Odilia

Odilia

(gest. 13. Dezember 720)

„Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht.“ (Matt. 25, 35. 36.)

Im schönen Elsaß, fünf Stunden südwestwärts von Straßburg, springt aus den Vogesen, die hier gegen den Rhein hin abfallen, eine hohe Bergkuppe hervor, von welcher man das ganze Land, einst ein Garten deutscher Erde, überschauen kann, bis jenseits über den Rhein, wo der Schwarzwald die prächtige Landschaft als dunkler, fester Hintergrund abschließt. Altes Gemäuer krönt den Scheitel dieser Kuppe, und man begreift es auf den ersten Blick, daß hier in alten Zeiten eine Warte und Waffenplatz gestanden, und die Ebene rund umher beherrscht hat.

Alte Chronisten erzählen von einem Allemannen-Herzog, welchen sie bald Ethico, bald Attich und Edelreich nennen, der habe um die Mitte des siebenten Jahrhunderts zuerst zu Oberehenheim im flachen Land gewohnt. Darnach aber habe er stolze Adler-Gedanken bekommen, uns sich mit großen Schätzen eine umfangreiche Burg auf die Kuppe gebaut. Da saß er nun in der Höhe mit seiner Gattinn, Berehsinda oder Bereswinda geheißen, und aus königlichem Blute entsprossen. Das war ein eiserner Herzog, Stolz in seinem Gemüth, Trotz und unbändigen Jähzorn, bis Gott ihm das steinerne Herz zerbrach. – Als er von seinem neuen Bergschloß aus, welches er „Hohenburg“ nannte, sein Herzogthum so weit, reich und sonnig zu seinen Füßen sich ausbreiten sah, bläheten stolze Zukunftsgedanken seinen Muth. Er gedachte, durch Bereswinde,, seine junge Gattinn, welche eben mit ihrem ersten Kinde ging, der Stammvater eines Fürstengeschlechtes zu werden, das die von ihm ererbte Macht mit dem Schwerte wahren und mehren werde.

Solches bewegte Ethico grade in seinem Herzen; da ward ihm die Botschaft von der Geburt seines ersten Kindes gebracht, und daß es nicht ein Sohn, sondern ein blindes Töchterlein sei. Darauf war er nicht gefaßt. Der getäuschte Fürstenstolz brachte sein Blut in Wallung. Er wähnte, sein Name sei beschimpft, und im Zorn solchen Wahnes befahl er, sein Kind, das seine Augen nicht sehen wollten, zu tödten. Da hatte Bereswinde schwere Angst um ihr armes, blindes Töchterlein. Sie vertraute es heimlich einer treuen Amme, daß sie es nicht weit von Hohenburg einer zuverlässigen Familie zur Erziehung übergebe, und trauerte öffentlich über den Abschied, als sei es gestorben. Aber nicht lange, so schien der Verberg in der Nähe des unholdigen Vaters nicht mehr sicher. So wurde es über die Berge geflüchtet in das Kloster Balma bei Besancon; da war eine Freundinn Bereswina’s Aebtissinn.

Hier empfing das verbannte Herzogskind bei der Taufe den Namen Odilia. Es erwuchs, und blühete still zum jungfräulichen Alter. Das Augenlicht wurde ihr durch Gottes Hülfe geschenkt. Aber noch heller und schöner erschloß sich das inwendige Auge, welches Glaube heißt, und die Herrlichkeit des Evangeliums und die Geheimnisse des Himmelreichs erschaut.

Bereswinde hatte unterdes vier Söhne geboren, und mit ihnen das Geheimnis von der verbannten Schwester getheilt. Da gedachte ihrer einer, der Hugo hieß, der Zorn des Vaters möchte nach so vielen Jahren verlöscht seyn, und ordnete heimlich die Rückkehr der geliebten Schwester an. Diese machte sich, begleitet von mehreren Klosterfrauen, auf den Weg zur Heimkehr. Eines Tages sah man einen Zug verschleierter Frauen gen Hohenburg zu Berg steigen. Der Herzog, da er sie nahen sah, frug, wer das sei? Hugo, freudig bewegt, daß nun die Stunde da sei, wo er das Entzücken der Mutter, und die versöhnte Liebe des Vaters zu sehen gedachte, antwortete fröhlich: sieh, das ist eure Tochter Odilia, unsere vielgeliebte Schwester, sie lebt, und kommt in die Arme des Vaters zurück..“ Aber der Herzog, indem er finsteren Blickes seinen Sohn einen Ungehorsamen schalt, war also ergriffen vom wilden Feuer des Zornes, daß er ihn mit einem Schwert erschlug. Da war die Freude in groß Leid verkehrt. Und Odilia hielt weinend ihren Einzug über den Leichnam ihres treuen Bruders.

Doch, als nun der Herzog inne ward, was er in der Blindheit seiner Leidenschaft angerichtet, da brach sein trotziges Herz. Liebreich nahm er die Tochter auf. Aber sie sollte fortan als Prinzessinn in der herzoglichen Hofhaltung glänzen, und er gedachte, sie einem Fürsten zur Gattinn zu geben. Aber Odilia war stillen, schüchternen Herzens abhold dem weltlichen Gepräge, und hatte die Gewißheit, daß Gott sie zu andern Dingen und Diensten geschickt gemacht habe. Sie bat flehentlich, der Vater möge von seinen Wünschen absehen. Endlich überwand die sanfte Tochter den starren, starken Vater; ja, je mehr und mehr geschah es, daß er durch die Demuth und kindliche Ehrerbietung, und durch ihre Gebete unter das sanfte Joch Christi gar gefangen wurde. Da entwichen alsbald die düsteren Schreckensgeister, welche den Herzog seinem Haus und Land unheimlich gemacht hatten, und der fromme, freundliche Friede lagerte sich in der Hohenburg, und breitete seine Flügel mild über das ganze Regiment des Fürsten. Odilias Liebesfeuer entzündete rings die Herzen der Ihrigen. Der Vater räumte ihr und ihren Frauen einen Theil der Burg ein, der so erweitert und eingerichtet ward, daß 130 Jungfrauen aus den edeln Geschlechtern des Landes dort Aufnahme finden konnten, und unter ihrer Leitung standen. Diese Schaar war in 7 Chöre getheilt; jeder Chor hatte seinen besonderen Betsaal. Da erschollen zu gewissen Stunden heilige Gesänge, Gebete und Verkündigung des göttlichen Wortes. Vor dem Thor war eine Wohnung für 12 Geistliche erbaut, welche als Chorherren die gottesdienstlichen Uebungen zu leiten hatten.

Sie richtete sich in dieser Einrichtung nach der Anweisung einer der evangelisch gesinnten brittischen Nonnen, als ihrer Lehrerinn.

Das war nun nicht ein peinlich in äußern Satzungen und Regeln eingeschnürtes Klosterleben, dabei der Geist stolz, träg und selbstgerecht wird, sondern aus dem Evangelium erwachten, frei und frisch. Es wird erzählt, daß Odilia nicht Einen Tag verleben mochte, ohne mit ihren Stiftsfräulein in der heil. Schrift gelesen zu haben, diesem alleinigen Born gesunder Frömmigkeit. So hielt sie denn auch mit fester Hand und recht evangelischem Verständniß alles Zumuthen fern, welches ihre Stiftung auf jene entsetzlichen Abwege des römischen Klosterwesens hätte verlocken können. Einst wurde eines ihrer Stiftsfräulein nach dem Heiligenschein überflüssiger Verdienste lüstern; die täglichen Andachtsübungen schienen ihr zu gewöhnlich, zu wenig auszeichnend; sie begehrte die Einführung strenger Kasteiungen. Odilia wies sie mit den Worten ab: „Es sei nur dann nützlich, sich Entbehrungen aufzulegen, wenn es zur Reinigung des Herzens, zur Heiligung des Lebens, und zur Tröstung der Seele beitrage Die Erfüllung der nächsten und natürlichsten Pflichten, deren Versäumnis Sünde sei, biete hinlängliche, ja fast zu schwere Arbeit. Sie deutete auf die großen Schwierigkeiten hin, die täglichen Bedürfnisse, z. B. das Wasser, auf den steilen Wegen zur Hohenburg zu schaffen. Sie wollte sich hüten, ihren Nachfolgerinnen unerträgliche Lasten aufzubürden, und deren Tadel zu verdienen, dagegen aber bereit bleiben, Alles für den gekreuzigten Heiland zu thun.“

Und das Licht, das sie vor den Leuten leuchten ließ, zeigte hell, wie sie diese letzten Worte verstanden wissen wollte, nämlich aus der Rede des Herrn: „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt Mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt Mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt Mich beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt Mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt Mich besuchet. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu Mir gekommen.“

Ihre Verwandten, da sie die Weisheit, Treue und Freudigkeit ihrer Liebe sahen, legten alle von ihren Reichthümern große Schätze in ihre Hand; ja etliche ihr ganzes Erbtheil. Alsbald besaß Odilias Stift nicht bloß bewegliches Silber und Gold, sondern auch Wälder, Ländereien und Gehöfte.

Aus ihren Zellen und Betsälen, von Gottes Wort her, brauchen die Stiftsfrauen frischen Muth zu Leben und Arbeit. die nächste Aufgabe Odilias war Unterrichtung und sorgfältige Erziehung der ihrer Pflege anvertrauten Jungfrauen. Dann aber verlief aus dem Einen tiefen, heiligen Quell der Christusliebe ihre Beschäftigung in unzählige Bächlein des Dienens und Helfens. Zur Hohenburg, vordem als des Landes Zwang und Drang mit Furcht und Zittern angesehen, hub nun rings aus den Thalen und Ebenen alles Gepreßte und Elende seine Augen auf als zu dem Berge, von welchem ihm Hülfe kam, und als zu einer Burg Gottes.

Und da Odilia gewahrte, wie sauer es manchen der Hülfesuchenden ward, seinen durch Alter oder Elend siechen Körper den jähen Berg hinauf zu schleppen, und dabei gedachte, Viele möchten wohl drunten vergebens schmachten, gleich wie der lahme Mensch am Teich Bethesda, sprach sie: „Wohlan, so wollen wir zu euch blind kommen!“

Alsbald sah man am Fuß des Berges viele Werkmeister und Bauleute mit großem Fleiß beschäftigt. Zuerst wuchs eine schöne Kirche aus dem Boden; denn man achtete in den alten Zeiten das Haus des Herrn als den Kern und Mittelpunkt, und als den lebendigen Quell aller menschlichen Ansiedelung. Darnach erstand eine Herberge für Fremdlinge und Pilgrime, denn Gastfreiheit, das heißt: Darbietung süßer Heimathlichkeit, ist eine Tugend, von dem Herrn und seinen Aposteln hoch gerühmt. Darnach ward den Kranken, Wunden und Altersschwachen ein Siechhaus erbaut. Darnach den Hungernden, Dürstenden, Nackten und Obdachlosen ein Armenhaus. Und es geschah, was Jakob im Träume sah, die Engel stiegen auf und nieder von der Hohenburg zu diesen Hütten der Barmherzigkeit, Odilia voran in Arbeit und Aufopferung. Sie führte die Stiftsfräulein täglich hin, lehrte sie die Kranken und Armen leiblich und geistlich pflegen, las den Kranken aus der heil. Schrift vor, pflegte sie auch persönlich, und ging darin so weit, daß sie einst für einen Aussätzigen selbst die Fürsorge übernahm, ihm Speise bereitete, und dann in den Mund gab, ihn umfaßte und wärmte, und mit Gebet und Thränen für ihn um Geduld und um Genesung zu Gott flehte. Und ihr Gebet wurde erhöret; der Aussätzige wurde gesund. Und endlich, da sie sah, wie viel Aufwand an Zeit und Beschwernis durch dieses stetige Ab- und Zugehen erwachte, krönte sie das Werk durch Erbauung eines Mutterhauses, des Klosters, welches sie Niedermünster nannte, im Gegensatz zu Hohenburg. Nun hatten die dienenden Frauen festen, bequemeren Sitz ganz nahe bei ihren Pflegebefohlenen.

Mit klugem Sinn hielt sie alles Eifersüchteln und Hadern um Mein und Dein von diesen ihren beiden Stiftungen fern, und theilte deßhalb auch ihr reiches Erbe, nämlich 25 Landgüter und eben so viel Dörfer, aus welchem Zehnten und Gefälle zu beziehen waren, genau zwischen Hohenburg und Niedermünster. Nur dem Wetteifer in der Liebe gestattete sie freie, aber grade Bahn. Sie wußte mit ihrer frommen, willenskräftigen Begeisterung, wie mit starken Mutterarmen, ihre schwächeren jüngeren Genossinnen, wenn sie in die Alltäglichkeit zu versinken drohten, empor zu heben. Einst, als sie mit diesen vor ihrer Hohenburg auf einen Felsenvorsprung herausgetreten war, und ein weiter, herrlicher Gesichtskreis sich ihnen erschloß, deutete sie mit der Rechten hinaus, und sprach: „Sehet, meine Schwestern, diese reiche Ebene mit ihren Städten und Dörfern, wo ihr vormals lebtet nicht ohne Befleckung des Leibes und der Seele! Der Fels, auf dem ihr stehet, trennt euch jetzt von derselben. Er ist euch ein Bild des himmlischen Berges, den ihr erklimmen sollt; dort seid ihr frei von den brennenden Sonnenstrahlen, von dem rauhen Nordwind, Regen und Wintersturm; dort ist ewiger Frühling!“

Zur Zeit Odilias hielten sich an vielen Punkten der obern Rheingegenden brittische und schottische Sendboten des Evangeliums auf, welche reiner von Menschen- Satzungen, freier von priesterlicher Herrschaft, und lauterer aus der Bibel heraus, als es von Rom her geschah, das Christenthum lehrten und pflanzten. Diese pflegten nicht selten in die Kirche zu Niedermünster zu gemeinsamen Berathungen sich zu versammeln. Ihr Einfluß ist in Odilias Hochschätzung der Bibel und in der evangelischen Gestaltung ihrer Stiftungen zu erkennen. Auch bei ihrer Erziehung wirkten sie schon segensreich auf sie ein. In ihrem Vaterlande, in Schottland und Irland, waren christliche Frauen zu kirchlichen Dienstleistungen, als Pförtnerinnen an den Ein- und Ausgangsthüren der Kirchen für die Frauen, als Handlangerinnen bei weiblichen Taufen, also zum Diakonissen-Dienste und zu Werken der Barmherzigkeit schon im 5. Jahrhundert angestellt.

In der Kirche zu Kildare, in Irland, liegt auf derselben linken Seite, wo die Eingangsthüren der Wittwen und Jungfrauen auf ihre abgesonderten Kirchenplätze sich befanden, die h. Brigitte, Nichte des h. Patricius, neben dem Altare begraben, wo gegenüber auf der rechten, der Männerseite, der Bischof Conlaeth seine Grabstätte fand. Sie starb im Jahr 520; ihr Gedächtnistag ist am 1. Februar. Die Kranken- und Armenhäuser und Pilgerherbergen, welche die schottischen und irländischen Geistlichen, nach dem Vorbild ihrer Heimath, häufig in Deutschland und Gallien errichteten, nannten Sie „Brigitten-Häuser.“ Ein solches Brigitten-Haus war auch in Mainz von den Schotten in der Altmünstergasse neben der Paulskirche, der Schottenpfarrkirche, errichtet. Später findet sich auch eine besondere Brigitten-Kapelle dabei, und das Brigittenhaus wird das Elendhaus genannt.

Vierzig Jahre lang leitete Odilia die von ihr gegründeten Anstalten, von 680 bis 720. Während der zehn ersten Jahre lebten ihre Aeltern noch bei ihr. Der alte Herzog Ethico starb 690, neun Tage später die Mutter Bereswinda. Diese Tochter war der Friedensengel ihres Lebens.

Ihr Vater und ihre Mutter kannten am Abend ihres Lebens keine schönere Arbeit, als ihr in ihren Liebeswerken Handreichung zu thun. Und ihre Schwester Roswinde, wie ihre drei Nichten Attala, Eugenie und Gundelinde gaben sich selbst dem Liebeswerk Christi, unter Odilias Leitung, hin. Sie wurden alle später Aebtissinnen. Mehrere ihrer Brüder und Neffen widmeten sich theils selbst der Kirche, theils stifteten sie Klöster in evangelischem Geiste, unter Einfluß der schottischen Geistlichen, und Herbergen für Fremde und Wanderer, eine der letzteren, Murbach, mit Hülfe des Bischofs Pirmin.

