Peter Martyr Vermigli

Peter Martyr Vermigli.

Peter Martyr Vermili ward geboren den 8. September 1500, als der Sohn eines reichen und angesehenen Edeln in Florenz, welches damals ein Hauptsitz der klassischen Bildung war und kurz zuvor der Schauplatz gewesen, auf dem Savonarola’s Buß- und Reformationspredigten so großen Anklang gefunden hatten. Peter Martyr ist sein Taufname, sein Geschlechtsname Vermili (Vermiglio). Seine Mutter, eine Frau von hoher Bildung, las mit ihm und seiner Zwillingsschwester schon von seiner zarten Jugend an lateinische Schriftsteller, doch ein früher Tod entriß sie den Ihrigen. Den weitern Unterricht empfing er sodann unter den vortrefflichsten Lehrern in Gemeinschaft mit den Söhnen der ersten florentinischen Familien. Schon hier zeichnete er sich durch vorzügliche Talente wie durch Eifer und Reinheit des Wandels aus, und gewann zugleich durch seine Liebenswürdigkeit die Herzen Aller. Es winkte ihm nun auf der einen Seite die glänzende Laufbahn des Staatsmanns, gepaart mit dem Ruhme der seinen Weltbildung und den Genüssen der Kunst; auf der andern Seite stand die Entsagung und der Ernst eines gottgeheiligten Lebens. Er wandte sich ab von der glänzenden fast heidnischen Ueppigkeit, von der damals seine Vaterstadt beherrscht war und entschied sich für die andere Lebensrichtung – ein Mal für immer; diesem Entschlusse blieb er treu sein Leben lang. Daher trat er in seinem 16. Jahre in den Orden der regulierten Augustiner-Chorherren, eine Gemeinschaft, welche zu jener Zeit vor den andern Orden durch größere Strenge sich auszeichnete und eben so durch hohe Wissenschaftlichkeit. Seine Schwester that den nämlichen Schritt. Der Vater aber gab seinen Unwillen dadurch kund, daß er ihn enterbte. – Nahe bei Florenz in Fiesole brachte er nun drei Jahre zu; eine reiche Bibliothek kam hier seinen Studien zu Statten, welche sich vorzüglich auf Redekunst und auf die heiligen Schriften richteten. Weitere Gelegenheit zu seiner Fortbildung bot‘ ihm hierauf Padua dar, woselbst er acht Jahre im Augustinerkloster zubrachte. Auf dieser blühenden Universität widmete er sich mit dem lebendigsten Eifer den philosophischen und theologischen Studien; mit großer Beharrlichkeit betrieb er auch das Studium des griechischen Alterthums.

