an. Der Neger Anton hatte ihnen einen Brief an seine Schwester Anna mitgegeben. Diese suchten sie auf, lasen ihr im Beiseyn andrer Neger den Brief vor, und verkündeten ihnen, daß Jesus auch ihnen die Seligkeit erworben habe. Vor Freude über diese Botschaft klopften die Neger in die Hände. Bisher hatten sie geglaubt, die ewige Seligkeit sey nur ein Vorzug ihrer weißen Herren. Die Negerin Anna mit ihrem Manne und Bruder Abraham waren die Erstlinge der schwarzen Christen. David Nitschmann mußte bald zurück nach Europa. Dober blieb zwei Jahre zu großem Segen, aber unter vielen Gefahren, allein in St. Thomas, bis auch er als Aeltester nach Herrnhut zurückberufen wurde, und andre Brüder in sein Arbeitsfeld eintraten, welches unter Dobers apostolischem Wirken schon reif zur Ernte geworden war.

Auch das eisige Grönland mit seinen ewigen Nächten und seiner kümmerlichen Vegetation sollte seine Apostel unter den Brüdern finden, die mit liebesglühendem Herzen die harten Eisrinden von den Herzen dieser armen Grönländer wegzuschmelzen wünschten. Matthäus Stach trug diesen Missions-Gedanken vom ersten Abend an, wo er von den armen Grönländern in der Versammlung hatte reden hören, still im Herzen herum. Endlich entdeckte er sich den Aeltesten in Herrnhut. Doch Niemand wollte den Plan billigen; bis nach längerer Zeit Zinzendorf ernstlich mit Stach über die Sache sprach, und ihn zur Ausführung aufforderte.

Der schon bejahrte Christian David konnte seinen apostolischen Eifer nicht zähmen; er reiste mit nach Grönland. Den 20. Mai 1733 landeten die beiden Brüder glücklich an der Küste Grönlands. Das mühsame, aber gesegnete Wirken derselben siehe weiter unten in der „Geschichte der ersten Missionare der Brüder-Gemeinde in Grönland!“

Während so das Kirchlein der Brüder nach innen und außen fröhlich aufzublühen begann, thürmten sich aber schwere, schwarze Gewitter über ihnen auf, die sich zunächst über dem Haupte des Gründers zu entladen drohten.

Zinzendorfs Verfolgungen. Gutachten der theol. Facultät zu Tübingen. Seine geistlichen Anfechtungen und vergebende Liebe.

Herrnhut war zu einer Gemeinde von fast 600 Seelen angewachsen. Diese erregte den Neid und Haß der Widersacher. Bei der sächsischen Regierung verdächtigte man den Grafen als einen unruhigen, neuerungssüchtigen Mann. Es liefen auch Klagen von der Oesterreichischen Regierung ein, daß Unterthanen zur Auswanderung verlockt würden. Dazu war der Umgang des Grafen mit einfachen, geringen Leuten den Hofleuten schon längst ein Gräuel. Man verbot ihm in Dresden, erbauliche Versammlungen zu halten; nach Herrnhut aber sandte man eine Commission, welche eine gründliche Untersuchung anstellen sollte. Sie kommt im Januar 1732, den Amtshauptmann von Görlitz, Georg von Gersdorf, an der Spitze. Aber siehe! Die heilige, feierliche Sabbaths-Ruhe, die schöne Ordnung, das liebliche, frische Glaubensleben, welches in Herrnhut waltet, macht auf die Glieder der Commission einen so tiefen Eindruck, daß diese sich nicht nur völlig von der Grundlosigkeit aller Anschuldigungen überzeugen, sondern auch mit Thränen und herzlichen Segens-Wünschen von dort scheiden. Die Feinde schienen zum Schweigen gebracht, aber nun grollte man auch gegen die Commission, welche einen für Zinzendorf sehr günstigen Bericht eingesandt hatte, als heimliche Herrnhuter. Der Graf hatte im März 1732 sein Staats-Amt zu Dresden niedergelegt. Seinen Feinden gelang es, schon im Novbr. d. J. den Befehl zu erwirken, daß er seine Güter in Sachsen verkaufen solle. Kamen diese nun an einen den Brüdern feindlichen Herrn, so war es um Herrnhut geschehen. Doch Zinzendorf hatte schon 1722 die Güter seiner Frau geschenkt, und übertrug sie ihr nun noch förmlich durch einen Kaufact. Hierdurch war dem Unheil vorläufig gewehrt. –

Zu den häuslichen Leiden, welche dieses Jahr 1732 ihm noch bereitet, dem Tode eines zweijährigen Sohnes, Johann Ernst, und eines zweijährigen, frommen Töchterleins, Theodora Charitas, kommen neue Schmähungen, selbst Drohungen von außen. Man spricht schon davon, bald werde der Graf auf der Festung Königstein für immer unschädlich gemacht werden. Sein Stand schützte ihn nun wohl vor äußerster Gewaltthat. Was konnte er aber bei seinem evangelischen Eifer von einem Fürsten erwarten, der, wie August der Starke, den heiligen Glauben seiner ruhmreichen Vorfahren verläugnet hatte, um die Polnische Königs-Krone zu gewinnen, dessen Hof, nach dem Pariser, der üppigste und sittenloseste in Europa war?

Da der Befehl, seine Güter zu verkaufen, deutlich genug seine Ausweisung aus Sachsen anbahnen sollte, so beschloß er, auf den Rath seiner Freunde, einstweilen freiwillig außer Landes zu gehen. Er pilgerte nach seinem lieben Württemberg, wo Geistlichkeit und Volk ihn stets so freundlich aufnahmen. Auch jetzt kam man ihm mit so viel Vertrauen, Liebe und Hochachtung entgegen, daß er sich in seinem Unglück dadurch beschämt und gedemüthigt fühlte. Er schreibt darüber an seine Gemahlin: „Ist die Schmach und Noth in der Lausitz groß, so ist die Erhebung meiner Person in diesem Lande mit gewiß tausendmal ängstlicher, und plagt mich bis zum Sterben.“ Auch an seinem Leibe sollte der Graf heimgesucht werden. Ein schweres Fieber warf ihn auf das Krankenbett, und machte ihn Wochenlang zu gewohntem, geistlichem Wirken untüchtig. Theilnehmend umstanden sein Lager die gläubigen Seelen Tübingens Hoch und Niedrig, begierig, ein Wort des Lebens aus seinem Munde zu hören. Ein Hauptzweck seiner Reise nach Württemberg war auch wirklich erreicht worden. Auf seine Veranlassung hatte die theologische Fakultät zu Tübingen unterm 19. April 1733 ein Gutachten herausgegeben, worin sie erklärte: „daß die mährische Brüdergemeinde zu Herrnhut, ihre Uebereinstimmung mit der evangelischen Lehre vorausgesetzt, bei ihren seit 300 Jahren bestehenden Einrichtungen und bekannten Kirchenzucht verbleiben, und dennoch ihre Verbindung mit der evangelischen Kirche behaupten könne und solle.“ Diese Entscheidung einer so berühmten, lutherischen Fakultät, wie die zu Tübingen, war ihm eine kräftige Stütze, seinen theologischen Feinden gegenüber.

Aber auch mit geistlichen Anfechtungen sollte der Vielgeplagte nicht verschont werden. Jetzt war ihm von mehreren Seiten vorgeworfen worden, seine Lehre, sein Hervorheben des blutigen Verdienstes Jesu Christi, seine sogenannte Martertheologie sey nicht die rechte Lehre. Auch sey er selbst noch nie rechtschaffen bekehrt worden.“ Es ward nämlich die Lehre der Schrift von dem Versöhnungsopfer Jesu Christi zwar von den evangelischen Kanzeln herab noch gepredigt, aber von vielen Theologen so dürr und trocken, so gelehrt systematisch, als Gewohnheitssache, ohne eigene Erfahrung, ohne inneres gläubiges Leben, daß diese dürre Glaubenslehre auch kein fruchtbringendes Glaubensleben erweckte, sondern nur einen todten Kopf- und Gewohnheits-Glauben, auf den sich aber die Selbstgerechtigkeit der Zuhörer viel zu Gute that, so daß er ihnen ein bequemes Ruhekissen in ihren Sünden wurde. Die Knechte Gottes, Arnd, Spener, Francke, hatten bekanntlich auch über solche kalte, todte Orthodoxie geklagt, und dagegen geeifert. Diese Einseitigkeit des Vortrags der evangelischen Glaubenslehre benutzten nun ungläubige Philosophen und Moralisten, an ihrer Spitze der Kanzleirath, Conrad Dippel zu Berleburg, die Fundamentallehre des Evangelii: „das Blut des Sohnes Gottes macht uns rein von aller Sünde,“ (1. Joh. 1, 7), selbst zu bekämpfen, weil sie meinten, die Menschen dadurch zu größerer, sittlicher Selbstthätigkeit zu zwingen. Dies war der Anfang der sogenannten Aufklärung, des trostlosen Rationalismus, der das Wort Gottes zuerst verflachte, nachher mit Füßen trat, und lange Zeit, wie ein giftiger Pesthauch, die Kirche Gottes verwüstet hat.

Diese Angriffe Dippels gegen die Lehre von der Versöhnung trieben dem Grafen im Jahre 1734 zu einer neuen, ernstlichen Prüfung seines Glaubens-Grundes, und zur Vergleichung desselben mit der h. Schrift und der Kirchenlehre, worin Spangenberg, Rothe, und die zwei grade in Herrnhut anwesenden württembergischen Magister Steinhofer und Oetinger ihm halfen. Auf diesem Wege ernster Forschung und aufrichtiger Selbstprüfung gelangte er zu der bisher noch nicht so klar und bestimmt erkannten Ueberzeugung, „daß die von so vielen verkannte und verworfne Lehre von dem Versöhnungsopfer Jesu Christi der Mittelpunkt und die Hauptlehre des christlichen Glaubens sey, und daß alle wahre Herzens-Religion sich auf den lebendigen Glauben an den gekreuzigten Versöhner der Sünde, und auf die aus diesem Glauben hervorgehende Liebes-Gemeinschaft mit Ihm (dem Umgang des Herzens mit ihm) gründen müsse.“ Er sagt darüber: „So lange ich Dippel’s System bloss von der Ecke ansah, da er den Zorn von Gott abwenden wollte, gefiel es mir; denn ich war damals in dem Concept der Theodicee, und der liebe Gott jammerte mich gleichsam, wo seine Handlungen nicht mathematisch genug zusammen zu hängen schienen; und weil ich nicht an Ihm irre werden konnte, so suchte ich Ihn auf alle Weise bei vernünftigen Leuten zu entschuldigen, war also bei Dippel’s Behauptungen ziemlich gleichgültig. Als aber ich selbst in die genaue Untersuchung meiner Bekehrung kam, merkte ich, daß in der Nothwendigkeit des Todes Jesu und in dem Wort „Lösegeld“ ein besondere Geheimniß und große Tiefe stecke, wo die Philosophie zwar schlechthin stehen bleibe, und nicht weiter komme, die Offenbarung aber unbeweglich darüber halte. Das gab mir einen Aufschub in die ganze Heilslehre, davon ich an meinem Herzen die erste, selige Probe machte, endlich an den Herzen meiner lieben Brüder und Mitarbeiter, da es haften blieb. Von dieser Versöhnungslehre singt er:

Dies ist das wundervolle Ding:
Erst dünkts für Kinder zu gering;
Und dann zerglaubt ein Mann sich dran,
Und stirbt wohl, eh’ er’s glauben kann.

Auch wurde er, der früher so ängstlich gesetzlich war, jetzt, und eigentlich schon vom Jahre 1729 an, immer evangelisch freier. Nach A. H. Francke’s Tode war nämlich ein Theil der Hallenser Theologen sehr engherzig in der Lehre von der Bekehrung und Wiedergeburt geworden. Sie hatten eine bestimmte Reihe von Bußkämpfen und Bekehrungsstufen festgesetzt, die jeder durchgemacht haben müsse, ehe er sich ein Kind Gottes glauben dürfe. „Ei, schreibt Zinzendorf, die Apostel haben ja die bekümmerten Seelen nicht auf ein bestimmtes Maß von Bußangst und ängstliche Uebung, sondern direkt zu Christo gewiesen, (1. Petr. 1, 13. Hebr. 4, 16.), und der Meister selbst beruft ja gerade die Mühlseligen und Beladenen, nicht, daß er sie quäle, sondern, daß er sie erquicke. Ich weiß wohl, daß die geistliche Geburt nicht ohne Empfindlichkeit geschieht. Aber wer darf den Grad der Schmerzen bestimmen? Wäre die Geburt hart, und das Kind könnte weder vorwärts, noch rückwärts, so ist das beste Mittel gewiß: – des Kindleins Weinen! Nach meiner Idee ist das ein Heiliges, das zu den Füßen des Heilands um Gnade weint.“ – Unterdessen war Churfürst August II. im J. 1733 gestorben, und sein Nachfolger August III. war milder gesinnt gegen die Brüder-Gemeinde, so daß Zinzendorf sich wieder freier bewegen konnte. Im Mai 1733 kam der treffliche Spangenberg nach Herrnhut, der fortan 60 Jahre im Segen in der Gemeinde wirkte. Auch Leonhard Dober kam, wie ein Siegesheld, aus St. Thomas zurück, um sein Aeltesten-Amt anzutreten. Er führte als erste Sieges-Beute einen hoffnungsvollen Negerknaben, Carmel Oly, mit sich, der später in Ebersdorf getauft wurde, und den Namen Josua empfing.

Auch wurde er, der früher so ängstlich gesetzlich war, jetzt, und eigentlich schon vom Jahre 1729 an, immer evangelisch freier. Nach A. H. Francke’s Tode war nämlich ein Theil der Hallenser Theologen sehr engherzig in der Lehre von der Bekehrung und Wiedergeburt geworden. Sie hatten eine bestimmte Reihe von Bußkämpfen und Bekehrungsstufen festgesetzt, die jeder durchgemacht haben müsse, ehe er sich ein Kind Gottes glauben dürfe. „Ei, schreibt Zinzendorf, die Apostel haben ja die bekümmerten Seelen nicht auf ein bestimmtes Maß von Bußangst und ängstliche Uebung, sondern direkt zu Christo gewiesen, (1. Petr. 1, 13. Hebr. 4, 16.), und der Meister selbst beruft ja gerade die Mühseligen und Beladenen, nicht, daß er sie quäle, sondern, daß er sie erquicke. Ich weiß wohl, daß die geistliche Geburt nicht ohne Empfindlichkeit geschieht. Aber wer darf den Grad der Schmerzen bestimmen? Wäre die Geburt hart, und das Kind könnte weder vorwärts, noch rückwärts, so ist das beste Mittel gewiß: – des Kindleins Weinen! Nach meiner Idee ist das ein Heiliges, das zu den Füßen des Heilands um Gnade weint.“ – Unterdessen war Churfürst August II. im J. 1733 gestorben, und sein Nachfolger August III. war milder gesinnt gegen die Brüder-Gemeinde, so daß Zinzendorf sich wieder freier bewegen konnte. Im Mai 1733 kam der treffliche Spangenberg nach Herrnhut, der fortan 60 Jahre im Segen in der Gemeinde wirkte. Auch Leonhard Dober kam, wie ein Siegesheld, als St. Thomas zurück, um sein Aeltesten-Amt anzutreten. Er führte als erste Sieges-Beute einen hoffnungsvollen Negerknaben, Carmel Oly, mit sich, der später in Ebersdorf getauft wurde, und den Namen Josua empfing.