Als Odilia durch Körperschwäche an das Herannahen des Todes erinnert wurde, ließ sie sich in die Johannes-Kapelle, oder den Johannes-Saal auf Hohenburg bringen, rief alle Schwestern, und sprach, als sie dieselben um sich versammelt sah, zu ihnen ihre letzten Worte voll mütterlicher Liebe und Ermahnung. Alsdann ließ sie sich das heil. Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen, und entschlief bald darauf selig in ihrem Herrn. Sie starb den 13. Dezember 720. Später wurde sie, als der Heiligendienst, der schottischen Abwehr ungeachtet, Ueberhand nahm, zu einer Heiligen gemacht, und als Schutzpatronin des ganzen Elsasses angerufen. Ihre Klöster mußten sich, ebenso wie die Männer-Klöster, unter dem Zwang von Bonifacius und den ihm befreundeten karolingischen Machthabern, der Benedictiner-Regel unterwerfen. Ja, die Benedictiner behaupteten selbst, Odilia wäre Benedictinnerinn gewesen. Aber diese Schülerinn der Britonen und Schotten, die fleißige Leserinn der heil. Schrift und Thäterinn aller Werkheiligkeit, trägt schon in ihrem weißen Gewande, und in ihren herabhängenden Haarflechten, wie man sie auf dem Bilde sieht (Das Tragen von Haarzöpfen war zugleich ein Zeichen königlicher Abstammung.), einen solchen Contrast mit dem dunkeln Gewande und geschornem Haupte der Benedictinerinnen, daß man sieht, obige Behauptung ist eine grobe Fälschung de Geschichte. Zum Überfluß findet sich sogar noch eine päpstliche Bulle vor, welche die „Zoph-Nunnen“ verbietet, ein Zeichen, daß Odilia sich nicht unter das knechtische Joch Roms hatte fangen lassen.

Als Maria das Alabaster-Gefäß über dem Haupte des Heilands in Bethanien zerbrach, da füllte der Geruch der köstlichen Narde das ganze Haus. So liegen Hohenburg und Niedermünster längst in Trümmern; aber das Leben der Liebe, welches darinnen waltete, duftet köstlich, und erquickt bis auf diesen Tag. Und Odilia leuchtet, als eine fürstliche Diakonissinn, ihren deutschen Landsmänninnen zum liebsten Vorbilde für alle Zeit.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

Johannes Oekolampad

Johannes Oekolampad

Johannes Oekolampad (Hausschein, eigentlich Hüsgen) wurde im Jahr 1482 in der schwäbischen Stadt Weinsberg geboren. Seine Eltern waren wohlhabende Bürgersleute, und Johannes war das einzige Kind, das ihnen am Leben geblieben war und das sie nun auch wie ihren Augapfel behüteten. Wäre es nach des Vaters Willen gegangen, so hätte Johannes sein Glück als Kaufmann versucht: aber die Mutter, eine verständige Frau, widmete ihn den Studien. Sie, deren Vater ein Basler Bürger war vom Geschlechte der Pfister, ahnte wohl nicht, welch‘ ein Segen ihr Johannes ihrer Vaterstadt dereinst werden würde. Nachdem der Knabe in der Schule zu Heilbronn den ersten Grund gelegt, ging er nach Heidelberg, wo er schon im 14. Jahre das Baccalaureat und bald darauf den Magistergrad in der Philosophie erhielt. Schon damals übersetzten seine Studiengenossen den deutschen Namen Hausschein in den griechischen Oekolampadios. So wollte es die damalige Sitte. – Oekolampad sollte ein Rechtsgelehrter werden. Er begab sich deßhalb nach der berühmten Rechtsschule Bologna. Aber weder das italische Klima, noch das Studium der Rechte, sagten seiner Natur zu. Nach einem halben Jahre finden wir den deutschen Jüngling wieder in Heidelberg, wo er sich der Wissenschaft zuwandte, zu der sein Herz ihn trieb, der Gottesgelehrsamkeit. Diese Wissenschaft, wie sie damals auf den hohen Schulen betrieben wurde, hatte freilich auf den ersten Anblick nicht viel Anziehendes. Die scholastische Form, unter der ihre innere Schönheit bis zur Verunstaltung verhüllt ward, mußte den gesunden Sinn verletzen und zurückstoßen: denn wenn auch die sogenannte Scholastik ihrer Zeit dazu gedient hatte, in die Tiefen theologischer Erkenntniß hineinzuführen, so war damals ihre Blüthezeit vorüber, und es waren großentheils nur die Dornen übrig geblieben, in denen sich auch die edlern Geister häufig verwickelten und von denen sie sich nur mit Mühe wieder losmachten. Oekolampad vermied diese Dornen so gut er konnte. Er studirte zwar die Schriften des großen Meisters, Thomas von Aquin; aber den spitzfindigen Duns Scotus ließ er unberührt. Im Ganzen fühlte er sich mehr hingezogen zu der Theologie, die mit dem Scharfsinn der Dialektik den Tiefsinn der sogenannten Mystik zu verbinden suchte. Darin erschien ihm der edle Kanzler Charlier Gerson als ein würdiges Vorbild. Daß nicht allein die Wissenschaft, daß vielmehr die Frömmigkeit des Herzens und Lebens den rechten Theologen ausmachen, das erkannte Oekolampad zu seinem eignen Heil frühzeitig und nur dadurch konnte er auch Andern zum Heil werden. Die erste Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, bot sich ihm dar, als der Kurfürst von der Pfalz, Philipp, ihm die Erziehung seiner Söhne anvertraute; doch blieb er nicht lange in diesem pädagogischen Wirkungskreise. Nach der Sitte der damaligen Zeit hatten ihm seine Eltern eine Pfründe in der Vaterstadt Weinsberg gestiftet; allein auch die kirchliche Laufbahn wollte er nicht antreten, ohne sich noch gründlicher in der Wissenschaft befestigt, und namentlich die Sprachen der h. Schrift noch in einem weitern Umfang sich angeeignet zu haben. Besonders legte er sich mit allem Eifer auf das Studium des Hebräischen, das er unter Anleitung eines getauften spanischen Juden, Matthäus Adriani, in Heidelberg betrieb, nachdem er zuvor in Tübingen mit Melanchthon, in Stuttgart mit Reuchlin nähere Bekanntschaft gemacht hatte. Auch mit Capito und Brenz trat er nun in nähere Verbindung. Also mit Kenntnissen ausgerüstet und durch den Umgang mit den berühmtesten Männern seiner Zeit auf das Leben vorbereitet, trat er die Pfarrstelle in seiner Vaterstadt an, und nachdem er hier schon durch seine Predigten vielen Segen gestiftet hatte, wurde er durch den Bischof von Basel als Domprediger nach dieser Stadt der Eidgenossenschaft berufen, im Jahr 1515. Doch sein Aufenthalt daselbst war nur vorübergehend. Noch einmal kehrte er nach Weinsberg zurück, wo er bereits mit einer reformatorischen Schrift hervortrat, in der er die Unsitte der Zeit züchtigte, am h. Osterfeste durch possenhafte Vorträge und Erzählung von Schwänken die Zuhörer zum Lachen zu reizen und sie gleichsam für die überstandenen Fasten zu entschädigen. Von Erasmus wiederum nach Basel gerufen, um ihm bei der Herausgabe der zweiten Auflage seines Neuen Testaments behülflich zu sein, verweilte er auch jetzt nicht lange daselbst, sondern folgte, nachdem er den Doctorgrad in der Theologie erlangt hatte, einem Rufe nach Augsburg im Spätjahr 1518. Er fand als Prediger in der Hauptkirche daselbst Aufforderung genug zu reformatorischem Wirken, benutzte aber die Muße, die ihm sein Amt gestattete, fortwährend zu eigner Fortbildung und zu schriftstellerischen Arbeiten. Besonders beschäftigten ihn um diese Zeit die Kirchenväter. Ja so sehr überwog bei ihm noch der Hang zu einem stillen beschaulichen Leben, daß er die weltpriesterliche Wirksamkeit mit dem Klosterleben zu vertauschen beschloß. Im April 1520 trat er in das zur Diöcese Freisingen gehörige Brigittenkloster Altenmünster, unweit Augsburg, wo er zwischen Predigten und frommen Uebungen und zwischen gelehrten Studien zwei Jahre zubrachte, und im Umgange mit dem Worte Gottes immer tiefer in die Geheimnisse der evangelischen Wahrheit eingeführt wurde. Aber freilich vertrug sich das Mönchsleben nun nicht mehr mit der immer klarer hervortretenden Ueberzeugung des Mannes. Wir finden ihn nach seinem Austritt aus dem Kloster bei dem ritterlichen Franz von Sickingen auf der Ebernburg, unweit Mainz, als Schloßprediger. Da hatte er freie Hand, den Gottesdienst zu ordnen und zu verwalten nach bester Einsicht., Der deutschen Predigt mußte die Menge lateinischer Formeln, dem ewigen Worte Gottes die hergebrachte Menschensatzung weichen. Doch ging er vorsichtig zu Werke, indem er (nach seinen eignen Worten) „der Gewohnheit Einiges, wieder Einiges der Liebe einräumte.“ Auch mußte in ihm selbst erst noch die Wahrheit reifen und noch manches sich läutern, ehe er mit der vollen Zuversicht eines Reformators auftreten konnte. Diese Zeit aber war nicht mehr ferne. Nicht erst nach Sickingens Tode (wie gewöhnlich erzählt wird), sondern schon früher verließ Oekolampad die Ebernburg, um sich abermals nach Basel zu begeben, wohin ihn sein Freund, der Buchdrucker Kratander eingeladen hatte. (Nov. 1522.) Er lebte erst in gelehrter Zurückgezogenheit, im Genusse edler Gastfreundschaft, und arbeitete für seinen Freund an der Uebersetzung des Chrysostomus. Bald aber öffnete sich ihm ein bescheidenes Feld der Wirksamkeit an der Baselschen Kirche.

Der kranke Pfarrer Zanker zu St. Martin bedurfte eines Vicars; Oekolampad nahm die Stelle an, obgleich sie ihm nichts eintrug. Bald aber übertrug ihm der Rath ein Lectorat an der Universität mit geringem Gehalte; und so eröffnete er im Jahr 1523 seine akademische Laufbahn mit Vorlesungen über den Propheten Jesaia; worüber Luther (in einem Brief an ihn vom 23. Juni) seine große Freude äußerte. Nun war die Bahn gebrochen. Auf der Kanzel und auf dem Lehrstuhl stand nun der Mann, den die Kirche Basels mit Recht ihren Reformator nennt. War auch schon vor seinem öffentlichen Auftreten manches freie evangelische Wort in Basel vernommen worden, hatte sich schon die Stimmung eines großen Theils der Bürgerschaft den Grundsätzen zugewendet, wie sie durch Luthers Schriften auch dem gemeinen Mann zugänglich wurden, so fand doch die neu aufblühende evangelische Freiheit erst an Oekolampad ihren persönlichen Halt, ihren beredten Anwalt, ihren muthigen Vorfechter. Seine Predigten schlossen sich an die Bedürfnisse der Zeit an und traten in ein näheres Verhältniß auch zu seinen akademischen Vorträgen. So erklärte er in Wochenpredigten dem Volke, was er Tags zuvor den Studirenden in wissenschaftlicher Weise vorgetragen hatte. Auch stand er mit seiner reformirenden Thätigkeit in Basel nicht allein. Zwingli in Zürich war sein vertrauter Freund, beide unterhielten einen lebhaften Briefwechsel und ermunterten sich gegenseitig in ihren Bestrebungen. Auch der Rath von Basel ging allmählich auf seine Verbesserungen ein und indem er die seither getroffene Wahl Oekolampads zum bleibenden Pfarrer an seiner Gemeinde bestätigte, that er dem Reformationswerk einen mächtigen Vorschub. Freilich blieben nun auch die Gegner nicht unthätig. Ein großer Theil der Geistlichkeit und der Universität suchte ihn als Unruhstifter zu verdächtigen, und auch der weltkluge Erasmus zog sich mehr und mehr von ihm zurück. Auch die unreinen Geister der Wiedertäufer bereiteten ihm manche schwere Stunde. Er suchte sie durch Religionsgespräche, die er, erst in seiner Wohnung, später in der Martinskirche und auf dem Rathhause veranstaltete, eines Bessern zu belehren; aber umsonst. Dazu kam noch der unselige Abendmahlsstreit, in den auch er verwickelt wurde und in welchem er wieder eine eigenthümliche Stellung einnahm. Er theilte hierin im Ganzen die Gesinnungen seines Freundes Zwingli, wenn er auch in der exegetischen Begründung seiner Ansicht einigermaßen von ihm abwich. Obwohl kein Freund von gelehrten Disputationen, hat er an zwei berühmten Religionsgesprächen theilnehmen müssen und auf beiden war seine Anwesenheit von bedeutendem Gewicht. Das eine war das Religionsgespräch zu Baden (Mai 1526), auf welchem er, da Zwingli nicht gegenwärtig war, die Sache der Reformation gegen ihre erbittertsten Widersacher, Eck an ihrer Spitze, vertheidigte; das andere das zu Marburg (Oct. 1529), wo er mit Luther sich wegen der Abendmahlslehre auseinander zu setzen suchte. An beiden Orten zeichnete er sich durch seine ruhige und würdige Haltung aus. Auch auf der Berner Disputation (Januar 1528) erblicken wir ihn; doch trat er dort mit seinen Reden bescheiden hinter Zwingli zurück. Die Reformationskämpfe in Basel selbst, die ihn während dieser ganzen Zeit umwogten und in die er mäßigend und bestimmend eingriff, können hier nicht weiter verfolgt werden. Von seinen gesunden reformatorischen Gesinnungen mag der Hirtenbrief, den er bei einer Kirchenvisitation im Herbst 1528 an die Pfarrer der Landschaft erließ, das beste Zeugniß ablegen. Hier zeigt er einfach und schön, wie Alle, die bessernd und reinigend auf die Kirche einwirken wollen, vor allen Dingen bei sich selbst anzufangen haben und wie das musterhafte Leben des Dieners Christi auch der Reinheit seiner Lehre entsprechen müsse. „Jesum Christum, den Gekreuzigten zu predigen, das sei unsre Weisheit; diesen Reichthum und Preis der Gnade Gottes gegen uns zu verkündigen, sei der Zweck aller unsrer Vorträge.“ Er empfiehlt die Liebe vor der Strenge, und äußert den Wunsch, daß häufig brüderliche Zusammenkünfte stattfinden mögen, in denen man sich gegenseitig ermahne, stärke und ermuntere. – Nachdem im Februar 1529 der entschiedene Volkswille, nicht ohne Gefahr drohende Stürme, die Reformation in Basel durchgesetzt hatte, war es von doppelter Wichtigkeit, daß ein Mann, wie Oekolampad das Steuer ergriff und das von Wind und Wellen bedrohte Schifflein in den sichern Hafen zu lenken sich anschickte. Lag doch auf ihm nicht nur die Last der Arbeit, sondern auch der Verantwortung, nachdem die Anhänger der alten Kirche, unter ihnen selbst ein Erasmus, der ketzerischen Stadt den Rücken gewendet und auch der hohen Schule ihre Kräfte und ihre Gunst entzogen hatten. Das Niederreißen, zu dem sich viele Hände bereit gezeigt hatten, wie der Bildersturm beweist, war jedenfalls leichter gewesen, als das Aufbauen. Zu diesem brauchte es nicht nur rüstige Hände, sondern einen hellen, tüchtigen Kopf und ein frommes, glaubensfestes Herz. Oekolampad ging der Regierung mit Kopf und Herz an die Hand. Nachdem der Bischof gewichen, war er der natürliche Antistes der Kirche. Er wurde auch der Wiederhersteller der Universität. Simon Grünaeus und andere berühmte, gelehrte Männer wurden durch ihn an die hohe Schule gezogen. Aber auch den niedern Schulen, die seit ihrer Losreißung von der Kirche unter die Leitung des Staats traten, schenkte er seine Aufmerksamkeit, und sorgte durch Organisation der sogenannten lateinischen Schulen für eine tüchtige akademische Vorbildung. Wie die gute Zucht der Jugend, so lag ihm aber auch die Zucht, welche die Kirche über die Erwachsenen zu üben hat, am Herzen. Hierin stimmte er nicht ganz mit seinem Freunde Zwingli überein. Wenn dieser aus Abneigung gegen alles, was an die alte Priesterherrschaft und ihren Gewissenszwang erinnerte, auch den Bann der Kirche aus seiner Kirche verbannte, und der christlichen Obrigkeit als solcher es überließ, von sich aus die Laster zu strafen, so unterschied Oekolampad richtig zwischen der bloßen Staatspolizei und der Kirchenzucht. Es gelang ihm indessen nicht, letztere ganz nach seinem Wunsche durchzuführen, da die Regierung selbst ihm nur auf halbem Wege entgegenkam, und noch viel weniger vermochte er andere schweizerische Stände zu seinen Ansichten zu bewegen. So stand auch Haller in Bern ihm entgegen. Am meisten hat wohl von allen schweizerischen Reformatoren vor Calvin Oekolampad die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat ausgesprochen und mit Nachdruck betont. „Unerträglicher, als der Antichrist, das war seine Ueberzeugung, wird die Obrigkeit, wenn sie die Kirche ihres Ansehns beraubt. Sie führt das Schwert, und mit Recht. Allein Christus hat uns Arzneien dargeboten, womit wir die gefallenen Brüder heilen können. Er hat vom Sünder nicht gesagt: hört er nicht, so sage es der Obrigkeit, sondern – der Kirche.“ Auch das Synodalwesen hätte Oekolampad gerne noch weiter ausgedehnt, als die weltliche Macht es zuließ. Die Synoden sollten ihm nicht nur ein Mittel sein, die Kirchenzucht unter den Geistlichen zu handhaben, sondern er sah in ihnen die rechtmäßigen Vertreterinnen der gesammten Kirche. Durch sie und in ihnen sollte die Kirche zum Bewußtsein ihrer hohen göttlichen Bestimmung kommen. Es sind uns noch einige Synodalvorträge Oekolampads aufbehalten, aus denen hervorgeht, wie hoch er den Beruf eines evangelischen Predigers und Hirten faßte, wie sehr es ihm heilige Gewissenssache war, den Tempel des Herrn vor Entweihung zu schützen und dem matt und krank gewordenen Leibe der kirchlichen Gemeinschaft ein neues Leben einzuhauchen. Ehe er jedoch seine edeln Absichten vollkommen erreichen konnte (und welchem Sterblichen ist dies vergönnt?), rief ihn der Herr, dem er mit Einfalt und Treue gedient, aus diesem irdischen Leben ab. Der Tod seines Freundes Zwingli auf dem Schlachtfelds zu Kappel (11. Oct. 1531) hatte ihn tief erschüttert. Er folgte ihm bald nach. Starb er auch nicht auf dem Schlachtfelde, so erlag er doch der Last seiner Arbeit, die er im Dienste seines Herrn verrichtete. Vergebens hatten ihn Freunde gemahnt, seine Kräfte zu schonen. Er wollte wirken, so lange der Tag ihm leuchtete. – Ein Geschwür an dem sogenannten heiligen Beine quälte ihn schon längere Zeit und nöthigte ihn endlich das Bett zu hüten. Das Uebel warf sich nach und nach auf die innern Theile des Körpers. Alle ärztliche Kunst scheiterte an der Hartnäckigkeit desselben. Der Kranke fühlte, daß sein Ende nahe sei. Den 21. Nov. bereitete er die Seinigen auf dasselbe vor. Er war seit 1528 verheirathet mit Wilibrandis Rosenblatt (aus ritterlichem Geschlechte), von der er drei Kinder hatte, Eusebius, Aletheia und Irene (Frömmigkeit, Wahrheit, Friede). Zu diesen seinen Geliebten, wozu auch noch ein treuer Diener und Hausgenosse, Johannes Gundelfinger, gezählt werden kann, sprach er also: „Grämet euch nicht, meine Lieben! ich scheide nicht auf ewig von euch. Ich gehe jetzt aus diesem Jammerthal hinüber in’s bessere ewige Leben. Freuen soll es euch, mich bald an dem Ort der ewigen Wonne zu wissen.“ Darauf feierte er mit seiner Frau, ihren Verwandten und den Dienern des Hauses das h. Abendmahl. „Dieses heilige Mahl, sprach er, ist ein Zeichen meines wahren Glaubens an Christum Jesum, meinen Herrn, Heiland und Erlöser; ein treues Zeichen der Liebe, das er uns hinterlassen hat; es sei mein letztes Lebewohl für euch!“ – Am folgenden Tage versammelte er die Amtsbrüder um sein Sterbelager und legte ihnen das Wohl der Kirche an’s Herz. Er erinnerte sie an das Hell, das uns Christus erworben, ermahnte sie in seine Fußtapfen zu treten, und um so treuer die Liebe zu bewahren, je trüber und stürmischer die Zeit zu werden drohe. Er forderte sie zu Zeugen auf, daß er es redlich mit der Kirche gemeint, und nicht, wie die Feinde ihm vorwarfen, sie zum Abfall verführt habe. Die Umstehenden reichten ihm die Hand und versprachen ihm feierlich für das Wohl der Kirche bedacht zu sein. – Endlich noch einmal den Tag vor seinem Ende ließ er sich die Kinder vorführen, „die Pfänder seiner ehelichen Liebe“ und sprach ihnen zu, daß sie Gott ihren himmlischen Vater lieben sollten; die Mutter aber und die Verwandten ermahnte er, dafür zu sorgen, daß die Kinder ihren Namen entsprechen, daß sie fromm, friedsam und gottesfürchtig werden möchten. Nun nahete die letzte Nacht seines Lebens. Alle Geistlichen waren um sein Bette versammelt. Einen eintretenden Freund fragte er, ob er ihm etwas Neues bringe? und als dieser es verneinte, sprach er freundlich: „Aber ich will dir etwas Neues sagen: bald werde ich bei dem Herrn Christo sein.“ Als man ihn fragte, ob ihm das Licht beschwerlich falle, deutete er auf das Herz und sprach: „hier ist genug Licht.“ Eben brach der Morgen des 24. November an, und als die ersten Strahlen in das Zimmer sielen, beschienen sie – eine Leiche. Mit dem Seufzer: „Herr Jesu, hilf mir aus!“ war der treue Hirte entschlummert. Die zehn anwesenden Geistlichen waren auf ihre Kniee gesunken und begleiteten die aus ihrer gebrechlichen Hülle sich losringende Seele mit ihren stillen Gebeten. – Sein Grab ist im Kreuzgange des Basler Münsters, neben dem von Jakob Meyer und Simon Grynäus. Die erst im Jahr 1542 verfaßte Grabschrift lautet:

