Amalie Elisabeth von Hessen.

Aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges haben wir über eine Fürstin zu berichten, welche in dieser bösen, betrübten Zeit mit männlichem Mut und seltener Charakterstärke, so wie mit bewunderungswürdiger. Einsicht den Herrscherstab führte, und sich eine rühmliche Stelle in der Geschichte ihres Landes erworben hat. Wir meinen Amalie Elisabeth, Landgräfin von Hessen-Kassel, eine Tochter des Grafen Ludwig II. von Hanau-Münzenberg, geboren 1602. Sie hatte in ihren jüngeren Jahren eine ausgezeichnete Bildung empfangen und besaß vorzügliche Sprachkenntnisse, im Französischen sogar fast eine gleiche Fertigkeit wie in der Muttersprache. In ihrem siebzehnten Jahre verheiratete sie sich mit dem Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel. Ein gleichzeitiger französischer Schriftsteller äußert über dieselbe: Diese Fürstin war geboren zur Ehre und Zierde ihres Jahrhunderts, und man konnte von ihr sagen, dass sie durch ein Männerherz die weiblichen Schwachheiten vertilgt habe. Ein solches Zusammentreffen von Tugenden hat man nie gesehen; sie besaß die eines großen Feldherrn, um eine Armee zu kommandieren, die eines großen Staatsmannes, um ihre Länder wohl zu regieren, und die ihres eigenen Geschlechtes. Bei ihr war Alles wohl zusammengefügt, dass Eins Schimmer und Glanz auf das Andere warf. Was die Regierung ihres Landes angeht, so hat zu keiner Zeit Jemand mit so viel Vernunft, Mäßigung und Gerechtigkeit regiert; sie war die Liebe und das Vergnügen der Völker, und obgleich diese außerordentlich während des unglücklichen Krieges gelitten hatten, so hat man nie die geringste Klage aus ihrem Munde gehört, und alle Nachbarn beneideten sie um ihr Schicksal. Ihr Gemahl hatte sich aus Liebe zur evangelischen Kirche, und, was wir nicht leugnen wollen, auch aus persönlichem Interesse an den Schwedenkönig Gustav Adolf angeschlossen, als dieser nach Deutschland kam. Er hatte nämlich Streit mit seinem Vetter Georg II. von Hessen-Darmstadt wegen einer Erbschaftsangelegenheit, und das Reichskammergericht hatte einen für den Letzteren günstigen Bescheid gegeben. Ein Vergleich schien im Jahre 1627 dem Streite ein Ende zu machen; aber das berüchtigte Restitutionsedikt von 1629 machte den Stand der Dinge wieder misslich für den Landgrafen Wilhelm. Darum glaubte dieser durch ein Bündnis mit dem Schwedenkönig für die Sache der evangelischen Kirche und für sich selbst zu sorgen. Er blieb auch diesem Bündnis treu, als Gustav Adolf fiel und die Nördlinger Schlacht für die Schweden verloren ging. 1636 wurde der Landgraf durch den Kaiser in die Reichsacht erklärt; mit der Verwaltung des Landes wurde sein Vetter Georg II. beauftragt. Die Bewohner hatten durch die kaiserliche Soldateska unendlich viel zu Leiden; 15 Städte, 47 adelige Wohnsitze und gegen 300 Dörfer, von welchen letzteren viele nicht wieder aufgebaut worden sind, wurden zerstört und es schien, als ob ganz Hessen ein Schutthaufen werden solle. In dieser Zeit starb am 21. September 1637 zu Leer in Ostfriesland der Landgraf Wilhelm, erst 36 Jahre alt. Er hatte schon früher für diesen Fall seine Gemahlin als Regentin bestimmt. Diese erklärte vor den versammelten Landständen, sie werde mütterlich für ihr Land wie für ihre Kinder sorgen; das habe sie fest beschlossen und Niemand solle sie daran hindern. Sie brachte noch in demselben Jahre 20,000 Mann auf die Beine, um für die Sache ihres Verbündeten einzustehen und ihrem Vetter Georg von Darmstadt wieder zu entreißen, was dieser von Hessen-Kassel im Besitz hatte. Natürlich handelte sie bei allen ihren Kriegsunternehmungen, die von ihrem Feldherrn Melander geleitet und ausgeführt wurden, nur in Übereinstimmung mit den Schweden und besonders mit Bernhard von Weimar, der ihr persönlich zugetan war und entschlossen gewesen sein soll, sie zu heiraten. Sein plötzlich erfolgter Tod machte diesem Projekte ein Ende. Aber auch alleinstehend und selbst von ihrem bisherigen Feldherrn Melander, der zu den Kaiserlichen übergetreten war, verlassen, hielt sich die Landgräfin in einer Weise, dass die Schweden beim Friedensschlusse erklärten: „Man muss etwas tun für eine Fürstin, wie die Landgräfin ist; darum, meine Herren! überwinden Sie sich selbst und suchen Sie diese Fürstin zu befriedigen.“ Nur darin wollten die französischen Gesandten nicht willigen, dass katholische Landesteile unter deren Herrschaft gelangten. „Lieber ein protestantisches Königreich, als ein katholisches Dorf,“ sagten sie. In Folge davon war Amalie so glücklich, nicht allein ihr ganzes Land unversehrt zu erhalten, sondern auch einzelne Teile, wie die Abtei Hersfeld u. a. m., dazu zu bekommen.