In seinem sechs- und zwanzigsten Jahre trat er dann als Prediger auf, indem er in einer Reihe von Städten Ober-Italien’s nach italienischer Sitte die Fastenpredigten hielt; er erntete sehr großen Beifall. Daneben hielt er an verschiedenen Orten Vorlesungen über klassische Literatur und Philosophie; auch die genaue Kenntniß der hebräischen Sprache eignete er sich an, um desto gründlicher die Schrift zu kennen und ihr gemäß zu predigen. Eine Erhöhung seines Ranges trat nun dadurch ein, daß seine Ordensbrüder ihn zum Abte von Spoleto wählten. Hier stellte er mit großem Eifer die Zucht des Klosters her; auch wußte er den Hader der beiden in dieser Stadt oft blutig sich bekämpfenden Faktionen zu beschwichtigen. Nach fast drei Jahren kam er an die Spitze des Augustinerklosters in Neapel, und hier sollte ihm nun das Licht evangelischer Erkenntniß aufgehen; die Bibel selbst spendete ihm dieses Licht, zudem erhielt er einzelne Schriften der Reformatoren wie von Zwingli, Melanchthon, Bucer, und er fand Freunde, die dasselbe mit ihm ersehnt und gefunden hatten, dasselbe liebten und im Stillen pflegten. Eine wundersame Erscheinung ist jene evangelische Gemeinde in Neapel, wie sie damals bestand aus einer überraschend großen Zahl von hochbegabten, zum Theil in der Gesellschaft hochgestellten Männern und Frauen, voll Sehnens, Hoffens und Glaubens, und wie sie still allmälig nach innen und außen immerfort wuchs. Da wurde für Vermili ein Führer zum Leben vorzüglich der spanische Ritter Valdez (Val d‘ Esso), Geheimschreiber des Vicekönigs Don Pedro de Toledo, ein feuriger Anhänger der evang. Lehre, ein Mann von tiefem innern Leben; im Begleit des Kaisers Karl V. hatte er in Deutschland die Reformatoren gesehen und fühlte sich gedrungen, was seine Seele erfaßt hatte, wenn gleich mit Zurückhaltung, auch Andern mitzutheilen; er und Vermili fanden sich. Hier traf Vermili auch mit Bernhard Occhino zusammen, dem gewaltigen Prediger, in welchem damals auch erst die Wahrheit aufdämmerte, welche ihn ans dieselben Schmerzenswege führen sollte; mehrmals hielt Occhino in dieser Zeit seine erschütternden Fastenpredigten in Neapel; selbst Karl V. empfand ihre ungewohnte Kraft, so daß er ganz erstaunt bezeugte: „Wahrhaftig, der Mann könnte Steine zu Thränen rühren!“ Hier hielt Vermili Vorlesungen über den ersten Brief Pauli an die Korinther unter solchem Zulaufe, daß, wie ein neapolitanischer Geschichtschreiber selbst sagt, jeder der nicht hinging für einen schlechten Christen angesehen wurde. Seine Auslegung der Stelle 1 Kor. 3, 13-15, die er nicht vom Fegfeuer verstand, zog für ihn das Verbot nach sich, Vorlesungen zu halten. Er aber wandte sich nach Rom an die ihm befreundeten Cardinäle Vembo, Fregoso, Contarini, Poole, und merkwürdig, so sehr hatte das Bedürfniß einer tiefgreifenden Erneuerung der Kirche sich fühlbar gemacht, so empfänglich war man damals noch in Rom für solche Bestrebungen, so wenig war man verhärtet und abgeschlossen gegenüber der evangel. Wahrheit, daß Paul III. alsbald ihm die Erlaubniß ertheilte, seine Vorlesungen fortzusetzen. Doch nach einer heftigen Krankheit machte seine Gesundheit ihm wünschbar, Neapel zu verlassen. Nunmehr zum General-Visitator seines Ordens erhoben, zeigte er seinen heiligen Ernst und seine Unerschrockenheit in der durchgreifenden Strenge, womit er dem ausschweifenden Leben der Ordensglieder entgegentrat. Eben deßhalb traf ihn auch der Haß Vieler, so daß er dann zum Abt von St. Fridian in Lucca erwählt wurde; diese Stelle war zwar höchst ehrenvoll; sie gab bischöfliche Rechte über einen Theil der Stadt. Allein für einen Florentiner schien sie unerträglich, bei der Feindseligkeit der Lucceser gegen die mächtigere Nachbarstadt. Nicht nur überwand er aber diese Stimmung völlig durch seine Würde und Gerechtigkeit, sondern er erwarb sich vielmehr große und allgemeine Anhänglichkeit. Hier ordnete er die im Kloster befindliche höhere Unterrichtsanstalt seiner reformatorischen Gesinnung und seiner Idee von Kirche und Wissenschaft gemäß so trefflich, daß keine andere in ganz Italien ihr an die Seite gesetzt werden konnte; es war gleichsam eine evangelische Universität. Der Reichthum klassischer und humanistischer Bildung verband sich hier mit dem unausgesetzten gründlichen Studium der heil. Schrift; er verschaffte sich dafür die Unterstützung ausgezeichneter Männer der Wissenschaft. Daneben setzte er seine Predigten fort. Doch nicht lange sollte diese glückliche Zeit vielversprechenden Wirkens dauern. Die Zusammenkunft des Pabstes Paul III. mit Kaiser Karl V. in Lucca 1541 schien seinen Gegnern eine günstige Gelegenheit für ihre Anschläge darzubieten. Vorerst wurde ein Schüler Vermili’s einer freimüthigen evangelischen Predigt wegen in’s Gefängniß geworfen; da sich aber hiebei der starke Unwille der Bevölkerung Lucca’s kund gab, blieb Vermili selbst noch verschont. Doch wurde durch eine geheime Anklage gegen ihn in Rom seine Verdammung eingeleitet; seine Gegner unter den Mitgliedern seines Ordens veranstalteten eine Versammlung von Ordensgliedern in Genua, dorthin citirten sie ihn, um ihn dem Schutze des luccesischen Adels und Volkes zu entziehen. Doch klar genug durchschaute Vermili die Plane seiner Feinde; den Umschwung der Dinge in Italien und besonders am päbstlichen Hofe in Bezug auf die vorher von der Curie selbst als nothwendig empfundene Reformation erkannte er völlig; zur Verheimlichung seiner wahren Gesinnung gleich vielen Andern sich zu bequemen, hatte er vorher schon in freundschaftlichen Gesprächen mit dem Cardinal Contarini seinem geraden Charakter gemäß ganz entschieden abgelehnt. Er erkannte, daß es nur noch eine Ausgleichung gebe zwischen seiner äußern Lage und seiner Gesinnung, nur Ein Mittel um wirksam zu bleiben für die Herstellung der Kirche; nämlich seinen Feinden zuvor zu kommen und den letzten Augenblick, da sie ihm die Freiheit noch gönnen mußten, anzuwenden, um diese für seine fernere Lebenszeit sich zu sichern. Er erkannte, daß er seine hohe Stellung, seine ergebenen Schüler (von denen in den folgenden Jahren 18 ihm in’s Ausland nachfolgten), sein liebes Italien verlassen müsse, faßte voll edler Entsagung den schweren Entschluß und führte ihn mit aller Umsicht und Besonnenheit rechtzeitig aus.