Bald nach der Rückkehr des Grafen aus Württemberg fand ein ergreifendes Ereigniß statt. Der frühere Orts-Aelteste Kühnel hat lange Jahre hindurch den Grafen heimlich gehaßt und verfolgt, auch viele Andre auf böse Wege gebracht. Zuletzt ward er aus der Gemeine ausgestoßen. Da wird Kühnel krank, von schrecklichen Gewissensbissen gepeinigt, und begehrt, der Gemeine seine Vergehungen abzubitten. Er läßt sich in die Versammlung tragen, als eben die Gemeine den Vers singt:

Gnade bitten wird von dir.
Gnade ist der Seelen-Anker;
Und ein Kranker findet in der Gnade Saft –
Heilungs-Kraft.“

Seine Gestalt war jämmerlich, mehr einer Leiche, als einem lebenden Menschen ähnlich. Wie er nun so kläglich um Vergebung bittet, kann die ganze Versammlung die Thränen nicht zurückhalten. Der Graf aber, gegen den der Unglückliche am meisten gesündigt, steht auf, fällt ihm um den Hals, küßt ihn vielmals, und weint mit ihm. Dann kniet der Graf mit der ganzen Gemeine nieder, und betet inbrünstig, daß sich der Heiland seiner in Gnaden annehmen wolle. Der Kranke, durch diese barmherzige Samariter-Liebe wie von neuem geboren, fühlt einen Stein der Schuld von seiner Brust gewälzt, und erholt sich sichtlich. Er war dem Herrn von neuem gewonnen, und wollte wieder nach Herrnhut ziehen. Diese Barmherzigkeit war eine liebliche Frucht, welche die Schule der Leiden in dem Grafen gezeitigt hatte.

Der innere Herzenszustand Zinzendorfs wollte sich aber, je länger, je weniger, mit dem äußern hohen, weltlichen Stande vertragen. Er wollte nun auch vor der Welt nichts, als ein armer Diener Jesu Christi seyn. Sein Staats-Amt hat er niedergelegt, aber alle rathen ihm ab, in den geistlichen Stand zu treten. Selbst die Gräfin, bereit, jegliches Kreuz im Namen Christi zu tragen, sagt ihm die unangenehmen Folgen voraus, die ein solcher Schritt haben müßte. Doch er bezeugt: „Er habe einen göttlichen Ruf, das Evangelium zu predigen. Es sey aber nicht gleichviel, ob er in einer Privat-Versammlung, oder öffentlich das Evangelium verkündige; die Kirchen und Kanzeln hätten einen Vorzug, und es sey gewiß nicht vergeblich, wenn man Gottes Wort vor Jedermann bekenne; es komme nie leer zurück.“ Gegen solche Ueberzeugung half kein Widerspruch.

Zinzendorf tritt in den geistlichen Stand. Nitschmann zum Brüder-Bischof ordiniert.

Ein gottesfürchtiger Kaufmann in Stralsund, Namens Richter, begehrte einen Lehrer für seine Kinder aus Herrnhut. Da beschloß er, unter dem Namen „Ludwig von Freibeck,“ Hauslehrer desselben zu werden, um bei dieser Gelegenheit sich von den dasigen zwei angesehenen lutherischen Theologen, Superintendent Langemack und Dr. Sibeth, als Candidat der Theologie examinieren zu lassen.

Er gab sich seinem Principal, wie den Theologen, zu erkennen, und wurde von diesen drei Tage lang, lateinisch und deutsch, aufs strengste geprüft, mußte mehrere Predigten halten, und erhielt darauf von ihnen das Zeugniß nicht bloß theologischer Gelehrsamkeit, sondern auch vollständiger Rechtsgläubigkeit. Kaufmann Richter aber hatte ihn so lieb gewonnen, und fühlte sich so zu ihm hingezogen, daß er mit seiner ganzen Familie nach Herrnhut zog, und später sich getrieben fühlte, den Galeerensclaven zu Algier das Evangelium zu verkündigen, wo er 1740 an der Pest starb. Bald nach seiner Rückkehr von Stralsund reist der Graf nach Tübingen, um der theologischen Fakultät seinen Entschluß, den geistlichen Stand anzutreten, schriftlich darzulegen, welche ihn öffentlich billigt. Er predigt darauf am IV. Adventssonntag daselbst zweimal, und tritt damit den geistlichen Stand öffentlich an.

Er kehrt nach Herrnhut zurück, kommt in der Neujahrs-Nacht 4 Uhr Morgens an, und hält noch am selben Tage seine Reden an alle Chöre und an die ganze Gemeinde. So selig ist er, jetzt als öffentlicher Prediger des süßen Evangelii arbeiten zu können. Daher singt er auch in dem in dieser Zeit verfaßten herrlichen Liede: Du, unser auserwähltes Haupt,“ unter andern:

Da bin ich, Herr, dein Unterthan,
Und melde meine Gaben an,
Die du mir Armen mitgetheilt! –
Wenn mich der Hausherr Boten schickt,
So halt‘ ich mich für höchst beglückt.
O, unser allgemeines Haupt,
Gib, daß man meiner Botschaft glaubt!
Mein Rufen dring‘ in Herz und Ohren ein,
Und, wenn ich auf dich weise, so erschein‘!

Die Brüder waren, je mehr sie Missionare unter die Heiden schicken mußten, denen eine kirchliche Ordination nöthig war, in desto größerer Verlegenheit, wer diese, die meistens unstudierte Leute waren, ordinieren solle. Keine lutherische, oder sonstige Kirchenbehörde war dazu geneigt. Da erinnerte sich der Graf, daß die alte Brüderkirche aus uralter Zeit her Bischöfe habe. Jablonsky, Hofprediger des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I, war noch ein solcher Bischof. Und dieser stand schon lange mit Zinzendorf und der Gemeinde zu Herrnhut in inniger Verbindung. An diesen, als den Aeltesten der damaligen Brüder-Bischöfe, schrieb Zinzendorf, ob er wohl den Zimmermann David Nitschmann, der zu diesem Amt von der Gemeine ausersehen war, zum Bischof weihen wolle. Jablonsky bezeigte seine innige Freude darüber, es in einem Alter von 75 Jahren noch zu erleben, daß die Brüdergemeine von dem Herrn gewürdigt werde, den Samen des Evangelii in der alten und neuen Welt auszustreuen.“ Nach genauer Prüfung seiner Erkenntniß und seines Glaubens ward Bruder David Nitschmann am 13. März 1735 mit Einstimmung seines Collegen im Bischofs-Amt, des Seniors Sitkovius zu Lissa, zu einem Bischof der Brüder-Kirche geweiht.

Im Herbst desselben Jahres trat Zinzendorf eine merkwürdige Reise an, bekannt unter dem Namen Zeugenreise. Am ersten Reisetage kehrte er bei einem gottesfürchtigen Edelmann, von Gersdorf, zu Leichnam, bei Bautzen ein. Ein religiöses Gespräch dauert bis Mitternacht; da will der Gutsherr seinen Gast ins Schlafzimmer führen. Doch dieser erklärt, trotz alles Zuredens, er müsse jetzt gleich weiter reisen, und reist wirklich ab. Des andern Morgens findet man die Decke jenes Schlafzimmers grade über dem für den Grafen bestimmten Bett eingestürzt. Dem apostolischen Feuereifer verdankte Zinzendorf sein Leben! – Fast beständig pilgerte Zinzendorf bis in die Schweiz zu Fuß. Er war aber ein schlechter Fußreisender. In traulichem Gespräch mit seinem unsichtbaren Himmelsfreunde bemerkte er bei seiner großen Kurzsichtigkeit erst die Gegenstände, wenn er sich gestoßen, oder in Ungelegenheit verwickelt hatte, verfehlte auch häufig den rechten Weg, und wenn er sich den Tag über im Gespräch mit Leuten, die seine Theilnahme weckten, aufgehalten hatte, so pilgerte er bis tief in die Nacht, um in eine Herberge zu gelangen. Da nun der Fußreisende so stattlich vornehm, und doch dabei so mild und freundlich aussah, so wußten scharfsinnige Bettler seinen Taschen unerwartet schnell alles Geld zu entlocken, so daß er oft selbst in Noth kam. Für seine letzten Pfennige bat er einst, zum Tod ermattet, um ein wenig Brod und Wasser, wurde aber mit Spott abgewiesen. Doch sammelte er auf solchen Reisen gar köstliche Lebenserfahrungen, die durch die ausgestandenen Beschwerden nicht zu theuer bezahlt waren. – Neue Gewitter, schwerer als je, waren unterdeß im Anzug gegen ihn. Nicht bloß war er bei dem Könige von Dänemark in Ungnade gefallen, so daß er sich gedrungen fühlte, ihm den Danebrog-Orden zurück zu senden, sondern seinen Feinden in Dresden war es auch gelungen, ein Verbannungsdekret gegen ihn, und eine neue Untersuchungs-Commission gegen Herrnhut auszuwirken, von welcher letzteren man hoffte, daß sie dem Pietisten-Reste den Garaus machen würde.

Zinzendorf in der Verbannung, – auf der Nonneburg. Reise nach Liefland. Verhältniß zum König Friedrich Wilhelm I. von Preußen.

Eben war Zinzendorf nach Holland gerufen worden, wo er, auf den Wunsch der Fürstin von Oranien, eine neue Brüder-Colonie zu Heerendyck bei Utrecht gründete, und durch Predigten und Privat-Versammlungen in Amsterdam, Gröningen u. a. O. viel guten Samen unter verschiedenen Confessionen und Sekten ausstreute. In Amsterdam hatte er auf den bekannten Unitarier, Samuel Crell, tiefen Eindruck gemacht, so daß dieser auf seinem Sterbebett gläubig an Jesum verschied. Mit den Handels-Direktoren der holländischen Colonien hatte er Missionen der Brüder nach Surinam, Guinea, Südafrica und Ceylon eingeleitet. Da findet er auf der Rückreise in Hessenkassel das Dekret seiner lebenslänglichen Verbannung aus Sachsen. Er ertrug diesen harten Schlag mit heldenmüthiger Fassung, ohne Bitterkeit, und sah darin eine liebevolle, heilige Fügung des Herrn, die seiner Gemeinde nicht zum Schaden, sondern zur Förderung dienen werde. Mit großer Freudigkeit sagte er daher zu David Nitschmann: „Ich kann unter zehn Jahren ohnedem nicht nach Herrnhut kommen zum Dableiben. Denn jetzt müssen wir die Pilger-Gemeinde sammeln, und de Welt den Heiland verkündigen. Das wird nun unsere Heimath, wo grade jetzt für den Heiland das Realste zu thun ist.“ Er sah sich nunmehr mit dem Evangelium in alle Welt geschickt, zur Entschädigung dafür, daß er mit seiner vorerst hinreichend gekräftigten Gemeinde zu Herrnhut nicht unmittelbar verbunden seyn konnte. Seine Frau, die ihn nach Holland begleitet hatte, sandte er schnell nach Herrnhut zurück, um bei dem Erscheinen der Untersuchungs-Commission von Dresden zugegen zu seyn. Er selbst reiste nach Frankfurt am Main, um dort die gläubigen Seelen zu besuchen, die als eine frische, grüne Saat aus dem Samen hervorgewachsen waren, den sein Pathe Spener einst dort streute, und die ihn eingeladen hatten. Die Commission kam, Superintendent Dr. Löscher von Dresden an der Spitze. Aber siehe!, sie mußte Herrnhut segnen, statt zu fluchen. Bei ihrer zehntägigen Anwesenheit fand sie so viel tiefen und fröhlichen Glauben, und so viele weise, christliche Einrichtungen, statt der erwarteten Schwärmerei und Kopfhängerei, daß Dr. Löscher den Sonntag darauf Herrnhut seiner Dresdner Gemeinde als Muster hinstellte.

Eine Stimme des Unwillens erscholl aus dem Munde Tausender in Deutschland über Zinzendorfs Verbannung. Was hatte er Uebles gethan, daß man ihn aus dem Lande verbannte? Man warf falsche Lehre und gefährliche Principien vor, und doch hatten ihn zwei lutherische Consistorien zu Stralsund und Tübingen für völlig rechtgläubig erklärt.

Von allen Seiten gingen ihm Einladungen zu, und herzliche Theilnahme wurde ihm vielfach gezollt. Zinzendorf verweilte eine Zeitlang auf dem lieblichen Schlosse Marienborn in der Wetterau. Doch, als mehrere Brüder zu ihm stießen, auch die Gräfin mit allen Kindern bei ihm eintraf, wurde Marienborn zu klein für so viele Gäste. Da wurde ihm das nicht weit davon entfernte alte, halbverfallene Schloß Ronneburg zur Wohnung angeboten. Dort lebten aber schon Inspirierte, Juden, und allerhand arme Familien von andern Sekten in großer Verwahrlosung. Christian David ward ausgeschickt, dort das Terrain zu recognoscieren. Der brachte die Antwort: „Da können Sie nicht wohnen!“ Der Graf erwiderte: „Christian, bist du nicht in Grönland gewesen?“ Ja, sagte er darauf: „Wenn’s wie in Grönland wäre!“ Aber da können Sie nicht hin; Sie müssen verderben.“ Je größer das Elend dort aber war, desto mehr zog es den Grafen zu diesen an Leib und Seele Verkommenen, als zu seinem eigentlichen Beruf.

Er begann auf der Ronneburg keine Predigten und Erbauungen für die armen Leute, errichtete Schulen für den Unterricht der Kinder, theilte Lebensmittel aus, und schon begannen sich die ersten Früchte der sauren Missions-Arbeit zu zeigen, als die gegen ihn aufgewiegelte Landesherrschaft Miene machte, das fernere Arbeiten an den Seelen jener Unglücklichen zu verbieten. Der Graf erklärte zwar voll Unmuths und heiligen Zorns, „er würde sich die Arbeit an diesen Seelen nicht wehren lassen, sondern über dieser seiner Passion alles daran wagen.“ Da er aber Gewalt fürchten mußte, so reiste er nach einem Aufenthalte von sechs Wochen ab, um einer Einladung mehrerer Gläubigen nach Liefland zu folgen. Hier ließ er in Riga, Reval, und auf dem Lande, wo er eine große Zahl Geistlicher für sich gewonnen, viele Segensspuren von seinem kurzen Wirken zurück. Auf der Rückreise machte er die wichtige Bekanntschaft des Königs von Preußen.

Friedrich Wilhelm I., ein streng gläubiger Herr, war in jener traurigen Zeit einer der wenigen Fürsten Europa’s, der die wahre Bedeutung des Christenthums begriff. Aber, weil er als Christ wohl wußte, was am Menschen ist, so mußte Jeder, ehe er sein Vertrauen erhielt, erst manche Proben durchmachen, ob er für Ehrgeiz, Geldgeiz, oder andre Leidenschaften zugänglich sey. Bestand Einer diese Proben, dann konnte er auf seine dauernde Achtung rechnen. Im Stillen war der König allen Vorgängen in der Brüder-Gemeinde gefolgt; er hatte sogar zur Beobachtung eines Obersten nach Herrnhut gesandt. Denn seine Soldaten hielt er nun einmal zu allen Geschäften tauglich. Als Zinzendorf durch Berlin kam, ließ ihn der König auf sein Jagd-Schloß Wusterhausen einladen. Der König frug einige Hofleute, was sie von dem Grafen hielten. Sie waren bald mit der Antwort fertig. „Ew. Majestät, entgegneten sie kurz, der Graf Zinzendorf ist ein Narr.“ Das aber wollte der König erst untersuchen. Zinzendorf mußte, auf ausdrücklichen Befehl, drei Tage in Wusterhausen bleiben, und alle Tage eine Unterredung vor dem scharfprüfenden Monarchen aushalten. „Am ersten Tage, erzählt Zinzendorf, sprach der König sehr kalt, doch gründlich. Am zweiten offen und zutraulicher. Am dritten Tage erklärte er vor der Königin und dem Hofe: „Er sey meinetwegen belogen und betrogen; der Teufel aus der Hölle könne nicht ärger lügen; meine ganze Sünde sey, daß ich mich als ein Graf und in der Welt angesehener Mann dem Dienste des Evangelii widme. Er versicherte mich seiner Liebe und seines völligen Vertrauens, und daß er nichts mehr wider mich glauben, sondern mir dienen wolle, wo er wisse und könne.“ Zu jenen Hofleuten aber sagte der König bitter: „Er wisse nun, auf welcher Seite er die Narren zu suchen hätte.“ Theilnehmend ging nun auch der König auf alle Lebensverhältnisse des Grafen ein. Er hatte ihn als einen rechtschaffenen Christen erkannt, der mit ihm auf gleicher Straße dem Himmel zustrebe; so wollte er ihm, als einem Bruder in Christo, auch in zeitlichen Dingen rathen. Bis an des Königs Tod fand ein herzlicher Briefwechsel mit ihm statt; auf allen seinen Reisen mußte der Graf an den königlichen Gönner schreiben.