Die letzten Jahre ihres Lebens wollte die Fürstin in Ruhe verbringen; sie übergab die Regierung ihrem von ihr selbst erzogenen, heißgeliebten Sohn. Ihr vielbewegtes, unruhiges Leben hatte ihre Kraft und ihre Gesundheit gebrochen; sie starb am 8. August 1651 im 50. Jahre ihres Lebens.

Wie sie sich auch bei einer Hiobspost stark zu halten wusste, zeigt folgende Tatsache: Im Jahre 1646 belagerte ihre Armee die Stadt Paderborn; diese erhielt Hilfe und die Hessen mussten sich mit Verlust zurückziehen. Als diese Nachricht einlief, saß die Landgräfin gerade bei der Mittagstafel; sie las den Brief und legte ihn wieder ruhig zusammen mit den Worten: „Das ist eine schlimme Nachricht; doch man muss das Unglück auch ertragen und im Glück nicht übermütig werden.“ Darauf sprach sie fort, als ob nichts vorgefallen wäre. Nach aufgehobener Tafel versammelte sie ihre Räte und beratschlagte mit denselben, was unter den obwaltenden Umständen zu tun sei. Sie war äußerst vorsichtig und geschickt in diplomatischen Unterhandlungen, so dass der dänische Gesandte seinem Könige meldete: er habe Amalie nach Art der alten Orakel zweideutig gefunden, dass kaum herauszubringen sei, was der König von ihrer Zuneigung zu erwarten habe. In dem geheimen Staatsrat führte sie selbst den Vorsitz und prüfte Alles aufs genaueste, was zur Prüfung vorlag; sie las alle Verfügungen, welche sie unterschreiben sollte, sorgfältig, und arbeitete oft bis in die Mitternacht, um zu erledigen, was zu erledigen war. Mit unerschütterlicher Treue hing sie an der evangelischen Lehre, und sie äußerte oft: Lieber wolle sie mit ihren Kindern davongehen, als von der wahren Lehre abweichen. Bei den Friedensverhandlungen arbeitete sie darauf hin, dass neben den Lutheranern die Reformirten freie Religionsübung erhielten.

Körperliche Schmerzen ertrug sie mit fast mehr als männlicher Standhaftigkeit. In den letzten Jahren bekam sie ein Übel an einem Bein, deshalb musste sie sich schmerzlichen chirurgischen Operationen unterwerfen. Sie reiste nach Heidelberg und zeigte solche Selbstüberwindung, dass sie dem Arzte zurief, er solle nur zuschneiden, unbekümmert um ihre Schmerzen, wenn er es für vorteilhaft halte. Da sie nicht in einem Wagen fahren konnte, schiffte sie auf dem Neckar, Rhein und Main bis Höchst a. M., von wo aus sie auf einem besonderen Reisestuhl bis Kassel getragen wurde. Sie ließ sich noch am Sonntage vor ihrem Tode in die Kirche tragen, und sagte hierauf zu dem Hofprediger, wenn sie sich auch als eine Sünderin erkenne, so vertraue sie doch auf Gottes Gnade in Christo. In der Martinskirche, wo sie begraben war, wurde auf ihren Befehl eine Tafel zu ihrem Gedächtnis angebracht mit der Inschrift: Amal. Elis., Landgräfin von Hessen; zur Ehre des höchsten Gottes lasse ich Euch dieses Zeichen und Ausdruck meines Wohlwollens zurück, weil die wahre Liebe sich bildlich nicht darstellen lässt, die ich gegen Euch im Herzen trage. Lebt glücklich, sendet Eure Gebete zum Himmel für das Wohl Euerer Fürsten, damit unter ihrer gerechten Regierung Euch nichts fehle zu einem glücklichen Leben. Das wolle Gott geben.“