Paulus Speratus

Von dem Lebensgange dieses berühmten Sängers des Reformationsliedes: „Es ist das Heil uns kommen her“, erfahren wir nicht eher etwas Sicheres, als bis er in gereiftem Mannesalter auf dem Schauplatz der Reformation in der Reihe der heldenmüthigen Vorkämpfer des Evangeliums uns entgegentritt. Wir wissen nur, daß er am 13. December 1484 geboren war, aber nicht, wo und von welchen Eltern, und welche Erziehung er genossen. Man sagt, er sei der Sprößling einer adligen Familie Schwabens, von Sprett oder Spretter, gewesen. Er schreibt sich aber auch zuweilen mit dem Zusatz a Rutilis oder von Rötteln. Den Namen Speratus hat er wohl durch lateinische Umformung seines Familiennamens sich beigelegt, als er zur Erkenntniß der Wahrheit des Evangeliums gelangte. Der Name bedeutet: Gehoffter, Geliebter, Verlobter, Bräutigam. Durch welche Führungen der göttlichen Gnade er zum Glauben an die seligmachende Wahrheit des lauteren Evangeliums gekommen sei, wissen wir nicht. Es wird uns berichtet, daß er zuerst nach Frankreich gereist sei und dort auf der Pariser Universität studirt, nachher aber auch auf italienischen Universitäten seine Studien fortgesetzt habe. Sowohl dort wie hier konnte er schon das scharfe Wehen eines freien Geistes verspüren, der gegen das Pabstthum und die todten Satzungen der Kirche anstürmte, ohne freilich schon der lebendigmachende Geist aus Gott zu sein, dessen Wehen in Deutschland den Anbruch des Frühlings verkündigte. Wahrscheinlich verdankte er mit so vielen für das reine Evangelium Empfänglichen auch den ersten reformatorischen Schriften Luthers eine starke Anregung.

Wir lernen ihn gleich bei der ersten Bekanntschaft als einen entschiedenen Prediger des Evangeliums und freimüthigen Bekämpfer der Irrlehren und Mißbräuche der Kirche kennen. Wir finden ihn nämlich zuerst (im Jahre 1518) als Prediger in Dinkelsbühl. Etwa nach Jahresfrist sehen wir ihn, nicht ohne Zögern und Widerstreben, einem Rufe als Domstiftprediger nach Würzburg folgen, wo er bald als ein Verbreiter „des Gifts lutherischer Ketzerei“ und als ein Verführer des Volkes, welches sammt einem Theil der niederen Stiftsgeistlichkeit durch seine ernsten evangelischen Predigten in eine dem Licht der Wahrheit sich zuwendende Bewegung gebracht wurde, angeklagt und angefeindet wurde. Er wurde aus Würzburg um des Evangeliums willen vertrieben. Ob er auch in Augsburg, wie hier und da berichtet wird, das Evangelium gepredigt habe, bleibt dahin gestellt. Aber von ihm selbst erfahren wir, daß er eine Zeit lang auch in Salzburg als Verkündiger der lauteren Wahrheit gewirkt und eine kleine Gemeinde von evangelisch Gesinnten um sich gesammelt habe. In einer späteren Zuschrift an die Salzburger und Würzburger (jene nennt er voran) heißt es ausdrücklich: „Ich habe als Domprediger etliche Jahre euch das Wort Gottes, wollte Gott nützlich, verkündigt.“ In Salzburg wirkte damals im Stillen und Verborgenen für die Ausbreitung und Pflege wahrhaft evangelischer Gesinnung Luthers treuer Freund und geistlicher Vater Johann Staupitz. Er war seit 1519 Hofprediger des Cardinals und Erzbischofs Matthäus Lang; sein Kloster, dem er später als Abt vorstand, war der verborgene Mittelpunkt eines neuen evangelischen Lebens, wie es einst der Ausgangspunkt der Christianisirung jener Gegenden gewesen war. Auf dem durch ihn in schüchterner Zurückgezogenheit empfänglich gemachten Boden konnte der von Sperat ausgestreute Same des Evangeliums nicht ohne Frucht bleiben. Diese zeigte sich besonders unter den ernsten, schlichten Bergleuten. Es bildete sich eine kleine Gemeinde, die unter den bald eintretenden schweren Verfolgungen dem Evangelio treu verblieb. Sperat mußte auch hier der Feindschaft wider das Evangelium weichen.