Anerkennung der Brüder-Kirche; als einer bischöflichen, vom englischen Parlament. Zinzendorfs Ordination zum Bischof. Wirken in Berlin.

Vom König mit einem kräftigen Empfehlungsschreiben an den Grafen von Degenfeld, seinen Gesandten beim Oberrheinischen Kreise, versehen, reiste Zinzendorf nach der Wetterau zu seiner Familie. die Gräfin war durch die Ränke übelgesinnter Menschen förmlich von der Ronneburg vertrieben worden, und nach Frankfurt a. M. geflüchtet. Aber jene Empfehlung des Königs von Preußen that Wunder. Mit größter Auszeichnung empfing ihn die weltliche und geistliche Obrigkeit der Stadt. man gestattete ihm gerne, öffentliche Andachten zu halten, wiewohl sein Predigen, daß der ehrlichste und rechtschaffenste Rathsherr von Frankfurt nun grade so durch die Gnade Gottes in Christo Jesu selig werden könne, wie der Straßenräuber, den man auf das Rad lege, den feinen Weltleuten bitter, wie Wermuth, dünkte. Er schrieb auch von hier eine Synode aus, welche auf dem Schlosse Marienborn, im Dezember 1736, zum großen Segen der Versammelten abgehalten wurde. Dies war der erste Synodus der erneuerten Brüder-Unität. Seinen ältesten Sohn, Christian Renatus, sandte er um diese Zeit auf die Universität Jena, unter Aufsicht des ältern Johann Nitschmann, welcher sich zugleich der zahlreichen erweckten Studenten annehmen sollte. er selbst reiste mit der Gräfin, mit Wattewille und andern Brüdern aus der sogenannten Pilgergemeinde nach Holland, wo bereits zwei liebliche Brüder-Colonien erblühten, von welchen bald zahlreiche Missionen in die holländischen Colonien nach Indien, Süd-Africa und America ausgehen sollten. Sein Missions-Eifer trieb ihn im Januar 1737 von hier über das Meer nach England.

In diesem schönen Eilande, welches schon damals bedeutenden Handel mit seinen weitläufigen Colonien trieb, und wo sich viel evangelischer Eifer für Heidenmission zu entwickeln anfing, ersah sich der Graf ein reiches Feld für sein Wirken. Der würdige Erzbischof von Canterbury, Johannes Potter, nahm ihn freundlichst auf, und war tief ergriffen von seiner aufopfernden Liebe für das Evangelium. Sollte er auch manches Leid darum zu erdulden haben, so müsse er doch nach der Wahrheit bekennen, „die Brüderkirche sey eine wahrhaft apostolische und bischöfliche, und behaupte in ihren Lehren nichts, was denen der Englischen Kirche widerstreite.“ Dies wurde später, im J. 1749, von dem englischen Parlamente anerkannt, und den Brüdern rechtskräftig freie Uebung ihres Glaubens in dem gesamten Britischen Reiche gestattet, ein wichtiger Gewinn für die Brüderkirche zu ihrer ferneren Ausbreitung. Zinzendorf aber predigte zu London gewaltig auf Deutsch und Englisch, und legte den Grund zur ersten englischen Brüder-Gemeine, aus der bald zahlreiche Tochter-Gemeinen hervorgingen. Auch mit den verschiedenen Sekten, den Quäkern, und den Häuptern der sich eben bildenden Methodisten, Wesley und Whitefield, machte er Bekanntschaft, und blieb eine Zeit lang mit ihnen in freundschaftlicher Verbindung.

Nach einem gesegneten Wirken von 3 Monaten reiste Zinzendorf aus England wieder nach Holland, und von da nach Berlin. Hier wurde er, mit Genehmigung des Königs, am 20. Mai 1737 vom Oberhofprediger, Bischof Jablonsky, zu einem Bischof der Brüderkirche ordiniert. Von Juni bis Dezember ward es ihm vergönnt, in Herrnhut zuzubringen. Der 13. August 1737 ward feierlich als Stiftungsfest begangen. Erst zehn Jahre bestand die Gemeine, und was hatte man in dieser Zeit nicht schon alles erlebt! Aus dem kleinen Haufen mährischer Exulanten war ein blühendes Kirchlein entstanden, welches seine Zweige fast über alle Theile der Welt ausstreckte. Unermüdlich arbeitete Zinzendorf fast Tag und Nacht, um alle etwa eingerissenen Irrthümer zu beseitigen, und mit Weisheit die nöthigen Institutionen zu schaffen, „damit es auf lange Zeit keinem Volke gelingen möge, wie es in dem andern Kirchen geschehen, die kleine Heerde durch Mißglauben zu zerfleischen.“ Obgleich im August d. J. die sächsische Regierung verfügt hatte, daß die Gemeine in Herrnhut, so lange sie bei der Lehre der Augsburgischen Confession beharre, bei ihrer Einrichtung und Kirchenzucht gelassen werden solle, so wurde dem Grafen doch jetzt von dieser Regierung zugemuthet, einen Revers zu unterschreiben, wornach er mancherlei Vergehungen eingestehen sollte, deren er sich ganz unschuldig wußte. Da er dies Gewissens halber nicht konnte, so mußte er das Land wiederum verlassen. Dieses Exil dauerte zehn Jahre; Herrnhut aber blieb unangefochten. Freudig bekannte Zinzendorf am Schluß seines Exils: „In der Zeit ist Herrnhut gestanden als eine Hütte Gottes bei den Menschen, und Niemand hat einen Nagel verrückt.“

Von jetzt an siehest du ihn, lieber Leser, bald hier, bald da! Er schien so recht dazu bestimmt, in der Welt umherzuziehen und wohlzuthun, seinem göttlichen Meister nach. Sein Herz zog ihn sehr nach Berlin. Dort lebte seine Mutter, gegen die er die tiefste Verehrung und Pietät bis an ihr seliges Ende bewahrte. Dort lebte Preußens christlicher König, der einzige Fürst, der ihn verstand, und ihm als Königlicher Schirmherr und liebreicher Freund zuverlässigen Schutz verlieh. Dort hatte sein geistlicher Vorgänger und Pathe Spener gewirkt. Wie er in Dresden und Frankfurt dessen Spuren nachgegangen war, so wollte er es auch in Berlin thun. Freilich schien es, als ob der märkische diese Spuren am schnellsten verweht hätte. Nur dünne schienen die Pflänzlein von dem reichen Samen, den Spener ausgestreut, hier zu stehen. Nach einem Besuche bei seinem Sohne in Jena reiste er nach Berlin. In Halle ging ihm das Geld aus. Ein alter Freund mochte ihm nichts borgen. So mußte er zu Fuß nach Berlin wandern. Zufällig kehrte er bei einem wackern Bauer zu Radegast ein, dem er seine Noth klagt. Dieser, ergriffen von der würdigen Erscheinung des Grafen, spannt sogleich seine Pferde ein, um den ehrwürdigen Herrn auf die nächste Poststation zu bringen, und leiht ihm das nöthige Geld. Von Berlin, wo er im Dezember 1737 ankam, sandte der Graf seine Schuld zurück mit einem herzlichen Dankbrief. Nun miethete sich Zinzendorf ein Haus in Berlin, und begann, in demselben Andachtsstunden zu halten, unter immer wachsendem Zulauf von Vornehmen und Geringen, Soldaten und Civil-Personen. Obgleich die meisten Geistlichen Berlins sich, theils heimlich, theils öffentlich, dagegen erklärten, so ermunterte ihn der edle König, „nur in Gottes Namen das reine Evangelium zu predigen, und Gott werde seinen Segen dazu geben.“ Ein Zimmer war bald zu klein; man nahm das anstoßende dazu. Endlich mußte man auf den geräumigen Hausboden ziehen. Aber auch hier fanden die Schaaren Heilsbegieriger nicht Raum genug, so daß die Gesellschaft sich theilen mußte. War eine Abtheilung durch das Wort des Lebens gesättigt, so zog sie ab, und es kam eine neue. An die Männer und an die Frauen hielt er ohnehin getrennte Ansprachen. Eine Kirche ward ihm nicht eingeräumt; ja Geistliche und Weltliche suchten den Grafen beim König zu verdächtigen. Doch da kamen sie schlecht an. Seine sanfteste Antwort war: „Gegen den Grafen Zinzendorf bringe mir Niemand etwas bei! Ich fühle ihn an meinem Herzen.“ Friedrich Wilhelm war sich als Christ des großen Segens bewußt, den der Schutz des Evangeliums einem Staate bringt. Er nahm mit Freuden alle flüchtige Evangelische, zumal die armen Salzburger, in seinen Staaten auf. Als einst wieder eine solche Schaar evangelischer Flüchtlinge gemeldet wurde, da rief der fromme König mit Freudenthränen: „Ach Gott, was thust du an dem Hause Brandenburg!“ So legte damals gläubige Liebe zum Heiland und dessen armen Brüdern den Grund zu Preußens nachmaliger Größe und Heldenkraft, die sich schon im nächsten Jahrzehnt entfaltete, und an der fast ein ganzes ungläubiges Jahrhundert zehrte. „Wer mich ehret, spricht der Herr, den will ich auch ehren!“ – Ende April 1738 reiste Zinzendorf, nach einem sehr gnädigen und herzlichen Abschied von Preußens Könige, nach der Wetterau.

Visitation der Missionen in Westindien. Pflege der Diaspora. Zinzendorfs innerer Lebensgang. Zweite amerikanische Reise.

Jetzt kam sein lang gehegter Plan, selbst eine Missions-Reise nach Amerika anzutreten, in Ausführung. Man machte ihm den harten Vorwurf, als schicke er die Brüder in den gewissen Tod nach dem fernen Amerika, während er selbst gemüthlich zu Hause sitze. Auch gab es Mißverhältnisse zwischen den Missionaren und dem dänischen Gouverneur in St. Thomas, denen nur Zinzendorf durch seine Gegenwart abhelfen konnte. Aber schwer war der Abschied von seiner Frau und Kindern; denn nicht leicht entrann ein Europäer dem mörderischen Klima auf St. Thomas. Doch gottergeben, wie immer, sang die opferreiche Gräfin ihrem scheidenden Gatten ein schönes Abschiedslied, worin sie sein Zeugenglück rühmte (s. unten in ihrem Leben.)

Im Dezember 1738 ging Zinzendorf von Amsterdam aus zu Schiffe. er litt gewöhnlich sehr an der Seekrankheit, und doch hatte er diesmal so sehr viel zu arbeiten. Da bat er den Herrn, er möge ihm diesmal die Krankheit mildern, und wirklich war er auf der ganzen Reise nur Einen Tag krank. Am 28. Januar 1739 landete er in Eustachius auf Westindien. Man frug ihn, ob er wohl wisse, daß St. Thomas das allgemeine Todtenloch, zumal in dieser Jahreszeit, sei, woraus wegen der pestilenzischen Luft nicht leicht Jemand lebendig zurückkomme. Er solle wenigstens noch zwei Monate waren. Er miethete aber sogleich ein Fahrzeug, und fuhr nach St. Thomas über. Er kam gerade, wie ein Engel vom Himmel, zu rechter Zeit. Die Brüder schmachteten schon seit 3 Monaten im Gefängniß; den schwarzen Christen suchten aber ihre Herren aus Furcht , jene könnten bessere Christen als sie selbst werden, den frisch gepflanzten Glauben mit Peitschenhieben auszutreiben. Das war ein bejammernswerter Anblick. Des Grafen Gegenwart änderte bald Alles zum Bessern. Durch sein Ansehen imponierte er dem Dänischen Gouverneur dermaßen, daß dieser sogleich die gefangenen Brüder los ließ. Nun war große Freude unter den Christen in St. Thomas; denn auch die Pflanzer bekamen Respekt vor dem Grafen, und zeigten sich milder gegen ihre christliche Sclaven.

Zinzendorf begann bald seine Predigt im Freien. als er bei der ersten Versammlung mit seinem gewöhnlichen Stoßgebet anfing: „Ich glaube, daß Jesus Christus u. s. w. mein Herr ist“, da fuhr die ganze schwarze Mohren-Versammlung mit herzlicher Inbrunst und vielen Thränen fort: „Mein Herr, mein Herr! der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat“ u. s. w. Ungewöhnlich stark war der Zudrang zu dem Hause des Grafen. An 900 Schwarze waren gläubig geworden. – Ihre Zahl ist gegenwärtig bis auf 70,000 gewachsen. – Nachdem sie unter den härtesten Drangsalen und schrecklichsten Mißhandlungen des Tages Last und Hitze getragen hatten, eilten sie gegen 7 – 8 Uhr des Sonnabends zu den gottesdienstlichen Versammlungen, von denen sie oft erst des Sonntags früh zurück kamen. Aber auch die Pflanzer wurden von neuem erbitterter. Mit grenzenloser Schamlosigkeit klagten sie, daß keine Negerin sich mehr zu ihren fleischlichen Lüsten wolle gebrauchen lassen. Man stellte dem Grafen förmlich nach dem Leben, und dieser mußte nach einem Aufenthalt von 3 Wochen St. Thomas verlassen. Vorher aber brachte er den Kauf eines Hauses und einer Plantage, der Posaunenberg genannt, (nach Jes. 18, 1.), zum Dienste der Mission zu Stande. Diese Station heißt jetzt Neuherrnhut. Ein Neger schrieb einen beweglichen Brief, von 650 Negern unterschrieben, an den König von Dänemark, eine Negerin einen ebenso beweglichen Brief an die Königin, den 250 Negerinnen unterzeichnet hatten. Zinzendorf übernahm es, diese Briefe richtig zu bestellen, und reiste, nach einem rührenden Abschied von den Brüdern und der Neger-Gemeine, den 17. Februar von St. Thomas ab. Er nahm einen getauften Neger und einen gelehrten portugiesischen Juden, Dakosta, mit seiner Frau, der ihn flehentlich darum bat, nach Europa mit. Ja, aus Mitleid bezahlte er nicht bloss die Ueberfahrt für den Juden, sondern überließ ihm auch sein eignes Cabinet mit einem Bett, während er selbst mit den andern Reisenden in der Cajüte blieb. Die Reise dauerte 7 Wochen, in denen der Graf entsetzlich litt. An seinem ganzen Körper brachen, in Folge der großen Anstrengung und schlechten Luft , Schwären und Wunden auf. Dessen ungeachtet predigte er alle Sonntage vor dem versammelten Schiffsvolk, studierte und arbeitete viel. Eine seiner trefflichsten Schriften verfaßte er auf dem Schiff: „Jeremias, der Prediger der Gerechtigkeit.“ Auch dichtete er viele Lieder, worunter das köstliche Lied:

„Christi Blut und Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid;
Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich zum Himmel wird‘ eingehn.“

Erstaunlich schnell und glücklich war diese Reise vollendet, so daß viele gar nicht glauben konnten, daß er diese reise überhaupt gemacht habe.

Den 1. Juni 1739 traf Zinzendorf in Marienborn ein, in Begleitung des Negers Andreas, der nun durch seinen Wandel ein freundliches Zeugnis von der unter den Negern waltenden Gnade ablegte. Seine ganze Familie und viele Freunde warteten seiner mit Sehnsucht. Doch voll Mitleid ruhten die Blicke der Seinen auf der veränderten Gestalt des zurückgekommenen Reisenden. Das war nicht mehr der gesunde, blühende Mann von ehedem, das war nicht mehr das große, blaue, leuchtende Auge, welchem ihm so viele Herzen gewonnen hatte. Man sah vielmehr einen kranken Mann vor sich, über und über mit Ausschlag bedeckt, die Schultern wund von den Taschen voll Büchern, und dem Gepäcke, das er selbst getragen. Dabei kam er zu Fuß, zitternd vor Fieber und Entbehrung. Unwillkürlich fiel einem Jeden der Gedanke ein, wie so ganz anders es dieser Mann hätte haben können, wenn er nicht die Eine Passion gehabt hätte: Er, nur Er!

