Erstes Kapitel – Straßburg, Du wunderschöne Stadt.
Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt!
Wer kennt sie nicht, und wer sie kennt, wer liebt sie nicht? Das alte Lied hat wahrhaftig Recht, und nicht bloß deswegen, weil darinnen so mancher Soldat begraben liegt. Glüht das Münster im Abendsonnenstrahl und läuten die tiefen Glocken hoch vom Turm, dem Meisterwerk Erwins, da will’s über ein deutsches Herz wie Wehmut kommen und das Auge muss den Tränen wehren. Der einst gesungen vom Straßburger Münster und seiner Herrlichkeit, dem ist’s auch gegangen wie schon vielen Tausenden und hat gesagt, was die Anderen fühlten, aber nicht sagten:
Und tönen uns Sehnsuchtslieder
Herüber über den Strom,
Es ist der Bauherr, Brüder,
Er läutet in seinem Dom.
Er läutet wehmutschaurig,
Stimmt deutsches Herz so traurig,
Er läutet mit flammender Hand,
Er ruft sein Vaterland!
Und doch muss sich ein deutsches Herz jetzt zu trösten wissen und die Zeiten und Dinge nehmen, wie sie geworden sind. Deutschland hat von jeher von seinem Herzblut hergeben müssen, damit andere Nationen Kraft und Leben erhielten, die sonst dem Tode verfallen wären. Ein Christenmensch aber, der von einem lebendigen Gotte weiß, der den Nationen Ziel und Grenze gesteckt, wo und wie weit sie wohnen sollen, hat eine andere Politik, als andere Leute, und kann auch, trotz aller Wehmut, sich die Stadt Straßburg anschauen, und sich all‘ des Guten freuen, das sie einst gehabt und noch besitzt.
Wir sind mit der Geschichte Catharina Zells mitten in der Reformationszeit, in welcher Straßburg eine hervorragende Stellung einnimmt. Schon in früherer Zeit ein Römersitz, Argentoratum, die Silberstadt genannt, hatte auch das junge Evangelium dort wie die Schwalbe ihr Nest gebaut. Aber der Hunnenkönig Attila hatte schrecklich aufgeräumt. Frische Christen, darunter der Fürstensohn Offo, waren darum gekommen, sich des versprengten Volkes und der verlassenen Kirchen anzunehmen, und bald blühten Kirchen, Klöster und Schulen auf. Die Bischöfe zu Straßburg standen unter dem Erzbischof von Mainz, und wurden von den Kaisern eingesetzt, und blieben mit der Stadt in den heißen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser immer auf des letzteren Seite. Bischof Wernher II. war es, der mit andern Bischöfen das Absetzungsdekret gegen den Papst Hildebrand (Gregor VII.) aussprach; er hielt zu dem gebannten unglücklichen Kaiser Heinrich IV. und riet ihm, die zu Canossa widerfahrene Schmach, da er barfuß im Schnee stehend den Papst um Vergebung bitten musste, abzuwaschen und seine Kaiserwürde zu wahren. Mit den Mönchen, die sich dem Kaiser nicht fügen wollten, ging der Bischof hart um. Der Bischof starb, aber seine Nachfolger arbeiteten im selben Geist. Sie traten dem Verbot der Priesterehe entgegen: die Priester waren zum größten Teil verheiratet; lange nachdem der Papst schon das Verbot der Ehe hatte ausgehen lassen, wurden immer wieder neue Priesterehen geschlossen, die straßburgische Bürgerschaft hatte sich offen dem päpstlichen Verbot der Priesterehe widersetzt und Bürger- und Priesterschaft standen zu Rom im bösen Geruch ungehorsame Kinder der Kirche zu sein. Endlich wurde von Rom der Bann über die Stadt geschleudert; die Glocken schwiegen, die Kinder wurden nicht getauft, noch Abendmahl gefeiert. Da bestellte der Rat der Stadt fromme Männer, die die Kindlein taufen und den Sterbenden das Sakrament reichen sollten. Auch etliche Geistliche verrichteten trotz des Bannes ihr Amt. So war schon von Alters her, noch ehe man an Reformation dachte, zu Straßburg ein gut protestantischer Boden, und vielleicht wäre schon früher ein für Rom gefährliches Feuer ausgebrochen, wenn nicht eine Bewegung entgegengesetzter Art entstanden wäre.
Ums Jahr 1094 kam aus dem Kloster Lutterbach im Oberelsass Pfaff Mangold, ein hochbetagter Greis, durch Fasten und Büßungen abgemagert, im silberweißen Haar und mit dunkeln, von unheimlichem Feuer glühenden Augen, predigte er dem Volke von der Sündlichkeit der Priesterehe, beschuldigte den Kaiser der Sünde wider den heiligen Geist, weil er sich gegen den Papst sehe, erklärte es für eine Todsünde, für gebannte Leute und Priester zu beten und erklärte ohne Weiteres, dass es keine Sünde sei, Widersacher des Papstes totzuschlagen. Zu seiner Predigt, die dem gemeinen Mann, der allezeit gern „Entschiedenes“ hört, mundete, kam noch der Schrecken einer entsetzlichen Seuche, die verheerend durch Deutschland zog. Das Volk sah darin das Strafgericht, das dem päpstlichen Bann den Nachdruck gab. „Pfaff Mangold hatte sich indes noch mit Ablassbriefen vom Papst versehen und zog nun“, laut einer alten Chronik, „im Land herum, hörte Beicht und absolvierte Tausend in einer Viertelstund“, und war folgendes die Beichte: „Ob sie bekennen, dass sie Ketzer seien und wieder zur Kirche zurückkehren wollten; dass der Kaiser Heinrich IV. kein rechter Kaiser sei; der Papst aber ein Herr über alle Welt, geistlich und weltlich Schwert von St. Peter habe und als rechter Kaiser Macht habe das Kaisertum zu geben, dem er wolle.“ Hatten sie Ja gesagt, so machte er ein Kreuz über sie und sie waren absolviert; danach wurde den ganzen Tag Beichtgeld eingesammelt. Der Kaiser Heinrich IV. erwischte ihn einst auf seinen Zügen und ließ ihn in den Käfig sperren; aber er gab Niemandem ein gut Wort, nahm stets und gab Niemand was, also dass ein Sprichwort in Straßburg ging: „Du bist kostfrei wie Pfaff Mangold, der sott einmal ein Ei und gab die Brüh‘ um Gott’s willen.“
Trotz dieser Bewegung, die einen großen Teil des Volkes für den Papst gestimmt hatte, wurde noch von Seiten der höheren Geistlichkeit und der Bürgerschaft der Widerstand fest gehalten. Aber Rom wusste den Widerstand zu brechen: einen Bischof nach dem andern gewann es einzeln durch Versprechen; der letzte, der am Oberrhein Stand hielt, war der straßburgische Bischof Bruno, ein unbeugsamer, unbescholtener Mann von lauterster Gesinnung. Dreimal vom päpstlich gesinnten Kaiser verjagt, dreimal vom Papste gebannt, ließ er dennoch die Priester heiraten und antwortete dem päpstlichen Legaten kurz vor seinem Tod: „Er wolle vor Gott eher den Ehestand, denn die Unsittlichkeit seiner Priester verantworten; man möchte ihn, einen alten Mann nicht weiter bedrängen, ihn vom Banne lossprechen und ruhig sterben lassen.“
Das war der letzte unabhängige Bischof. Nach ihm empfing Bischof Gebhard, ein geschworner Feind der Hohenstaufen, die Weihe, der mit aller Strenge die päpstlichen Gesetze durchführte, die verheirateten Priester, die sich nicht scheiden lassen wollten, mit einer Entschädigung absetzte und es für Sünde erklärte, bei einem verheirateten Priester Messe zu hören. Die Kreuzzüge, dieser große Blitzableiter Roms, der die Geister vom Kampf gegen Rom nach dem Morgenland lockte, die feurigen Predigten Bernhards von Clairvaux, dazu eine große, von einem Priester angeregte Judenverfolgung, das Alles nahm dem Volk das Interesse an dem, was gerade höchst nötig im eigenen Hause gewesen. wäre. Nun war es auch aus mit der Eintracht, in welcher Bischof und Stadt gestanden. Fehde auf Fehde drängte sich zwischen beiden, und endlich zog der Bischof aus der Stadt und nur das Dom-Kapitel blieb unter dem Schutze des Kaisers zurück.
In den trutzlichen Bürgern von Straßburg lebte aber der Freiheitssinn fort. Sie waren was sie hießen: Bürger einer freien Reichsstadt. Als ein Bischof einst ihre Rechte antasten wollte, setzten sie ihn ohne Weiteres gefangen, kümmerten sich wenig um des Papstes Bann, hielten zum Kaiser und erklärten durch ihren Ammeister: „Sie glaubten nicht, dass der gebannte Kaiser selig ein Ketzer gewesen und würden den allezeit für den Kaiser halten, den die Kurfürsten erwählten, auch wenn der Papst ihn nicht bestätigte.“ Es ist dem nicht also, wie man vielfach meint, dass die römische Herrschaft so ohne Widerspruch im Mittelalter durchgeführt worden, als habe es damals nichts als feile Knechte unter Priester und Volk gegeben. Gerade die freien Reichsstädte sollten durch den Sinn der Bürger der Herd der Reformation werden. Aber freilich der Freiheitssinn macht’s noch nicht allein, und nur wen der Sohn frei macht, der ist recht frei. Bis es dazu kam, gings noch durch schweren Kampf.
Schon kamen Waldenser aus den Bergen nach Straßburg und eine Menge Volks fiel ihnen zu; dem Bischof ward bange, so viele Anhänger zählten sie schon. Um ihrer Herr zu werden, brachte er die Dominikaner mit im Jahre 1210 und ließ durch diese „Hunde des Herrn“ (wie sie sich selbst nannten nach einer schlechten lateinischen Übersetzung) die Ketzer aufspüren. Man fand ihrer über fünfhundert in Straßburg, Männer und Frauen, sehr viele von Adel, auch Priester. Die Leute waren so bibelfest und tadellos im Wandel, dass Niemand ihnen etwas vorwerfen konnte. Anfangs verfuhr der Bischof gelind, danach strenger, und viele kehrten nach schwerer Buße wieder zum alten Irrtum zurück. Nur achtzig Personen, darunter Adlige und Priester, blieben treu. Der Priester Johannes war ihr Mund, und als er nicht widerrufen wollte, ward er der weltlichen Obrigkeit mit seinen Gefährten zum Feuertod übergeben. Auf der kaiserlichen Pfalz ward ihnen das Urteil verlesen; die Freunde baten unter Tränen, doch zu widerrufen; aber sie blieben standhaft, sangen Psalmen, beteten zu Gott, sagend, sie könnten Gottes Wort nicht verlassen, und gingen alle achtzig willig ins Feuer.
Die Leute verbrennt man, aber die Wahrheit nicht. Es gibt keine Wahrheit wider die Wahrheit. Später finden sich wieder neue Anhänger, darunter ein angesehener Schöffenmeister, der auch den Feuertod leidet. Als der Ketzermeister Torso, der sich die Erlaubnis erwirbt jeden Verdächtigen einzufangen und die Hälfte seiner Güter für sich zu nehmen, endlich erschlagen wird, wird auch der Magistrat der Stadt des ewigen Brennens müde und befiehlt: „mit Lehren das Volk zu unterweisen und nicht stracks die Leute zu verbrennen, die nit wüssten, was der Ketzer Glaube wäre“. Hörte auch der offene Widerspruch auf gegen Rom, so fanden sich im Stillen, auch unter dem Festhalten am Äußerlichen der Kirche, noch allenthalben evangelisch gesinnte Leute. Als die Stadt wieder vom Papst in den Bann getan ward, weil sie es mit dem gebannten Kaiser Ludwig hielt, verließen die Geistlichen großenteils die Stadt. Da brach der schwarze Tod herein; in einem Sommer starben zu Straßburg 16.000 Menschen; sie starben ohne priesterlichen Zuspruch, ohne den Trost der Absolution und des Sakraments. Da sann man nach über die Ungerechtigkeit des Bannfluchs, der so viele Unschuldige getroffen; mehrere Geistliche trösteten das Volk, vor Allem aber waren es die Gottesfreunde, eine Brüderschaft, die sich, zurückgestoßen durch den verderbten Zustand der Kirche, einem beschaulichen, nach Innen gekehrten Leben zugewendet hatte. Vornehmlich war es der Predigermönch Johannes Tauler, der des armen Volkes sich erbarmte, mit etlichen von seinen Freunden, die, als sie vor Gericht geladen, eine so gewaltige Antwort gaben, dass ihre Richter beinahe ihrer Meinung wurden. Tauler predigte gewaltig, griff kühn die Laster der Geistlichen an und wurde von dem Volke so hochgehalten, dass man nicht wagte, ihm das Predigen zu verbieten. Er drang vornehmlich auf ein inneres mit Gott in Christo gelebtes Leben, auf die Heiligung des innersten Menschen und die völlige Hingabe des Herzens an Gott. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er der Verfasser des von Luther so hochgepriesenen Büchleins „Die deutsche Theologie“ die ihm zu so großem Segen geworden war. So bereitete der HErr stille den Boden. Noch manch andere religiöse Genossenschaft tauchte in aller Stille auf; Soldaten, die man im Reichsheere gegen die Hussiten gesandt, kehrten mit hussitischem Glauben heim; böhmische Brüder kamen, das Häuflein am Rhein zu stärken und auch für es zu sterben. Wie stark und lebendig die Erkenntnis des Evangeliums unter Einzelnen war, zeigt der Vater des späteren Reformators Capito, ein angesehener Ratsherr zu Hagenau im Elsass. Seinen Sohn wollte er nicht Theologie studieren lassen, dieweil die Verderbnis und Heuchelei im geistlichen Stande allzugroß sei. Als er auf dem Sterbebette lag, und ein Mönch ihm die letzte Ölung mit den Worten gab: „Lieber Meister Hans, gedenkt an all eure guten Werke, die ihr je getan habt“, da wandte er sich zu dem nahestehenden Kruzifix und rief: Was gutes Werk hab‘ ich getan? O mein Herr und Gott, sei mir armen Sünder gnädig.“
Andere suchten durch Satiren den versunkenen Zustand der Geistlichkeit zu geißeln; Steinmetzen brachten an einer Säule des Münsters solche Strafpredigt an, ein Anderer ließ in der Kirche ein Bild aufstellen, da der schmale und breite Weg gemalt war, der Letztere besonders mit Wanderern aus dem Priesterstande gefüllt. Die Buchdruckerkunst ward erfunden (Straßburg ist es ja, das vornehmlich auf Guttenberg Anspruch macht und ihm ein Denkmal gesetzt), die Bibel wird, wenn auch in unvollkommener Weise, aber doch deutsch gedruckt; Thomas v. Kempis Nachfolge Christi und andere Erbauungsbücher hat das Volk in Händen. Um aber den Wunsch und das Begehren nach einer Reformation „an Haupt und Gliedern“ bis in die untersten Schichten rege zu machen, dazu half vor Allem die Versunkenheit der Geistlichkeit, der Mönche und Nonnen. Das Volk war geplagt und gedrückt durch Steuern und Bettelorden, sah täglich das üppige Leben derer, die sich Geistliche nannten; die Gebildeteren widerte die Rohheit und Gemeinheit derer an, die ihre geistlichen Führer sein sollten. Die Gräuel der vornehmen Geistlichen, der Mönche und Nonnen, zu erzählen, würde Bogen füllen. Ein Urteil aus jener Zeit lautet: „Man hat mit wenig Ausnahme das Predigen meist den allerungeschicktesten und ungelehrtesten Pfaffen übergeben – so etwa ein Geschickter ist, darf er das Maul nicht weit auftun, sondern muss nach der Schnur reden. Sie versehen sich mit mittelmäßigen Gelehrten, bei denen die Sorg‘ nit ist, dass ihnen der Schwanz übers Nest wachse. Wo aber ein arm Dorfpfäfflein sich ein wenig übersicht, do ist der bischöflich Fiskal flugs auf ihm, do ist kein Gnad‘; aber die Erzbuben, die die ganze Welt aussaugen, muss man „gnädiger Herr, würdiger Herr“ nennen.“
Dass der Gottesdienst jämmerlich zerfiel, ist da kein Wunder. Man weiß nicht mehr, ob man in der Kirche oder auf einem Jahrmarkte ist. Bei der Messe im Münster kommen die adligen Herren mit klappernden Schnabelschuhen und Jagdhunden, mit dressierten Habichten, die sie während des Gottesdienstes fliegen lassen; mitten durch den Münster werden vom Markte her die Spanferkel getragen; am Tage der unschuldigen Kindlein hält ein Knabe im bischöflichen Ornat den Gottesdienst; am Tage Adolfi wird ein groß Gelag in der Kirche gehalten, aus dem Hochaltar ist ein Schenktisch gemacht, in der Kirche wird auf schamlose Weise gesungen und getanzt von Männern und Frauen und gegen Alles das hat der Bischof kein Wort. Dazu kommen die Ablasskrämer zu Haufen ins Land, um in allen Gestalten das Volk auszusaugen; auch das wird das geplagte Volk überdrüssig, zumal die Franziskaner mit den Dominikanern in Streit über den Ablass kommen und jeder mehr verkaufen will als der Andere, so dass Sebastian Brandt in seinem „Narrenschiff“ singen kann:
Der Ablass ist so ganz unwärt,
Dass Niemand danach fragt noch gärt
Niemand will mehr den Ablass suchen
So Mancher wollt in ihm nit fluchen;
Mancher geb‘ nit ein Pfennig us,
So ihm der Ablass käm‘ zu Hus.
