Maria von Preußen

Alle die genannten Fürstenfrauen waren in ebenbürtiger Ehe mit den regierenden Herren verbunden; es wurde mit Strenge auf die Ebenbürtigkeit bei fürstlichen Heiraten gesehen. Überhaupt suchte man den Unterschied der Stände aufrecht zu erhalten und geltend zu machen, und nicht jede fürstliche Dame konnte so ungehindert mit den niederen Ständen verkehren, als die gute Dorel, welche sich trotz ihrer Herablassung in fürstlichem Ansehen zu erhalten wusste. Anders war es bei Maria, der zweiten Gemahlin des Herzogs Albrecht von Preußen, welche sich in jugendlichem Alter mit dem schon bejahrten Fürsten vermählte. Der Adel hatte am Hofe eine solche Stellung eingenommen, dass er dadurch übermütig wurde. Selbst der jungen Fürstin legten die vornehmen Herren und Damen ihren hoffärtigen Sinn an den Tag, so dass sich dieselbe zurückgestoßen fühlen musste und sich mehr den bürgerlichen Familien näherte. Sie empfing bürgerliche Frauen an dem Hofe und ging vertraulich mit denselben um; auch näherte sie sich in ihrer Kleidung einigermaßen den Bürgerfrauen; so trug sie die Haube, die bei diesen gewöhnlich war.

Der Adel sah mit Verachtung und grimmigem Neide die ihm schimpflich dünkende Selbsterniedrigung der Herzogin. Als einstens Prinz Magnus von Dänemark, ein Verwandter der ersten Gemahlin Albrechts, nach Königsberg kam und an der herzoglichen Tafel speiste, tadelte er mit derben, beleidigenden Worten den Anzug der Herzogin. Nach dem Essen begab man sich zum Tanze und die Herzogin nahm lebhaften Anteil an demselben. Der dänische Prinz sprach auch jetzt sein Missfallen über die veränderten Hofsitten aus; der verletzte Anstand müsse wieder hergestellt werden; man müsse der Fürstin die Bürgermütze vom Kopfe tun. Der Hofmarschall warnte die Herzogin; dieselbe ließ sich aber nicht irre machen, sondern blieb unbefangen in der Gesellschaft. Plötzlich nahm ihr der rohe Gast mit Brutalität die Mütze vom Kopfe, so dass allgemeine Bestürzung und Verwirrung entstand, wobei die adeligen Herren und Damen ihre Schadenfreude kaum zu unterdrücken vermochten. Der Herzog unterließ es, seiner schwer beleidigten Gemahlin Genugtuung zu verschaffen. Es kam zu weiteren Verhandlungen, wobei die bürgerliche Partei gestürzt wurde und einige bürgerliche Räte mit dem Leben büßen mussten. Die Herzogin musste ihrem Hauptfeind, Truchsess von Waldhausen, eine Ehrenerklärung geben; sie zog sich in das Schloss zurück, ohne sich jemals wieder öffentlich zu zeigen.

Zwei Jahre lebte sie noch, sich mit Studien und literarischen Beschäftigungen die Zeit verkürzend. Nach dem Beispiel ihrer Mutter, Elisabeth von Braunschweig, schrieb sie für ihren Sohn 100 Vorschriften in deutscher Sprache nieder.

Luise Henriette, Kurfürstin von Brandenburg.

Die in der Überschrift genannte Fürstin ist geboren in Haag am 17. November 1627; sie war eine Tochter von Friedrich Heinrich, Fürst von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, und von dessen Gemahlin, Anna von Solms-Braunfels. Der Kurprinz Friedrich Wilhelm von Brandenburg lernte diese vortreffliche Prinzessin während eines längeren Aufenthaltes in den Niederlanden kennen; er warb um ihre Hand und vermählte sich mit derselben am 27. Dezember 1646. In der Tat besaß Luise Henriette alle Eigenschaften, die dazu dienen konnten, ihren Gatten glücklich zu machen. Sie war eine äußerst gebildete junge Dame und von ihrer Mutter angehalten, in der Haushaltung selbst Hand anzulegen und in sonstigen weiblichen Arbeiten sich eine große Geschicklichkeit zu erwerben. Zudem besaß sie eine nicht geringe Dichtergabe, und, was noch mehr in die Waagschale fiel, Herzensgüte und einen christlichen frommen Sinn.

Als sie 1648 ihren ersten Sohn gebar, dichtete sie das hübsche Lied, dessen Anfang lautet:

Gott, der Reichtum deiner Güte,
Dem ich Alles schuldig bin,
Ursacht, dass mir mein Gemüte
Gegen dir für Freude wallt.
Meinen Wohlstand, meine Zier
Dank‘ ich, Vater, einzig dir.
Du hast reichlich Leib und Leben,
Ehr‘ und Wohltat mir gegeben.

Wo sich hin mein‘ Augen wenden,
Was mein Herz bedenken kann,
Da erkenn‘ ich aller Enden,
Was du, Herr! an mir getan;
Berg‘ und Täler neigen sich,
Leut‘ und Länder ehren mich,
Wild und Wald samt tausend Flüssen,
Liegen da zu meinen Füßen.

Sollt ich solcher Gnaden wegen
Dir nicht danken, wie ich weiß,
Weil der Geist mein Herz wird regen,
Sollst du sein mein Lied und Preis,
Meine Freude, meine Kron‘
Und mein tausendfacher Lohn.
Was ich von dir werde singen,
Soll die Ewigkeit durchdringen.

Doch sollte die Mutterfreude der Fürstin nicht von langer Dauer sein. Die Kurfürstin suchte und fand Trost im Glauben an den Erlöser und in dieser Stimmung dichtete sie das bekannte Lied: Jesus, meine Zuversicht!

Es war ihr nun eine schwere Aufgabe gestellt, ihrem Gemahl behilflich zu sein, die Wunden des dreißigjährigen Krieges zu heilen und die in ihrem Wohlstand geschädigten Landesteile wieder zu heben. Sie suchte darum die erworbenen wirtschaftlichen Kenntnisse bestens zu verwerten. Ein Lieblingsaufenthalt war ihr das an der Havel gelegene Schloss Bözow, später Oranienburg genannt; hier legte sie einen großen Nutzgarten an; sie verschrieb aus Holland Gärtner und Landwirte, so wie die nötigen Geräte, um hier für die ganze Umgegend eine Musterwirtschaft einzurichten. Auch sorgte sie für die Wiederherstellung des Gottesdienstes, so wie des Unterrichts der Jugend. Wenn sie wegen Unwohlsein nicht in die Kirche gehen konnte, so wurde in ihrer Nähe gebetet und gesungen. Des Nachmittags wiederholte sie mit ihrem Hofgesinde die gehörte Predigt und wandte solche auf sich und die Anwesenden an. In der Bibel las sie einen Tag wie den andern; ihr Hofprediger und Seelsorger Stosch hatte die strenge Weisung, ihr alle Sünden und Schwachheiten unverhohlen vorzuhalten. Ihr bußfertiges Herz sprach sie in dem Liede aus:

Ich will von meiner Missetat
Zum Herren mich bekehren.

So eifrig sie dem reformirten Bekenntnisse ergeben war, so hatte sie doch kein Wohlgefallen an den damaligen Zänkereien der beiden Konfessionen, welche von den Geistlichen selbst in den Predigten geführt wurden. Sie bezeugte auch den Lutheranern herzliches Wohlwollen und stand mit lutherischen Liederdichtern, z. B. mit Paul Gerhard, in freundlichem Verkehr; es war nicht ihre Schuld, dass der Letztere von seinem Amte entfernt wurde. Jedermann hatte Zutritt zu ihr. Bisweilen entzog sie sich den Bissen von ihrem Munde, wie man zu sagen pflegt, um den Armen geben zu können, und sie war tief betrübt, wenn ihr die Mittel fehlten, zu helfen, wie sie gerne gewollt hätte.

Was sie für ihre Pflicht hielt, das zu tun, dafür war ihr kein Opfer zu schwer; darum bot sie ihrem Gemahl, wie sehr sie demselben auch in Liebe zugetan war, die Ehescheidung an, damit er sich eine andere Gemahlin nehmen könne, die ihn und das Land mit einem Thronerben erfreue. Der Kurfürst erwiderte nach kurzem Bedenken: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Da sie noch etwas weiter bemerken wollte, fiel er ihr in die Rede und sagte: „Was mich betrifft, so werde ich meinen Eid halten, und so es ihm dabei gefällt, mich und das Land zu strafen, so müssen wir’s uns gefallen lassen.“ Ihr Sehnen und Hoffen sollte nicht zu Schanden werden. Am 16. Februar 1655 gebar sie einen Thronerben. Es war ein Dienstag; darum gelobte sie zum Dank für die erwiesene Gnade, jeden Dienstag dem Herrn zu weihen, durch Fasten, Beichten, Beten, Predigt usw. Sie hielt das Gelübde bis zu ihrem Ende. Erst nach Sonnenuntergang pflegte sie ein mäßiges Mahl zu genießen.

Auch in weiteren Kreisen suchte sie für Hebung des vernachlässigten Gottesdienstes zu wirken. Auf ihre Veranlassung gab der als Tonsetzer berühmte Johann Crüger, welcher auch die Melodie zu dem Liede „Jesus meine Zuversicht“ komponiert hatte, ein Gesangbuch heraus, in welchem sich ihre eigenen Lieder befanden.

Ihre Dankbarkeit für die Geburt des Erbprinzen trieb sie auch dazu, eine Versorgungsanstalt für 24 vaterlose Kinder zu errichten. Selbst gegen treulose Diener verleugnete sie ihre Barmherzigkeit nicht. Da einstens einer derselben als Dieb entdeckt wurde, und der Kurfürst in seinem Zorne schwur, denselben hängen zu lassen, steckte sie dem Bedrohten heimlich einige Dukaten zu und verhalf ihm zur Flucht, indem sie erklärte: „Meinetwegen soll kein Menschenblut vergossen werden.“ Zucht und Mäßigkeit wurde bei der Hofhaltung strenge gehalten.

Einer der bevorzugten und begünstigten Hofcavaliere während der Regierung Georg Wilhelms, des Vaters von Friedrich Wilhelm, war H. von Burgsdorf, ein Mann nicht ohne Verdienst, aber im höchsten Grade dem Trunke ergeben. Das ging unter dem früheren Kurfürsten, aber bei der jetzigen Hofhaltung konnte sich der Mann nicht besonders wohl fühlen. Eines Tages sagte er zu dem Kurfürsten: Gnädigster Herr, ich weiß nicht, wie Sie leben. Bei Ihrem Herrn Vater ging es viel lustiger zu; es wurde viel tapferer herumgetrunken, da war dann und wann ein Schloss oder Dorf mit Trinken zu gewinnen, und ich weiß mich der Zeit noch zu erinnern, in welcher ich zehn Maß Wein bei einer Mahlzeit getrunken habe.“ Die Kurfürstin erwiderte: „Man hat schön gewirtschaftet; so viele Schlösser und Güter für das leidige Saufen zu verschenken.“ Sie ruhte nicht, bis der hochgestellte Mann sein Ehrenamt verlor und den Hof verlassen musste. In den Haushaltungsangelegenheiten war sie eine vortreffliche Wirtin und Rechnerin; durch weise Sparsamkeit wusste sie mit Wenigem viel zu leisten. Noch findet sich in der Bibliothek zu Berlin ein Haushaltungsbuch, in welchem sie die Ausgaben und sonstige Notizen in holländischer Sprache einzutragen pflegte. Doch konnte sie sich eben so wenig als der Kurfürst den Sitten der Zeit in Beziehung auf großen Aufwand ganz entziehen, so sehr es Beide wünschten. Allein in den Marställen von Cleve und Berlin wurden 130 Reit- und Kutschpferde für den Kurfürst und 38 für die Kurfürstin gehalten.

In die eigentlichen Staatsangelegenheiten mischte sich die Kurfürstin nicht, wenigstens übte sie nie verderblichen Einfluss aus, wenn auch der Kurfürst öfters zu ihr kam, um bei ihr Rat zu holen. Da die preußischen Stände nach dem Frieden von Oliva hartnäckig die Huldigung verweigerten, hoffte der Kurfürst, dass seine und seiner Gemahlin persönliche Anwesenheit dieselben zum Nachgeben bewegen werde. So war es auch und zwar nicht zum geringeren Teil in Folge des freundlichen und doch würdevollen Auftretens der Kurfürstin.

Mit aller Sorgfalt der treuesten Mutterliebe bekümmerte sich die Kurfürstin um die Erziehung der Kinder, die ihr Gott der Herr am Leben gelassen hatte. Sie schrieb deshalb, wenn sie nicht selbst zugegen war, an den Oberhofmeister derselben, den Grafen Schwerin, und legte auch hierbei ihre fromme Gesinnung an den Tag. „Sie können sich denken,“ heißt es in einem solchen Briefe, „mit welcher Freude ich meinen Kindern entgegen sehe. Gott vergelte Ihnen zwiefältig die Fürsorge, die Sie ihnen widmen. Ich weiß wohl, dass die Kinder nicht ohne Fehler sein können. Der Kurfürst und ich haben Gott dafür gedankt, dass der Kurprinz zu Landsberg so schön von der Religion gesprochen hat; ich sehe, dass Sie ihn gut anhalten, Gott zu fürchten. Ich glaubte nicht, dass er hierin so viel wüsste; ich hoffe auch, Gott wird ihm den heiligen Geist geben, und ihn stets auf seinen Wegen wandeln lassen. Kurz, es liegt Alles daran, dass das Herz wohl gegründet ist; Alles Andere ist eitel.“.

Das ganze Leben der Kurfürstin fiel in eine vielbewegte, trübe Zeit. 1650, also bald nach dem 30jährigen Kriege, wurde ihr Gemahl genötigt, sich mit den Schweden zu verbinden und gegen seinen Lehnsherrn, den König von Polen, zu Felde zu ziehen. In Folge davon fielen die Polen ins Land, sie brannten 13 Städte nieder und ermordeten 30.000 Einwohner grausamer Weise. Auch später, da dieser Krieg 1660 durch den Frieden von Oliva beendigt war, wurde der Kurfürst in den Kampf mit den Franzosen verwickelt und gezwungen, gegen die Schweden die Waffen zu ergreifen. Die Kurfürstin setzte in allen Leiden und Heimsuchungen ihre Zuversicht auf den Herrn. Sie äußerte: „Wenn Jesus noch auf Erden ginge, ich wollte mich noch mehr demütigen, noch mehr ihm anhängen als das kananäische Weiblein. Was ich aber auf leibliche Weise nicht tun kann, das will ich im Geiste und im Herzen tun, in gewisser Zuversicht, dass er auch im Stande der Herrlichkeit ein solcher Hoherpriester und Heiland sei, der Mitleid haben kann und hilft.“

Die Kurfürstin war immer auf den Tod gefasst und sah demselben mit Ruhe und gottesfürchtigem Sinne entgegen; sie starb am 18. Juni 1667, nachdem sie ihrem Gatten sechs Kinder geboren hatte, wovon bei ihrem Tode noch drei Prinzen am Leben waren. Der Kurfürst soll öfters ausgerufen haben: „O Luise, wie vermisse ich dich!“

Er heiratete zum zweiten Mal Sophia Dorothea von Holstein-Glücksburg, Witwe des Herzogs Christian Ludwig von Lüneburg-Celle. Man sagt von derselben, sie sei eine treue Gattin, eine zärtliche Mutter, eine grausame Stiefmutter und eine unbarmherzige Fürstin gewesen, also gewiss keine ganz würdige Nachfolgerin der Verstorbenen.

Amalie Elisabeth von Hessen.

Aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges haben wir über eine Fürstin zu berichten, welche in dieser bösen, betrübten Zeit mit männlichem Mut und seltener Charakterstärke, so wie mit bewunderungswürdiger. Einsicht den Herrscherstab führte, und sich eine rühmliche Stelle in der Geschichte ihres Landes erworben hat. Wir meinen Amalie Elisabeth, Landgräfin von Hessen-Kassel, eine Tochter des Grafen Ludwig II. von Hanau-Münzenberg, geboren 1602. Sie hatte in ihren jüngeren Jahren eine ausgezeichnete Bildung empfangen und besaß vorzügliche Sprachkenntnisse, im Französischen sogar fast eine gleiche Fertigkeit wie in der Muttersprache. In ihrem siebzehnten Jahre verheiratete sie sich mit dem Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel. Ein gleichzeitiger französischer Schriftsteller äußert über dieselbe: Diese Fürstin war geboren zur Ehre und Zierde ihres Jahrhunderts, und man konnte von ihr sagen, dass sie durch ein Männerherz die weiblichen Schwachheiten vertilgt habe. Ein solches Zusammentreffen von Tugenden hat man nie gesehen; sie besaß die eines großen Feldherrn, um eine Armee zu kommandieren, die eines großen Staatsmannes, um ihre Länder wohl zu regieren, und die ihres eigenen Geschlechtes. Bei ihr war Alles wohl zusammengefügt, dass Eins Schimmer und Glanz auf das Andere warf. Was die Regierung ihres Landes angeht, so hat zu keiner Zeit Jemand mit so viel Vernunft, Mäßigung und Gerechtigkeit regiert; sie war die Liebe und das Vergnügen der Völker, und obgleich diese außerordentlich während des unglücklichen Krieges gelitten hatten, so hat man nie die geringste Klage aus ihrem Munde gehört, und alle Nachbarn beneideten sie um ihr Schicksal. Ihr Gemahl hatte sich aus Liebe zur evangelischen Kirche, und, was wir nicht leugnen wollen, auch aus persönlichem Interesse an den Schwedenkönig Gustav Adolf angeschlossen, als dieser nach Deutschland kam. Er hatte nämlich Streit mit seinem Vetter Georg II. von Hessen-Darmstadt wegen einer Erbschaftsangelegenheit, und das Reichskammergericht hatte einen für den Letzteren günstigen Bescheid gegeben. Ein Vergleich schien im Jahre 1627 dem Streite ein Ende zu machen; aber das berüchtigte Restitutionsedikt von 1629 machte den Stand der Dinge wieder misslich für den Landgrafen Wilhelm. Darum glaubte dieser durch ein Bündnis mit dem Schwedenkönig für die Sache der evangelischen Kirche und für sich selbst zu sorgen. Er blieb auch diesem Bündnis treu, als Gustav Adolf fiel und die Nördlinger Schlacht für die Schweden verloren ging. 1636 wurde der Landgraf durch den Kaiser in die Reichsacht erklärt; mit der Verwaltung des Landes wurde sein Vetter Georg II. beauftragt. Die Bewohner hatten durch die kaiserliche Soldateska unendlich viel zu Leiden; 15 Städte, 47 adelige Wohnsitze und gegen 300 Dörfer, von welchen letzteren viele nicht wieder aufgebaut worden sind, wurden zerstört und es schien, als ob ganz Hessen ein Schutthaufen werden solle. In dieser Zeit starb am 21. September 1637 zu Leer in Ostfriesland der Landgraf Wilhelm, erst 36 Jahre alt. Er hatte schon früher für diesen Fall seine Gemahlin als Regentin bestimmt. Diese erklärte vor den versammelten Landständen, sie werde mütterlich für ihr Land wie für ihre Kinder sorgen; das habe sie fest beschlossen und Niemand solle sie daran hindern. Sie brachte noch in demselben Jahre 20,000 Mann auf die Beine, um für die Sache ihres Verbündeten einzustehen und ihrem Vetter Georg von Darmstadt wieder zu entreißen, was dieser von Hessen-Kassel im Besitz hatte. Natürlich handelte sie bei allen ihren Kriegsunternehmungen, die von ihrem Feldherrn Melander geleitet und ausgeführt wurden, nur in Übereinstimmung mit den Schweden und besonders mit Bernhard von Weimar, der ihr persönlich zugetan war und entschlossen gewesen sein soll, sie zu heiraten. Sein plötzlich erfolgter Tod machte diesem Projekte ein Ende. Aber auch alleinstehend und selbst von ihrem bisherigen Feldherrn Melander, der zu den Kaiserlichen übergetreten war, verlassen, hielt sich die Landgräfin in einer Weise, dass die Schweden beim Friedensschlusse erklärten: „Man muss etwas tun für eine Fürstin, wie die Landgräfin ist; darum, meine Herren! überwinden Sie sich selbst und suchen Sie diese Fürstin zu befriedigen.“ Nur darin wollten die französischen Gesandten nicht willigen, dass katholische Landesteile unter deren Herrschaft gelangten. „Lieber ein protestantisches Königreich, als ein katholisches Dorf,“ sagten sie. In Folge davon war Amalie so glücklich, nicht allein ihr ganzes Land unversehrt zu erhalten, sondern auch einzelne Teile, wie die Abtei Hersfeld u. a. m., dazu zu bekommen.

Die letzten Jahre ihres Lebens wollte die Fürstin in Ruhe verbringen; sie übergab die Regierung ihrem von ihr selbst erzogenen, heißgeliebten Sohn. Ihr vielbewegtes, unruhiges Leben hatte ihre Kraft und ihre Gesundheit gebrochen; sie starb am 8. August 1651 im 50. Jahre ihres Lebens.

Wie sie sich auch bei einer Hiobspost stark zu halten wusste, zeigt folgende Tatsache: Im Jahre 1646 belagerte ihre Armee die Stadt Paderborn; diese erhielt Hilfe und die Hessen mussten sich mit Verlust zurückziehen. Als diese Nachricht einlief, saß die Landgräfin gerade bei der Mittagstafel; sie las den Brief und legte ihn wieder ruhig zusammen mit den Worten: „Das ist eine schlimme Nachricht; doch man muss das Unglück auch ertragen und im Glück nicht übermütig werden.“ Darauf sprach sie fort, als ob nichts vorgefallen wäre. Nach aufgehobener Tafel versammelte sie ihre Räte und beratschlagte mit denselben, was unter den obwaltenden Umständen zu tun sei. Sie war äußerst vorsichtig und geschickt in diplomatischen Unterhandlungen, so dass der dänische Gesandte seinem Könige meldete: er habe Amalie nach Art der alten Orakel zweideutig gefunden, dass kaum herauszubringen sei, was der König von ihrer Zuneigung zu erwarten habe. In dem geheimen Staatsrat führte sie selbst den Vorsitz und prüfte Alles aufs genaueste, was zur Prüfung vorlag; sie las alle Verfügungen, welche sie unterschreiben sollte, sorgfältig, und arbeitete oft bis in die Mitternacht, um zu erledigen, was zu erledigen war. Mit unerschütterlicher Treue hing sie an der evangelischen Lehre, und sie äußerte oft: Lieber wolle sie mit ihren Kindern davongehen, als von der wahren Lehre abweichen. Bei den Friedensverhandlungen arbeitete sie darauf hin, dass neben den Lutheranern die Reformirten freie Religionsübung erhielten.

Körperliche Schmerzen ertrug sie mit fast mehr als männlicher Standhaftigkeit. In den letzten Jahren bekam sie ein Übel an einem Bein, deshalb musste sie sich schmerzlichen chirurgischen Operationen unterwerfen. Sie reiste nach Heidelberg und zeigte solche Selbstüberwindung, dass sie dem Arzte zurief, er solle nur zuschneiden, unbekümmert um ihre Schmerzen, wenn er es für vorteilhaft halte. Da sie nicht in einem Wagen fahren konnte, schiffte sie auf dem Neckar, Rhein und Main bis Höchst a. M., von wo aus sie auf einem besonderen Reisestuhl bis Kassel getragen wurde. Sie ließ sich noch am Sonntage vor ihrem Tode in die Kirche tragen, und sagte hierauf zu dem Hofprediger, wenn sie sich auch als eine Sünderin erkenne, so vertraue sie doch auf Gottes Gnade in Christo. In der Martinskirche, wo sie begraben war, wurde auf ihren Befehl eine Tafel zu ihrem Gedächtnis angebracht mit der Inschrift: Amal. Elis., Landgräfin von Hessen; zur Ehre des höchsten Gottes lasse ich Euch dieses Zeichen und Ausdruck meines Wohlwollens zurück, weil die wahre Liebe sich bildlich nicht darstellen lässt, die ich gegen Euch im Herzen trage. Lebt glücklich, sendet Eure Gebete zum Himmel für das Wohl Euerer Fürsten, damit unter ihrer gerechten Regierung Euch nichts fehle zu einem glücklichen Leben. Das wolle Gott geben.“

Die gute Dorel

Eine der edelsten Fürstinnen nicht bloß unserer Periode, sondern aller Zeiten, war unstreitig Dorothea Sibylla, Herzogin von Liegnitz und Brieg, geboren am 19. Oktober 1590. Ihr Vater war der Markgraf und Kurfürst Johann Georg von Brandenburg, und ihre Mutter Elisabeth eine Prinzessin von Anhalt. Nach dem Tode des Vaters bezog die Mutter den Witwensitz zu Crossen; sie sorgte für die Erziehung und Bildung ihrer Tochter, so weit sie irgend konnte; sie ließ dieselbe in fremden Sprachen und anderen nützlichen Dingen unterrichten und lehrte sie selbst die Frauenarbeiten, namentlich die Hauswirtschaft. 1610 verheiratete sich Dorothea mit dem Herzog Johann Christian von Liegnitz; sie drang alsbald auf Vereinfachung der Hofhaltung und auf Abtragung der fürstlichen Schulden, da es einem Landesfürsten mehr Ehre bringe, Schulden zu bezahlen, als einen zahlreichen Hofstaat und eine reiche Tafel zu halten. Sie hatte sechs Lehrjungfern aus armen adeligen Familien und sechs, welche nur Kost und Logis bezogen. Gegen alle war sie leutselig, aber auch strenge. So ließ sie einst eine Lehrjungfer mit Ruten züchtigen, weil dieselbe die unanständige Zudringlichkeit eines Junkers nicht ernstlich genug abgewiesen hatte. Auf Reinlichkeit und Ordnung sah sie bei ihrer Hofhaltung und selbst in andern Häusern; sie besuchte öfters früh Morgens die Bürgerfamilien der Stadt, und wenn sie das Zimmer nicht sauber und in Ordnung fand, kam sie nicht wieder. Überhaupt verkehrte sie mit Leuten jeglichen Standes ohne Stolz und doch ohne ihrer Würde etwas zu vergeben. Ihre Kleidung war so außerordentlich einfach, dass man in derselben die Fürstin nicht erkannte; sie trug für gewöhnlich ein graues, wollenes Kleid mit schwarzen Schnüren besetzt, darüber ein schwarzseidenes, mit Pelz gefüttertes und verbrämtes Mäntelchen. Nur bei festlichen Gelegenheiten erschien sie mit Geschmeide und Schmuck. Durchlauchtig wollte sie nicht genannt werden; sie sei nicht durchsichtig, und es möchte manchem regierendem Haupte übel stehen, wenn man es durchschauen könnte. Gnädige Frau möge man sie nennen, doch nicht ihr, sondern Gott zu Ehren. Sie durchwanderte mit ihren Jungfrauen Feld und Wald, um heilsame Kräuter zu suchen und die Mädchen mit den Giftpflanzen bekannt zu machen. Zu den Kranken in der Stadt und deren Umgebung kam sie mit Trost und Hilfe. Für die Kinder hatte sie gewöhnlich Zuckerwerk in der Tasche; darum riefen dieselben meistens von ferne: Die gute Dorel kommt.

Im Winter, besonders nach dem Abendessen, mussten sich die Jungfern an das Spinnrad setzen; das Gesponnene durften sie zu ihrer Ausstattung behalten; auch die niederen Hofmägde durften zu diesen Spinngesellschaften kommen, um zum Fleiß angetrieben zu werden und von der Unterhaltung etwas zu profitieren.

Die Jungfern mussten selbst die Betten machen, die Gemächer reinigen und Alles besorgen, was zur Hauswirtschaft gehörte. Die Herzogin sagte zu jeder, wenn sie an den Hof kam: „Meine Tochter! solche Arbeit musst du gründlich lernen, das wird dir frommen, wenn du selbst eine eheliche Hausfrau sein wirst; denn wie willst du dein Gesinde tadeln und strafen ob böser Arbeit, so du sie selbst nicht verstehst? Siehe, ich bin aus kurfürstlichem Stamme, und hab’s doch bei meiner Mutter selig zu meinem großen Nutzen und Frommen auch verrichten müssen.“

Hatten nun die Hofjungfern diese Dinge erlernt, so erhielten sie von der Fürstin ein goldenes Kettlein, am Hals zu tragen, woran ein Geldstück von der Größe eines doppelten ungarischen Dukatens hing; auf der einen Seite war das Bildnis der Herzogin, auf der andern ein Spinnrocken mit der Umschrift: „Bete und arbeite!“

Wenn eine von den Hofjungfern in den Ehestand trat, so wurde sie reichlich ausgestattet und feierlich zum Altar geführt; sie erhielt eine zweite Denkmünze, worauf das herzogliche Paar und das Schloss abgebildet war mit der Überschrift:

Gedenk‘ an uns und unsere Lehren,\\
Gott wolle deinen Wohlstand mehren!