Auch jetzt ließ ihn sein Eifer für des Herrn Sache die Sorge um seinen Leib vergessen. Durch seine vielen Reisen und Predigten waren in den Kirchen der verschiednen Länder Gemeinschaften erweckter Seelen zusammengetreten, die nun auch gern in der äußern Form das Vorbild Herrnhuts nachgeahmt hätten. Aber, ohne den Grund und Boden Herrnhuts, unter ganz andern staatlichen und kirchlichen Verhältnissen, mußten solche Bestrebungen mißlingen, und nur Haß und Erbitterung gegen die Brüder-Kirche selbst erregen. Zinzendorf wünschte, daß seine Brüder und Anstalten mit der gesamten evangelischen Kirche im Frieden und enger Verbindung ständen; ohne äußere Eroberungen zu machen, sollten sie nur Sammel-Punkte eines innigen Glaubens-Lebens für die ganze Kirche werden. Deßhalb berief er eine Synode nach Ebersdorf, wo er durchzusetzen suchte, daß solche Aftergemeinden, wie er sie nannte, von den Brüdern entschieden gemißbilligt, und die Verbindung erweckter Seelen mit der Brüderkirche unverfänglich geordnet würde. Obgleich man anfangs nicht darauf eingehen wollte, so drang doch später die von großer Weisheit und Selbstlosigkeit zeugende Ansicht des Grafen durch, und gab Veranlassung zu der Pflege der sogenannten „Diaspora“, der Freunde der Brüder-Gemeine, welche einerlei Grund der Lehre und der Hoffnung mit ihr haben, aber nicht dieselbe kirchliche Verfassung. Bald auch trieb es ihn, eine Fuß-Reise nach Schwaben zu machen, wo er überall predigte, und köstlichen Samen ausstreute, aber auch seine Gesundheit dermaßen aufs Spiel setzte, daß er in völliger Entkräftung nach Marienborn zurückkehrte. Von seiner West-Indischen Reise hatte er sich noch gar nicht erholt; die neuen Anstrengungen brachten ihn daher dem Tode nahe. Er selbst glaubte zu sterben, und freute sich darauf. Der Arzt gab auch den Patienten auf, und verordnete ihm nur ein kühlendes Getränk. Ein ungeschickter Wärter nahm, statt dessen, ein Glas mit essentia dulcis, und ward so durch Gottes Fügung sein Lebens-Retter. Nach ihrem Genuß fiel der Graf in einen fürchterlichen Schweiß, der in Strömen von ihm herabfloß. Hierdurch brach sich die Krankheit. Bald zeigten Briefe, Lieder, Anordnungen aller Art, daß er wieder in gewohnter Thätigkeit sei. In Holland ward ein neues Seminar gegründet. Glaubensboten wurden nach der Wallachei, Nord-Amerika, Ceylon und Algier ausgesandt.

Um seine Gesundheit zu stärken, mußte er noch im Dezember 1739 eine Reise nach der Schweiz unternehmen, in Begleitung seines Freundes Watteville meist zu Fuß, wo sie sich bei Bern einmal verirrten. Zinzendorf rief in dieser Noth den Heiland um Hülfe an, und nicht vergeblich. Ein Knabe, der aus einem Busch heraus kam, zeigte ihnen den Weg. Viele Freunde gewann der Graf auf dieser Reise; viele aber hatten den Verdacht, als wolle er sich durch seinen Eifer fürs Christenthum berühmt machen.

Darüber, und über seinen ganzen innern Lebensgang äußert er sich in einem Briefe folgendermaßen: „Daß ich die ersten, tiefgehenden Gnadenzüge erfahren, die von der Predigt des Kreuzes entstanden, ist ohngefähr etliche und dreißig Jahr. Daß die Begierde, Seelen zu Jesu zu bringen, mein Herz eingenommen, und mein Plan im Herzen das Lamm gewesen, ob ich gleich auf unterschiedliche Methoden gedacht, mit Ihm anzukommen, – (z. E. in Halle geradezu; in Wittenberg durch die Moral; in Dresden durch die Philosophie; seitdem durch Seine Nachfolge; und nicht eher, als nach der seligen Zeit in Herrnhut, die mit dem Dippelschen Wesen zusammentraf, durch die simple Lehre von Seinem Leiden und Tode;) – das kann Alles zu meinem Knechtsberuf referiert werden. Doch habe ich dabei lediglich um Jesu willen gehandelt, und keineswegs aus eigenen Nebenabsichten. Denn, daß ich durch die Sache Jesu hätte berühmt werden wollen, war meinem Temperament ungemäß. Ich liebte Pferde, Grandeurs, und meine Natur portierte mich, einen Xenophon, Brutus, Seneka u. s. w. abzugeben. Die Modelle von meinen Aeltern, und Groß- und Ur-Aeltern waren dem gemäß; meine Erziehung auch; und soviel wußte ich, daß bei der Lehre Jesu kein Staat auf dergleichen Etablissements könnte gemacht werden. Aber das habe ich Jesu wissentlich aufgeopfert. Meine Führung fing darum ziemlich langsam und confus. Weil ich keine Führer hatte, und wir die Schrift heutzutage nicht mehr verstehen, wie sie ist, sondern wie man sie mühsam verstellt und paraphrasiert hat, so führten mich die Exempel der Heiligen, und keine Principia. Ohnerachtet ich nun 1711, 1714, 1717, 1719 und 1721 solche innige Begnadigungen gefühlt, und der Seligkeit so gewiß war, als meines Lebens, so gestand ich doch denen, die mir’s negierten, leichthin zu, daß ich vielleicht noch nicht bekehrt sei. Und da kam ich in ein, nach meiner jetzigen Idee, unnöthiges, mir aber doch sehr wohl bekommendes Ringen und Flehen; und habe die Versiegelung des ewigen Friedens und der Kindschaft seit der Zeit mehrmalen so empfindlich erfahren, daß ich endlich inne gehalten, sie weiter zu begehren, damit sich keine geistliche Eitelkeit drein mengen möge. Die Sache hat allezeit durchs Blut und Verdienst Jesu gesucht und erlangt werden müssen. Daß ich hundertmal mehr Angst, Noth und Thränen erfahren, als ich von keinem Sünder jemals fordern werde, ist gewiß. Ich halte aber diese meine Führung für eine bloß durch mein Amt zu entschuldigende, sonst höchst absurde, nicht göttliche, sondern den Umständen akkommodierte, systematische Umführung, die ich Jedermann treulich widerrathe, ob sie mir gleich auf meinen Geburtsbrief ein Siegel nach dem andern gedrückt. – Was meinen Generalplan betrifft, so habe ich gar keinen, sondern gehe dem Heiland von Jahr zu Jahr nach, und thue, was ich soll, doch gerne. Auf Ein oder zwei Jahre habe ich zuweilen einen Specialplan, weil ich durch die Sache selbst darauf gebracht werde; und was dergleichen Specialpläne betrifft, so habe ich Einen Plan, die mährische, ohne mich entstandne Kirche dem Heiland zu konservieren, daß sie bei meinem Lebzeiten, und, wo möglich noch lange darnach, kein Wolf zu fressen kriege; Einen Plan, so viele heidnische Völker aufzusuchen, als ich kann, und zu sehen, ob sie des für alle Welt vergossenen Blutes können theilhaftig werden; Einen Plan, des Heilands Testament Joh. 17, soviel mir möglich ist, durch Gnade ausführen zu helfen, damit die zerstreuten Kinder Gottes allenthalben in Ordnung zusammenkommen, wo sie leiblich beisammen sind, nicht ins mährische, – da arbeite ich vielmehr dagegen, – sondern ins allgemeine Band der Gemeinschaft, dahin endlich die mährische Kirche auch soll, doch erst nach ihrer völligen Abnutzung in dem Theil ihres jetzigen Looses; Einen Plan, so viele Seelen, als ich kann, zur Sünderschaft und Gnade zu bringen; – darum habe ich die Kanzel lieb, und reisete, einer Kanzel zu Gefallen, 50 Meilen; – und Einen Plan, alle auch nicht beisammen wohnende Kinder Gottes zu vereinigen, dem ich seit 1717 bis 1739 unverrückt gefolget; lasse ihn aber jetzt fahren, weil ich nicht allein kein Durchkommen damit sehe, sondern im Gegentheil anfange, ein Geheimniß der göttlichen Vorsehung zu merken.“

Im Februar 1740 kehrte er nach Marienborn zurück, und hörte von den bedenklichen Krankheitszuständen, in welchen der König von Preußen sich befände.

Da Friedrich Wilhelm I., bei einer strengen und heftigen Gemüthsart, ein rechtschaffener und frommer Herr war, und Zinzendorf ihn als solchen stets hochgeschätzt, und ihm zum tiefsten Dank verpflichtet war, er auch wußte, daß wegen der Menge der Schmeichler einem Fürsten die Seligkeit schwerer gemacht zu werden pflegt, als fast allen Andern, so fühlte er sich verpflichtet, den König brieflich wegen der Gewißheit der Seligkeit zu einer ernsten Selbstprüfung aufzufordern. Derselbe nahm diese Aufforderung nicht bloß nicht übel, sondern antwortete und fragte mit solcher edlen, großherzigen Demuth in mehreren Briefen, daß man ihn ebenso zu bewundern und zu verehren gedrungen wird, wie den freiwilligen Seelsorger, wegen der Freimüthigkeit, Weisheit und Zartheit in dieser Seelenpflege.

Der gottselige König entschlief nicht lange darauf, wie er gelebt, fröhlich im Glauben, am 31. Mai 1740.

Im Juni desselben Jahres ward eine Synode zu Gotha abgehalten, auf welcher die Missionsreise des Bischofs David Nitschmann und der bisherigen Aeltestin Anna Nitschmann nach Nord-Amerika beschlossen wurde. Zugleich begehrte der Graf, seines bisherigen Bischofsamtes entbunden zu werden. Grade damals waren nämlich die Beschuldigungen gegen die Brüder-Gemeine, und besonders gegen das Haupt derselben, ungemein stark. Nun wünschte Zinzendorf, diese Wetter und Stürme möchten nur ihn, als einen freien Diener Christi, treffen, nicht aber zugleich die Brüder-Gemeine. Sodann erkannte er, daß unter seinen Gegnern auch Männer von Frömmigkeit und christlichem Eifer seyen. Er wollte sich daher genau im Stillen prüfen, worin er unrecht gehandelt habe. Die Synode ging aber auf dies Begehren nicht ein, sondern ordnete nur den ehemaligen Leipziger Professor, Polykarp Müller, ihm zum Gehülfen zu, als einen zweiten Bischof. Sodann drang Zinzendorf in die Brüder, dem etwaigen Unrecht genau nachzuprüfen, um dasselbe wieder nach Kräften gut zu machen. Allen Gegnern sollte für gethanes Unrecht abgebeten, keine Schmähschrift mehr beantwortet werden. Doch dies hieß: Oel ins Feuer gießen. Denn bald wurden die Schmähungen gegen den Grafen so arg, daß die Brüder, voll Grauen über solche Entstellungen, ihn zwangen, sich von Neuem zu vertheidigen. In Herrnhaag, nahe bei Marienborn, hatte sich eine neue Brüder-Gemeine gegründet, zu der ein außerordentlicher Zulauf aus der ganzen Umgegend stattfand. Darüber wurde ein Professor Benner in Gießen dermaßen erbittert, daß er eine Schrift: „Die Zinzendorfsche Schlange,“ herausgab. In dieser nannte er die Brüder wahre Ungeheuer, den Grafen einen Betrüger voller Ränke und erhabener Verrücktheiten, so daß dieser mit Schmerz ausrief: „Ach, geht das so fort, so wird bald Niemand mehr von Christo, seinem Tode, seiner Versöhnung, dem zärtlichen Umgange mit ihm, von seiner ewigen Gottheit und wahrhaftigen Menschheit reden dürfen! Mein Herz weint über den Schaden, der der evangelischen Kirche daraus entstehen kann.“ Leider erfüllte sich dies Wort nur zu früh. Schon streckte das Ungeheuer des Unglaubens, wenn auch zuerst in artiger Verhüllung, seine Krallen aus, um die evangelische Kirche Deutschlands zu vertilgen, und benutzte das blinde Lästern solcher todten Orthodoxen, die wahre Orthodoxie zu verdächtigen. Zinzendorf klagte nun zwar bei dem Reichs-Kammergericht zu Wetzlar gegen solche Unbilden, erhielt aber, statt einer gewünschten, ernstlichen Untersuchung, nur von dem Kammergerichts-Assessor von Heynitz den, wenn auch von Richtern ungewöhnlichen, doch herrlichen Trost: „Der alte Gott lebt ja noch! Sie dürfen sich solches Leidens Aufhören kaum wünschen. Fahren Sie fort! Wären Sie und Ihre Gemeine von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb! Gott wird das Leiden nicht abändern wollen, und so müssen es auch die Richter auf Erden also geschehen lassen.“ Unter so vielfachen Anfechtungen, wozu sich von neuem körperliche Krankheit gesellte, reifte ins Zinzendorfs Seele der Entschluß, eine zweite amerikanische Reise zu unternehmen. Den für die Heiden, die oft viel dankbarer waren für die Kunde des Evangeliums, als heidnisch gewordene Christen, fühlte er stets die innigste Theilnahme, wie er dies in einem Liede ausdrückt:

„O wie unbeschreiblich dauern
Mich in ihren Kerkermauern
Alle Heiden, die noch trauern,
Seit der Gnadenstern erschien.“

Sein Ziel sollte diesmal Nord-Amerika seyn, und seine Absicht ging dahin, die bereits dort begonnene Mission unter den Indianern zu visitieren und zu fördern, anderseits aber auch eine Vereinigung der vielen dort wohnenden Sekten zu versuchen. Bis London begleitete ihn seine Gemahlin, dies hier zurück blieb. Seiner sechszehnjährigen Tochter Benigna machte er den Antrag, ihn auf seiner Reise zu begleiten. Ein Uebel am Fuß, der ihr die Aerzte schon hatten ablösen wollen, hinderte sie nicht, mit Zustimmung der Mutter, den Antrag anzunehmen. Ihr Muth fand bald eine köstliche Belohnung. Denn ihr Fuß wurde durch die Seereise ganz geheilt. Wegen des Seekrieges, der damals zwischen Spanien und England geführt wurde, rieth man ihm, auf einem Kriegsschiffe überzufahren. Doch der Gedanke, einem Gefechte beizuwohnen, war ihm schrecklicher, als in Gefangenschaft zu gerathen. Deßhalb vertraute er sich in fröhlicher Glaubenszuversicht einem unbewaffneten Segelschiffe an. Während seiner zweimonatlichen Seereise war er, nach seine Gewohnheit, außerordentlich thätig, dichtete viele Lieder, die, wie aus einem unerschöpflichen Born, ihm stets flossen, schrieb auch, unter Anderm, eine Zuschrift an alle christliche Obrigkeiten, unter welchen Brüder wohnten, mit der dringenden Bitte, die Lehre und den Wandel derselben gründlich zu prüfen, bevor ein Ausspruch gegen sie gethan würde. An die Brüder aber schreibt er folgende merkwürdige Worte, welche uns ein deutliches Bild geben von seiner damaligen Denkweise: „Ich bin von Gott, dem Herrn, dazu bestimmt, das Wort von Jesu Blut und Tod zu treiben, nicht mit Künstelei, sondern mit Gotteskraft, ohne darauf zu achten, wie es mir dabei gehen wird; und das ist mein Beruf gewesen, ehe ich etwas von den Mährischen Brüdern wußte. Ich bin und bleibe zwar mit diesen verbunden, die unser Evangelium von Jesu Christo ins Herz gefaßt, und mich und andre Brüder zur Bedienung ihrer Gemeine berufen haben. Doch trenne ich mich dadurch nicht von der lutherischen Kirche; denn ein Zeuge Jesu kann in dieser Religion leben und bestehen. Indeß kann ich mich mit meinem Zeugniß nicht an Eine Religion binden, sondern die ganze Erde ist des Herrn, und alle Seelen sind sein; ich bin mich allen schuldig. Es wird mir wohl so wenig künftig, als bisher, an Widerspruch fehlen; aber das Wort von Jesu ist Gotteskraft und göttliche Weisheit, und was sich dem widersetzt, das wird zu Schanden werden.“

Ende November kam Zinzendorf wohlbehalten in Neu-York an, und begab sich in den Staat Pennsylvanien, wo schon damals über 100,000 Deutsche lebten. Weil sein Grafen-Titel in der neuen Welt viel Anstoß gab, legte er ihn öffentlich im Hause des Gouverneurs zu Philadelphia, wo auch Franklin zugegen war, nieder, und lebte als ein lutherischer Pastor Ludwig fortan in Amerika. Am Delaware-Strom fand er viele Brüder und Schwestern, unter anderm den alten Vater David Nitschmann mit seiner Tochter Anna, und den Bischof David Nitschmann. Sie waren im Bau eines großen Hauses begriffen, woraus bald der liebliche Gemeindeort Bethlehem hervorging.