Und weiter sagt Murner bedeutungsvoll:
Wir hant Sankt Peters Schlüssel noch,
Wie wol das Schloss hat aber doch
Gott durch sein Gewalt verändern lon .
Da war denn zunächst eine Johannisarbeit not, ehe das süße Evangelium kommen konnte. Mit Schmerz und Scham schauten die Besseren auf das Verderben der Kirche. Aus den Reihen der Geistlichen kam eine kräftige Stimme eines Predigers in der Wüste, des Priesters Johannes Krüger, der aber mit genauer Not dem Schicksale des Täufers entging. Einem Kirchpfleger des Münsters aber ging das Elend zu Herzen er stiftete ein reiches Kapital, aus dessen Zinsen ein Weltgeistlicher und Doktor der heiligen Schrift solle erhalten werden, ein Mann, der nit allein an guten Sitten und bewährtem Wandel, sondern auch fürtrefflich sei an Kunst und Lehre. An diese Stelle wurde zuerst berufen der berühmte Prediger und Doktor Johannes Geiler von Kaisersberg, dessen Grabstein noch im Münster zu sehen, ein reichbegabter eindringlicher Prediger. Freilich kann man ihn nicht einen evangelisch-gesinnten heißen, aber ein Prediger in härenem Gewand, mit scharfer schneidender Zunge und kühnem prophetischen Blick – ein Vorläufer der Reformation, das verdient er genannt zu werden. Als Beichtvater des Bischofs hatte er denselben zu mahnen, die Missbräuche und Gräuel abzustellen und bald sollte der Anlass kommen, sich als einen unerschrockenen Zeugen auszuweisen. Der Bischof, ein habsüchtiger Mensch, drückt und schindet das Volk; Geiler vermahnt ihn und lässt nicht ab, bis er eine Synode der Geistlichen zusammenruft, um über Reformen sich zu besprechen.
Geiler hält die Eröffnungspredigt über den Text: „Da wurden die Jungen froh, dass sie den HErrn sahen.“ Nachdem er den Bischof begrüßt, zeigt er wie, wo die Priesterschaft blühe, auch die Kirche blühe, dass aber an ihrem Verfall die Priester mit Schuld seien. Nun wendet sich plötzlich die Rede, und mit rücksichtsloser Schärfe entwirft er in grellen Farben den Zustand der Priester und der Klöster und wendet sich zuletzt an den Bischof mit den Worten: „O seliger Bischof und Wächter, wach auf! reformiere dein Kirch nach dem heiligen Evangelium, warte nicht auf des Papst Brief und Siegel, Christus hat dir’s genugsam vorgeschrieben; steh auf! Schaff die Heuchler von dir weg, die dich zur Hölle leiten.“ So etwas war aus geistlichem Munde nicht gehört worden, man beschloss eine Reformation; aber die am meisten mit der Predigt gemeint waren, berichteten nach Rom; von da kam der Erlass, „stille zu stehen mit aller Verbesserung, und die Geistlichen zu lassen, wie sie sind“.
Aber Geiler ließ nicht nach. Der junge Kaiser Maximilian kam nach Straßburg und wollte ihn predigen hören. Der ganze Hofstaat war im Münster versammelt, der Bischof und die Geistlichkeit. Geiler ließ sich den Mund nicht binden. Er nahm die Geißel und schlug, wo es etwas zu schlagen gab. Zum Schluss aber wandte er sich an das Volk und sagte: „Lieben Freunde, vor einem halben Jahr, als ich scharf gepredigt wider alle Schand und Laster, habe ich verhofft, es sollten solche abgestellt werden, so wird es nur mehr jetzt gestärkt. Papst und Bischof haben mich nicht recht verstanden. Ich habe scharf gedrungen, alle Laster zu reformieren, so haben sie’s verstanden, sie sollens defendieren. Als ich aber unsern gnädigen Bischof Jesus Christus recht berichtet hab, hör ich, so wird er andere Reformierer schicken, die es besser verstehen werden. Ich werd es nicht erleben, aber Eurer viel werdens sehen und erleben; da wird man mich gern haben wollen und folgen, aber da wird kein Rat noch Hilfe mehr sein. Daran woll jedermann denken. Es muss brechen.“
Alle die es hörten, waren mächtig erschüttert; Kaiser Max redete ernstlich mit ihm über die Reformation, aber ohne Erfolg. Der Kaiser kam wieder und begehrte noch einmal Geiler zu hören. Es war im Jahre 1504. Noch einmal redete Geiler ohne Rückhalt und schloss mit einem noch bestimmteren, prophetischen Blick: „Weil denn Papst, Kaiser, König und Bischof nicht reformieren wollen unser geistlos, vernunft- und gottlos Leben, so wird Gott Einen senden, der es tun muss, und die gefallene Religion aufrichten. Ich wünsche den Tag zu erleben und sein Jünger zu sein, aber ich bin zu alt; eurer viel werdens erleben, bitt euch, denkt dran, was ich sag.“ Wiederum wurde über Verbesserungen beratschlagt, wiederum bliebs beim Alten, der Papst hielts mit den faulen Mönchen und schlechten Nonnen.
Geiler sah nun ein, dass nichts zu bessern war an den Geistlichen; er predigte dem Volk, das ihm die herrliche steinerne Münsterkanzel bauen ließ, suchte das Beste der Stadt durch bessere Dotierung der Schulstellen und starb, ohne die bessere Zeit, die er wohl geahnt, gesehen zu haben, vier und sechzig Jahre alt im Jahr 1510. Schon war aber der geboren und rang in der Klosterzelle, den er prophetisch vorausgesehen. Unter Geilers Freunden Schott und Wimphling wurden seine Gedanken wach erhalten. Wimphling, der gelehrte und freisinnige, erzieht den späteren berühmten Stättmeister der Stadt, Jacob Sturm, die Hauptstütze der Reformation in Straßburg; kämpft mit den unwissenden Bettelmönchen, wird vor den Papst zitiert, kommt aber nicht, schreibt an das Konzil im Lateran zu Rom in Sachen einer Reformation und zieht sich getäuscht in seinen Hoffnungen, verzweifelnd an Besserung durch Papst und Kaiser, in die Stille zurück. Die Spannung war zu groß, die Kluft zwischen Geistlichen und Volk fast unübersteiglich der Bruch musste kommen. Die Besten gaben die Kirche verloren. Sebastian Brandt, der Satiriker und Geißler der Zustände schreibt:
Ich forcht, das Schiff komm nyen (niemals) zu Land,
Sanct Peters Schifflein ist im Schwank‘ (Schwanken),
Ich sorge fast den Untergang,
Die Wellen schlagen all Seits‘ dran,
Es wird viel Sturm und Plagen han.
Gar wenig Wahrheit man jetzt hört;
Die heilig Schrift wird ganz verkehrt,
Und ander viel jetzt ausgeleyt (ausgelegt).
Denn sie der Mund der Wahrheit seyt (sagt)
Verzeih mir recht, wenn ich hier triff (treffe):
Der Endchrist (Antichrist) sitzt im großen Schiff!
Wie allgemein muss diese Meinung gewesen sein, um sie so nackt öffentlich auszusprechen! Die Zeit Gottes, der sich seine Uhr nicht vor noch rückwärts stellen lässt, kam.
Es war im Jahr 1517. Eine große Hungersnot lastete auf dem Volk. Die Scheunen und Keller der Geistlichen waren aber gefüllt. Als die Teuerung im folgenden Jahre zunahm, baten die Bürger, die Geistlichen möchten die Scheunen öffnen und um billigen Preis verkaufen. Aber die Geistlichen wollten nicht. Aus Rache schlugen die Bürger die derweil erschienenen 95 Sätze an die Kirchtüren und die Häuser der Geistlichen an, und zum ersten Male tauchte Luthers Namen in der Stadt auf. Der wieder feilgebotene Ablass wollte nicht verfangen und öffentlich konnte Hans Wendenkampf sagen: „Es sei nichts mit Prozession und Ablass, die habe man bloß erfunden, nicht um den Himmel, sondern um den Papst zu füllen, welcher darum allein den alten Götzen herum tragen lasse.“ Als der Magistrat aber bei einer eingefallenen Krampfkrankheit die Leute auf Wagen packen und für 18 Pfennige bei einem Priester Messe über sie lesen ließ, brach der Unwille laut in öffentlichen Schriften hervor. Erbauliche Bücher, wie Streitschriften, in denen die Gegner der Reformation lächerlich gemacht wurden, vor Allem aber die Schriften Luthers, waren beim Volke im Schwang. Hier half die junge Buchdruckerkunst aufs Kräftigste mit beim allgemeinen Sturmlauf gegen die römischen Bollwerke. Umsonst richtet der Papst Hadrian IV. ein besonderes Breve an die Stadt, droht mit Bann und göttlichem Zorn, und gebietet, die ketzerischen Bücher zu verbrennen. Aber der Bann war kraftlos geworden, seit Luther ungestraft die Bannbulle verbrannt. Der Rat der Stadt nahm das Breve nicht zu Herzen und meinte, es sei hohe Zeit, das ärgerliche Leben der Geistlichen zu bessern. Der Streit ging hin und her, es fehlte nicht an heftigen Schriften von der andern Seite, die aber durch ihre Plumpheit wenig Eindruck machten. Der neue Domprediger Peter Wickgram, der Schwestersohn Geilers von Kaisersberg, strafte wie sein Oheim die Sünden der Kirche – aber als Luther und Melanchthon die Sache tiefer angriffen und den Schaden der Lehre aufdeckten, da zog sich der sonst beherzte Mann zurück, indem er Gefahr für den Glauben witterte. Die Kraft seines Geistes war gebrochen, verbittert ließ er sich zuletzt aufreizen, gegen die Reformation heftig zu predigen. Solche Zeiten sind ja immer Entscheidungszeiten, in welchen keiner neutral bleiben kann und zum Feinde werden muss, wenn er nicht ein Freund werden will. Schärfer und eindringlicher predigte im Karmeliterkloster Tilman von Lyn. Er hatte Luthers Schriften gelesen und wies das Volk auf Christum. „Wie Papst und geistlich Prälaten Statthalter und Nachfolger Christi sind, ist leider, Gott erbarm’s, öffentlich; aber man darf’s nit sagen noch lehren: und wenn der Papst auch alle Welt zum Teufel führte, darf ihn doch Niemand darum strafen, und schämen sich nicht, solches Zeug laut zu sagen; der Papst ist nicht das Fundament, auf das die Lehre Christi gebaut ist, sondern allein Christus.“ Aber kaum füllte sich seine Kirche, so wurde er zur Verantwortung gezogen und mit dem Bann bedroht. Aber der HErr hatte sich schon seinen Zeugen zubereitet, den sie auch „ungebraten“ lassen sollten, den Hauptkämpfer der Wahrheit in der straßburgischen Kirche, den Mann unserer Katharina – den frommen Magister Matthäus Zell, den Leutpriester zu St. Lorenz im Münster, den gewaltigen Nachfolger Geilers von Kaisersberg.