So Ehr, Gut, Kunst hülfend in Not,
Wer keiner von disen Dryen todt.

Mehr aber als dieses sagt uns das Wort der Schrift, das wir in vollem Sinn auf unsren Oekolampad anwenden können: Hebr. 13, 7: Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.

  1. R. Hagenbach in Basel

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

 

Evangelisches Jahrbuch für 1856


Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

Caspar Olevian

Während im Norden des deutschen Vaterlandes Luthers gewaltige Persönlichkeit Alles überragte, machte im Süden und Westen der Einfluß Melanchthons sich überwiegend geltend, die Einwirkung der schweizerischen Reformatoren in diesen Landstrichen erklärt sich theils aus der Nachbarschaft der Schweiz, theils aus dem herkömmlichen lebhaften geistigen Verkehre zwischen den gelehrten Theologen der schweizerischen Eidgenossenschaft und des südwestlichen Deutschlands. Doch gelangte auch in Württemberg und Baden der lutherische Lehrbegriff zur Herrschaft; nur die gottesdienstliche Ordnung ward der schweizerischen verwandt. Einen anderen Gang nahm die Entwicklung der kirchlichen Angelegenheiten in der kurfürstlichen Pfalz, insbesondere der Unterpfalz oder der Pfalzgrafschaft am oder bei Rhein, jenem gesegneten Landstriche, der, reich an Getreide und Wein, mit einer geistig beweglichen Bevölkerung, sich längs den Ufern des Rheinstromes gegen Süden und Westen ausstreckt, und in welchem die Residenz- und Universitätsstadt Heidelberg schon lange vor der Reformation einen Sammelplatz und Mittelpunkt des geistigen Lebens gebildet hatte. Zwar hatte die Universität anfänglich den reformatorischen Bestrebungen sich wenig günstig erwiesen. Luthers Auftreten auf dem Augustiner-Convente zu Heidelberg im April des Jahres 1518 hatte keine nachhaltige Wirkung zurückgelassen. Die reformatorisch gesinnten Lehrer Brenz und Billikan hatten 1522 ihren katholisch gesinnten Collegen weichen müssen, und erst nach dreißig Jahren unter dem trefflichen Kurfürsten Otto Heinrich brach das Licht des Evangeliums im Lande sich Bahn. Dieser hochbegabte fromme Fürst hatte sich allmälig von dem Standpunkte der lutherischen Abendmahlslehre zu der milderen Fassung Melanchthons hinübergewandt und in seiner pfälzischen Kirchenordnung vom Jahre 1556 jede Verletzung reformirter Anschauungen vermieden. Mehrere hervorragende Gelehrte schweizerischen Bekenntnisses hatte er an die Universität Heidelberg berufen; namentlich hatte er einem reformirten Flüchtling aus Frankreich, Peter Boquin von Bourges, einen theologischen Lehrstuhl eingeräumt (1557), und den späteren durchgreifenden Sieg der reformirten Richtung im Kurfürstenthum auf diesem Wege vorbereitet. Als daher der bisherige Herzog und Pfalzgraf zu Simmern, Friedrich III., am 12. Februar 1559 dem Kurfürsten Otto Heinrich in der Regierung des Kurfürstenthums folgte, so kostete es diesen entschieden reformirt gesinnten Fürsten wenig Mühe mehr, seinem Lande den Charakter reformirter Eigenthümlichkeit aufzudrücken, und dasselbe gewissermaßen zu einem Bollwerke reformirten Glaubens und Lebens im Südwesten Deutschlands zu erheben. Gleichwohl bedurfte Friedrich III. zur festen Begründung und Ausgestaltung der pfälzisch-reformirten Landeskirche gelehrter, weiser, frommer Männer; diese führte ihm die göttliche Vorsehung insbesondere in zwei hervorragenden Persönlichkeiten, in Zacharias Ursinus und Caspar Olevianus, zu. Es sei uns vergönnt, das Lebensbild des letzteren in kurzen Zügen vorzuführen.

Am Tage des h. Laurentius, den 10. August 1536, erblickte Caspar von der Olewig, oder nach der gelehrten Unsitte der Zeit die Namen zu latinisiren: Olevianus, in der Stadt Trier das Licht der Welt. Wie fast alle Reformatoren stammte auch er aus dem Bürgerstande. Sein Vater, Gerhard von der Olewig, war ein Bäckermeister und als Meister seiner Zunft Mitglied des Rathes, auch Rentmeister der Stadt; seine Mutter Anna Sinzig war eines wohlhäbigen Metzgermeisters Tochter. Im Collegium von Sanct German pflanzte ein alter würdiger Priester den Glauben an den Versöhnungstod Christi, als den einigen Trost im Leben und Sterben, in sein Herz. Doch ging sein Sinn ursprünglich nicht nach der Theologie; er wählte wie Calvin das Studium der Rechtswissenschaften. Nach Vollendung seiner humanistischen Studien auf der Universität Paris setzte er seine juristischen Fachstudien in Orleans und Bourges fort. In letzterer Stadt, nach dem mißglückten Versuche, den Prinzen Hermann Ludwig, einen Sohn des Pfalzgrafen Friedrich von Simmern, aus den Fluthen des Oron zu retten, wobei er selbst in Gefahr kam zu ertrinken, weihte er in inbrünstigem Gebete Gott sein Leben und begab sich nach einem kurzen Aufenthalte zu Trier im Anfang des Jahres 1558 nach Genf zu Calvin. Von dort besuchte er Zürich und war Tischgenosse Peter Martyrs; dann suchte er in Lausanne Beza auf und noch einmal in Genf Calvin; auch den greisen Farel lernte er noch kennen; so, tief ergriffen und erfüllt von den Ideen des Genfer Reformators, kehrte er, kaum 23 Jahre alt, nach Trier zurück, wo ihm zunächst in der sogenannten Burse, einer sehr in Verfall gekommenen lateinischen Schule, ein Schulamt verliehen wurde.

In Trier fand der junge Olevian einen zur Aufnahme der Reformation nicht unvorbereiteten Boden. Nicht nur bei einem großen Theile der Bürgerschaft, sondern auch unter den Mitgliedern des Rathes zählte die Kirchenverbesserung warme Freunde. Den Schöffen Otto Seel und Peter Sirk hatte Calvin den Olevian empfohlen und sie für die Sache des Evangeliums gewonnen. Auch der älteste Bürgermeister der Stadt, Johann Stuyß, begünstigte die evangelische Bewegung. Olevian war mit seiner Wirksamkeit allerdings zunächst auf die Schule beschränkt, in welcher jedoch das seinem Unterrichte zu Grunde gelegte Lehrbuch der Dialektik von Melanchthon passende Veranlassung darbot, die Saatkörner des evangelischen Glaubens in die Gemüther der Jugend auszustreuen. Da seine Schüler großentheils der lateinischen Sprache nicht mächtig genug waren, um den Unterricht mit Erfolg in dieser Sprache zu empfangen, so fing er an Deutsch zu lehren und an seinem 24. Geburtstage hielt er in der Schule sogar eine deutsche Predigt, in welcher er auf Grund des göttlichen Wortes die römischen Mißbräuche, namentlich die Messe, die Anbetung der Heiligen, das bei Bittgängen vorkommende Unwesen u. A. m., scharf und ohne Menschenfurcht tadelte. Da Olevian durch öffentlichen Anschlag am Rathhaus zu dieser Predigt eingeladen hatte, so war der Zudrang ein außerordentlicher gewesen, und die römischbischöfliche Parthei im ganzen Lande war um so erboster, als der Angriff in der altberühmten erzbischöflichen Stadt vorgekommen war. Gleich am folgenden Tage (11. Aug. 1559) setzten es die Gegner im Rathe durch, daß Olevian das Predigen in seiner Schule untersagt wurde, und der reformatorischen Wirksamkeit des jungen feurigen Predigers wäre sofort ein gründliches Ende gemacht worden, wenn nicht ein Theil der Zünfte, insbesondere die Weber, Schneider und Schmiede, sich zu seinen Gunsten erhoben hätten. Die Bewegung der Zünfte zwang den Rath vorläufig zum Einlenken; in der Schule sollte Olevian nur lateinisch predigen dürfen, in den Kirchen der Stadt sollte die deutsche Predigt ihm unverwehrt sein. Olevian predigte nun öfter in der städtischen Kirche des St. Jakobshospitals; dorthin strömte die Bürgerschaft; die Kirchen der Domherren standen verlassen.

Die kleine, aber mächtige Gegenparthei begriff, daß der römische Katholicismus in Trier durch Olevian aufs äußerste bedroht war. Der Erzbischof war gerade in Augsburg abwesend; von der Bewegung benachrichtigt sandte er in Eile einige Räthe, um die Reformation im Keime zu ersticken. Olevian wurde wegen unbefugten „aufrührerischen“ Predigens zur Verantwortung gezogen. Ein Herr von Winneburg untersagte als Delegirter des Erzbischofs dem Olevian kurzweg alles Predigen. Dieser setzte nunmehr die versammelte Gemeinde zu St. Jakob von dem Verbote in Kenntniß. „So ihr aber, sprach er, bei der erkannten Wahrheit beständig sein wollt, so will auch ich meinen Leib und mein Blut noch fürder in Gefahr setzen und euch das Wort Gottes predigen und Gott mehr gehorchen als den Menschen. Welche das von Herzen begehren, die mögen Amen sprechen.“ Bei der Ankündigung des Predigtverbotes war die Gemeinde in lautes Weinen ausgebrochen; nach der ergangenen Aufforderung Olevians rief die Versammlung einmüthig und mit heller Stimme: Amen. Dergestalt im Vertrauen der Gemeinde befestigt, fühlte Olevian sich stark genug, dem wachsenden Widerstand der Gegner die Stirne zu bieten. Auch der Rath entschied am 11. September für freie Gestattung der evangelischen Predigt. Bald ward die St. Jakobskirche für die gottesdienstlichen Versammlungen zu eng. Auf die Bitte der Gemeinde hatte Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken den Prediger Kunemann Flinsbach zur Unterstützung Olevians abgeordnet. Seine Ankunft in Trier am 23. September wurde als ein neuer Sieg der Reformation von allen Gutgesinnten – und ihrer waren damals viele – mit inniger Freude gefeiert.