Nicht weit davon erblühte eine Zeit später ein zweiter Gemeindeort Nazareth.

Mit Anfang des neuen Jahres begann der Graf seine Indianer-Reisen, in Begleitung seiner Tochter Benigna und mehrerer Brüder. Der Weg ging mitten durch dichte Wälder, gefährliche Moräste und angeschwollene Flüsse, oft nur auf den Jagdpfaden der Indianer zu den Delawaren. Auf der ersten Reise begegneten ihm die Häupter der Irokesen, und als er sie durch seinen Dolmetscher fragen ließ, ob sie und ihre Völker das Wort des Herrn annehmen wollten, so gaben sie ihm, nach einer halben Stunde, die Antwort. „Bruder! Du bist diesen fernen Weg übers Meer zu uns gekommen, den weißen Leuten und den Indianern zu predigen. Du hast nicht gewußt, daß wir hier sind, und wir haben nichts von dir gewußt. Das ist von einer hohen Hand droben gekommen. Komm zu uns, du und deine Brüder, du sollst uns willkommen seyn!“ Unter ihnen wirkte später in großem Missionar Zeisberger. Von der zweiten Reise zu einem andern Indianerstamm, den Mohikanern, sagt Zinzendorf in einem Briefe: „Dir für uns bereitete Wohnung von Baumrinde war mir das liebste Haus, welches ich noch bewohnt habe. Von Innen hatten wir eine Prüfung, von Außen Regen, von Seiten der Heiden aber einen klaren Himmel, und alle Tage nur Freude über unsre lieben Indianer. Sogleich konnten sechs getauft werden.“ Seine dritte Reise zu dem grausamen Volk der Schawanos war die gefährlichste, und doch schlug er sein Zelt unter ihnen auf, und wohnte 20 Tage unter ihnen, so er doch keine Nacht mit seinen Begleitern des Lebens sicher war. Der Herr aber wachte über ihnen, daß der Anschlag der Wilden, ihn in einer Nacht zu überfallen und zu morden, vereitelt wurde, und Keinem ein Leid geschah.

Aus dem gesegneten Wirken in Amerika riß den Grafen eine Nachricht aus Europa, die ihn sehr beunruhigte. Er hatte die Brüder ernstlich gebeten, Alles während seiner Abwesenheit im alten Gange zu lassen. Das war nicht befolgt worden. Man hatte neue Niederlassungen gegründet, und das Band mit der evangelischen Kirche so gelockert, daß die Brüder-Gemeine wie eine neue Confession erscheinen mußte. Dies aber wäre ein großes Unglück für die ganze Brüder-Sache gewesen. Rückkehr nach Europa. Kirchliche Unabhängigkeit der Brüder-Gemeinden von den Consistorien. Reise des Grafen nach Rußland.

Sofort eilte Zinzendorf nach Europa zurück. Während der anfangs glücklichen Seereise brach plötzlich ein Sturm aus, der das Schiff an die Klippen der Insel Scilly in der Nähe Englands zu werfen drohte. Das Schiffsvolk sah schon den gewissen Tod vor Augen. Zinzendorf allein war heitern Sinnes, und verkündete Allen ein sicheres Landen; schon nach zwei Stunden werde der Sturm aufhören. Man achtete dieser Tröstung wenig. Als aber die Zeit um war, ersuchte er den Kapitän, auf dem Verdeck nach dem Wetter zu sehen, und wirklich legte sich der Sturmwind in den nächsten Minuten. Der Kapitän Garrison befragte nachher den Grafen, was es mit dieser Vorhersagung für ein Bewandtnis habe, worauf dieser, im Vertrauen, daß kein Mißbrauch davon gemacht würde, ihm Folgendes mittheilte: „ Es sind schon über zwanzig Jahre, daß ich mit meinem lieben Heiland einen herzvertraulichen Umgang habe. Wenn ich nun in gefährliche und seltsame Umstände komme, so ist mein Erstes dabei, daß ich genau untersuche, ob ich daran schuld sei, oder nicht. Finde ich nun etwas, damit er nicht zufrieden ist, so falle ich ihm gleich zu Füßen, und bitte um Vergebung. Da vergibt mir’s dann mein guter Heiland, und läßt mich gemeiniglich zugleich wissen, wie es ablaufen werde. Wenn es ihm aber nicht gefällt, mich den Erfolg vorher wissen zu lassen, so bin ich stille, und denke, es ist das Beste für mich, daß es mir unbekannt bleibe. Diesmal aber hat er mich es wissen lassen, daß der Sturm noch zwei Stunden dauern würde.“ Dieser gewaltige Kinderglaube des großen Mannes ging Garrison durchs Herz. Er wollte nicht länger Schiffskapitän bleiben, sondern reiste mit dem Grafen nach der Wetterau, um fortan in der Brüder-Gemeine zu leben. Später hat er noch manchmal auf dem Brüder-Schiffe „Irene“ Boten des Heils über das Meer geleitet.

Im Februar 1743 kam er in England, und Ende April in Herrnhaag an, wo er mit der gesamten Gemeine in Herrnhaag das heilige Abendmahl feierte. Hier begann für ihn eine der peinlichsten und schwierigsten Arbeiten, die ihm je obgelegen. Es galt, den Strom des Lebens in den Brüder-Gemeinen, der sich über Maaß und Ziel ergossen hatte, in sein bescheidnes, stilles Bett zurück zu lenken. Zinzendorf wollte fromme Gemeinschaften gründen, die sich in alle evangelischen Kirchen hineinbilden, und wieder aus ihnen entwickeln, aber mit ihnen vereinigt bleiben sollten. Aber nicht bloss in Deutschland in vielen Gemeinen, sondern auch in Holland und England erklärten sich die Brüder für Glieder einer besondern Mährischen Kirche. Da galt es, viele Weisheit anzuwenden, und bald mit Ernst, bald mit sanften, freundlichen Worten die Brüder zur Besonnenheit zu mahnen. Seine Bemühungen wurden in der Hauptsache mit Erfolg gekrönt, obgleich Gott es ihm in mehreren Punkten nicht gelingen ließ, die in seiner Abwesenheit geschehenen Maßregeln rückgängig zu machen. Dies Letztere geschah, nach der verborgnen Weisheit Gottes, zum Heil der Brüder-Gemeine selbst, wie die Zukunft lehrte.

Auch die Gräfin war während der Abwesenheit ihres Gemahls nicht unthätig geblieben; sie hatte Herrnhut, Ebersdorf und Berlin besucht, war endlich sogar nach Copenhagen und Petersburg gereist, um für das Reich Gottes zu wirken. Sie kehrte einige Tage nach des Grafen Ankunft zurück. Ueber Ein Jahr hatte die Trennung gedauert; um so herzlicher und inniger war das Wiedersehn in Marienborn. Aber Zinzendorf war so recht dazu bestimmt, keine bleibende Stätte zu haben. Die Liebe zu Schlesien trieb ihn aus der kurzen Ruhe bei den Seinen wieder heraus. Friedrich der Große hatte nämlich mittlerweile Schlesien erobert, welches nun nach langem Glaubensdruck frei aufzuathmen anfing. Eine Menge Brüder aus Böhmen und Mähren suchten hier leibliche und geistliche Stärkung bei den evangelischen Glaubensgenossen, und fanden, was sie suchten. Hierin that es Allen Herr von Seidlitz aus Oberpeilau bei Reichenbach zuvor. Er war selbst um des Glaubens willen zu Jauer in Banden gelegt, aber bei dem siegreichen Eindringen Friedrichs des Großen sogleich befreit worden. Voll Dank für seine Erlösung nannte er sein Gut Gnadenfrei, und begründete dort eine Brüder-Gemeine. In dieselbe Zeit fällt die Entstehung von Gnadenberg bei Bunzlau, und von Neupfalz an der Oder. An der Gründung dieser Gemeinde nahm Zinzendorf thätigen Antheil. Friedrich der Große theilte zwar nicht die christliche Gesinnung seines seligen Vaters; hatte aber Achtung vor wahrem, lebendigem Glauben. Auch gab es unter seinen Generälen und Ministern noch gar manchen ernstgläubigen Mann aus der guten, alten Zeit. So hatte er, noch vor Zinzendorfs Rückkehr aus Amerika, den Brüder-Gemeinen eine General-Concession ertheilt, sich überall in seinen Staaten niederzulassen, hatte ihren Bischöfen allein das Recht der Inspektion über sie zuerkannt, und sie von der Inspektion der Königl. Consistorien befreit. Zinzendorf aber wünschte gar nicht eine solche Selbstständigkeit der Brüderkirche, sondern begehrte vielmehr in Berlin aufs dringendste eine abermalige Prüfung des Glaubens seiner Gemeine, und zugleich einen innigen Anschluß an die Landeskirche, unter fortdauernder Aufsicht der Consistorien. Doch der Minister ließ ihn wissen, ihre Rechtgläubigkeit sei längst geprüft, und ihren Wandel wolle man an ihren Früchten erkennen. Uebrigens solle er Gott danken, daß sie Sache in der Königl. Concession so, wie geschehen, resolviert worden. Denn er könne ihn versichern, daß die Männer, untere deren Inspektion er die Brüder nöthigen wolle, denselben von Herzen zuwider wären, wie er selbst ja am besten wissen müsse.“ Und allerdings waren die Consistorien gegen die Brüder nicht günstig gesinnt.

Von Preußen reiste der Graf nach Rußland. Er wollte bewirken, was seine Frau nicht hatte ausrichten können, nämlich: bei der russischen Kaiserin Schutz für die armen Brüder zu erwirken, von denen einige, die nach dem Orient hatten gehen wollen, in Petersburg im Gefängniß saßen. Noch vor seiner Abreise hatte er seinen alten Freund und Mitarbeiter, Friedrich von Wattewille, zu einem Bischof der Brüderkirche ordiniert.

Aller er, in Riga im Dezember angekommen, um einen Paß nach Petersburg bat, sperrte man ihn selbst ins Gefängniß, und er mußte es sich zur großen Gnade rechnen, daß er, anstatt nach Sibirien wandern zu müssen, nur nach der preußischen Grenze zurückdirigiert wurde. Während seiner Haft von 20 Tagen verfaßte er voll fröhlichen Muthes Lieder, und schrieb Briefe an seine in Königsberg zurückgebliebene Frau und Tochter Benigna, an Erstere unter Anderm Folgendes: „Wir sind hier ein hübsches Häuflein um des Heilands willen gefangen, und mein Christel macht sich eine Freude daraus, so etwas mit seinem Papa zu erfahren. Denke, liebes Herz, daß wir einen Heiland haben, in dessen treuen Händen wir sind, und der uns selig und lieblich leitet, wenn es gleich wunderlich aussieht! Ich habe mein Lebtag zu nichts weniger Inclination gehabt, als zu Arresten. Da es aber nun dazu kommt, ist mir’s recht. Ich kann weiter nichts sagen, als was ich Dir schon ehemals gesagt habe: Wenn ich nicht da bin, so sey Du ganz da, und thue meine Treue doppelt! –Riga am Christabend 1743.“

Einführung des lutherischen, reformirten und mährischen Tropus. Ende der Verbannung des Grafen. Verirrungen in der Brüder-Gemeinde. Finanz-Noth. Zerstörung Herrenhaags.

Nach einem kurzen und gesegneten Aufenthalt in Schlesien hielt er zu Marienborn im Mai und Juni 1744 eine Synode, wo es durchgesetzt ward, daß für jeden der drei Tropen, des lutherischen, reformirten und mährischen, ein eigner Bischof eingesetzt wurde. Er ging nämlich in seiner Idee in Betreff dieser drei verschiedenen Tropen in der Brüder-Unität von dem Grundsatz aus, daß Einigkeit der Herzen und der Gesinnung in den Cardinal-Glaubens-Punkten mit Verschiedenheit der Ansichten in den Punkten, die nicht zur Seligkeit nothwendig seien, gar wohl zusammen bestehen könne. Darum könne die Brüder-Gemeinde, die ihrem wesentlichen Charakter nach ein auf Herzens-Religion gegründeter, freier, geistiger Verein der Herzen sei, die in solchen untergeordneten Punkten von einander abweichenden Ansichten und Meinungen ihrer Mitglieder ohne Bedenken in ihrer Mitte fortbestehen lassen, wie sie denn auch wirklich, theils aus mährischen und böhmischen Brüdern, theils aus Lutheranern und Reformirten bestehe, welche alles sich auf denselben Grund des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung mit einander verbunden fühlten, ohne dabei eine Trennung von den Kirchen, welchen sie angehörten, für nothwendig zu halten. Die Brüder-Gemeine müsse, um in der Kirche für das Reich Gottes zu wirken, innerhalb derselben seyn und bleiben. Wenn die Gemeinschaft mit ihr jetzt von den meisten Stimmführern der verschiedenen kirchlichen Abtheilungen und Partheien abgelehnt würde, so solle einstweilen die Brüderkirche, als eine universelle, ja Partikularkirche in sich aufnehmen, als eben so viele Tropen (Weisen, Erziehungs-Weisen Gottes in seiner Kirche). Zinzendorf übernahm es, Bischof für den lutherischen Tropus zu seyn, der preußische Oberhofprediger Cochius für den reformirten. In diesem Sommer 1744 vermählte sich seine Tochter Benigna mit Johannes von Wattewille, dem Adoptiv-Sohne unsers Friedrich von Wattewille, früher Johannes Langguth. Die Neuvermählten suchten sich bald ein ernstes, aber reich gesegnetes Arbeitsfeld auf St. Thomas.

Ein heiterer Lebensabend schien jetzt für den viel geschmähten, müde gearbeiteten Mann zu kommen. Es ward ihm vergönnt, wieder in seine Heimath zurück zu kehren. Die sächsische Regierung hatte mit einem gewissen Neide gehört, wie anderwärts die Brüdergemeinen blühten, wie sie nicht bloß für Erziehung und geistige Bildung Außerordentliches wirkten, sondern auch einen lebendigen Handelsverkehr und Gewerbe in ihre ganze Umgebung brächten. Selbst Herrnhut war mittlerweile zu einem Orte von 11 – 1200 Seelen aufgeblüht.

Die Regierung ließ den Grafen nun wissen, daß man mehrere solcher Niederlassungen, wie Herrnhut im Lande wünsche, und bot ihm die Erbpacht des Schlosses Barby und des Amtes Döben an. Zinzendorf reiste zuerst nach Berthelsdorf. Zehn Jahre hatte sein Exil gedauert, wie er es voraus gesagt hatte. Er traf daselbst den 16. September 1747 grade in der Stunde ein, in welcher vor 6 Jahren der Heiland als Aeltester der Gemeine erkannt worden war.