Hier sind wir denn mitten in die Zeit unserer Lebensgeschichte getreten. Sollte ein Verständnis für die Heldin dieses kleinen Büchleins erzielt werden, so musste ich den Boden und die Zeit schildern, aus denen sie herausgewachsen. Denn kein Mensch, auch der größte nicht, fällt wie ein Meteor vom Himmel, sondern ist, wenn er auch über seiner Zeit steht, ein Kind der selben, und auch der beste Wein hat von dem Geschmack des Bodens etwas an sich, dem er entsprossen ist. Man muss die Lage der Dinge, den reichsfreien Sinn, die Derbheit und den Witz straßburgischen Wesens verstehen, will man anders die sonst auffallende Gestalt Catharina Zells würdigen. Große Zeiten erfordern große, ungewöhnliche Mittel und Personen, an denen ein kleines späteres Geschlecht nur zu leicht das Kleinliche, Nebensächliche strafend und moralisierend ans Licht zieht, statt sich des Großen zu freuen und an ihm sich zu erwärmen. Nun denn, zu Catharina Zell.
Zweites Kapitel – Von Catharinas Jugend.
Nicht alle Leute können von ihrer Jugend viel sagen und erzählen. Bei manchen liegt freilich das Beste in ihrer Jugendgeschichte und hinterher wird’s stille und ist solch ein Leben wie ein Waldbach, der in den Bergen drin rauscht und über Fels und Gestein sich stürzt, und danach stille im Blachfeld sich verläuft. Andere wieder haben ein still und verborgen Kindesleben geführt, und sind dann hinausgestellt worden in den Streit und Kampf. So ist’s der Frau Catharina Zell ergangen. Von ihrer Jugend hören wir wenig, und wenn sie. nicht selbst in einem großen, 53 Blätter enthaltenden, Briefe an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg im Jahre 1557 davon geschrieben, wüssten wir eigentlich nichts.
Sie ist ums Jahr 1497 zu Straßburg geboren. Ihre Eltern waren der Schreinermeister Schütz, der Mutter Namen und Geschlecht wird nicht genannt. Ein klarer Verstand und ein liebewarmes Herz zierten das Mägdlein, und noch etwas mehr. „Vom Mutterleibe an,“ schreibt sie, „hat mich der HErr gezogen, und von Jugend auf gelehrt; darum habe ich mich auch seiner Kirche, nach dem Maße meines Verstandes und der verliehenen Gabe, zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; daher mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben.“ Das klingt doch, als hörte man etwas von dem, was das Jesuskind im Tempel geredet: „Muss ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist?“
„Ich bin,“ fährt sie fort, „seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrten geliebt, viel besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden und Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehalten. Deshalb auch mein Vater und Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele gesprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben.“
Dabei denkt man sich wohl das Leben des Mägdleins lieblich und angenehm, als ob’s immer lauter Fried‘ und Freud‘ gewesen. Aber dem war nicht so. Es ist etwas Anderes, ob man das Licht hat, oder erst sucht. Catharina musste es erst suchen. Noch lag das Nachtdunkel Roms über den Gemütern; wer’s ernst nahm, der plagte sich mit Büßungen und Kasteiungen und schonte seines Leibes nicht. Das tat auch Catharina. Manche Wallfahrt und schwere Buße hat sie übernommen und fand doch keine Ruhe noch Frieden, und erging ihr wie St. Paulo unter den Pharisäern und wie Dr. Martin Luther unter den Mönchen. „Da meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in allen meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost, noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich an Seel‘ und Leib bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir ergangen, wie dem armen Weiblein im Evangelio, das Alles sein Gut bei den Ärzten immerdar verlor; da es aber von Christo hört und zu Ihm kam, da wurde ihr durch den denselbigen geholfen. Also auch mir und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnade Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Übung und Sakramenten der päpstlichen Kirche nie Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften, den lieben und jetzt seligen Dr. Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschriebe, dass ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen, bittern Hölle in das lieblich, süße Himmelreich, dass ich gedachte an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: Ich will dich zu einem Menschenfischer machen. Und hab‘ mich Tag und Nacht bearbeitet, dass ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hier das Evangelium hab‘ lernen erkennen und helfen bekennen, das lass ich Gott befohlen sein.“
Das ist die ganze Jugendgeschichte Catharinens. Freilich wenig, wird die liebe Leserin sagen, aber bedarf’s denn eigentlich mehr als das? In dem Tagebuch manches Fräuleins werden viel Seiten sein mit verlornen Tagen und unfruchtbarem Leid darin, und man macht gar leicht sein Leben interessanter als es ist, und ist doch nicht ein Zehntel darin von dem, was in Catharinens Leben steht. In dieser Jugend liegen Keime für die Zukunft, nicht schöne Wunderblumen, die am Morgen blühen und am Abend verdorren. Der stille, aufs Ewige gerichtete Sinn sollte nicht, wie es damals Sitte war, ins Kloster fliehen und dort in frommer Beschaulichkeit das Glöcklein zur Mette ziehen und sich seine eigene Welt bauen, sondern zum Heil der Seele selbst und der Kirche verwertet werden. Denn ein rechtes Weib, auf das sich ihres Mannes Herz verlassen kann, die ihrem Hause wohl vorsteht, ihre Kinder in der Furcht Gottes erzieht, und ihr Gesinde wohl versorgt, und in all‘ den Trübsalen des Ehestandes sich tapfern, heiligen und demütigen Sinnes hält und den freudigen Geist nicht verliert, ist eine größere Heilige, denn das heiligste Nönnlein.
So rief sie Gott am 3. Dezember 1523 in ihrem sechsundzwanzigsten Jahre in den Ehestand mit M. Matthias Zell, dem Leutpriester am Münster. Im Münster zu Straßburg, in der Kapelle St. Lorenz, wurde das Paar durch den berühmten Reformator Martin Butzer, der selbst schon als Priester in die Ehe etliche Jahre früher getreten war, eingesegnet. Viel Volkes war da in den hohen und weiten Räumen und freute sich, dass auch ein Priester wollte wie ein anderer Christenmensch die Ehe heilig halten. Nach der Trauung feierte das Paar das heilige Abendmahl unter beiden Gestalten, und so ward ihr Ehebund gleich mit einem doppelten Bekenntnisse zur lautern Lehre des Evangelii besiegelt.
Das Maß aber des Weibes ist der Mann, den sie wählt, und dem sie ihre Hand gibt. Dabei wird man am klarsten und leibhaftigsten vom Wert oder Unwert eines Weibes überzeugt. Nicht die einzelnen guten Eigenschaften, sondern wem sie ihr Herz und ihre Hand gibt, das entscheidet. Ist aber je ein Eheband gewesen, da man von dem Einen Teile nicht reden konnte, ohne auch des Andern zu gedenken, so war’s in dieser Ehe. Darum darf ich für eine kurze Weile Catharina verlassen und von ihrem Gatten reden, „von meinem frommen Matthäus Zell, der mich (wie sie schreibt) zur Zeit und Anfang seiner Predigt zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hilfe in seinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugnis geben wird am Tage des Gerichts.“
Drittes Kapitel – Matthäus Zell, der Leutpriester zu St. Lorenz im Münster zu Straßburg.
Wenn ein Schulmägdlein aus seiner Reformationsgeschichte vom frommen Johannes Hus, der in Konstanz verbrannt worden, vom Dr. Martin Luther, dem Bergmannssohn, der vor Kaiser und Reich zu stehen kam, vom gelehrten Philippus Melanchthon aus Bretten und dazu noch vom schweizerischen Zwingli und dem strengen Calvin aus Genf zu sagen weiß, und dazu noch etwas fügt vom Ablasskrämer Tezel und von den 95 Sätzen an der Kirchtür; von dem Dintenfass, das Dr. Luther auf der Wartburg dem Teufel nach an die Wand geworfen, so meint es wohl so ziemlich alles Wissenswürdige behalten und gesagt zu haben. Frägt man es aber nach dem frommen Meister Matthis Zell von Straßburg, so ist ihm nicht erinnerlich, seinen Namen je unter den Reformatoren gehört zu haben, und doch
hat er sein bescheiden Plätzlein unter ihnen und seinen Ehrensitz und ist vielleicht einer der edelsten und besten gewesen. Auf seine Schultern hat sich Mancher gesetzt, und da ist’s denn kein Wunder, wenn man größer aussieht als der, der Einen trägt. Er war kein glänzend feuersprühend Licht, aber ein stilles, sanftes, das erwärmte und leuchtete; ein Mann, dessen Worte deswegen wie Donner lauteten, weil sein Leben wie ein Blitz war. Die schroffsten Leute sind nicht immer auch die stärksten; die beste Klinge ist nicht die unbiegsame, sondern die sich beugen kann und in ihre vorige Gestalt jederzeit zurückkehrt. Er war Einer von den starken Sanftmütigen, von denen der Heiland sagt: „Sie werden das Erdreich besitzen.“
Geboren 1477 in Kaisersberg, von armen Leuten, die ihrem Kinde eine möglichst gute Erziehung gaben, finden wir ihn auf der Schule zu Mainz, wo er auch einmal „vernarrt“ 300 Verse auf die Heiligen verfertigt. Der berühmte, mehr erwähnte Prediger Geiler von Kaisersberg sieht dem Knaben an, was er werden will und spricht zu ihm: „Wachse, Knabe, Du wirst ein großer Mann werden,“ und der, der mit ihm auf der Schulbank saß und später sein berühmter Amtsbruder wurde, Wolfgang Capito, schreibt von ihm: „Ich hab ihn als meinen Schulgesellen lange Jahre gekannt und allewege aufrichtig und redlich befunden. Aber ich hätt‘ mich nicht bald bereden lassen, dass er wäre eines solchen Wissens, Verstands, Überlegung und Geistes, auch Erfahrung in den Geschäften, wo er solches nicht genugsam und überflüssig bewiesen und dargetan hätte.“ Der Jüngling reist in die Welt hinaus, nimmt auch Dienste im kaiserlichen Heer, und zieht auf die Universität Freiburg im Breisgau. Dort erwirbt er sich den Titel eines Magisters der Philosophie, den man damals noch nicht so wohlfeil kriegen konnte, als heutzutage den Doktor auf mancher Universität. Viel zu holen von Licht und Weisheit der Schrift gab’s nicht dort, denn die Lehrer der Gottesgelahrtheit waren finstere Mönche, um so erleuchteter waren die Männer der Weltweisheit. Seine berühmten Landsleute, wie Geiler, Sebastian Brandt, Wimphling, der Rotterdamer Erasmus wirkten in ihren Schriften auf den feurigen jungen Mann. Die heilige Schrift aber war vor Allem seine Fundgrube. Jedermann erkannte seinen Forschergeist an; während Luther seine Sätze an die Kirchtür schlug in Wittenberg, wird an demselben Tage M. Matthias Zell zum Rektor der Universität erwählt. Aber der Lehrstuhl, so hoch er von ihm hielt, genügte ihm nicht; lieber auf die Kanzel, mitten hinein ins Volk wollte er. Er war schon ein gereifter Mann, als er im Jahre 1518 als erster Prediger an St. Lorenz in den Münster zu Straßburg berufen und zugleich, wie Geiler auch, Beichtiger des Bischofs wurde.
Die 95 Thesen waren von der Wittenberger Esse wie Feuerfunken schon in alle Welt geflogen, der Hammerschlag an die Kirchentür zu Wittenberg hatte die Schläfer in den andern Kirchen geweckt. Auch in Zells Herzen hatten sie gezündet. Wunderbar fühlte er sich zu dem kühnen Mönche hingezogen, las eifrig seine Schriften und predigte in seinem Geiste, obwohl er nur wenig Luthers Namen nannte. Durch Zell kam der Nachdruck der Schriften Luthers durch die straßburgischen Buchdrucker unter die Leute, ohne dass Jemand ahnte, wer eigentlich den Anlass gab. Erst fing Zell wie seine Vorgänger mit der Bußpredigt an, merkte aber bald, dass Buße ohne Evangelium doch nur ein Pflügen ohne Einsäen sei; je klarer ihm das süße Wort des Evangeliums wurde, desto mehr drängte es ihn nun auch zu predigen und mit dem Stab Sanft die Herde zu weiden. Im Jahre 1521 fing er an, evangelisch zu predigen – er war der Erste, nicht bloß in Straßburg, sondern weit und breit umher, der den heiligen Mut dazu hatte. Was Alles erst freilich in ihm vorgegangen, bis es dazu kam, bis er sich entschlossen hat, die schwere Saulsrüstung des Papstes und seine Scholastiker wegzuwerfen und die Davidsschleuder in die Hand zu nehmen, das wird uns freilich nicht gesagt. Das innerste Wachstum muss ja wohl auch von der Erde bedeckt bleiben. Sein Wort erscholl einsam, die Stimme aber laut, so dass ein Zeitgenosse schreibt: „Straßburg ist mein Tod; diese abergläubigste Stadt von allen – unsere Prediger frieren und sind erfroren, außer Einem (dem Zell), der das Evangelium lehrt.“
Mit dem Römerbrief fing er seine evangelische Verkündigung an und ging mit der Predigt von der Rechtfertigung durch den Glauben allein, den Leuten und dem Papsttum nicht auf die Haut, sondern ans Herz. Luthers Namen nannte er wenig, wie er aber zu Luther stand, geht aus seiner Verantwortung hervor: „Du hast mich nit viel von Luther hören sagen auf der Kanzel. Ich hab mein Lehr nie mit des Luthers Schrift bezeugt, aber sein Geschrift fleißig und treulich gelesen, als auch noch für und für, und wo sie gefunden wahrhaftig, hab ich sie gepredigt, nit darum, dass es Luthers Lehr ist, sondern dass es wahr ist und Gottes Lehr. Ich bin durch Luthers Schreiben in die Geschrift geführt worden und ein Verstand der Geschrift überkommen, dafür ich nicht wollt aller Welt Güter nehmen, und ob er schon hunderttausendmal ein Ketzer wäre. Darum kurzum zeiget mir und Andern, dass Luthers Lehr Gottes Lehr zuwider sei, oder wir werden uns, ob Gott will, nit lassen verbieten, und sollten sich die Feind Gottes zu Tod darob wüten.“ Da ist wahrhaftig von Luthers Geist und Kraft etwas zu spüren.