Nachdem er das Seine geordnet, reiste er 1542 mit zwei ausgezeichneten Gelehrten, seinen bisherigen Mitarbeitern, und einem treu ergebenen Diener heimlich ab und gelangte nach Pisa. Nachdem er hier mit seinen Begleitern und einigen reformatorisch gesinnten Pisanern das heil. Abendmahl gehalten hatte, ging er nach Florenz. Merkwürdiger Weise traf er hier mit einem Schicksalsgefährten zusammen, der eben im Begriff war nach Rom zu reisen, wohin er beschieden war, mit Bernhard Occhino. Von Vermili gewarnt beschloß auch dieser ungesäumt Italien zu verlassen; er reiste über Ferrara nach Zürich und Genf. Vermili folgte ihm zwei Tage später; überall von alten Freunden gefördert, gelangte auch er glücklich nach Zürich und Basel. Da aber an keinem der beiden Orte eine Lehrstelle offen stand, so folgte er mit Freuden dem Rufe Bucer’s nach Straßburg, der ihm die durch Capito’s Tod erledigte Professur der alttestamentlichen Schriftauslegung anbot. Er freute sich, inmitten einer hergestellten Christengemeinde zu leben; und hier leuchtet nun seine Sprach- und Sachkenntniß, seine Klarheit und Genauigkeit in der Auslegung, seine Einsicht in den Sinn und Umfang der christlichen Glaubenslehren, seine Feinheit und Geschicklichkeit im Disputieren und in der Leitung der Disputationen vorzüglich hervor. Wie sehr er Bucer’s ungemeine Tätigkeit bewunderte und in schönster Eintracht mit ihm lebte, so unterschied er sich doch dadurch bestimmt von ihm, daß er keiner zweideutigen oder dunklen Worte sich bedienen mochte. Fünf Jahre verlebte Vermili in unausgesetzter akademischer Thätigkeit in Straßburg; als aber in Deutschland die Maßnahmen Karl’s V. immer bedenklicher sich entwickelten, Occhino von Augsburg flüchtig nach Straßburg gekommen war, und auch diese Stadt keine Zufluchtsstätte mehr darbot, da folgte er im November 1547 dem dringenden Rufe Cranmer’s, des Erzbischofs von Canterbury, der unter dem hoffnungsvollen Eduard VI. eben um die Erneuerung der Kirche England’s eifrig bemüht war, und hiefür so wie namentlich für Heranbildung tüchtiger Kräfte unter den trübseligen und verworrenen Zuständen des Landes die Hülfe ausländischer Gelehrten sehr bedurfte. So hatte der Herr schon wieder dafür gesorgt unserm Vermili in fernem Lande sofort einen neuen Schauplatz seiner Wirksamkeit zu eröffnen. Oxford ward die Stätte für sein Wirken, hier widmete er seine Kräfte wiederum den akademischen Vorlesungen, anfangs selbst von den päbstlich Gesinnten gerne gehört. Doch bald entflammte sich ihr Haß. Als sie einst arglistiger Weise ihn zu einer ungeordneten Disputation zu drängen suchten und ihn selbst in Gefahr brachten, da hatte der milde und sanfte Mann Anlaß seine Unerschrockenheit und Standhaftigkeit glanzvoll zu bewähren; die hernach erfolgende große Disputation über das Abendmahl gab ihm Gelegenheit seine Geistesschärfe zu zeigen. An Gefahren, Verunglimpfungen und rohen Anfeindungen fehlte es ihm indeß in Oxford nie, obgleich er feierlich zum Doctor der Theologie erklärt und Dekan des Collegiums an der Christkirche wurde. An den wichtigsten kirchlichen Arbeiten, namentlich an der Bearbeitung der Kirchengesetze für die erneuerte englische Kirche hatte er den größten Antheil. In Oxford starb ihm seine treue Gattin, Catharina Dammartin aus Metz, mit der er sich in Straßburg vermählt hatte. Durch ihre Sorge für die Armen, durch ihre weise Hülfeleistung bei Krankheiten, besonders auch bei Geburten, erwarb sie sich solche Liebe, daß sie von den Dürftigen fast wie ein höheres Wesen verehrt wurde. Ihre Gebeine, von den Katholiken ausgegraben, wurden unter Elisabeth ehrenvoll beigesetzt. – Während aber Cranmer heftig und nicht ohne Gewaltsamkeit in der Erneuerung der Kirche fortschritt, starb Eduard VI. noch als Jüngling, die blutige Maria folgte ihm auf dem Throne, und alsbald sah Vermili seine Schüler wieder dem Rufe der Meßglocke folgen. Er erfuhr wieder einmal den größten Glückswechsel. Kaum hatte er mit großer Gefahr Oxford verlassen, so eilte er zu Cranmer; als dieser von aller Welt verlassen ward, trat er ihm muthvoll zur Seite und machte sich anheischig mit Cranmer die unter Eduard VI. angeordnete Gestaltung der kirchlichen Dinge öffentlich zu vertheidigen. Als die Königin Maria durch die Verhaftung Cranmer’s und seiner Gefährten darauf antwortete, bat Vermili um seinen Abschied. Er selbst schwebte in der größten Gefahr, nicht nur ehe er seine Entlassung erhielt, sondern selbst nachher. Ueber Antwerpen gelangte er mitten durch das Gebiet heftiger Gegner wunderbar wohlbehalten nach Straßburg, wo die alten Freunde ihn mit freudigem Erstaunen aufnahmen; auch der Rath war ihm auf’s Neue gewogen. Inzwischen hatte sich auch in Straßburg Vieles verändert, Bucer war längst in England gestorben; man hatte sich schon gewöhnt Alles nach den stehenden Formeln der Bekenntnisse zu messen; man war der Zeit des Orthodoxismus um ein Bedeutendes näher gerückt; in Straßburg hatten heftige Lutheraner Ehre und Ansehen gewonnen. Der Rath erklärte sich zwar durch die von Vermili abgegebene Erklärung befriedigt. Doch ließ man ihm keine Ruhe, er fühlte sich stets von neuen Verdächtigungen umringt. Einen Ruf nach Genf an die Predigerstelle bei der italienischen Gemeinde lehnte er ab; als aber seine Gegner einen Studierenden veranlaßten die reformirte Lehre auf’s heftigste öffentlich zu schmähen, behielt er zwar seine friedfertige Sanftmuth bei; doch war ihm nun der Ruf nach Zürich an die Stelle Pellikan’s sehr erwünscht. Ungern ließ ihn der Straßburger Rath, im Juni 1556, abreisen.