Durch ein feierliches Liebesmahl, wobei 200 Arme gespeiset wurden, ward die Rückkehr festlich begangen. Aber noch war die Arbeit für diesen Mann Gottes nicht beendet. Leider hatte sich in vielen Brüdergemeinen ein schwärmerisches Wesen eingeschlichen. Zinzendorf hatte selbst von Amerika eine eigenthümliche Bewegung des Gemüths, eine überspannte Gefühlsrichtung mitgebracht, die sich auch in seinen Liedern und Reden um diese Zeit kund gibt. Nachfolgende Worte Luthers: Gottes Wort in den Wunden des Heilandes zu verstehen, sei seine ganze Lebensaufgabe,“ hatte er gleich Luther, Arndt, Spener und Francke in der Erlösung durch Christi Blut und Gerechtigkeit den köstlichsten Trost und Frieden gefunden. Aber, indem er mit Recht diese Versöhnungslehre als den Mittelpunkt des Glaubens festhielt, hatte er doch diese Lehre auf Kosten andrer Lehren mit großer Einseitigkeit ganz allein getrieben; besonders mißbrauchte er die in der heil. Schrift einfach gebrauchten Ausdrücke von den Wunden und dem Blut Christi und ähnliche, mit maßloser Gefühlsschwärmerei und Tändelei in Liedern und Vorträgen, und verunreinigte das Reden von der heiligen Liebe zu Christo durch eine Menge unpassender, von der sinnlichen Geschlechtsliebe hergenommenen Ausdrücke in taktloser Weise. Das Schlimmste war, daß die Glieder seiner Gemeinden, besonders in Herrnhaag, aber auch in sehr vielen andern, sich auf die geschmackloseste, unzarteste und tollste Weise überboten, ihm in dieser Geistesschwärmerei nachzuahmen. Um die von ihm ausgesprochene Ueberzeugung, daß Niemand die völlige Seligkeit in Christo recht schmecken könne, wenn er nicht im Herzen wieder zum Kind würde, (Matth. 18, 3.), recht als die ihrige zu erklären, und zu zeigen, wie wenig sie sich vor dem Schelten und Verfolgen ihrer Feinde ringsum in ihrem Frieden stören ließen, meinten sie, sich gar nicht kindlich und herzensfröhlich genug in Liedern und Reden ausdrücken zu können, und verfielen in ein höchst kindisches, abgeschmacktes, an unsittliche Lustigkeit streifendes Faseln, sodaß nicht bloß alle besonnenen Freunde der Brüder-Gemeinde dagegen protestieren mußten, sondern auch die Legion seiner Feinde diese Verirrungen mit triumphierenden Hohne gegen ihn und seine Sache benutzte. Zinzendorfs eigner Sohn, der sonst tiefchristliche und selbstverläugnende Christian Renatus, hatte an dieser leichtsinnigen Gefühlsschwärmerei starken Antheil genommen.

Nachdem diese Periode einer geistigen Trunkenheit, diese Sichtungszeit, wie Zinzendorf sie selbst nennt, fast sechs Jahre, von 1745 – 1750, gedauert hatte, während welcher er zwar oft gewarnt worden, aber nie klar genug die Größe und die drohenden Folgen der Verwirrung eingesehen hatte, erwachte er endlich aus seinen Träumen. Nun aber schritt er auch mit der ihm eigenen Entschiedenheit ein, rügte die Schwärmerei mit großem Ernste, und forderte die Gemeinden zur Sichtung auf, mit der Ermahnung: „Her zu mir, wer dem Herrn angehört! Wer ungehorsam ist, der wird sein Urtheil tragen, er sey, wer er wolle!“ Wunderbar wirkte sein kräftiger Aufruf von London aus, wo er damals war, in alle Gemeinden. Bald waren alle Tändeleien und Spielereien, alle phantastischen Ausgeburten eines schwärmerischen Gefühls-Christenthums beseitigt.

Aber der hinkende Bote kam nach. Durch die Kämpfe im Innern sank der Kredit der Brüder-Gemeinde nach Außen. Die Gläubiger forderten von allen Seiten Bezahlung der gemachten Vorschüsse. Da half aus dieser Tod-drohenden Gefahr Zinzendorf, indem er mit seltner Hochherzigkeit, obgleich von Rechtsgelehrten dringend abgemahnt, sich schriftlich für die Gesamtschuld verbürgte, und zu allmählicher Abzahlung der Zinsen bereit erklärte.

Ein anderer nicht zu ersetzender Verlust war die Zerstörung der blühenden Gemeinde Herrnhaag in der Wetterau. Der junge Graf von Ysenburg-Büdingen, der eben seine Regierung angetreten, war, im Gegensatz zu seinem Vater, ein Feind der Brüder. Man stellte ihm vor, die Gemeinde schmälere ihm seine Rechte, und, wenn die Sachen so fortgingen, würde Zinzendorf ihn mehr und mehr verdrängen, und sich als Herr des Landes einschleichen. Die häufigen Schmähungen gegen die Brüder, und die mancherlei Verirrungen, die unter denselben stattgefunden, gaben ihm einen Schein des Rechts zu Gewaltmaßregeln. Es ward den Brüdern plötzlich befohlen, keine Gemeinschaft ferner mit dem Grafen Zinzendorf und ihren Aeltesten und Leuten zu haben, widrigenfalls sie auswandern sollten. Man versuchte alles, um Milderung dieses Befehls zu erlangen; doch vergebens.

Die Gemeinde, welche sich eben noch so sorglos den Gefühls-Tändeleien überlassen hatte, mußte jetzt mit Kummer an ihre Zukunft denken. Aber der gute Grund, der durch Zinzendorf gelegt war, trat gerade nun aufs Herrlichste hervor. Sämtliche Einwohner Herrnhaags, geleitet von Johannes von Wattewille, der grade in diesen entscheidenden Tagen angekommen war, verließen willig Hab und Gut, und wanderten theils nach Amerika, theils nach Sachsen und Schlesien. Dies hatte man nicht erwartet. Selbst die ärgsten Feinde der Brüder klagten jetzt, daß durch ihren Abzug der Gegend so reichliche Nahrung entzogen würde. Auch die Regierung wollte einlenken; doch es war zu spät. Diese liebliche Gegend der Wetterau, durch Zinzendorf zu einem Garten Gottes umgewandelt, war wieder öde, wie zuvor. Die Gräfin, welche diese schweren Tage in Herrnhut verlebt hatte, brachte dem Grafen die schmerzliche Botschaft nach London, wo er eben weilte. –

Ausbreitung der Brüder-Gemeinden. Tod des Grafen Christian Renatus. Tod der Gräfin.

Um den Streitigkeiten über seine Person und die Brüder-Gemeine, so viel an ihm war, ein Ende zu machen, ließ er sich die Hauptbeschuldigungen seiner Gegner von seinem treuen Gehülfen, dem gelehrten und gottseligen Spangenberg, vorlegen, und beantwortete mit Hülfe desselben zuerst 300, und hernach noch über 1000 dieser Anklagen. –

Die edleren Gegner Zinzendorfs und der Brüder-Gemeinde überzeugten sich allmählig mehr und mehr von ihrem Irrthum, der meist aus Unkenntniß der Sache entsprang. Ja, von einem lutherischen Prediger Jung, in der Wetterau, erschien eine dem Oberhofprediger, Dr. Herrmann, zu Dresden gewidmete Schrift, unter dem Titel: „Der in dem Grafen von Zinzendorf noch lebende und lehrende, wie auch leidende und siegende Dr. Luther.“ Der Verfasser gab auf alle Beschuldigungen Antwort mit Luthers Worten, in einem Auszuge aus Luthers Schriften, und wies die wunderbare Uebereinstimmung desselben mit Zinzendorf schlagend nach. Solche unpartheiische Vertheidigung schaffte die beste Ruhe. Die meisten englischen Bischöfe bezeigten fortwährend die vertraulichste Freundschaft gegen den Grafen. Einer derselben, der Bischof von Sodor und Man, wurde selbst später Bischof für den reformirten Tropus. Eben waren auch wieder 100,000 Morgen Landes in Nord-Carolina zur Anlage einer neuen Colonie angekauft worden. Bruder Hocker machte eine Missions-Reise nach Aegypten, und nahm an den Patriarchen der Kopten zu Kairo einen Brief mit, worin ein kurzer Begriff von der Brüder-Kirche gegeben wurde. Heidenboten wanderten nach Nord- und Süd-Amerika und nach Ost-Indien. Auch in Herrnhut ging alles recht fröhlich von statten. Der Graf war so recht in seinem Gott vergnügt. Da wird sein Sohn, Christian Renatus, der letzte von 5 Söhnen, todtkrank in London, und stirbt, noch ehe die arme Mutter auf den Flügeln der Mutterliebe ihn ereilen kann. Dieser edle Jüngling war im Jahre 1750 am Ende der Sichtungszeit von seinem Vater von Herrnhaag ab nach London berufen worden, hatte da seine Verirrung bitter bereut, und war seinem Vater noch ein treuer Gehülfe gewesen. In Folge der übergroßen Anstrengung im Dienste des Herrn erlag er am 28. Mai 1752 der Schwindsucht. Mehrere liebliche, tiefchristliche Lieder zeugen noch von seinem Geiste.

Wiederum kamen die Brüder in große Geld-Verlegenheit. Einige ihrer Kaufleute waren durch einen Bankerott in furchtbare Noth geraten. Die neuen vielfachen Ankäufe von Grundstücken, zumal in England, hatten die Schulden der Brüder sehr vermehrt. Die Gläubiger erhoben sich von allen Seiten zugleich mit ihren Forderungen. Nach menschlichen Aussichten war die ganze Brüder-Gemeine ruiniert. Da trat der Graf, im Vertrauen auf die Hülfe des Herrn, mit Dranwagung seiner Person, abermal ins Mittel, durch eine schriftliche Erklärung an sämtliche Gläubiger, daß er die ganze Schuld übernehmen wolle. Ein Rechtsgelehrter widerrieth dies dem Grafen aus dringendste; als er aber seinen festen Entschluß merkte, lief er mit Thränen in den Augen zu den Gläubigern, und bestürmte sie, nachzugeben. Die meisten wurden so gerührt, daß sie nicht nur von den weitern Forderungen abstanden, sondern auch die wenigen Hartherzigen durch bare Zahlung befriedigten. Zinzendorf aber klagte sich selbst am meisten an, daß er, über seine Beschäftigung mit geistlichen Dingen, so sehr der weltlichen Geschäfte vergessen hätte. Noch manchmal kam er deswegen in Verlegenheit, erfuhr aber auch alle Zeit die gnädige Durchhülfe Gottes. Schon hatte er sich einst bereit gemacht, in den Schuldthurm zu wandern; da brachte die Post, welche diesmal weit früher, als gewöhnlich, ankam, die ihm fehlende Summe. Er hatte zwar schon im Jahre 1741 eine Commission von Brüdern, eine Diakonie, zur Besorgung der äußern Bedürfnisse der Brüder-Gemeinden angeordnet. Allein sie verließ sich meist auf ihn.

Ueber drei Jahre hatte Zinzendorf in London verweilt; dringende Geschäfte riefen ihn im Frühjahr 1755 nach Herrnhut zurück. Er blieb unterwegs 4 Wochen in der lieblich aufblühenden holländischen Brüder-Colonie Zeyst bei Utrecht, wohin er im Jahre 1745 die Brüder-Colonie zu Herrndyk verpflanzt hatte.

In Herrnhut brachten ihn mehrere herzliche, abbittende Geständnisse früherer erbitterter Gegner zu der Ueberzeugung, daß man es wohl am Besten dem heiligen Geist allein überlasse, die Gegner von ihrem Unrecht zu überzeugen. „Wenn nur ein einziger in sich schlüge, dem Heiland zu Füßen fiele, und nicht nur von den Sünden, die er an den Brüdern begangen, sondern überhaupt von ganzem Herzen sich zu Gott bekehrte, das sei mehr werth als wenn die Brüder ihr Recht vor Jedermann behaupteten.“

Das Jahr 1756 brachte den Brüder-Colonien viel Unruhe. Nicht nur in Amerika war Krieg, sondern auch in Sachsen und Schlesien drohte der siebenjährige Krieg Verderben zu bringen. Doch Gott hielt seine Hand gnädig über den Gemeinen. Friedrich der Große verlieh ihnen einen Schutzbrief, so auch der österreichische Feldherr, Herzog Carl von Lothringen. Nach Herrnhut kamen aber in diesem Jahre allein 34 Prinzen, 78 Grafen und zahllose andere vornehme Herren, die wenigstens auf kurze Zeit einen segensreichen Eindruck empfingen, und die Sache der Brüder zu Ehren brachten. –

Das für den Grafen und die ganze Gemeine schmerzlichste Ereigniß dieses Jahres war der Tod der Gräfin, seiner Gemahlin. Durch die vielen Kämpfe und Arbeiten während ihres bewegten Lebens war ihre Kraft endlich gebrochen. Ihre Kraft schwand allmählig. Ohne Schmerz, ohne Klagen schlief sie sanft lächelnd ein, den 19. Juli. Sie war eine Frau, die nicht bloß Küche und Haushaltung wohl zu verwalten verstand, sondern auch an Geistestiefe und Herzensfrömmigkeit ihrem Manne würdig zur Seite stand. Allen, die sie kannten, erschien sie wie eine Priesterin und Heilige, die die Welt überwunden hat, aber in derselben verklärt, freudig und rastlos für aller Menschen Heil arbeitete und betete. Näheres über sie lies in ihrem Leben weiter unten! –

Zinzendorfs Tod. Sein Körper, Geist und Charakter.

Die Güter, welche bisher auf seiner Gemahlin Namen gestanden, ließ Zinzendorf, der sich mit weltlichem Eigenthum nicht mehr befassen wollte, nunmehr auf seine Tochter Benigna übergehen. Er selbst wandte seine Thätigkeit fast noch unermüdlicher der Sache des Heilands zu, mit dem Eifer eines treuen Knechtes Christi, der noch viel zu thun, und wenig Zeit dazu hat, wie der auch öfters sagte: „Kinder, wir müssen fleißig seyn! Die Zeit ist kurz.“ Tief aber versenkte er sich auch in Selbstbetrachtung. Er prüfte genau alles, was sündlich an ihm wäre, und empfand bittere Reue auch über die kleinsten Sünden. Oft verlor er sich ganz in der Einsamkeit. Da es die Masse seiner häuslichen Geschäfte bedurfte, so verband er sich auf dringendes Zureden der Brüder, im Juni 1757 mit Anna Nitschmann, der Tochter des würdigen, ersten Brüder-Bischofs David Nitschmann. Sie war in ihrer Jugend eine arme Wollspinnerin gewesen; aber durch die tiefsinnige Jesusliebe war ihr Herz so geadelt, daß die allein unter Tausenden würdig war, ihrer großen Vorgängerin nachzufolgen. Sie war schon vor 27 Jahre zur Aeltestin der Gemeine ernannt worden hatte auch in Nord-Amerika mit ihrem Vater Missions-Dienste gethan, und war jetzt in der Arbeit bei den Schwestern die nächste Gehülfin des Grafen gewesen. Von nun an lebte Zinzendorf meist in der Stille zu Herrnhut, das auf 1300 Seelen herangewachsen war. Täglich hielt er hier Hausversammlungen. In seinen Reden drang er vor allem darauf, daß ein jeder Mensch eine neue Creatur, Ein Geist mit Christo werden müsse. Scharf war er nur gegen die, welche klagten, als könnten sie nicht zur Seligkeit gelangen, als hätte Gott sie nicht erwählen wollen. Denn Gott wolle alle erwählen, und rufe einen Jeden zu sich (Hiob 33, 29. Joh. 6, 37. 1. Tim. 2, 4.) Es liege nur an der Bosheit und Trägheit des Herzens, daß wir nicht zu ihm wollten (Joh. 3, 19). Er selbst aber betete damals für sich inbrünstig: „Ach möchte ich gefallen dem Märtyrer für mich, dem Treuen, den meine Seele liebt, dem Gott, der meine Freude und Wonne ist! Möchte ihm mein Gang recht, meine Denkweise nach seinem Sinn, und meine Handelsweise ihm zu Ehren seyn!“

Wie genau er es in der Seelenführung mit redlichen Personen nahm, wir kurz und klar er ihnen den Heilsweg zu zeigen wußte, davon möge noch nachfolgender Brief vom J. 1755 zeugen an eine Person, die ihren Herrn verloren zu haben meinte. „ob Sie ihn recht liebet, das kann Sie aus folgenden Punkten sehen: 1) Wenn Sie thut, was nur Er haben will. 2) Wenn sie es gerne thut, ob daß Ihr einfällt: das war etwas Gutes! 3) Wenn Ihr vornehmstes Verlangen ist, Ihm zu gefallen. 4) Wenn Ihr keine fremden Gedanken kommen, wenn Sie mit Ihm redet. 5) Wenn Ihr ein Gedanke und eine Sache einfällt, die Ihm zuwider ist, und Sie ist dem feind. 6) Wenn Sie nichts hat, was Sie Ihm verhehlen wollte. 7) Wenn Sie sich immer gerne mit Ihm zu thun macht, wenn Sie auch gleich nichts Sonderliches zu verlangen hätte. 8) Wenn’s Ihr schwer wird, vom Gebet aufzustehen. 9) Wenn Sie immer mehr sagt, als Sie vorgehabt, Ihm zu sagen, und es ist Ihr doch immer zu wenig. 10) Wenn Ihr alle Lust, Ehre, Fühlen, Reichthum, Ruhe, ausser Jesu selbst, ein Verdruß ist, und der Mangel davon keine Verleugnung kostet. 11) Wenn Sie um Seinetwillen lieben kann, was Ihr zuwider ist, und 12) um Seinetwillen gleich stutzig wird an Allem, das Sie liebet, so es Ihm nur scheint entgegenzustehen. Wenn das ist, so hat Sie Ihn und Er Sie lieber, als Sie es selber weiß. Ich bin mit aller Demuth und Freude Ihr geringer Mitgenoß der seligen Hoffnung.“

Seit Anfang des Jahres 1760 bemerkten viele der Seinigen einen besondern, lieblichen, seligen Blick an ihm, und seine Augen oft voll Thränen, und ein Bruder belauschte ihn einmal, wie er zu seinem Herrn sagte: Ach könnte ich Dir doch einmal meinen Plan persönlich darlegen!“ Zu Angang des Mai fertigte er noch das Losungs-Büchlein auf 1761 an, was immer sein liebstes Geschäft war. In den letzten 5 Tageslosungen hinterließ er der Gemeinde einen rührenden Abschiedssegen, als hätte er sie damit noch vor seinem Heimgange begrüßen wollen. Es waren die Stellen: Ps. 118, 26. 1. Mos. 49, 28. Ps. 115, 4. Col. 3, 15. 1. Könige 18, 14.