Wer die Freude war von kurzer Dauer. Mit dem Muthe und der Begeisterung der Evangelischen stieg auch die Erbitterung und der Haß der gegnerischen Parthei. Schon am 17. September hatte ein Priester, Namens Fae von Boppard, sich vor der Predigt mit List der Kanzel in der St. Jakobskirche bemächtigt; er hatte der Entrüstung der versammelten Gemeinde weichen müssen. Jetzt half nur noch die Gewalt. Der Erzbischof und Kurfürst von Trier, Johann V., kehrte mit großem Gepränge und einem Gefolge von 170 Reitern nach seiner Residenzstadt zurück. Seine erste Maßregel war, dem eben berufenen evangelischen Hülfsprediger Flinsbach (am 26. September) die Kanzel zu verbieten. Dabei fühlte der Erzbischof sich indessen noch so wenig sicher unter seinen Unterthanen, daß er die Stadt, deren Straßen von den Evangelischen gegen seine Soldaten durch Ketten abgesperrt worden waren, nach einigen Tagen wieder verließ und sein Standquartier in einer Entfernung von etwa drei viertel Stunden zu Pfalzel nahm. Seine Absicht war, die Stadt einzuschließen und durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen. Schlau benutzte er die Spaltung der Trierer Bürgerschaft in eine politisch freisinnige, confessionell katholisch gebliebene, und eine eigentlich reformatorische Parthei. Indem er bald drohte, bald schmeichelte, bald die evangelisch Gesinnten als „Aufrührer“ bezeichnete und deren Verhaftung forderte, bald den Unterwürfigen Straflosigkeit und Huld zusicherte – schwächte er unter der Bürgerschaft die in diesem gefahrvollen Augenblicke so unentbehrliche Eintracht. Die Evangelischen trauten zum Theil ihren eigenen Mitbürgern nicht mehr, hielten sich ganze Nächte unter den Waffen, fürchteten Verrath. Die katholisch gesinnte Minderheit im Rathe gewann allmälig die Oberhand; die evangelischen Predigten wurden eingestellt; der Kurfürst verlangte, daß die Evangelischen eine Geldbuße von 20,000 Thalern erlegen und sofort das kurfürstliche Gebiet verlassen sollten. Die Bürger aus den untern Gewerben der Schiffleute und Faßbinder waren meist katholisch geblieben; sie lärmten jetzt in den Wirthsstuben und zechten auf erzbischöfliche Unkosten: das katholische Proletariat terrorisirte die Stadt.

Der entscheidende Schlag geschah, ohne daß die Evangelischen Widerstandskraft genug dagegen gezeigt hätten. Die Führer der evangelischen Parthei, der Bürgermeister Stuyß, die Rathsherrn Sirk, Seel u. A, die Prediger Olevianus und Flinsbach, wurden plötzlich auf Anordnung der katholischen Rathsparthei verhaftet. Von einer aus evangelischen und katholischen Bürgern der Stadt gemischten Abordnung, welche Vermittlungsanträge an den Erzbischof brachten, behielt dieser die Evangelischen als Geißeln zurück. Die nächste Umgebung der Stadt wurde auf’s schärfste eingeschlossen und bewacht. Wer die Einschließungslinie überschritt, wurde geplündert, mißhandelt, gefangen genommen. Jetzt nahm auch der letzte Rest von Widerstand bei der mürbe gewordenen Bürgerschaft ein Ende. Von Priestern und Soldaten, insonderheit Jesuiten umgeben, hielt der Erzbischof am 26. October triumphirend seinen Einzug in der darnieder geworfenen Stadt. Die Evangelischen wurden als „Rebellen“ behandelt; sie hatten die ganze Last der Einquartirung zu tragen. Ihnen blieb nichts übrig, als ein dringendes Hülfsgesuch an den Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz und den Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken, die Schirmherren des reformirten Bekenntnisses, zu richten; aber auch die lutherischen Fürsten, Herzog Christoph von Württemberg und Markgraf Karl von Baden, ließen sich nicht vergebens bitten, und Friedrich III. schrieb eigenhändig an den Bürgermeister Stuyß einen erquicklichen Trostbrief. In Folge der eingetretenen fürstlichen Verwendung wurde der Prediger Flinsbach als Unterthan des Pfalzgrafen Wolfgang schon am 1. November seiner Haft entlassen.

In um so größerer Gefahr schwebte dagegen Olevian, der ein Unterthan des erbitterten Erzbischofs von Trier war. Die Jesuiten hatten dem Erzbischof den Rath gegeben, den Olevian und seine Anhänger als „Calvinisten“ zu behandeln, auf welche die Bestimmungen des Allgemeinen Religionsfriedens nicht anwendbar seien. Es wurde daher gegen Olevian und seine Glaubensgenossen eine Criminaluntersuchung wegen „Landfriedensbruches“ eingeleitet. Die Gefangenen wurden in erschwerte Einzelhaft gesetzt; zahlreiche Einquartirung wurde auf so lange in die Häuser der evangelisch Gebliebenen gelegt, bis sie zum Abfall gebracht oder doch hinlänglich eingeschüchtert waren. Gleichwohl zählte man noch immer fünfhundert evangelische Bürger in Trier. „Denen hat man dann“, wie der Amtmann von Veldenz, Hans von Frankenstein, in einem Berichte vom 17. Nov. schreibt, „Landsknechte ins Haus gelegt.“ Die am schwersten Beschuldigten waren Peter Stuyß und unser Caspar Olevianus. Man machte dem letztern namentlich sein „eigenmächtiges“ Predigen zum Vorwurf; weder sei er an die St. Jakobs-Gemeinde ordentlich berufen, noch auch nur ordinirt gewesen. „Es ist männiglich bekannt, entgegnete Olevian, daß Niemand verboten ist, Gutes zu thun und aus der h. Schrift zu lehren.“ Ja, er drückte sein tiefes Bedauern aus, daß er nicht noch fleißiger falsche Lehre und Laster gestraft habe. „Ich weiß, sagte er, daß ich nichts geprediget, das dem Worte Gottes und der Augsburger Confession (er meinte die „Veränderte“ vom Jahr 1540) zuwider ist. Ich habe mich allezeit erboten und auch jetzt noch, dies darzuthun.“

Bei der leidenschaftlichen Stimmung des Erzbischofs und dem unausgesetzten Feueranblasen der Jesuiten hätte der Prozeß für die Evangelischen, und insbesondere für Olevian, einen blutigen Ausgang genommen, wenn nicht seit dem 23. Oct. die evangelischen Fürsten, Friedrich III. von der Pfalz, Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken, Philipp von Hessen u. A. einen Congreß zur Unterstützung und Beschirmung der Trierer Angeklagten in Worms veranstaltet hätten. Am 27. November trafen ihre Abgeordneten zum Schutze der bedrängten Glaubensgenossen in Trier ein. Ihre Bemühungen, zur Geltung zu bringen, daß Trier als reichsfreie Stadt zur Annahme des Evangeliums auf Grund der Augsburger Confession berechtigt gewesen sei, scheiterten an der Zähigkeit des jesuitischen Widerstandes. Die Gefangenen mußten Urfehde schwören, was Olevian jedoch nur bedingt that, so fern der christlichen Religion, der Augsburger Confession und seinem Gewissen damit in keinem Punkte zu nahe getreten werde. Außerdem mußten die Evangelischen dem Erzbischof eine Geldstrafe von 3000 Gulden erlegen und binnen acht Tagen das Kurfürstenthum verlassen. Unter dem Vorwande, die Exemtion werde nicht wegen der „Religion“, sondern wegen der „Rebellion“ vollzogen, wurde in kurzer Zeit der letzte Rest evangelischen Sauerteiges im Erzbisthum Trier ausgerottet. Eine Gedächtnisfeier, die am Pfingstmontag abgehaltene Oleviansprozession, verherrlicht noch heutzutage in Trier diesen „Sieg“ über die Reformation. Trier blieb von nun an 248 Jahre lang eine ausschließlich katholische Stadt; aber ihre Blüthe war dahin, ihre frömmsten, fleißigsten, reichsten und geschicktesten Bürger waren vertrieben. Im Jahre 1817 wurde zum erstenmale wieder evangelischer Gottesdienst daselbst gehalten; gegenwärtig blüht in der Stadt Olevians eine gesegnete evangelische Gemeinde.

Gott hatte unsern Olevian für einen größeren Wirkungskreis als an der St. Jakobskirche in Trier bestimmt. Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz hatte seine Bedeutung seit längerer Zeit erkannt; er hatte im Kerker zu Trier seine Feuerprobe bestanden; Friedrich III. berief ihn im Jahre 1560 zunächst als Lehrer an das Sapienz-Collegium zu Heidelberg, bald darauf als Professor der Theologie an die Universität. Damit war der reformirten Richtung in der Pfalz das Uebergewicht gesichert. Im Geiste Calvins und nach einem aus dessen „christlichem Unterrichte“ gezogenen Leitfaden, lehrte Olevian an der Hochschule die christliche Dogmatik. Eine tüchtige Besetzung auch der übrigen theologischen Lehrstellen lag dem vierundzwanzigjährigen jungen Manne am Herzen. Peter Boquin, der einen Ruf nach Straßburg erhalten hatte, wurde durch seine Bemühung der theologischen Fakultät erhalten. Die Berufung des ihm befreundeten Peter Martyr von Zürich wurde durch ihn lebhaft betrieben, und als der greise Lehrer sich zu einer Uebersiedelung nach Heidelberg nicht mehr entschließen konnte, wurde dessen Schüler, Zacharias Ursinus, im Herbste 1561 zunächst an das Sapienz-Collegium berufen. Damals fand Olevian in der ehelichen Verbindung mit der frommen Wittwe Philippine von Metz auch ein häusliches Glück.

Die eigentliche Begabung Olevians lag übrigens mehr noch auf dem Gebiete der praktischen Kirchenleitung, als auf demjenigen der akademischen Lehrwirksamkeit. Seinem Blicke war der Beruf der pfälzischen Kirche, den zerstreuten Ablegern des reformirten Geistes in Deutschland als Sammel- und Mittelpunkt zu dienen, nicht entgangen. Schon im Jahre 1561 folgte ihm Ursinus in seinem theologischen Lehramte an der Universität; er selbst trat in die Stellung eines Hofpredigers an der St. Peterskirche und eines Kirchenrathes ein. Die Organisation der reformirten Kirche der Pfalz ist vorzüglich sein Werk. Die Berufung einer beträchtlichen Anzahl tüchtiger Lehrer und Prediger in die verwahrlosten Gemeinden, die Begründung einer trefflichen Kirchenordnung, die Einführung der Kirchenzucht nach dem Vorbilde der Genfer. Kirche ist namentlich seinem rastlosen Eifer zu verdanken. Allerdings trat er bei der Organisation des Gottesdienstes und dem Aufbau der Kirchenverfassung nicht mit der Schöpferkraft eines Luthers oder Calvins auf; er ist Schüler, nicht Meister. In den gottesdienstlichen Einrichtungen schloß er sich vornämlich an die Genfer Liturgie und die Ordnungen der Kreuzgemeinden von Joh. Lasky an; die Gebete entnahm er z. B. der Agende Calvins, die Formulare derjenigen Lasky’s. Alle Bilder wurden aus den Kirchen entfernt, Altäre und Taufsteine beseitigt, das Abendmahl als Gemeindefeier abgehalten, die Krankenkommunion nur noch gestattet, das Brod gebrochen. Im October 1563 ward die Agende vollendet. Das Jahr darauf folgte die Kirchenrathsordnung, die von dem Kanzler Ehem in Gemeinschaft mit Olevian ausgearbeitet war. Der theokratische Gedanke der Genfer Kirchenverfassung drang in der Pfalz nicht durch. Die Obrigkeit erscheint in der pfälzischen Kirchenrathsordnung als die Quelle auch der geistlichen Gewalt, deren „fürnehmstes Amt und Befehl ist die vertrauten Unterthanen nicht allein mit Gericht und Recht bei gutem züchtigen friedlichen und ruhigen Leben und Wesen zu erhalten, zu schützen und zu schirmen, sondern auch mit getreuen, gottesfürchtigen und tauglichen Seelsorgern, Kirchen- und Schuldienern zu versehen und also Beides: die äußerliche Zucht und Polizei und den wahren reinen Gottesdienst zu pflanzen und zu handhaben.“ Einer aus sechs Räthen (drei geistlichen und drei weltlichen) zusammengesetzten Kirchenbehörde, in welcher ein weltlicher Präsident den Vorsitz führte, wurde die Kirchenregierung, insbesondere die Besetzung aller Kirchen- und Schulstellen, die Aufsicht über die Kirchen- und Schulbeamten und die Verwaltung der Kirchenzucht übergeben. Jährliche Synoden, zu denen jedoch nur Geistliche und zwei Mitglieder des Kirchenrathes abgeordnet wurden, hatten die kirchlichen Angelegenheiten vorzuberathen und Censur über die Prediger auszuüben. War auch bei solchen Einrichtungen an eine freie Entfaltung christlicher Gemeindethätigkeit nicht zu denken, und blieb auch die Kirchenzucht der Gefahr der Verweltlichung und des Mißbrauchs von vorn herein ausgesetzt, so hat gleichwohl in Folge dieser Organisation die Pfälzer Kirche durch sittlichen Ernst und würdige Haltung lange sich vortheilhaft vor vielen anderen deutschen Landeskirchen ausgezeichnet; es lag ein dauernder Segen darin.

Das größte Verdienst hat sich Olevian mit seinem Amtsgenossen und Mitarbeiter Ursinus durch die Ausarbeitung und Einführung des Heidelberger Katechismus erworben, dieses reifsten und mustergültigsten katechetischen Werkes der reformirten Kirche, von unverwüstlicher Ursprünglichkeit und Frische des Geistes. Wenn der Katechismus seinem stofflichen Theile nach größtentheils von Ursinus bearbeitet ist, so ist dagegen Olevians organisatorischem Talente die lichtvolle und durchsichtige Eintheilung und Anordnung desselben zu verdanken. Die deutsche Ausarbeitung hat auch von Olevian ihren kernigen Ausdruck. Der Katechismus erschien am 15. Nov. 1563 zum erstenmale in einem amtlichen Abdrucke. Agende, Katechismus und Kirchenrathsordnung reihen sich wie die Schlußsteine der reformirten Pfälzer Kirche aneinander. Mit dem Jahre 1565 war das Organisationswerk im Ganzen vollendet. Jetzt wurden auf kurfürstlichen Befehl auch die letzten Reste, „die noch hin und wieder von der Abgötterei übrig geblieben, Altarien, Crucifix, Taufsteine und dergleichen Götzenwerk mehr“ beseitigt und statt des Altars in jeder Kirche „ein ehrlicher Tisch“, statt des Taufsteins ein „Becken“, statt des Kelchs ein „zierlich Trinkgeschirr in Form eines Kopflins“ verordnet.

Der Aufbau der pfälzischen Kirche war unerwartet rasch und glücklich vor sich gegangen. Aber die Zeit der Prüfung und Heimsuchung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Als im Jahr 1566 die Pest Heidelberg und die Pfalz heimsuchte, verließ während dieser Schreckenszeit Olevian seinen Posten keinen Augenblick, und durch seine Trostschrift: „Erinnerung, weß sich ein Christ bei der Absterbung seiner Mitbürger trösten soll“, stärkte er viele bekümmerte Ueberlebende. Allein schon vorher hatte das Aufblühen einer mächtigen reformirten Landeskirche im Herzen Deutschlands die Eifersucht und das Mißtrauen der streng lutherisch gesinnten Parthei geweckt. Insbesondere der Herzog Christoph von Württemberg war, auch aus politischen Gründen, dem wachsenden Einflusse der reformirten Pfalz auf das südwestliche Deutschland keineswegs günstig. Ein Religionsgespräch, das vom 10. bis 15. April 1564 in dem Kloster Maulbronn zwischen den pfälzischen und schwäbischen Theologen abgehalten wurde und auf welchem Olevian den Kanzler Jakob Andreä mit überlegenen Waffen bekämpfte, trug nicht nur nichts zur Verständigung zwischen den streitigen Partheien bei, sondern steigerte, da sich beide schließlich den Sieg zuschrieben, die Erbitterung. Und nicht die Frage nach dem „einigen Troste im Leben und im Sterben“, worüber beide Theile vielmehr einig waren, sondern die Frage wegen der „Allenthalbenheit der menschlichen Natur Christi“ entzweite die streitenden Glaubensgenossen so tief! Die freie Religionsübung wurde in der reformirten Pfalz bald ernstlich bedroht. Zwei Jahre nach jenem Religionsgespräch wurde der Reichstag zu Augsburg abgehalten, (23. März 1566), auf welchen, der Kurfürst Friedrich III. reichsgesetzlich gezwungen werden sollte, die „Calvinistischen“ Neuerungen in Kirchen und Schulen abzustellen. Der Kaiser Maximilian II. konnte sich auf seinem katholischen Standpunkte nur freuen, daß die lutherischen Fürsten einen reformirten zu unterdrücken gedachten. Damals sprach Friedrich III. das unvergeßliche Wort: „Ich erkenne in Gewissens- und Glaubenssachen nicht mehr als einen Herrn, der ein Herr aller Herren und ein König aller Könige ist…. darum kann ich Eure kais. Majestät nicht zugestehen, daß Sie, sondern allein Gott darüber zu gebieten hat.“ Damals bekannte er sich auch heldenmüthig zu Olevians und Ursinus‘ Katechismus: „Was meinen Katechismus anbelangt, so bekenne ich mich zu demselben. Es ist auch derselbe am Rand mit Gründen der heil. Schrift dermaßen gewaffnet, daß er unumgestoßen bleiben soll, und wird meines Wissens unumgestoßen bleiben.“ Kurfürst August von Sachsen klopfte tief ergriffen Friedrich III. auf die Schulter mit den Worten: „Fritze, du bist frömmer denn wir Alle.“ Friedrich blieb nun auch in Folge seiner achtunggebietenden Festigkeit mit seinen Theologen von Seiten der Reichsfürsten unangefochten. Nach seiner Rückkehr von Augsburg empfing ihn die Gemeinde zu Heidelberg mit dem herzlichsten Ausdruck der Freude. Er selbst genoß tief bewegt am Pfingstfeste mit seinem ganzen Hofe das Abendmahl; bei dem Vorbereitungsgottesdienste drückte er Olevian vor der versammelten Gemeinde herzlich die Hand, zum Zeugniß, daß er von dem festen Grunde der erkannten Wahrheit nicht weichen werde. Doch zeigte er sich gegen abweichende Ueberzeugungen auch mild und duldsam; seine lutherischen Unterthanen in der Oberpfalz zwang er nicht vermöge des sogenannten Reformationsrechtes zum reformirten Bekenntniß, und den in jener Zeit sonst überall verfolgten und gemißhandelten Wiedertäufern öffnete er in seinem Lande – ohne Zweifel auf den Rath Olevians – eine Zufluchtsstätte.