Während er nun bei Bullinger vorerst seine Herberge fand, knüpfte sich zwischen diesen beiden Männern die auf wahre gegenseitige Hochachtung und gemeinsames einmüthiges Streben gegründete Freundschaft immer fester und schloß sie unauflöslich zusammen. Während Bullinger den ganzen äußern Stand und Gang der kirchlichen Angelegenheiten leitete sowie den Verkehr nach außen hin, fand er sich durch Vermili von der wissenschaftlichen Seite her durch Gelehrsamkeit, Schärfe des Gedankens, Präcision im Ausdruck auf’s trefflichste ergänzt und unterstützt. Vermili’s friede liebender, ächt humaner Character trat auch hier wieder überall auf’s wohlthuendste hervor; die Zürcher Theologen lebten damals in der schönsten Einstimmigkeit. Hier fand nun Vermili Muße und namentlich auch Freiheit, seine gelehrten Werke auszuarbeiten und herauszugeben, sowohl Auslegungsschriften von reichem Gehalt als namentlich auch sein großes Werk über das Abendmahl; eine Gelehrsamkeit bewährte sich darin, welche selbst Calvin gerne über seine eigene setzte. Vermili’s Verdienste fanden in Zürich so große Anerkennung, daß er, selbst entgegen einem kurz zuvor gefaßten Beschlusse, in’s Bürgerrecht aufgenommen wurde. Hier trat er mit der italienischen Gemeinde in Zürich, deren Prediger damals Bernhard Occhino war, als Freund und Rathgeber in nahe Verbindung und leistete ihr die größten Dienste; er wurde von ihr außerordentlicher Weise zum Mitgliede ihrer Vorsteherschaft erwählt; eine Angehörige derselben, Catharina Merende aus Brescia, wurde seine zweite Gattin; sie gebar ihm eine Tochter und einen Sohn, welche beide früh starben, und nach seinem Ableben noch eine Tochter, welche das reifere Alter erreichte. Die italienische Gemeinde in Genf, welche viele vornehme Mitglieder zählte und manche ehemalige Schüler Vermili’s, wählte ihn nach dem Tode ihres Predigers des Grafen Martinengho zu ihrem Prediger; unterstützt wie früher von Calvin’s Bitten drang sie auf’s angelegenste in ihn den Ruf anzunehmen; Vermili aber hing so sehr an Zürich, daß er die Sache dem Rath in Zürich anheimstellte, und dieser entließ ihn nicht. Dasselbe war der Fall, als seine Freunde in England, die in steter Verbindung mit ihm blieben, unter den glänzendsten Anerbietungen, die sie im Namen der Königin Elisabeth ihm machten, ihn dorthin zurückriefen. Voll froher Teilnahme aber an dem Aufschwung der Reformation in England war er stets bereit mit seinen oft erbetenen Rathschlägen beizustehen. Nach einer andern Seite hin aber sollte sich ihm gegen Ende seines Lebens noch eine Gelegenheit zu einer vorübergehenden Mitwirkung eröffnen, nämlich in Frankreich.