Wir finden ihn am Anfang des Jahres 1521 in Wien wieder. In Wien hatte zu dieser Zeit die Reformation unter dem Volk und unter den Lehrern der Universität bereits eine Zahl von verborgenen Freunden. Aber die Theologen waren die entschiedensten Feinde des Lichts. Ein Jahr lang hatte Sperat dort gelebt, als er sich durch die Predigt eines Mönchstheologen, welche das Gelübde der Ehelosigkeit pries und den heiligen Ehestand verlästerte, veranlaßt sah, öffentlich darüber Zeugniß abzulegen und vom evangelischen Standpunkt die Heiligkeit des Ehestandes, in den er selbst damals schon eingetreten war, zu vertheidigen. Er hielt in der Stephanskirche am 12. Januar 1522 über die Epistel des 1. Epiphaniensonntages (Röm. 12) eine geharnischte Predigt über die Gottwidrigkeit des Colibatsgelübdes, über das sittliche Verderben unter den Geistlichen, über die Verwerflichkeit der Mönchsgelübde überhaupt, die als neue Gelübde zu dem Einen Taufgelübde, als wäre das unzulänglich, hinzugethan würden. „Da drang mich,“ sagt er, „mein Gewissen und die Noth, daß ich des ehelichen Standes Ehren und Glücklichkeit preisen mußte.“ Aus dieser Predigt stellten seine Feinde acht Sätze als „irrige Artikel voller Aergerniß und Ketzerei“ zusammen und erhoben damit vor dem bischöflichen Gericht Anklage wider ihn. Um in seiner völligen Schutzlosigkeit der erbitterten theologischen Fakultät gegenüber nicht Gott zu versuchen, kehrte er bei Zeiten Wien den Rücken, wo bald öffentliche Anschläge seine Verdammung als Ketzer bekannt machten, aber seine Lehren durch die allen Predigern befohlene Widerlegung derselben von den Kanzeln dem Volk nun erst recht bekannt wurden. „Ich weiß,“ so ruft er später aus, „daß meine Worte noch zu Wien in Vieler Herzen klingen, die mich gehört haben.“

Sperat wollte nun einem Rufe zum Predigtamt nach Ofen folgen, wo auch das Evangelium bereits Eingang gefunden hatte. Aber die Wiener Theologen erwirkten beim König Ludwig seine Ausweisung aus Ungarn. Mächtig zog’s ihn nun nach Böhmen hin, wo seit Luthers Auftreten die reformatorische Bewegung einen neuen Anstoß empfangen hatte. Prag war sein nächstes Ziel. Aber wider seine Absicht wurde er auf dem Wege dorthin, der ihn durch Mähren führte, durch einen Wink des Herrn genöthigt, in der für das Evangelium sehr empfänglichen Stadt Iglau auf seiner flüchtigen Wanderung Halt zu machen. Er folgte der wie von ungefähr an ihn ergangenen Aufforderung des dortigen Dominikaner-Abtes, als Prediger seines Klosters zu verbleiben. „Der versah sich aber nicht,“ schreibt er später an die Iglauer, „daß ich das Evangelium predigen sollte, sondern allein ihm in die Küche dienen. Das verstund ich anders und predigte auch das Evangelium.“ Seine Predigten hatten überraschenden Erfolg. Während der Abt mit den ihm sonst verhaßten Mönchen wider ihn Freundschaft schloß und so „Herodes und Pilatus gute Gesellen“ wider Christum wurden, fielen der Rath und die Bürgerschaft dem Evangelio zu, und schworen in öffentlicher Versammlung, „Leib und Gut müßten eher daran, ehe sie sich wollten bringen lassen vom Evangelio und ehe sie ihn verlassen sollten.“ Die Begeisterung für die Sache des Evangeliums war allgemein und riß auch die Unentschiedenen mit sich fort. Sperat, der in seiner Besonnenheit wohl erkannte, wie bei Manchen „das Fleisch noch zuerst mitlief“, ließ sich trotz der Drohungen der Feinde durch ihre dringenden Bitten bewegen, als ihr Bischof bei ihnen zu bleiben.

Von Iglau dehnte er seine Wirksamkeit zur Ausbreitung und Befestigung des Evangeliums über ganz Mähren aus. Er trat mit den zahlreichen angesehenen Beschützern desselben in die engste Verbindung. In einem sehr nahen Verhältnis erblicken wir ihn zu den böhmischen und mährischen Brüdern, mit denen er namentlich über die Lehre vom Abendmahl viel verhandelte. In Folge dessen trat er auch in brieflichen Verkehr mit Luther und wurde für die Verbindung desselben mit den Brüdern eine wichtige Mittelsperson. Luther nannte ihn „seinen lieben guten Freund“ und schrieb ihm, daß „sein Büchlein der Predigt zu Wien gehalten ihm fast wohl gefalle.“ Auf die Bedenken Sperats hinsichtlich der Auffassung der Brüder vom Wesen des Abendmahls erwiedert er (im Mai 1522): „er habe nach sorgfältiger Prüfung ihrer Artikel nicht gefunden, daß ihnen Brot und Wein Leib und Blut Christi blos bedeute, sondern daß sie darin wahrhaftig und eigentlich Leib und Blut Christi sähen. Es sei genug, dies schlecht und einfältiglich zu glauben; über das Wie solle man nicht grübeln, da Christus nichts Sonderliches darüber gesagt habe.“ In einem anderen Briefe (vom Juni desselben Jahres) belehrt Luther ihn, warum der Ritus der Aufhebung des Sacraments und der Beugung vor demselben, den die Brüder verwarfen, eine Sache evangelischer Freiheit sei, und warum das Sacrament, auch wenn es von einem ungläubigen Priester verwaltet würde, durch die Kraft des Verheißungswortes wirksam sei.