Seit der Einführung des Heidelberger Katechismus hatte Olevian es als seine Hauptaufgabe betrachtet, denselben in Verbindung mit seinen Pfälzer Arbeitsgenossen gegen feindselige Angriffe zu vertheidigen. Zunächst war dies gegen den von Heidelberg wegen seiner Streitsucht entfernten theologischen Eiferer Tilemann Heßhus nöthig, der schon im Anfange des Jahres 1564 eine „treue Warnung“ vor dem „verführerischen“ Buche in den Druck hatte ergehen lassen. Auch gegen die Angriffe der schwäbischen Theologen Brenz und J. Andreä verfochten Olevian und Ursinus die Rechtgläubigkeit des Katechismus mit siegreichen Gründen. Außerdem hielt Olevian zu Gunsten des Katechismus eine Reihe von Schutzpredigten „von dem heiligen Abendmahl des Herrn“ in der Peterskirche zu Heidelberg, von welchen er nachher eine Auswahl in überarbeiteter Gestalt veröffentlichte. Sie waren auf die weiteren Kreise der Gebildeten berechnet, und der innerste Kern der Streitfrage war darin ins Licht gestellt, wie nämlich das Abendmahl kein anderes Ziel haben kann, als „unseres Herzens Vertrauen auf das einige Leiden und Sterben Jesu Christi am Stamme des Kreuzes hinzuweisen.“ Es war der wahrhaftige geschichtliche Christus, der sein theures Blut für die erlöste Gemeinde vergossen hat, für dessen Person Olevian in diesen Predigten kämpfte, den er um keinen Preis an die Scheingestalt eines „erdichteten Christus“, wie er sich ausdrückt, dahingehen wollte.

Zu diesen Kämpfen mit äußeren Gegnern trat ein Streit mit inneren hinzu, welcher Olevians Stellung an der Spitze der Kirchenleitung in den letzten Jahren seiner pfälzischen Wirksamkeit verbitterte. Unstreitig waren die Verhältnisse der Pfälzer Kirche nicht dazu angethan, um mit der Kirchenzucht nach dem Vorbilde der Genfer Kirche durchgreifenden Ernst zu machen. Die staatskirchliche Parthei, an deren Spitze der geistreiche Arzt Erast, widersetzte sich einer strengeren kirchlichen Disciplin, in der nicht grundlosen Befürchtung, daß dadurch der Gewissenszwang wieder in die Kirche eingeführt werden möchte. Der Gegensatz zwischen einer disciplin-freundlichen und einer disciplin-feindlichen Parthei war bereits seit der kirchlichen Organisation vorhanden; er kam aber erst im Jahre 1568 in Folge einer am 10. Juni eröffneten Disputation des Engländers Georg Wither zum Ausbruche, welcher die These vertheidigt hatte, „daß die Pfarrer in Gemeinschaft mit dem Presbyterium die Macht hätten, jeglichen Sünder, auch die Fürsten zu vermahnen, zu strafen, zu excommuniciren und alles zur Kirchendisciplin Gehörige zu üben.“

Gewiß hatte Olevian mit seinen Freunden nur aus den reinsten Beweggründen der These zugestimmt; theilte er doch mit allen hervorragenden Trägern des reformirten Bekenntnisses die Ueberzeugung, daß in der evangelischen Kirche nicht nur für reine Lehre, sondern auch für einen reinen, der christlichen Wahrheit gemäßen Lebenswandel, Sorge getragen werden müsse. Mit Unrecht erblickten die Gegner in seiner Haltung die Merkmale der Herrschsucht und eines pfäffischen Fanatismus. Ein heftiger Zwist entbrannte. Mit Erast hatten sich noch Silvanus und Neuser gegen Olevian und die einer strafferen Zucht günstige Parthei verbunden. Neuser, Olevians College an der Peterskirche, wurde wegen seiner leidenschaftlichen Streitführung an die Kirche zum heil. Geist versetzt. Gutachten auswärtiger reformirter Lehrer, wie z. B Bullingers und Bezas, wurden eingeholt; die Entscheidung war, da insonderheit die Zürcher der milderen Handhabung der Zucht das Wort redeten, sehr ungewiß, als plötzlich die Entdeckung gemacht wurde, daß Silvanus und Neuser Leugner der Dreieinigkeit wären und mit den Türken sich in verrätherische Unterhandlungen eingelassen hätten. Es wurde nun gegen dieselben ein Hochverraths- und Gottesleugnungsprozeß eingeleitet, der mit der Flucht Neusers nach Konstantinopel und der Hinrichtung des Silvanus durch das Schwert auf dem Marktplatze zu Heidelberg endigte. Dieser bedauerliche Zwischenfall gab der Streitfrage über die Kirchenzucht eine andere Wendung. Auf kurfürstlichen Befehl wurden in der pfälzischen Kirche jetzt überall Presbyterien eingerichtet, und diesen, nicht den Geistlichen, ward die Handhabung der Kirchenzucht nach Anleitung der heil. Schrift übergeben. Am 25. Nov. 1570 wurden die Namen der Mitglieder des ersten Aeltestengemeinderaths zu Heidelberg von Olevian der Gemeinde verkündigt. Olevian hatte als Frucht seines treuen Beharrens immerhin einen schönen Erfolg erreicht; aber im Ganzen war der einer lebendigen Entwicklung der Presbyterialverfassung günstige Zeitpunkt längst vorüber. Die theologischen Streitigkeiten verdrängten bereits jedes andere kirchliche Interesse. Die Zänkereien in der deutschen protestantischen Kirche wurden immer unerquicklicher; Friedrich III. fühlte, daß sein Ende nahe, und von seinem Sohne Ludwig war vorauszusehen, daß er in der reformirten Pfalz die Fahne des Lutherthums aufpflanzen werde. Der 26. October 1576 war der Todestag Friedrichs III. Der treffliche Fürst schied mit den Worten: „Herr, nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren… ich habe der Kirche lange genug gelebt, jetzt werde ich zu einem besseren Leben berufen; ich habe der Kirche zum Besten gethan, was ich gekonnt, habe aber nicht viel vermocht; Gott der Allmächtige wird sie nicht verwaiset lassen.“ Von seinem Sohne Ludwig erwartete er selbst nichts Gutes. „Lutz wirds nicht thun“, hatte er auf seinem Sterbebett gesagt.

Kurfürst Ludwig zögerte vierzehn Tage mit seinem Einzuge in Heidelberg. Seine Gesinnung verbarg er nach seiner Ankunft nicht. Zur Abhaltung der Leichenfeierlichkeit seines verstorbenen Vaters hatte er einen heftigen lutherischen Streittheologen, Paul Schechsius, mitgebracht; den Buchhändlern wurde sofort verboten, reformirte Bücher zu verlegen oder zu verkaufen. Alle Gegenvorstellungen der Universität, der Geistlichkeit, des städtischen Rathes, blieben erfolglos. Olevian, der treue Zeuge, der Begründer der pfälzischen Kirche, der langjährige Lehrer und Prediger, wurde aus dem Kirchenrathe, von dem Lehrstuhle und der Kanzel gestoßen, ja mit Stadtarrest belegt! Das Schreiben wurde ihm gänzlich untersagt; stumm sollte er das ihm zugefügte Unrecht ertragen. Mit Mühe gelang es den Bemühungen des Oberhofmeisters am Hofe Friedrichs III., Ludwig von Sain, Grafen zu Wittgenstein, die Freilassung Olevians zu erwirken. Die reformirten Prediger wurden jetzt kurzweg vertrieben, den Gemeinden lutherische Pastoren aufgedrängt, die reformirten Universitätslehrer ohne Entschädigung entlassen. Um so mehr gebührt dem Grafen Wittgenstein, der in seinem Schlosse Berleburg Olevian als seinen „lieben Gast“ aufnahm, und ihm eine neue, wenn auch beschränkte Wirksamkeit eröffnete, ehrende Anerkennung. Die Forschung in der h. Schrift gewährte in dieser Verbannung dem Reformator reichlichen Trost. In Berleburg schrieb er seine Erklärung der Briefe des Apostels Paulus an die Galater, Römer, Philipper und Kolosser, welche Beza mit einer Vorrede begleitete. Ebendaselbst entwarf er auch seine Lehrschrift: „von dem Wesen des Gnadenbundes.“ Aber nicht lange sollte ihm diese ruhige Thätigkeit vergönnt sein. Bald erbaten sich die Grafen von Nassau-Siegen, Hadamar und Dillenburg, Solms und Wied seinen Rath bei der Einrichtung ihrer Landeskirchen. Vom Jahre 1584 an siedelte er gänzlich nach Herborn über und ward dort der erste Begründer einer reformirten Hochschule und der berühmten Corvin- oder Raabschen Buchdruckerei. Noch erlebte er die Freude am 13. Juni 1586 in Herborn einer Synode aus Abgeordneten der Grafschaften Nassau, Wittgenstein, Solms und Wied vorzusitzen, welche die reformirte Presbyterial- und Synodalverfassung nach dem Vorbilde der Genfer Kirche in jenen Landschaften einführte. Aber jetzt waren auch die Tage des unermüdlichen Arbeiters gezählt. Schon längere Zeit durch Ueberarbeitung erschöpft hatte er seit dem 25. Februar 1587 seine Berufsgeschäfte einstellen müssen; am II. März verfaßte er im Vorgefühle des herannahenden Todes sein Testament, Gott darin preisend, „daß er ihn erwählet habe zur Kindschaft in Christo aus Gnade.“ Am 12. März schrieb er seinem Sohne Paulus zu Kirchbach im Bisthum Speier einen rührenden Abschiedsbrief: „Ich habe Lust, sagt er darin, abzuscheiden und bei Christo zu sein, dem ich auch Dich ganz und gar, gleichwie in der heil. Taufe, also auch jetzt bei meiner Heimfahrt zum Herrn… befehle und übergebe, wie auch dem Worte seiner Gnaden.“ Liebliche Gesichte umschwebten ihn in seinen letzten Tagen. Es kam ihm vor, als spaziere er auf einer schönen Wiese und werde fortwährend vom Thau des Himmels begossen. Der 15. März des Jahres 1587 war sein Todestag. Aus vorgelesenen Schriftabschnitten, besonders aus dem 53. Kapitel des Propheten Jesaja, schöpfte er Trost im Sterben. Noch in seinen letzten Stunden empfahl er die Armen der Stadt Herborn dringend der Fürsorge des Rathes. Die Umstehenden beteten auf seinen Wunsch und stimmten das Lied an: „Nun bitten wir den heiligen Geist.“ Dann richtete sein College Alsted die Frage an den Sterbenden: „Lieber Bruder! Ihr seid ohne Zweifel Eurer Seligkeit in Christo gewiß, gleichwie Ihr die Anderen gelehrt habt?“ „Vollkommen gewiß!“ Das waren die letzten Worte, welche Olevian, seine Hand auf das Herz gelegt, aussprach. Seine sterbliche Hülle liegt in der Pfarrkirche zu Herborn begraben. Das Werk seines Geistes lebt in den Unionskirchen Südwest-Deutschlands fort.

Schenkel in Heidelberg.

Evangelisches Jahrbuch für 1856


Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

Christoph Pescheck

Christoph Pescheck, ein Beispiel der Grausamkeit der Jesuiten gegen die Böhmischen Protestanten.

Als in Böhmen die Jesuiten im 17ten Jahrhunderte den Protestantismus zu vernichten versprochen hatten, konnten nicht alle Evangelische durch die Flucht ihrer Tyrannei entgehen. Wer aber in ihre Hände fiel, musste unendlich Viel dulden. Welches Verfahren man sich erlaubte, zeigt die Geschichte des Märtyrers Christoph Pescheck. Er war ein alter frommer Bauer zu Grusitz. Hart genug war schon das Schicksal, im Alter noch den längst der Familie gehörenden Heerd verlassen und den Wanderstab ergreifen zu müssen. Aber seine Rettung gelang nicht einmal. Die Flucht, die er vorhatte, ward verrathen; die Jesuiten liessen ihn des Nachts in seinem Hause überfallen, wie einen Räuber gefangen setzen, und warfen ihn, in Waldsteins Grafschaft, ins tiefste Loch des Hradeck, wo er Hunger, Durst, Unreinlichkeit und Noth aller Art ausstehen musste. Doch sein reines Gewissen gewährte ihm Muth und Trost. Die Jesuiten fragten ihn wiederholt, ob er denn nicht zur Römisch-Katholischen Kirche zurücktreten wolle? Doch freimüthig erwiederte er: Ich kann Nichts gegen Gottes Wort bekennen und unmöglich auf die Päpstliche Religion sterben.

Nach Verfluss einiger Zeit ward der Unglückliche abermals aus seinem Loche hervorgezogen, und es erging die Frage an ihn, ob er sich denn noch nicht wolle rathen und sich warnen lassen, oder ob der Teufel sein Herz so ganz und gar eingenommen habe, dass es nicht bewegt werden könne! O, ihr lieben Leute, erwiederte Pescheck, ich habe mit dem Teufel Nichts zu schaffen, sondern halte mich zu meinem Herrn und Erlöser, Jesu Christo, der für meine Sünden gestorben und um meiner Gerechtigkeit willen wieder auferstanden ist. Der ist, sagten die Jesuiten unter einander, würdig, dass er sollte verbrannt werden. Da antwortete der geängstigte fromme Greis: O, dass mich Gott von dieser Welt wollte wegnehmen, dass ich nicht länger dürfte solche Gotteslästerungen anhören! Nun wandte er sich zu seinen Verfolgern und rief: Meint ihr Herrn Patres, dass ihr eine rechtmässige Sache habt, mich zu verbrennen?

Die rührende Weise, wie er Solches aussprach, und sein hülfloses Alter rührten jetzt mehrere Umstehende zu Thränen. Die Theilnahme erzürnte die Lojoliten noch mehr; es ward der Carcerknecht gerufen, welcher auch die Leibesstrafen zu vollziehen hatte. Von diesem musste der „herz- und schmerzbetrübte Mann“ sich peitschen und wieder in sein Loch werfen lassen.

Der Zorn der Lojoliten liess ihn nun ein ganzes Jahr, bis auf nachfolgende Osterzeit, schmachten. Jetzt ward er wieder hervorgeholt und auf dem Schlosse eine scharfe Inquisition wider ihn angestellt, der auch der Dechant beiwohnen musste. Die Tortur sollte jetzt einen Katholiken aus ihm machen. Vergeblich! Doch er war so matt von den erduldeten Qualen, dass er weder zu stehen, noch zu reden vermochte. Man gewährte ihm zwar nun ein leidlicheres Gefängniss, aber er blieb nun sitzen und nahm keine Nahrungsmittel an. Da die Patres seinen Tod vermutheten, nahten sie ihm mit einem hölzernen Crucifix, und fragten ihn, ob er dasselbe als seinen rechten Erlöser und Seligmacher anrufen wolle? Ich weiss gewiss, erwiederte der Märtyrer, und glaube fest, dass Christus für mich gekreuzigt ist, und nicht dieses Holz. Christus, Christus, der ein wahrer Gott und Mensch ist, der ist für mich gestorben. – Seine Feinde und Verfolger sahen ihn still mit Zähneknirschen an. Endlich rief ihre Wuth: Ein so verstockter Ketzer verdiene, ins Feuer oder vor die wilden Thiere geworfen zu werden. – In Gottes Namen, rief Pescheck, macht, was ihr wollt, mit mir! Ob ihr mich verbrennt, oder von wilden Thieren auffressen lasst: so bin ich doch gewiss, dass mein Erlöser, Jesus Christus, meine Seele zu sich nehmen werde. Noch rief er laut: Ach, Herr Jesu Christ, erbarme dich über mich! Darauf betete er das Vaterunser, konnte es aber nicht vollenden, und entschlief.