Seit 40 Jahren waren hier die Protestanten verfolgt worden, und doch hatte ihr Wachsthum nicht gehindert werden können, vielmehr war die Lage des Reiches nur immer verwickelter geworden. Unter dem unmündigen Carl IX. seit December 1560 herrschte dessen Mutter, die schlaue Catharina von Medici, während die beiden Parteien der Guisen und Bourbons sich um den Einfluß stritten und die furchtbarsten Zerrüttungen drohten. Noch schien ein letzter Augenblick zur Ausgleichung vorhanden, zumal der weise und edle Kanzler I‘ Hopital ernstlich strebte, anstatt des bisherigen Verfahrens gegen die Protestanten einen mildern Weg einzuschlagen, um endlich einmal den Zerwürfnissen hinsichtlich der Religion ein Ende zu machen; und so wurde im September 1561 ein öffentliches Gespräch in der Abtei Poissy nicht weit von St. Germain bei Paris veranstaltet. Da gelangte nun sowohl von Seiten der Protestanten namentlich Calvin und Theodor Beza, welcher Letztere selbst Theil nehmen sollte, als auch von Seiten der Katholiken das dringende Begehren nach Zürich, daß Vermili sich dazu einfinde. Catharina von Medici insbesondere schien sehr den Wunsch zu hegen, ihn, ihren Landsmann, entsprossen aus einer der edelsten Familien ihres Vaterlandes, dabei zu sehen. Doch nur unter den genauesten Vorsichtsmaßnahmen ließ der Rath von Zürich Vermili’s Abreise zu. Am französischen Hofe angelangt, nachdem bereits eine öffentliche Sitzung statt gefunden hatte, wurde er auf’s ehrenvollste empfangen. Ueber den Werth solcher Höflichkeit, wie über den der Religionsgespräche überhaupt, täuschte er sich zwar nicht; indeß benutzte er gerne die ihm zu Theil werdenden Audienzen, um sowohl der Catharina, welche damals noch als geistvolle und weise Fürstin, noch nicht als Muster der Falschheit erschien, als dem König Anton von Navarra eine gemäßigte Reformation und milde Behandlung der Protestanten als das rechte Mittel zur Beilegung der religiösen Zerwürfnisse anzuempfehlen. Mit Sicherheit wußte er den verfänglichen Fragen, die mehr aus List als aus Unwissenheit an ihn gethan wurden, zu begegnen. Sodann wohnte er der Sitzung bei, in welcher der Cardinal von Lothringen (Carl v. Guise) eine glänzende Rede hielt gegen die Protestanten. In einer folgenden Sitzung entgegnete ihm Vermili auf besondere Erlaubniß Catharina’s, zuerst in italienischer, dann in lateinischer Sprache, und überführte den Cardinal mehrerer Irrthümer. Bei diesem Anlaß war es, daß auch der Jesuiten-General Lainez sich in’s Gespräch mischte, indem er die Reformirten, freilich mit Bibelstellen, Affen, Wölfe, Füchse und Ungeheuer schalt. Besonders schwierig ward dann die Sache, als die Berathung der streitigen Punkte einem Ausschusse überwiesen wurde; hier unterstützte Vermili den Beza und die übrigen Protestanten besonders durch Abweisung aller täuschenden und zweideutigen Formeln; auch während des öffentlichen Gesprächs war seine große Gelehrsamkeit und Geistesgegenwart dem Beza öfter sehr zu Statten gekommen. Sobald er dann sah, daß die Besprechungen durch den Einfluß der päbstlichen Gesandten und der gegnerischen Partei überhaupt vereitelt seien, bat er um seinen Abschied und erhielt ihn huldvoll. Die Häupter der Protestanten Frankreichs, der Prinz Conoi und der Admiral Coligny, ließen ihn durch zwei ihrer Edelleute bis nach Zürich begleiten. Unterwegs fand er in Troyes den Bischof Carracioli mit dem größten Theile seiner Umgebung der Reformation zugethan; derselbe hatte die Vorsteher der Reformirten seiner Diöcese bei sich versammelt, um sie zu bewegen, ihn auch in ihrer Kirche als Bischof anzuerkennen; Vermili – dem dieß von England her nichts fremdartiges war – unterstützte durch sein Ansehen das Begehren des Bischofs und sie entsprachen ihm; doch mußte dieser – das einzige Beispiel eines französisch-reformirten Bischofs – auf Befehl der Regentin alsbald sein Bisthum aufgeben.

Diese Reise ward für Vermili der Anfang seines Endes; die Anstrengung, welche sie mit sich brachte, bei der schon rauhen Jahreszeit, hatte seine Gesundheit so sehr angegriffen, daß er sich nicht wieder erholte. Dazu kam zweierlei, was sein letztes Lebensjahr verbitterte. Einerseits die Heftigkeit mit der Joh. Brenz gegen seine milde Vertheidigung der reformirten Abendmahlslehre auftrat. Anderseits der Fortgang der Dinge in Frankreich. Zwar wurde im Januar 1562 wenigstens ein beschränktes Recht des öffentlichen Gottesdienstes den Reformirten zugestanden; die Bemühungen des edeln Kanzlers I’Hopital schienen mit Erfolg gekrönt. Allein nur zu bald fing das Morden und Brennen wieder an; die beiden großen Parteien stießen immer heftiger an einander, der langjährige grauenvolle Bürger- und Religionskrieg kam zum Ausbruch.