Jede Bürgerstochter, welche sich ehrbar und gottesfürchtig gehalten hatte, erhielt von der Herzogin einen von ihr selbst gefertigten Strauß von künstlichen Blumen, in welchen der Name der Braut mit goldenen Buchstaben genäht war. Wollte die Fürstin einer Stadtjungfer eine besondere Ehre erweisen, so schickte sie derselben einen Pelz, den sie selbst getragen hatte. Diesen musste die Braut während der Trauung anziehen und dann zurückgeben. Eine solche Frau hatte ihre Lebenszeit den Vorzug vor den übrigen Bürgersfrauen, die Ratsfrauen ausgenommen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Dorothea den Stadt- und Landschulen; sie besuchte dieselben oft unversehens und prüfte die Kinder; die fleißigen beschenkte sie mit einem harten Taler. Der Herzog pflegte sie öfters seinen Konsistorial- und Schulrat zu nennen. Ebenso war die Armenpflege der Gegenstand ihrer besonderen Sorgfalt; sie veröffentlichte eine besondere Armenordnung. Arbeitsfähige Personen sollten zur Arbeit angehalten werden, andere genügende Unterstützung aus der Stadtkasse und durch Privatwohltätigkeit erhalten. Ehrsame Bürger mussten sich in der Stadt und auf dem Lande nach den Hilfsbedürftigen und Notleidenden erkundigen.

In der Arzneikunde für Menschen und Vieh war Dorel wohlerfahren; sie eiferte gegen ausländische und zusammengesetzte Mittel; jedes Land bringe seine eigenen Heilkräfte hervor. Namentlich sprach sie sich gegen die damals in den Apotheken viel gebrauchten Mumien aus.

Eifriges Gebet zu Gott, festes Vertrauen auf dessen Hilfe, Mäßigkeit und Bewegung sei besser als alle Apotheken. In ihren sanitätlichen Bestrebungen wurde sie von der Mutter Grethe unterstützt, einer Hebamme aus edlem Geschlecht. In Gemeinschaft mit derselben schrieb sie eine Gesundheitslehre, besonders für Frauen; darin bekämpfte sie den unbesonnenen Gebrauch von hitzigen Getränken, besonders von Branntwein. Diese Unterweisung wurde in allen Gemeinden unentgeltlich ausgegeben.

In der heiligen Schrift war die Herzogin ungemein bewandert, indem sie sich täglich mit dem Lesen derselben beschäftigte; namentlich wusste sie alle Trostsprüche auswendig. Den Gottesdienst versäumte sie niemals, wenn sie nicht absolut gehindert war; wiewohl selbst reformirter Konfession, besuchte sie doch öfters die lutherische Kirche.. Das heilige Abendmahl genoss sie alle Vierteljahr mit ihrem ganzen Hofstaat. Sie eiferte für den wahren Christenglauben ohne Konfessionelle Unduldsamkeit. Aber eben so sehr wirkte sie dem Aberglauben ihrer Zeit, besonders dem Hexenglauben, entgegen. Einem Geistlichen, der sich für die Möglichkeit der Hexerei und Zauberei ausgesprochen hatte, ließ sie einen ernstlichen Verweis zugehen, mit der Drohung ernsterer Maßregeln, wenn er sich mehr dergleichen erlaube.

Bei allem sittlichen Ernst, den sie niemals verleugnete, war sie mitunter selbst zu lustigen Streichen geneigt, namentlich wenn sie zu Hochzeiten und Kindtaufen geladen war; sie ermunterte die Gäste zum Gesang, lehrte die Leute allerlei harmlose Spiele u. dergl. Als sie sich einstens in der Schule mit einem Kinde sehr freundlich unterhielt und die Frage an dasselbe richtete, wer sie wäre, antwortete dieses unbefangen: „Die gute Dorel.“ Einer der Anwesenden wollte das Kind entschuldigen, indem er sagte, dass dasselbe diesen Namen von andern Leuten gehört habe. Darauf bemerkte die Herzogin, das wäre ihr der liebste Name, den sie erhalten könne; sie wolle keinen andern.

Ihr eheliches Leben war ein Vorbild für alle ihre Untertanen, ohne Hader und Zwietracht; sie mischte sich nicht unberufen in die Regierungsangelegenheiten; doch fasste der Herzog nicht leicht einen wichtigen Beschluss, ohne ihren Rat zu hören. Reiste er außer Land, so übergab er ihr die Regierung. Die herzoglichen Kinder wurden in Kost und Kleidung einfach gehalten, damit sie nicht üppig und übermütig würden, sondern schmecken lernten, wie Leute geringen Standes leben müssten. Schon in ihrem 35. Jahre, am 19. März 1625, ging sie ein in die Wohnung der Seligen. Gewiss! sie verdiente den Leichentext Offenb. Joh. 14, 13: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben; denn sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ Auch die Katholiken nahmen zahlreich an der Leichenfeier Teil, so dass der katholische Geistliche einen Gottesdienst für dieselben hielt, und äußerte: Wenn die Calvinisten einen Papst hätten, so hätte derselbe nichts Eiligeres zu tun, als die verstorbene Herzogin unter die Heiligen zu versetzen.

Mutter Anna von Sachsen

Anna von Sachsen, auch Mutter Anna genannt, war die Tochter des Königs Christian III. von Dänemark, geboren 1531 und 1548 vermählt mit dem nachherigen Kurfürsten August von Sachsen. Die Hochzeit wurde mit ungewöhnlicher Pracht und verschwenderischem Aufwand gefeiert. Unter Anderem war ein Türkenschloss auf der Elbe errichtet, das von einer kostbar orientalisch gekleideten Mannschaft verteidigt und von eben so prächtig gekleideten Kämpfern angegriffen wurde, bis es den Letzteren gelang, dasselbe durch Feuer zu zerstören. Dabei ergötzte Feuerwerk jeglicher Art die Zuschauer. Anna zeigte recht achtbare Eigenschaften; sie stand 37 Jahre lang ihrem Gatten zur Seite und war während dieser Zeit nur wenige Wochen von demselben entfernt. Ihre Ehe wurde mit 15 Kindern gesegnet, von denen jedoch 11 frühe wieder starben. Sie übte einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Regierungsgeschäfte aus, doch meistens einen wohltätigen, namentlich was das Finanzwesen betrifft. Besonders unterstützte sie ihren Gemahl, wo es galt, den Wohlstand des Volkes zu fördern. August ließ sich die Hebung des Obstbaues angelegen sein; er schrieb deshalb „Künstliches Obst- und Gartenbüchlein“ und gab den Befehl, dass jedes junge Ehepaar im ersten Jahre zwei Obstbäume pflanzen müsse, Er führte auf seinen Reisen stets ausgesuchte Obstkerne bei sich, um sie den Landleuten zu geben. Meistens teilte Anna dieselben aus; auch war sie ihrem Gemahl bei der Abfassung der erwähnten Schrift behilflich. Bei der Bewirtschaftung der kurfürstlichen Domänen griff die hohe Frau mit höchst eigener Hand zu; sie nahm sich mit Rat und Tat des Kleinsten an und brauchte mitunter selbst Hacken und Spaten. Der Kurfürst nahm aus Liebe zu seinen Glaubensgenossen und um die Industrie in seinem Lande zu heben, eine große Anzahl aus ihrer Heimat vertriebener evangelischer Niederländer auf. Anna bot hierzu in jeder Beziehung hilfreiche Hand.

Vornehmlich war sie auf dem Ostravorwerk bei Dresden eine geschäftige Martha; sie ging im Sommer oft zu Fuß nach Ostra, um daselbst mit eigener Hand Butter für ihren Gemahl zu waschen und zu falzen. Charakteristisch ist folgende, auch dichterisch bearbeitete Erzählung. Einst an einem heißen Sommertage kam der Kurfürst nach dem genannten Vorwerk und bat die Magd um einen Trunk Milch. Er erhielt solche, aber, weil er nicht erkannt wurde, keine von der besten. Der Kurfürst leerte, durstig, wie er war, das Glas, bemerkte aber, dass die Milch nicht besonders gut gewesen sei. Die Magd, etwas beleidigt, erwidert: „Ja, wenn der alte Brummbär – damit meinte sie die Kurfürstin – uns nicht immer die beste Milch nähme, dann könnte man hier bessere haben.“ Ohne sich zu erkennen zu geben, ging der Kurfürst von dannen und erzählte den Vorfall seiner Gemahlin. Diese ließ die Magd vor sich kommen und schalt sie wegen ihrer rohen Äußerung, sagte aber nicht, wer der Gast gewesen sei. Da erwiderte die Magd: Hätte sie gewusst, dass sie einem solchen Schlingel, der Alles ausplaudere, Milch gegeben habe, dann hätte sie gewiss Nichts gesagt. Der Kurfürst, welcher hinter der Tür dieser Unterredung zuhörte, konnte das Lachen nicht unterdrücken; er trat hervor und sagte zu seiner Gemahlin:

„Drum tragen wir in stiller Ruh,\\
Den Brummbär ich, den Schlingel du!“

Wir wollen nicht entscheiden, ob die Erzählung bis ins Einzelne Wahrheit enthält; sie ist bezeichnend für das, was das Volk seiner Kurfürstin zutraute. Darum erwähnen wir auch der gewiss falschen Sage, dass Anna selbst von den Produkten des Vorwerks auf dem Markte verkauft habe.

Bekannt ist die Kurfürstin durch ihre Beschäftigung mit chemischen Arbeiten; sie hatte ein großes chemisches Laboratorium, in welchem vier Öfen standen. Während ihr Mann in Alchemie die Fabrikation des Goldes erstrebte, suchte sie heilsame Medikamente zu entdecken. 1579 entdeckte sie ein weißes Magenpflaster, wovon man in der Hofapotheke zu Dresden noch lange Proben aufbewahrte. Sic führte auf ihren Reisen selbstverfertigte Medikamente bei sich und verteilte solche unentgeltlich. Auch im Gebrauche des Stickrahmens, sowie der Spindel und Nadel war die Kurfürstin wohlerfahren und unermüdlich tätig; noch jetzt wird in der Kunstkammer zu Dresden ihr Arbeits- und Reisegerät aufbewahrt.

In anderer Beziehung können wir derselben weniger Beifall zollen. Sie bestärkte ihren Gemahl in der Härte gegen den gefangenen Herzog Johann Friedrich. Auch soll sie in ähnlicher Weise mitgewirkt haben, dass der Kurfürst mit unerbittlicher Strenge gegen die Professoren, Geistlichen und Beamten verfuhr, welche vom reinen Luthertum abgewichen waren und sich zum Calvinismus geneigt hatten (Kryptocalvinisten). Anna unterlag 1585 der Pest, welche mehrere Jahre hindurch in Dresden furchtbar wütete.

Elisabeth von Thüringen

Bekannter noch ist die Tochter der oben erwähnten Maria von der Pfalz, Elisabeth, die Gemahlin Johann Friedrich II., oder des Mittleren, von Sachsen; sie ist geboren am 30. Juni 1540 zu Birkenfeld. Von Kindheit an in Gottesfurcht und Frömmigkeit erzogen, blieb sie ihr Leben lang, auch im größten Leiden, das Muster einer gottseligen Fürstin. Sie war, da sie in ihrem achtzehnten Jahre ihrem Gemahl nach Weimar folgte, gar bald eine Landesmutter im wahrsten Sinne des Wortes, welche durch ihre Freundlichkeit und Leutseligkeit die Herzen Aller, die mit ihr in Berührung kamen, zu gewinnen wusste. Leider konnte sie ihren Gemahl nicht abhalten, dass sich derselbe mit dem unruhigen Ritter Wilhelm von Grumbach verband. Es wurde deshalb die Reichsacht über die Verbündeten ausgesprochen und der Kurfürst August von Sachsen mit der Vollstreckung des Urteils beauftragt. Gotha, die Residenz des Herzogs, wurde erobert, und der Herzog als Gefangener nach Wienerisch-Neustadt abgeführt, während Grumbach mit einigen Genossen unter großen Martern gevierteilt wurde. Elisabeth konnte nur mit Gewalt aus den Armen des fest umschlungenen Gatten weggerissen werden. Sie befand sich von nun an in einer höchst traurigen Lage; zur Bezahlung der Kriegsschulden musste sie alle ihre Kleinode hergeben, und sah, fast von allen Mitteln entblößt, mit ihren drei unmündigen Kindern einer traurigen Zukunft entgegen. Sie nahm ihre Zuflucht zu ihrer Schwiegermutter Sibylla, welche in ähnlicher Lage wie sie gewesen war. Sie wendete alle ihre Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Kinder, welche sie durch Wort und Beispiel zur Gottesfurcht anhielt. Täglich versammelte sie dieselben, so wie die übrigen Hausgenossen, zum Gebet und Hausgottesdienst. Aber die Geldnot blieb nach wie vor. Elisabeth konnte manchmal den Bringerlohn für die erhaltenen Briefe nicht bezahlen. 1568 zog sie nach Eisenach in den ihr zugesprochenen Zollhof, hatte aber immer noch mit Mangel und Not zu kämpfen. Wohl hätte sie unter solchen Umständen selbst eines Trösters bedurft; aber sie unterließ es nicht, in zahlreichen Briefen fort und fort ihrem Gemahl Mut und Trost einzusprechen. Beispielsweise: „Herzlich gerne wollte ich bei Ew. Liebden sein und dieselben in schwerem Kreuz und Leid trösten, wenn es Gottes Wille wäre. Ich habe die Zeit nicht viel trockene Augen gehabt. Ich will zu Gott flehen, seine göttliche Allmacht soll Ew. Liebden ferner in Geduld erhalten, und es mit uns schicken nach seinem väterlichen Willen, wie es uns gut und nützlich ist. Ich will Alles für Ew. Liebden hergeben, was ich habe, und sollt‘ ich betteln gehen, da ich wohl erfahren habe, wie es einer Frau geht, die ihren Herrn nicht bei sich hat.“

Dabei überschickte sie ihrem Gemahl, so oft sie konnte, ein Labsal, bald ein Trostbüchlein, das ihr selbst tröstlich gewesen, bald Tücher und Hemden, die sie genäht, bald Quittensaft, den sie selbst bereitet hatte, bald Coburger Bier usw.

Unermüdlich war auch das treue Weib, beim Kaiser, beim Kurfürsten August und bei anderen Fürsten, wo sie konnte, Fürbitte für die Begnadigung ihres Gemahls einzulegen. Alles umsonst, wiewohl sie dabei von ihrem Vater und ihrer Mutter unterstützt wurde. Nicht einmal die Erlaubnis, den Gefangenen zu besuchen, konnte sie sich erwirken. Nur das erreichte sie durch einen Reichstagsbeschluss, dass ihre Söhne wieder in das väterliche Erbe eingesetzt werden sollten. Endlich, 1572, wurde ihr auf ihr persönliches Bitten in Wien gestattet, zu ihrem Gemahl zu gehen; sie fand diesen in engem Gewahrsam und brachte es mit Mühe dahin, dass demselben einige Erleichterung gewährt wurde. Bald überzeugte sie sich, dass ihre Gegenwart für den Gefangenen fast unentbehrlich wäre. Darum hielt sie an mit Bitten und Flehen, bis der Kaiser es gestattete, dass sie die Gefangenschaft ihres Gemahls als treue Lebens- und Leidensgefährtin teile, und so blich sie 22 Jahre lang, bis an ihren Tod, im Kerker, ohne jemals ihre hingebende Selbstverleugnung zu bereuen. Nichts versäumte sie, was dazu dienen konnte, den Gefangenen ruhiger zu stimmen. Sie las demselben aus der Bibel, besonders aus den Psalmen, vor, und bewog ihn, den ersten Psalm aus dem Hebräischen, das er verstand, in die deutsche Sprache zu übersetzen. Dabei ließ sie ihre Kinder nicht aus dem Auge; sie korrespondierte häufig mit denselben, ermahnte sie, Gott vor Augen und im Herzen zu haben, sich das Lernen angelegen sein zu lassen, und unermüdlich um die Befreiung ihres Vaters zu bitten. Ihr ältester Sohn starb während ihrer Abwesenheit als neunjähriger Knabe.

Wenn sie einmal ihren Gemahl für kurze Zeit verließ, so geschah es in dessen Interesse, meistens, um wiederholt Fürbitte für denselben vorzubringen. Aber weder der Tod des Kaisers Maximilian II. 1576, noch die Verlobung ihres Sohnes Johann Kasimir mit der jüngsten Tochter des Kurfürsten August, des heftigsten Gegners von Johann Friedrich, verwirklichten ihre Hoffnungen. Nicht einmal der Tod von August selbst führte zu diesem erstrebten Ziele.

Dessen ungeachtet verließ Elisabeth ihren Gatten nicht. Nur zwei Mal, nämlich 1578 und 1583, besuchte sie ihre heißgeliebten Kinder. Noch wurden ihre Leiden dadurch vergrößert, dass ihr Sohn Kasimir, da er in den Besitz des väterlichen Erbes gekommen war, die auf ihn gestellte Hoffnung nicht erfüllte; er gewährte den Eltern die Unterstützung nicht, welche dieselben so sehr bedurften. Doch suchte Elisabeth das gute Vernehmen zwischen Vater und Sohn zu erhalten und jeden weiteren Zwiespalt zu verhüten. Ihr Gottvertrauen blieb unerschütterlich, wie ihr tägliches Gebet beweist: „Ich weiß, mein Gott, du wirst mich nicht verlassen, und sollte deine Hilfe erst angehen in der Stunde des Todes.“ Wie sich der Herzog die fünf Buchstaben: A. E. I. O. V. („allein Evangelium ist ohne Verlust“) zum Wahlspruche erwählt hatte, so erwählte sich Elisabeth vier H. („Hilf Herr, himmlischer Hort.“)

Ihre Leiden nahmen erst mit ihrem Tode ein Ende. Schmerzlich war ihr der Tod ihrer treuen Schwester, Dorothea Susanna, Witwe des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen, ihr ähnlich in liebevoller Tätigkeit für ihre Untertanen, besonders die Armen. Noch mehr wurde sie betrübt über die unglückliche Ehe ihres Sohnes Kasimir mit Anna von Sachsen, die wegen wiederholter Untreue von ihrem Gemahl musste verstoßen werden. Elisabeth forderte ihren Sohn auf, er solle sich durch das Hauskreuz zu Gott und seinen Eltern zurückführen lassen. 1594 mehrten sich bei der edlen Frau die Zeichen des nahenden Todes; sie beschwor ihre Diener, sie möchten ihre Sorgfalt bei dem Herzog verdoppeln, und ihm das zu werden suchen, was sie ihm zu sein bemüht gewesen wäre. Sie starb am 8. Oktober 1594 in einem Alter von 54 Jahren. Ihre Leiche sollte zu Coburg bestattet werden, wozu auch der Kaiser die Erlaubnis gab, aber die Gläubiger konnten erst durch das wiederholte Versprechen, bald Zahlung zu empfangen, zur Freigebung der Leiche bewogen werden. Ihr Gemahl folgte ihr am 9. Mai 1595 nach 28jähriger Gefangenschaft in die Ewigkeit.

Elisabeth wurde in der Moritzkirche zu Gotha beigesetzt. Der Leichenpredigt lag ihr Lieblingsspruch zu Grunde((Ps. 73,24)): „Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an.“ Über ihrem Grabe findet sich eine einfache Tafel mit der Aufschrift: „Sie war ein sonderliches Exempel ehelicher Liebe und Treue gegen ihren Gemahl, welchem sie ins Elend folgte, und half ihm tragen und lindern.“

Sibylla von Sachsen

Sibylla war die Gemahlin des unglücklichen Johann Friedrich von Sachsen, Tochter des Herzogs Johann III. von Cleve, geboren 1512. Als ihr Gemahl in der Schlacht bei Mühlberg gefangen genommen wurde, begab sie sich in das kaiserliche Lager, um durch einen Fußfall dessen Freilassung zu erflehen. Alle ihre Bitten waren umsonst. Sie legte nun während der fünfjährigen Gefangenschaft des Kurfürsten die Trauerkleider nicht ab; um denselben unterstützen zu können, verkaufte sie ihre Kleinodien. Täglich hielt sie mit ihrem Hofgesinde in der Kirche eine Betstunde und drei Mal mussten die Schulkinder in der Schlosskirche zu Weimar die Litanei für die Erlösung ihres „besten Herrn“ singen. Ihr Gemach war wenig von dem einer einfachen Beamtenfrau unterschieden. Gebetbuch, Bibel, Spinnrocken, Nähapparat, bildeten einen integrierenden Teil ihres Hausrates. Sie äußerte öfters, sie glaube gewiss, dass sie nicht eher sterben würde, bis sie ihren befreiten Gemahl wieder gesehen habe. Am 10. September 1552 konnte sie dem Kurfürsten mit ihrem älteren Sohne in Coburg entgegen gehen, zum ersten Mal wieder nach Ablegung der Trauerkleider in festlichem Schmucke. Die Freude des Wiedersehens wirkte so gewaltig auf sie ein, dass sie in Ohnmacht fiel, als sie den lange Entbehrten wieder in ihre Arme schloss. Ihre Lebenskraft war gebrochen; sie kränkelte von nun an. Täglich ließ sie sich während ihrer Krankheit aus der Bibel vorlesen und hörte gerne eine erbauliche Erklärung derselben. Die Psalmen soll sie ganz auswendig gewusst haben. „Alles in Ehren,“ war ihr Wahlspruch. Als ihre Sterbestunde schlug, rief sie: „Ach! lieber Gott! willst du nicht bald kommen?“ Ihr letzter Trost war der Spruch: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren wären, sondern das ewige Leben haben.“ Sie starb am 21. Februar 1554. Der Kurfürst erkannte es wohl und sprach es auch nach ihrem Tode aus, welche große Gabe der liebe Gott ihm in der „liebsten Gemahlin“ gegeben habe. Obwohl von königlichem Stamme entsprossen, habe sie sich ihm als eine dienstwillige, treue, gehorsame Gehilfin gezeigt.

Die Pfalzgräfin Maria.

Dieselbe ist geboren 1519, eine Tochter des Markgrafen Kasimir von Brandenburg-Culmbach, Schwester des unruhigen Abenteurers Albrecht von Brandenburg. Ihre Mutter starb frühe, und ihr Vater wurde als Geisteskranker auf der Plassenburg festgehalten. Maria erhielt ihre Erziehung unter der Obhut ihres Oheims, Georg von Ansbach. Sie lernte nicht mehr und nicht weniger als ihre meisten Standesgenossen: Religion, Lesen, Schreiben, vielleicht auch Rechnen; dabei wurde sie in der Haushaltung unterwiesen und geübt; besonders erwarb sie sich in der Kochkunst große Geschicklichkeit, ebenso in weiblichen Handarbeiten, Stricken, Nähen, so wie in künstlichen Stickereien. Später heiratete sie den Pfalzgrafen Friedrich von Simmern, dessen Vater, Johann, der katholischen Lehre zugetan blieb, während sich das junge Paar für die Reformation entschied. Hierdurch entstand ein Zwiespalt zwischen diesem und dem Vater, so dass dieser jegliche Unterstützung verweigerte, auch wenn die Not bei der Hofhaltung seines Sohnes einkehrte. Maria musste ihren Vetter in Ansbach, so leid es ihr tat, öfters um Unterstützung ansprechen. So schreibt sie einmal: „Denn ich in großen Nöten gesteckt bin, habe auch wahrlich jetzt wieder 200 Taler leihen müssen, habe nichts Anderes zu meiner lieben Schwester, der Markgräfin von Baden, Zehrung gehabt. Gott weiß, wo ich’s noch überkomme, dass ich’s bezahle; man will mir nicht länger borgen, denn bis auf Johannis des Täufers Tag des Jahres 1553.“

Diese drückende Lage änderte sich, als ihr Gemahl 1556 seinem Vater in Simmern und 1559 seinem Vetter Otto Heinrich in der Regierung der Kurpfalz nachfolgte. In beiden Territorien führte er die Reformation ein; doch herrschte gerade in dieser Beziehung nicht völlige Übereinstimmung zwischen ihm und seiner Gemahlin. Friedrich neigte sich zu calvinischen, wenigstens melanchthonischen Ansichten, während Maria am strengen Luthertum festhielt. Nicht selten stritt sie mit dem Kurfürsten über die Abendmahlslehre. Sie äußerte öfters: „Wenn alle seine Prädikanten daständen, so sollten dieselben sie nicht von ihrem Bekenntnis abbringen.“ Sie überzeugte sich wohl immer mehr, dass das Herz ihres Gemahls gut sei; aber der Gedanke, dass derselbe immer mehr verführt würde, da der Teufel umherschleiche wie ein brüllender Löwe, lässt ihr keine Ruhe. Friedrich nahm es ernst mit der Religion; er forschte Tag und Nacht in der Bibel und besprach sich mit verschiedenen Gottesgelehrten. Je mehr die strengen Lutheraner eiferten, desto ernstlicher forderte er von seinen Geistlichen, dass sie sich, bis durch Gottes Hilfe der Streit endlich geschlichtet würde, beim Abendmahl keiner anderen Formel bedienten, als der Augsburgischen Konfession.

Endlich ordnete er das Kirchenwesen entschieden nach reformirten Grundsätzen. Er ließ den bekannten Heidelberger Katechismus abfassen und einführen. Maria wurde es schwer, ihrem Gemahl auf dem betretenen Wege zu folgen. Doch blieb das Verhältnis Beider im Ganzen ein inniges und zärtliches; ja sie fand sich immer mehr in das reformirte Kirchenwesen, wenn sie auch ihrem lutherischen Glauben niemals untreu wurde.

Ihre beiden Töchter verheirateten sich mit den beiden Söhnen des unglücklichen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Ihr mütterliches Herz begleitete dieselben in ihre neuen Verhältnisse; sie freute sich über das Gedeihen ihrer Enkel. Mit Hilfe ihres Gemahls, der in Krankheiten ungemein bewandert ist, weiß sie Rat in Krankheitsfällen; sie schickt ihren Enkeln Geschenke usw. Darum wurde sie auf das tiefste betrübt, als ihr Schwiegersohn, Johann Friedrich II., der Gemahl ihrer Tochter Elisabeth, sich in die Grumbachischen Händel trotz aller Warnungen einließ, so dass derselbe Land und Freiheit verlor. Sie schrieb, als sie diese Hiobspost erhielt, an ihre Tochter: „Ich will Dich nicht lassen, so lange ich einen Heller oder Pfennig habe. Iss und trink, so gut ich’s habe. Denn Du weißt, mein Herz, wie es allewege mit Dir gewesen, so soll es, so Gott will, bleiben, so lange ich lebe. Ich kann Dir Nichts mehr schreiben; es ist mir das Schreiben sauer geworden.“ Vergebens wendete sie sich an die Kurfürstin Anna von Sachsen, Gemahlin des Kurfürsten August, und an andere Fürstinnen; sie vermochte dem Schwiegersohne seine Freiheit nicht wieder zu verschaffen. Am 31. Oktober 1567 erlöste sie der Tod von ihren Leiden. Sie starb mit herzlichem, sehnsüchtigem Verlangen nach dem ewigen Leben. Drei Tage nach ihrem Tode schrieb ihr Gemahl an die älteste Tochter, und gab die Hoffnung zu erkennen, dass sie selig entschlafen sei; sie sei ihm eine liebende Gattin gewesen und habe ihm seine Sorgen erleichtert. Auch die Untertanen gedachten ihrer als einer liebenden Landesmutter und einer unermüdlichen Wohltäterin der Armen. Ihr Andenken blieb als das einer Gerechten in Segen.

Luise Scheppler, die Pfarrmagd im Steinthale

Erstes Kapitel. – Der Diensteintritt.

Es will heutzutage viel aus dem Leime gehen, was bis dahin noch leidlich zusammengehalten hat. An Staat und Kirche reißt’s, in Kirche und Schule wankt’s, mit Eltern und Kindern will’s nicht recht gehen, und mit Herr und Knecht, mit Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist’s vollends aus in heuriger Zeit. Aber auch mit Frau und Magd will’s nicht gehen. Die Klage ist freilich alt und reicht hinauf bis zu der Ahnherrin der Mägde, der Hagar, die sich nicht wollte demütigen unter die Hand ihrer Herrin, Sarai. Seitdem ist’s aber schlimmer geworden, und nicht jede Magd, die ihrer Herrschaft trotzig entfloh, hat den Engel gefunden, der sie frug: „Hagar, wo kommst du her und wo willst du hin?“ Das erste Hauskreuz junger Eheleute ist heutzutage das Dienstbotenkreuz; und die Tochter könnte ihrer „Mama“ ganze Seiten lang klagen, wie schlecht sie gefahren; und ist man einmal etliche und mehr Jahre im Ehestande, da können manche Frauen eine ganze Bildergalerie der verschiedensten Mägde aufführen, mit denen sie’s probiert: alte und junge, gescheite und dumme, flinke und langsame, ehrliche und verstohlene usw. Das gibt denn Stoff zur Unterhaltung, und selbst bei mancher „gebildeten“ Frau muss man sich in Acht nehmen, nicht von ferne her an dies Thema anzustreifen; denn dann geht das Mund- und Herzschlösslein auf, und die Rede quillt wie sprudelndes Wasser, und man meint den weiland Demosthenes zu hören. Bei all der mannigfachen Not mit den Mägden kann ich’s begreifen, wenn einst eine liebe Frau sagte: „Wenn sie sich wegen nichts Anderem auf den Himmel freute, so sei ihr das schon genug, sich zu freuen, dass es im Himmel keine Mägde mehr gebe.“. Aber aber! Wie lautet’s von der andern Seite? Da heißt’s von den Herrschaften: „Euer Ruhm ist auch nicht fein“. Kommt man durch eine süddeutsche Stadt am Röhrbrunnen vorbei, der aus den zwölf Röhren, mit Löwenköpfen geziert, das Wasser in den Kübel speit, da sieht man die Kübel längst überlaufen, aber die Inhaberinnen derselben stehen derweilen zusammen, und aus den zwölf Röhrbrunnen der Köpfe ergießt sich auch das Wasser der Rede, und über wen? Über die Herrschaften. Da weiß die Eine zu sagen von einer geizigen, die Andere von einer launigen, die Dritte von einer hungrigen usw.; sie klagen über harte Behandlung, schlechten Lohn und wie es heutzutage nicht auszuhalten wäre bei der Hoffart der Herrschaften, und vielleicht ist auch eine unter der Gesellschaft, die da meint, das Schönste im Himmel sei das: dass es keine Herrschaften mehr gebe. Wo fehlt’s? An allen beiden fehlt’s. Der eine zerbricht den Topf, der andere den Deckel, und der ist manchmal so groß wie der Topf. Jeder sucht die Schuld am Andern, und die Wenigsten in sich. Es wird noch schlimmer werden, wenn’s nicht anders wird. Es ist freilich schwer, Dienstboten zu haben; nie allein und unbewacht im Heiligtum des Hauses zu sein, seine Kinder in der Gesellschaft oft roher Leute zu wissen aber es ist auch schwer, Dienstbote zu sein, immer im Dienste Anderer zu stehen, von Vielen befohlen und kommandiert zu werden, oft keinen stillen Augenblick am Tage, ja nicht einmal am Sonntage für sich zu haben. Das sollten Beide, der da herrscht und der da dient, bedenken, und suchen sich gegenseitig zum Segen zu sein in diesem Verhältnisse, das eben ein notwendiges Übel ist. Da könnte ja viel Gutes geschafft werden für Zeit und Ewigkeit, und der klaffende Abgrund, der sich zwischen Beiden auftun will, doch in manchem Hause überbrückt werden, wenn Herrschaft und Dienstboten durch ein anderes Band zusammengebunden sind, als durch den silbernen Strick von ein paar Talern.