Seinem Sohne gelang es, nach Sachsen zu entkommen, wo seine Nachkommen, seit dessen Urenkel, dem einst berühmten Rechnenmeister, Christian Pescheck, in Zittau, meistens im Gelehrtenstande leben.

Zeitschrift für die historische Theologie
In Verbindung mit der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
herausgegeben von
D. Christian Friedrich Illgen,
ordentlichem Professor der Theologie zu Leipzig.
Zweiter Band.
Leipzig, 1832.
Verlag von Joh. Ambr. Barth.

Symphorianus Altbießer, genannt Pollio

Pollio: Symphorian P., einer der Straßburger Reformatoren, hieß ursprünglich Altbiesser, wurde vom Volke „Herr Zymprian“ genannt. Er war zu Straßburg geboren und begegnet uns zum ersten Male im Jahre 1507 als Priester an der Straßburger Stiftskirche St. Stephan und Mitarbeiter Wimphelings. Später wurde er Leutpriester zu St. Martin in Straßburg. Obwohl sein Lebenswandel ein überaus anstößiger war, erwählte ihn doch das Domcapitel zum Münsterprediger, in der Erwartung, daß der beliebte Volksredner von der Kanzel gegen die Reformation eifern werde. Kaum aber hatte P. sein neues Amt angetreten, so wurde er ein eifriger Verkündiger der neuen Lehre. Als solcher hat er – wie Johannes Sturm berichtet – „den Mehrerntheil seiner alten Bekannten an sich gezogen und durch sein Exempel von ihrem alten Leben abzutreten bewegt und bekehret“. Als sich nun das Straßburger Domcapitel in der auf P. gesetzten Hoffnung getäuscht sah, nahm es ihm die Stelle als Münsterprediger und versetzte ihn zurück an die Martinskirche. Nachdem P., von seinem Gewissen gedrungen, mit seiner Köchin, seiner langjährigen Concubine, in die Ehe getreten war (1524), suchte ihn das Domcapitel auch von der Martinskirche zu verdrängen. Vorerst stellte jedoch der von der Gunst des Volkes getragene Reformator seine Predigten nicht ein, sondern setzte kühn seinen Namen unter die Bittschriften, welche die der evangelischen Lehre zugethanen Prädicanten 1524 an den Rath um Abhaltung einer Disputation und um Abstellung der kirchlichen Mißbräuche richteten. Wie aufgeregt das Wesen Pollio’s, wie stürmisch sein Vorgehen war, zeigt seine an die Gemeinde gerichtete Aufforderung, „auf das Chor zu laufen und die Pfaffen todtzuschlagen“. Als 1529 die baufällige Martinskirche abgebrochen wurde, kam der greise P. als Pfarrer in die vor der Stadt gelegene Kirche zu den guten Leuten. Das Jahr seines Todes läßt sich nicht feststellen. P. hat sich auch als Dichter evangelischer Kirchenlieder in Straßburg einen Namen gemacht.

Allgemeine Deutsche Biographie,

herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften,


Band 3 (1876)

und andere Bände

Lucas Pollio

Lucas Pollio, geb. zu Breslau 1536, erwarb bei bedeutenden Anlagen und ausserordentlicher Arbeitslust schon in der Schule seiner Vaterstadt gründliche Kenntnisse in den Elementen der griechischen und lateinischen Grammatik, studirte dann einige Jahre in Frankfurt a.O. und wurde von da auf Kosten des Breslauer Magistrates nach Wittenberg gesandt. Nachdem er hier vorzüglich unter Melanchthon griechische Sprache und philosophische Wissenschaften studirt hatte, wurde er zu einem Schuldienste nach Breslau zurückgerufen. Gewissenhaft und mit gutem Erfolg unterrichtete er die ihm befohlene Jugend im Katechismus und in der Grammatik. Zugleich trat er eingedenk des Rathes, den Melanchthon den Studirenden gab, neben dem Schulamt durch Predigen den Geist auszubilden und den Zugang zum Pfarramt sich zu bereiten, häufig in der Jerusalemskirche als Prediger auf. Die Breslauer, welche bald seine vorzügliche geistliche Begabung erkannten, sandten ihn zu theologischen und insbesondere zu hebräischen Studien nach Leipzig und riefen ihn von dort nach einigen reich gesegneten Jahren in das vakant gewordene Diakonenamt zurück. P. entsprach ihren Erwartungen vollkommen. Er predigte gründlich, geistlich und volksverständlich, und man hörte ihn so gern, dass er, noch vor Ablauf zweier Jahre, nach dem frühen Tod des Pastors Adam Curäus, die Hauptpredigerstelle zu St. Maria Magdalena in Breslau erhielt.

Pollio übte, obwohl unter das Kreuz beständiger Leibesschwachheit gestellt, mit der ihm gegebenen Geisteskraft eine tief eingehende Wirksamkeit. Gewaltig schwang er zum Verdruss der Verstockten und zum Segen der Empfänglichen die Geissel des Gesetzes; aber die geschlagenen Wunden heilte er mit dem Balsam des Evangeliums.

Selbst immerdar des Todes eingedenk liess er nicht ab, seine Zuhörer an die letzte Stunde zu mahnen, und man hörte ihn oft in seinen Predigten den göttlichen Wunsch des Augustinus aussprechen, „dass sie, wie sie im irdischen Tempel vereinigt wären, so auch in jenem himmlischen Tempel ewig zusammen leben möchten.“ Immer waren seine Predigten frisch und reich; denn in andächtigem Gebet und in anhaltendem Lesen der heiligen Schrift und der Väter sog er die Fülle des Geistes ein. Nach seinem Wahlspruch „ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich“ (Ps. 89,1) war all seine Verkündigung auf die Ehre des göttlichen namens gerichtet. Erbaulich, wie seine Predigten, war auch sein Leben; weil er aber dennoch ein Sünder blieb und seine Gebrechen fühlte, freuete er sich um so herzlicher auf das ewige Leben, wo die Sünde aufhört und damit das Elend. Als er endlich erkannte, dass die letzte Krankheit gekommen war und der Tod herannahete, freuete er sich und sprach: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein. Doch nahm er auf den Rath der Ärzte Arzneien, um nicht eigensinnig zu erscheinen, noch als Einer der die ordentlichen Mittel verachte und Gott versuche. Bis an sein Ende lebte er in der Schrift, deren kräftigste Sprüche er entweder selbst sprach oder sich vorsprechen liess. Darunter waren folgende: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich Nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, alle Zeit meines Herzens Trost und mein Theil.“ (Ps. 73,25,26). „Ich halte dafür, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sei, die an uns soll offenbaret werden.“ (Röm. 8,18.) „Gott ist getreu, der euch nicht lässt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinnet, dass ihr’s könnet ertragen.“ (1. Cor. 10,13.) Auch recitirte er stärkende Trostsprüche des Augustinus, Chrysostomus und Gerson, beichtete, nahm das heil. Abendmahl und dankte Gott, dem Magistrate und seinen Mitbürgern, auch den Armen, weil sie für ihn gebetet hatten. In seinen letzten Lebenstagen versammelte er seine Collegen und sprach zu ihnen: „Bleibet in der Liebe und in der Einigkeit des Geistes; habt Salz bei euch; jaget dem Frieden nach, wie in den letzten achtzehn Jahren geschehen ist; dann wird Gott euch segnen und bei euch sein, was auch geschehen mag. Trifft euch eine Trübsal, so handelt klug und betet. Springt nicht aus dem Schiffe; verkündigt Christum, den gekreuzigten. Werdet ihr mit Maria und Johannes unter dem Kreuze Christi stehen, so wird er euch wie den Daniel in der Löwengrube schützen, vertheidigen und zur Herrlichkeit erheben.“ An seinem Todestage, dem 31. Juli 1583, liess er seine Kinder vor seinem Bette knieen und das Vaterunser beten. Auch lasen sie ihm verschiedene Trostsprüche der Schrift vor, und der älteste von ihnen sprach ein Lied des heiligen Bernhard vom Sündentilger, Todesüberwinder und Vertreter Jesus Christus. Im Todeskampfe liess er sich den Artikel von der Vergebung der Sünden, von der Gegenwart Gottes in Noth und Tod und vom ewigen Leben einschärfen. Zwischen den Trostesworten hörte man ihn oft rufen: Das tröstet das Herz! Das erheitert das Herz! Kaum noch im Stande zu sprechen, stammelte er die Worte: O dass ich reden könnte! Dann solltet ihr hören, dass gewiss der heilige Geist in mir wohnet! Als die Thür geöffnet wurde, rief er aus: O Herr, öffne mir die Thür Deines Erbarmens. Mit den Worten: „Jetzt gehe ich in’s ewige Leben!“ verscheid er.

Auch die gedruckten Predigten Pollio’s sind Zeugnisse des lebendigsten Herzensglaubens. Die Methode ist entweder die locale oder die articulirt- paraphrastische. Von vorzüglichem Werthe sind die jeder Predigt angehängten gesalbten Gebete.

Schriften: Sieben Predigten vom ewigen Leben der Kinder Gottes. Leipzig. 1586. 8. Neue Ausgabe von Heinrich Rätel 1598. 8. von Weber, Leipz. 1720. 8. Jährliche Kirchen-Cron und Kranz. Das ist: Ordentliche Erklärung der gewöhnlichen aller heiligen Sonn- und Festtage das ganze ausgehende Jahr über evangelischen Lectionen, allermeist auf die heilsame Praxin oder Uebung der wahren Gottseligkeit mit besonderem Fleiss gerichtet, durch Herrn Lucam Pollionem (herausg. von seinem Sohne Joachim Pollio) Leipz. 1620. Fol. Ausserdem sind von ihm vorhanden zehn Fastenpredigten vom jüngsten Gericht und zwei Predigten von der Hölle.

S. Adami Vitae eruditorum p. 258.


Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Pirmin

(Gest. 3. November 754.)

„Ihr sollt Niemand Vater heißen auf Erden. Den Einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Und ihr sollt euch nicht lassen Meister nennen; denn Einer ist euer Meister, Christus. Der Größeste unter euch soll euer Diener seyn!“ (Matth. 23, 9 – 11.)

Im Jahre 714 läuteten noch nicht Glocken über alle Berge unseres Vaterlandes. In manchem deutschen Gau kannte und wollte man das Wort vom Kreuz noch nicht. Aber Herolde gingen hin und wieder mit diesem holdselig-gewaltigen Wort auf ihren Lippen. Es war die Morgenzeit des Christenthums in deutschen Landen. Einen solchen Mann der güldenen Morgenstunde finden wir 714 an den Ufern der Mainflusses, wo der Odenwald sich ostwärts abdacht. Er ordnet und leitet den Bau einer Kirche; sie soll der feste Mittelpunkt werden der Verkündigung und Pflanzung des Christenthums für das ringsum wohnende Volk. Ein frommer fränkischer Graf hatte die Mittel dazu hergegeben. Das Chor der Kirche mit dem Altar wölbte sich über einem sprudelnden Quell. Dieser geistliche Baumeister liebte bei all seinen Kirchenbauten das heilige Sinnbild des lebendigen Wassers an den Stätten, da das Evangelium gepredigt werden, und man Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten sollte.

Dieser Mann Gottes heißt Pirmin, ein deutscher Apostel und ein Apostel der Deutschen, nun zu wenig gekannt und genannt nebst Winfried; und er war doch freier, als dieser, von römischem Einfluß, und gebundener, als dieser, mit Herz und Leben an die heilige Schrift.

Geburtsort und Jugend Pirmins sind unbekannt. Man weiß nur, daß er ein Deutscher fränkischen Stammes ist. Und bei jenem Kirchenbau am Main tritt seine Gestalt zum ersten Mal in das Licht der Geschichte hervor.

Einige Jahre später treffen wir ihn noch einmal auf einer Baustätte, ohne den Charakter seiner geistlichen Stellung zu kennen. Es war in der Schweiz, und galt den Wiederaufbau des Klosters Dissentis, welches seit fast 50 Jahren, von den Hunnen zerstört, in Trümmern lag. Ueberhaupt verdanken viele Klöster ihm ihre Entstehung. Indes sah er sie nicht an als Pflanzstätten mönchisch-verdienstlicher Heiligkeit, noch als Bollwerke der Hierarchie; sondern zwei Gesichtspunkte hellen evangelischen Geistes leiteten ihn. nämlich, er wollte zum Ersten Seminarien für Schriftgelehrsamkeit und Theologie, also Bildungsschulen für christliche Lehrer und Hirten schaffen, und zum Andern hierdurch Mittelpunkte gewinnen zur Bekehrung und gesunder, geistlichen Nährung des Volkes.

Endlich erhielt er festen Sitz und Amt. Er wurde Landbischof im Bliesgau, da ist die Gegend des heutigen St. Wendels. Meltis wird der Ort genannt, wo er gewohnt habe. Es ist dies Medelsheim bei Zweibrücken. Da war nun bald sein Ansehen und Einfluß bei allem Volk ungewöhnlich. Eine Urkunde berichtet von ihm: „er sei ein scheinend Licht gewesen, und sein Ruf ausgegangen an den Hof des Frankenkönigs Theoderich, uns sein Name den dortigen Hofleuten so bekannt geworden, wie den Armen und Fremdlingen im Bliesgau. Und da ihn von Herzen des schmachtenden Volkes jammerte, so umfaßte er als ein rechter Bischof und Oberhirte mit gleicher liebreicher Sorge die Heerde und ihre Hirten. Diesen, also den Geistlichen seines Sprengels, legte er die Schrift in lateinischer Sprache aus, und in’s Herz hinein; der ungelehrten Gemeinde aber verkündigte er die frohe Botschaft mit heimischer, deutscher Zunge.“

Man pilgerte weither in den Bliesgau, um Pirmin, den Mann der Erleuchtung und Liebe, zu hören. So war auch einst ein Allemannischer Fremdling vom Bodensee hernieder gekommen, ein gräflicher Mann reicher Besitzungen; Sintlaz wird er genannt. Der drängte sich des Sonntags mit der Menge des Volkes zur Kirche. Er hörte zu, wie der Bischof zuerst den anwesenden Geistlichen in lateinischer Sprache die starke Speise darreicht, und darnach die Milch in den süßen Tönen der Heimath der lauschenden Gemeinde. Der Alemanne, ergriffen von der wunderbaren Gewalt der Predigten, eilt nach dem Gottesdienst zu dem Bischof. Von seinen Gefährten unterstützt, dringt er in ihn, daß er mit ihm ziehe in seine Heimath. Da wuchere das Unkraut im Waizen, und drohe, Ueberhand zu gewinnen, und Niemand sei da, der, so wie Pirmin, mit Gotteskraft zur Hülfe ausgerüstet sei. Es fehle den christlichen Lehrern seiner Heimath an Erleuchtung, Geschick und Weisheit des Muthes, dem allzumächtigen Heidenthum, in dessen Finsternis viele aus dem Volke zurückgefallen seien, Widerstand zu thun. Man begehre nicht, daß er bleibend seinen Sitz dort nehme, sondern nur, daß er den bösen Verhältnissen eine Wendung zum Besseren verschaffe.

Pirmin, stets bereit, den Gefahren des Kreuzes Christi entgegen zu treten, würde sofort diesen dringenden Bitten gewillfahrt haben, wäre nicht ein Einspruch seines zarten Gewissens zu beseitigen gewesen. er nahm nämlich Anstand, eigenmächtig, ohne Sendung, in ein fremdes Arbeitsfeld einzutreten, wodurch leicht Aergernis und Verwirrung der Gewissen kommt. Er that sich nach Rath um; es war aber in der Nähe keiner zu finden. So beschloß man, den Bischof in Rom, und darnach den Landesfürsten zu befragen.

Also brachen beide, ein Jeder von seiner Heimath aus, nach Rom auf. Nicht war es Pirmins Meinung, sich Befehle vom Papst zu holen, sondern mit ihm die Sache zu besprechen, wie ein Bruder sich mit dem Bruder bespricht, um ins Reine zu kommen. Es wird in Urkunden erzählt, der Papst habe zuerst den Versuch gemacht, dem schlichten Fremdling durch seinen anmaßlichen Pomp zu imponiren. Aber die unbeirrte, apostolisch-stete Haltung des deutschen Bischofs habe alsbald ihn so hingenommen, daß er bewegt den Bruderkuß ihm gab, und zu traulichem Gespräch sich mit ihm niederließ. Diese Begegnung habe sich in einer der unterirdischen Kirchen Roms zugetragen.