Zinzendorfs Körper war durch die großen Anstrengungen sehr geschwächt. Er war schon in den letzteren Jahren häufiger von Krankheiten befallen worden. Den 5. Mai fühlte er sich unwohl, verrichtete aber noch seine Arbeit, und erst Nachmittags stellte sich ein hitziges Catarrhal-Fieber ein. Wiewohl an solche Anfälle gewohnt, sah er diesen Anfall doch für etwas Besonderes an. In jeder Krankheit, sagte er, habe er den Wink des Herrn erkannt, daß etwas zu seiner innern Besserung nöthig gewesen, worauf die äußere bald erfolgt sei; diesmal aber verweise ihm der Heiland nichts, sondern gebe ihm ein heiteres Gemüth und frohe Zuversicht.. Er sprach noch mit seinen 3 Töchtern, welche allein noch von 6 Söhnen und 6 Töchtern am Leben waren. Als er den Tod nahen fühlte, sprach er leise zu seinem Schwiegersohn, Johannes von Wattewille: „Mein lieber Sohn, ich werde nun hingehen. Ich bin mit meinem Herrn ganz einverstanden. Er ist mit mir zufrieden. Ich bin fertig zu ihm zu gehen. Mir ist nichts mehr im Wege.“ An 100 Brüder und Schwestern standen in Thränen in den Nebenzimmern. Er blickte sich noch einmal freundlich nach allen um, und schloß die Augen, und während Johannes von Wattewille die Worte sagte: „Herr! nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren!“ hauchte er mit dem Worte „Friede“ den letzten Athem aus. Man kleidete den Leichnam in einen weißen Talar, wie solchen die Bischöfe der Brüder zu tragen pflegten. Zu seinem Begräbnis strömten über 2000 Fremde zusammen. Den Sarg trugen abwechselnd 32 Prediger, wie sie aus den verschiedensten Gegenden, aus Holland, England, Nord-Amerika, Grönland zugegen waren. Kaiserliche Grenadiere, an ihrer Spitze angesehene östreichische Officiere, bildeten eine Ehrenwache. Unter Musik und Absingung von Liedern, unter andern: „Ei, wie so selig schläfest Du, und träumest süßen Traum!“ geschah die Bestattung auf dem Hutberge. Auf seinem Grabsteine liest man die Inschrift: „Er war gesetzt, Frucht zu bringen, und eine Frucht, die da bleibe.“ Die Losung seines Sterbetages hieß: „Er wird seine Ernte fröhlich einbringen mit Lob und Dank.“ Als der kranken Gemahlin des Grafen die Kunde von seinem Scheiden gebracht wurde, rief sie weinend: „Ich habe von euch allen die fröhlichste Aussicht; ich werde bald zu ihm kommen.“ Sie folgte ihm schon in 12 Tagen, den 21. Mai. Der Graf ruhte in der Mitte seiner beiden Gemahlinnen.

Zinzendorf war von Gestalt groß und stattlich, in seinem Alter wohl beleibt. Seine blauen Augen waren voll Feuer und milder Freundlichkeit. Sein offnes, zutrauliches Benehmen gewann ihm bald aller Herzen. Mit Leuten geringen Standes ging er um, wie mit Brüdern, gegen Vornehme und Gebildete konnte er auch fein und gemessen seyn. Sein Gespräch, stets voll Geist und Leben, noch unterstützt durch ein gewinnendes Aeußere und eine klangvolle Stimme, war für alle Vornehme und Geringe sehr anziehend. Seine Lieder quollen ihm, wie ein lebendiger Strom, nach seinem eignen Ausdrucke, wie bei einem Fasse, daran man den Spund aufmacht. Viele Lieder, darunter mehrere seiner schönsten, sang er in Gemeineversammlungen frei aus dem Herzen. An Einem Tage sang er so einst acht Lieder. Dabei legte er natürlich wenig Werth auf äußere Form. Sie haben aber einen unschätzbaren Werth, weil sie aus dem lebendigen Glauben an Christum flossen, und gleichsam fröhliche Begleiter seiner heiligen, aufopfernden Thaten waren. Denn was er innerlich erfahren hatte, und lebendig fühlte, das sprach er aus in seinen Liedern. Alle seine Lieder bewegen sich um zwei Haupt-Punkte: Christum, den Gekreuzigten, und de Gemeine des Herrn. Man erzählt von ihm, daß er durch seinen Umgang an fünfzigtausend Seelen zum lebendigen Glauben geführt habe. Herder, der große deutsche Dichter, nennt ihn einen „Eroberer im Reiche der Geister, dergleichen die Welt von Anfang nur wenige gesehen hat.“ Er hatte fast in allen Theilen der Erde Anhänger Christi gesammelt, und das Alles nur durch das einfache Wort vom Kreuz. Albert Knapp, der von seinen 2000 Liedern eine köstliche, viel zu wenig bekannte Sammlung von 700 herausgegeben hat, bezeugt von ihm: „Er war ein Herzensjünger Jesu Christi, und daneben ein Donnerskind im schönsten, edelsten Sinne des Wortes, wie Johannes, der selige Sohn des Zebedäus. In seinem Herzen war es immer Charfreitag. Bei ihm vereinigten sich drei seltene Gaben, hoher Geist, seine, vornehme Bildung, und ein feuriges, von der Liebe Christi von Kindheit auf innig entzündetes Herz, um einen Mann in Christo aus ihm zu machen. Zinzendorf, der Patriarch der Brüderkirche, von dem Herrn zum Träger seines himmlischen Lichtes vor Millionen berufen und ausgerüstet, steht mit Augustin und Luther an Geistes-Kraft auf gleicher Höhe. Diese drei sind die größten Zeugen Christi seit der Apostel-Zeit; denn sie waren die freisten, entschiedensten Prediger der freien Gnade Gottes in ihm.“

Seine innige Liebe zum Herrn drückt er selbst in den Worten aus: „Ich habe nur Eine Passion; die ist Er, nur Er.“

Sein ganzes Leben war ein beständiges Ringen und Streben, sowohl selbst seinem Herrn wohlgefällig zu seyn, als auch Andere zum Born des Lebens zu führen. Dabei hatte er stets das unaussprechlich selige Gefühl, durch den Heiland erlöst zu seyn. Sein ganzes irdisches Leben ging darauf hinaus, wie er früher gesungen hatte:

„Lebt man, so zeugt man mit einer Kraft,
Die mit Widerhallen im Herzen haft’t;
Geht man aus der Hütte, das Lamm zu küssen,
So soll noch der letzte Blick zeugen müssen,
Daß wir geglaubt!“

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

 

Heinrich von Zutphen

Probst, Jacob – Ein erschreckliche geschicht wie etliche Ditmarscher den Christlichen prediger Heinrich von Zutfeld newlich so jemerlich umbgebracht haben – in einem sendbrieff Doctor MArtino Luther zugeschrieben

MD XXV

Jakob Probst

Dem waren Junger Christi

MArtino Luther. Jacobus von Hypern

Gnad unnd frid von Gott dem vatter unnd unserm herren Jesu Christo / der unnser einiger mitler unnd priester in ewigkeit ist. Was sol ich sagen alerliebster Bruder? Wa soll ich anhebenn? mein seel ist in engsten / unnd mein geist schreyet zu dem herren / unnd ich hab keyn stillung. So sage ich / Sihe wie stirbt der frumm? unnd nyemants bedenckts in seinem hertzen. Die gotseligen werden umbbracht / Dann nyemants versteet es / Wann der frumm ist vom angesicht der boßheyt wegk genommen. Unser heinrich der unerschrocken prediger gottis worts / ist umbbracht worden / und ist also umbkommen / als were jm Gott nicht holdt geweßt.

Doch ist seyn blut kostlich vor Got / wiewol es vor den Ditmarschen ist gering wordenn. Ach herr wie lang schreyen wir und du wilt uns nicht erhören. Warumb sihestu die verachter an unnd schweigest stil wenn der gotloß den undertritt der frummer ist dann er? Ja vatter also hat es dir wolgefallenn / Wann der junger ist nicht mer dann sein meister / noch der knecht uber sein herren. Es ist dem junger genug wenn er ist als sein meister / unnd dem knecht / wenn er ist als sein herre / haben sy den haußvater genennt Beelzebub / wie vil mer werden sy die haußknecht also heyssenn / Unnd darumb sollenn wir unns vor jn gar nicht förchtten / wann das ist jr stund / und der gwalt der finsternuß / Darumb tragen wür liiebhaber der warheit leyd unnd geen trawrig hereyn. Die feynde aber frewen sich und geen mit aufgerecktem halß / doch bekümmeren wir uns also umb des heinrichen tod / das wir uns nit weniger dess vor Got dem herren erfrewen / und seind des gewiß / das wir einen newen mertrer und getzewgen Christi haben. Sy aber frewen sich vor der welt / Ich byn auch ungezweyfelt jr frewd werd seyn wye ein augenplick.

Aber vernempt die sach mit wenig wortenn / wann mein gemüt ist betrübter denn das ich vil kunt schreiben. Heinrich ist in Ditmarschen beruffen worden vom pfarherr zu Meldorff einem frommen Christlichen und Evangelischen mann / mit wissen und bewilligung etlicher der fürnemsten desselben orts. Darauff ist er als ein williger und rechtschafner gezeüg Christi dahyn gezogen / und hat sein vertrauen auf Got den herren gestelt / wiewol es jm von guten freünden ist widerraten worden / die hatt er nicht hören wollen / wann er sagt / er were von Got beruffen.

Als er nun gen Meldorff in Ditmarsch ist kommen / haben jn die Christen auffs freüntlichst angenomen. Die münchen aber als feynde des waren Gotisdienst und der Christlichen warheit / sind seiner zukunft betrübt worden / haben gelauffen gerannt / sie bemüet unnd so emsiglich angehaltten / das sy endtlich bey etlichen des lands obristen so vil erlangt habenn das man dem Heinrichen das predigen verbotten hatt.

Weil er aber wüßt das man got mer solt gehorsam sein dann den menschen / Derhalben hat er am andern sontag im advent zwu predig gethon / also das sich der alle so sy gehört / erfreüt und got seiner gaben gedanckt unnd gelobt haben. An sant Niclastag hat er auch zwu predig gethon / do ist das volck schyer auß allen winckeln zugelauffenn. Deßgleichen hatt er auch am tag unser lieben frawen entpfengknus zwir gepredigt / also das sich meniglich ob seiner leer verwundert hatt.

Nun haben sich die münch in dem mit höchstem fleyß bearbeyt / geheult und ein aufrur gemacht / Unnd iren willen erlangt. Wann am freytag volgent in der nacht nach zwelff ur vor dem dritten sontag im Advent / seind die münch kommen mit latern beleuchtet und bey fünffhundert wapner mit jnen / die seind vol hamburger byers geweßt / und seind als die veynde dem pfarherr zu Meldorf in sein hauß gefallen / haben den merterer Christi jemerlichen auß dem bette gezogen / darnach eynem pferdt an schwantz gebunden unnd also mit grosser frolockung gen der heyde ein grosse meyl wegs vonn Meldorff gefürt und geschleyft.

Als sy gen der Heyde kommen seind / haben sy den guten man in eines pfaffen keller geworffen / sye aber alle getruncken gespilt und gesungen.

Auf den morgen haben sy den frommen man mit höchster schande zum fewr geschlept.

Do hatt sich ein Christlich weib zwischen den guten mann und das fewr gestelt / und jn zuerhalten Tausent gulden zu geben geboten / byß er mit recht uberwunden verbrant wurd. Aber do hat nyemant wellen hörn / Sonder ist das gut weyb jemerlich an kopff geschlagen worden / das sy also hat müssen entweichen.

Nu ist das urteil so hernach folget / durch einen gesprochen worden der diß jars nit Richter ist / Aber er hat vom richter der das urteil gesprochen solt haben zehen guldin genommen und solch urteil gesprochen.

Urteyl

Diser ubelthetter der Gott und sein mutter gelestert hat soll verbrent werden.

Darauf hat der frumm man geantwurt. Das hab ich nit gethon. Aber das geschrey hat uber hand genommen / verbrent jn verbrennt jn.

Unnd als der Christlich mann den himlischen vatter für sy gebeeten hat / ist er von jn verlacht und verspeyet worden.

Nu ist das fewr vor allen menschen die vorhanden gewest seind / zweymal außgangen und erloschen. Das haben sy (wie solchen leutten wol gebürt) für zawbrey außgeben.

Als er auch von jnen etlich wunden entpfangen / der man under zweyntzig nicht an jme gezelet hatt / ist er in das dritte fewr geworffen worden / Also hat er Got dem vater sein geist auffgeben.

Nun ist sein Cörper den gantzen tag uber / gantz unnd unverbrannt gebliben.

Des Andern tags / welchs der drit sontag im Advent gewest ist / haben sy dem todten cörper die hende und füsse abgehawen / ein new feür gemacht und sy darinn verbrannt / Dann den strumpf als man sagt / haben sy begraben / und umb den cörper getantzt.

Also sterbenn die diener Christi / Also werden die wortt des meister erfült. Ich kan nit mer schreyben. Bitt die Götlich maiestat / das sy uns auch ein solche bestendigkeit geben woll. Ach das ich doch nur ein tröflin solcher gnad und bestands gehabt het / so rwet ich yetz on alle sorg in dem herren Christo. So weltz ich mich yetz in mancherley ellend trübsalen / jamer engsten unnd sünden. Gehabt ewch wol / der gayst Christi sey mit ewch. Mein allerliebster vatter in Christo Martine / dyse geschicht hett ich den zu Antorff geschriben / Aber der bott war weg gelauffen und hett den Brieff hye gelassen. Darumb schick ichs deiner vätterlichen lieb / und flehe dein gütigkeyt durch Jesum / du wellest unns mit einem einigen Sendbrieff trösten / an die gantz Christlich gemeyn zu Bremen zu schicken. Demnach bit ich dich du wellest mir das nicht abschlahenn / Dann ich nicht alleyn / sonder vil Bitten darumb. Preyse den mertrer Christi / und straff die arglistigkeyt der münchen. Ich bit dich du wellest mir meine unschicklicheit verzeihen / mein seel ist trawrig byß in todt / Dann mich verdreüßt lenger zu lebenn weyl ich allenthalbenn so vil ubels sehe. Demnach ist mein altter Adam nit gestorben. Bitt Got für uns.