Der Glaube Sperats und seiner ihm begeistert anhangenden Gemeinde sollte bald durch schwere Leiden um des Evangeliums willen geprüft werden. Mehrere königliche Mandate, welche der Bischof von Olmütz, der Beichtvater und Rath des jungen unerfahrenen Königs Ludwig, diesem abnöthigte, bedrohten die Iglauer mit den härtesten Strafen, wenn sie ihren ketzerischen Prediger nicht entlassen würden. Vergebens bemühten sich Abgeordnete des Raths und der Gemeinde, ein Verhör und gerechte Untersuchung ihrer Angelegenheit zu erlangen. Indem man ihnen Hoffnung darauf machte, vertröstete man sie von einem Zeitpunkt auf den andern und ließ sie auf weiten Wegen vergebens hin- und herreisen, um sie müde und mürbe zu machen. Endlich ward im Frühling 1523 ein Tag zu Olmütz zum Verhör vor dem König für Sperat und die Deputation von Iglau angesetzt. Aber das war nur eine Falle, in die der Bischof Sperat locken wollte. Das Verhör fand nicht Statt. Sperat wurde in einen elenden Kerker geworfen, in welchem er zwölf Wochen schmachtete, ohne zu einem Verhör geführt zu werden. Der Scheiterhaufen drohte ihm eben so gewiß, wie er aus seinem Gefängniß am Tage nach seiner Einkerkerung auf dem Markte die aus den Buchläden und Häusern zusammengetragenen lutherischen Schriften, darunter auch das neue Testament, verbrennen sah. „Da lag ich nun,“ ruft er aus, „warum schwieg ich nicht? Warum sagte ich die Wahrheit? Nein, nein. Es muß ungeschwiegen sein; frisch, frisch hinwieder, es gilt ja nur dem elenden Körper.“ Rührend bewies sich ihm die Theilnahme der verborgenen evangelischen Brüder. Man sandte ihm Gedichte zu, in denen man ihm Muth und Trost zusprach. In einem derselben wurden der Hergang bei jenem Autodafe und einige plötzlich eintretende Umstände, z. B. ein Regenguß, als göttliche Fügung geschildert. Sperat antwortete darauf mit lateinischen Versen, in welchen er unter Anderem dem Ansinnen der feindlichen Partei, die Wahrheit zu verläugnen, das gute Bekenntniß entgegensetzte:

Nein! ich kann nicht! Bedroh‘ mein Leben mit tausend Gefahren;
Gieb auch dem Feuer mich Preis, das mir die Glieder verzehrt,
Mein Triumph ist der Kerker; eh deinen Geboten ich folge,
Soll mir wie Morgenroth leuchten der Flammen Glut.

Aber schwere Anfechtungen kamen über Sperats Seele, während er den Tod dicht vor Augen sah. Vor seinen Schrecken zitterte sein Fleisch und Blut. „Es überdränget mich,“ ruft er aus seinem Kerker, „das Fleisch, das ja krank ist. Ach mein Herr Christus hat auch blutigen Schweiß vergießen müssen, ehe er gegen sein Fleisch obgesiegt hat. Fürwahr es geht nicht mit Schlafen zu. Auch mir thut ein Engel vom Himmel noth, der mich stärkt.“ Er bittet seine Iglauer, um des Evangeliums willen ihn nicht im Stich zu lassen und zu seiner Errettung aus der Gewalt der Feinde Alles aufzubieten. „Ihr liebsten Brüder in Christo,“ ruft er ihnen zu, „ist es möglich vor Gott durch euch, so werde dieser Kelch von mir genommen; doch nicht mein, sondern Gottes Wille geschehe!“ Aber was mußte er zur Erhöhung seiner Leiden erfahren? In Folge der fortgesetzten Einschüchterungen und Drohungen wandten sich Viele von der Wahrheit ab und ließen ihren treuen Bekenner im Stich. Es hieß bei Vielen: „Evangelium hin, Evangelium her, wir wollen einen gnädigen König haben!“ Auch großes äußeres Unglück betraf die innerlich zerrüttete Gemeinde. Fast die ganze Stadt wurde durch eine Feuersbrunst zerstört, in welcher auch alle Habe Sperats und seine werthvolle Büchersammlung ein Raub der Flammen wurde. Dazu kamen die Bekehrungsversuche, mit welchen der Bischof schmeichelnd und drohend ihn bestürmen ließ. Auf sie beziehn sich in jenem Antwortgedicht die Worte:

Höre zu schmeicheln mir auf, hör‘ auf zu drohen, du Schlange,
Nichts, nichts richtest du aus. Weg, du verderbliches Gift!