Der Papst Gregor II. trat den Wünschen des Sintlaz, der unterdessen auch nach Rom gekommen war, bei, und befestigte Pirmins Bedenken. Auch Theoderich IV., der fränkische König, gab seine Zustimmung, daß unter Pirmins Autorität auf dem Grund und Boden seines Alemannischen Freundes eine kirchliche Stiftung ausgeführt werde.

Pirmin, in richtiger Erwägung des Besten, erließ eine Insel im Bodensee, die eine Stunde lang und halb so breit ist, und „Au“ hieß, aber bald wegen der reichen Schenkungen „Reichenau“ genannt wurde. Der Bau eines Klosters mit Kirche wurde sofort (724) in Angriff genommen. Die Insel war mit wildem Gestrüpp bedeckt. Und, wenn nun die Chronik meldet, wie solches alsbald nach Pirmins Landung sammt dem unheimlichen Gethier, giftigen Würmern und schädlichen Schlangen, die darin gehaust hätten, verschwunden sei, so ist damit zugleich als in einem Bilde die Ueberwindung den letzten Rest des Heidenthums geschildert. Die wüste Insel wandelte sich in einen blühenden Garten, der sich mit seiner Abtei reizend in den klaren Wellen des Bodensees spiegelte. Reichenau entwickelte sich rasch auf dem von Pirmin ihm gegebenen biblischen Fundamente zu einer ungeahnten Bedeutung für die ganze weite Umgebung. Die Adelsgeschlechter Alemanniens sandten ihre Söhne zur Erziehung hin. Zu Zeiten seinen ihrer 600 dort gewesen.

Aber Pirmin sollte diese Blüthe seiner Pflanzung nicht sehen. Unbekannte, wahrscheinlich kirchen-politische Gründe und Eifersucht Andrer zwangen ihn, schon 727 Kloster Reichenau zu verlassen. Doch hatte er noch die Freude, seinen geliebten Schüler Heddo, den Sprossen eines elsassischen Fürstengeschlechtes, von dem er überzeugt seyn durfte, daß er die begonnene Arbeit in des Lehrers Geist mit Kraft fortsetzen werde, als seinen Nachfolger zu wissen.

Er wandte sich in’s Elsaß, vom Bruder seines Heddo, dem Grafen Eberhard gerufen, um mit dessen Mitteln einige Klöster im Lande theils neu zu stiften, theils umzugestalten. Von den neu gestifteten ist Murbach besonders zu nennen, von den im Pirmin’schen Geist umgestalteten, Weißenburg. aus frischer Arbeit auf diesem Missionsfeld wurde der apostolische Mann hinüber ins Bairische Land gerufen von dem Herzog Odilo, um das Jahr 739, welcher das Heidenthum aus seinen Gränzen bis zur Wurzel vertilgen wollte. Auch hier blühte eine Reihe Stiftungen unter der schaffenden Hand Pirmins auf.

Doch nun sollte er das Leid erleben, daß Rom, von jeher Deutschlands böses Schicksal, Garben band, wo er gesäet hatte. Winfried, welchem der Papst aus Dankbarkeit den Beinamen Bonifacius gab, hatte mehr, als er wußte und wollte, sich von der Hierarchie des Papstes und der, von dem Papste gut geheißenen weltlichen Macht des aufstrebenden karolingischen Fürstengeschlechtes abhängig gemacht. So bediente sich nun der Papst mit unvergleichlicher Schlauheit durch den deutschen Fürsten Karlmann des deutschen Bischofs Winfried, und durch diesen jenes, um die junge, freigestaltete, aus der Bibel geborne, und so hoffnungsreiche deutsche Kirche seinem Stabe unterworfen. Gott hat es zugelassen, aber zugleich gewollt, daß heimlich still und desto ungefährdeter, der gute, reine Same im deutschen Gemüth einen Acker fand, zur Tiefe zu wurzeln, und die Stunde, da er wunderbar an’s Licht sprieße, sich vorbehalten. Pirmin, Leid im Herzen, zog sich in sein Kloster Hornbach zurück, welches auf dem Boden des Bliesgaus lag, und dem er fortan als bischöflicher Abt vorstand. Aber auch aus dieser Abgeschiedenheit wurde sein erleuchteter Rath nicht selten von fernher begehrt, und gern gewährt. Besonders bestand zwischen Weißenburg und Hornbach ein reger Verkehr. Man verabredete Zusammenkünfte an einem in der Mitte zwischen beiden Klöstern auf einer Hochebene gelegnen Orte, welcher davon den Namen Pirminshus bekam. Daraus ist Pirmasenz geworden.

Pirmin stellte in seinem Lehrbuche Scarapsus (s. unten) nicht einen Menschen, auch nicht den Papst, sondern nur die h. Schrift, mit ausdrücklicher Ausschließung der Apokryphen, als allentscheidende Norm für alle Christen auf, also auch für die Mönche. „Alles, sagt er, was Gott durch die h. Schrift befohlen hat, daß der Mensch nicht thun soll, das darf auch kein Christ zu thun sich erlauben. Und Alles, was Gott durch die h. Schrift gebietet, das beobachtet in allen Stücken!“ Wie er als Bibelchrist weder Reliquien verehrte, noch Heilige anrief, noch Werkheiligung erstrebte, noch selbstgemachte Heiligkeit förderte, so wollte er auch in seinen klösterlichen Seminaren keine solche bilden. So hatte er in seinen Klöstern auch nicht die Benedictiner-Regel, welche Bonifacius überall mit einzuführen suchte. Die Benedictiner erklärten diese Regel als inspiriert vom h. Geiste. Sie lasen daher an jedem Morgen, mit Ausschluß der h. Schrift, in ihren Klöstern ein Kapitel dieser Regel. Diese Regel befahl auch den Mönchen, in dem Abte einen „Statthalter Christi“ zu erblicken, und ihm, als solchem, unbedingt zu gehorchen.

So stand Pirmin au der Seite der altbrittischen und schottischen Geistlichen, des Columban, des Gallus u. A., welche vor ihm in Gallien und Alemannien so segensreich wirkten, welche die Oberherrschaft des Papstes nicht anerkannten, welche die Mönche in den Klöstern nicht durch ewige Gelübde banden, sondern ihnen den Austritt frei ließen, welche die Predigt und das Lesen der h. Schrift in der Landessprache förderten, auch nicht die Ehelosigkeit aller Geistlichen verlangten, und somit als evangelische Bibelchristen in der Hauptsache sich offenbarten. Darum erklärte Bonifacius diese Geistlichen, Mönche und Bischöfe, im Namen des Papstes, für Ketzer, für Abtrünnige, und die verheiratheten Geistlichen für Ehebrecher, und suchte die Regel Columbans durch die Benedictiner-Regel in allen Klöstern zu verdrängen, und alle in evangelischem, rom-freien Geiste gegründeten deutschen Bisthümer unter Roms Joch zu bringen, was ihm durch die Waffen-Gewalt der karolingischen Fürsten nur zu sehr gelang.

Sonst flossen die Tage Pirmins in Stille dahin. Gegen das Ende derselben, so wird erzählt, habe ihn von Mainz aus noch Winfried, getäuscht und gekränkt von der Obergewalt des Papstes, besucht.

Pirmin starb, wie ein Erzvater, umgeben von den Brüdern seines Klosters, welche er zu sich beschieden hatte, um ihnen seine letzten Segensgrüße zu spenden. Sein Heimgang war am 3. November 754. –

Ein köstliches Denkmal des Christes, in welchem er wandelte und wirkte, hat er in seinem „Scarapsus“ aus uns vererbt. So nannte er seinen für die Geistlichen seiner Stiftungen lateinisch geschriebenen Lehrinhalt, wie er ihn, mit Ausschluß der Apokryphen, rein aus den kanonischen Büchern zusammen gestellt hatte. – Einige Bruchstücke aus demselben mögen hier zum Schluß mitgetheilt werden.

„Geliebte Brüder! Der heilige Geist ermahnt uns durch Propheten, Priester, Leviten und alle Lehrer der katholischen Kirche, und spricht: Rufe, lasse nicht ab, erhebe deine Stimme gleich einer Posaune, und verkündige meinem Volke seine Sünden! Und abermals: Wenn du dem Gottlosen nicht sein gottloses Leben Wesen verkündigst, so wird er selbst in seinen Sünden sterben, sein Blut aber werde ich von deiner Hand fordern. Und der Herr spricht im Evangelium: Gehet hin in die ganze Welt, und verkündiget das Evangelium!“

„Und Euch, ihr Brüder, die ihr in der Kirche zusammen kommt, sagt der Herr durch den Propheten: Kommt, Söhne, höret mich! Ich will euch die Furcht des Herrn lehren. Und abermals: Heute, wenn ihr seine Stimme höret, so verstocket eure Herzen nicht! Und der Herr im Evangelio sagt: Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, spricht der Herr!

„Wir bitten darum eure Liebe, meine Theuren, daß ihr recht aufmerksam anhöret, was zu eurem Heile gesagt wird. Es ist eine lange reihe der göttlichen Schriften, welche in Ordnung durchgegangen wird, aber wir legen euch aus dem Vielen nur Weniges vor, daß ihr dasselbe ein Bischen im Gedächtniß behalten sollt.“

Es folgt nun eine schlichte, klare Erzählung der biblischen Geschichte nach ihren Hauptpunkten: Schöpfung, Sündenfall, Sündfluth, Erzväter, Moses, Propheten, Christus, Apostelgeschichte. In dem Beruf der Priester wird die Fortsetzung der Apostelgeschichte dargestellt.

„Und die Apostel selbst weiheten Bischöfe und ordinirten Diakone, Presbyter und die anderen Aemter der allgemeinen christlichen Kirche, damit dieselben nach dem Abgange der Apostel – – wachsam und klug – – durch Succcession der Bischöfe bis an’s Ende der Welt handelten. und nun werden in dieser Zeit durch die Gnade Gottes die Guten zur Erlösung der Gerechten angestellt, die Bösen aber werden nicht nach apostolischer Bestimmung, sondern durch Habsucht, wie Simon, der Magier, oder durch viele böse Erfindungen derselben aufgestellt, und da sie lieber den Vorsitz in den Kirchen Gottes haben wollen, als denselben Vortheil bringen, so gereichen sie zum Verderben des Volkes. man muß jedoch erwägen, was geschrieben steht: „Was sie euch sagen, das thut!“ und wenn sie Uebel thun,, (O daß es doch nicht geschähe!) so thut ihr es nicht!- – Die Guten, welche das Rechte predigen, und mit ihren guten Werken vollziehen, erzeigen dem Volke ein doppeltes Gute. Sie erfüllen jene evangelische Vorschrift: „Laßt euer Licht so vor den Leuten leuchten, da0 sie eure guten Werke sehen, und euren Vater preisen, der im Himmel ist!“

Hierauf werden die einzelnen Handlungen des geistlichen Amtes mit steter Beziehung auf die Schrift behandelt: Taufe, christliche Bußzucht, Abendmahl, Heiligung des Lebens, Drohung und Tröstung mit Hinweisung auf das Endgericht. –

Dann heißt es zum Schluß:

„Das apostolische Glaubensbekenntnis mit dem Gebete des Herrn behaltet fest im Gedächtnis, und lehret dasselbe eure Söhne und Töchter, daß auch sie es behalten! Wisset, daß ihr vor Gott Bürge für diejenigen Kinder geworden seid, die ihr bei der Taufe von der Taufquelle aufnahmet, und lehret sie deßwegen immerfort, und weiset sie zurecht, und ermahnet öfters alle eure Untergebenen, daß sie mäßig, keusch, gerecht leben, und weiset sie alsbald zur Ordnung! Sprecht die Wahrheit von Herzen und mit dem Munde; bleibet in Keuschheit und Enthaltsamkeit; seid einfach und genügsam im Essen und Trinken; liebet das Fasten; ehret die Alten; liebet die, welche jünger sind, als ihr, in Christi Liebe, auf geistliche Weise, und seid duldsam gegen Alle! Thut denen wohl, die euch hassen! … Hoffet alle Tage auf euren Abgang aus dieser Welt, der sich immer mehr nähert! Erfüllet täglich Gottes Gebote durch Handlungen, und verzweifelt nicht an Gottes Erbarmen! „Was Einer nicht will, daß ihm geschehe, daß thue er auch keinem Andern, und wie ihr wollt, daß euch die Leute Gutes Thun, so thut ihnen auch!…“

Dies ist Pirmins Lehrbegriff. So ging er nicht, mit päpstlichen oder königlichen Vollmachten versehen, sondern mit der höheren Vollmacht der Schrift und des Glaubens an sie, apostolischen Ganges durch die Gauen unseres Vaterlandes, ein scheinendes Licht und schöner Strahl aus der Morgenröte deutschen Christentums.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

Simon Pauli

Simon Pauli, geboren am 28. October 1534 zu Schwerin, besuchte zuerst die Schule seiner Vaterstadt. 1552 ging er nach der Universität zu Rostock und 1555 nach Wittenberg. Hier war er in der ersten Zeit ein eifriger Schüler und in der letzten ein tüchtiger Lehrer. Melanchthon in Wittenberg und Chyträus in Rostock empfahlen ihn 1559 dem Herzoge Johann Albrecht zum Domprediger nach Schwerin. Als solcher begleitete er den Herzog auf den Reichstag zu Augsburg, wo er auch im fürstlichen Hoflager vor einer grossen Versammlung predigte. 1560 wurde er zum Pastor an der Jacobikirche und zum Professor der Theologie in Rostock ernannt. Im folgenden Jahre empfing er die theologische Doctorwürde. 1562 sah er sich genöthigt, eins seiner Gemeindeglieder, den Capitän Schwerin, öffentlich in den Bann zu thun. „Es war in der Stadt“ – so berichtet Bacmeister – „ein Hauptmann Namens Heinrich Schwerin, der eine Concubine hatte, die er, obgleich oft erinnert, in eine gesetzliche Ehe zu führen nicht gewillet war. Diesen beschloss endlich das Ministerium zu excommuniciren. Die Aufsetzung der Form überliess es nach der neuverfassten, aber noch nicht erlassenen Kirchendisciplin dem D. Simon Paulus an der Jacobikirche, weil in dessen Parochie jener Concubinarius wohnte. Doch wurde die Excommunication noch unterlassen, da Schwerin durch einige Bürger an D. Simon und mich die Bitte um einen kurzen Aufschub stellte. Dies geschah im Monat August. Bei der nächsten Zusammenkunft des Ministerium fielen einige herbe Aeusserungen gegen ihn vor, und auch Das wurde getadelt, dass ich von einem bewilligten Aufschub sprach, und es entstand darüber ein heftiger Streit. Doch wurde beschlossen, gegen Schwerin mit dem Banne vorzugehen, wenn er nicht vor einigen Ministerialpersonen und Bürgern zeigte, dass er wahre Reue habe und die Concubine entlassen oder heirathen wolle. Als jedoch einige Tage darauf Schwerin vor dem Convent des Ministeriums in der Jacobikirche, wo auch zwei Senatoren und vier Bürger zugegen waren, trotz zwei bis dreimaliger Einladung nicht erschien, gingen auf Bitten des Ministeriums zwei Bürger zu ihm und ermahnten ihn zu kommen; er aber antwortete ihnen, dass er sich um den Bann nicht kümmere; die Prediger könnten thun, was sie wollten. So wurde er denn am 23. August in der Jacobikirche öffentlich von D. Simon Paulus in den Bann gethan, vermittelst einer aus Paulus genommenen Formel, und Solches wurde auch den andern Pfarrern gemeldet, damit die ganze Kirche wisse, dass er gesetzlich excommunicirt und für einen aus der Gemeinde der Christen Ausgeschlossenen zu erachten, auch der Umgang mit ihm zu meiden sei.“ (Bei Westphalen I, S. 1593). Schwerin vermochte den Bann nicht zu tragen, söhnte sich mit der Kirche aus und wurde wieder aufgenommen. – Simon Pauli ward 1570 Mitglied im Fürstl. Consistorium und 1573 Stadtsuperintendent zu Rostock. Nicht nur im engeren Kreise seiner Landeskirche, sondern auch auf umfassenderem Gebiete der grossen Zeitfragen zeigte er Umsicht und Kraft. So gehörte er 1574 zu den Mitarbeitern an der Herstellung der schwäbisch-sächsischen Concordie, indem er seine Vorschläge an Chemnitz, welcher damals in Lübeck sich aufhielt, einsandte. ER starb am 17. Juli 1591.