Aus dem Original abgeschrieben.

Heinrich von Zutphen

Heinrich von Zutphen

Zutphen, Heinrich von

Heinrich von Zütphen, ein Augustinermönch im Anfange der Reformationszeit, der mit kühner Beredsamkeit an mehreren Orten für die evangelische Sache auftrat, bald aber einen grausamen Märtyrertod erlitt. Die Stadt Bremen verdankt ihm den Anstoß zur Einführung der Reformation. H., dessen Familienname unbekannt ist (die frühere Annahme, er habe Moller oder Müller geheißen, hat sich als ein Irrthum erwiesen), trägt seinen Beinamen von seiner Vaterstadt Zütphen in den Niederlanden, wo er wahrscheinlich 1488 geboren ist. Ueber seine Jugendzeit wissen wir nichts. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts trat er zu Dordrecht unter die Augustiner und erhielt den Klosternamen Johannes, den er jedoch später nie gebraucht hat. 1508 finden wir ihn unter den Studierenden an der neugegründeten Universität Wittenberg. Die Gemeinsamkeit des Orden und Congenialität der Gesinnung brachte ihn Luther nahe, der ihn in seinen Briefen mit Auszeichnung nennt. 1505 wurde H. Vorleser im Wittenberger Kloster, bald aber berief man ihn nach Köln als stellvertretenden Prior des dortigen Augustinerklosters; 1515 finden wir ihn als Prior des heimischen Klosters zu Dordrecht. Bei solchem Bildungsgange mußte H. ein Anhänger der Bewegung werden, die 1517 von Wittenberg ausging und namentlich in den Niederlanden einen empfänglichen Boden fand; wurden doch die Augustiner fast überall Parteigänger Luther’s. Schon 1517 und 1518 hören wir von einer Verfolgung der Evangelischen in Dordrecht. H. scheint daran noch nicht betheiligt gewesen zu sein, hat aber muthmaßlich seine Priorstelle niedergelegt, da sich 1520 für diese ein anderer Name findet. Wir treffen H. in diesem Jahre wieder in Deutschland und zwar, vielleicht auf Luther’s Empfehlung, in der Umgebung des sächsischen Kurfürsten, mit dem er zu Köln der Uebergabe der päpstlichen Bannbulle wider Luther durch Carracioli und Aleander am 10. December beiwohnte. Er hat darüber einen noch erhaltenen Bericht verfaßt. Dann kam er aufs neue nach Wittenberg, wo er unter Melanchthon seine Studien fortsetzte und die akademischen Grade eines Baccalaureus und eines Licentiaten erwarb, 1521. Nun aber fühlte er sich reif genug, in seiner Heimath für die Reformation aufzutreten, 1522. Ein Edict Karls V. und dessen blutige Ausführung durch die Statthalterin Margarethe schien zwar alle Mühe daselbst vergeblich zu machen; angesichts der zahlreichen Hinrichtungen hatte selbst Heinrichs Freund, der Antwerpener Augustinerprior Jacob Probst, widerrufen, derselbe, der später, seinen Widerruf bereuend, H. nach Bremen gefolgt ist; H. aber scheute sich nicht, gerade in Antwerpen aufzutreten. Das Volk strömte ihm zu, aber die Feinde ruhten nicht. Am 29. September 1522 wurde der kühne Mönch bei einer Predigt am Ufer der Schelde verhaftet. In der Nacht sollte er nach Brüssel geschleppt werden, sein Schicksal schien entschieden. Aber das Volk, an der Spitze die Frauen, erbrach das Gefängniß mit Gewalt und setzte den bewunderten Prediger in Freiheit. H. floh. Er sah für den Augenblick keine Möglichkeit, in den Niederlanden zu wirken, und beschloß, nach Wittenberg zurückzukehren. Auf dieser Reise, die er über seine Vaterstadt Zütphen und, wohl der Sicherheit halber, auf einem Umwege machte, kam er nach Bremen, wo er einen ungeahnten Wirkungskreis finden sollte. – Die Stadt Bremen hatte sich, wie ganz Niedersachsen, der Reformation bisher fern gehalten, obwohl Empfänglichkeit für sie vorhanden war. Man wußte hier von Heinrichs Schicksal und seinem Kommen; deshalb wurde er von angesehenen Männern sofort angehalten und um eine Predigt ersucht. H. war bereit und predigte am Sonntag den 9. November 1522 in einer Capelle der Anscharii-Kirche. Man bat ihn nun zu bleiben, und mit Bewilligung seines Provinzialoberen blieb H. in Bremen, dessen Reformator er jetzt werden sollte. Die Geistlichkeit setzte natürlich alle Mittel in Bewegung, den Neuerer zu hindern oder seiner habhaft zu werden, der Rath aber, der allerdings keine entschiedenen Schritte für H. that, duldete ihn doch und hinderte das Volk nicht, sich seiner und seiner Sache thatkräftig anzunehmen. Man ließ H. auf das vom Erzbischof Christoph (s. Bd. IV. S. 235 ff.) angesetzte Provincialconcil zu Buxtehude (10. März 1523) nicht ziehen, zerstörte die der Stadt nahe und gefährlich gelegene Abtei St. Pauli, und berief an die Stadtkirchen zwei neue Prediger des Evangeliums, nämlich jenen Freund Heinrichs Jacob Probst und den Amsterdamer Johann Timann (1524). Bei diesem günstigen Verlauf der Dinge glaubte H. einem neuen Rufe folgen zu müssen. Er war aufgefordert worden, nach Meldorf im Lande Dithmarschen zu kommen, wo seit einiger Zeit der evangelische Prediger Nicolaus Boje (s. Bd. III. S. 85) für die Reformation arbeitete. Nur wenigen Bremern zeigte er sein Vorhaben an und zog, um die Feinde nicht aufmerksam zu machen, heimlich fort (28. November 1524). Auf dem neuen Schauplatz ging es anfangs gut. In Meldorf nahm man den Fremdling freudig auf und hörte begierig seine Rede. Aber es sollte nicht lange dauern. Das stolze Bauernvolk der Dithmarsen, welches solange seine Freiheit gegen die umliegenden Fürsten behauptet, liebte keine Glaubensänderung. Dem Prior des Meldorfer Dominikanerklosters, Augustinus Torneborch, wurde es daher leicht, die Gemüther gegen den Ketzer zu entflammen. Es wurde ein heimlicher Schlag gegen denselben beschlossen und ausgeführt. Man überfiel in einer Nacht das Meldorfer Pfarrhaus und schleppte den unglücklichen Mönch unter den rohesten Mißhandlungen nach dem Orte Heide, wo er am anderen Morgen einen qualvollen Tod im Feuer fand. Das war am 11. December 1524. Ein jähes Ende hatte den 36jährigen Mann aus einer verheißungsvollen Laufbahn gerissen. Aber auch das trug seine Frucht. In Wittenberg beklagten Luther und Melanchthon den Frühvollendeten aufs schmerzlichste, und ersterer sandte den Bremern einen Trostbrief nebst einer Erzählung von Heinrichs Wirken und Märtyrertod, die nicht wenig zu der ernsten Durchführung der Reformation in Bremen beitrugen. Auch im Lande Dithmarschen fand dieselbe bald Eingang. Das Andenken des Blutzeugen aber hat sich der evangelischen Kirche unvergeßlich eingeprägt. Seit 1830 erhebt sich an der Stelle seines Märtyrertodes ein Denkmal. Viele Schriften haben sein Leben und Leiden dargestellt.

 

Huldrych Zwingli#

Huldrych Zwingli

Den 1. Jan. 1484 wurde in Wildenhaus in der Grafschaft Toggenburg in der Schweiz, wo sein Vater Amman (Schultheiß) war, geboren: Ulrich Zwingli. Da er schon als Knabe einen fähigen Kopf verrieth, so wurde er dem geistlichen Stande gewidmet, und von seines Vaters Bruder, welcher Dekan in Wesen war, in den Anfangsgründen der Wissenschaften unterrichtet, hierauf aber 1494 auf die Schule zu Basel und von hier nach Bern gesandt. Weil ihn in letzterer Stadt Mönche, um seiner musikalischen Anlagen willen, in einen Orden ziehen wollten, so nahmen ihn seine Verwandten wieder weg, und schickten ihn nach Wien, wo er in der Philosophie sehr gute Fortschritte machte. Hierauf als Lehrer an die Martinsschule in Basel berufen, setzte er neben dem, daß er Andere unterrichtete, seine Studien eifrig fort, und wurde 1506 Magister. Auf Anrathen seines Lehrers Wittebach studierte er die Kirchenväter und das Neue Testament sehr fleißig, und wurde bald darauf Prediger zu Glarus; auch hier setzte er die Schriftforschung fleißig fort, und fing an, Anmerkungen über die Briefe Pauli abzufassen, welche er im Grundtexte auswendig lernte. 1512 zog er als Glarus’scher Feldprediger in den Mailändischen Krieg, und wohnte mehreren Treffen bey. Schon im J. 1516 lehrte er zu Glarus, daß Christi Tod das einzige Opfer für unsere Sünden sey, und rügte, jedoch mit großer Vorsicht und Mäßigung, die Irrthümer der verdorbenen Kirche. Es streiten daher seine Anhänger mit den Lutheranern darüber, ob Zwingli oder Luther zuerst das Reformationswerk begonnen habe? Das Wahre ist, daß weder der Eine noch der Andere von ihnen der Erste war, der auf die Nothwendigkeit der Reformation aufmerksam machte, daß Keiner von ihnen den Plan zu diesem Werke machte, sondern Luther, fast gegen seinen Willen, von Gott dazu gedrungen wurde, das größere Stück Arbeit dabey zu übernehmen, und in der ihm von Oben herab gegebenen Kraft auszuführen.

Auch als Prediger zu Marien-Einsiedel, wohin Zwingli gegen das Ende des Jahrs 1516 berufen wurde, verkündigte er unumwunden, daß alle päbstlichen Indulgenzen (Freisprechungen von Sünden) nichts als eine Erdichtung seyen; hiedurch erwarb er sich bald einen solchen Rum, daß er 1518 an’s Münster nach Zürich berufen wurde, wo er sogleich über das Evangelium Matthäi der Reihe nach zu predigen anfing, und die gewöhnlichen Sonntags-Evangelien aufgab. Auch setzte er noch immer seine Studien eifrig fort, und trug viel zur Emporbringung der Künste und Wissenschaften in Zürich bey. Als 1519 der Ablaßkrämer Bernhard Samson sein gottloses Gewerbe ich der Schweiz ebenso unverschämt trieb, wie Tetzel zwey Jahre zuvor in Sachsen, so widersetzte sich ihm Zwingli mit so glücklichem Erfolge, daß er Zürich mit leerer Hand verlassen mußte, und schon 1525 brachte er es dahin, daß von dem Magistrat zu Zürich der dortigen Geistlichkeit befohlen wurde, Nichts zu lehren, als was aus Gottes Wort sich erweisen lasse. Muthig und ohne im Geringsten die Gefahren zu scheuen, denen er sich damit aussetzte, fuhr er sodann mit dem Reformationswerke fort, und gerieth darüber 1522 mit dem Bischof von Konstanz und seinem Vicar Johannes Faber in einen heftigen Streit über das Speise-Verbot, der ihn veranlaßte, zum ersten Mal auch in Druckschriften sich hören zu lassen. Mit sehr glücklichem Erfolge bestritt er auch gegen den Barfüßer-Mönch Lambertus die Lehren von der Anrufung der Heiligen und der Messe; entging aber kaum dem Gift und Dolch seiner Gegner. 1523 sandte Pabst Adrian eine eigene Gesandtschaft nach Zürich, um die Reformation zu hintertreiben, und Zwingli erhielt ein eigenes, sehr schmeichlerisches Schreiben; nichtsdestoweniger vertheidigte er in der angestellten Disputation den Satz, „daß in Glaubenssachen allein die H. Schrift entscheidt“, mit standhaftem Muthe, und brachte es noch in diesem Jahre dahin, daß die Kaplane sich weigerten, fernerhin Messe zu lesen; er schaffte 1524 die Prozessionen nach Einsiedel, das Fronleichnamsfest und andere römische Gebräuche ab, und verheirathete sich mit einer adeligen Witwe: Anna Reichart. Was Luther um diese Zeit in Sachsen zur Reinigung der Kirche that, das that Zwingli in der Schweiz, er wollte es aber – und zwar mit Recht – nicht leiden, daß man ihn einen Lutheraner nannte, weil er, wie er sagte, die Lehre Christi aus der H. Schrift, und nicht von Luther gelernt habe. „Wenn Luther Christum predigt, so thue ich es auch, und obgleich durch seinen Dienst, Gott sey Dank! ungleich mehr Menschen Christo zugeführt werden als durch den meinigen, so will ich doch nach Niemand sonst genannt werden als nach Christo; denn Er ist mein einziger Herzog und ich bin Sein Streiter.“ Die Punkte, in welchen sie hauptsächlich von einander abgingen, waren folgende: Luther wollte nur diejenige Zierrathe und Bilder aus der Kirche entfernt wissen, welche zu abergläubischer Verehrung und irrigen Vorstellungen Anlaß geben, Zwingli dagegen eiferte mit unerbittlicher Strenge gegen Alles, was an das Pabstthum erinnerte, und wollte Anfangs sogar das Singen abgeschafft wissen; Luther empfahl dringend den Gehorsam gegen die Obrigkeit, und warnte vor aller bewaffneten Widersetzlichkeit gegen Gewaltthätigkeit; Zwingli redete mehr der Volks-Freiheit das Wort, dagegen lehrte er über die Erbsünde minder strenge als Luther, und hatte auch dessen tiefe, erfahrungsmäßige Einsicht in die Rechtfertigung durch den Glauben nicht; vornehmlich aber wichen sie in der Lehre von den Sakramenten, Taufe und Abendmahl, von einander ab, welche Zwingli als bloße Kennzeichen der christlichen Gemeinschaft betrachtete, und vergeblich war der Versuch, sie bey dem Religions-Gespräch zu Marburg 1529 zusammenzubringen, so wie auch spätere Versuche des wohlmeinenden Bucer fehlschlugen.

Zwingli starb schon im J. 1531 (11. Okt.). Er war seinen Zürichern als Feldprediger in einen Religionskrieg gefolgt, wurde, wie ihm vierzehn Tage zuvor geahnt hatte, in der Schlacht bey Kappel durch einen Spieß am Kinn verwundet, und durch einen Unterwaldener Offizier mit dem Schwerte getödtet. Seine letzten Worte waren: „Ob sie gleich den Leib tödten, können sie doch die Seele nicht tödten.“ Sein Leichnam kam den Feinden in die Hände, die ihn viertheilten und verbrannten. Sein Herz soll drey Tage darauf unversehrt in der Asche gefunden worden seyn; man brachte es dem Oekolampadius; dieser aber, nachdem er sich bestimmt erkundigt hatte, ob das Zwingli’s Herz sey, warf es in den Rhein, der Abgötterey zu wehren. Zwingli war ein eifriger, muthiger und kluger Mann, predigte scharf wider Sünden und Laster, war mitleidig gegen Arme, ein großer Freund des Vaterlandes, ein unterhaltender Gesellschafter und nicht allein in der Theologie, sondern auch in der Kriegswissenschaft und Taktik wohl bewandert.

Der Christen-Bote.
Herausgegeben von
M. Johann Christian Friedrich Burk,
Pfarrer in Thailsingen und Nebringen bey Herrenberg.
Jahrgang 1833
Stuttgart,
bey Johann Friedrich Steinkopf