Das Volk drängt sich zu seinen Predigten, der Bischof stand hart wider ihn; aber schon waren unter den Magistratspersonen Anhänger des Evangeliums und die Chorherren merkten, dass die alte Zeit vorbei, in der man ohne Weiteres sengen, brennen und bannen könne. Zell fuhr ruhig fort an einer Säule des alten
Tempels nach der andern zu rütteln, bis zum Einfallen, und baute in der Stille neu auf. Die Gegner wollen ihn erschlagen auf offener Straße, aber die Freunde warnen ihn auch in öffentlichen Schriften. So schreibt ein Gedicht aus jener Zeit:
Es gehet Alles wild auf Erden,
Dass die Geistlichen selber nit können eins werden,
In den Kirchen mit einander hadern und zanken
Tut’s Niemand sonst denn die Schwaben, Baier und Franken,
Wollen Jedermann fressen, reißen und zerren,
Auf der Gass wie ein Esel plerren.
Und den Matthis im Münster mit Lügen vertreiben,
Könnten doch nit ein Buchstaben schreiben.
Ich fürcht‘, es tut auf der Läng‘ nicht gut,
Mit der Schrift er ihnen viel zu Leide tut.
Sie gehen wahrlich auf hellem Eis,
Ist der Pfarrherr im Münster, heißt Mattheis,
Braucht nichts denn die heilig Schrift,
Damit er sie all übertrifft;
Den Paulum und der Evangelisten Lehren,
Noch tun sie’s ihm öffentlich wehren
Und mit Bosheit drauf verharren.
Meister Matthies bleibt allein beim rechten Text.
Nachdem ihm all seine Feinde aufgezählt sind, wird er noch gewarnt:
Bewahr‘ dich vor ihrem Neid und Hass,
Denn ihr Kunst steckt im Dintenfass;
Wenn sie dich möchten erreichen,
Würden dir ein X für ein U anzeigen;
Denn ihr Tint‘ ist am Boden dick,
Matthis, Gott geb‘ dir viel Glück!
Schon hatte der größte Teil der Bürgerschaft sich zu Zell gestellt und begehrt, man solle ihn nicht in der engen Lorenzkapelle, sondern auf der steinernen Doktorskanzel predigen lassen. Die war aber mit einem eisernen Gitter versehen und zugeschlossen. Der Magistrat entschied, man solle, da das Dom-Kapitel die Kanzel nicht hergeben wollte, ihm einen besonderen Predigtstuhl bauen. Als der Bischof aber Ernst machte gegen den kühnen Leutpriester einzuschreiten, antwortete der Rat: „Es sei des Rates Pflicht, die Bürger im Frieden zu halten. Meister Matthies habe bisher nichts Anderes, denn Gottes Wort und die heilige Schrift gepredigt und sich stets erboten, sich aus der heiligen Schrift eines Besseren belehren zu lassen; darum muss dem Domstift angekündigt werden, dass es den Zell an seine Stelle zu erhalten habe und dafür Sorge tragen möge, dass er das Wort Gottes ungehindert seinen Zuhörern vortragen könne: Denn des Rats fester Wille sei, denselben bei dem Worte Gottes und der Wahrheit zu schützen und zu schirmen.“ Da ließen sie ihn eine Zeitlang in Ruhe, sie erlaubten ihm die Doktorskanzel und baten ihn, nur nicht allzulange zu predigen. – Der Bischof ruhte aber nicht, ließ eine Schrift aufsetzen in 24 Klageartikeln, worüber sich Zell verantworten sollte. Die Klageschrift vergönnt uns, aus der Verantwortung den Mann kennen zu lernen, dessen Predigten leider verloren gegangen sind. Wir meinen in Vielem Luthers bindiche und gewaltige Sprache zu hören. „Es seien der Bücher“, hebt er an, „ohnehin schon so viel, dass es seines Papierverderbens gar nicht bedurft hätte. Doch so ich mit Gewalt hineingedrungen bin, also dass ich nit wol mit Ehren hab mögen entfliehen, hab ich mit meinem armen Hausrätlein (wie schmal das ist) auch herfür vor den großen Hochverständigen müssen prangen.“
Über sein Verhältnis zu Luthers Schriften sagt er: „Obschon etwas Irrtum in Luthers Schrift wäre (das ich jedoch nit bekenne) dennoch sollen sie mir unverboten sein; denn auch alle Doktores, so von Anfang außer der Schrift geschrieben, in viel Dingen geirrt haben und doch zu lesen zugelassen worden. Man findet Irrtum in den Büchern Originis, Lactantii, Tertulliani, Cypriani; dann Augustini und Hieronymi, welche zween och besondere Lichter in der Christenheit genannt werden. Die Wahrheit hab ich gepredigt, Gott geb, der mich daran gemahnt hat, Luther oder andere Andere, dann ich Luthers und anderer Lehrer mir als Anleiter und Vermahner in der heiligen Schrift gebraucht hab, wie sie auch Niemand anders brauchen soll, ihm auch nit anders glauben, weder so fern er sei in der Schrift gegründet.“
An seine geistlichen Behörden, die ihn wollten predigen lassen, wenn er uns fein sachte treten wollte, richtet er das Wort: „Man soll auch beraten, aber säuberlich, oder nit anrühren; bellen und nit beißen. Darum schickt rechte Prediger, oder sie kommen ohne euren Dank; man wird nicht immer auf euch sehen. Und wenn ihr schon tausend Bannflüche ließet ausgehen, verbränntet auch den ganzen Schwarzwald auf ihnen, verjagtet sie durch Welt, es wird nicht helfen, es werden aus der Aschen andere wachsen.“
So verteidigt er sich Punkt für Punkt gegen die 24 Klagartikel, schont nicht den Gegner, wo er ihn zu treffen weiß und stopft ihnen den Mund. Der Rat hatte sich schon so weit zur Sache der Wahrheit gestellt, dass er die Prediger des Evangeliums in Schutz nahm, und auch die Bürgerschaft hatte sich mannhaft gegen den Bischof gewehrt. So konnte es nicht bleiben.
Da wird ein römischer Priester, Anton Firn, der sich zum Evangelium geschlagen, öffentlich am Hochaltar des Straßburger Münsters getraut. Matthias Zell hält die Hochzeitsrede. Eine Menge Volks umsteht das Paar, und Einer ruft mit lauter Stimme: „Der hat ihm recht getan, Gott geb ihm tausend gute Jahr!“ Der Schluss der Hochzeitspredigt aber lautete: „Darum, lieber Anton, sei unerschrocken; denn selig bist du, der durch diese Tat dem Antichrist Abbruch tust. Auf deiner Seiten steht Gott und sein Wort. Acht‘ es nicht, dass männiglich ein Aufsehen auf dich hat. Einer lobt, der andere schilt. Du tust, was Gott dich geheißen hat, wider seinen Feind, den Antichrist. Dem speie du mit dieser Tat fröhlich ins Angesicht. Reiß‘ ihm ein Loch in sein mörderlich Gesetz mit der Tat, die sonst viel herrlicher Männer mit dem Wort tapferlich wider ihn bellen, ihm mit dem Wort die Larven vom Angesicht reißen, bis sie ihn männiglich zu erkennen geben.“
Mittlerweile aber gibt der Rat der Stadt dem Evangelium freien Lauf und beschließt am 1. Dezember 1523: „Alle Prediger sollen sich des Predigens unterziehen, sollen künftig nichts Anderes als das heilige Evangelium und die Lehr Gottes und was zur Mehrung der Liebe Gottes und des Nächsten dient, frei öffentlich dem Volke predigen.“ Damit war denn hier der Sieg der evangelischen Sache entschieden. Drei Tage darauf trat Zell in den heiligen Ehestand. Eine Menge Volks begleitete das Paar. Die aber mit ihm vor dem Altar stand, war unsere Catharina, deren Lebenslauf wir nun schildern.
Viertes Kapitel – Die Pfarrfrau.
Der alte Valerius Herberger, der Herzprediger von Fraustadt, glossiert zu der Erschaffung des Weibes 1. Mose am 2ten in seiner „Magnalia Dei“ folgendermaßen:
„Gott der Vater ist der alte Herr auf dieser Hochzeit; der stattet zwei Kindlein aus, ehrlich und reichlich; Adam und Eva sind vater- und mutterlos, sie sind arme Waislein. Gott der Vater nimmt sich ihrer an und gibt zum Brautschatz mit das Kaisertum über die ganze Welt. Der Herr Jesus ist allhie Prediger, der tut eine Brautpredigt aus dem hochzeitlichen Spruch: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Er redet Bräutigam und Braut an mit herzlichen, tröstlichen Worten: „Adam, preise die Liebe meines Vaters; da traue ich dir in die Hand die schöne Jungfrau Eva, die ich nicht weit von deinem Herzen genommen, sie soll dir ans Herz gebunden sein; sie ist aus deiner Seite genommen, denn sie soll deine Gesellin sein in deinem Leben und nicht weit von deiner Seite gehen. Aus einer Rippe ist sie gebaut, nicht aus deinen Füßen, denn du sollst sie nicht für eine Fußbank halten; die Kippen sind nicht so stark und hart als das andere Gebein an den Armen; deine Eva ist auch etwas schwächerer Natur als du, darum wirst du dich nach ihrer Schwachheit zu richten wissen.“ Und zu Eva sprach er: Eva, liebste Eva, du sollst sein Adams Herzkämmerlein, Augentrost und Hausfreude; du bist nicht von seinem Haupte genommen, denn du sollst ihm nicht zu Häupten wachsen, das Regiment soll Adams bleiben. Du bist aus einer Rippe genommen und sollst dich darum fein nach Adams Herz fügen, lenken und zu schicken wissen. Wie die Rippe das Herz am Leibe deckt, so sollst du Adams Herz trösten, decken und verwahren; wie in großer Herzbedrängnis die Rippen sich lüften, also sollst du auch in Adams Kummer tröstlich mit sittsamen Worten lüften und sein Herz abkühlen.“
Darin hat der alte Herzprediger eines Weibes Stellung zum Mann, und ihre beste Tugend geschildert. Denn was ist es auch, wenn ein Weib noch so viele gute Eigenschaften und glänzende Gaben hat, und solche nicht stellt in den Dienst der Liebe ihres Mannes? Die schönen Gaben und die großen Werke einer Frau haben noch nie einen Mann im Herzen glücklich gemacht, wohl aber treue, hingebende Liebe, ein stilles, sanftes und gehorsames Wesen. So begabt und stark Frau Catharina Zell auch war, und mannhaft in vielen Dingen, so verleugnete sie doch nirgend, dass sie „nichts Anderes sei, denn ein Stücklein von der Rippe des Matthis Zell“. Sie schmiegt sich an sein Herz, hat ihn so herzlich lieb. Aber all diese Liebe ruht auf der tiefsten Ehrerbietung, die sie vor ihm hat. Denn was ist Liebe, ohne dass man den Andern höherer Ehre wert achtet? Nah kann man nur da sein, wo man auch fern zu sein vermag; die Liebe wird immer um so inniger, je mehr sie zum Andern hinauf schaut, wie sie einmal anfängt, herab zu schauen, da ist’s um die Liebe geschehen. Sie wusste, was sie ihrem Manne zu danken hatte, der ihr nicht bloß Gatte, sondern auch Priester und Seelsorger war.
„Gar oft hab‘ ich mich“, schreibt sie, „bei mir selbst verwundert und Gott gedankt, dass wir beide, mein seliger Mann und ich, so durchaus eines Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind. Wie es denn unser Haushalt, Leben und Wesen in den vier und zwanzig Jahren und fünf Wochen bewiesen hat, da wir bei einander gewesen, ein Herz und eine Seele. Ich bezeuge, dass ich vom Tage unserer ehelichen Einsegnung an, die der selige Bucer vorgenommen, getan habe, was dem Evangelio und den Seinigen geziemt. Als wir uns verbanden, war nicht die Rede von Wittum, Morgengabe, Silber und Gold. Wir hatten höheres Ding: Christus war unser Augenmerk. Wir gedachten an die Feuer- und Wassertaufe, und ich an das Wort des Apostels 1 Tim. 5, der wohl nicht bloß den Witwen, sondern den Weibern zur Pflicht macht, dass sie ein Zeugnis guter Werke haben, dass sie die Kinder wohl erziehen, gute Hausmütter seien, dem Manne untertan, auf dass Gottes Wort nicht gelästert werde. Dann stand mir jenes Wort des Petrus, C. 3, 1-4, immer im Angedenken; die, welche dem Worte noch nicht Gehör geben, sollen durch der Weiber Wandel gewonnen werden, ihr keuscher Wandel soll sie beschämen.“ Voll hoher Freude über ihr Glück schreibt sie bald nach ihrer Verheiratung an Luther, der ihr auch unter dem 17. Dezember 1524 also antwortet:
Der tugendsamen Frauen Catharina Schützin, seiner lieben. Schwester und Freundin in Christo, zu Straßburg:
Gnad und Fried in Christo. Meine Liebe, dass Dir Gott seine Gnad so reichlich gegeben hat, dass Du nicht allein selber sein Reich siehst und kennst, so vielen Leuten verborgen, sondern auch einen solchen Maun beschert, von dem Du es täglich und ohne Unterlass besser kennen und immer hören magst, gönne ich Dir wohl, und wünsche Dir Gnad und Stärke dazu, dass Du solches mit Dank behaltest, bis auf jenen Tag, wo wir uns Alle sehen und freuen werden, will’s Gott. Jetzt nichts mehr; bitte Gott für mich und grüße mir Deinen Herrn, Herrn Matthis Zell. Hiermit Gott befohlen.
Am Sonnabend nach Luciä 1524.
Martinus Luther.
Matthis Zell wusste aber auch, welchen Schatz und Kleinod er an ihr hatte und merkte gar bald, welche Gehilfin ihm Gott an die Seite gestellt. Darum hielt er sie nicht für eine Fußbank, wie so manche Männer an begabten Frauen tun, sondern schaute sie ebenbürtig an, ließ sie an allem Teil nehmen, wovon ihr Geist Nahrung empfing. Denn das wäre ja traurig, so eine Frau nichts tun dürfte, denn nur stricken und nähen, kochen und flicken. Soll sie in solchem kleinen und geringen Tun frisch und lebendig bleiben, dann muss ihr Geist wiederum Nahrung haben, und die Flügel des Geistes müssen ihr wachsen, damit sie auch das Kleine, Irdische tragen und ertragen und über ihm stehen könne. Kamen gelehrte Leute ihren Mann zu besuchen, da war sie wohl, wie sie sagt, Magd und Köchin gewesen, aber allezeit so, dass sie über dem Marthadienst nicht vergaß, sich auch still zu den Füßen der Leute zu setzen, von denen sie Licht und Trost bekommen konnte. So waren’s ihr unvergessliche Tage, als Oekolampad und Zwingli im Spätjahr 1529 auf der Durchreise nach Marburg zum Gespräch mit Luther bei ihr abstiegen und 14 Tage blieben. Sie bezeugten, dass sie von Frau Zellin „unsägliche Zucht und Ehre“ empfangen hätten. Dass sich nun Manche nicht in die ihr gestattete Freiheit finden konnten und meinten, sie übe mit ihrem weiten Herzen einen gefährlichen Einfluss auf ihren Mann aus, und ihren Mann, als „vom Weibe beherrscht“ schilderten, darf uns nicht wundern. Ihr Mann aber stand selbst in dieser Weitschaft des Herzens, war allem streitsüchtigen Treiben abhold, und ließ über der Meinungsverschiedenheit die Liebe walten, und war darum auch in diesem Stücke mit seinem Weibe völlig eins.