In seinen Predigten hielt S. Pauli eben so stark auf genaue Textesbenutzung wie auf richtige Logik. „Weil ich“ – so bemerkte er in der Vorrede zu seiner Postille – „nicht allein für einen Prediger in der Kirche, sondern auch für einen Professor an der Landesuniversität bestellt bin, habe ich die Episteln und Evangelien, aus Bitte etlicher junger Studenten, welche sich zum Predigtamt begeben wollten, zum Besten gelesen und ihnen gezeigt und gewiesen, wie man sie nach der Rhetorien (welche Kunst in den Schulen bekannt und von den Gelehrten hochgehalten wird) disponiren oder ordnen und zugleich den Text mit erklären kann, auf dass die Zuhörer Etwas behalten und mit sich anheim tragen mögen. Denn ein grosser Mangel bei vielen Predigern ist, dass sie gar keine Ordnung in ihren Predigten halten, und nur unverschämt hinplaudern, was ihnen zu Munde kommt, reime es sich oder nicht, sie treffen’s oder nicht. Ihrer Viele, wenn sie den Text der Episteln oder Evangelien abgelesen haben, fahen sie ein Plaudergewäsch an, schwatzen los ohne Ordnung, jetzt von der Sünde, bald darauf von der heiligen Dreifaltigkeit, bald wieder von der Auferstehung der Todten, drauf weiter vom Nachtmahl des Herrn, hacken und mengen Alles in einen Haufen und richten sich gar nicht nach dem fürgeschriebenen Text, von welchem sie oft nicht ein Wort erklären und auslegen. Warum lesen solche Plauderer den Text, wenn sie ihn nicht wollen erklären? Oder wenn sie nur wollen von einem oder wenig mehr Worten sagen, warum lesen sie denn den Text ihren Zuhörern ganz für? Ja (sprechen ihrer Etliche), über ein Jahr wollen wir das Uebrige nehmen. Es wissen die Zuhörer Nichts davon, was solche Plauderer vor einem Jahr gepredigt, und sie wüssten selbst auch Nichts davon, wenn sie es nicht hätten zu Hause angeschrieben. Die Ordnung der Predigten soll gestaltet werden nach dem Text, welcher ganz, so viel möglich, und derwegen kürzlich zu erklären ist. Derhalben, auf dass ich die Jugend in dieser Universität zu einer Ordnung gewöhnete, zeigte ich ihnen, wie die Ordnung der Episteln und Evangelien nach der Rhetorica aus dem Text zu machen, und wie der Text kann kürzlich erkläret werden. Wie nun diese Art ihrer vielen nicht übel gefiel, ward ich gebeten, dass ich die Evangelien in lateinischer Sprache möchte durch den Druck lassen ausgehen, welches also geschehen, und ist derselbe Druck nun zu mehren Malen wiederholt. Darnach, weil ich nicht allein ein Professor, sondern auch ein Prediger mit bin, und in meinen Predigten folge, was ich jungen Gesellen an dieser Universität zu folgen vorgeschrieben habe, bin ich abermal von Vielen gebeten, dass ich die deutschen Predigten durch den Druck Anderen mittheilen möchte.“ P.’s Predigtmethode besteht, wie in dieser Erklärung schon angedeutet ist, in der paraphrastischen Auslegung und Anwendung des zuvor in seine Haupttheile zerlegten Textes.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856

Andreas Pancratius

wurde 1531 zu Wunsiedel im Voigtlande geboren. Über sein Jugendleben ist nichts bekannt. Sein erstes Predigtamt verwaltete er zu Amberg in der Oberpfalz. Hier von den Calvinisten 1567 vertrieben, folgte er einem Rufe zum ersten Prediger und Superintendenten nach Hof. Wie segensreich er daselbst wirkte, beweist ein Brief D. Johann Streitberger’s, der im 17. Jahrhundert Schulinspector in Hof und späterhin General superintendent zum Culmbuch war, an das Ministerium zu Hof: „Der ehrwürdige und unvergleichliche Mann, Herr Pangratius“ – heisst es in demselben – „hatt die Kirche meiner theuern Vaterstadt noch nicht zehn Jahre gelenkt, als er sie schon mehr, als Alle, die vor ihm dort gelehrt haben, geschmückt und erweitert hatte. Denn ich nehme mich selbst nicht aus und erkenne es an und bekenne frei, dass ich weit unter ihm gestanden. Ich ertheile ihm das Lob der Weisheit, Frömmigkeit, Gelehrsamkeit, wirksamen Auctorität und der hervorragenden Tugenden, die zum geistlichen Amte nothwendig sind. Dies Alles hat jener göttlich Geist reichlich auf ihn gehäuft, wie auf irgend einen Andern.“ Schon 1569 dichtete Pangratius für sich folgendes Epitaphium:

Hier liegt bei seiner Heerd der Hirt
Und wart’t, bis ihn aufwecken wird
Am jüngsten Tag der Herre Christ,
Der sein getreuer Heiland ist.
Schickt euch All recht, ihr müsst hernach
Und wisst doch weder Stund, noch Tag.
Was ihr jetzt seid, bin ich gewesen,
Und wie ich bin, müsst ihr genesen.
Drum thut recht Buss und säumt euch nicht,
Ein harter Stand ist’s jüngst Gericht.

1576 ging P. in Sachen der Concordienformel auf den Convent zu Ansbach und starb bald nach seiner Rückkehr am 27. Sept. 1576.

P.’s Predigten gehören ihrem Inhalte nach nicht zu den bedeutendsten ihrer Zeit. Sie sind meistens abhandelnder Natur, wiewohl eben durch Befriedigung des Lehrinteresses häufig interessant. Epoche machend sind jedoch durch streng dialetische Durchführung der thematisch-synthetischen Methode geworden (s. Einleitung).

Florentius Radewins

„Siehe, mein geliebter Schüler Florentius, auf dem der Geist des Herrn ruht, wird euer Vater und Rector sein. Ihn haltet wie mich, ihm gehorchet! Denn ich weiß keinen, dem ich so sehr vertraute, den ihr, wie ihn, als einen Vater zu lieben und zu ehren hättet.“ So sprach bei seinem frühen Heimgange zu den das Todeslager umgebenden Brüdern der herrliche Gerhard Groot (s. S. 255), um dem Bruderhause zu Deventer einen würdigen Vorsteher und eben damit zugleich der Genossenschaft vom gemeinsamen Leben, die er gegründet, an seiner Statt ein neues gleich ‚ gesinntes Haupt zu geben. Und der Geist, aus dem der Sterbende gesprochen, war kein täuschender. Florentius, wie er neben Gerhard ein Mitbegründer der Bruderschaft gewesen, wurde nach dessen Tode durch eingreifende, weiterbildende Thätigkeit der zweite Stifter des Instituts. Das Wichtigste aber aus dem Leben und Wirken des hochverdienten Mannes können wir in folgendem kurz zusammen fassen.

Florentius, geboren um 1350, war der Sohn eines angesehenen wohlhabenden Bürgers zu Leerdam, Namens Radewin, und trug zur Unterscheidung gewöhnlich auch den Namen seines Vaters, Radewinssohn oder Radewins. Er studirte auf der damals ungemein blühenden Universität Prag und wurde dort Magister. Ins Vaterland zurückgekehrt, hörte er zu Utrecht den apostolischen Wanderprediger Gerhard Groot und wurde von demselben mächtig erfaßt. Alsbald trat er mit Gerhard in die innigste Gemeinschaft und zog auch andre christlich gesinnte und geistig strebende junge Männer in diesen Kreis, welcher, nach wahrhaft apostolischem Leben trachtend, ohne sich an eine bestimmte Regel zu binden, Gerhard als sein natürliches Haupt verehrte. Nachdem er dem Kanonikate bei St. Peter in Utrecht entsagt, zog Florentius zu Gerhard nach Deventer und wurde daselbst Vicarius bei St. Lebuin. Aus Veranlassung seiner Priesterweihe sagte Gerhard: „Nur einmal habe ich einen zum Priester ordiniren lassen; ich hoffe aber, es soll ein Würdiger sein.“

Als der Kreis der jungen Freunde Gerhards, die zugleich seine Mitarbeiter in christlichen Liebeswerken, vornehmlich in der geistlichen Pflege des Volkes und christlich wissenschaftlicher Heranbildung der Jugend waren, sich mehr und mehr erweiterte, war es Florentius, der den Anstoß zu geordnetem Zusammenleben und ineinandergreifender Gemeinschaftsthätigkeit gab und so die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben hervorrief, in welcher er von Anfang an nächst Gerhard die hervorragendste Stelle einnahm.

Florentius war noch weniger, als Gerhard, ein eigentlicher Gelehrter, aber er besaß alle Eigenschaften eines practischen Mannes: unerschöpflichen Thätigkeitstrieb, große Gabe für die Einwirkung auf Andere, anziehende Liebenswürdigkeit und achtunggebietende Hoheit. Besonders wußte er der Jugend tiefe Ehrerbietung einzuflößen. Dieß bezeugt uns vornehmlich Thomas von Kempen, der unter Florentius‘ allseitig fördernder Leitung aufwuchs und die nachhaltigsten Eindrücke von dessen Persönlichkeit empfing. „So oft ich“, erzählt uns Thomas, „meinen Herrn Florentius im Chore stehen sah, wenn er auch nicht umherblickte, scheute ich doch seine Gegenwart wegen seiner ehrwürdigen Erscheinung so sehr, daß ich nie zu sprechen wagte. Einmal stand ich in seiner Nähe im Chor und er wendete sich zu mir, um mit uns aus einem Buche zu singen; da er nun seine Hände auf meine Schultern legte, stand ich wie eingewurzelt und wagte nicht, mich zu bewegen, vor Erstaunen über die Ehre, die mir widerfuhr.“ Derselbe Verfasser des gesegneten Büchleins von der Nachfolge Christi, in welches ohne Zweifel nicht Weniges vom Geiste des Florentius übergegangen ist, liefert uns noch folgende Züge von der Persönlichkeit seines väterlichen Meisters: Er war von edlen Sitten und in hohem Grade bescheiden, fröhlich unter Freunden, ansprechend und freigebig, von angenehmer Gesichtsbildung, mittlerer Größe und seinem Bau. Niemand erlaubte sich in seiner Gegenwart etwas Unziemliches, und wenn er nothgedrungen tadeln mußte, wagte keiner zu widersprechen. In frommen Uebungen so eifrig wie Gerhard, ging er in der Enthaltsamkeit noch weiter und versagte sich vielfach selbst das Nothwendige. Auch in Einfachheit der Kleidung that er das Aeußerste, so daß er einst zu dessen nicht geringer Verwunderung einen Schneider fragte: „Meister, könnt ihr auch ein schlechtes Kleid machen?“ Nehmen wir hierzu den Abscheu gegen jede Schmeichelei, die unermüdliche, bis ins Kleinste eigener Handreichung gehende, Fürsorge für Arme und Nothleidende, den thätigen Eifer für gründliche Erziehung der Jugend in Glauben und Wissenschaft, die Bereitwilligkeit, sich auch dem niedrigsten Geschäft in der Brudergemeinschaft zu unterziehen: so erhalten wir das Bild eines wahrhaft evangelischen Mannes, der, während seine Seele stets auf das Höchste gerichtet war, doch zugleich auch allen Anforderungen des thätigen Lebens, der erbarmenden, dienenden und rettenden Liebe genügte. Kein Wunder, daß ein solcher Mann von Personen aller Art, hohen und niedrigen, fortwährend um guten Rath und helfende That angegangen wurde. Dergestalt war bisweilen seine Thüre von Hülfesuchenden belagert, daß er kaum hinaustreten oder Zeit für seine frommen Uebungen und Bedürfnisse gewinnen konnte, und doch wurde keiner unbefriedigt entlassen.

Unter den Weisheitssprüchen des Florentius, welche uns Thomas von Kempen in der mit verehrungsvollster Liebe abgefaßten Lebensbeschreibung desselben aufbewahrt hat, heben wir folgende als besonders kennzeichnend hervor: „Dann ist dein Gewissen gut und deine Vernunft gesund, wenn du dein Leben ganz nach der heiligen Schrift führest, und diese nicht nach deinem eigenen Kopfe, sondern so verstehst, wie die Heiligen sie verstanden haben. – Die Bücher der heiligen Schrift sind zu bewahren als der höchste Schatz der Kirche. – Wenn du etwas Gutes thust, so thue es einfach und rein, zur Ehre Gottes, und suche nicht dich selbst darin auf irgend eine Weise. – Besser ist ein geringes Maaß des Geistes, als große Gelehrsamkeit ohne Frömmigkeit. – Jeder Arbeit schicke ein kurzes Gebet voran. – Sage nie etwas Schlimmes von Jemandem, wenn du damit nicht ihm oder einem Andern nützen kannst. – Tadle jeden mit aufrichtiger Theilnahme, als einen schwachen Bruder. – Wolle keinen beneiden, daß er frömmer ist oder mehr Ruf hat, als du, sondern liebe die Gaben Gottes in ihm und du wirst sie dadurch dir selbst zu eigen machen.“

In diesem Sinne führte Florentius die Leitung der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Zwei Jahre nach dem Tode Meister Gerhards, im J. 1386, brachte er dessen letzten Lieblingswunsch in Erfüllung: er gründete unter Mitwirkung hoher Gönner, namentlich des Herzogs Wilhelm von Geldern, und mit Genehmigung des Bischofs von Utrecht, des nämlichen, der einst die Reisepredigt Gerhards untersagt hatte, das Kloster der regulirten Kanoniker zu Windesem als einen Mittel- und Anhaltspunct für den Verein des gemeinsamen Lebens, an welches bald ähnliche Stiftungen sich anschlossen, insbesondere das Kloster auf dem Agnetenberge bei Zwoll, in welchem der gottselige Thomas von Kempen seine irdischen Tage verlebte. Auch kamen in Deventer unter Leitung des Florentius und mit Begünstigung des Rathes noch mehrere Bruderhäuser zu Stande, vornehmlich i. J. 1391 ein sehr bedeutendes, in der Folge gewöhnlich das reiche Fraterhaus oder das Haus des Florentius genannt. Ueberhaupt aber zeigte sich die Genossenschaft, deren Haupt und Seele Florentius war, so segensreich und kam so sehr dem tieferen Bedürfnisse der Zeit entgegen, daß zu derselben Zeit noch zahlreiche Bruderhäuser in den bedeutenderen Städten der Niederlande und Niederdeutschlands gestiftet wurden.

Nachdem Florentius 16 Jahre an der Spitze der Genossenschaft gestanden, war auch er an das Ziel der Laufbahn gekommen. Er hatte schon vielfach, vielleicht in Folge seines allzu strengen Lebens, körperlich gelitten; nun erkrankte er tödtlich. Er genoß unter tiefen Empfindungen der Buße das h. Abendmahl, ernannte zu seinem Nachfolger einen vertrauten, zuverlässigen Freund, Aemilius van Buren, und starb um Mariä Verkündigung 1400, etwa 50 Jahre alt, nach den herzlichsten Ermahnungen an die Brüder, in deren Verlauf er unter andern sagte: „Bleibet in demüthiger Einfalt und Christus wird in euch bleiben.“

Als Florentius in der St. Lebuinskirche bestattet wurde, äußerte ein Bürger von Deventer: „Ob St. Lebuin ein Heiliger ist, weiß ich nicht, glaube es jedoch; das aber weiß ich gewiß, daß dieser Mann ein heiliger Bekenner Gottes ist.“ Und das war er auch, wie wir nicht zweifeln dürfen, im evangelischen Sinne. Hat er doch nicht bloß durch sein Wort, sondern durch die ganze Glaubens- und Liebesthat seines Lebens bezeugt, daß es für ihn nichts Höheres gab, als „das Leben vollständig nach der heiligen Schrift zu führen“, und zwar nach der nicht in selbstbeliebigem Sinne, sondern nach dem Verstande der Heiligen ausgelegten. Hat er doch in dieser heiligen Schrift „den höchsten Schatz der Kirche“ erkannt und verehrt, ganz wie Luther es nachmals that, wenn er in der 62sten unter seinen reformatorischen Thesen das große, folgenreiche Wort spricht: „der rechte, wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ Hat er doch endlich in dem, was der Mensch thun mag, alles gethan wissen wollen „zur Ehre Gottes“ mit vollständiger Verleugnung alles Eigenen, gerade so, wie unsre Reformatoren es wollten, deren ganzes Werk darauf gerichtet war, gegenüber allem Menschlichen die Ehre Gottes in unantastbarer Majestät und Reinheit wiederherzustellen.

C. Ullmann in Carlsruhe