In diesen Blättern soll nun von einer Magd erzählt werden, die eine rechte Magd war, deren großer Schmerz es gewesen, dass man einst im Himmel keine Mägde mehr brauche, weil ihr Dienen Freude und Wonne war; und zugleich hört die Leserin von einer Herrschaft, wie man sie auch nicht auf der Landstraße trifft. Mögen denn Beide, Frau und Magd, ihre Lektion daraus lernen, dann wird’s auch in ihrem Hause wohl stehen, wie im Hause Oberlins, dessen treue Magd Luise Scheppler war.

Die Geschichte unserer Pfarrmagd führt uns nicht sehr weit von der Pfarrfrau, unserer Catharina Zellin, weg. Fährt man doch über Straßburg nach dem Steinthal. Hat der Schwager gute Pferde und gut gefüttert, so ist man in 6-7 Stunden droben. Es ist noch kein Jahrhundert her, da krähte kein Hahn nach dem Tal, und wenn in der nächsten Nähe von ihm die Rede war, so schauerte es die Leute, wenn sie an das kalte Feld da droben dachten, das fast zum Spott „Feuerfeld“ hieß, und Jeder segnete sich, Bürger der Stadt zu sein und kein Einwohner des armseligen Tales. Der dreißigjährige Krieg, die Pest und anderes Elend hatten dazu noch gewütet, so dass man im Jahre 1700 stundenweit gehen konnte in den dichten, dunkeln Wäldern, ohne einen Menschen anzutreffen. Und traf man sie und erzählte davon, so glaubte man die Erzählungen eines Missionars aus Grönland oder aus Afrika zu hören, aber nicht von einem christlichen Volke. Von Holzäpfeln und wilden Birnen sich nährend, auch von Gras in Milch gekocht, wohnten sie in elenden Hütten; und die geistliche Nahrung war auch nicht besser. Wenig Erkenntnis Gottes, nicht einmal Kenntnis der Sprache und der Buchstaben, dagegen viel Rohheit, Streit und Zank war da anzutreffen. Wenn jetzt das Steinthal ein Ort ist, von dessen Glauben und Liebe, Zucht und Ordnung, Wohlstand und Bildung man in aller Welt sagt; wie dort aus einer Wüste ein schöner Garten geworden, eine Hütte Gottes bei den Menschen, so ist das der Wundermacht und Kraft des Evangeliums zu danken, das aus Nichts Etwas macht, und das Unedle vor der Welt erwählt und das Schwache, um zu Schanden zu machen, was stark ist. Aber der HErr hat sein Wort lebendigen Zeugen anvertraut und will seine Himmelskräfte niederlegen in ein schwaches Menschengefäß und durch das seine Dinge hinausführen. So war es der Pfarrer Johann Friedrich Oberlin, der der Apostel des Steinthal genannt zu werden verdient. Die vor ihm kamen, waren zumeist Mietlinge gewesen, die ihre Stelle als Strafstelle ansahen, aus der sie so schnell wie möglich sich wieder davon zu machen suchten. Nur der unmittelbare Vorgänger Oberlins, der edle treffliche Stuber, war ein treuer Hirte und Mann nach dem Herzen Gottes. Er kam im Jahre 1750 ins Steinthal und traf es in dem oben geschilderten Zustande. Als er nach dem Lehrer frug, wies man ihn zu einem abgezehrten Greis, der im Bette lag. „Seid ihr der Schullehrer?“ frug der Pfarrer. „Ja wohl, Herr Pfarrer.“ „Was lehrt ihr denn eure Kinder?“ „Nichts.“ „Warum denn nicht?“ „Lieber Herr Pfarrer, ich weiß selber nichts.“ „Wie hat man euch aber zum Schullehrer machen können, da ihr nichts wisst?“ „Ach sehen Sie, ich war viele Jahre Schweinhirt, und da ich dazu zu alt und schwach bin, hat man mich abgesetzt und mir aufgetragen, die Kinder zu hüten.“ Stuber suchte an seinem Teile Licht und Leben zu bringen; er war der Erste, der in dieser geistigen Wildnis auszuroden anfing. Siebenzehn Jahre lang stand der Hirte in seiner Gemeinde; denn als er nach sechs Jahren in eine andere Gemeinde mit besserem Einkommen abberufen ward, überkam ihn nach vier Jahren ein unbesiegliches Heimweh nach seinem armen Tale, so dass er die Stelle aufgab und wieder hinaufwanderte und noch elf Jahre wirkte, bis seine erschütterte Gesundheit ihn von den Bergen in die Stadt zwang. Aber er konnte sich nicht entschließen, seine Stelle zu verlassen, bevor er nicht eines guten Nachfahrs sicher war. Von dem Kandidaten Oberlin in Straßburg hatte er schon Manches gehört. Er suchte ihn also auf. Drei Treppen hoch, in einem Dachkämmerlein saß der junge Mann. Ein schmales Bett, dessen Vorhänge aus Papier waren, ein armseliger Tisch zierten das Stüblein. Der aber drin sitzt, leidet just an Zahnweh. „Was ist denn das für ein eisernes Pfännchen, das dort über eurem Tische hängt?“ „Das ist meine Küche“, sagte Oberlin. „Ich esse zu Mittag bei meinen Eltern, die erlauben mir, ein Stück Brot in der Tasche mit nach Hause zu nehmen. Abends um acht Uhr lege ich’s dann ins Pfännchen, gieße Wasser drauf, streue Salz drüber und stelle die Lampe drunter, und studiere dann an deren Schein bis zehn oder elf Uhr. Kommt mich der Hunger an, dann esse ich meine selbstgemachte Brotsuppe, die mir besser schmeckt, als die besten Leckerbissen.“

„Sie sind mein Mann“, ruft Stuber aus, „so einen muss ich fürs Steinthal haben.“ Er war 27 Jahre alt, als er dem Rufe nach Waldbach, den Keiner sonst annehmen wollte, folgte. Es war im Jahre 1767 am 30. März.

Was Stuber begonnen, wuchs unter der Hand Oberlins, der mit bewunderungswerter Aufopferung, Weisheit und Energie zu Werke ging. Mit eigener Hand fing er an, die Chausseen herzurichten, lehrte den Ackerbau, baute Brücken, pflanzte und veredelte Bäume, richtete die Armen- und Krankenpflege ein, gründete die Sparkassen, war Bauer, Arzt, Krankenwärter, vor Allem aber der geistliche Hirte, Alles in einer Person. Will Jemand von ihm mehr lesen, der findet in dem ausgezeichneten Büchlein des Pfarrers Bodemann (Stuttgart bei Steinkopf) das köstliche Leben erzählt. – Aber wo die Arbeit angegriffen wird, da wächst sie auch unter den Händen; je mehr man ein Auge für die Not hat, desto mehr schärft es sich, und je größer die Liebe ist, desto erfinderischer wird sie. Oberlin sah, dass er die große Arbeit nicht allein bewältigen könne, und merkte, dass es auch hier hieß: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, aber erkannte, dass die Gehilfin ihm zugeführt werden und wenn je Einer, so er von seinem Gotte sie erhalten müsse. Denn ins Steinthal zu gehen und dem Steinthaler Pfarrer die Hand zu reichen, das konnte nicht Jede. Sie wird ihm auch gezeigt. Es war eine weitlose1entfernte Verwandte, die zum Besuche auch ins Steinthal gekommen war. Im Gebet bekommt Oberlin, der vorher durchaus keine Neigung zu dem Mädchen hatte, weil er sie für zu großstädtisch hielt, die Gewissheit, dass die Jungfer Magdalene Witter die richtige sei. Nach der Predigt, in welcher auch sie gegenwärtig war, mit ihrer Schwester, ging Oberlin in seine Studierstube, ringt noch einmal und spricht zu seinem Gott: Ist es denn Dein heiliger Wille, dass ich um Magdalene werbe, so gib mir diesen auch daran zu erkennen, dass die Jungfer sogleich und ohne Rückhalt zu meinem Antrag „Ja“ sagt. Er geht in die Laube im Garten, tritt vor sie hin und sagt: „Liebe Jungfer Witter! Ich habe sie schon mehrere Male erröten gemacht, neulich sogar in der Kirche zu Waldbach, da ich gegen den vornehmen Kleiderstaat predigte. Jetzt will ich Sie aber noch mehr erröten machen. Denn ich frage Sie, wollen Sie mir diesen noch wüsten Garten Gottes, das Steinthal, als meine treue Gehilfin anbauen helfen, mich nie durch Verwendung ihrer hohen Anverwandten von meiner armen Gemeinde an ein einträglicheres Amt verlocken, wollen Sie mit einem Worte, dem armen Pfarrer im Steinthal Ihre Hand reichen, so sagen Sie ohne Rückhalt: „Ja“ und schlagen Sie hier in meine Hand.“ Jungfer Magdalene steht sofort auf, hält die eine Hand vors Gesicht, reicht die andere ihm dar, und der Bund war geschlossen. Die treueste Gattin war sein eigen geworden, die bald die Mutter des Steinthals ward. Sie durchwanderte die Hütten der Elenden, brachte Speise und Arznei den Kranken und Kleider für die Nackten. Auf diesen Gängen begleitete die Pfarrfrau ein kleines Bauernmädchen, ein armes Kind aus Bellefosse, einem Filiale von Waldbach, eine Konfirmandin Oberlins, geboren am 4. November 1763. Ob auch die nackten Füße bluteten, wenn es über Wurzeln und Steine ging, sie klagte nicht und war überfroh, wenn sie an der Seite der Pfarrfrau einhergehen durfte. Da hörte sie denn unterwegs herrliche Dinge aus dem Munde der lieben Frau von der Liebe Christi, der arm ward, damit wir durch seine Armut reich würden. Die Augen hingen ihr oft schwer voll Tränen der Freude. Sie hatte einen lebendigen, forschenden Geist und dabei nur einen Herzenswunsch: in das Haus Oberlins zu kommen, um immer an der Seite der herrlichen Frau und ihres Mannes zu sein und sich satt hören und satt lernen zu können. Ihr sehnlichster Wunsch ging auch in Erfüllung. Oberlin hatte die trefflichen Seiten des kleinen barfüßigen Kindes mit seinem Meisterblicke erkannt, und so erlaubte er ihr, im fünfzehnten Jahre in seinen Dienst und sein Haus als Magd einzutreten. Dieser Diensteintritt wurde entscheidend für sie, nicht bloß für diese Zeit.

Zweites Kapitel. – Die Dienstführung und Dienstarbeit.

Es hat schon manche Herrschaft ein armes Mädchen vom Lande genommen von 15 oder 16 Jahren und sich’s dabei ausgemalt, wie sie das Mädchen dann hübsch für sich „ziehen“ wollte, so ganz, wie mans gerne hätte und alle möglichen Tugenden ihm anlernen und alle Fehler an ihr ausroden, dieweil sie noch jung wäre. Aber das ist auch ein Turmbau, dessen Kosten vorher überschlagen werden müssen. Einmal verlangt das viel Liebe und Geduld von Seiten der „gnädigen“ Herrschaft und noch viel Weisheit oben drein. Denn es lässt sich eben ein Mensch nicht dressieren, wie man einen verständigen Pudel zum Apportieren und anderen Kunststücken erziehen kann. Man klopft Einen die Tugenden so wenig ein, als man Einem die Fehler wie den Staub aus dem Rocke klopft. Und dazu, wenn’s nur aus der Selbstliebe, auf deutsch aus dem Egoismus, herausgeschieht, da merkt das Mägdlein bald die Absicht und wird verstimmt, wie andere Menschenkinder auch. Es gehört mehr dazu, als was man in den roteingebundenen Büchern studieren kann. Sodann aber gehört auch ein Dienstmägdlein dazu, die noch etwas mehr hat, als ihre 15 oder 16 Jahre und gerade Glieder. Hat sie nicht etwas von dem gelernt, was es heißt, „in dem Herrn“ dienen, so wird’s unter 100mal 90mal schlimm gehen. Denn haben die Mägdlein das Ihre gelernt und sind aus dem Staub und dem Gröbsten heraus und etwas poliert und hergerichtet, dann hält die Dankbarkeit nicht lange an. Kommt ein besserer Antrag, dann wollen sie sich verändern, und die Herrschaft hat das Lehrgeld für eine andere Herrschaft bezahlt.

Dass die Pfarrfrau im Steinthal und ihr Mann das 15jährige Kind genommen, das haben sie um Christi willen getan, und drum ist’s gut gegangen, und der kleinen Luise war’s auch um etwas Anderes zu tun, als um ein paar Franken, und darum ist dies Experiment gut eingeschlagen. Luise musste alles lernen, denn sie verstand nichts, und das wusste sie auch, dass sie nichts verstand. Das ist aber alles Lernens Anfang, und ist schon eine Weisheit von dem Griechen Socrates her, der wusste, dass er nichts weiß. Sie schaute mit ihren klaren Augen auf die Hände ihrer Frau und lernt die häuslichen Arbeiten. Nebenher aber setzte sich die Pfarrfrau zu ihr und lehrt sie lesen und schreiben. Kaum hatte sie einen Begriff von den Buchstaben, so stand sie in aller Frühe des Morgens auf, ihre Bibel zu nehmen und ihren Katechismus, um drin zu lernen, und für den ganzen Tag gewappnet zu sein. Ist doch ein Mensch, der ohne Gottes Wort aufsteht und in den Tag geht, wie ein Mensch, der unbewaffnet dem Feind entgegenläuft. Sie hatte einen tiefen Eindruck davon, wie viel ihr nach außen und innen fehle, und trauerte darüber, dass sie ihre 15 ersten Lebensjahre in so schrecklicher Unwissenheit dahin gebracht und konnte es der Pfarrfrau nicht genug danken, dass sie sich so viel Mühe mit ihr gab. Und daneben wusste sie und hörte es alle Tage von dem Papa Oberlin, der so kindlich beten konnte, dass die Himmelstür auch für die Dienstmägdlein offen sei und sie nur kommen dürfe und bitten. War ihr etwas zu schwer zum Fassen und Begreifen, da trug sie’s hinauf in ihr Kämmerlein und petitionierte2eine Bittschrift einreichen beim lieben Gott, der ja doch Alles könne, und darum auch ihr Verstand geben möchte.

Die Kinder im Pfarrhaus liebten sie sehr, denn sie konnte wie ein Kind mit ihnen spielen und verkehren; auch für die Not der Gemeinde hatte das Mädchen einen natürlichen Scharfblick; Papa Oberlin erfuhr gar manche Not und manchen Schaden durch sie, da sie ein Kind aus dem Volke war. Er nahm sie öfters mit auf seinen Besuchen, schickte durch sie Gaben und forschte später, welches ihre Art mit den Armen und Kranken war. Immer mehr wurde ihm klar, dass er an ihr nicht bloß eine Magd für sein Haus, sondern eine Helferin für die Gemeinde und sein Amt gewonnen hatte. Das merkte er besonders an ihrem Umgange mit den Kindern der Gemeinde. dem Pfarrhaus lagen eine Menge Nachbarskinder faullenzend herum, die nichts anders wollten, als dem Papa Oberlin nachlaufen und ihm die Hand küssen. Oberlin hatte auch an diese Kinder gedacht. In seinem Hause druckte er auf einer kleinen. Handpresse Bibelsprüche in seinen freien Stunden, die er dann den Kindern schenkte. Das reizte ihren Fleiß und ihre Neugier, denn sie konnten nicht lesen. Luise kam heraus, setzte sich zu ihnen ins Gras und lehrte sie an diesen Sprüchen lesen. Das ging alles gut im Frühling und im Sommer; aber im Winter drohte die Schar zu verlaufen. Oberlin gab seine Scheune her, Luise nahm die Kinder mit und lehrte die Mädchen, wenn sie freie Zeit hatte, stricken und nähen. Oberlin merkte das Lehrtalent seiner Magd; die häuslichen Arbeiten verstand sie vollkommen, und so gedachte er sie zu verwenden als Lehrerin in seinen Strick- und Nähschulen, die er bereits in den fünf Gemeinden seines Kirchspiels eingerichtet hatte. Oberlin wusste nur zu gut, dass ein veredelnder Einfluss auf seine rohen Steinthaler vornehmlich von einer besseren Erziehung des weiblichen Geschlechts abhänge. Das ging freilich ohne Widerspruch her, denn zum Bessern müssen die meisten Leute gezwungen werden. „Will man denn Mamsells aus den Mädchen machen“, schrien die Eltern, als sie hörten, ihre Kinder sollten Wolle und Baumwolle spinnen. Der Widerspruch hörte erst auf, als die Pfarrfrau selbst anfing, Wolle zu spinnen. Die Strickschulen waren schon im Gange, und Luise versah mit der anderen Lehrerin ihre Schule.

Allein sie sah bald, dass es im Steinthale noch an Anderem fehle. Ihre Mädchen in der Schule waren bereits erwachsen, aber wer nahm sich der kleinen Kinder von zwei Jahren an? Die Eltern fort in Feld und Wald zur Arbeit, so konnten die kleinen Kinder nur an Geist und Körper verwahrlosen. Luise sann und sann, ob nicht die Möglichkeit wäre, von ganz früh an ein besseres Geschlecht heraufzuziehen. Da nahm sie neben den größern Kindern auch einmal eine Zahl kleiner und kleinster Kinder in mütterlicher Pflege, reinigte sie zuerst und setzte sie dann in Reih‘ und Glied, erzählte ihnen eine kleine Geschichte, sang ihnen vor, spielte mit ihnen, zeigte ihnen Bilder – kurz, das Steinthaler Bauermädchen tat, was jetzt unsere studierten Kinderpflegerinnen tun. Oberlin sah ihr zu und ergriff diesen Gedanken der Kinderpflege mit größtem Feuer und Energie. Bald waren lichte Säle eingerichtet zur unentgeltlichen Aufnahme der Kinder vom 3ten bis zum 7ten Jahre. Oberlin sorgte für Bilder. Das finden wir jetzt ganz natürlich, dass man sich so der Kinder auf dem Lande und in großen Fabrikstädten annimmt aber die Erfindung dieser Kleinkinderpflegen (salles d’asyle), die jetzt über England, Frankreich und Deutschland verbreitet sind, gebührt dem einfachen Bauermägdlein von Bellefosse.

Sie blieb bei ihrem Werke, und bis zu ihrem Tode hatte sie täglich gegen hundert kleine Kinder um sich. Ich sage das deshalb, weil Manche Lust am Erfinden und Einrichten haben, aber dann die eigentliche Arbeit Anderen überlassen und Fortführen ihre Sache nicht ist. Durch achtundfünfzig Jahre war sie die geschickteste unter den Vorsteherinnen, trotz all ihrer sonstigen Arbeit. Keine konnte so wie sie erzählen, so fasslich und zum Verstehen, und keine die Augen der Kinder so glänzen machen, wenn vom Heiland erzählt ward, wie sie. Ihr war das Sein unter den Kleinsten ihre eigentliche Lust, da war’s ihr am wohlsten, weil sie glaubte, dass da am meisten Engel mit gegenwärtig seien. Wiewohl sie die eigentliche Erfinderin und das Haupt dieser Schule war, stellte sie sich doch in ihrem bescheidenem Sinne als eine Unterlehrerin neben und unter die Anderen, weil ihr die Arbeit im Hause noch oblag.

Im Jahre 1783, den 17. Januar, sollte ein schwerer Schlag das Steinthaler Pfarrhaus und auch Luise treffen. Vom Anfang seiner Verheiratung hatte Oberlin eine kaum zu bekämpfende Ahnung des frühen Verlassens seiner Gattin. Schon bei der Geburt des ersten Kindes, das in Straßburg zur Welt kam, bat er: „Ach mein Gott, gib‘ mir nur Kartoffelschalen, aber erhalt‘ meine Frau am Leben.“ Mit ängstlicher Spannung wartet er auf Nachrichten. Aber seine Ahnung sollte später erfüllt werden. Unvorhergesehen, ohne krank zu sein, sagte sie des Abends an obigem Tage: „Der Herr, mein Gott, hat mir in dir, lieber Mann, Wort gehalten. Er hat mir versprochen, dass er mich sein Heil finden lassen werde, und in der Tat, er hat es mich finden lassen. Du bist es, dem ich die Kenntnisse verdanke, die ich vom Himmel habe, und von Alle dem, was uns nach dem Tode erwartet. Ich danke dir, lieber Mann, und erkenne in dir die Treue meines lieben Gottes.“ Hierüber wurde es 10 Uhr sie küssten sich und wünschten sich gute Nacht, und Magdalene zog sich zurück zu ihrem kleinen acht Wochen alten Säugling. Dann ging sie noch (das sah Luise) zu jedem ihrer Kinder und legte jedem die Hand aufs Haupt.

Gegen sechs Uhr Morgens kam Luise, weckte Oberlin mit den Worten: „Herr, die Frau ist krank;“ kurz darauf kam sie wieder und sagte: „Herr, die Frau ist sehr krank.“ Eilends sprang Oberlin aus dem Bette und hörte seine Frau die Worte sagen: Herr Jesus, befreie mich von dieser entsetzlichen Pein.“ Ein kurzes Zucken, ein Geräusch in der Brust und der Atem stand still; das Leben war entflohen. Oberlins Schmerz war unsäglich. „Derselbe Gott“, so schrieb er, „der diesen entsetzlichen Schlag über mich verhängt hatte, behandelte mich nachher mit der größten Güte, wie einen Kranken beim Phantasieren, den man nach und nach wieder zur Vernunft zu bringen sucht.“

Sieben Kinder hatte die treue Mutter hinterlassen, von dem das letzte noch ein Säugling war. Die Pflege, Sorge und Erziehung derselben fiel nun Luise zu. Hier entwickelte sie ihr ganzes Herz, ihre ganze Weisheit. Mit der zärtlichsten Liebe hingen die Kinder ihr an; das Hauswesen hielt sie musterhaft im Stande, das so leicht bei solchen schmerzlichen Fällen schwere Not leidet; alle kleine Sorgen und Unannehmlichkeiten nahm sie ihrem geliebten Pfarrer ab. Sie hatte während ihrer Dienstzeit mehrere vorteilhafte Anträge erhalten, aber sie lehnte sie entschieden ab, sie wollte Dienerin bleiben im Hause Oberlins. Nebenher ging aber immer noch das Amt einer Unterlehrerin an der Kinderschule in Waldbach und die Sorge für Heranbildung einer Lehrerin. Sie hielt in den Dörfern Umgang und Visitation in den Schulen, und feuerte die Lehrerinnen und Kinder an; ging zu den Kranken, wachte bei ihnen, suchte die hilflosen Kinder auf. – Die schwere Zeit der Revolution kam und berührte auch das stille Steinthal; der öffentliche Gottesdienst ward verboten, das spärliche Einkommen Oberlins hörte auf, aber die Magd teilte Leid und Sorge. Nicht nur, dass sie all ihr Erspartes für Schulen und Armen ausgegeben, sie verweigerte auch nach Frau Oberlins Tod irgend einen Lohn für ihre Dienste anzunehmen. Oberlin protestierte dagegen, aber Luise wurde zuletzt aufs Tiefste betrübt und schrieb ihm zu Neujahr 1793 nachstehenden Brief:

„Neujahr 1793. Lieber und zärtlicher Vater!

Erlauben Sie mir, dass mit dem Beginne des Jahres ich von Ihnen eine Gnade begehre, nach welcher ich schon lange trachte. Da ich nun ganz frei stehe, das heißt, da ich meinen Vater und dessen Schulden nicht mehr zu tragen habe, so bitte ich Sie, lieber Vater, versagen Sie mir die Gnade nicht, mich ganz zu Ihrem Kinde anzunehmen; geben Sie mir nicht den geringsten Lohn in Zukunft. Da Sie mich in Allem wie Ihr Kind halten, so wünsche ich es auch in dieser Hinsicht zu sein; ich brauche wenig zu meinem körperlichen Unterhalte; was einige kleinere Ausgaben verursachen könnte, sind Kleider, Strümpfe und Holzschuhe, und wenn ich solche bedarf, so werde ich es Ihnen sagen wie ein Kind seinem Vater. O, ich bitte Sie, lieber Vater, gewähren Sie mir diese Gnade und sehen Sie mich an als Ihr Ihnen treu ergebenes Kind.

Luise.“

Oberlin wollte in diesen Vorschlag, Luisen keine Entschädigung für ihre treu geleisteten Dienste geben zu sollen, durchaus nicht eingehen und glaubte eine List anwenden zu dürfen, um ihr doch von Zeit zu Zeit einiges Geld beizubringen. Er ließ in dieser Absicht, als von einem Freunde in Straßburg kommend, durch den Postwagen ein Geldpaket an Luisens Adresse senden. Doch diese erriet leicht den Hergang der Sache, nahm das Geld durchaus nicht an, und drückte in einem zweiten Briefe gegen ihren Herrn nochmals ihre innersten Gefühle aus. Er lautete also:

„Lieber Vater!

So wollen Sie mir also das einzige Vergnügen, das ich noch hatte, nehmen, das, Ihnen meine schwachen Dienste anzubieten, ohne. Bezahlung dafür zu nehmen. Ich wäre demnach weit von dem Ziele entfernt, das ich mir vorgesetzt habe, wenn ich noch ferner Lohn von Ihnen annehmen sollte, was mir jedesmal, wenn es geschah, das Herz bluten machte. O, dieses macht mir viele Mühe! Aber es scheint mir, lieber Vater, dass Sie nicht verstehen, was ich für Sie fühle, auch bin ich nicht im Stande, es Ihnen auszudrücken. Es ist doch hart, von Herzen zu lieben, ohne es durch die Tat zeigen zu dürfen. Ich bin mit sehr beklommenen Herzen Ihre sehr anhängige Luise.“

Von nun an wurde sie ganz und völlig als Kind im Hause angesehen. Ihre treue Hilfe ging neben ihrem Vater Oberlin wie ein sorgender Engel her.

Als Oberlin im Jahre 1811 von einer schweren Krankheit befallen wurde, die aller Kunst der Ärzte trotzend, sich steigerte, bis Gottes Barmherzigkeit allein handelte und den Pfarrkindern einen starken Beweis von der Wirksamkeit eines inbrünstigen Gebets gab – da wachte Luise Tag und Nacht um das teure Leben ihres Vaters. Im Jahre 1816 kam das schreckliche Hungerjahr, das auf dem Steinthale besonders schwer lastete eine einzige Kartoffel kostete fünf Pfennige, das Brot unerschwinglich teuer – da war’s Luise wieder, die mit ihrem durch die Liebe geschärften Auge auf Mittel zur Abhilfe sann.