Mit der größten Pünktlichkeit erfüllte Vermili bis in seine letzten Tage die Pflichten seines Berufes. Als aber die Fieberanfälle überhand nahmen, traf er ruhig seine letzten Verfügungen zur Obsorge für seine Gattin, die ihrer Niederkunft entgegen sah. Während dieser ganzen letzten Krankheit trat seine wahre Frömmigkeit auf’s Klarste hervor. Mit großer Geduld und Sanftmuth ertrug er die mancherlei sich häufenden Leiden seines Sterbelagers, bezeugte seine Glaubensfreudigkeit vor den Anwesenden und nahm herzlichen Abschied. Besonders rührend war sein Abschiednehmen von der Vorsteherschaft und dem Prediger der italienischen Gemeinde. An seinem Sterbelager stand Bullinger, dessen treuer Gefährte er gewesen, und der berühmte Naturforscher Conrad Geßner, sein vertrauter Freund. Kaum merklich hauchte er sein Leben aus.

Suchen wir die Eigenthümlichkeit dieses Mannes zusammen zu fassen, so finden wir als die hervorstechenden Züge seines Characters Friedensliebe und Sanftmuth, aber eine Friedfertigkeit, die mit dem reinsten Wahrheitssinne gepaart, nie der Wahrheit vergeben mochte um des bloß scheinbaren Friedens willen, und eine Sanftmuth, die aus ihrer innern Stille gerade in den entscheidenden Momenten seines Lebens im Angesicht der Gefahr eine heldenmüthige Standhaftigkeit hervorbrachte. Dabei zeichnete sich sein Umgang stets durch Würde und Anmuth aus. Besondere Zuneigung hatte er daher zu Melanchthon. Calvin, dem er an theologischer Gelehrsamkeit noch überlegen war und dessen höchste Achtung er stets genoß, pflegte ihn „das Wunder Italiens“ zu nennen, – wohl darum besonders, weil er die Vorzüge der Begabtesten unter seinen Landsleuten in sich trug, ohne die Fehler, die man ihnen beilegte, „Scharfsinn ohne Spitzfindigkeit, Feuer ohne Schwärmerei, Gewandtheit ohne Hinterlist,“ bei ihm daher seine allgemein humane, philosophische Bildung sich nicht mit dem Christenthum entzweite, sondern vielmehr beides in vollem Einklange stand, und er so die gesunde rechte Stellung zur Kirche gefunden hatte.

Er, der die beiden Momente, die auch bei unsern Zeitgenossen so oft auseinander gehen wollen, das Positive und das allgemein Humane so in sich einigte, daß er mit all‘ seiner Bildung nur Christo die Ehre gab, und deren Durchdringung in einem seinen Christenherzen pflegte, möge daher uns Allen in gesegnetem Andenken bleiben als ein rechter Wahrheitszeuge.

  1. Pestalozzi, Geistl. in Zürich

 

Heinrich Voes und Johann Esch

Heinrich Voes und Johann Esch

Anno 1523 sind zween Augustiner Mönch auß Braband / durch anstiftung der Bischoff und Theologen von Löwen und Brüssel verbrennet worden / mit namen Henrich Voes / und Johann Esch / welche / da man sie nach gewonheit degradirt / und ihnen ihre Priesterliche kleidung außgezogen hette / haben sie mit freuden Gott gedanckt / daß er sie von dem betrieglichen und abschewlichen Priester und Mönchstand entlediget / und sie nunmehr in eine vil bessere und edlere priesterschaft aufgenommen hette / in welcher sie alsbald sich selbst zu einem opfer eines süssen geruchs dem lieben Gott aufopfern würden.

Die höchste irrthumb und grewlichste sünd / darumb sie sterben mußten / war dise / daß sie sagten / und bestendiglich bekenneten / daß man in götlichen sachen Gott und seinem wort allein gläuben müßte. Dieweil die menschen in allen ihren worten und wercken voll eytelkeit und lügen weren / und also entweder ander leut betrieben / oder ja von andern betrogen würden. Derhalben solte keiner sein vertrawen auf menschen / sondern allein auf Gott setzen.

Als man sie zum fewer führete / waren sie fölich und getrost / und sagten / sie wolten sterben / nicht wie die Heiden oder Ketzer / sondern wie rechten Christen / und von wegen der bekantnis des H. Evangelii Jesu Christi. Sagten auch / das were derselbige freudentag / den sie so lang gewünschet und gehoffet hetten / al welchem sie von ihrem leib gescheiden / und mit Christo würden vereiniget werden.

Als man inen auch das fewer unter den füssen anzündete / sagt einer von ihnen / ihn deutchte / daß ihm seine füsse mit lieblichen rosen bestrewet würden. Es hatte auch zuvorn Henricus im examine unter andern gesagt / daß es unrecht / und wider das götliche Gesetz und Recht were / daß sich die Clerisey und Priester der gewalt und botmessigkeit der weltlichen und von Gott verordneten Obrigkeit entziehen wolten. Dann die Bischoff hetten keine andere gewalt / dann allein / daß sie Gottes wort trewlich lehren und verkündigen / und mit solcher lehr die schäflein Christi in der Christenheit weiden solten.

Da man sie gefragt / ob sie sich von Luther hetten verführen lassen? Gaben sie zur antwort: Wir sind eben also vom Luther verführet / wie die lieben Apostel vom HERREN Christo verführet sind. Ja sagten sie / es haben uns die bücher Lutheri ein grössers liecht und anleitung zu erkantnus der H. Schrift und des lieben Evangelii gegeben / als jemand von allen Vättern / wann es auch S. Augustinus und Hieronymus selbst seyn solte.