Im Jahre 1538 begleitet sie ihren Mann, dessen sehnlichster Wunsch es war, Luthern zu sehen und sich mit ihm zu verständigen, auf die Reise. Zell war schon wohlbetagt, und sie auch nicht mehr jung. Aber sie lässt ihn nicht allein.
„Ich bin eine schwache Frau, schreibt sie, habe viel Arbeit, Krankheit, und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab‘ dennoch meinen Mann so lieb gehabt, dass ich ihn nicht allein hab‘ lassen wandeln, wo er unsern lieben Doktor Luther, und die Seestädt‘ bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören; hab‘ ich meinen alten fünfundachtzigjährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen, und bin mit ihm wohl dreihundert Meilen aus und ein auf derselbigen Reis‘ gezogen. So bin ich mit in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andere Orte gereist, diese Gelehrten auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihm zu tragen, wie er es denn auch wohl bedurft hat, dass ich mehr denn sechshundert Meilen mit ihm in seinem Alter gereist, mit großer Müh‘ und Arbeit meines Leibes und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, dass mich aber nicht gedauert und noch nicht gereut, sondern Gott darum danke, dass er mich solches Alles hat sehen und hören lassen.“
Sie dankt es ihrem Manne noch nach seinem Tode, was er an ihr getan: „Mein lieber Mann hat mir Platz und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät Tag und Nacht vergönnt, ja große Freud‘ daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibesvertretung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Hat mir auch nie gewehrt mit Euch (es war der verfolgte Schwenkfeld), die weil Ihr in Straßburg gewesen seid, zu reden, zu Euch zu gehen, Euch zu hören, Gutes zu beweisen, oder Euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft oder gehasst, sondern vielmehr um deshalb sehr geliebt.“
So hatte sie mit ihrem Gatten Freud und Leid getragen. Der Bischofsbann, der auf ihm und ihr lag und an dem Münsterportal angeschlagen ward, hatte ihr wenig zu schaffen gemacht; aus ihrer Ehe hatte sie einen kranken Knaben, den sie mit Liebe und Sorgfalt pflegte. Mehr zu tun machte ihr das Leid der Kirche, die innere Zerrissenheit unter den Evangelischen, die verlorne Schlacht der Evangelischen gegen den Kaiser. Ihr Mann sehnte sich herzlich nach Ruhe und Ausspannung und bat um einen schnellen, seligen Tod. Am 6. Januar 1548 predigte Zell und redete von seinem nahen Tode. Des Nachts um elf Uhr erhob er sich von seinem Lehnstuhl, kniete nieder und betete: „O HErr, lass Dir Dein Volk befohlen sein! Sie haben mich lieb gehabt, hab‘ Du sie auch lieb, und gib‘ ihnen keine Treiber; dass der Bau, so auf Dich gesetzt, nicht wieder verwüstet werd. Bleib‘ Du selbst der Erzhirt über sie.“ Am 9. Januar, Morgens 2 Uhr, entschlief er sanft in Catharinas Armen. – Er war ein scheinend Licht der straßburgischen Kirche, ein von Herzensgrund frommer Mann, ein Streiter und ein Friedenskind zugleich. „Er war,“ so lautet ein Zeugnis aus Zeitgenossen Mund, „ein Mann, ausgezeichnet nicht bloß durch seine Gelahrtheit, sondern auch durch christliche Tugenden, besonders durch Bescheidenheit, Mäßigkeit und Liebe; gemäßigten Geistes, unschuldigen Lebens, reiner Lehre, ein Mann ohne allen Stolz und Überhebung. Kein Theoretiker bloß, sondern ein praktischer Theologe; was er lehrte, hat er selbst zuerst getan; vornehmlich als ein Vater der Armen und des armen Haufens.“ Einen solchen Mann zu verlieren, ist ein tiefes Weh. Aber Catharina wusste, wer jetzt ihr Trost und Hilfe sein sollte. Eine unverbürgte und später aufgekommene Nachricht sagt, sie sei mit der Leichenbegleitung auf den Kirchhof gezogen und habe nach der Leichenrede Bucers eine zweite Leichenrede gehalten über das Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ – wobei sie keine Träne vergossen und gesagt: „Mein Mann ist ja nicht gestorben; er ist nur ins bessere Leben übergangen; er lebt und ist Gottes, sein wollen wir auch sein.“ Ein Augenzeuge berichtet aber, sie habe, als das Volk sich verlaufen, am Grabe stehend die Werke und den Glauben ihres Mannes gepriesen. Sie hat nach seinem Tode mehr als das getan, was man ihr hier zugemutet. Aber selbst die Sage bezeugt, wes man sich zu ihrem starken Geiste versehen hatte. Wie sie weit über Tod und Grab hinaus ihren Mann geehrt und geliebt, werden wir bald hören.
Fünftes Kapitel – Die Samariterin.
„Die ein Zeugnis habe guter Werke, so sie Kinder aufgezogen bat, so sie gastfrei gewesen ist, so sie der Heiligen Füße gewaschen hat, so sie den Trübseligen Handreichung getan hat, so sie allem guten Werk nachgekommen ist.“
1 Timoth. 5, V. 10.
Es ist ein sonderliches Lob, das der Tabea gespendet wird, wenn es von ihr heißt: „Sie war voll guter Werke, die sie tat.“ Weiter hört man nicht von ihr, aber das ist auch genug. In
den Augen der Schrift sind Dinge und Eigenschaften groß, die sonst auf dem Weltmarkt für sehr gering verzollt werden. Eine Lydia, der das Herz aufgetan wird, eine Maria, die still das Eine, was Not ist, sinnend zu Jesu Füßen bewegt, eine Tabea mit den Kleidern und Fellen für die Armen, werden noch an jenem Tage genannt werden, da aller nur schönen, geistreichen Frauen keine Erwähnung getan wird. So viel Ewigkeitsgehalt und Ewigkeitsabsicht in Wort und Tat ein Mensch hat, sei er Mann oder Weib, so viel wiegt er auch auf Gottes Waage. Alles Tun ohne solchen Gehalt und Absicht, sei es auch noch so geschäftig, ist am Ende doch nur ein großer Müßiggang. Hier hat nun gerade das Evangelium, das allenthalben dem Weibe die rechte Stellung gibt, ihm auch einen weiten Wirkungskreis eröffnet und seine besondere Gabe verwertet. Dienende Liebe an Kranken und Elenden, Predigen des Heilandes ohne Wort durch die Tat, selbstlose Hingabe in der Aufopferung für andere, das sind, wenn das Herz dabei unverrückt auf seinen Herrn schaut und der verborgene Mensch mit stillem und sanftmütigem Geist dabei einhergeht, Perlen und Edelsteine in dem Schmuck eines Weibes.
Auch in Catharinas Leben fehlt dieser Schmuck nicht. Ihren nächsten Samariterdienst hatte sie freilich an ihrem Manne. Ihn trösten und aufrichten, mit ihm alles teilen, für seine Sorgen, seine Arbeit einen verständnisvollen Sinn zu bewahren, das war auch Barmherzigkeit eine Barmherzigkeit, die freilich oft von denen übersehen wird, die vor lauter Eifer nach Außen, mehr tun wollen als ihre Pflicht, und das ist doch immer ein weniger Tun als die Pflicht. Sodann hatte sie ihren kranken Sohn zu versorgen. Ein eigenes, krankes Kind aber zu haben und zu pflegen, ist eine Hochschule der Barmherzigkeit. Da weitet sich das Herz; denn nicht bloß die Freude, auch das Leid bringt die Menschen zusammen.
Aber es blieb ihr Raum und Zeit noch mehr als das zu tun.
Die Zeiten waren betrübt, Not und Elend gab’s genug, viel Verfolgte, Obdachlose und Geächtete, viel Leute, die ihr Hab und Gut im Stiche gelassen um des Evangelii willen, dazu Seuche und Krankheiten, und Krieg hin und wieder. Catharinas Herz war weit wie das des Samariters, der den gen Jericho Hinabgegangenen und unter die Mörder Gefallenen nicht frug nach Stand, Herkunft, Glaubensbekenntnis noch ihm Vorwurf machte über sein Alleinreisen, sondern ihm, als einem Bedürftigen, die Hand reichte, und vor Allem ihn pflegte. So schreibt sie denn auch: „Es soll Jeder seinen Zugang zu uns haben, und alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Teil und Gemein an unserem Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Teil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, es sei, wer es woll‘. Also hab‘ ich mit Zells Willen und Wohlgefallen, mich vieler Leut‘ angenommen, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwingli, oder Schwenkfelder und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis‘ oder unweis‘, nach der Red‘ Pauli, Alle haben zu uns kommen dürfen. Was hat uns ihr Name angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“
Sie suchte die Elenden und Armen selbst auf und stand ihnen bei. Es gibt ja auch eine Art Samaritertum, da man wohl das Seine, aber nicht sich selbst hergibt, und lieber durch einen Bedienten oder eine Magd helfen lässt, als dass man selber einen Finger rührt. „Da ich anderer Weiber“ schreibt Catharina, „ihren Hausgezierd und Hoffart gesehen, die zu Hochzeiten, Freuden und Tänzen gangen, ich aber in armer und reicher Leut‘ Häuser bin gangen, mit aller Lieb‘, Treue und Mitleiden, Pestilenz und Tote getragen, die Angefochtenen und Leidenden in Türmen, Gefängnis und Tode heimgesucht und getröstet, allzeit den Spruch des weisen Mannes bedacht: Es ist besser in das Klaghaus gehn, denn in das Freudenhaus. Ich hab‘ auch, Gott sei Lob, viel darinnen gelernt, und rede vor Gott, dass ich mehr Arbeit meines Leibes und Maules getan habe, denn kein Helfer und Kaplan der Kirchen, gewacht und gelaufen Nacht und Tag, und vielmehr zwei, drei Tag nichts gessen noch geschlafen. Deshalb mich auch mein frommer Mann (dem also wohlgefallen) nur seinen Helfer genannt hat, ob ich schon nicht auf der Kanzel bin gestanden, deren ich auch zu solchen meinen Geschäften nicht bedurft hab‘.“
Wenn der Apostel sagt: „Herbergt gerne“, und wiederum „seid gastfrei ohne Murmeln“ – so gilt das heutzutage noch und insonderheit den lieben Frauen, die die meiste Last davon haben. Der Apostel weiß wohl, warum er das Wörtlein „gerne“ und „ohne Murmeln“ zufügt. Denn es ist nicht immer leicht, ein freundlich Gesicht zu machen, wenn ein Besuch den andern drängt, und das Haus aus dem Geleis zu gehen droht, wie ein Güterzug aus den Schienen. Da gibts leicht Verstimmung, und wenn sie der Gast auch nicht merkt, so kriegt sie doch der Mann zu merken und das Gesinde. Und doch ist unser jetziges Herbergen noch lange nicht das, was der Apostel verlangt. Unser Haus kommt damit nicht in Not und Lebensgefahr; denn wir laden die, die wir kennen oder lieben, und höchstens läuft dann und wann ein mal ein unangenehmer, anspruchsvoller oder langweiliger Gast mitunter. Zu Pauli Zeit gab’s verfolgte, geächtete Leute, die weder bei Heiden noch Juden Aufnahme fanden, weil sie Christum bekannten; da mussten die Christenhäuser sich auftun, und auch mit Gefahr des Lebens, wie die Antiochiener Paulum, so die reisenden Christen aufnehmen, Unbekannte, Fremde, meist blutarme Leute. Da war mehr Gelegenheit zum Murren als heutzutage, wo oft das die größte Verlegenheit beim Herbergen bereitet, wenn große Wäsche im Hause ist, oder der Metzger Einen mit dem Braten im Stiche lässt. In der Reformationszeit gab’s wieder Gelegenheit, solch‘ altchristlich Herbergen zu üben. Da waren viel flüchtige Leute, die nicht wussten, wohin ihr Haupt hinlegen. Sie kamen aber nicht einzeln, sondern scharenweise. Frau Catharina hatte ein großes geräumiges Haus – noch heutzutage kann man den weiten Platz sehen, worauf das Münsterpfarrhaus stand – sie sah aber nicht darauf, wie viel Staatszimmer und Salons sie daraus machen konnte, sondern, wie viel ihr Gelegenheit gegeben, das Haus weit aufzumachen. So schreibt sie: „Ich hab‘ schon im Anfang meiner Ehe viel herrliche gelehrte Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: unterstütze und stärke die müden Knie. Das hab‘ ich nach meinem Vermögen und gegebenen Gnaden Gottes getan, da einmal fünfzehn liebe Männer aus der Markgrafschaft Baden mussten weichen, sie wollten denn wider ihr Gewissen tun; unter welchen ein gelehrter alter Mann war, heißt Doktor Mantel, der mich samt Anderen zu Baden inne ward, zu mir kamen, Rat und Trost von mir begehrt, da er mit Weinen sagte: Ach, ich alter Mann, mit viel kleinen Kindern! Da ich ihm aber Matthäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreut und seine müden Knie gestärkt! Denn er Angst und Schrecken versucht hatte, vier Jahre schwer gefangen gelegen.“
Der Arbeit aber sollte noch mehr werden. Im Jahr 1524 mussten in einer Nacht anderthalbhundert Bürger aus Kenzingen im Breisgau auf kaiserlichen Befehl um des Evangelii willen Haus und Hof verlassen. Sie flüchteten nach Straßburg; Catharina nahm deren allein achtzig in ihr Haus und speiste fünfzig bis sechzig vier Wochen lang täglich, wozu ihr fromme Herren und Bürger beisteuerten. Das ist doch wohl ein ander Herbergen als das unsrige!