Im Jahre darauf traf Oberlin ein neuer Verlust. Sein Sohn Heinrich, der Älteste, auf welchen des Vaters Geist übergegangen war und der zu großen Hoffnungen berechtigte, starb im blühendsten Alter. Immer einsamer wurde Oberlins Weg, immer armer in der Welt und reicher im Himmel. Aber Luise war auch hier die glaubensstarke Trösterin. „Heinrich ist glücklich,“ schrieb sie vierzehn Tage nachher, wir haben Kunde davon.“

Luise sollte aber bald noch ärmer werden. Ihr teurer Papa Oberlin stand schon im 86sten Jahre, müde und heimwehkrank. Schon mehrere Jahre zuvor hatte der geistverwandte Jung Stilling ihm ins Stammbuch geschrieben: „An den Prediger der Gerechtigkeit in der vogesischen Wüste! Leide du als ein guter Streiter Jesu Christi. Bald kommt’s zum Siege! Dann umarmen wir uns als Verklärte und freuen uns, so viel gelitten zu haben, freuen uns aber auch, dass uns so viel vergeben ist.“ Das Frühjahr 1826 sollte den Patriarchen ausspannen. Es war am 26. Mai, am Sonntage. Ein Fieberschauer überfiel ihn mit Ohnmacht und Bewusstlosigkeit, die die Tage durch abwechselnd mit lichten Augenblicken anhielten. Den Donnerstag, den ersten Juni, Morgens sechs Uhr, als sein alter Freund Legrand an sein Bette trat, sammelte er den Rest seiner Kräfte, zog mit seinen halberstarrten Händen das Käpplein vom silberweißen Haupt, faltete die Hände und blickte unverwandt nach oben. Sein Angesicht war wie eines Engels Angesicht. Bald darauf schloss er die Augen, und kurz vor elf Uhr war der treue Knecht daheim bei seinem Herrn. Tiefe Stille um sein Bett her, leises Weinen der Kinder, aber hinein in die Stille tönt eine jauchende Stimme: „O hochbeglückter Tag, o lang ersehnte Stunde!“ Es war das Triumphlied der Seele, die nebst den Kindern am meisten Ursache gehabt, den Verlust zu beweinen: unsere Luise. Sie war hingenommen von diesem Heimgang, ihr stand nur das Glück ihres Vaters vor Augen, seine Freude, nicht ihre Trauer. Sie gedachte des Wortes des Herrn, das ja auch uns beim seligen Heimgang der Unsern gilt: „Hättet ihr mich lieb, ihr würdet euch freuen, dass ich gesagt habe, ich gehe zum Vater.“ Sie hatten ihren Papa Oberlin selbst lieb, nicht sich in ihm wie wir so oft bei den Unseren tun, darum hat sie ihn nicht aufgehalten, auf die große selige Heimreise zu gehen, sondern war nur voll Freude, dass er sie antreten durfte. Das mag wohl Liebe heißen. Mit welchen Augen mochte sie den unabsehbaren Leichenzug begleiten, der sich zwei Tage darauf durch das Tal gen Fonday wand?

Wer möchte es nicht begreiflich finden, wenn von nun an auch ihr durch Mühe, Not und Entbehrung geschwächter Körper zusammengebrochen wäre, wenn sie ein Heimweh ergriffen hätte, von dem sie verzehrt worden wäre. Wenn sie sich nun überflüssig vorgekommen, nachdem ihr treuester Freund, ihr Berater und der Gegenstand ihrer Sorge daheim bei dem Herrn war? Aber so stand’s in Luisens starker Seele nicht geschrieben. Der Diener geht, aber der Herr bleibt. Sie diente dem Herrn in Oberlin, und der Herr stirbt nicht, noch der Dienst an den Seinen.

Oberlin hatte ihr in dem Testament, von dem wir gleich hören werden, ein gleiches Erbteil wie seinen Kindern vermacht. Aber sie nahm es nicht an; sie wollte das ohnehin kleine Erbe nicht schmälern. Sie bat sich aus dem Nachlasse Oberlins nur Eines aus: ihrem Namen fortan den ihres geistlichen Vaters beifügen zu dürfen und an seiner Seite begraben zu werden. Sie blieb im Pfarrhause zu Waldbach, als bestes Vermächtnis Oberlins, als der Schwiegersohn desselben sein Nachfolger ward. Mit dem Tode Oberlins aber schienen ihre Kräfte sich aufs Neue zu beleben; es war, als hätte er ihr nicht seinen Namen bloß, sondern auch seinen Geist zwiefältig hinterlassen. Sie hatte in den Abschiedsstunden Oberlins viel empfangen.

Mit neuer Kraft griff sie die hinterlassene Arbeit an. Ihre Kinderschulen mit ihren Pflegerinnen und den vielen Hunderten von Kindern hatten nun doppeltes Recht an sie. Ihre Patenkinder, deren sie nicht weniger als siebenundachtzig hatte, lagen ihr sehr am Herzen. Sie war keine von den Taufpaten, die ihr Amt mit einem silbernen Löffel und ein paar Worten abmachen. Sie schrieb jedem Kinde Patenbriefe, die noch heute als ein Familienheiligtum bewahrt werden, betete fleißig für die Kinder. Sie wusste, dass diese Kinder ein Anrecht an sie als eine zweite Mutter hatten. Die Pflege der Kranken und Armen ging fort; wiewohl schon im 63sten Jahre stehend, war sie Helferin, Arzt und Seelsorgerin zu jeder Tageszeit und Nachtstunde, und dabei immer fröhlichen und heiteren Geistes. Dabei hatte sie die Oberlinsche Stiftung zur Unterhaltung der Aufseherinen, welche zweimal in der Woche die Dörfer des Steinthals zu besuchen haben, zu verwalten, wie auch die gestiftete Leihkasse, deren gesegnete Errichtung vornehmlich auch ihr Werk war.

Ihr Lebensabend brach stark herein. Aber er sollte noch vergoldet werden, von einer Anerkennung, die freilich die demütige Magd nicht begehrt, die aber die ehrt, die sie ihr zu Teil werden ließen. Ehe wir daher von ihrem Dienstaustritt hören, hören wir noch von dem, über sie ausgestellten Dienst-Zeugnisse.

Drittes Kapitel. – Das Dienstzeugnis.

Oberlin hatte bei seinem Heimgange seinen Kindern ein versiegeltes Schreiben hinterlassen, dessen Inhalt hier folgt. Es ist datiert vom 2. August 1811, also wohl aus den Tagen jener zweiten schweren Krankheit Oberlins und befindet sich jetzt im Original in den Archiven des evangel. Consistorii zu Straßburg.

„Meine teuersten Kinder!

Indem ich Euch verlasse, vermache ich Euch meine treue Dienerin, die Euch erzogen hat die unermüdliche Luise. Die Dienste, die sie unserer Familie geleistet hat, sind unzählig. Eure gute Mama nahm sie, noch ehe sie das fünfzehnte Jahr erreicht hatte, zu sich. Aber schon zu jener Zeit erwies sie sich durch ihre Fähigkeiten, ihren Eifer und Fleiß als höchst brauchbar. Nach dem frühzeitigen Tode Eurer lieben Mutter wurde sie Euch eine treue Wärterin, sorgsame Lehrerin und eine zärtlich liebende Mutter, kurz Alles, und Alles zusammen aufs beste.

Ihr Eifer erstreckte sich noch weiter. Eine wahre Jüngerin des Herrn ging sie in alle umliegenden Dörfer, wohin ich sie sandte, die Kinder um sich zu sammeln, sie im Willen Gottes zu unterweisen, sie geistliche Lieder singen zu lehren, ihre Aufmerksamkeit auf die wunderbaren Werke des allmächtigen und gnädigen Gottes in der Natur zu lenken, mit ihnen zu beten, und ihnen alle die Kenntnisse mitzuteilen, die sie durch mich und Eure gute Mama erlangt hatte. Dies Alles war aber nicht das Werk eines Augenblickes, und die zahllosen Schwierigkeiten, die sich ihren heiligen Bestrebungen entgegensetzten, würden tausend Andere zurückgeschreckt und entmutigt haben. Einerseits war der wilde unbändige Charakter der Kinder zu bewältigen, andererseits das Patois3Mundart, Sprechweise der Landbevölkerung auszurotten. Um sich den Kindern verständlich zu machen, musste sie zwar mit ihnen in ihrer Sprache reden, aber dann alles Gesagte wieder ins Französische übersetzen. Eine dritte Schwierigkeit boten dann die Wege dar. Allein weder Felsen noch Gewässer, weder Stürme noch Regengüsse, weder Hagel noch Kälte, weder Schneefall noch, eingeschneite Wege nichts hielt sie zurück. Und wenn sie Abends erschöpft, durchnässt und vor Kälte erstarrt zurückkam, besorgte sie doch noch meine Kinder und mein Hauswesen mit gewohnter Sorgfalt. So opferte sie meinem Dienste und dem Dienste Gottes nicht nur ihre Zeit und ihre Gaben, sondern auch noch ihre eigene Person und ihre Gesundheit.

Gegenwärtig, und zwar seit mehreren Jahren, ist ihr Körper ganz zerstört, teils durch die übergroßen Anstrengungen, teils weil sie allzu oft und plötzlich aus der Kälte in die Wärme und aus der Wärme in die Kälte überging und oft bis an die Hüfte im Schnee watete, wobei manchmal ihre durchnässten und dann gefrornen Kleider beim Gehen ihre Kniee bis aufs Blut verwundeten. Ihre Brust, ihr Magen, kurz Alles an ihr ist zerstört, und sie kann jetzt fast nichts mehr ertragen.

Ihr werdet vielleicht sagen, dass sie hierfür durch den guten Lohn, den ich ihr gegeben, entschädigt wurde. Nein, liebe Kinder, nein! Wisst, dass seit dem Tode Eurer lieben Mama ich sie niemals bewegen konnte, den geringsten Lohn für ihre Dienstleistungen anzunehmen. Sie verwendete das Pachtgeld von ihrem kleinen Erbgute zu wohltätigen Zwecken und nahm nur als Geschenk zuweilen ein Kleidungsstück von mir und meinem Vorrate an, den ich doch ihrer Sparsamkeit und Treue verdanke. Urteilt selbst, liebe Kinder, welche Schuld Ihr gegen sie um der Euch und mir geleisteten Dienste willen abzutragen habt, und wie wenig Ihr jemals im Stande sein werdet, sie völlig heimzuzahlen. Eure Krankheiten und Schmerzen, so wie die meinigen, wie viele schlaflose Nächte, wie viele Angst und Sorge haben sie derselben nicht gekostet.

Noch einmal, ich vermache sie Euch. Ihr werdet durch Eure Aufmerksamkeit und Sorgfalt, mit der Ihr Euch ihrer annehmt, beweisen, ob Ihr den letzten Willen eines Vaters ehrt, der stets bemüht war, Euch die Gefühle der Dankbarkeit und Wohltätigkeit einzuflößen. Doch ja, ja, Ihr werdet meine Wünsche erfüllen, Ihr werdet Eurerseits, Alle insgemein und Jedes insbesondere, das für sie sein, was sie für Euch war, so weit es Eure Mittel und die Umstände gestatten.

Ich befehle Euch Gott und dem Worte seiner Gnade, meine lieben Kinder. Euer Papa J. F. Oberlin.“

Dies Zeugnis Oberlins, dem sie täglich unter den Augen wandelte, wiegt freilich hundert andere Zeugnisse auf. Aber es konnte nicht fehlen, dass nicht auch Anderer Augen auf das schlichte, treue Mädchen von Bellefosse fielen. Es war einst durch einen Grafen von Monthyon ein Tugendpreis gestiftet worden, welcher durch die französische Akademie in Paris verteilt werden sollte. Luise sollte als Preisträgerin vorgeschlagen werden. In dem Berichte über sie hatten die Pfarrer im Steinthal und der Fabrikherr Legrand über sie gesagt: „Indem wir Ihnen Luise Scheppler aus Bellefosse bezeichnen, haben wir Ihnen keine einzelnen bemerkenswerten Züge zu schildern, wohl aber ein ganzes, dem Dienste aller christlichen Tugenden gewidmetes Leben.“

Das Urteil und Zeugnis des General-Consistoriums und Direktoriums lautete:

„Das Directorium und General-Consistorium der Augsburger Konfession bezeugt, dass die in dem Bericht über Luise Scheppler angeführten Tatsachen allgemein bekannt sind. Dieses außerordentliche weibliche Wesen hat im Verlaufe von 47 Jahren, die sie dem Unterrichte der Jugend und dem Troste der Unglücklichen widmete, ausgezeichnete Eigenschaften entwickelt; ihre Frömmigkeit, ihre Tugenden und ihr für das Menschenwohl unermüdlicher Eifer werden in der Gegend, welche die Vorsehung ihrer Tätigkeit angewiesen hat, in stetem Andenken bleiben.

Straßburg, den 10. März 1829.
Der Präsident des General-Consistoriums und Directoriums. Graf Türkheim.“

Noch ehrender aber ist, was der berühmte Gelehrte Baron Cuvier zu ihrem Ruhme sagte. Nachdem er sich in längerer Rede über den Zweck des Tugendpreises, seine Zweckmäßigkeit und Berechtigung ergangen und gezeigt hatte, wie es wohl der Sinn des edlen Stifters gewesen, durch die Darreichung des Preises den Gefrönten damit neue Hilfsquellen zur neuen Betätigung der Liebe zu reichen, schloss er: „Ich weiß nicht, ob Jungfrau Scheppler schon in Kenntnis gesetzt ist, dass die Akademie ihr den Preis zuerkannt hat, aber das ist gewiss, dass sie ihn nicht annimmt, da Alle, welche sie kennen, schon vorher wissen, welchen Gebrauch sie davon machen wird.“

Er hatte sich nicht getäuscht. In welchem Sinne sie denselben annahm, hören wir aus dem Briefe an Madame Treuttel in Paris, die ihr eine Abschrift der Urkunde übersandt hatte, wonach sie den großen Tugendpreis von 5000 Francs erhielt.

„Hochgeehrteste und teuerste Frau!

Ich ergreife die Feder, um auf Ihr gütiges Schreiben vom 18. August d. J. zu antworten. Ja, teure Madame, ich bin erstaunt über die barmherzige Hand Gottes, die sich so gnädig über mich ausgebreitet. Niemals, nein, niemals bin ich meiner selbst wegen darauf gesteuert, Glücksgüter zu besitzen; aber oft, o wie oft! habe ich mich danach gesehnt, im Stande zu sein, die Lage derer zu erleichtern, die in Armut und Elend schmachten. Dieser großmütige Zuschutz wird mich in den Stand sehen, viele Bedürftige zu unterstützen. Zuerst eine arme Witwe, deren Kartoffelernte missraten, und der es selbst bei der äußersten Sparsamkeit unmöglich ist, die Miete für ihre Hütte zu bezahlen, die überdies notwendig ausgebessert werden muss. „An wen soll ich mich wenden?“ hatte sie mich oft, in Tränen ausbrechend, gefragt; ich muss meine Hütte verlassen. O, wenn der teure Papa noch am Leben wäre!“ „Der allmächtige Vater ist nicht tot“, pflegte ich ihr zu entgegnen, und er ist reich an Mitteln und kann all‘ unsere Not wenden.“ Sie sehen, teure Frau, dass, nachdem ich so manches Jahr die Gehilfin und Almosenpflegerin unsers ehrwürdigen Papas war, ich nicht unempfindlich für die Bedürfnisse meiner Mitmenschen geworden, sondern wahrhaft dankbar bin, dass mein teurer Heiland mir am Ende meines Lebens noch die Freude vorbehalten hat, denselben Hilfe leisten zu können. teure Frau, 5000 Franken, das ist viel, ja, das ist viel; allein Sie sehen, dass ich noch einmal so viel verwenden könnte rc.“

Sie fügt dem Kapital noch von dem Eigenen hinzu, um es für wohltätige Zwecke zu verwenden. Da hätte man doch manch anderes Menschen-, ja vielleicht auch Christenkind den Kopf in die Höhe gehoben bei solcher Anerkennung. Aber sie war wie die volle Ähre, die ihr Haupt beugt und senkt. Je begnadigter, desto demütiger. Als auf Veranlassung der Zuerkennung des Tugendpreises der „Niederländische Kurier“ vom 6. September 1829 Veranlassung genommen, der Einrichtung der Kleinkinderschulen Erwähnung zu tun, und dabei u. A. zu sagen: „Die Ehre einer Idee, die schon so reichliche Früchte getragen hat, und bald überall eingeführt sein wird, gebührt ganz allein der Luise Scheppler, einer armen Bäuerin aus Bellefosse; sie hat dieser Idee ihr kleines Vermögen, ja noch mehr, ihre Jugend und Gesundheit geopfert.“

Kaum hatte Luise diesen Artikel gelesen, als sie sofort an das Exemplar dieser Zeitung, das in Waldbach zirkulierte, ein Papier mit folgenden Zeilen heftete: „Ich bitte die Leser dieses Artikels in Erwägung zu ziehen, dass diese Ehre der seligen Frau Pfarrer Oberlin gebührt, welche ihre Augen auf mich warf und mich in ihre Dienste nahm; dass hauptsächlich ihr Beispiel und ihre Ermahnungen mir den Sinn fürs Schöne und Gute, sowie die Liebe zur Tugend und die Ergebenheit gegen meinen Herrn und Heiland eingeflößt haben, und dass unser würdiger Pfarrer und Papa Oberlin lange Zeit damit umging, Vorsteherinnen zu bilden, um sodann die Jugend durch sie unterrichten zu lassen und dass, als es endlich zur Ausführung kam, ich nicht einmal eine der ersten gewesen bin, denen dieses eben so wichtige, als nützliche Geschäft übertragen wurde. Also Ehre und Ruhm dem Herrn, unserm Gott, dem Urheber und der Quelle aller Tugenden, Dank und Anerkennung unserm lieben und verehrten, selig verstorbenen Pfarrer und Papa und seiner tugendhaften Gattin. Mir aber Beschämung!“

So war sie was sie war ganz; und eben diesem ganzen Leben galt dies Ehrenzeugnis. Es ist etwas Anderes in begeisternder Zeit aus begeistertem Herzen eine große, begeisterte Tat zu tun und ein Anderes ist’s, ein 73jähriges Leben hinzubringen im stillen verborgenen Dienst, in täglicher Überwindung und Selbstverleugnung, in Heiligung des Sinnes, in Werken, die Niemand sieht, als der ins Verborgene blickt. So durfte sie mit Ehren gekrönt, aber von dem Herrn ihre wahre Ehre erwartend, eingehen zur Ruhe.

Viertes Kapitel. – Der Dienstaustritt.

Sie war längst gerüstet und hatte den Bündel geschnürt zur großen Reise. Ihr Testament war fertig; sie hatte noch über die 5000 Franken und den Rest ihres kleinen Vermögens zu Gunsten wohltätiger Stiftungen verfügt. Ihr Leichenhemd hatte sie sich selbst schon längst genäht. Sie stand an dem Schlagbaum der siebenzig und achtzig, davon Mose, der Mann Gottes, im 90sten Psalm singt; in ihrem Heiland hatte sie Vergebung und Frieden so konnte der Tod kommen. Der kam auch, aber es war keiner. Sie schlief 74 Jahre alt, sanft und süß ein, wie ein Kind in Mutterarmen. Es war am 25. Juli 1837. 58 Jahre lang war sie Magd gewesen. Nun durfte sie ihr Jubiläum droben feiern. Nach ihrem Wunsch wurde sie zu Häupten ihres Papa Oberlin bestattet. Auf den Armen des eisernen Kreuzes steht: Luise Scheppler. Ihr Grabstein hat Joh. 17, 10 zur Umschrift: „Alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, ist mein, und ich bin in ihnen verklärt.“

Die Inschrift aber lautet:

„Hier ruhen die sterblichen Gebeine der Luise Scheppler, geboren zu Bellefosse den 4. November 1763, gestorben zu Waldbach den 25. Juni 1837. Eine treue Magd und Gehilfin des Papa Oberlin, eine christlich demütige Führerin der Jugend, seit dem Jahre 1779.“

Da ward noch einmal erlebt, was zu Joppe geschah an Tabeas Sarge: viele Arme und Witwen weinten, die sie getröstet, denen sie Kleider und Felle gemacht. Besonders ergreifend war der Brief, das Abschiedsschreiben, von dem sie gewünscht hatte, es möchte der Gemeinde nach ihrem Tode am Begräbnistage vorgelesen werden. Es lautet:

„Seit einiger Zeit habe ich eine Ahnung, dass bald der Herr mich von dieser Welt abrufen wird; daher habe ich beschlossen, hier meine letzten Wünsche niederzuschreiben.

Seit vielen Jahren schon habe ich zu meinem Leichentext die Worte unsers lieben Erlösers gewählt Luk. 17, 10: „Wenn ihr Alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Ich bitte unsern lieben Herrn Pfarrer, sich daran zu halten und kein Wort des Lobes über meinen Lebenslauf zu sagen. Denn Paulus sagt 1 Kor. 4,7: Was hast du, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich, als der es nicht empfangen hätte?“

Gott also, Seiner Ehre, Seiner Macht, soll Alles zugeschrieben werden, was wir durch Seine Gnade empfangen haben. Denn was sind wir ohne den Beistand Seines Geistes? Wie sollten wir uns loben und rühmen, da ja Alles, was wir vermögen, was wir besitzen, unser ganzes Leben ein Geschenk der Gnade Gottes ist, und ich kann nur mit dem Zöllner ausrufen: „Gott, sei mir Sünder gnädig, und nimm mich an durch deine Barmherzigkeit.“

Ich sage Lebewohl allen meinen Wohltätern und Wohltäterinnen; der Herr segne sie und lohne ihnen in der Ewigkeit für das Gute, das sie an mir getan, und für die Sorgfalt, die sie mir erwiesen haben.

Ich sage Lebewohl allen unseren Freunden und Freundinnen, allen unseren Nachbarn; ich danke ihnen für die Gefälligkeiten, die sie mir immer erzeigt haben, allen meinen Neffen und Nichten; ich bitte sie, das Leben in Christo zu suchen; allen meinen Paten sage ich Lebewohl bis zum großen Wiedersehen, wo ich sie in der glückseligen Ewigkeit wieder zu finden wünsche.

Und Ihr, meine lieben Kinder aus der Strickschule in Waldbach und in der ganzen Gemeine, Euch sage ich Lebewohl; ich verlasse. Euch, aber körperlich nur; denn ich werde fortfahren, den Herrn zu bitten, Euch zu segnen und Euch alle zu sich zu ziehen. Denkt oft an Eure Luise, die Euch sehr geliebt hat. Ich werde fortfahren, den Herrn zu bitten, Euch für die Person, die mich ersetzen wird, dieselbe Liebe, dieselbe Ehrfurcht und denselben Gehorsam einzuflößen, die Ihr mir erwiesen habt. Ja, tut es, liebe Kinder; ich werde mich in der Ewigkeit dessen freuen.

Lebe wohl zuletzt, du ganze Gemeine! O wie gern möchte ich unserm seligen Pfarrer und Vater, wenn ich ihn dort sehe, gute Nachrichten bringen können von seiner Gemeine, die seinem Herzen so teuer war. Aber ach! …. O Herr Jesu, der Du gekommen bist, zu suchen, was da verloren ist, führe durch Deine Gnade und Deine unendliche Barmherzigkeit alle verirrten Schafe unserer Gemeine zurück; erweiche die Herzen; nimm weg diesen traurigen Leichtsinn und diese Gleichgültigkeit gegen Dein Wort und Deinen Unterricht!

Führe, o führe, Herr Jesu, führe zum Leben alle lebendig Toten unsrer Gemeine. Amen! Amen!

Und Ihr, liebe Freundinnen, Vorsteherinnen, jetzt, da ich Euch verlasse bis zum großen Wiedersehen, möchte ich Euch bitten die Geduld nicht zu verlieren, sondern Euren Mut, Euren Eifer und Eure Treue zu verdoppeln, um dieser jungen Herde den Weg der Weisheit und der Tugend zu weisen, diese zarte Jugend zu unserm guten Erlöser, dem großen Kinderfreunde, hinzuleiten. Sucht ihnen besonders Abscheu gegen die Lüge, das Fluchen, den Ungehorsam und die Laster und Sünden aller Art einzuflößen.

O liebe Freunde, Ihr Alle, die Ihr berufen seid zum Unterrichte der Jugend, der Herr hat Euch ein edles und mühsames Amt auferlegt, möchtet Ihr es versehen zu Seiner Ehre und Seinem Preise bis zur Zeit der Ernte.“

Ein Enkel Oberlins aber rief ihr am Sarge die Worte nach:

„Meine Brüder! Ich trete an diesem Tage unter Euch, um eine Pflicht kindlicher Ergebenheit gegen unsere gute, teure Luise zu erfüllen. Sie ist nun eingegangen zur Ruhe, nach welcher ihre Seele Verlangen trug. Sie schaut nun Den, den sie liebte und an den sie glaubte, sie schaut nun mit heiligem Entzücken den Heiland, der sie mit seinem teuern Blute erkauft hat. Wir sind heute hier nicht beisammen, ihren Verlust zu beklagen, sondern uns an ihrer Freude zu erfreuen.

Sie ist selig! Niemals konnten diese Worte mit bestimmterer Zuversicht ausgesprochen werden; und gewiss ist Keiner unter uns, der nicht ausrufen möchte: Lass mich den Tod dieser Gerechten sterben. Aber hüten wir uns, über die Ursache ihrer Seligkeit uns zu täuschen, oder unsere Hoffnung auf einen falschen Grund zu bauen. Haben wir Acht, dass wir nicht dem Geschöpf die Ehre geben, die einzig dem Schöpfer und dem gnädigen Erlöser unserer Seelen gebührt. Lassen wir uns nicht so sehr durch die Werke blenden, dass wir darüber Den vergessen, der allein das Wollen und Vollbringen geben kann. Unsere teure Hingeschiedene trüge wenigstens nicht die Schuld eines so traurigen Irrtums. Ich rufe hierfür zu Zeugen auf alle diejenigen, welche sie gekannt haben. Ihr wisset, dass sie niemals duldete, dem Herrn die Ehre zu entziehen, die ihm allein gebührt.

Ihr wisst, dass sie sich niemals eines Andern, als ihrer Schwachheit rühmte, und nie sich schämte, ihre Mängel und Fehler einzugestehen, und dass sie alles Gute, das zu tun ihr vergönnt war, nur der Gnade Jesu Christi zuschrieb.

Lasst uns daher bei diesem Grabe Christum preisen, gleichwie er durch das Leben dieser unsrer vielgeliebten Schwester und Mutter gepriesen ward. Sie war freilich eine Sünderin, gleich wie wir. Gleich uns ermangelte sie alles Ruhmes vor Gott; allein sie hatte vernommen die frohe Botschaft, dass Jesus Christus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, und sie nahm diese Botschaft mit Freude und Zuversicht auf. Sie hatte sich ihrem Erlöser zu Füßen geworfen mit dem tiefen Gefühle ihrer Sündhaftigkeit und geistigen Armut. Darum hatte sie Gnade gefunden; darum rief der Herr, der von Herzen sanft und demütig ist, ihr zu: Stehe auf, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben. Darum ward sie bekleidet mit dem Rocke der Gerechtigkeit und würdig befunden, vom Tode zum Leben einzugehen.

Ihre Werke, ihr reines und heiliges Leben, ihre viel erprobte Hingebung, ihre Liebe, ihr Eifer waren nur die Frucht, nicht den Grund ihrer Erlösung, eine zweite aus der ersten sich ergebenden Gnade, das Siegel, das der Herr den Seinigen aufdrückt, zur Unterscheidung von denen, die ohne wahren Glauben nur mit dem Munde und mit den Lippen ihm dienen, während ihr Herz fern von ihm ist.

Obwohl wir, meine Brüder, arme unwürdige Sünder sind, so könnten wir doch dasselbe leisten, was die Entschlafene geleistet hat, wenn wir nur den nämlichen Glauben, das nämliche Vertrauen zu dem Erlöser, die nämliche Demut hätten. Wenn wir so weit hinter ihr zurückstehen, so hat dies nicht darin seinen Grund, weil wir etwa weniger natürliche Kräfte haben, oder weil uns Gottes Hilfe fehle; sondern weil wir nicht genug durchdrungen sind von unserer eigenen Untauglichkeit und Unwürdigkeit; weil wir nicht klein genug sind in unseren Augen, und uns demzufolge nicht mit genug Hingebung zum Fuße des Kreuzes werfen. Wir glauben wohl, aber wir glauben mehr mit dem Gedächtnis und mit dem Verstand, als mit dem Herzen. Wir suchen wohl den Herrn, aber wir ergreifen ihn nicht, wie der Schiffbrüchige sich an das Brett klammert. Wir erfassen nicht seine Hand wie der, welcher fühlt, dass er ohne sie in den Abgrund sinkt. Wir lieben wohl Christum, aber ach! unsere Liebe zu ihm ist so kalt, so eisig, so zurückhaltend, so äußerlich, allezeit voll Besorgnis, zu viel zu tun, während wir für viele andere Dinge voll Eifer und Begierde sind.

Muss uns, meine Brüder, nicht das Beispiel unsrer guten Luise beschämen und demütigen? Sie ist zwar nicht mehr unter uns, diese gläubig-fromme Magd Gottes, deren Anblick schon erbaute und deren Worte alle eine lebendige Predigt des Heilands waren, aber wir besitzen etwas Besseres als ihre Person. Wir dürfen nur zu der lebendigen Quelle gehen, woraus sie selber Alles schöpfte, was wir an ihr bewundern und lieben. Hat nicht der Herr verheißen, bei den Seinigen bis an der Welt Ende zu sein? Erbietet er sich nicht, uns täglich nehmen zu lassen aus seiner Fülle Gnade um Gnade? Der huldvolle Erlöser wartet nicht ab, bis wir zu ihm kommen, er klopft selber an die Tür unserer Herzen und bittet uns, das Lösegeld anzunehmen, das er bezahlt hat, uns die Kindschaft damit zu erwerben. Lasst uns seine Stimme nicht verachten. Lasst uns seine barmherzigen Arme nicht vergebens nach uns ausstrecken. Lasst uns die Früchte seines Leidens und Sterbens nicht mit Füßen treten. Wir haben ihm zum Ersatz für sein teures Blut, womit er uns erkauft hat, nur ein von Sünden beflecktes Herz anzubieten, und wir sollten zögern, diesen glückseligen Tausch einzugehen, und nicht eifern, uns von ihm ein durch sein Blut gereinigtes und durch seinen Geist geheiligtes und zu seinem Bilde verklärtes Herz geben zu lassen?