Da sie auch nu alle ire artikel und fragstück inen fürgehalten hetten / sagt Henricus / Er wolte jm lieber seinen kopf / wann er ihr auch zehen hette / alle nach einander abhawen lassen / dann inen auf ihre gotlose fragen beypflichten.

Es war aber zu derselbigen zeit noch eine merckliche anzahl Mönch Augustiner ordens / samt andern / umb gleicher ursach willen gefänglich eyngezogen worden / welche auß forcht der grausamen Marter und todes von der bekantnis der warheit widerumb waren abgefallen / zu welchen die andern frome Christen eine klägliche vermahnung geschrieben haben / der hofnung / sie widerumb zur buß zu bringen. Und wird von inen auß einem spruch Augustini unter andern auch dises mercklich argument eyngeführet:

Daß nemlich diejenigen / die ires leibs lebens also umb der bekantnus der warheit willen beraubet werden / dannoch das leben jrer seelen unverletzt behalten. Die aber so auß forcht der marter und pein / von der warheit abfallen / und zu lügen und gotslästerung sich begeben / ob sie wol die gefahr des leiblichen tods vermeiden / so fallen sie dannoch von stund an in die gefahr des ewigen todes ihrer armen seelen. Nun seye es ja allezeit besser schaden an seinem leib / dann an seiner seelen zu leiden.

Die fünf Märtyrer von Genf in Chambery (Vernon, Laborie, Trigalet, Bataille, Taurant).

Heinrich II., ein Sohn Franz I., folgte diesem auf Frankreichs Thron 1547. Seine Frau war die Italienerin Katharina von Medici. Nach seinem Edict von Chateaubriant hatte der König 1551 das Ketzer-Gericht, welches bis dahin immer getheilt gewesen, einem Gerichtshof, der am Leben strafen dürfe, übertragen. Später bestätigte der König den Matthias Ori als Haupt-Inquisitor.

Im Jahr 1553 starben zu Lyon fünf Studenten, deren Ende der folgende Band erzählen wird. In England starben 1555 den Märtyrertod die Bischöfe Hooper, Nicolaus Ridley, Hugo Latimer und Cranmer. In Frankreich starben in demselben Jahre die fünf Märtyrer zu Chambery: Johan Vernon, ein Schüler Calvin’s, gebürtig von Poitiers, Anton Laborie von Cajar in Quercy, vormals königlicher Richter ebendaselbst und nachmals ein Diener des Worts, Johan Trigalet, Rechts-Licentiat von Nimes in Languedoc, ebenfalls Theolog, und ihre zwei weltlichen Begleiter und Glaubensgenossen Bertrand Bataille, ein Gaskogner, noch ein Studiosys der Theologie und Guirald Taurant aus Cahors in Quercy, ein Kaufmann, der auf der übrigen Wunsch die Reise mit ihnen fortsetzte, da er sie nur bis auf die Grenze hatte begleiten wollen. Diese fünf waren von der evangelischen Gemeinde zu Genf nach Frankreich ausgesandt, das Evangelium zu predigen. Ungeachtet sie gewarnt wurden, wie ihnen Verfolgungen, ja der Scheiterhaufen drohen würde, betraten sie gleichwohl getrost in ihrem Gott ihre Laufbahn, und zogen ihres Weges Psalmen singend.

Ein französischer Unterbeamter aber, der ihre Aussendung in Genf ausgekundschaftet, verlegte ihnen die Straße und fing sie auf dem Col de Tamis in Fossigny in Savoyen und brachte sie gefesselt nach Chambery. Sie wurden, wie dann Vernon der Genfer Gemeinde berichtete, vor ein geistliches Gericht geführt, der Ketzermeister in demselben war der in der Genfer Reformationsgeschichte bekannte Weihbischof Fürbitti. Um sich gehörig zu vertheidigen verlangten sie die Bibel und Calvin’s Institutionen, welche ihnen abgenommen worden waren, und die auf dem Tische lagen; sie wurden ihnen aber verweigert. Dies geschah am 10. Juli 1555. Die Regierung von Bern forderte der Gefangenen Loslassung. Umsonst. Den 14. Juli wurden sie wieder verhört; es saßen im Ketzergericht neben Advokaten auch Dominikaner und Franziskaner. Es handelte sich um die Messe, die andern Sakramente, die Gewalt des Pabstes u. dgl. Den 17. Juli wurden die fünf als Ketzer verdammt. Die Ketzerrichter hatten vergeblich gesucht, den Bataille und Taurant vom evangelischen Glauben abzubringen und hatten sie in besondre Haft gebracht. Da aber auch diese zwei standhaft blieben, wurden sie wieder zu den übrigen Gefangenen gelassen, die sich nun gegenseitig belehrten und ermunterten und auch mit Psalmensingen über ihr Elend erhoben.