Da er unerschütterlich in seinem Glauben blieb, triumphirten seine Feinde schon über seinen nahen Tod. Doch wie wurden sie enttäuscht, als Sperat plötzlich eines Tages seiner Haft entlassen wurde. Es bezeichnet die hohe Bedeutung seiner reformatorischen Wirksamkeit für Mähren, daß angesehene Männer des Landes, Hofbeamte, ja die höchsten Personen bei Hofe, wie Markgraf Georg von Brandenburg, ja wie es scheint die der Reformation gar nicht abgeneigte Königin Maria selbst, sich für ihn beim Könige verwendeten und gegen die Machinationen des Bischofs seine Freisprechung durchsetzten. Freilich wurde ihm aufs Strengste verboten, seine Wirksamkeit als Prediger des Evangeliums in Iglau fortzusetzen. Aber hatte er seiner Gemeinde nicht Treue gelobt bis in den Tod? Allen Gefahren trotzend kehrte er zu ihr zurück, und erklärte ihr, auch ferner als ihr Bischof ihr dienen zu wollen, wenn sie ihn wieder aufnehmen wollte. Die eingeschüchterte Gemeinde wagte das nicht. Sie entließ ihn mit einem den wirklichen Sachverhalt und ihre Schuld in dieser Sache verdeckenden Empfehlungsschreiben an andere „Freunde und gute Herren“, die sich des „redlichen und ehrsamen Mannes“ annehmen sollten, der ihnen treulich das Wort Gottes verkündigt habe und jetzt eine Zeit lang von ihnen gehe „an andere End‘ und Land, um sich die durch ein grausam Feuer mit all‘ seinem Hab und Gut verlorenen christlichen Bücher wieder zu Wege zu bringen.“ Er nahm seinen Weg durch Böhmen, nachdem er sich in Mähren zu Trebitz, einem Hauptsitz der mährischen Brüder, eine Zeit lang aufgehalten hatte. Das nächste Ziel seines Wanderlebens war Wittenberg.