Wir sehen in dieser von Gott so hochgesegneten Gegend so viele auffallende Beweise der Gegenwart Gottes, so viele Wunder seiner Gnade, so manches strahlende Zeugnis seiner auf das Herz des Sünders so wirksamen Macht, sollen wir vergeblich Zeugen so großer Dinge gewesen sein? Sollen wir nicht den heiligen Wink in uns fühlen, uns unter das Volk Gottes einzureihen, und unter die Zahl der Gerechten und Auserwählten zu gehören, die ihre Kleider im Blute des Lammes gewaschen haben?

Sollten wir, die wir die große Lücke beklagen, die der Tod unserer guten Luise unter uns zurücklässt, nicht den Herrn bitten, in uns sich neue Werkzeuge seiner Barmherzigkeit zu erwecken, und über Jeden unter uns ein reiches Maß jenes Geistes auszugießen, den er über seine demütige Magd ausgegossen hat? Gott! mit dem tiefsten Gefühle unsrer eignen Unwürdigkeit, unsres gänzlichen Verderbens, unserer verzweifelten Entfremdung von dir, rufen wir zu dir: Habe Erbarmen mit uns. Wenn du willst, so werden wir gereinigt; wenn du willst, so sehen unsere Augen, so wandeln unsere Füße den Weg deiner Gebote, und unser Mund öffnet sich zum Ruhme deines herrlichen Namens, und unsere Worte preisen dich. Dir ist nichts unmöglich, o unser Gott; so hauche denn mit deinem Odem diese Totengebeine an, siege über den Widerstand unserer Seelen, und gib, dass hier und überall sich jedes Knie beuge im Namen deines vielgeliebten Sohnes, und dass hier und überall alle Zungen bekennen, dass Jesus der Herr sei, zu seinem Ruhme und zum Heile Aller! Ihm aber, der uns zuerst geliebt hat, der uns erlöste durch sein Blut, sei Lob und Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!“ Ich schließe.

Über dem Grabe des größten Mannes, des größten Helden kann nichts Größeres gesagt werden, als über dem Grabe dieser demütigen, frommen Magd:

„Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen.“

Mögen denn diese beiden Bilder, Pfarrfrau und Pfarrmagd, an den Häusern, vornehmlich auch an Pfarrhäusern, anklopfen und freundlichen Einlass erhalten. Wer aber von uns zum wunderschönen Straßburg zieht und dort in St. Laurentius‘ Kapelle im Münster steht, der gedenke an Frau Catharina Zell; und wer hinaufgeht ins raue Steinthal und dort zu Fouday an dem Grabe Oberlins steht, der weile auch ein wenig am Grabe der Luise Scheppler und gedenke des Wortes:

„Welcher Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach!“

Katharina Zell

Erstes Kapitel – Straßburg, Du wunderschöne Stadt.

Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt!

Wer kennt sie nicht, und wer sie kennt, wer liebt sie nicht? Das alte Lied hat wahrhaftig Recht, und nicht bloß deswegen, weil darinnen so mancher Soldat begraben liegt. Glüht das Münster im Abendsonnenstrahl und läuten die tiefen Glocken hoch vom Turm, dem Meisterwerk Erwins, da will’s über ein deutsches Herz wie Wehmut kommen und das Auge muss den Tränen wehren. Der einst gesungen vom Straßburger Münster und seiner Herrlichkeit, dem ist’s auch gegangen wie schon vielen Tausenden und hat gesagt, was die Anderen fühlten, aber nicht sagten:

Und tönen uns Sehnsuchtslieder
Herüber über den Strom,
Es ist der Bauherr, Brüder,
Er läutet in seinem Dom.
Er läutet wehmutschaurig,
Stimmt deutsches Herz so traurig,
Er läutet mit flammender Hand,
Er ruft sein Vaterland!

Und doch muss sich ein deutsches Herz jetzt zu trösten wissen und die Zeiten und Dinge nehmen, wie sie geworden sind. Deutschland hat von jeher von seinem Herzblut hergeben müssen, damit andere Nationen Kraft und Leben erhielten, die sonst dem Tode verfallen wären. Ein Christenmensch aber, der von einem lebendigen Gotte weiß, der den Nationen Ziel und Grenze gesteckt, wo und wie weit sie wohnen sollen, hat eine andere Politik, als andere Leute, und kann auch, trotz aller Wehmut, sich die Stadt Straßburg anschauen, und sich all‘ des Guten freuen, das sie einst gehabt und noch besitzt.

Wir sind mit der Geschichte Catharina Zells mitten in der Reformationszeit, in welcher Straßburg eine hervorragende Stellung einnimmt. Schon in früherer Zeit ein Römersitz, Argentoratum, die Silberstadt genannt, hatte auch das junge Evangelium dort wie die Schwalbe ihr Nest gebaut. Aber der Hunnenkönig Attila hatte schrecklich aufgeräumt. Frische Christen, darunter der Fürstensohn Offo, waren darum gekommen, sich des versprengten Volkes und der verlassenen Kirchen anzunehmen, und bald blühten Kirchen, Klöster und Schulen auf. Die Bischöfe zu Straßburg standen unter dem Erzbischof von Mainz, und wurden von den Kaisern eingesetzt, und blieben mit der Stadt in den heißen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser immer auf des letzteren Seite. Bischof Wernher II. war es, der mit andern Bischöfen das Absetzungsdekret gegen den Papst Hildebrand (Gregor VII.) aussprach; er hielt zu dem gebannten unglücklichen Kaiser Heinrich IV. und riet ihm, die zu Canossa widerfahrene Schmach, da er barfuß im Schnee stehend den Papst um Vergebung bitten musste, abzuwaschen und seine Kaiserwürde zu wahren. Mit den Mönchen, die sich dem Kaiser nicht fügen wollten, ging der Bischof hart um. Der Bischof starb, aber seine Nachfolger arbeiteten im selben Geist. Sie traten dem Verbot der Priesterehe entgegen: die Priester waren zum größten Teil verheiratet; lange nachdem der Papst schon das Verbot der Ehe hatte ausgehen lassen, wurden immer wieder neue Priesterehen geschlossen, die straßburgische Bürgerschaft hatte sich offen dem päpstlichen Verbot der Priesterehe widersetzt und Bürger- und Priesterschaft standen zu Rom im bösen Geruch ungehorsame Kinder der Kirche zu sein. Endlich wurde von Rom der Bann über die Stadt geschleudert; die Glocken schwiegen, die Kinder wurden nicht getauft, noch Abendmahl gefeiert. Da bestellte der Rat der Stadt fromme Männer, die die Kindlein taufen und den Sterbenden das Sakrament reichen sollten. Auch etliche Geistliche verrichteten trotz des Bannes ihr Amt. So war schon von Alters her, noch ehe man an Reformation dachte, zu Straßburg ein gut protestantischer Boden, und vielleicht wäre schon früher ein für Rom gefährliches Feuer ausgebrochen, wenn nicht eine Bewegung entgegengesetzter Art entstanden wäre.

Ums Jahr 1094 kam aus dem Kloster Lutterbach im Oberelsass Pfaff Mangold, ein hochbetagter Greis, durch Fasten und Büßungen abgemagert, im silberweißen Haar und mit dunkeln, von unheimlichem Feuer glühenden Augen, predigte er dem Volke von der Sündlichkeit der Priesterehe, beschuldigte den Kaiser der Sünde wider den heiligen Geist, weil er sich gegen den Papst sehe, erklärte es für eine Todsünde, für gebannte Leute und Priester zu beten und erklärte ohne Weiteres, dass es keine Sünde sei, Widersacher des Papstes totzuschlagen. Zu seiner Predigt, die dem gemeinen Mann, der allezeit gern „Entschiedenes“ hört, mundete, kam noch der Schrecken einer entsetzlichen Seuche, die verheerend durch Deutschland zog. Das Volk sah darin das Strafgericht, das dem päpstlichen Bann den Nachdruck gab. „Pfaff Mangold hatte sich indes noch mit Ablassbriefen vom Papst versehen und zog nun“, laut einer alten Chronik, „im Land herum, hörte Beicht und absolvierte Tausend in einer Viertelstund“, und war folgendes die Beichte: „Ob sie bekennen, dass sie Ketzer seien und wieder zur Kirche zurückkehren wollten; dass der Kaiser Heinrich IV. kein rechter Kaiser sei; der Papst aber ein Herr über alle Welt, geistlich und weltlich Schwert von St. Peter habe und als rechter Kaiser Macht habe das Kaisertum zu geben, dem er wolle.“ Hatten sie Ja gesagt, so machte er ein Kreuz über sie und sie waren absolviert; danach wurde den ganzen Tag Beichtgeld eingesammelt. Der Kaiser Heinrich IV. erwischte ihn einst auf seinen Zügen und ließ ihn in den Käfig sperren; aber er gab Niemandem ein gut Wort, nahm stets und gab Niemand was, also dass ein Sprichwort in Straßburg ging: „Du bist kostfrei wie Pfaff Mangold, der sott einmal ein Ei und gab die Brüh‘ um Gott’s willen.“

Trotz dieser Bewegung, die einen großen Teil des Volkes für den Papst gestimmt hatte, wurde noch von Seiten der höheren Geistlichkeit und der Bürgerschaft der Widerstand fest gehalten. Aber Rom wusste den Widerstand zu brechen: einen Bischof nach dem andern gewann es einzeln durch Versprechen; der letzte, der am Oberrhein Stand hielt, war der straßburgische Bischof Bruno, ein unbeugsamer, unbescholtener Mann von lauterster Gesinnung. Dreimal vom päpstlich gesinnten Kaiser verjagt, dreimal vom Papste gebannt, ließ er dennoch die Priester heiraten und antwortete dem päpstlichen Legaten kurz vor seinem Tod: „Er wolle vor Gott eher den Ehestand, denn die Unsittlichkeit seiner Priester verantworten; man möchte ihn, einen alten Mann nicht weiter bedrängen, ihn vom Banne lossprechen und ruhig sterben lassen.“

Das war der letzte unabhängige Bischof. Nach ihm empfing Bischof Gebhard, ein geschworner Feind der Hohenstaufen, die Weihe, der mit aller Strenge die päpstlichen Gesetze durchführte, die verheirateten Priester, die sich nicht scheiden lassen wollten, mit einer Entschädigung absetzte und es für Sünde erklärte, bei einem verheirateten Priester Messe zu hören. Die Kreuzzüge, dieser große Blitzableiter Roms, der die Geister vom Kampf gegen Rom nach dem Morgenland lockte, die feurigen Predigten Bernhards von Clairvaux, dazu eine große, von einem Priester angeregte Judenverfolgung, das Alles nahm dem Volk das Interesse an dem, was gerade höchst nötig im eigenen Hause gewesen. wäre. Nun war es auch aus mit der Eintracht, in welcher Bischof und Stadt gestanden. Fehde auf Fehde drängte sich zwischen beiden, und endlich zog der Bischof aus der Stadt und nur das Dom-Kapitel blieb unter dem Schutze des Kaisers zurück.

In den trutzlichen Bürgern von Straßburg lebte aber der Freiheitssinn fort. Sie waren was sie hießen: Bürger einer freien Reichsstadt. Als ein Bischof einst ihre Rechte antasten wollte, setzten sie ihn ohne Weiteres gefangen, kümmerten sich wenig um des Papstes Bann, hielten zum Kaiser und erklärten durch ihren Ammeister: „Sie glaubten nicht, dass der gebannte Kaiser selig ein Ketzer gewesen und würden den allezeit für den Kaiser halten, den die Kurfürsten erwählten, auch wenn der Papst ihn nicht bestätigte.“ Es ist dem nicht also, wie man vielfach meint, dass die römische Herrschaft so ohne Widerspruch im Mittelalter durchgeführt worden, als habe es damals nichts als feile Knechte unter Priester und Volk gegeben. Gerade die freien Reichsstädte sollten durch den Sinn der Bürger der Herd der Reformation werden. Aber freilich der Freiheitssinn macht’s noch nicht allein, und nur wen der Sohn frei macht, der ist recht frei. Bis es dazu kam, gings noch durch schweren Kampf.

Schon kamen Waldenser aus den Bergen nach Straßburg und eine Menge Volks fiel ihnen zu; dem Bischof ward bange, so viele Anhänger zählten sie schon. Um ihrer Herr zu werden, brachte er die Dominikaner mit im Jahre 1210 und ließ durch diese „Hunde des Herrn“ (wie sie sich selbst nannten nach einer schlechten lateinischen Übersetzung) die Ketzer aufspüren. Man fand ihrer über fünfhundert in Straßburg, Männer und Frauen, sehr viele von Adel, auch Priester. Die Leute waren so bibelfest und tadellos im Wandel, dass Niemand ihnen etwas vorwerfen konnte. Anfangs verfuhr der Bischof gelind, danach strenger, und viele kehrten nach schwerer Buße wieder zum alten Irrtum zurück. Nur achtzig Personen, darunter Adlige und Priester, blieben treu. Der Priester Johannes war ihr Mund, und als er nicht widerrufen wollte, ward er der weltlichen Obrigkeit mit seinen Gefährten zum Feuertod übergeben. Auf der kaiserlichen Pfalz ward ihnen das Urteil verlesen; die Freunde baten unter Tränen, doch zu widerrufen; aber sie blieben standhaft, sangen Psalmen, beteten zu Gott, sagend, sie könnten Gottes Wort nicht verlassen, und gingen alle achtzig willig ins Feuer.

Die Leute verbrennt man, aber die Wahrheit nicht. Es gibt keine Wahrheit wider die Wahrheit. Später finden sich wieder neue Anhänger, darunter ein angesehener Schöffenmeister, der auch den Feuertod leidet. Als der Ketzermeister Torso, der sich die Erlaubnis erwirbt jeden Verdächtigen einzufangen und die Hälfte seiner Güter für sich zu nehmen, endlich erschlagen wird, wird auch der Magistrat der Stadt des ewigen Brennens müde und befiehlt: „mit Lehren das Volk zu unterweisen und nicht stracks die Leute zu verbrennen, die nit wüssten, was der Ketzer Glaube wäre“. Hörte auch der offene Widerspruch auf gegen Rom, so fanden sich im Stillen, auch unter dem Festhalten am Äußerlichen der Kirche, noch allenthalben evangelisch gesinnte Leute. Als die Stadt wieder vom Papst in den Bann getan ward, weil sie es mit dem gebannten Kaiser Ludwig hielt, verließen die Geistlichen großenteils die Stadt. Da brach der schwarze Tod herein; in einem Sommer starben zu Straßburg 16.000 Menschen; sie starben ohne priesterlichen Zuspruch, ohne den Trost der Absolution und des Sakraments. Da sann man nach über die Ungerechtigkeit des Bannfluchs, der so viele Unschuldige getroffen; mehrere Geistliche trösteten das Volk, vor Allem aber waren es die Gottesfreunde, eine Brüderschaft, die sich, zurückgestoßen durch den verderbten Zustand der Kirche, einem beschaulichen, nach Innen gekehrten Leben zugewendet hatte. Vornehmlich war es der Predigermönch Johannes Tauler, der des armen Volkes sich erbarmte, mit etlichen von seinen Freunden, die, als sie vor Gericht geladen, eine so gewaltige Antwort gaben, dass ihre Richter beinahe ihrer Meinung wurden. Tauler predigte gewaltig, griff kühn die Laster der Geistlichen an und wurde von dem Volke so hochgehalten, dass man nicht wagte, ihm das Predigen zu verbieten. Er drang vornehmlich auf ein inneres mit Gott in Christo gelebtes Leben, auf die Heiligung des innersten Menschen und die völlige Hingabe des Herzens an Gott. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er der Verfasser des von Luther so hochgepriesenen Büchleins „Die deutsche Theologie“ die ihm zu so großem Segen geworden war. So bereitete der HErr stille den Boden. Noch manch andere religiöse Genossenschaft tauchte in aller Stille auf; Soldaten, die man im Reichsheere gegen die Hussiten gesandt, kehrten mit hussitischem Glauben heim; böhmische Brüder kamen, das Häuflein am Rhein zu stärken und auch für es zu sterben. Wie stark und lebendig die Erkenntnis des Evangeliums unter Einzelnen war, zeigt der Vater des späteren Reformators Capito, ein angesehener Ratsherr zu Hagenau im Elsass. Seinen Sohn wollte er nicht Theologie studieren lassen, dieweil die Verderbnis und Heuchelei im geistlichen Stande allzugroß sei. Als er auf dem Sterbebette lag, und ein Mönch ihm die letzte Ölung mit den Worten gab: „Lieber Meister Hans, gedenkt an all eure guten Werke, die ihr je getan habt“, da wandte er sich zu dem nahestehenden Kruzifix und rief: Was gutes Werk hab‘ ich getan? O mein Herr und Gott, sei mir armen Sünder gnädig.“

Andere suchten durch Satiren den versunkenen Zustand der Geistlichkeit zu geißeln; Steinmetzen brachten an einer Säule des Münsters solche Strafpredigt an, ein Anderer ließ in der Kirche ein Bild aufstellen, da der schmale und breite Weg gemalt war, der Letztere besonders mit Wanderern aus dem Priesterstande gefüllt. Die Buchdruckerkunst ward erfunden (Straßburg ist es ja, das vornehmlich auf Guttenberg Anspruch macht und ihm ein Denkmal gesetzt), die Bibel wird, wenn auch in unvollkommener Weise, aber doch deutsch gedruckt; Thomas v. Kempis Nachfolge Christi und andere Erbauungsbücher hat das Volk in Händen. Um aber den Wunsch und das Begehren nach einer Reformation „an Haupt und Gliedern“ bis in die untersten Schichten rege zu machen, dazu half vor Allem die Versunkenheit der Geistlichkeit, der Mönche und Nonnen. Das Volk war geplagt und gedrückt durch Steuern und Bettelorden, sah täglich das üppige Leben derer, die sich Geistliche nannten; die Gebildeteren widerte die Rohheit und Gemeinheit derer an, die ihre geistlichen Führer sein sollten. Die Gräuel der vornehmen Geistlichen, der Mönche und Nonnen, zu erzählen, würde Bogen füllen. Ein Urteil aus jener Zeit lautet: „Man hat mit wenig Ausnahme das Predigen meist den allerungeschicktesten und ungelehrtesten Pfaffen übergeben – so etwa ein Geschickter ist, darf er das Maul nicht weit auftun, sondern muss nach der Schnur reden. Sie versehen sich mit mittelmäßigen Gelehrten, bei denen die Sorg‘ nit ist, dass ihnen der Schwanz übers Nest wachse. Wo aber ein arm Dorfpfäfflein sich ein wenig übersicht, do ist der bischöflich Fiskal flugs auf ihm, do ist kein Gnad‘; aber die Erzbuben, die die ganze Welt aussaugen, muss man „gnädiger Herr, würdiger Herr“ nennen.“

Dass der Gottesdienst jämmerlich zerfiel, ist da kein Wunder. Man weiß nicht mehr, ob man in der Kirche oder auf einem Jahrmarkte ist. Bei der Messe im Münster kommen die adligen Herren mit klappernden Schnabelschuhen und Jagdhunden, mit dressierten Habichten, die sie während des Gottesdienstes fliegen lassen; mitten durch den Münster werden vom Markte her die Spanferkel getragen; am Tage der unschuldigen Kindlein hält ein Knabe im bischöflichen Ornat den Gottesdienst; am Tage Adolfi wird ein groß Gelag in der Kirche gehalten, aus dem Hochaltar ist ein Schenktisch gemacht, in der Kirche wird auf schamlose Weise gesungen und getanzt von Männern und Frauen und gegen Alles das hat der Bischof kein Wort. Dazu kommen die Ablasskrämer zu Haufen ins Land, um in allen Gestalten das Volk auszusaugen; auch das wird das geplagte Volk überdrüssig, zumal die Franziskaner mit den Dominikanern in Streit über den Ablass kommen und jeder mehr verkaufen will als der Andere, so dass Sebastian Brandt in seinem „Narrenschiff“ singen kann:

Der Ablass ist so ganz unwärt,
Dass Niemand danach fragt noch gärt1begehrt
Niemand will mehr den Ablass suchen
So Mancher wollt in ihm nit fluchen;
Mancher geb‘ nit ein Pfennig us,
So ihm der Ablass käm‘ zu Hus.

Und weiter sagt Murner bedeutungsvoll:

Wir hant Sankt Peters Schlüssel noch,
Wie wol das Schloss hat aber doch
Gott durch sein Gewalt verändern lon 2lassen.

Da war denn zunächst eine Johannisarbeit not, ehe das süße Evangelium kommen konnte. Mit Schmerz und Scham schauten die Besseren auf das Verderben der Kirche. Aus den Reihen der Geistlichen kam eine kräftige Stimme eines Predigers in der Wüste, des Priesters Johannes Krüger, der aber mit genauer Not dem Schicksale des Täufers entging. Einem Kirchpfleger des Münsters aber ging das Elend zu Herzen er stiftete ein reiches Kapital, aus dessen Zinsen ein Weltgeistlicher und Doktor der heiligen Schrift solle erhalten werden, ein Mann, der nit allein an guten Sitten und bewährtem Wandel, sondern auch fürtrefflich sei an Kunst und Lehre. An diese Stelle wurde zuerst berufen der berühmte Prediger und Doktor Johannes Geiler von Kaisersberg, dessen Grabstein noch im Münster zu sehen, ein reichbegabter eindringlicher Prediger. Freilich kann man ihn nicht einen evangelisch-gesinnten heißen, aber ein Prediger in härenem Gewand, mit scharfer schneidender Zunge und kühnem prophetischen Blick – ein Vorläufer der Reformation, das verdient er genannt zu werden. Als Beichtvater des Bischofs hatte er denselben zu mahnen, die Missbräuche und Gräuel abzustellen und bald sollte der Anlass kommen, sich als einen unerschrockenen Zeugen auszuweisen. Der Bischof, ein habsüchtiger Mensch, drückt und schindet das Volk; Geiler vermahnt ihn und lässt nicht ab, bis er eine Synode der Geistlichen zusammenruft, um über Reformen sich zu besprechen.

Geiler hält die Eröffnungspredigt über den Text: „Da wurden die Jungen froh, dass sie den HErrn sahen.“ Nachdem er den Bischof begrüßt, zeigt er wie, wo die Priesterschaft blühe, auch die Kirche blühe, dass aber an ihrem Verfall die Priester mit Schuld seien. Nun wendet sich plötzlich die Rede, und mit rücksichtsloser Schärfe entwirft er in grellen Farben den Zustand der Priester und der Klöster und wendet sich zuletzt an den Bischof mit den Worten: „O seliger Bischof und Wächter, wach auf! reformiere dein Kirch nach dem heiligen Evangelium, warte nicht auf des Papst Brief und Siegel, Christus hat dir’s genugsam vorgeschrieben; steh auf! Schaff die Heuchler von dir weg, die dich zur Hölle leiten.“ So etwas war aus geistlichem Munde nicht gehört worden, man beschloss eine Reformation; aber die am meisten mit der Predigt gemeint waren, berichteten nach Rom; von da kam der Erlass, „stille zu stehen mit aller Verbesserung, und die Geistlichen zu lassen, wie sie sind“.

Aber Geiler ließ nicht nach. Der junge Kaiser Maximilian kam nach Straßburg und wollte ihn predigen hören. Der ganze Hofstaat war im Münster versammelt, der Bischof und die Geistlichkeit. Geiler ließ sich den Mund nicht binden. Er nahm die Geißel und schlug, wo es etwas zu schlagen gab. Zum Schluss aber wandte er sich an das Volk und sagte: „Lieben Freunde, vor einem halben Jahr, als ich scharf gepredigt wider alle Schand und Laster, habe ich verhofft, es sollten solche abgestellt werden, so wird es nur mehr jetzt gestärkt. Papst und Bischof haben mich nicht recht verstanden. Ich habe scharf gedrungen, alle Laster zu reformieren, so haben sie’s verstanden, sie sollens defendieren3verteidigen. Als ich aber unsern gnädigen Bischof Jesus Christus recht berichtet hab, hör ich, so wird er andere Reformierer schicken, die es besser verstehen werden. Ich werd es nicht erleben, aber Eurer viel werdens sehen und erleben; da wird man mich gern haben wollen und folgen, aber da wird kein Rat noch Hilfe mehr sein. Daran woll jedermann denken. Es muss brechen.“

Alle die es hörten, waren mächtig erschüttert; Kaiser Max redete ernstlich mit ihm über die Reformation, aber ohne Erfolg. Der Kaiser kam wieder und begehrte noch einmal Geiler zu hören. Es war im Jahre 1504. Noch einmal redete Geiler ohne Rückhalt und schloss mit einem noch bestimmteren, prophetischen Blick: „Weil denn Papst, Kaiser, König und Bischof nicht reformieren wollen unser geistlos, vernunft- und gottlos Leben, so wird Gott Einen senden, der es tun muss, und die gefallene Religion aufrichten. Ich wünsche den Tag zu erleben und sein Jünger zu sein, aber ich bin zu alt; eurer viel werdens erleben, bitt euch, denkt dran, was ich sag.“ Wiederum wurde über Verbesserungen beratschlagt, wiederum bliebs beim Alten, der Papst hielts mit den faulen Mönchen und schlechten Nonnen.

Geiler sah nun ein, dass nichts zu bessern war an den Geistlichen; er predigte dem Volk, das ihm die herrliche steinerne Münsterkanzel bauen ließ, suchte das Beste der Stadt durch bessere Dotierung der Schulstellen und starb, ohne die bessere Zeit, die er wohl geahnt, gesehen zu haben, vier und sechzig Jahre alt im Jahr 1510. Schon war aber der geboren und rang in der Klosterzelle, den er prophetisch vorausgesehen. Unter Geilers Freunden Schott und Wimphling wurden seine Gedanken wach erhalten. Wimphling, der gelehrte und freisinnige, erzieht den späteren berühmten Stättmeister der Stadt, Jacob Sturm, die Hauptstütze der Reformation in Straßburg; kämpft mit den unwissenden Bettelmönchen, wird vor den Papst zitiert, kommt aber nicht, schreibt an das Konzil im Lateran zu Rom in Sachen einer Reformation und zieht sich getäuscht in seinen Hoffnungen, verzweifelnd an Besserung durch Papst und Kaiser, in die Stille zurück. Die Spannung war zu groß, die Kluft zwischen Geistlichen und Volk fast unübersteiglich der Bruch musste kommen. Die Besten gaben die Kirche verloren. Sebastian Brandt, der Satiriker und Geißler der Zustände schreibt:

Ich forcht, das Schiff komm nyen (niemals) zu Land,
Sanct Peters Schifflein ist im Schwank‘ (Schwanken),
Ich sorge fast den Untergang,
Die Wellen schlagen all Seits‘ dran,
Es wird viel Sturm und Plagen han.
Gar wenig Wahrheit man jetzt hört;
Die heilig Schrift wird ganz verkehrt,
Und ander viel jetzt ausgeleyt (ausgelegt).
Denn sie der Mund der Wahrheit seyt (sagt)
Verzeih mir recht, wenn ich hier triff (treffe):
Der Endchrist (Antichrist) sitzt im großen Schiff!

Wie allgemein muss diese Meinung gewesen sein, um sie so nackt öffentlich auszusprechen! Die Zeit Gottes, der sich seine Uhr nicht vor noch rückwärts stellen lässt, kam.