Im Jahre 1525, als der Bauernkrieg losbrach und die verjagten Bauern, „viel elender erschrockener Leut“, gen Straßburg kamen, machte sich Catharina auf, nahm sich Hilfe an dem Schaffner des Almosens, Meister Lux Hackfurt, und zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, und führte die Leute ins Barfüßer-Kloster. Dort wurde eine große Menge aufgenommen; Frau Catharina kollektierte Gaben und dienende Leute.
Darüber vergaß sie aber die Sorge für die Nächsten nicht. Galt es doch, dass der Kirche tüchtige Geistliche erzogen würden, wenn das Evangelium recht sollte verkündigt werden. Als man daher im Jahre 1543 ans Werk ging, ein Studienstift für Theologen zu gründen, und viel arme Schüler sich meldeten, da war sie die Pflegemutter derselben, die sie unterbrachte und verpflegte. Sie sammelte Gaben für die armen Schüler, schaute ihrer Haushaltung nach, wie nur eine Mutter für ihre Kinder sorgen kann.
Auch nach dem Tode ihres Gatten treibt sie die Barmherzigkeit fort. „Er hat mich, schreibt sie, gern der Gemeinde geschenkt, mir auch solches nicht mit Gebot sondern mit freundlicher Bitte, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen, dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahre und elf Wochen nach Zells Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselbigen Gutes getan in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ So ruft sie den treuen, frommen, um des Evangeliums willen verjagten Prediger Marx Heilandt in ihr Haus. Derselbe wird Prediger in Straßburg und wirkt im Segen bis an sein Ende. – Dem berühmten Prediger und Reformator Caspar Hedio hilft sie treulich über das Sterbestündlein hinüber. „Der lieb Doktor Hedio hat in seinem Sterben mich vor allen andern Predigern bei ihm haben wollen, mich so vielmal vermahnt, dass ich nit von ihm gehen wolle. Das kann sein Weib und Kinder noch bezeugen, alles Beten, Lesen und Reden, so ich getan habe.“
Als nach kaiserlichem Beschluss im Jahre 1549 die beiden straßburgischen Prediger Bucer und Paul Fagius ihr Amt niederlegen und nach England fliehen mussten, hinterließen sie der Witwe Zell, ohne ihr Wissen, mehrere Goldstücke, damit sie nicht Not leide. Sie schreibt ihnen darüber in einem Briefe nach England:
„Ihr habt mich mit dem Geld, so ihr mir heimlich in dem Brief zurückgelassen, auf das Äußerste betrübt. Auf dass aber meine Schamröte einesteils hingelegt werde, hab‘ ich zwei Stücke Geldes wiederum in diesen Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern zu mir kommen, und eines Prädikanten Frau, deren Mann vor ihren Augen man den Kopf abgeschlagen hat. Die hab‘ ich zehn Tage lang bei mir gehabt und hab‘ das eine Stück Gold diesen beiden zur Zehrung geschenkt, aber nicht meins, sondern euretwegen; das Andere hab ich euch wiederum in den Brief getan, dass ihr es selber sollt brauchen und ein andersmal nit so gütig sein. Ihr werdet noch viel bedürfen, auch euer Volk, wenn es euch in Engelland nachkommen soll, und seid also Gott befohlen in seinem Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und eure Feind‘.“
So voller guter Werke ist Frau Catharina gewesen, ein leuchtendes Vorbild aller Derer, die im Dienste der Armen und Kranken stehen. Wer die Anstalten barmherziger, suchender und rettender Liebe in Straßburg jetzt sieht, dem ist es, als ob Frau Catharina wieder aufgestanden in Straßburg, wie einst die Tabea zu Joppe. Die Samariterliebe Catharinas bedarf keiner schmuckvollen Schilderung, sie spricht durch sich selbst; will aber Jemand im lieblichen Gewande von Wahrheit und Dichtung von Catharinas Wirken lesen, der wird in den Straßburger Traktaten „der Pelzrock“, „das Pilgerhaus“ und anderen lebendig in die Geschichte jener Tage und das Leben Catharinas eingeführt.
Wir haben das Kapitel von der barmherzigen Liebe in Catharinas Herzen und Leben vorangeschickt, damit der Leser um so mehr unser letztes Kapitel begreife und es sich zusammenreimen könne, wie diese geschürzte Samariterin zugleich eine gewappnete Streiterin war.
Sechste Kapitel – Die Streiterin.
„Dieweil wir denn wissen, dass der Herr zu fürchten ist, fahren wir schön mit den Leuten, aber Gott sind wir offenbar. Ich hoffe aber, dass wir auch in eueren Gewissen offenbar sind. Dass wir uns nicht abermal loben, sondern euch eine Ursach geben, zu rühmen von uns; auf dass ihr habet zu rühmen wider die, so sich nach dem Ansehen rühmen, und nicht nach dem Herzen. Denn tun wir zu viel, so tun wir es Gott; sind wir mäßig, so sind wir euch mäßig.“
2 Kor. 5,11-13.
Der lieben Leserin wird es wohl während des Lesens nicht entgangen sein, dass sie in Catharina keine angekränkelte, sentimentale, sondern eine durchaus gesunde, derbe und kräftige Frauennatur vor sich habe. Auch das, was sie von sich selbst schreibt, scheint auf den oberflächlichen Blick hin von starkem Selbstgefühl zu zeugen. Wer aber näher zusieht, wird ihre Sprache begreiflich finden und hinter dem scheinbaren Selbstgefühl mehr Demut finden, als in so manchen schönen Redensarten voll demütiger Worte, die doch so schlecht den Hochmut, der dahintersteckt, verdecken. Die demütige Hoffart ist ja doch die allerschlimmste. Was wir von Catharinas Leben und Schriften lesen, hat sie meist schreiben müssen aus Notwehr. Angegriffen und verwundet bis ins innerste Herz hinein, hat ihre Feder freilich manchmal das Ansehen eines schneidigen Schwertes, und was sie zu ihrer Verteidigung sagen muss, sieht oft als ein Selbstlob aus.
Gott hatte ihr einen starken, männlichen Geist neben aller weiblichen Zartheit und Liebe gegeben, und wie er einst in schweren Zeiten Israels eine Deborah, Jael und Judith seinem Volke erweckt, so hat er allezeit es auch nicht verschmäht, in außerordentlichen Zeiten auch ein schwaches Weib mit besonderer Kraft auszurüsten. Hat der HErr doch aus dem Mund der Unmündigen sich ein Lob zubereitet, und sollen selbst die Steine schreien, wenn die Priester schweigen – warum sollte nicht auch ein Weib reden können in böser, teurer Zeit? Die Ausnahmen bestätigen freilich auch hier die Regel: „dass das Weib schweigen solle in der Gemeinde“. Hat Catharina zu viel geredet, so hat sie’s dem HErrn zu viel geredet. Schon damals musste sie den Vorwurf hören: „die Weiber sollen die Kunkel spinnen, Kranke warten; sie sei ein seltsamer Geist“, „der Doktor Catharina“, „sie wolle eine Rolle spielen und ihres eigenen Sinnes leben“. Wie weit der Vorwurf wahr ist, wird sich bald zeigen.
Das traute Verhältnis zu ihrem Mann, der Umgang mit geistvollen, hervorragenden Männern der Reformation, die in stetem Kampfe standen, gaben ihrem Geiste freilich ein männliches Gepräge. Man merkt gar bald, an wem und an was eine Frau hinaufrankt. Die ganze Zeit war eine Kampfeszeit, sie musste auch Catharina stählen und wappnen. Der Briefwechsel mit diesen Männern, wie unter anderen auch mit Luther, konnte nur kräftigend auf ihren Geist wirken. So hat sie schon ziemlich früh in ihrem Ehestande mit dem Bischofe von Straßburg angebunden und demselben, wie sie selbst sagt, „raue Briefe“ geschrieben. Der glühende Eifer um das Haus des HErrn ließ ihr keine Ruhe. Wie sie in ihrer Barmherzigkeit nicht frug, wer und was Einer sei, so hielt sie an dem allezeit fest: die brüderliche Liebe da festzuhalten bei aller Verschiedenheit, wo sie wahrhaften Glauben an Christum als den Sohn Gottes und den Heiland der Welt sah. Es war ihr tiefster Schmerz, dass in der Reformation sich die innerlich doch nahestehenden Geister nicht verstanden oder gar bekämpften. Ihr Mann, Matthis Zell, war ein Mann sanftmütigen Geistes, vornehmlich auf das Innerliche und Praktische des Evangeliums gerichtet, und darum ein Feind alles Streites über Dinge, darin er nicht die Hauptsache des Christentums erkennen konnte. Luthers Schärfe und Kriegsposaunenton war ihm deshalb zu stark, und er äußert sich darum einmal darüber in seiner Verantwortung: „Es hat mich nichts mehr gegen Luther erregt und mir übler an ihm gefallen, desgleichen auch andern guten Männern, als das hart, grässlich oder bissig Verantworten und Schreiben, das er gegen etliche seiner Mitkämpfer, desgleichen Papst, Bischöfen und Anderen getan hat, welche er so scharf, so spöttisch angegriffen hat, dass einer kaum etwas Schärferes, Spöttischeres gelesen haben wird, ja auch kaum von den Propheten, durch welche Härtigkeit und Schärfe (als ich achte) Viel ob seiner Lehre etwas Scheuens gehabt. Mich dünkt aber (so setzt er sehr richtig hinzu), dass die Wahrheit soll angenommen werden, Gott geb, wie sie einhertrabe, sanft oder rau.“ Namentlich konnte er sich in die Abendmahlsstreitigkeiten zwischen Lutheranern und Reformirten nicht finden und behauptete, dass die Unterscheidung: „dass mit, in und unter dem Brote der Leib Christi empfangen werde“, vom Teufel erfunden sei, weil sie so viel Zwietracht anrichte. Auf der Tübinger Konferenz, in welcher Melanchthon nebst anderen berühmten Männern zur Verständigung zusammengetreten waren, war auch Matthis Zell anwesend. Melanchthon frug ihn, was er vom Nachtmahl des Herrn halte? Zell antwortete: „Herr Philipp, ich will Euch meinen Glauben sagen und geb auf Eure Frage Antwort: „Als Gott der Herr mich zur Erkenntnis seines heiligen Evangeliums hat kommen lassen, da hab ich vom Abendmahl Jesu Christi nie anders geglaubt und gepredigt, denn dass in dem heiligen Abendmahl des Herrn Christi werde dargereicht allen denen, so es empfahen und genießen, der wahre Leib und das wahre Blut Christi, meines Erlösers und Heilandes. Dass ich aber glauben sollt, ich müsste den Leib und das Blut im Nachtmahl empfahen: substantialiter, essentialiter, realiter, naturaliter, praesentialiter, localiter, corporaliter (lauter dogmatische Bestimmungen des „Wie“ im Abendmahl) rc., der Teufel hat diese Wörter aus der Höllen gebracht; Christus hat einfach geredet: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Bei diesen Worten bleib ich und glaub nit anders, denn wie Christus, mein Herr, selber geredet hat. Denn wenn es not gewesen wäre, diese Worte: substantialiter, essentialiter rc. hinzuzusetzen, er würde solches auch hingesetzet und geredet haben. Darum soll man allein bei den einfältigen Worten Christi bleiben und glauben, wie er selbst geredet hat.“ Worauf Melanchthon ihm geantwortet: „Du hast recht geredet.“
Nach dieser Anschauung ihres Mannes hatte sich auch Frau Catharina gebildet, und es ist darum erklärlich, warum sie an Luther schreibt, um ihn zu bitten, in den Abendmahlsstreitigkeiten wider die Schweizer und Oberländer milder zu verfahren. Luthers Antwort lautet:
Der tugendsamen Frauen des Matthis Zellen zu Straßburg, meiner freundlichen lieben Freundin!
„Gnad und Fried in Christo. Meine liebe Fraue, ich hab Eure Schrift, so unlangenst mir zukommen, bisher nicht verantwurt, denn ich gedacht, es wäre noch zu frühe, weil die Sache noch so neu war. Aber weil, Gottlob, jetzt die Schropfe ein wenig sich geändert, will ich nun wiederumb Eure Schrift Euch fürgehalten haben, dass Ihr nun auch Beide, bei eurem Herrn und andern Freunden helft anhalten, dass, so es Gott gefiel, Frid und Einigkeit mocht erhalten werden. Denn Ihr wisset zu guter Maßen, dass wohl die Lieb soll über Alles gehen und den Vorgang haben, ausgenommen Gott, der über Alles, auch über die Liebe ist. Wo Derselbige und sein Wort fürgeht, soll ja auch bei uns die Liebe gewiss die Oberhand haben, nächst Gott. Es will solch hohe Sache nicht mit unsern Anschlägen noch Andacht, sondern mit herzlichem Gebet und geistlichem Seufzen angriffen sein, denn es ist Gottes Sache, unser Gott muss dabei und dazu tun. Unser Tun ist nicht. Betet, betet, betet, und lasset Ihn sorgen. Hiemit Gott befohlen. Amen. Grüßt mir Euren lieben Herrn. 24. Januarii 1531.
Martinus Luther.
So fest sie selbst in ihrem lutherischen Glauben stand, so war ihr doch alle Verfolgung Andersgläubiger in der Seele zuwider, und sie fühlte sich berufen, auch mit Wort und Schrift für sie einzustehen, wie sie sie auch in ihr Haus aufgenommen. Die Wiedertäufer waren mit in den Bauernkrieg verflochten und nun ohne Unterschied mit Feuer und Schwert verfolgt worden. „Die armen Täufer“, schreibt sie, indem sie ihre Stimme für sie erhebt, „da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt, wie ein Jäger die Hund‘ auf ein wild‘ Schwein und Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darein wir uns vom Papsttum geteilt haben, über die Erlösung Christi, aber in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebt euch die Schuld, dass wir in Lehr und Leben Ursach sind, dass sie sich von uns trennen. Wer Böses tut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen noch regieren, wie ihr meint, er gehört dem Herzen und dem Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Lest alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium wiederum bei uns erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, was er geschrieben hat von ihnen und sie so hoch beschirmt, dass eine Obrigkeit nit mit ihnen zu tun hab, nur in bürgerlichen Sachen. Lest es in dem Büchlein, das der gute Mann Martinus Bellino an den Fürsten und Herzog Christoffel zu Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todtbrand zu Genf; da er für und zu dieser Zeit aller frommen, verständigen Gelehrten Rede und Meinung fleißig zusammen gezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, so man Ketzer nennt, soll handeln. Wenn euch die Obrigkeit folgte, sie würde bald eine Tyrannei anfangen, dass Städt‘ und Dörfer leer würden. Straßburg steht noch nicht zum Exempel, Schand‘ und Spott im deutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmens der Elenden; ist auch noch nit müd‘ worden, Gott sei Lob, und ist noch mancher arme Christ darinnen, den ihr gerne hättet gesehen hinaustreiben. Das hat der alte Matthias Zell nit getan, sondern die Schafe gesammelt, nit zerstreut, hat auch solches nie gebilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel im Convent der Prediger gesagt: Ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tage, dass ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.“ So verteidigt Catharina die Wiedertäufer.