Bald nach seiner Ankunft in Wittenberg am Ende des Jahres 1523 oder Anfang 1524 finden wir ihn in eifriger Theilnahme an der Wirksamkeit der Reformatoren. Er übersetzte drei lateinische Schriften Luthers in dessen Auftrage ins Deutsche und versah sie mit Zuschriften an seine früheren Gemeinden in Salzburg, Würzburg und Iglau, um sie in ihrem Glauben zu befestigen, zur Treue zu ermahnen, und in ihren Leiden um des Evangeliums willen zu trösten und zu ermuthigen. Er zweifele nicht, schreibt er an die Salzburger und Würzburger, daß sie auch jetzt noch das Wort Gottes von Herzen gerne hören würden, obgleich ihnen „des Widerchrists Schergen und Stockmeister auf dem Halse säßen, vor denen Niemand sich regen dürfe.“ „Aber,“ ruft er ermuthigend ihnen zu, „harre, harre, wir sind nun etliche Mal mit der Lade des Bundes um dieses Jericho herum und der rechte Josua, Christus, ist mit uns. Wird es kommen zum siebenten Mal, daß man die evangelischen Pofaunen blasen muß und das rechte Feldgeschrei machen, so ist es schon aus mit Jericho, hilft nichts dafür!“ Am meisten bedurften seine Iglauer, als deren Hirten er sich trotz der schmerzlichen Trennung fort und fort betrachtete, des Rathes, der ernsten Zurechtweisung und väterlichen Ermahnung. Er ermuthigt sie zur Standhaftigkeit im Glauben und im Bekenntniß unter den fortdauernden Verfolgungen, er fordert sie auf zur Fürbitte für ihren irregeleiteten und gemißbrauchten König, daß ihm aus den Händen der Seelenmörder geholfen werde, er warnt sie vor der Schmach und Schande des Abfalls vom Evangelio, und bittet sie, Geduld zu haben, „bis Gott der die Herzen wandelt, ein Anderes schicke“ und die wegen der Schwachen unter ihnen nöthig gewordene leibliche Trennung ein Ende habe. „Wo aber,“ ruft er aus, „die Verfolger des Evangelii weiter wider uns toben und deß kein Aufhören machen, müssen wir auch auf unsern König pochen und ihnen mit dem Tode und Verlierung aller Güter um des Evangelii willen wieder Trotz bieten und denselbigen Trotz mit der That erstatten.“ Die Seelsorge, die er an dieser schwer angefochtenen und vom Herrn ihm auf das Gewissen gebundenen Gemeinde zu üben sich verpflichtet fühlte, trieb ihn zur Abfassung einer Schrift für dieselbe, die ohne Zweifel den herrlichsten Bekenntnissen des evangelischen Glaubens unter den reformatorischen Schriften dieser Zeit beigezählt werden kann. „Wie man trotzen soll aufs Kreuz wider alle Welt, zu stehen bei dem Evangelio:“ dieser Titel läßt schon auf den Inhalt schließen, der uns den pastoralen Reformator mit seiner das Band zu seiner Heerde immer fester ziehenden Liebe, mit seinem der Menschenfurcht und der Kreuzesflucht der Gemeinde entgegengesetzten kühnen Glaubensmuth und mit seiner sie zum Kreuz zurückrufenden, wegen der Untreue strafenden, zur Geduld im Leidenskampf ermahnenden Hirtenstimme auf das Lebendigste vergegenwärtigt. Schon ist der Ruf des Hochmeisters des deutschen Ordens, als Prediger des Evangeliums gen Königsberg zu ziehn, au ihn ergangen. Aber wie könnte er ihn annehmen, wenn seine mit ihm verbundene Gemeinde jetzt Glaubensmuth genug hätte, ihn zu sich zurückzurufen! Noch seufzt sie unter dem Druck des Leidens, noch siecht ihr Glaubensleben in Zweifel, Mutlosigkeit und Verzagtheit dahin. Aber eben darum dringt er mit mächtigem, glaubenskühnem Wort auf ihre Herzen ein, um sie wieder aufzurichten und stark zu machen. „Der Satan,“ ruft er ihnen zu ihrer Ermuthigung zu, „hat sich offenbarlich bis jetzt mit seinem ganzen Anhang zu Schanden gemacht, so soll er hinfort an uns noch gröber zu Schanden werden. Ob er schon Berg auf Berg mauert, noch solls ihm nicht helfen. Was wollen wir denn fürchten bei einem so starken, gewaltigen Gott, deß gewisses Wort wir haben. Es gilt uns die Ehre des allmächtigen Gottes, dem zu Lieb und Lob anrichtend solchen Trutz pochen wir auf ihn, er ist sein werth. Auch von ihm ist und kommt allein solcher Trutz, dieweil auch die Liebe, aus welcher allein solcher Trutz erwächst, allein von Gott kommt. Darum ermahne ich euch: Lasset uns nicht vom Kreuz abfallen, von der Liebe Gottes, die das bittere Kreuz dem Leben süß und angenehm macht. Darauf wir trotzen mögen, aber allein auf Christum und in Christo trotzen. Bleiben wir in ihm, so werden wir in ihm wachsen, je länger, je stärker, darum wir denn auch in ihm immer trotziger und trotziger werden. – Es muß aufs Kreuz wider alle Welt getrotzet sein oder ewiglich verloren.“

Aber nicht blos die Hirtenstimme, auch die Streiterstimme Sperats vernehmen wir von Wittenberg her in dem Kampf wider seine alten Feinde, die Theologen in Wien. Jene acht Anklageartikel, die er endlich nach langem vergeblichen Bemühen aus Wien erhalten hatte, widerlegte er in einer Streitschrift, die anfangs 1524 zugleich mit der Streitschrift Luthers wider die Mönchstheologen in Ingolstadt erschien. Mit scharfen, derben Worten vertheidigt er hier seine Sätze, daß die Klöster zu loben seien, die die Ehe frei ließen, daß die Mönchsgelübde zum Taufgelübde nichts hinzufügen, daß mit dem Glauben keine Sünde bestehen könne, daß die Schulgelehrten lieber Gottesgelehrte heißen und sein sollten. Beispielsweise sei nur erwähnt, was er in Beziehung auf diesen letzten ihm als Ketzerei zur Last gelegten Satz sagte! „Ei welch‘ eine große Sünde ist das, ohn‘ Zweifel eine Sünde wider den heilgen Geist. Wer mag’s vergeben? Ich bekenne es, ich wollt‘ , daß die Schulgelahrten zu seinen Gottesgelahrten würden. Aber das soll nimmermehr sein. Ich sollt euch Theologen nennen, d. i. Gottesgelahrte, das wollt ihr nicht haben; und billig, denn ihr seid es nicht, wollt’s auch nicht werden; aber ich wollt‘ , wär’s möglich, ihr bekehrtet euch. Christum hab‘ ich gepredigt, und sonst Niemand. Den habt ihr also verfolgen wollen,. daß mußt werden offenbar, damit man sich vor euch zu hüten wüßte.“