Es war im Jahr 1517. Eine große Hungersnot lastete auf dem Volk. Die Scheunen und Keller der Geistlichen waren aber gefüllt. Als die Teuerung im folgenden Jahre zunahm, baten die Bürger, die Geistlichen möchten die Scheunen öffnen und um billigen Preis verkaufen. Aber die Geistlichen wollten nicht. Aus Rache schlugen die Bürger die derweil erschienenen 95 Sätze an die Kirchtüren und die Häuser der Geistlichen an, und zum ersten Male tauchte Luthers Namen in der Stadt auf. Der wieder feilgebotene Ablass wollte nicht verfangen und öffentlich konnte Hans Wendenkampf sagen: „Es sei nichts mit Prozession und Ablass, die habe man bloß erfunden, nicht um den Himmel, sondern um den Papst zu füllen, welcher darum allein den alten Götzen herum tragen lasse.“ Als der Magistrat aber bei einer eingefallenen Krampfkrankheit die Leute auf Wagen packen und für 18 Pfennige bei einem Priester Messe über sie lesen ließ, brach der Unwille laut in öffentlichen Schriften hervor. Erbauliche Bücher, wie Streitschriften, in denen die Gegner der Reformation lächerlich gemacht wurden, vor Allem aber die Schriften Luthers, waren beim Volke im Schwang. Hier half die junge Buchdruckerkunst aufs Kräftigste mit beim allgemeinen Sturmlauf gegen die römischen Bollwerke. Umsonst richtet der Papst Hadrian IV. ein besonderes Breve an die Stadt, droht mit Bann und göttlichem Zorn, und gebietet, die ketzerischen Bücher zu verbrennen. Aber der Bann war kraftlos geworden, seit Luther ungestraft die Bannbulle verbrannt. Der Rat der Stadt nahm das Breve nicht zu Herzen und meinte, es sei hohe Zeit, das ärgerliche Leben der Geistlichen zu bessern. Der Streit ging hin und her, es fehlte nicht an heftigen Schriften von der andern Seite, die aber durch ihre Plumpheit wenig Eindruck machten. Der neue Domprediger Peter Wickgram, der Schwestersohn Geilers von Kaisersberg, strafte wie sein Oheim die Sünden der Kirche – aber als Luther und Melanchthon die Sache tiefer angriffen und den Schaden der Lehre aufdeckten, da zog sich der sonst beherzte Mann zurück, indem er Gefahr für den Glauben witterte. Die Kraft seines Geistes war gebrochen, verbittert ließ er sich zuletzt aufreizen, gegen die Reformation heftig zu predigen. Solche Zeiten sind ja immer Entscheidungszeiten, in welchen keiner neutral bleiben kann und zum Feinde werden muss, wenn er nicht ein Freund werden will. Schärfer und eindringlicher predigte im Karmeliterkloster Tilman von Lyn. Er hatte Luthers Schriften gelesen und wies das Volk auf Christum. „Wie Papst und geistlich Prälaten Statthalter und Nachfolger Christi sind, ist leider, Gott erbarm’s, öffentlich; aber man darf’s nit sagen noch lehren: und wenn der Papst auch alle Welt zum Teufel führte, darf ihn doch Niemand darum strafen, und schämen sich nicht, solches Zeug laut zu sagen; der Papst ist nicht das Fundament, auf das die Lehre Christi gebaut ist, sondern allein Christus.“ Aber kaum füllte sich seine Kirche, so wurde er zur Verantwortung gezogen und mit dem Bann bedroht. Aber der HErr hatte sich schon seinen Zeugen zubereitet, den sie auch „ungebraten“ lassen sollten, den Hauptkämpfer der Wahrheit in der straßburgischen Kirche, den Mann unserer Katharina – den frommen Magister Matthäus Zell, den Leutpriester zu St. Lorenz im Münster, den gewaltigen Nachfolger Geilers von Kaisersberg.

Hier sind wir denn mitten in die Zeit unserer Lebensgeschichte getreten. Sollte ein Verständnis für die Heldin dieses kleinen Büchleins erzielt werden, so musste ich den Boden und die Zeit schildern, aus denen sie herausgewachsen. Denn kein Mensch, auch der größte nicht, fällt wie ein Meteor vom Himmel, sondern ist, wenn er auch über seiner Zeit steht, ein Kind der selben, und auch der beste Wein hat von dem Geschmack des Bodens etwas an sich, dem er entsprossen ist. Man muss die Lage der Dinge, den reichsfreien Sinn, die Derbheit und den Witz straßburgischen Wesens verstehen, will man anders die sonst auffallende Gestalt Catharina Zells würdigen. Große Zeiten erfordern große, ungewöhnliche Mittel und Personen, an denen ein kleines späteres Geschlecht nur zu leicht das Kleinliche, Nebensächliche strafend und moralisierend ans Licht zieht, statt sich des Großen zu freuen und an ihm sich zu erwärmen. Nun denn, zu Catharina Zell.

Zweites Kapitel – Von Catharinas Jugend.

Nicht alle Leute können von ihrer Jugend viel sagen und erzählen. Bei manchen liegt freilich das Beste in ihrer Jugendgeschichte und hinterher wird’s stille und ist solch ein Leben wie ein Waldbach, der in den Bergen drin rauscht und über Fels und Gestein sich stürzt, und danach stille im Blachfeld sich verläuft. Andere wieder haben ein still und verborgen Kindesleben geführt, und sind dann hinausgestellt worden in den Streit und Kampf. So ist’s der Frau Catharina Zell ergangen. Von ihrer Jugend hören wir wenig, und wenn sie. nicht selbst in einem großen, 53 Blätter enthaltenden, Briefe an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg im Jahre 1557 davon geschrieben, wüssten wir eigentlich nichts.

Sie ist ums Jahr 1497 zu Straßburg geboren. Ihre Eltern waren der Schreinermeister Schütz, der Mutter Namen und Geschlecht wird nicht genannt. Ein klarer Verstand und ein liebewarmes Herz zierten das Mägdlein, und noch etwas mehr. „Vom Mutterleibe an,“ schreibt sie, „hat mich der HErr gezogen, und von Jugend auf gelehrt; darum habe ich mich auch seiner Kirche, nach dem Maße meines Verstandes und der verliehenen Gabe, zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; daher mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben.“ Das klingt doch, als hörte man etwas von dem, was das Jesuskind im Tempel geredet: „Muss ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist?“

„Ich bin,“ fährt sie fort, „seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrten geliebt, viel besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden und Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehalten. Deshalb auch mein Vater und Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele gesprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben.“

Dabei denkt man sich wohl das Leben des Mägdleins lieblich und angenehm, als ob’s immer lauter Fried‘ und Freud‘ gewesen. Aber dem war nicht so. Es ist etwas Anderes, ob man das Licht hat, oder erst sucht. Catharina musste es erst suchen. Noch lag das Nachtdunkel Roms über den Gemütern; wer’s ernst nahm, der plagte sich mit Büßungen und Kasteiungen und schonte seines Leibes nicht. Das tat auch Catharina. Manche Wallfahrt und schwere Buße hat sie übernommen und fand doch keine Ruhe noch Frieden, und erging ihr wie St. Paulo unter den Pharisäern und wie Dr. Martin Luther unter den Mönchen. „Da meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in allen meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost, noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich an Seel‘ und Leib bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir ergangen, wie dem armen Weiblein im Evangelio, das Alles sein Gut bei den Ärzten immerdar verlor; da es aber von Christo hört und zu Ihm kam, da wurde ihr durch den denselbigen geholfen. Also auch mir und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnade Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Übung und Sakramenten der päpstlichen Kirche nie Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften, den lieben und jetzt seligen Dr. Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschriebe, dass ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen, bittern Hölle in das lieblich, süße Himmelreich, dass ich gedachte an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: Ich will dich zu einem Menschenfischer machen. Und hab‘ mich Tag und Nacht bearbeitet, dass ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hier das Evangelium hab‘ lernen erkennen und helfen bekennen, das lass ich Gott befohlen sein.“

Das ist die ganze Jugendgeschichte Catharinens. Freilich wenig, wird die liebe Leserin sagen, aber bedarf’s denn eigentlich mehr als das? In dem Tagebuch manches Fräuleins werden viel Seiten sein mit verlornen Tagen und unfruchtbarem Leid darin, und man macht gar leicht sein Leben interessanter als es ist, und ist doch nicht ein Zehntel darin von dem, was in Catharinens Leben steht. In dieser Jugend liegen Keime für die Zukunft, nicht schöne Wunderblumen, die am Morgen blühen und am Abend verdorren. Der stille, aufs Ewige gerichtete Sinn sollte nicht, wie es damals Sitte war, ins Kloster fliehen und dort in frommer Beschaulichkeit das Glöcklein zur Mette ziehen und sich seine eigene Welt bauen, sondern zum Heil der Seele selbst und der Kirche verwertet werden. Denn ein rechtes Weib, auf das sich ihres Mannes Herz verlassen kann, die ihrem Hause wohl vorsteht, ihre Kinder in der Furcht Gottes erzieht, und ihr Gesinde wohl versorgt, und in all‘ den Trübsalen des Ehestandes sich tapfern, heiligen und demütigen Sinnes hält und den freudigen Geist nicht verliert, ist eine größere Heilige, denn das heiligste Nönnlein.

So rief sie Gott am 3. Dezember 1523 in ihrem sechsundzwanzigsten Jahre in den Ehestand mit M. Matthias Zell, dem Leutpriester am Münster. Im Münster zu Straßburg, in der Kapelle St. Lorenz, wurde das Paar durch den berühmten Reformator Martin Butzer, der selbst schon als Priester in die Ehe etliche Jahre früher getreten war, eingesegnet. Viel Volkes war da in den hohen und weiten Räumen und freute sich, dass auch ein Priester wollte wie ein anderer Christenmensch die Ehe heilig halten. Nach der Trauung feierte das Paar das heilige Abendmahl unter beiden Gestalten, und so ward ihr Ehebund gleich mit einem doppelten Bekenntnisse zur lautern Lehre des Evangelii besiegelt.

Das Maß aber des Weibes ist der Mann, den sie wählt, und dem sie ihre Hand gibt. Dabei wird man am klarsten und leibhaftigsten vom Wert oder Unwert eines Weibes überzeugt. Nicht die einzelnen guten Eigenschaften, sondern wem sie ihr Herz und ihre Hand gibt, das entscheidet. Ist aber je ein Eheband gewesen, da man von dem Einen Teile nicht reden konnte, ohne auch des Andern zu gedenken, so war’s in dieser Ehe. Darum darf ich für eine kurze Weile Catharina verlassen und von ihrem Gatten reden, „von meinem frommen Matthäus Zell, der mich (wie sie schreibt) zur Zeit und Anfang seiner Predigt zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hilfe in seinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugnis geben wird am Tage des Gerichts.“

Drittes Kapitel – Matthäus Zell, der Leutpriester zu St. Lorenz im Münster zu Straßburg.

Wenn ein Schulmägdlein aus seiner Reformationsgeschichte vom frommen Johannes Hus, der in Konstanz verbrannt worden, vom Dr. Martin Luther, dem Bergmannssohn, der vor Kaiser und Reich zu stehen kam, vom gelehrten Philippus Melanchthon aus Bretten und dazu noch vom schweizerischen Zwingli und dem strengen Calvin aus Genf zu sagen weiß, und dazu noch etwas fügt vom Ablasskrämer Tezel und von den 95 Sätzen an der Kirchtür; von dem Dintenfass, das Dr. Luther auf der Wartburg dem Teufel nach an die Wand geworfen, so meint es wohl so ziemlich alles Wissenswürdige behalten und gesagt zu haben. Frägt man es aber nach dem frommen Meister Matthis Zell von Straßburg, so ist ihm nicht erinnerlich, seinen Namen je unter den Reformatoren gehört zu haben, und doch

hat er sein bescheiden Plätzlein unter ihnen und seinen Ehrensitz und ist vielleicht einer der edelsten und besten gewesen. Auf seine Schultern hat sich Mancher gesetzt, und da ist’s denn kein Wunder, wenn man größer aussieht als der, der Einen trägt. Er war kein glänzend feuersprühend Licht, aber ein stilles, sanftes, das erwärmte und leuchtete; ein Mann, dessen Worte deswegen wie Donner lauteten, weil sein Leben wie ein Blitz war. Die schroffsten Leute sind nicht immer auch die stärksten; die beste Klinge ist nicht die unbiegsame, sondern die sich beugen kann und in ihre vorige Gestalt jederzeit zurückkehrt. Er war Einer von den starken Sanftmütigen, von denen der Heiland sagt: „Sie werden das Erdreich besitzen.“

Geboren 1477 in Kaisersberg, von armen Leuten, die ihrem Kinde eine möglichst gute Erziehung gaben, finden wir ihn auf der Schule zu Mainz, wo er auch einmal „vernarrt“ 300 Verse auf die Heiligen verfertigt. Der berühmte, mehr erwähnte Prediger Geiler von Kaisersberg sieht dem Knaben an, was er werden will und spricht zu ihm: „Wachse, Knabe, Du wirst ein großer Mann werden,“ und der, der mit ihm auf der Schulbank saß und später sein berühmter Amtsbruder wurde, Wolfgang Capito, schreibt von ihm: „Ich hab ihn als meinen Schulgesellen lange Jahre gekannt und allewege aufrichtig und redlich befunden. Aber ich hätt‘ mich nicht bald bereden lassen, dass er wäre eines solchen Wissens, Verstands, Überlegung und Geistes, auch Erfahrung in den Geschäften, wo er solches nicht genugsam und überflüssig bewiesen und dargetan hätte.“ Der Jüngling reist in die Welt hinaus, nimmt auch Dienste im kaiserlichen Heer, und zieht auf die Universität Freiburg im Breisgau. Dort erwirbt er sich den Titel eines Magisters der Philosophie, den man damals noch nicht so wohlfeil kriegen konnte, als heutzutage den Doktor auf mancher Universität. Viel zu holen von Licht und Weisheit der Schrift gab’s nicht dort, denn die Lehrer der Gottesgelahrtheit waren finstere Mönche, um so erleuchteter waren die Männer der Weltweisheit. Seine berühmten Landsleute, wie Geiler, Sebastian Brandt, Wimphling, der Rotterdamer Erasmus wirkten in ihren Schriften auf den feurigen jungen Mann. Die heilige Schrift aber war vor Allem seine Fundgrube. Jedermann erkannte seinen Forschergeist an; während Luther seine Sätze an die Kirchtür schlug in Wittenberg, wird an demselben Tage M. Matthias Zell zum Rektor der Universität erwählt. Aber der Lehrstuhl, so hoch er von ihm hielt, genügte ihm nicht; lieber auf die Kanzel, mitten hinein ins Volk wollte er. Er war schon ein gereifter Mann, als er im Jahre 1518 als erster Prediger an St. Lorenz in den Münster zu Straßburg berufen und zugleich, wie Geiler auch, Beichtiger4Beichtvater des Bischofs wurde.

Die 95 Thesen waren von der Wittenberger Esse wie Feuerfunken schon in alle Welt geflogen, der Hammerschlag an die Kirchentür zu Wittenberg hatte die Schläfer in den andern Kirchen geweckt. Auch in Zells Herzen hatten sie gezündet. Wunderbar fühlte er sich zu dem kühnen Mönche hingezogen, las eifrig seine Schriften und predigte in seinem Geiste, obwohl er nur wenig Luthers Namen nannte. Durch Zell kam der Nachdruck der Schriften Luthers durch die straßburgischen Buchdrucker unter die Leute, ohne dass Jemand ahnte, wer eigentlich den Anlass gab. Erst fing Zell wie seine Vorgänger mit der Bußpredigt an, merkte aber bald, dass Buße ohne Evangelium doch nur ein Pflügen ohne Einsäen sei; je klarer ihm das süße Wort des Evangeliums wurde, desto mehr drängte es ihn nun auch zu predigen und mit dem Stab Sanft die Herde zu weiden. Im Jahre 1521 fing er an, evangelisch zu predigen – er war der Erste, nicht bloß in Straßburg, sondern weit und breit umher, der den heiligen Mut dazu hatte. Was Alles erst freilich in ihm vorgegangen, bis es dazu kam, bis er sich entschlossen hat, die schwere Saulsrüstung des Papstes und seine Scholastiker wegzuwerfen und die Davidsschleuder in die Hand zu nehmen, das wird uns freilich nicht gesagt. Das innerste Wachstum muss ja wohl auch von der Erde bedeckt bleiben. Sein Wort erscholl einsam, die Stimme aber laut, so dass ein Zeitgenosse schreibt: „Straßburg ist mein Tod; diese abergläubigste Stadt von allen – unsere Prediger frieren und sind erfroren, außer Einem (dem Zell), der das Evangelium lehrt.“

Mit dem Römerbrief fing er seine evangelische Verkündigung an und ging mit der Predigt von der Rechtfertigung durch den Glauben allein, den Leuten und dem Papsttum nicht auf die Haut, sondern ans Herz. Luthers Namen nannte er wenig, wie er aber zu Luther stand, geht aus seiner Verantwortung hervor: „Du hast mich nit viel von Luther hören sagen auf der Kanzel. Ich hab mein Lehr nie mit des Luthers Schrift bezeugt, aber sein Geschrift fleißig und treulich gelesen, als auch noch für und für, und wo sie gefunden wahrhaftig, hab ich sie gepredigt, nit darum, dass es Luthers Lehr ist, sondern dass es wahr ist und Gottes Lehr. Ich bin durch Luthers Schreiben in die Geschrift geführt worden und ein Verstand der Geschrift überkommen, dafür ich nicht wollt aller Welt Güter nehmen, und ob er schon hunderttausendmal ein Ketzer wäre. Darum kurzum zeiget mir und Andern, dass Luthers Lehr Gottes Lehr zuwider sei, oder wir werden uns, ob Gott will, nit lassen verbieten, und sollten sich die Feind Gottes zu Tod darob wüten.“ Da ist wahrhaftig von Luthers Geist und Kraft etwas zu spüren.

Das Volk drängt sich zu seinen Predigten, der Bischof stand hart wider ihn; aber schon waren unter den Magistratspersonen Anhänger des Evangeliums und die Chorherren merkten, dass die alte Zeit vorbei, in der man ohne Weiteres sengen, brennen und bannen könne. Zell fuhr ruhig fort an einer Säule des alten

Tempels nach der andern zu rütteln, bis zum Einfallen, und baute in der Stille neu auf. Die Gegner wollen ihn erschlagen auf offener Straße, aber die Freunde warnen ihn auch in öffentlichen Schriften. So schreibt ein Gedicht aus jener Zeit:

Es gehet Alles wild auf Erden,
Dass die Geistlichen selber nit können eins werden,
In den Kirchen mit einander hadern und zanken
Tut’s Niemand sonst denn die Schwaben, Baier und Franken,
Wollen Jedermann fressen, reißen und zerren,
Auf der Gass wie ein Esel plerren.
Und den Matthis im Münster mit Lügen vertreiben,
Könnten doch nit ein Buchstaben schreiben.
Ich fürcht‘, es tut auf der Läng‘ nicht gut,
Mit der Schrift er ihnen viel zu Leide tut.
Sie gehen wahrlich auf hellem Eis,
Ist der Pfarrherr im Münster, heißt Mattheis,
Braucht nichts denn die heilig Schrift,
Damit er sie all übertrifft;
Den Paulum und der Evangelisten Lehren,
Noch tun sie’s ihm öffentlich wehren
Und mit Bosheit drauf verharren.
Meister Matthies bleibt allein beim rechten Text.

Nachdem ihm all seine Feinde aufgezählt sind, wird er noch gewarnt:

Bewahr‘ dich vor ihrem Neid und Hass,
Denn ihr Kunst steckt im Dintenfass;
Wenn sie dich möchten erreichen,
Würden dir ein X für ein U anzeigen;
Denn ihr Tint‘ ist am Boden dick,
Matthis, Gott geb‘ dir viel Glück!

Schon hatte der größte Teil der Bürgerschaft sich zu Zell gestellt und begehrt, man solle ihn nicht in der engen Lorenzkapelle, sondern auf der steinernen Doktorskanzel predigen lassen. Die war aber mit einem eisernen Gitter versehen und zugeschlossen. Der Magistrat entschied, man solle, da das Dom-Kapitel die Kanzel nicht hergeben wollte, ihm einen besonderen Predigtstuhl bauen. Als der Bischof aber Ernst machte gegen den kühnen Leutpriester einzuschreiten, antwortete der Rat: „Es sei des Rates Pflicht, die Bürger im Frieden zu halten. Meister Matthies habe bisher nichts Anderes, denn Gottes Wort und die heilige Schrift gepredigt und sich stets erboten, sich aus der heiligen Schrift eines Besseren belehren zu lassen; darum muss dem Domstift angekündigt werden, dass es den Zell an seine Stelle zu erhalten habe und dafür Sorge tragen möge, dass er das Wort Gottes ungehindert seinen Zuhörern vortragen könne: Denn des Rats fester Wille sei, denselben bei dem Worte Gottes und der Wahrheit zu schützen und zu schirmen.“ Da ließen sie ihn eine Zeitlang in Ruhe, sie erlaubten ihm die Doktorskanzel und baten ihn, nur nicht allzulange zu predigen. – Der Bischof ruhte aber nicht, ließ eine Schrift aufsetzen in 24 Klageartikeln, worüber sich Zell verantworten sollte. Die Klageschrift vergönnt uns, aus der Verantwortung den Mann kennen zu lernen, dessen Predigten leider verloren gegangen sind. Wir meinen in Vielem Luthers bindiche und gewaltige Sprache zu hören. „Es seien der Bücher“, hebt er an, „ohnehin schon so viel, dass es seines Papierverderbens gar nicht bedurft hätte. Doch so ich mit Gewalt hineingedrungen bin, also dass ich nit wol mit Ehren hab mögen entfliehen, hab ich mit meinem armen Hausrätlein (wie schmal das ist) auch herfür vor den großen Hochverständigen müssen prangen.“

Über sein Verhältnis zu Luthers Schriften sagt er: „Obschon etwas Irrtum in Luthers Schrift wäre (das ich jedoch nit bekenne) dennoch sollen sie mir unverboten sein; denn auch alle Doktores, so von Anfang außer der Schrift geschrieben, in viel Dingen geirrt haben und doch zu lesen zugelassen worden. Man findet Irrtum in den Büchern Originis, Lactantii, Tertulliani, Cypriani; dann Augustini und Hieronymi, welche zween och besondere Lichter in der Christenheit genannt werden. Die Wahrheit hab ich gepredigt, Gott geb, der mich daran gemahnt hat, Luther oder andere Andere, dann ich Luthers und anderer Lehrer mir als Anleiter und Vermahner in der heiligen Schrift gebraucht hab, wie sie auch Niemand anders brauchen soll, ihm auch nit anders glauben, weder so fern er sei in der Schrift gegründet.“

An seine geistlichen Behörden, die ihn wollten predigen lassen, wenn er uns fein sachte treten wollte, richtet er das Wort: „Man soll auch beraten, aber säuberlich, oder nit anrühren; bellen und nit beißen. Darum schickt rechte Prediger, oder sie kommen ohne euren Dank; man wird nicht immer auf euch sehen. Und wenn ihr schon tausend Bannflüche ließet ausgehen, verbränntet auch den ganzen Schwarzwald auf ihnen, verjagtet sie durch Welt, es wird nicht helfen, es werden aus der Aschen andere wachsen.“

So verteidigt er sich Punkt für Punkt gegen die 24 Klagartikel, schont nicht den Gegner, wo er ihn zu treffen weiß und stopft ihnen den Mund. Der Rat hatte sich schon so weit zur Sache der Wahrheit gestellt, dass er die Prediger des Evangeliums in Schutz nahm, und auch die Bürgerschaft hatte sich mannhaft gegen den Bischof gewehrt. So konnte es nicht bleiben.

Da wird ein römischer Priester, Anton Firn, der sich zum Evangelium geschlagen, öffentlich am Hochaltar des Straßburger Münsters getraut. Matthias Zell hält die Hochzeitsrede. Eine Menge Volks umsteht das Paar, und Einer ruft mit lauter Stimme: „Der hat ihm recht getan, Gott geb ihm tausend gute Jahr!“ Der Schluss der Hochzeitspredigt aber lautete: „Darum, lieber Anton, sei unerschrocken; denn selig bist du, der durch diese Tat dem Antichrist Abbruch tust. Auf deiner Seiten steht Gott und sein Wort. Acht‘ es nicht, dass männiglich ein Aufsehen auf dich hat. Einer lobt, der andere schilt. Du tust, was Gott dich geheißen hat, wider seinen Feind, den Antichrist. Dem speie du mit dieser Tat fröhlich ins Angesicht. Reiß‘ ihm ein Loch in sein mörderlich Gesetz mit der Tat, die sonst viel herrlicher Männer mit dem Wort tapferlich wider ihn bellen, ihm mit dem Wort die Larven vom Angesicht reißen, bis sie ihn männiglich zu erkennen geben.“

Mittlerweile aber gibt der Rat der Stadt dem Evangelium freien Lauf und beschließt am 1. Dezember 1523: „Alle Prediger sollen sich des Predigens unterziehen, sollen künftig nichts Anderes als das heilige Evangelium und die Lehr Gottes und was zur Mehrung der Liebe Gottes und des Nächsten dient, frei öffentlich dem Volke predigen.“ Damit war denn hier der Sieg der evangelischen Sache entschieden. Drei Tage darauf trat Zell in den heiligen Ehestand. Eine Menge Volks begleitete das Paar. Die aber mit ihm vor dem Altar stand, war unsere Catharina, deren Lebenslauf wir nun schildern.

Viertes Kapitel – Die Pfarrfrau.

Der alte Valerius Herberger, der Herzprediger von Fraustadt, glossiert zu der Erschaffung des Weibes 1. Mose am 2ten in seiner „Magnalia Dei“ folgendermaßen:

„Gott der Vater ist der alte Herr auf dieser Hochzeit; der stattet zwei Kindlein aus, ehrlich und reichlich; Adam und Eva sind vater- und mutterlos, sie sind arme Waislein. Gott der Vater nimmt sich ihrer an und gibt zum Brautschatz mit das Kaisertum über die ganze Welt. Der Herr Jesus ist allhie Prediger, der tut eine Brautpredigt aus dem hochzeitlichen Spruch: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Er redet Bräutigam und Braut an mit herzlichen, tröstlichen Worten: „Adam, preise die Liebe meines Vaters; da traue ich dir in die Hand die schöne Jungfrau Eva, die ich nicht weit von deinem Herzen genommen, sie soll dir ans Herz gebunden sein; sie ist aus deiner Seite genommen, denn sie soll deine Gesellin sein in deinem Leben und nicht weit von deiner Seite gehen. Aus einer Rippe ist sie gebaut, nicht aus deinen Füßen, denn du sollst sie nicht für eine Fußbank halten; die Kippen sind nicht so stark und hart als das andere Gebein an den Armen; deine Eva ist auch etwas schwächerer Natur als du, darum wirst du dich nach ihrer Schwachheit zu richten wissen.“ Und zu Eva sprach er: Eva, liebste Eva, du sollst sein Adams Herzkämmerlein, Augentrost und Hausfreude; du bist nicht von seinem Haupte genommen, denn du sollst ihm nicht zu Häupten wachsen, das Regiment soll Adams bleiben. Du bist aus einer Rippe genommen und sollst dich darum fein nach Adams Herz fügen, lenken und zu schicken wissen. Wie die Rippe das Herz am Leibe deckt, so sollst du Adams Herz trösten, decken und verwahren; wie in großer Herzbedrängnis die Rippen sich lüften, also sollst du auch in Adams Kummer tröstlich mit sittsamen Worten lüften und sein Herz abkühlen.“

Darin hat der alte Herzprediger eines Weibes Stellung zum Mann, und ihre beste Tugend geschildert. Denn was ist es auch, wenn ein Weib noch so viele gute Eigenschaften und glänzende Gaben hat, und solche nicht stellt in den Dienst der Liebe ihres Mannes? Die schönen Gaben und die großen Werke einer Frau haben noch nie einen Mann im Herzen glücklich gemacht, wohl aber treue, hingebende Liebe, ein stilles, sanftes und gehorsames Wesen. So begabt und stark Frau Catharina Zell auch war, und mannhaft in vielen Dingen, so verleugnete sie doch nirgend, dass sie „nichts Anderes sei, denn ein Stücklein von der Rippe des Matthis Zell“. Sie schmiegt sich an sein Herz, hat ihn so herzlich lieb. Aber all diese Liebe ruht auf der tiefsten Ehrerbietung, die sie vor ihm hat. Denn was ist Liebe, ohne dass man den Andern höherer Ehre wert achtet? Nah kann man nur da sein, wo man auch fern zu sein vermag; die Liebe wird immer um so inniger, je mehr sie zum Andern hinauf schaut, wie sie einmal anfängt, herab zu schauen, da ist’s um die Liebe geschehen. Sie wusste, was sie ihrem Manne zu danken hatte, der ihr nicht bloß Gatte, sondern auch Priester und Seelsorger war.

„Gar oft hab‘ ich mich“, schreibt sie, „bei mir selbst verwundert und Gott gedankt, dass wir beide, mein seliger Mann und ich, so durchaus eines Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind. Wie es denn unser Haushalt, Leben und Wesen in den vier und zwanzig Jahren und fünf Wochen bewiesen hat, da wir bei einander gewesen, ein Herz und eine Seele. Ich bezeuge, dass ich vom Tage unserer ehelichen Einsegnung an, die der selige Bucer vorgenommen, getan habe, was dem Evangelio und den Seinigen geziemt. Als wir uns verbanden, war nicht die Rede von Wittum, Morgengabe, Silber und Gold. Wir hatten höheres Ding: Christus war unser Augenmerk. Wir gedachten an die Feuer- und Wassertaufe, und ich an das Wort des Apostels 1 Tim. 5, der wohl nicht bloß den Witwen, sondern den Weibern zur Pflicht macht, dass sie ein Zeugnis guter Werke haben, dass sie die Kinder wohl erziehen, gute Hausmütter seien, dem Manne untertan, auf dass Gottes Wort nicht gelästert werde. Dann stand mir jenes Wort des Petrus, C. 3, 1-4, immer im Angedenken; die, welche dem Worte noch nicht Gehör geben, sollen durch der Weiber Wandel gewonnen werden, ihr keuscher Wandel soll sie beschämen.“ Voll hoher Freude über ihr Glück schreibt sie bald nach ihrer Verheiratung an Luther, der ihr auch unter dem 17. Dezember 1524 also antwortet:

Der tugendsamen Frauen Catharina Schützin, seiner lieben. Schwester und Freundin in Christo, zu Straßburg:

Gnad und Fried in Christo. Meine Liebe, dass Dir Gott seine Gnad so reichlich gegeben hat, dass Du nicht allein selber sein Reich siehst und kennst, so vielen Leuten verborgen, sondern auch einen solchen Maun beschert, von dem Du es täglich und ohne Unterlass besser kennen und immer hören magst, gönne ich Dir wohl, und wünsche Dir Gnad und Stärke dazu, dass Du solches mit Dank behaltest, bis auf jenen Tag, wo wir uns Alle sehen und freuen werden, will’s Gott. Jetzt nichts mehr; bitte Gott für mich und grüße mir Deinen Herrn, Herrn Matthis Zell. Hiermit Gott befohlen.