Sonderlicher aber hatte sie zu leiden und zu streiten wegen eines Mannes, den sie und ihr Mann als einen Verfolgten und Flüchtigen aufgenommen hatten. Es war der schlesische Edelmann Caspar Schwenkfeld, der im Jahre 1528 nach Straßburg flüchtete. Im Münsterpfarrhaus fand der den Römischen und Lutherischen gleich verdächtige Mann Aufnahme. Es war in seinem Wesen freilich etwas Unstätiges, in seinen Ansichten und Lehren mancherlei Überspanntes und Irriges. Er fürchtete auch bei den Protestanten ein neues Papsttum, ein Halten auf Äußerliches, und drang darum vor Allem auf Innerlichkeit des Glaubens und Lebens in mystischer, überschwänglicher Weise, eiferte gegen das Amt und die äußeren Institutionen der Kirche, meinend, dadurch zu helfen; hielt wenig auf die Sakramente, desto mehr aber auf das innere Licht und das Zeugnis des heiligen Geistes am Herzen. Trotz alledem aber war er ein lebendiger Beweis davon, wie man mit dem Kopfe irren und doch im Herzen richtig zu seinem Gott stehen könne. Sein tief innerliches Wesen, sein vertrauter, kindlicher Umgang mit Christo, seine feurige, beredte Liebe zu ihm, das Edle und Ritterliche seines ganzen Benehmens und seiner Haltung musste ihn dennoch den Christenherzen lieb machen. Das Zell’sche Ehepaar ehrte und liebte ihn als einen frommen, obwohl irrenden, aber sehr demütigen Mann. Je mehr er von den Predigern als Kirchenfeind angefochten ward, desto mehr hielt es Frau Catharina für ihre Pflicht, ihn zu verteidigen und sich seiner anzunehmen. Sie bleibt auch mit ihm, als er Straßburg verlassen hatte, im Briefwechsel und kann des Segens, den sie in seinen Betstunden und Bibelauslegungen gehabt, zu denen zu gehen Matthis Zell ihr volle Erlaubnis gab, nicht vergessen. Sie schied an seinen Worten, was Spreu und Weizen war, und warf um der etlichen Spreu willen den Weizen nicht weg. Durch ihre vorgefasste Meinung bringen sich ja auch heutzutage Viele um einen Segen, da sie von vornherein um einer einzigen irrigen Anschauung eines Menschen willen, den ganzen Menschen verwerfen, und machen’s nicht einmal wie die Hühner auf dem Hofe, die sorgfältig die Körnlein aufpicken und die Steine liegen lassen, und sind keine Beroenser, „die da fleißig forschen, ob sich’s also hielte“, sondern lieber von vorn herein aburteilen.
In einem Briefe schreibt Schwenkfeld an seine besondere liebe Frau Catharina in Christo: „Wir sollen uns befleißigen, dass wir einander mit Gebet überall zu Hilf‘ kommen. Der Herr Jesus Christus gebe sich ihm und uns Allen nach dem heiligen Geiste, in und durch welchen er jetzo regiert, gnädiglich zu erkennen. So werden wir denn erst sehen, was Zank und Wahrheit, was nötig, was unnötig, was Gott gefällig, ja, was die Labsale unseres Herzens und was Menschentand und Spitzfindigkeit vor den Augen Gottes ist.“
So lange Zell lebte, war er Catharinas Schutz gegen die Angriffe wegen Schwenkfeld. Als Zell aber die Augen geschlossen, waren es namentlich jüngere Prediger, die an der verwitweten Frau zu Rittern werden wollten und ihr vorwarfen: „Sie mache ihrem seligen Manne Schande, indem sie jetzt schwenkfelderisch sei, Predigt und Sakrament verachte.“
Darauf antwortete sie in einer 12 Folioseiten umfassenden Schrift: „Nicht jetzt erst habe sie mit Schwenkfelds Schriften angefangen, sondern sie schon vor 24 Jahren gelesen, und wie auch Dr. Capito selig, gebilligt. Auch ihr seliger Mann habe sie gern vorlesen hören. Besonders gern habe er auf die lectiones gehört, welche Schwenkfeld über die zwei Episteln Petri in Capitos Hause getan, wo auch des letzteren Weib beiwohnte, auch war Schwenkfeld Capitos Tischgenosse. Ihr Mann habe oft Schwenkfelden predigen gehört. Übrigens habe sie das Sakrament nie verachtet; Schwenkfeld habe vielmehr stets zum Gegenteil aufgefordert. Sie könne freilich nicht so oft sie wolle in die Kirchen kommen wegen ihres kranken Knaben. Es sollten nur einmal die Prediger, viel gnädige Herren und ander gleisnerische Predigthörer zu tun haben, das sie, so viel großer Arbeit, „damit ich all mein Kraft verzehre“, statt zu derselben Zeit in der Predigt sitzen, spekulieren und das Buch auf dem Schoß haben. Die jetzigen Prediger wollen ein opus operatum aus dem Sakrament und der Predigt machen. Der alte Zell, Capito, Hedio, die doch so viel für das Evangelium getan, haben nichts davon gelehrt; auch selbst Butzer nicht, der doch sonst ganz hart und streng wider Schwenkfeld gewesen, habe ihn nie so offen uff der Kanzel angriffen, als ihr, junge Gecken, die ihr wähnt, die umzustoßen, deren Gürtel ihr kaum erreicht. Ihr habt die Schleuder und den Geist Davids nicht, auch keinen Philister vor euch.“
Man staunt wirklich, eine Frau also reden zu hören. Im Jahre 1524, kurz nach ihrer Verheiratung, schrieb sie eine Verteidigungsschrift für ihren hart angefochtenen Mann, „eine Entschuldigung des Magister Matthis Zell“, die aber von der Obrigkeit konfisziert wurde.
Als jene 150 Bürger von Kenzingen, von denen im vorigen Kapitel berichtet ist, fliehen mussten, durch österreichische Soldaten vertrieben, mit Zurücklassung ihrer Weiber und Kinder, da schrieb sie eine Trostschrift: „An die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen, meine Mitschwestern.“
Im Jahre 1534 schrieb sie eine Vorrede zu einem Abdrucke eines Gesangbuchs unter dem Titel: Von Christo Jesu, unserm Seligmacher, seiner Menschwerdung rc., etlich christliche und tröstliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt sie: „Dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch den Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher alle Laster, Buhlerei und ander schandlich Ding, den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dünkt es mich ein sehr gut und nüt Ding sein, die dieser Mann getan hat (der Herausgeber), die ganze Handlung Christi und unsers Heils in Glanz bringen, ob doch die Leut‘ also mit lustiger Weis‘ und heller Stimme. ins Heil ermahnt möchten werden, und der Teufel mit seinem Gesang nit also bei ihnen Statt hätte.“
Als nach der unglücklichen Schlacht von Mühlberg das Interim auch in Straßburg durchgeführt werden sollte, woraus den Evangelischen großer Nachteil erwuchs, ging solches Catharinen tief zu Herzen. Noch ist ein Band Schriften über jene Zeit erhalten, welche Catharina gehörten und wozu sie Randglossen beigegeben.
„O Straßburg!“ schreibt sie einmal an den Rand, „wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen! Nimmt Gott Matthis Zell bald davon, dann sieh‘, wie es dir geht!“
Ferner:
„Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr‘, Lüt‘ und Bücher geben, erbarm‘ dich auch unserer Nachkommen. Cath. Zellin.“ „O Herr Christus, mach‘ mich fromm in dir, mein Herz soll solchem Rechte nimmermehr abfallen. Cath. Zellin.“
Man merkt Catharina an, dass ein tiefes Weh‘ ihre Seele durchzieht. Die schönen Tage der jungen, ersten Liebe zum Evangelium waren dahin. Man hatte sich’s, seit Luthers 95 Sätzen, mit hoher Freude gesagt, dass da und dort ein Feuer der Liebe zum Evangelium ausgebrochen; man hatte sich gegrüßt, wie Schläfer, die des Morgens den Laden der Kammer aufstoßen und sich die Augen reibend merken, dass die Sonne hoch am Himmel steht, und der Nachbar auch schon aufgewacht ist. Es war jetzt anders geworden. Statt sich am hellen Licht zu freuen und zu erwärmen, zankte man über die Strahlen, über das „Wie“ des Leuchtens. Wer das geistliche Leben nicht in eben der Gestalt hatte, wie man es selbst trug, galt nichts. Triumphierend stand Rom und schaute zu, wie diese „Galater“, die im Geiste angefangen und im Fleische aufhörten, sich unter einander bissen und zankten. Catharinas Mann war heimgegangen mit der herzlichen Bitte an seine Frau, sie solle seinen Helfern (Unterpredigern) sagen, dass sie Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen und Christum predigen sollten. Nun er heimgegangen und der treue Freund Bucer nach England gezogen, stand Catharina allein, die große Vergangenheit mit der kleinen Gegenwart vergleichend, ohne den Rat ihres treuen Matthis. An seiner Seite war sie so sicher geborgen gewesen, er deckte sie mit seiner liebenden und starken Hand. Nun aber standen vornehmlich jüngere Geistliche auf, die, wie einst der Pharao in Ägyptenland nichts von Joseph, so auch nichts von jenen ersten Kämpfen und Helden wussten, ihr Werk begeiferten, als habe es ihnen an Mut und Zeugnis gefehlt. Sie bedachten nicht, dass es so leicht ist, in die Gasse zu treten, die die Andern mit Drangabe ihres Herzblutes gebrochen. In ihrem eigenen Hause hatte Catharina sich unwissend den bittersten Feind groß gezogen. Ein Dr. Ludwig Rabus von Memmingen in Schwaben, war als armer Schüler in das Zell’sche Haus gekommen. Catharina wurde ihm eine treue Pflegemutter. Er war ein begabter, talentvoller Redner, bald ein Lieblingsprediger der Stadt, und nach Zells Tod zu dessen Nachfolger erwählt worden. Dies schnelle Steigen, das Lob verdarb ihn. Von Natur heftig, wurde er unerträglich in seiner Polemik, die sich erst gegen das Interim, danach aber auf eine Kritik der früheren straßburgischen Zustände warf. Er unterzog sie privatim und öffentlich einer schneidenden Kritik, worin keiner der ehrwürdigen Männer ungerupft durchkam, am schlimmsten aber Schwenkfeld mitgenommen wurde. Diese Schmach, ihrem seligen Manne angetan, konnte Catharina, die sich auch nach seinem Tode noch als „ein Stücklein von der Ripp‘ des sel. Matthis Zellen“ ansah, nicht ruhig hinnehmen. Sie versuchte die Ehrenrettung ihres Mannes und seiner Mitarbeiter mündlich und schriftlich. Darauf schrieb der während des nach Ulm als Superintendent versetzte Rabus, der würdigen Frau einen Brief (im Jahre 1557), der an Rohheit und Grobheit Alles übersteigt. Es genügt, den Anfang des Briefes zu lesen, und man wird an dieser Stilprobe genug haben. „Dein heidnisch (so schreibt er), unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zugekommen den 16. Aprilis, welcher der Karfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem giftigen, neidischen, erstunkenen und verlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch keine Besserung an dir zu hoffen, sondern du für und für in schrecklichem Irrtum, falschem Zeugnis und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrst.“ So schreibt er an eine Witwe, die einst seine Pflegemutter war, kurz nach Karfreitag, der hochwürdige Superintendent.
Catharina antwortet auf diesen Brief in einer Druckschrift, die am Schlusse des Jahres 1557 unter dem Titel erschien: „Ein Brieff an die ganze Bürgerschaft zu Straßburg von Catharina Zellin, dessen jetzt säligen Matthei Zellen, des alten und ersten Predigers des Evangelii dieser Stadt, nachgelassenen Ehefrau, betreffend Herrn Ludwig Rabus, jetzt ein Prediger der Stadt, sampt zweien Brief, ir und sein, die man mäniglich lesen und urteilen ohn‘ Gunst und Hass, sondern allein die Wahrheit wahrnehmen. Dabei auch eine sanfte Antwort auf jeden Artikel seines Briefes.“ In jenem Briefe an Rabus, der in diesem Schreiben an die Bürgerschaft enthalten ist, hatte sie mit Sanftmut auf die Schmähungen geantwortet und ihm geschrieben:
„Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habt ihr mir unfreundlich und zugeschlossen wiederum zugeschickt und nit gewöllt lesen. Das hat mir wohl weh getan, als einer, die euch geliebt, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden auch helfen fördern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es aber wohl auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzt worden ist, hab gedacht, Jahr und Verstand kommen mit der Zeit mit einander, der Herr Christus könne alle Dinge ändern und Verstand geben. Hab’s demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen Euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist.
Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, dass ihr meint, die Leute sehen Narren und verstehen nit, wenn sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red‘ und lehre, und was ihr vielmehr aus Unverstand, auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch redet und lehrt! Und ihr sollt es nit zürnen, ihr lernt erst aus Schwenkfelds Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euren Predigten und flucht ihm dennoch gleich darauf; gleich wie die armen Päpstler aus unseres lieben Dr. Luthers seligen Büchern haben etwas gelernt und ihn danach verdammen, und wenn ihre Bücher nicht noch vorhanden wären, dürften sie wohl sagen, Luther redete die Unwahrheit von ihnen, sie hätten nit also gelehrt. Luget , macht euch ihrer nit teilhaftig, es wird euch sonst gehen, wie dem Propheten Bileam: Was du fluchst, will ich segnen.“ An einer andern Stelle ruft sie: „O seliger Wolf Capito, Caspar Hedio, Matthäus Zell, wie ruht ihr so wohl in Christo, die so treulich gehandelt und eure Mitarbeiter nicht also dem Teufel übergeben habt, des müsst ihr jetzt im Grund verachtet werden (aber ohne Zweifel von Gott geehrt). Ich glaub‘ aber, lebtet ihr jetzt noch bei uns, man hiebe euch wiederum mit Ruten, ihr musstet schweigende Kinder werden, und bei denen, die ihr geboren, wiederum in die Schule gehen und Krummes für Grades lernen. Gott hat euch aber in Gnaden vor dem und viel anderem Unglück hinweggerückt, ihm sei darum Lob. Amen.“
In dem Briefe an die Bürgerschaft geht sie Rabus schärfer zu Leibe und greift ihn zunächst an seinem Titel an. Er hatte seine Schrift an Catharina unterschrieben: „Ludwig Rabus, Doktor der heiligen Schrift und Superintendent der Kirche zu Ulm, wider alle Zwinglische, Schwenkfeldische und Wiedertäuferische Geister, daneben aber ein armer, schlechter Diener des gekreuzigten Christi und seiner Kirche.“
Über diese Unterschrift schreibt sie zunächst freilich nicht ohne einige Schärfe:
„Dass sich der Herr „Doktor“ unterschreibt, lass ihm gelten: es ist eben nicht ein hässlich Wort. Es heißt und soll heißen, ein gelehrter, ein verständiger, erfahrener Mann in heiliger Schrift und göttlicher Kunst; ein Lehrer, wohl einstudiert in die Theologie, das ist, heiliger Schrift und geistlicher Dinge wohl kundig. Nun, wo ein solcher Doktor, ein weiser, kluger, treuer, verständiger Lehrer göttlicher Dinge wirklich sanft, demütig und eines stillen Geistes ist, erzogen und gebildet in der Schule Christi und des heiligen Geistes, arm im Geiste und doch reich in Gott; ein Mann, dem der Herr den Sinn der Schrift geöffnet hat, dass er Altes und Neues aus seinem Schatz hervorlangen kann zum Heil der armen Seelen da ist Gott für einen solchen zu loben. Wer sollte ihn nicht zwiefacher Ehre wert halten. Aber wenn ein solcher stolz, aufgeblasen, einbildisch auf menschliche Gelehrsamkeit wäre, wenn er sich mit fremden Federn. brüstete, wie ein Rabe krächzte, oder dem ersten, dem besten, den Handschuh vorwürfe, wenn er Alles überpolterte und überschnarchte, selbst redselig, Niemand neben sich zu Worte kommen ließ, in Allem Recht haben und über Alles absprechen, keine Gegenmeinung duldete und lieber mit Schimpf- und Pöbelworten um sich werfen wollte; dann dabei eine Unterwürfigkeit fordere, als wenn er ein kleiner Herr-Gott wäre welcher Vernünftige möchte vor diesem Namen Respekt haben. Leider sorge ich nun, es möchte in unsern Tagen mit den Doktorn der Rechtsgelehrsamkeit, der Arzneikunft, der Philosophie, der Theologie gerade so gehen, wie zu seiner Zeit einer gesagt hat, dem der Kopf auch auf dem rechten Flecke saß, wie man zu sagen pflegt, der aber dabei auf gar keinen Titel Anspruch machte: „Die Herren, sagte dieser, schwatzen so gern ins Blaue hinein, machen viel Wind, leisten wenig; sie sind geschäftig, laufen hin und her, und tun meist das Gegenteil von dem, was sie ihren Titeln nach tun sollten. Der Jurist leert, aus lauter Rechtslust, dem Klienten den Beutel; der Arzt arzneit, aus lauter Hilfsbegierde, den Patienten zu Tode; der Philosoph führt, durch lauter Sophismen, die gläubigen Schüler bald dahin, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen; die Theologen (die besseren unbescholten) führen die Zöglinge vom lebendigen Gott weg, zu den toten Götzen. Die Geistlichen, statt als würdige Seelsorger und treue Hirten den Schafen nachzugehen, liegen, ach, wie oft! auf der faulen Haut, oder machen ihre Denkzettel breit und die Säume an den Kleidern groß; sie schließen vor den Menschen das Himmelreich zu, gehen selbst nicht hinein, und wer hinein will, den stoßen sie vom Eingang weg. Der HErr hat sie nach dem Leben geschildert Matth. 23.“
So sucht denn der Mehrteil dieser Großhansen nicht die Ehre Gottes, nicht des Nächsten Wohl, Nutzen und Seligkeit, sondern einzig seinen Privatnutzen, reiche Pfründen, Pracht, Hochfahrt, großen Namen, lange Titel, Ehre und Ruhm. Das ist mir ein Volk!“
„Das hab‘ ich unverhohlen seiner Zeit dem Herrn Rabus unter vier Augen gesagt, als er zehn bis zwölf Tage in Tübingen gewesen, um sich den Doktortitel zu holen. Aus treuer mütterlicher Liebe sagte ich ihm: „Was er doch in dieser letzten Zeit mit solchem Pracht- und Narrenwerk umgehen, danach alle Finger ausstrecken und solche Ehre suchen möge vor der Welt; so wir doch in den izigen stürmischen Zeiten der Verfolgung dem Ende der Welt nahe und dem Scharfrichter schon an der Hand bereit wären.“ Da antwortete der junge Herr: „Luther sei doch zu seiner Zeit auch Doktor geworden“. Ich aber sagte ihm: „Damals als Luther den Gradus erhielt, träumte ihm noch wenig von dem, was er nachher erfuhr. Den Geist des Evangeliums kannte er noch lange nicht, wie später, und nahm die Gewalt vom Papst. Ihr aber, Herr Rabus, seid nicht in Luthers Falle. Nicht Euch gebührt die Ehre, mein teurer seliger Mann war’s, der Euch auf die Kanzel stellte und der Kirche zum Prediger und Diener des Evangelii weihte: zum Doktor hat er Euch nicht gemacht. War Euch seine Ordination zu wenig? Was trieb Euch nach Tübingen, den Doktorhut zu holen? Hat unser Straßburg weniger gelehrte Männer? Seid Ihr etwa in so kurzer Zeit manierlicher, gelehrter, weiser, friedlicher, humaner, mit einem Worte geistlicher geworden? Ei, so zeigt mir doch den Glauben aus euern Werken! O, der närrische Titel! Kennt ihr den nicht, der gesprochen hat: „Ihr sollt Euch nicht Rabbi nennen lassen: Einer ist Euer Meister, Christus; Ihr aber seid Brüder. Und so glaube ich nicht mit Unrecht sagen zu können: Wenn die frommen, edeln Männer Martin Luther, Ulrich Zwingli, Johan Oekolampad, Paul Frigius, Wolfgang Capito, Urban Regius, Kaspar Hedio, Matthäus Zell und andere herrliche und gelehrte Männer, die das Evangelium zum ersten gepredigt, ihre Titel, die sie in der Zeit der Unwissenheit erlangt haben, itzt hätten annehmen oder holen sollen, wahrlich sie hätten sie lieber aus dem Fenster geworfen!“
„So schreibt sich Herr Rabus „Super-in-tendent“. Ein vielsilbiges Wort! Deutsch: ein Oberaufseher. Nun, dawider rede ich nicht viel. Den lateinischen Titel mag ich ihm wohl gönnen, besser als meinem seligen Manne; der ließ sich schlechtweg „Pfarrer“ nennen. Der nagelneue Herr Superintendent sehe indes nur sein hübsch um sich, vor Allem aber aus in sich. Wie mir solcher Name und Amt gefalle, weiß man schon, doch mag’s hier noch einmal stehen. Ich halte mich an des Herrn Wort: „Ihr nicht also, wer der Oberste sein will, der sei euer Diener“. Das findet man in meinem Brief, den ich ihm geschrieben, wie Christus und seine Apostel Superintendenten gewesen. Und dabei mag’s genug sein.“
Rabus hatte am Schlusse seines Briefes an Catharina ihr zugerufen: „Du hast in der Kirchen zu Straßburg eine solche Unruh bald im Anfang und mit deinem frommen Mann selber angefangen, dass ich gedenk, Gottes Urteil wird dich dermaleinst treffen. Und lass mich hinfürder mit deinen Lügen und Lästerschreiben zufrieden. Dünkt dich dieser Brief zu hart, so bedenke, man müsse dem Narren Antwort geben, wie sich gebührt.“
Catharina antwortet darauf: „Ach Gott, was tut Neid und Hass, der den Menschen so blind macht, dass einer nimmer weiß und sich nicht schämt, was er red’t! Wo ist er (Rabus) im Anfang gewesen, da ich so Unruhe hab in der Kirche angefangen. Ich meine, er sei der Wunderkind eines, das Rede und Verstand gehabt, gehört und gesehen, da es noch im Mutterleib gelegen oder noch an Bänken gegangen. Es ist jetzt vier und dreißig Jahr, dass mein frommer Mann und ich einander genommen haben, so bedenk man, wie alt er (Rabus) sei, und besehe dann, was er im Anfang zu Straßburg gesehen und gehört habe. Da zeuge, du liebes Straßburg, dann du mich länger als Herrn Ludwigen gekannt hast, und sag was ich getan habe. Ja mir selbst und nicht der Kirche habe ich viel Unruhe gemacht und angefangen, das vorher bei unsren Weibern nicht gewöhnlich gewesen, auch mir nicht viel Nachfolg getan ist worden; da ich die Armen, Verjagten und Elenden, die Wasser und Feuer geflohen seind, hab aufgenommen, für sie gered’t und geschrieben, weder Nachred, Hass, Gunst angesehen, der Kirche kein Leid getan noch Unruhe angefangen, sondern allezeit freundlich und „räs“ mit allen Parteien, und hab gern gesehen, dass nicht ein Bruder dem ändern zum Tode geholfen hatte. Hab ich Unruh in der straßburgischen Kirche angefangen, das wollte ich gern wissen, womit. Er nenne das Kind in welchem Stück ich es getan habe. Ist das die Sünd‘ der Unruh, die ich der Kirchen gemacht habe, dass ich, da andere Weiber ihren Hausgezierd und Hoffart geluget, zu Hochzeiten, Freuden und Tänzen gegangen, ich aber in armer und reicher Leut Häuser bin gegangen, mit aller Lieb, Treu und Mitleiden Pestilenz und Todte getragen rc. (Folgt jene Stelle, die wir oben im fünften Kapitel zitiert haben.)“
So verteidigte sich die tapfere Frau und schließt: „Ich bin nicht bloß in meinen nächsten Umgebungen behilflich gewesen, sondern wie mein seliger Mann auch außer Straßburg in manchem Lande und Volk, wo ich um Hilfe angesprochen ward. Diese ward, wie es immer in den Kräften war, Niemand versagt, so dass ich wohl Nutz, aber nirgend Schaden und Unruh gestiftet hab, wie man mir aufbürdet.“
Frau Catharina war übrigens nicht die einzige Frau, die sich der Geschmähten annahm. Auch die Frau Elisabeth Heckelin geriet mit Pfarrherren in Streit, und auch Frau Helena Budtschelin verantwortete sich in einem Schreiben über ihre Ansichten von der Kirche.
Rabus, der übrigens sonst ein tapferer und eifriger Mann war und der Kirche manchen Dienst erwiesen, scheint später doch von seinem Unrecht gegen Matthis Zell zurückgekommen zu sein. Er gab eine Märtyrer-Historie heraus und wollte in ihr auch seinem ehemaligen Pflegevater Zell ein Denkmal sehen. Rabus wandte sich darum an Frau Catharina und bat sie, ihm aufzuschreiben, was sich von Anfang an mit dem Evangelium und Zell zugetragen. Aber Catharina konnte den ihrem Manne und ihr angetanen Schimpf nicht überwinden, sah in dem Unternehmen und der Bitte, wohl mit Unrecht, eine Krämerei und Täuscherei und gab ihm keine Zeile.
Ihr Heimweh sollte aufhören, und sie sollte die noch kommenden böseren Tage nicht mehr sehen. Die letzte Nachricht von ihr stammt vom 3. März 1562, da sie ihrem Freunde, Ludwig Lavater in Zürich sagen lässt, er möge sie wegen des Schreibens entschuldigen, sie sei durch lange Krankheit halb tot und könne seit vielen Monaten sich der Feder nicht mehr bedienen. Wann und wie sie gestorben, weiß Niemand. Ihr Ende verliert sich in die Wolke von Zeugen, deren die Welt nicht wert war. Noch über ihr Grab hinaus ging die Feindschaft ihrer Gegner. Als sie gestorben war, verbot der damalige Superintendent seinen Geistlichen, ihr zu Ehren förmliche Leichenpredigten zu halten, es wäre denn, dass sie beifügen wollten: „Allerdings habe sich Frau Catharina Zell als Wohltäterin verdient gemacht um die Menge der Armen; aber zuletzt sei sie von der lutherischen Mutterkirche abtrünnig geworden und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.“ Das war aber eine einfache Unwahrheit; keiner folgte dem Befehl, und Catharinas Gedächtnis wurde hochgehalten. Man vergaß über ihrem Grabe die Schroffheit und Herbigkeit, die ihr allerdings anhing; nur das Bild ihrer treuen aufopfernden Liebe, ihres tapfern männlichen Wesens, ihres lebendigen Glaubens leuchtete den Zeitgenossen und dem spätern Geschlecht. – Möge eine kommende, vielleicht ebenso kampfvolle und stürmische Zeit nicht bloß Männer, sondern auch Frauen finden, die in Catharinas Kraft und Liebe ihr Leben in den Dienst Christi und seiner Kirche stellen. Ich schließe mit den Worten Luthers, womit ein anderer Zeichner des Lebens Catharinas ihr Lebensbild schließt, worin jener einen Christen also beschreibt:
„Ein Christ ist ein Kind Gottes, ein Bruder Christi, ein Tempel des heiligen Geistes, ein Erbe des Reiches, ein Gesellschafter der Engel, ein Herr der Welt und der göttlichen Natur teilhaftig. Eines Christen Ehre ist Christus im Himmel, und Christi Ehre ist ein Christ auf Erden. Er ist ein wertes Kind Gottes, das mit der Gerechtigkeit Christi angetan, in heiliger Furcht und willigem Gehorsam vor seinem Vater wandelt. Er scheint als ein Licht in der Welt, und als eine Rose unter Dornen. Er ist ein wunderschönes Gnadengeschöpf Gottes, über welches sich die heiligen Engel erfreuen und es allenthalben mit Freuden begleiten. Er ist ein Wunder der Welt, der Teufel Schrecken, eine Zierde der Kirche, ein Verlangen des Himmels; sein Herz ist voll Feuer, seine Augen voll Wasser, der Mund voll Seufzer und die Hände voll guter Werke.“
In diesem Bilde strahlen auch die Züge Catharinas.