Doch lieber noch hören wir seine Sängerstimme, wie er neben Luthers Stimme als einer der ersten Sänger der Reformation und der evangelischen Kirche von Wittenberg zum ersten Male in seinen drei bekanntesten Liedern, in dem großen Bekenntnißliede: „Es ist das Heil uns kommen her“, in dem Bußliede: „Hilf Gott, wie ist der Menschen Noth“ und in dem Glaubensliede: „In Gott gelaub‘ ich, daß er hat“, erschallen läßt. Diese Lieder erschienen zuerst in der kleinen Liedersammlung, welche 1524 als der Erstling der evangelischen Gesangbücher von Luther herausgegeben wurde. Wie viel hat Sperat mit jenem ersten schnell in das evangelische Volk eingedrungenen Liede zur Ausbreitung und Befestigung der evangelischen Ueberzeugung beigetragen! Denn in schlichtem, aber edlem volksmäßigen Ton läßt sich hier das Bekenntniß der Reformation vernehmen. Was hilft zum Heil? Die Werke nicht. „Der Glaub‘ sieht Jesum Christum an. Der hat gnug für uns all‘ gethan, Er ist der Mittler worden.“ Wer ist der alleinige Quell des Heils? Der menschgewordene Sohn Gottes. „Das ganz Gesetz hat er erfüllt, Damit seins Vaters Zorn gestillt, Der über uns ging Alle.“ Was ist des wahren Glaubens Gestalt? „Nicht mehr denn: lieber Herre mein, dein Tod wird mir das Leben sein. Du hast für mich bezahlet.“ Wer ist gerecht vor Gott? „Der ist gerecht vor Gott allein, Der diesen Glauben fasset. Der Glaub giebt uns von ihm den Schein, So er die Werk nicht lasset.“ Das Evangelium tröstet das durchs Gesetz niedergeschlagene Gewissen wieder. „Es spricht: Nur kreuch zum Kreuz herzu. Im Gesetz ist weder Rast noch Ruh Mit allen seinen Werken.“ Aber des Glaubens Frucht sind die Liebe und die Werke. „Mit Gott der Glaub‘ ist wohl daran, Dem Nächsten wird die Lieb‘ Guts thun, Bist du aus Gott geboren.“ – „Die Werk die kommen gewißlich her Aus einem rechten Glauben. Wann das nicht rechter Glaube wär, Wollst ihn der Werk berauben.“ Der Glaube bewährt sich in der Anfechtung durch die Hoffnung. „Die Hoffnung wart der rechten Zeit. Was Gottes Wort zusagen, Wenn das geschehen soll zu Freud, Setzt Gott kein g‘ wisse Tagen. – Ob sich’s anläßt, als wollt‘ er nicht, Laß dich es nicht erschrecken; Denn wo er ist am Besten mit, Da will er’s nicht entdecken. Sein Wort lass dir gewisser sein. Und ob dein Herz spräch lauter Nein, So laß doch dir nicht grauen.“ – Das Bußlied Sperats: „Hilf Gott“ ist ein Nothschrei um Hülfe aus dem tiefen Elend der Sünde und um Erneuerung der Kirche durch die Kraft des wieder ans Licht gebrachten Worts. Am Ende der kunstvoll gebauten Strophen erhebt sich jedesmal das Lied zu einem auf das Vorangehende sich gründenden Hülferuf zu Gott, der nach dem inneren Fortschritt des Liedes sich steigert, indem es heißt: „O Herre Gott, hilf uns diesen Jammer stillen. O Herre Gott, laß uns nicht also verderben. O Herre Gott, mach uns wieder neu geschaffen. O Herre Gott, nimm uns an für deine Kinder. O Herre Gott, für uns laß es (dein Wort) sein gestorben. O Herre Gott, von uns sei dir ewig Lobe.“