Am Sonnabend nach Luciä 1524.

Martinus Luther.

Matthis Zell wusste aber auch, welchen Schatz und Kleinod er an ihr hatte und merkte gar bald, welche Gehilfin ihm Gott an die Seite gestellt. Darum hielt er sie nicht für eine Fußbank, wie so manche Männer an begabten Frauen tun, sondern schaute sie ebenbürtig an, ließ sie an allem Teil nehmen, wovon ihr Geist Nahrung empfing. Denn das wäre ja traurig, so eine Frau nichts tun dürfte, denn nur stricken und nähen, kochen und flicken. Soll sie in solchem kleinen und geringen Tun frisch und lebendig bleiben, dann muss ihr Geist wiederum Nahrung haben, und die Flügel des Geistes müssen ihr wachsen, damit sie auch das Kleine, Irdische tragen und ertragen und über ihm stehen könne. Kamen gelehrte Leute ihren Mann zu besuchen, da war sie wohl, wie sie sagt, Magd und Köchin gewesen, aber allezeit so, dass sie über dem Marthadienst nicht vergaß, sich auch still zu den Füßen der Leute zu setzen, von denen sie Licht und Trost bekommen konnte. So waren’s ihr unvergessliche Tage, als Oekolampad und Zwingli im Spätjahr 1529 auf der Durchreise nach Marburg zum Gespräch mit Luther bei ihr abstiegen und 14 Tage blieben. Sie bezeugten, dass sie von Frau Zellin „unsägliche Zucht und Ehre“ empfangen hätten. Dass sich nun Manche nicht in die ihr gestattete Freiheit finden konnten und meinten, sie übe mit ihrem weiten Herzen einen gefährlichen Einfluss auf ihren Mann aus, und ihren Mann, als „vom Weibe beherrscht“ schilderten, darf uns nicht wundern. Ihr Mann aber stand selbst in dieser Weitschaft des Herzens, war allem streitsüchtigen Treiben abhold, und ließ über der Meinungsverschiedenheit die Liebe walten, und war darum auch in diesem Stücke mit seinem Weibe völlig eins.

Im Jahre 1538 begleitet sie ihren Mann, dessen sehnlichster Wunsch es war, Luthern zu sehen und sich mit ihm zu verständigen, auf die Reise. Zell war schon wohlbetagt, und sie auch nicht mehr jung. Aber sie lässt ihn nicht allein.

„Ich bin eine schwache Frau, schreibt sie, habe viel Arbeit, Krankheit, und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab‘ dennoch meinen Mann so lieb gehabt, dass ich ihn nicht allein hab‘ lassen wandeln, wo er unsern lieben Doktor Luther, und die Seestädt‘ bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören; hab‘ ich meinen alten fünfundachtzigjährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen, und bin mit ihm wohl dreihundert Meilen aus und ein auf derselbigen Reis‘ gezogen. So bin ich mit in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andere Orte gereist, diese Gelehrten auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihm zu tragen, wie er es denn auch wohl bedurft hat, dass ich mehr denn sechshundert Meilen mit ihm in seinem Alter gereist, mit großer Müh‘ und Arbeit meines Leibes und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, dass mich aber nicht gedauert und noch nicht gereut, sondern Gott darum danke, dass er mich solches Alles hat sehen und hören lassen.“

Sie dankt es ihrem Manne noch nach seinem Tode, was er an ihr getan: „Mein lieber Mann hat mir Platz und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät Tag und Nacht vergönnt, ja große Freud‘ daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibesvertretung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Hat mir auch nie gewehrt mit Euch (es war der verfolgte Schwenkfeld), die weil Ihr in Straßburg gewesen seid, zu reden, zu Euch zu gehen, Euch zu hören, Gutes zu beweisen, oder Euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft oder gehasst, sondern vielmehr um deshalb sehr geliebt.“

So hatte sie mit ihrem Gatten Freud und Leid getragen. Der Bischofsbann, der auf ihm und ihr lag und an dem Münsterportal angeschlagen ward, hatte ihr wenig zu schaffen gemacht; aus ihrer Ehe hatte sie einen kranken Knaben, den sie mit Liebe und Sorgfalt pflegte. Mehr zu tun machte ihr das Leid der Kirche, die innere Zerrissenheit unter den Evangelischen, die verlorne Schlacht der Evangelischen gegen den Kaiser. Ihr Mann sehnte sich herzlich nach Ruhe und Ausspannung und bat um einen schnellen, seligen Tod. Am 6. Januar 1548 predigte Zell und redete von seinem nahen Tode. Des Nachts um elf Uhr erhob er sich von seinem Lehnstuhl, kniete nieder und betete: „O HErr, lass Dir Dein Volk befohlen sein! Sie haben mich lieb gehabt, hab‘ Du sie auch lieb, und gib‘ ihnen keine Treiber; dass der Bau, so auf Dich gesetzt, nicht wieder verwüstet werd. Bleib‘ Du selbst der Erzhirt über sie.“ Am 9. Januar, Morgens 2 Uhr, entschlief er sanft in Catharinas Armen. – Er war ein scheinend Licht der straßburgischen Kirche, ein von Herzensgrund frommer Mann, ein Streiter und ein Friedenskind zugleich. „Er war,“ so lautet ein Zeugnis aus Zeitgenossen Mund, „ein Mann, ausgezeichnet nicht bloß durch seine Gelahrtheit, sondern auch durch christliche Tugenden, besonders durch Bescheidenheit, Mäßigkeit und Liebe; gemäßigten Geistes, unschuldigen Lebens, reiner Lehre, ein Mann ohne allen Stolz und Überhebung. Kein Theoretiker bloß, sondern ein praktischer Theologe; was er lehrte, hat er selbst zuerst getan; vornehmlich als ein Vater der Armen und des armen Haufens.“ Einen solchen Mann zu verlieren, ist ein tiefes Weh. Aber Catharina wusste, wer jetzt ihr Trost und Hilfe sein sollte. Eine unverbürgte und später aufgekommene Nachricht sagt, sie sei mit der Leichenbegleitung auf den Kirchhof gezogen und habe nach der Leichenrede Bucers eine zweite Leichenrede gehalten über das Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ – wobei sie keine Träne vergossen und gesagt: „Mein Mann ist ja nicht gestorben; er ist nur ins bessere Leben übergangen; er lebt und ist Gottes, sein wollen wir auch sein.“ Ein Augenzeuge berichtet aber, sie habe, als das Volk sich verlaufen, am Grabe stehend die Werke und den Glauben ihres Mannes gepriesen. Sie hat nach seinem Tode mehr als das getan, was man ihr hier zugemutet. Aber selbst die Sage bezeugt, wes man sich zu ihrem starken Geiste versehen hatte. Wie sie weit über Tod und Grab hinaus ihren Mann geehrt und geliebt, werden wir bald hören.

Fünftes Kapitel – Die Samariterin.

„Die ein Zeugnis habe guter Werke, so sie Kinder aufgezogen bat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung getan hat, so sie allem guten Werk nachgekommen ist.“

1 Timoth. 5, V. 10.

Es ist ein sonderliches Lob, das der Tabea gespendet wird, wenn es von ihr heißt: „Sie war voll guter Werke, die sie tat.“ Weiter hört man nicht von ihr, aber das ist auch genug. In

den Augen der Schrift sind Dinge und Eigenschaften groß, die sonst auf dem Weltmarkt für sehr gering verzollt werden. Eine Lydia, der das Herz aufgetan wird, eine Maria, die still das Eine, was Not ist, sinnend zu Jesu Füßen bewegt, eine Tabea mit den Kleidern und Fellen für die Armen, werden noch an jenem Tage genannt werden, da aller nur schönen, geistreichen Frauen keine Erwähnung getan wird. So viel Ewigkeitsgehalt und Ewigkeitsabsicht in Wort und Tat ein Mensch hat, sei er Mann oder Weib, so viel wiegt er auch auf Gottes Waage. Alles Tun ohne solchen Gehalt und Absicht, sei es auch noch so geschäftig, ist am Ende doch nur ein großer Müßiggang. Hier hat nun gerade das Evangelium, das allenthalben dem Weibe die rechte Stellung gibt, ihm auch einen weiten Wirkungskreis eröffnet und seine besondere Gabe verwertet. Dienende Liebe an Kranken und Elenden, Predigen des Heilandes ohne Wort durch die Tat, selbstlose Hingabe in der Aufopferung für andere, das sind, wenn das Herz dabei unverrückt auf seinen Herrn schaut und der verborgene Mensch mit stillem und sanftmütigem Geist dabei einhergeht, Perlen und Edelsteine in dem Schmuck eines Weibes.

Auch in Catharinas Leben fehlt dieser Schmuck nicht. Ihren nächsten Samariterdienst hatte sie freilich an ihrem Manne. Ihn trösten und aufrichten, mit ihm alles teilen, für seine Sorgen, seine Arbeit einen verständnisvollen Sinn zu bewahren, das war auch Barmherzigkeit eine Barmherzigkeit, die freilich oft von denen übersehen wird, die vor lauter Eifer nach Außen, mehr tun wollen als ihre Pflicht, und das ist doch immer ein weniger Tun als die Pflicht. Sodann hatte sie ihren kranken Sohn zu versorgen. Ein eigenes, krankes Kind aber zu haben und zu pflegen, ist eine Hochschule der Barmherzigkeit. Da weitet sich das Herz; denn nicht bloß die Freude, auch das Leid bringt die Menschen zusammen.

Aber es blieb ihr Raum und Zeit noch mehr als das zu tun.

Die Zeiten waren betrübt, Not und Elend gab’s genug, viel Verfolgte, Obdachlose und Geächtete, viel Leute, die ihr Hab und Gut im Stiche gelassen um des Evangelii willen, dazu Seuche und Krankheiten, und Krieg hin und wieder. Catharinas Herz war weit wie das des Samariters, der den gen Jericho Hinabgegangenen und unter die Mörder Gefallenen nicht frug nach Stand, Herkunft, Glaubensbekenntnis noch ihm Vorwurf machte über sein Alleinreisen, sondern ihm, als einem Bedürftigen, die Hand reichte, und vor Allem ihn pflegte. So schreibt sie denn auch: „Es soll Jeder seinen Zugang zu uns haben, und alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Teil und Gemein an unserem Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Teil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, es sei, wer es woll‘. Also hab‘ ich mit Zells Willen und Wohlgefallen, mich vieler Leut‘ angenommen, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwingli, oder Schwenkfelder und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis‘ oder unweis‘, nach der Red‘ Pauli, Alle haben zu uns kommen dürfen. Was hat uns ihr Name angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

Sie suchte die Elenden und Armen selbst auf und stand ihnen bei. Es gibt ja auch eine Art Samaritertum, da man wohl das Seine, aber nicht sich selbst hergibt, und lieber durch einen Bedienten oder eine Magd helfen lässt, als dass man selber einen Finger rührt. „Da ich anderer Weiber“ schreibt Catharina, „ihren Hausgezierd und Hoffart gesehen, die zu Hochzeiten, Freuden und Tänzen gangen, ich aber in armer und reicher Leut‘ Häuser bin gangen, mit aller Lieb‘, Treue und Mitleiden, Pestilenz und Tote getragen, die Angefochtenen und Leidenden in Türmen, Gefängnis und Tode heimgesucht und getröstet, allzeit den Spruch des weisen Mannes bedacht: Es ist besser in das Klaghaus gehn, denn in das Freudenhaus. Ich hab‘ auch, Gott sei Lob, viel darinnen gelernt, und rede vor Gott, dass ich mehr Arbeit meines Leibes und Maules getan habe, denn kein Helfer und Kaplan der Kirchen, gewacht und gelaufen Nacht und Tag, und vielmehr zwei, drei Tag nichts gessen noch geschlafen. Deshalb mich auch mein frommer Mann (dem also wohlgefallen) nur seinen Helfer genannt hat, ob ich schon nicht auf der Kanzel bin gestanden, deren ich auch zu solchen meinen Geschäften nicht bedurft hab‘.“

Wenn der Apostel sagt: „Herbergt gerne“, und wiederum „seid gastfrei ohne Murmeln“ – so gilt das heutzutage noch und insonderheit den lieben Frauen, die die meiste Last davon haben. Der Apostel weiß wohl, warum er das Wörtlein „gerne“ und „ohne Murmeln“ zufügt. Denn es ist nicht immer leicht, ein freundlich Gesicht zu machen, wenn ein Besuch den andern drängt, und das Haus aus dem Geleis zu gehen droht, wie ein Güterzug aus den Schienen. Da gibts leicht Verstimmung, und wenn sie der Gast auch nicht merkt, so kriegt sie doch der Mann zu merken und das Gesinde. Und doch ist unser jetziges Herbergen noch lange nicht das, was der Apostel verlangt. Unser Haus kommt damit nicht in Not und Lebensgefahr; denn wir laden die, die wir kennen oder lieben, und höchstens läuft dann und wann ein mal ein unangenehmer, anspruchsvoller oder langweiliger Gast mitunter. Zu Pauli Zeit gab’s verfolgte, geächtete Leute, die weder bei Heiden noch Juden Aufnahme fanden, weil sie Christum bekannten; da mussten die Christenhäuser sich auftun, und auch mit Gefahr des Lebens, wie die Antiochiener Paulum, so die reisenden Christen aufnehmen, Unbekannte, Fremde, meist blutarme Leute. Da war mehr Gelegenheit zum Murren als heutzutage, wo oft das die größte Verlegenheit beim Herbergen bereitet, wenn große Wäsche im Hause ist, oder der Metzger Einen mit dem Braten im Stiche lässt. In der Reformationszeit gab’s wieder Gelegenheit, solch‘ altchristlich Herbergen zu üben. Da waren viel flüchtige Leute, die nicht wussten, wohin ihr Haupt hinlegen. Sie kamen aber nicht einzeln, sondern scharenweise. Frau Catharina hatte ein großes geräumiges Haus – noch heutzutage kann man den weiten Platz sehen, worauf das Münsterpfarrhaus stand – sie sah aber nicht darauf, wie viel Staatszimmer und Salons sie daraus machen konnte, sondern, wie viel ihr Gelegenheit gegeben, das Haus weit aufzumachen. So schreibt sie: „Ich hab‘ schon im Anfang meiner Ehe viel herrliche gelehrte Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: unterstütze und stärke die müden Knie. Das hab‘ ich nach meinem Vermögen und gegebenen Gnaden Gottes getan, da einmal fünfzehn liebe Männer aus der Markgrafschaft Baden mussten weichen, sie wollten denn wider ihr Gewissen tun; unter welchen ein gelehrter alter Mann war, heißt Doktor Mantel, der mich samt Anderen zu Baden inne ward, zu mir kamen, Rat und Trost von mir begehrt, da er mit Weinen sagte: Ach, ich alter Mann, mit viel kleinen Kindern! Da ich ihm aber Matthäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreut und seine müden Knie gestärkt! Denn er Angst und Schrecken versucht hatte, vier Jahre schwer gefangen gelegen.“

Der Arbeit aber sollte noch mehr werden. Im Jahr 1524 mussten in einer Nacht anderthalbhundert Bürger aus Kenzingen im Breisgau auf kaiserlichen Befehl um des Evangelii willen Haus und Hof verlassen. Sie flüchteten nach Straßburg; Catharina nahm deren allein achtzig in ihr Haus und speiste fünfzig bis sechzig vier Wochen lang täglich, wozu ihr fromme Herren und Bürger beisteuerten. Das ist doch wohl ein ander Herbergen als das unsrige!

Im Jahre 1525, als der Bauernkrieg losbrach und die verjagten Bauern, „viel elender erschrockener Leut“, gen Straßburg kamen, machte sich Catharina auf, nahm sich Hilfe an dem Schaffner des Almosens, Meister Lux Hackfurt, und zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, und führte die Leute ins Barfüßer-Kloster. Dort wurde eine große Menge aufgenommen; Frau Catharina kollektierte Gaben und dienende Leute.

Darüber vergaß sie aber die Sorge für die Nächsten nicht. Galt es doch, dass der Kirche tüchtige Geistliche erzogen würden, wenn das Evangelium recht sollte verkündigt werden. Als man daher im Jahre 1543 ans Werk ging, ein Studienstift für Theologen zu gründen, und viel arme Schüler sich meldeten, da war sie die Pflegemutter derselben, die sie unterbrachte und verpflegte. Sie sammelte Gaben für die armen Schüler, schaute ihrer Haushaltung nach, wie nur eine Mutter für ihre Kinder sorgen kann.

Auch nach dem Tode ihres Gatten treibt sie die Barmherzigkeit fort. „Er hat mich, schreibt sie, gern der Gemeinde geschenkt, mir auch solches nicht mit Gebot sondern mit freundlicher Bitte, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen, dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahre und elf Wochen nach Zells Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselbigen Gutes getan in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ So ruft sie den treuen, frommen, um des Evangeliums willen verjagten Prediger Marx Heilandt in ihr Haus. Derselbe wird Prediger in Straßburg und wirkt im Segen bis an sein Ende. – Dem berühmten Prediger und Reformator Caspar Hedio hilft sie treulich über das Sterbestündlein hinüber. „Der lieb Doktor Hedio hat in seinem Sterben mich vor allen andern Predigern bei ihm haben wollen, mich so vielmal vermahnt, dass ich nit von ihm gehen wolle. Das kann sein Weib und Kinder noch bezeugen, alles Beten, Lesen und Reden, so ich getan habe.“

Als nach kaiserlichem Beschluss im Jahre 1549 die beiden straßburgischen Prediger Bucer und Paul Fagius ihr Amt niederlegen und nach England fliehen mussten, hinterließen sie der Witwe Zell, ohne ihr Wissen, mehrere Goldstücke, damit sie nicht Not leide. Sie schreibt ihnen darüber in einem Briefe nach England:

„Ihr habt mich mit dem Geld, so ihr mir heimlich in dem Brief zurückgelassen, auf das Äußerste betrübt. Auf dass aber meine Schamröte einesteils hingelegt werde, hab‘ ich zwei Stücke Geldes wiederum in diesen Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern zu mir kommen, und eines Prädikanten Frau, deren Mann vor ihren Augen man den Kopf abgeschlagen hat. Die hab‘ ich zehn Tage lang bei mir gehabt und hab‘ das eine Stück Gold diesen beiden zur Zehrung geschenkt, aber nicht meins, sondern euretwegen; das Andere hab ich euch wiederum in den Brief getan, dass ihr es selber sollt brauchen und ein andersmal nit so gütig sein. Ihr werdet noch viel bedürfen, auch euer Volk, wenn es euch in Engelland nachkommen soll, und seid also Gott befohlen in seinem Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und eure Feind‘.“

So voller guter Werke ist Frau Catharina gewesen, ein leuchtendes Vorbild aller Derer, die im Dienste der Armen und Kranken stehen. Wer die Anstalten barmherziger, suchender und rettender Liebe in Straßburg jetzt sieht, dem ist es, als ob Frau Catharina wieder aufgestanden in Straßburg, wie einst die Tabea zu Joppe. Die Samariterliebe Catharinas bedarf keiner schmuckvollen Schilderung, sie spricht durch sich selbst; will aber Jemand im lieblichen Gewande von Wahrheit und Dichtung von Catharinas Wirken lesen, der wird in den Straßburger Traktaten „der Pelzrock“, „das Pilgerhaus“ und anderen lebendig in die Geschichte jener Tage und das Leben Catharinas eingeführt.

Wir haben das Kapitel von der barmherzigen Liebe in Catharinas Herzen und Leben vorangeschickt, damit der Leser um so mehr unser letztes Kapitel begreife und es sich zusammenreimen könne, wie diese geschürzte Samariterin zugleich eine gewappnete Streiterin war.

Sechste Kapitel – Die Streiterin.

„Dieweil wir denn wissen, dass der Herr zu fürchten ist, fahren wir schön mit den Leuten, aber Gott sind wir offenbar. Ich hoffe aber, dass wir auch in eueren Gewissen offenbar sind. Dass wir uns nicht abermal loben, sondern euch eine Ursach geben, zu rühmen von uns; auf dass ihr habet zu rühmen wider die, so sich nach dem Ansehen rühmen, und nicht nach dem Herzen. Denn tun wir zu viel, so tun wir es Gott; sind wir mäßig, so sind wir euch mäßig.“

2 Kor. 5,11-13.

Der lieben Leserin wird es wohl während des Lesens nicht entgangen sein, dass sie in Catharina keine angekränkelte, sentimentale, sondern eine durchaus gesunde, derbe und kräftige Frauennatur vor sich habe. Auch das, was sie von sich selbst schreibt, scheint auf den oberflächlichen Blick hin von starkem Selbstgefühl zu zeugen. Wer aber näher zusieht, wird ihre Sprache begreiflich finden und hinter dem scheinbaren Selbstgefühl mehr Demut finden, als in so manchen schönen Redensarten voll demütiger Worte, die doch so schlecht den Hochmut, der dahintersteckt, verdecken. Die demütige Hoffart ist ja doch die allerschlimmste. Was wir von Catharinas Leben und Schriften lesen, hat sie meist schreiben müssen aus Notwehr. Angegriffen und verwundet bis ins innerste Herz hinein, hat ihre Feder freilich manchmal das Ansehen eines schneidigen Schwertes, und was sie zu ihrer Verteidigung sagen muss, sieht oft als ein Selbstlob aus.

Gott hatte ihr einen starken, männlichen Geist neben aller weiblichen Zartheit und Liebe gegeben, und wie er einst in schweren Zeiten Israels eine Deborah, Jael und Judith seinem Volke erweckt, so hat er allezeit es auch nicht verschmäht, in außerordentlichen Zeiten auch ein schwaches Weib mit besonderer Kraft auszurüsten. Hat der HErr doch aus dem Mund der Unmündigen sich ein Lob zubereitet, und sollen selbst die Steine schreien, wenn die Priester schweigen – warum sollte nicht auch ein Weib reden können in böser, teurer Zeit? Die Ausnahmen bestätigen freilich auch hier die Regel: „dass das Weib schweigen solle in der Gemeinde“. Hat Catharina zu viel geredet, so hat sie’s dem HErrn zu viel geredet. Schon damals musste sie den Vorwurf hören: „die Weiber sollen die Kunkel spinnen, Kranke warten; sie sei ein seltsamer Geist“, „der Doktor Catharina“, „sie wolle eine Rolle spielen und ihres eigenen Sinnes leben“. Wie weit der Vorwurf wahr ist, wird sich bald zeigen.

Das traute Verhältnis zu ihrem Mann, der Umgang mit geistvollen, hervorragenden Männern der Reformation, die in stetem Kampfe standen, gaben ihrem Geiste freilich ein männliches Gepräge. Man merkt gar bald, an wem und an was eine Frau hinaufrankt. Die ganze Zeit war eine Kampfeszeit, sie musste auch Catharina stählen und wappnen. Der Briefwechsel mit diesen Männern, wie unter anderen auch mit Luther, konnte nur kräftigend auf ihren Geist wirken. So hat sie schon ziemlich früh in ihrem Ehestande mit dem Bischofe von Straßburg angebunden und demselben, wie sie selbst sagt, „raue Briefe“ geschrieben. Der glühende Eifer um das Haus des HErrn ließ ihr keine Ruhe. Wie sie in ihrer Barmherzigkeit nicht frug, wer und was Einer sei, so hielt sie an dem allezeit fest: die brüderliche Liebe da festzuhalten bei aller Verschiedenheit, wo sie wahrhaften Glauben an Christum als den Sohn Gottes und den Heiland der Welt sah. Es war ihr tiefster Schmerz, dass in der Reformation sich die innerlich doch nahestehenden Geister nicht verstanden oder gar bekämpften. Ihr Mann, Matthis Zell, war ein Mann sanftmütigen Geistes, vornehmlich auf das Innerliche und Praktische des Evangeliums gerichtet, und darum ein Feind alles Streites über Dinge, darin er nicht die Hauptsache des Christentums erkennen konnte. Luthers Schärfe und Kriegsposaunenton war ihm deshalb zu stark, und er äußert sich darum einmal darüber in seiner Verantwortung: „Es hat mich nichts mehr gegen Luther erregt und mir übler an ihm gefallen, desgleichen auch andern guten Männern, als das hart, grässlich oder bissig Verantworten und Schreiben, das er gegen etliche seiner Mitkämpfer, desgleichen Papst, Bischöfen und Anderen getan hat, welche er so scharf, so spöttisch angegriffen hat, dass einer kaum etwas Schärferes, Spöttischeres gelesen haben wird, ja auch kaum von den Propheten, durch welche Härtigkeit und Schärfe (als ich achte) Viel ob seiner Lehre etwas Scheuens gehabt. Mich dünkt aber (so setzt er sehr richtig hinzu), dass die Wahrheit soll angenommen werden, Gott geb, wie sie einhertrabe, sanft oder rau.“ Namentlich konnte er sich in die Abendmahlsstreitigkeiten zwischen Lutheranern und Reformirten nicht finden und behauptete, dass die Unterscheidung: „dass mit, in und unter dem Brote der Leib Christi empfangen werde“, vom Teufel erfunden sei, weil sie so viel Zwietracht anrichte. Auf der Tübinger Konferenz, in welcher Melanchthon nebst anderen berühmten Männern zur Verständigung zusammengetreten waren, war auch Matthis Zell anwesend. Melanchthon frug ihn, was er vom Nachtmahl des Herrn halte? Zell antwortete: „Herr Philipp, ich will Euch meinen Glauben sagen und geb auf Eure Frage Antwort: „Als Gott der Herr mich zur Erkenntnis seines heiligen Evangeliums hat kommen lassen, da hab ich vom Abendmahl Jesu Christi nie anders geglaubt und gepredigt, denn dass in dem heiligen Abendmahl des Herrn Christi werde dargereicht allen denen, so es empfahen und genießen, der wahre Leib und das wahre Blut Christi, meines Erlösers und Heilandes. Dass ich aber glauben sollt, ich müsste den Leib und das Blut im Nachtmahl empfahen: substantialiter, essentialiter, realiter, naturaliter, praesentialiter, localiter, corporaliter (lauter dogmatische Bestimmungen des „Wie“ im Abendmahl) rc., der Teufel hat diese Wörter aus der Höllen gebracht; Christus hat einfach geredet: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Bei diesen Worten bleib ich und glaub nit anders, denn wie Christus, mein Herr, selber geredet hat. Denn wenn es not gewesen wäre, diese Worte: substantialiter, essentialiter rc. hinzuzusetzen, er würde solches auch hingesetzet und geredet haben. Darum soll man allein bei den einfältigen Worten Christi bleiben und glauben, wie er selbst geredet hat.“ Worauf Melanchthon ihm geantwortet: „Du hast recht geredet.“

Nach dieser Anschauung ihres Mannes hatte sich auch Frau Catharina gebildet, und es ist darum erklärlich, warum sie an Luther schreibt, um ihn zu bitten, in den Abendmahlsstreitigkeiten wider die Schweizer und Oberländer milder zu verfahren. Luthers Antwort lautet:

Der tugendsamen Frauen des Matthis Zellen zu Straßburg, meiner freundlichen lieben Freundin!

„Gnad und Fried in Christo. Meine liebe Fraue, ich hab Eure Schrift, so unlangenst mir zukommen, bisher nicht verantwurt, denn ich gedacht, es wäre noch zu frühe, weil die Sache noch so neu war. Aber weil, Gottlob, jetzt die Schropfe 5Schroffheit ein wenig sich geändert, will ich nun wiederumb Eure Schrift Euch fürgehalten haben, dass Ihr nun auch Beide, bei eurem Herrn und andern Freunden helft anhalten, dass, so es Gott gefiel, Frid und Einigkeit mocht erhalten werden. Denn Ihr wisset zu guter Maßen, dass wohl die Lieb soll über Alles gehen und den Vorgang haben, ausgenommen Gott, der über Alles, auch über die Liebe ist. Wo Derselbige und sein Wort fürgeht, soll ja auch bei uns die Liebe gewiss die Oberhand haben, nächst Gott. Es will solch hohe Sache nicht mit unsern Anschlägen noch Andacht, sondern mit herzlichem Gebet und geistlichem Seufzen angriffen sein, denn es ist Gottes Sache, unser Gott muss dabei und dazu tun. Unser Tun ist nicht. Betet, betet, betet, und lasset Ihn sorgen. Hiemit Gott befohlen. Amen. Grüßt mir Euren lieben Herrn. 24. Januarii 1531.

Martinus Luther.