Ohne das Gewissensband, welches ihn mit der Gemeinde zu Iglau verknüpfte, zu lösen, und mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, unter günstigeren Umständen auf ihren Ruf wieder zu ihr zurückzukehren, folgte er dem Ruf des Markgrafen Albrecht nach Königsberg, wo er im Sommer 1524 auf dem durch Briesmanns Wirksamkeit für die Reformation schon bereiteten Boden zuerst das durch den Abgang des stürmisch eifernden, aufrührerisch predigenden Amandus erledigte Pfarramt der Altstadt interimistisch verwaltete und die altar- und bilderstürmerische Bewegung, die jener hervorgerufen, durch seine kräftigen, Ruhe und Ordnung wiederherstellenden Predigten beschwichtigte. Ein Jahr nachher konnte er im Namen der Stadt den zurückkehrenden Markgrafen Albrecht bei seinem Einzug als Herzog des nun aus einem Ordens- in einen evangelischen weltlichen Staat verwandelten Preußens begrüßen. Fortan wirkte er in dem Amt eines Hof- und Schloßpredigers des Herzogs, wozu er auch gleich anfangs berufen war, in engem Freundschaftsbunde mit den anderen Reformatoren Königsbergs und Preußens, mit Briesmann, Poliander und in Verbindung mit den beiden ersten evangelischen Bischöfen Preußens, Erhard von Queis und Georg von Polenz, zur Durchführung der von Albrecht bereits von Deutschland aus eingeführten Reformation. Es fehlt nicht an Zeugnissen aus dem Volk über die segensreichen Wirkungen seiner Verkündigung des Evangeliums. Er hatte durch das Vertrauen seines Herzogs einen wichtigen Antheil an der ersten grundlegenden Organisation der evangelischen Kirche Preußen und an der Einführung und Durchführung der unter seinem Beirath zu Stande gekommenen Kirchenordnung von 1526. Er war der erste Sangmeister der preußischen Kirche. Seinesängerstimme verstummte nicht. Er dichtete evangelische Lieder, versah sie theilweise mit von ihm selbst componirten Melodien und trug so wesentlich zur Ausbildung des evangelischen Gottesdienstes in dem neuen Kirchenwesen bei. So dichtete er z. B. nach dem 37. Psalm zu Trost „Allen, die Gewalt und Unrecht leiden“ sein Lied: „Erzürn dich nicht“, und für die Gemeinde „als Danksagung nach der Predigt“ das Lied: „Gelobet sei Gott, unser Gott.“ Aus triftigen Gründen können wir auch zwei sonst nicht bekannte Sammlungen von evangelischen, eng an das Bibelwort sich anschließenden Liedern ihm zuschreiben, von denen die eine unter dem Titel: „Etliche neue verdeutschte und gemachte in göttlicher Schrift gegründete christliche Hymnen und Gesänge“, 1527 zu Königsberg gedruckt erschien und auf die andere als schon vor ihr erschienen zurückweist, welche den Titel führt: „Etliche Gesänge, dadurch Gott in der gebenedeiten Mutter Christi und Opferung der weisen Heiden, auch im Symeon, allen Heiligen und Engeln gelobt wird, Alles aus Grund heiliger Schrift.“ Es heißt in der Vorrede zu dieser letzgenannten Liedersammlung: Durch den neulichen gnädigen Wiederaufgang des evangelischen Lichts seien viele unchristliche und schriftwidrige Gesänge von Maria und anderen Heiligen abgestellt worden; da aber der heilige Geist im 8., 114. und 135. Psalm und sonst in den Psalmen Gott nicht blos in seinen lebendigen, sondern auch unlebendigen Geschöpfen loben lehre, wieviel billiger sollten wir dann solch‘ göttlich Lob thun in Maria und andern lieben Heiligen und Engeln, denen Gott der Herr so unaussprechlich wunderbarliche Wohlthat aus lauter Gnaden ohne alles ihr Verdienen bewiesen und sich geheiligt habe. Daher seien diese Gesänge allein aus Grund göttlicher Schrift, ohne welche Gott vergeblich gedienet werde, gemacht, darin Gott der Herr in Maria und andern seinen Heiligen gelobt und gepriesen und seine grundlose Barmherzigkeit angerufen werde, uns seinen armen irdischen Creaturen dergleichen unverdiente Gnade auch zu verleihen.„ In wahrhaft evangelischer Weise wird hier die alte Heiligenverehrung abgethan, aber zugleich in engstem Anschluß an das geschichtliche Wort der heiligen Schrift das Gedächtniß der heiligen biblischen Personen allein zur Ehre Gottes und zur Erbauung der Gemeinde in diesen rein protestantischen Liedern gefeiert. Diesen Liedern fügt die erstgenannte Sammlung eine Anzahl theils verdeutschter, theils neu gedichteter, aus dem Schriftwort unmittelbar geschöpfter Festlieder hinzu, welche „Gott zu Lob und Besserung des Volks durch das ganze Jahr auf ein jedes Fest, das christlich gehalten werden mag“, von der Gemeinde gesungen werden sollen. Unstreitig ist eins der vortrefflichsten dieser Lieder „ein Gesang von der christlichen Kirche und ihrer Kirchweihung“, der hier eine Stelle finden möge:

Christus unser Herr und Heiland,
Hebr. 9. Der höchst Priester recht genannt,
Matth. 16. Sein Kirchen er selbst geweiht hat,
1 Cor. 3. Frei vor Teufel Höll und Tod,
Jesaj. 5. Hat keiner andern Grundvest traut,
1 Cor. 10. Auf sich wahren Fels gebaut.
Ephes. 1. Dieser Kirchen ist einigs Haupt
Coloss. 1. Christus, und der ihm recht glaubt,
1. Cor. 6. Wird sein solcher Kirchen ein Glied,