So fest sie selbst in ihrem lutherischen Glauben stand, so war ihr doch alle Verfolgung Andersgläubiger in der Seele zuwider, und sie fühlte sich berufen, auch mit Wort und Schrift für sie einzustehen, wie sie sie auch in ihr Haus aufgenommen. Die Wiedertäufer waren mit in den Bauernkrieg verflochten und nun ohne Unterschied mit Feuer und Schwert verfolgt worden. „Die armen Täufer“, schreibt sie, indem sie ihre Stimme für sie erhebt, „da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt, wie ein Jäger die Hund‘ auf ein wild‘ Schwein und Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darein wir uns vom Papsttum geteilt haben, über die Erlösung Christi, aber in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebt euch die Schuld, dass wir in Lehr und Leben Ursach sind, dass sie sich von uns trennen. Wer Böses tut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen noch regieren, wie ihr meint, er gehört dem Herzen und dem Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Lest alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium wiederum bei uns erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, was er geschrieben hat von ihnen und sie so hoch beschirmt, dass eine Obrigkeit nit mit ihnen zu tun hab, nur in bürgerlichen Sachen. Lest es in dem Büchlein, das der gute Mann Martinus Bellino an den Fürsten und Herzog Christoffel zu Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todtbrand zu Genf; da er für und zu dieser Zeit aller frommen, verständigen Gelehrten Rede und Meinung fleißig zusammen gezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, so man Ketzer nennt, soll handeln. Wenn euch die Obrigkeit folgte, sie würde bald eine Tyrannei anfangen, dass Städt‘ und Dörfer leer würden. Straßburg steht noch nicht zum Exempel, Schand‘ und Spott im deutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmens der Elenden; ist auch noch nit müd‘ worden, Gott sei Lob, und ist noch mancher arme Christ darinnen, den ihr gerne hättet gesehen hinaustreiben. Das hat der alte Matthias Zell nit getan, sondern die Schafe gesammelt, nit zerstreut, hat auch solches nie gebilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel im Convent der Prediger gesagt: Ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tage, dass ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.“ So verteidigt Catharina die Wiedertäufer.

Sonderlicher aber hatte sie zu leiden und zu streiten wegen eines Mannes, den sie und ihr Mann als einen Verfolgten und Flüchtigen aufgenommen hatten. Es war der schlesische Edelmann Caspar Schwenkfeld, der im Jahre 1528 nach Straßburg flüchtete. Im Münsterpfarrhaus fand der den Römischen und Lutherischen gleich verdächtige Mann Aufnahme. Es war in seinem Wesen freilich etwas Unstätiges, in seinen Ansichten und Lehren mancherlei Überspanntes und Irriges. Er fürchtete auch bei den Protestanten ein neues Papsttum, ein Halten auf Äußerliches, und drang darum vor Allem auf Innerlichkeit des Glaubens und Lebens in mystischer, überschwänglicher Weise, eiferte gegen das Amt und die äußeren Institutionen der Kirche, meinend, dadurch zu helfen; hielt wenig auf die Sakramente, desto mehr aber auf das innere Licht und das Zeugnis des heiligen Geistes am Herzen. Trotz alledem aber war er ein lebendiger Beweis davon, wie man mit dem Kopfe irren und doch im Herzen richtig zu seinem Gott stehen könne. Sein tief innerliches Wesen, sein vertrauter, kindlicher Umgang mit Christo, seine feurige, beredte Liebe zu ihm, das Edle und Ritterliche seines ganzen Benehmens und seiner Haltung musste ihn dennoch den Christenherzen lieb machen. Das Zell’sche Ehepaar ehrte und liebte ihn als einen frommen, obwohl irrenden, aber sehr demütigen Mann. Je mehr er von den Predigern als Kirchenfeind angefochten ward, desto mehr hielt es Frau Catharina für ihre Pflicht, ihn zu verteidigen und sich seiner anzunehmen. Sie bleibt auch mit ihm, als er Straßburg verlassen hatte, im Briefwechsel und kann des Segens, den sie in seinen Betstunden und Bibelauslegungen gehabt, zu denen zu gehen Matthis Zell ihr volle Erlaubnis gab, nicht vergessen. Sie schied an seinen Worten, was Spreu und Weizen war, und warf um der etlichen Spreu willen den Weizen nicht weg. Durch ihre vorgefasste Meinung bringen sich ja auch heutzutage Viele um einen Segen, da sie von vornherein um einer einzigen irrigen Anschauung eines Menschen willen, den ganzen Menschen verwerfen, und machen’s nicht einmal wie die Hühner auf dem Hofe, die sorgfältig die Körnlein aufpicken und die Steine liegen lassen, und sind keine Beroenser, „die da fleißig forschen, ob sich’s also hielte“, sondern lieber von vorn herein aburteilen.

In einem Briefe schreibt Schwenkfeld an seine besondere liebe Frau Catharina in Christo: „Wir sollen uns befleißigen, dass wir einander mit Gebet überall zu Hilf‘ kommen. Der Herr Jesus Christus gebe sich ihm und uns Allen nach dem heiligen Geiste, in und durch welchen er jetzo regiert, gnädiglich zu erkennen. So werden wir denn erst sehen, was Zank und Wahrheit, was nötig, was unnötig, was Gott gefällig, ja, was die Labsale unseres Herzens und was Menschentand und Spitzfindigkeit vor den Augen Gottes ist.“

So lange Zell lebte, war er Catharinas Schutz gegen die Angriffe wegen Schwenkfeld. Als Zell aber die Augen geschlossen, waren es namentlich jüngere Prediger, die an der verwitweten Frau zu Rittern werden wollten und ihr vorwarfen: „Sie mache ihrem seligen Manne Schande, indem sie jetzt schwenkfelderisch sei, Predigt und Sakrament verachte.“

Darauf antwortete sie in einer 12 Folioseiten umfassenden Schrift: „Nicht jetzt erst habe sie mit Schwenkfelds Schriften angefangen, sondern sie schon vor 24 Jahren gelesen, und wie auch Dr. Capito selig, gebilligt. Auch ihr seliger Mann habe sie gern vorlesen hören. Besonders gern habe er auf die lectiones gehört, welche Schwenkfeld über die zwei Episteln Petri in Capitos Hause getan, wo auch des letzteren Weib beiwohnte, auch war Schwenkfeld Capitos Tischgenosse. Ihr Mann habe oft Schwenkfelden predigen gehört. Übrigens habe sie das Sakrament nie verachtet; Schwenkfeld habe vielmehr stets zum Gegenteil aufgefordert. Sie könne freilich nicht so oft sie wolle in die Kirchen kommen wegen ihres kranken Knaben. Es sollten nur einmal die Prediger, viel gnädige Herren und ander gleisnerische Predigthörer zu tun haben, das sie, so viel großer Arbeit, „damit ich all mein Kraft verzehre“, statt zu derselben Zeit in der Predigt sitzen, spekulieren und das Buch auf dem Schoß haben. Die jetzigen Prediger wollen ein opus operatum aus dem Sakrament und der Predigt machen. Der alte Zell, Capito, Hedio, die doch so viel für das Evangelium getan, haben nichts davon gelehrt; auch selbst Butzer nicht, der doch sonst ganz hart und streng wider Schwenkfeld gewesen, habe ihn nie so offen uff der Kanzel angriffen, als ihr, junge Gecken, die ihr wähnt, die umzustoßen, deren Gürtel ihr kaum erreicht. Ihr habt die Schleuder und den Geist Davids nicht, auch keinen Philister vor euch.“

Man staunt wirklich, eine Frau also reden zu hören. Im Jahre 1524, kurz nach ihrer Verheiratung, schrieb sie eine Verteidigungsschrift für ihren hart angefochtenen Mann, „eine Entschuldigung des Magister Matthis Zell“, die aber von der Obrigkeit konfisziert wurde.

Als jene 150 Bürger von Kenzingen, von denen im vorigen Kapitel berichtet ist, fliehen mussten, durch österreichische Soldaten vertrieben, mit Zurücklassung ihrer Weiber und Kinder, da schrieb sie eine Trostschrift: „An die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen, meine Mitschwestern.“

Im Jahre 1534 schrieb sie eine Vorrede zu einem Abdrucke eines Gesangbuchs unter dem Titel: Von Christo Jesu, unserm Seligmacher, seiner Menschwerdung rc., etlich christliche und tröstliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt sie: „Dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch den Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher alle Laster, Buhlerei und ander schandlich Ding, den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dünkt es mich ein sehr gut und nüt Ding sein, die dieser Mann getan hat (der Herausgeber), die ganze Handlung Christi und unsers Heils in Glanz bringen, ob doch die Leut‘ also mit lustiger Weis‘ und heller Stimme. ins Heil ermahnt möchten werden, und der Teufel mit seinem Gesang nit also bei ihnen Statt hätte.“

Als nach der unglücklichen Schlacht von Mühlberg das Interim auch in Straßburg durchgeführt werden sollte, woraus den Evangelischen großer Nachteil erwuchs, ging solches Catharinen tief zu Herzen. Noch ist ein Band Schriften über jene Zeit erhalten, welche Catharina gehörten und wozu sie Randglossen beigegeben.

„O Straßburg!“ schreibt sie einmal an den Rand, „wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen! Nimmt Gott Matthis Zell bald davon, dann sieh‘, wie es dir geht!“

Ferner:

„Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr‘, Lüt‘ und Bücher geben, erbarm‘ dich auch unserer Nachkommen. Cath. Zellin.“ „O Herr Christus, mach‘ mich fromm in dir, mein Herz soll solchem Rechte nimmermehr abfallen. Cath. Zellin.“

Man merkt Catharina an, dass ein tiefes Weh‘ ihre Seele durchzieht. Die schönen Tage der jungen, ersten Liebe zum Evangelium waren dahin. Man hatte sich’s, seit Luthers 95 Sätzen, mit hoher Freude gesagt, dass da und dort ein Feuer der Liebe zum Evangelium ausgebrochen; man hatte sich gegrüßt, wie Schläfer, die des Morgens den Laden der Kammer aufstoßen und sich die Augen reibend merken, dass die Sonne hoch am Himmel steht, und der Nachbar auch schon aufgewacht ist. Es war jetzt anders geworden. Statt sich am hellen Licht zu freuen und zu erwärmen, zankte man über die Strahlen, über das „Wie“ des Leuchtens. Wer das geistliche Leben nicht in eben der Gestalt hatte, wie man es selbst trug, galt nichts. Triumphierend stand Rom und schaute zu, wie diese „Galater“, die im Geiste angefangen und im Fleische aufhörten, sich unter einander bissen und zankten. Catharinas Mann war heimgegangen mit der herzlichen Bitte an seine Frau, sie solle seinen Helfern (Unterpredigern) sagen, dass sie Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen und Christum predigen sollten. Nun er heimgegangen und der treue Freund Bucer nach England gezogen, stand Catharina allein, die große Vergangenheit mit der kleinen Gegenwart vergleichend, ohne den Rat ihres treuen Matthis. An seiner Seite war sie so sicher geborgen gewesen, er deckte sie mit seiner liebenden und starken Hand. Nun aber standen vornehmlich jüngere Geistliche auf, die, wie einst der Pharao in Ägyptenland nichts von Joseph, so auch nichts von jenen ersten Kämpfen und Helden wussten, ihr Werk begeiferten, als habe es ihnen an Mut und Zeugnis gefehlt. Sie bedachten nicht, dass es so leicht ist, in die Gasse zu treten, die die Andern mit Drangabe ihres Herzblutes gebrochen. In ihrem eigenen Hause hatte Catharina sich unwissend den bittersten Feind groß gezogen. Ein Dr. Ludwig Rabus von Memmingen in Schwaben, war als armer Schüler in das Zell’sche Haus gekommen. Catharina wurde ihm eine treue Pflegemutter. Er war ein begabter, talentvoller Redner, bald ein Lieblingsprediger der Stadt, und nach Zells Tod zu dessen Nachfolger erwählt worden. Dies schnelle Steigen, das Lob verdarb ihn. Von Natur heftig, wurde er unerträglich in seiner Polemik, die sich erst gegen das Interim, danach aber auf eine Kritik der früheren straßburgischen Zustände warf. Er unterzog sie privatim und öffentlich einer schneidenden Kritik, worin keiner der ehrwürdigen Männer ungerupft durchkam, am schlimmsten aber Schwenkfeld mitgenommen wurde. Diese Schmach, ihrem seligen Manne angetan, konnte Catharina, die sich auch nach seinem Tode noch als „ein Stücklein von der Ripp‘ des sel. Matthis Zellen“ ansah, nicht ruhig hinnehmen. Sie versuchte die Ehrenrettung ihres Mannes und seiner Mitarbeiter mündlich und schriftlich. Darauf schrieb der während des nach Ulm als Superintendent versetzte Rabus, der würdigen Frau einen Brief (im Jahre 1557), der an Rohheit und Grobheit Alles übersteigt. Es genügt, den Anfang des Briefes zu lesen, und man wird an dieser Stilprobe genug haben. „Dein heidnisch (so schreibt er), unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zugekommen den 16. Aprilis, welcher der Karfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem giftigen, neidischen, erstunkenen und verlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch keine Besserung an dir zu hoffen, sondern du für und für in schrecklichem Irrtum, falschem Zeugnis und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrst.“ So schreibt er an eine Witwe, die einst seine Pflegemutter war, kurz nach Karfreitag, der hochwürdige Superintendent.

Catharina antwortet auf diesen Brief in einer Druckschrift, die am Schlusse des Jahres 1557 unter dem Titel erschien: „Ein Brieff an die ganze Bürgerschaft zu Straßburg von Catharina Zellin, dessen jetzt säligen Matthei Zellen, des alten und ersten Predigers des Evangelii dieser Stadt, nachgelassenen Ehefrau, betreffend Herrn Ludwig Rabus, jetzt ein Prediger der Stadt, sampt zweien Brief, ir und sein, die man mäniglich lesen und urteilen ohn‘ Gunst und Hass, sondern allein die Wahrheit wahrnehmen. Dabei auch eine sanfte Antwort auf jeden Artikel seines Briefes.“ In jenem Briefe an Rabus, der in diesem Schreiben an die Bürgerschaft enthalten ist, hatte sie mit Sanftmut auf die Schmähungen geantwortet und ihm geschrieben:

„Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habt ihr mir unfreundlich und zugeschlossen wiederum zugeschickt und nit gewöllt lesen. Das hat mir wohl weh getan, als einer, die euch geliebt, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden auch helfen fördern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es aber wohl auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzt worden ist, hab gedacht, Jahr und Verstand kommen mit der Zeit mit einander, der Herr Christus könne alle Dinge ändern und Verstand geben. Hab’s demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen Euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist.

Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, dass ihr meint, die Leute sehen Narren und verstehen nit, wenn sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red‘ und lehre, und was ihr vielmehr aus Unverstand, auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch redet und lehrt! Und ihr sollt es nit zürnen, ihr lernt erst aus Schwenkfelds Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euren Predigten und flucht ihm dennoch gleich darauf; gleich wie die armen Päpstler aus unseres lieben Dr. Luthers seligen Büchern haben etwas gelernt und ihn danach verdammen, und wenn ihre Bücher nicht noch vorhanden wären, dürften sie wohl sagen, Luther redete die Unwahrheit von ihnen, sie hätten nit also gelehrt. Luget 6seht, macht euch ihrer nit teilhaftig, es wird euch sonst gehen, wie dem Propheten Bileam: Was du fluchst, will ich segnen.“ An einer andern Stelle ruft sie: „O seliger Wolf Capito, Caspar Hedio, Matthäus Zell, wie ruht ihr so wohl in Christo, die so treulich gehandelt und eure Mitarbeiter nicht also dem Teufel übergeben habt, des müsst ihr jetzt im Grund verachtet werden (aber ohne Zweifel von Gott geehrt). Ich glaub‘ aber, lebtet ihr jetzt noch bei uns, man hiebe euch wiederum mit Ruten, ihr musstet schweigende Kinder werden, und bei denen, die ihr geboren, wiederum in die Schule gehen und Krummes für Grades lernen. Gott hat euch aber in Gnaden vor dem und viel anderem Unglück hinweggerückt, ihm sei darum Lob. Amen.“

In dem Briefe an die Bürgerschaft geht sie Rabus schärfer zu Leibe und greift ihn zunächst an seinem Titel an. Er hatte seine Schrift an Catharina unterschrieben: „Ludwig Rabus, Doktor der heiligen Schrift und Superintendent der Kirche zu Ulm, wider alle Zwinglische, Schwenkfeldische und Wiedertäuferische Geister, daneben aber ein armer, schlechter Diener des gekreuzigten Christi und seiner Kirche.“

Über diese Unterschrift schreibt sie zunächst freilich nicht ohne einige Schärfe:

„Dass sich der Herr „Doktor“ unterschreibt, lass ihm gelten: es ist eben nicht ein hässlich Wort. Es heißt und soll heißen, ein gelehrter, ein verständiger, erfahrener Mann in heiliger Schrift und göttlicher Kunst; ein Lehrer, wohl einstudiert in die Theologie, das ist, heiliger Schrift und geistlicher Dinge wohl kundig. Nun, wo ein solcher Doktor, ein weiser, kluger, treuer, verständiger Lehrer göttlicher Dinge wirklich sanft, demütig und eines stillen Geistes ist, erzogen und gebildet in der Schule Christi und des heiligen Geistes, arm im Geiste und doch reich in Gott; ein Mann, dem der Herr den Sinn der Schrift geöffnet hat, dass er Altes und Neues aus seinem Schatz hervorlangen kann zum Heil der armen Seelen da ist Gott für einen solchen zu loben. Wer sollte ihn nicht zwiefacher Ehre wert halten. Aber wenn ein solcher stolz, aufgeblasen, einbildisch auf menschliche Gelehrsamkeit wäre, wenn er sich mit fremden Federn. brüstete, wie ein Rabe krächzte, oder dem ersten, dem besten, den Handschuh vorwürfe, wenn er Alles überpolterte und überschnarchte, selbst redselig, Niemand neben sich zu Worte kommen ließ, in Allem Recht haben und über Alles absprechen, keine Gegenmeinung duldete und lieber mit Schimpf- und Pöbelworten um sich werfen wollte; dann dabei eine Unterwürfigkeit fordere, als wenn er ein kleiner Herr-Gott wäre welcher Vernünftige möchte vor diesem Namen Respekt haben. Leider sorge ich nun, es möchte in unsern Tagen mit den Doktorn der Rechtsgelehrsamkeit, der Arzneikunft, der Philosophie, der Theologie gerade so gehen, wie zu seiner Zeit einer gesagt hat, dem der Kopf auch auf dem rechten Flecke saß, wie man zu sagen pflegt, der aber dabei auf gar keinen Titel Anspruch machte: „Die Herren, sagte dieser, schwatzen so gern ins Blaue hinein, machen viel Wind, leisten wenig; sie sind geschäftig, laufen hin und her, und tun meist das Gegenteil von dem, was sie ihren Titeln nach tun sollten. Der Jurist leert, aus lauter Rechtslust, dem Klienten den Beutel; der Arzt arzneit, aus lauter Hilfsbegierde, den Patienten zu Tode; der Philosoph führt, durch lauter Sophismen, die gläubigen Schüler bald dahin, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen; die Theologen (die besseren unbescholten) führen die Zöglinge vom lebendigen Gott weg, zu den toten Götzen. Die Geistlichen, statt als würdige Seelsorger und treue Hirten den Schafen nachzugehen, liegen, ach, wie oft! auf der faulen Haut, oder machen ihre Denkzettel breit und die Säume an den Kleidern groß; sie schließen vor den Menschen das Himmelreich zu, gehen selbst nicht hinein, und wer hinein will, den stoßen sie vom Eingang weg. Der HErr hat sie nach dem Leben geschildert Matth. 23.“

So sucht denn der Mehrteil dieser Großhansen nicht die Ehre Gottes, nicht des Nächsten Wohl, Nutzen und Seligkeit, sondern einzig seinen Privatnutzen, reiche Pfründen, Pracht, Hochfahrt, großen Namen, lange Titel, Ehre und Ruhm. Das ist mir ein Volk!“

„Das hab‘ ich unverhohlen seiner Zeit dem Herrn Rabus unter vier Augen gesagt, als er zehn bis zwölf Tage in Tübingen gewesen, um sich den Doktortitel zu holen. Aus treuer mütterlicher Liebe sagte ich ihm: „Was er doch in dieser letzten Zeit mit solchem Pracht- und Narrenwerk umgehen, danach alle Finger ausstrecken und solche Ehre suchen möge vor der Welt; so wir doch in den izigen stürmischen Zeiten der Verfolgung dem Ende der Welt nahe und dem Scharfrichter schon an der Hand bereit wären.“ Da antwortete der junge Herr: „Luther sei doch zu seiner Zeit auch Doktor geworden“. Ich aber sagte ihm: „Damals als Luther den Gradus erhielt, träumte ihm noch wenig von dem, was er nachher erfuhr. Den Geist des Evangeliums kannte er noch lange nicht, wie später, und nahm die Gewalt vom Papst. Ihr aber, Herr Rabus, seid nicht in Luthers Falle. Nicht Euch gebührt die Ehre, mein teurer seliger Mann war’s, der Euch auf die Kanzel stellte und der Kirche zum Prediger und Diener des Evangelii weihte: zum Doktor hat er Euch nicht gemacht. War Euch seine Ordination zu wenig? Was trieb Euch nach Tübingen, den Doktorhut zu holen? Hat unser Straßburg weniger gelehrte Männer? Seid Ihr etwa in so kurzer Zeit manierlicher, gelehrter, weiser, friedlicher, humaner, mit einem Worte geistlicher geworden? Ei, so zeigt mir doch den Glauben aus euern Werken! O, der närrische Titel! Kennt ihr den nicht, der gesprochen hat: „Ihr sollt Euch nicht Rabbi nennen lassen: Einer ist Euer Meister, Christus; Ihr aber seid Brüder. Und so glaube ich nicht mit Unrecht sagen zu können: Wenn die frommen, edeln Männer Martin Luther, Ulrich Zwingli, Johan Oekolampad, Paul Frigius, Wolfgang Capito, Urban Regius, Kaspar Hedio, Matthäus Zell und andere herrliche und gelehrte Männer, die das Evangelium zum ersten gepredigt, ihre Titel, die sie in der Zeit der Unwissenheit erlangt haben, itzt hätten annehmen oder holen sollen, wahrlich sie hätten sie lieber aus dem Fenster geworfen!“

„So schreibt sich Herr Rabus „Super-in-tendent“. Ein vielsilbiges Wort! Deutsch: ein Oberaufseher. Nun, dawider rede ich nicht viel. Den lateinischen Titel mag ich ihm wohl gönnen, besser als meinem seligen Manne; der ließ sich schlechtweg „Pfarrer“ nennen. Der nagelneue Herr Superintendent sehe indes nur sein hübsch um sich, vor Allem aber aus in sich. Wie mir solcher Name und Amt gefalle, weiß man schon, doch mag’s hier noch einmal stehen. Ich halte mich an des Herrn Wort: „Ihr nicht also, wer der Oberste sein will, der sei euer Diener“. Das findet man in meinem Brief, den ich ihm geschrieben, wie Christus und seine Apostel Superintendenten gewesen. Und dabei mag’s genug sein.“

Rabus hatte am Schlusse seines Briefes an Catharina ihr zugerufen: „Du hast in der Kirchen zu Straßburg eine solche Unruh bald im Anfang und mit deinem frommen Mann selber angefangen, dass ich gedenk, Gottes Urteil wird dich dermaleinst treffen. Und lass mich hinfürder mit deinen Lügen und Lästerschreiben zufrieden. Dünkt dich dieser Brief zu hart, so bedenke, man müsse dem Narren Antwort geben, wie sich gebührt.“

Catharina antwortet darauf: „Ach Gott, was tut Neid und Hass, der den Menschen so blind macht, dass einer nimmer weiß und sich nicht schämt, was er red’t! Wo ist er (Rabus) im Anfang gewesen, da ich so Unruhe hab in der Kirche angefangen. Ich meine, er sei der Wunderkind eines, das Rede und Verstand gehabt, gehört und gesehen, da es noch im Mutterleib gelegen oder noch an Bänken gegangen. Es ist jetzt vier und dreißig Jahr, dass mein frommer Mann und ich einander genommen haben, so bedenk man, wie alt er (Rabus) sei, und besehe dann, was er im Anfang zu Straßburg gesehen und gehört habe. Da zeuge, du liebes Straßburg, dann du mich länger als Herrn Ludwigen gekannt hast, und sag was ich getan habe. Ja mir selbst und nicht der Kirche habe ich viel Unruhe gemacht und angefangen, das vorher bei unsren Weibern nicht gewöhnlich gewesen, auch mir nicht viel Nachfolg getan ist worden; da ich die Armen, Verjagten und Elenden, die Wasser und Feuer geflohen seind, hab aufgenommen, für sie gered’t und geschrieben, weder Nachred, Hass, Gunst angesehen, der Kirche kein Leid getan noch Unruhe angefangen, sondern allezeit freundlich und „räs“ mit allen Parteien, und hab gern gesehen, dass nicht ein Bruder dem ändern zum Tode geholfen hatte. Hab ich Unruh in der straßburgischen Kirche angefangen, das wollte ich gern wissen, womit. Er nenne das Kind in welchem Stück ich es getan habe. Ist das die Sünd‘ der Unruh, die ich der Kirchen gemacht habe, dass ich, da andere Weiber ihren Hausgezierd und Hoffart geluget, zu Hochzeiten, Freuden und Tänzen gegangen, ich aber in armer und reicher Leut Häuser bin gegangen, mit aller Lieb, Treu und Mitleiden Pestilenz und Todte getragen rc. (Folgt jene Stelle, die wir oben im fünften Kapitel zitiert haben.)“

So verteidigte sich die tapfere Frau und schließt: „Ich bin nicht bloß in meinen nächsten Umgebungen behilflich gewesen, sondern wie mein seliger Mann auch außer Straßburg in manchem Lande und Volk, wo ich um Hilfe angesprochen ward. Diese ward, wie es immer in den Kräften war, Niemand versagt, so dass ich wohl Nutz, aber nirgend Schaden und Unruh gestiftet hab, wie man mir aufbürdet.“

Frau Catharina war übrigens nicht die einzige Frau, die sich der Geschmähten annahm. Auch die Frau Elisabeth Heckelin geriet mit Pfarrherren in Streit, und auch Frau Helena Budtschelin verantwortete sich in einem Schreiben über ihre Ansichten von der Kirche.

Rabus, der übrigens sonst ein tapferer und eifriger Mann war und der Kirche manchen Dienst erwiesen, scheint später doch von seinem Unrecht gegen Matthis Zell zurückgekommen zu sein. Er gab eine Märtyrer-Historie heraus und wollte in ihr auch seinem ehemaligen Pflegevater Zell ein Denkmal sehen. Rabus wandte sich darum an Frau Catharina und bat sie, ihm aufzuschreiben, was sich von Anfang an mit dem Evangelium und Zell zugetragen. Aber Catharina konnte den ihrem Manne und ihr angetanen Schimpf nicht überwinden, sah in dem Unternehmen und der Bitte, wohl mit Unrecht, eine Krämerei und Täuscherei und gab ihm keine Zeile.

Ihr Heimweh sollte aufhören, und sie sollte die noch kommenden böseren Tage nicht mehr sehen. Die letzte Nachricht von ihr stammt vom 3. März 1562, da sie ihrem Freunde, Ludwig Lavater in Zürich sagen lässt, er möge sie wegen des Schreibens entschuldigen, sie sei durch lange Krankheit halb tot und könne seit vielen Monaten sich der Feder nicht mehr bedienen. Wann und wie sie gestorben, weiß Niemand. Ihr Ende verliert sich in die Wolke von Zeugen, deren die Welt nicht wert war. Noch über ihr Grab hinaus ging die Feindschaft ihrer Gegner. Als sie gestorben war, verbot der damalige Superintendent seinen Geistlichen, ihr zu Ehren förmliche Leichenpredigten zu halten, es wäre denn, dass sie beifügen wollten: „Allerdings habe sich Frau Catharina Zell als Wohltäterin verdient gemacht um die Menge der Armen; aber zuletzt sei sie von der lutherischen Mutterkirche abtrünnig geworden und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.“ Das war aber eine einfache Unwahrheit; keiner folgte dem Befehl, und Catharinas Gedächtnis wurde hochgehalten. Man vergaß über ihrem Grabe die Schroffheit und Herbigkeit, die ihr allerdings anhing; nur das Bild ihrer treuen aufopfernden Liebe, ihres tapfern männlichen Wesens, ihres lebendigen Glaubens leuchtete den Zeitgenossen und dem spätern Geschlecht. – Möge eine kommende, vielleicht ebenso kampfvolle und stürmische Zeit nicht bloß Männer, sondern auch Frauen finden, die in Catharinas Kraft und Liebe ihr Leben in den Dienst Christi und seiner Kirche stellen. Ich schließe mit den Worten Luthers, womit ein anderer Zeichner des Lebens Catharinas ihr Lebensbild schließt, worin jener einen Christen also beschreibt:

„Ein Christ ist ein Kind Gottes, ein Bruder Christi, ein Tempel des heiligen Geistes, ein Erbe des Reiches, ein Gesellschafter der Engel, ein Herr der Welt und der göttlichen Natur teilhaftig. Eines Christen Ehre ist Christus im Himmel, und Christi Ehre ist ein Christ auf Erden. Er ist ein wertes Kind Gottes, das mit der Gerechtigkeit Christi angetan, in heiliger Furcht und willigem Gehorsam vor seinem Vater wandelt. Er scheint als ein Licht in der Welt, und als eine Rose unter Dornen. Er ist ein wunderschönes Gnadengeschöpf Gottes, über welches sich die heiligen Engel erfreuen und es allenthalben mit Freuden begleiten. Er ist ein Wunder der Welt, der Teufel Schrecken, eine Zierde der Kirche, ein Verlangen des Himmels; sein Herz ist voll Feuer, seine Augen voll Wasser, der Mund voll Seufzer und die Hände voll guter Werke.“

In diesem Bilde strahlen auch die Züge Catharinas.