Und in ihm haben sein Fried; Solch Kirch, geweiht mit seinem Blut,
Matth. 16. Die Höll nicht bezwingen thut.
Hebr. 12. Ein Gemeinschaft der Heilgen ist.
Und der Seligkeit wird vergewißt,
Ein Braut Christi ehrlich geziert,

Die Wirksamkeit Sperats für die Auferbauung der also von ihm besungenen Kirche des Herrn im Preußenlande wurde eine weit umfang- und einflußreichere, als er nach dem Tode des Bischofs Erhard von Queis (1529) zum pomesanischen Bischofsamts berufen wurde, in dessen Verwaltung (zu Marienwerder) wir ihn seit dem Anfang des Jahres 1530 erblicken. Die Darstellung dieser bischöflichen Wirksamkeit Sperats würde den hier zugemessenen Raum überschreiten. Wir müssen uns damit begnügen, die Aufgaben nur anzudeuten, welche er unter viel schwierigeren Verhältnissen und in einem weit ausgedehnteren Sprengel, als der seines Mitbischofs Georg von Polenz in Samland war, zu lösen hatte. Auf einem völlig verwilderten kirchlichen Boden hatte er von Grund aus ein Neues zu schaffen und die Fundamente kirchlicher Ordnung zu legen und ein geregeltes gottesdienstliches Leben einzuführen. Die Kirchenordnungen, welche die erste von 1526 fortbildeten und das Mittel zur immer festeren Ausgestaltung des neuen Kirchenwesens werden sollten, waren zum Theil von ihm ausgearbeitet; die vom Jahr 1540 ist ganz sein Werk. Mit rastlosem Eifer war er bemüht, die Bestimmungen dieser Kirchenordnungen und die theilweise durch ihn selbst veranlaßten kirchlichen Mandate des Herzogs auf seinen Visitationen und sonstigen Rundreisen auszuführen und die von ihm begründete neue Gestalt der kirchlichen Dinge zu erhalten. Aber mit unsäglichen Schwierigkeiten hatte er zu kämpfen. Es fehlte an tüchtigen Geistlichen, welche ihm bei dieser grundlegenden Thätigkeit mit geschickter Handhabung des göttlichen Worts und pastoraler Weisheit in der Ausübung der Seelsorge an den Einzelnen und der Erziehung und Leitung der geistlichtodten Gemeinden hätten zur Seite stehen können. Wie oft klagt er über diesen Mangel! Weithin war der Boden des kirchlichen Lebens von dem Unkraut des Heidenthums, nicht blos des neuen römisch-katholischen, sondern auch noch des alten heidnischen Aberglaubens überwuchert. Und daneben erhob der Unglaube frech sein Haupt, der mit dem alten Kirchenthum das ganze Christenthum von sich warf. In seinem und des Aberglaubens Gefolge herrschte überall im Volk die ärgste Sittenlosigkeit; die Vornehmen wie die Geringen wollten sich der Zucht des Wortes Gottes nicht unterwerfen. In dem ererbten harten und wüsten Boden der Kirche fand der ausgestreute Same des Evangeliums nur äußerst langsame Aufnahme und Entwickelung, trotzdem daß Sperat in seinem bischöflichen Berufe keine Sorge und Mühe um die Pflanzung und Pflege christlichen Lebens in den Gemeinden sich verdrießen ließ. Dazu kam noch die besondere Noth, welche seit dem Beginn seines schweren Amtes die von einem Rath des Herzogs Albrecht und eine Zeit lang von diesem selbst begünstigten Wiedertäufer, die theils von Schlesien, theils von den Niederlanden her eindrangen, der neuen Kirche bereiteten. Das Colloquium zu Rastenburg am Ende des Jahres 1531 hatte nicht den erwarteten Erfolg. Sperat hatte immer von Neuem mit ihnen zu kämpfen. Diese kirchlichen Nothstände und dazu wiederholte schwere häusliche Sorgen und Leiden waren es, unter deren Last der treue Bischof oft tief gebeugt bis an seinen Lebensabend (er starb den 12. August 1551) einherzugehen hatte. Aber was er einst in seinem Liede: „Hilf Gott“ so glaubensstark gesungen, das war und blieb auch bei ihm Wahrheit bis an das Ende seines Lebens:

Es ist sein Wort,
Darauf steh hart;
Es kann uns nicht ausweichen,
Sein Kraft ist also reiche.
Wem er’s bescheert,
Dem wird’s gemehrt;
Nur gläub daran,
Laß Zweifel stahn,
Hoff auf den, der ist dort droben.

D. Erdmann in Königsberg, jetzt in Breslau.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874