Wir besitzen aus ihrer Haft, die noch etliche Monate dauern sollte, köstliche Briefe. Aus denselben wollen wir einige Hauptstellen mittheilen. Laborie schrieb den 4. Septbr. 1555 an die Genfer Prediger: „Ich habe meinen Richtern Alles gesagt, was mir der Herr gegeben, und Alles mit Schriftworten bekräftigt, also daß ich Gott höchlich für seine Hülfe zu danken habe. Wir schauten einander stracks an und ich bemerkte Thränen in den Augen einiger der jüngeren Räthe. Dem Ketzermeister sagte ich u. a.: Es wundert uns, daß Ihr die Ehe für ein Sakrament haltet, so Ihr doch dieselbe für Euch für unrein achtet und Euch selber sie verbietet, dagegen in Unzucht lebet. Taurant, welcher erst vor drei Monaten zur Erkenntniß der Wahrheit gekommen und den sie zu überreden und zum Abfall zu bringen suchten, hielt ihnen ihr unevangelisches Wesen noch schärfer vor als wir übrigen.

Mittwoch den 21. August verurtheilte uns das Parlament, Bernon, Laborie und Trigalet zur Galere auf lebenslang, den Bataille und Taurant auf zehn Jahre. Der königliche Procurator appellierte.

Wieder vor den Rath geführt, sollte ich die Hand auf ein mit grüner Farbe auf ein Brett gemaltes Kreuz legen und auf dasselbe schwören; ich weigerte mich deß, und sagte: ich wolle zum Himmel aufschauen und bei dem lebendigen Gott schwören. Dies nahmen sie an. Darauf wurden mir neuerdings Ketzereien vorgehalten. Ich vertheidigte mich wieder. Sie droheten mir mit des Königs Edict wider die Ketzer. Ich sagte: der Richter im Himmel wird einst richten, der wird die Register und Bücher aufschlagen; unsre Sache wird als die rechte erfunden, ihr aber werdet verdammt werden. –

Wir hören, wir seien alle fünf zum Feuer verurtheilt, und erwarten täglich, daß uns das Urtheil vorgelesen werde. Die vornehmsten Herren (Bern und Genf) haben sich unser angenommen; die ganze Kirche hat für uns geseufzt; wir haben die Frucht ihres Gebetes empfunden. Ich kann in Wahrheit bezeugen, daß ich in meinem Leben an Leib und Seele nie wohler gewesen, als in diesem meinem Gefängniß, weil denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen.“

Seiner jungen Gattin Anna schrieb Laborie mehrere Briefe. Wir wollen aus denselben einige Hauptstellen mittheilen: „Ich danke dem gütigen Gott, daß er mich durch deinen Brief inniglich getröstet hat und besonders auch durch die, welche dich gesprochen und mir deine Standhaftigkeit gerühmt, die dir Gott verleiht. Ich bitte dich, du wollest dies erkennen als eine besondre Gnade Gottes, die von ihm allein kommt, und du wollest dich desto mehr demüthigen, ihm gehorsam zu sein, damit er seine Gnaden und Gaben gegen dich vermehre. Denn fürwahr, wenn mein Tod keinen anderen Nutzen bringen würde (ich hoffe zu Gott, er wird nicht fruchtlos sein), denn daß du durch denselben, wie ich höre, noch mehr erweckt wirst zur Erkenntniß Gottes, so soll mir doch dies schon genug sein, den Tod mit Freuden zu erdulden. Ich bitte Gott, er wolle das angefangene heilige Werk an dir vollführen und dich je länger je mehr durch die Kraft seines h. Geistes zu sich ziehen. Wir sind nun der Stunde gewärtig, da wir zum Tod sollen geführt werden. Wir können keinen andern Ausgang sehen; wie sehr sich auch die Menschen für uns noch bemühen mögen. Daher bitte ich dich, rufe doch Gott ohne Unterlaß an, er wolle uns eine unüberwindliche Standhaftigkeit verleihen, daß wir das Werk, welches er in uns angefangen, vollenden. Fürwahr, ich habe in meinem Leben nie etwas mit größerer Begierde verlangt, als um Christi und seiner Wahrheit wegen zu sterben. Das nämliche werden auch meine Mitbrüder sagen, ich bin dessen gewiß. Bedenke dein Leben lang, daß du einen Mann zur Ehe gehabt, der wahrhaftig in die Zahl der Kinder Gottes auf- und angenommen ist. Hüte dich, daß nicht Christi Wort sich an dir erfülle: Zwei werden auf Einem Bette liegen, das Eine wird angenommen, das Andre wird verlassen werden. Das sei deine höchste Angelegenheit, Gott vom Herzen zu erkennen und zu lieben und seinem heiligen Willen gehorsam zu sein die ganze Zeit deines Lebens. Darin übe dich ihn zu fürchten und zu ehren, die Wohlthaten seiner Gnade mit Dank zu erkennen, auf daß du seine Tochter bleibest, wie ich denn jederzeit gewisse Kennzeichen der Kindschaft Gottes an dir wahrgenommen habe, damit wir dermaleinst einander wieder sehen und miteinander ewiglich Gott loben und preisen mögen in der himmlischen Herrlichkeit, zu welcher uns der Sohn Gottes, Jesus Christus berufen. Du bist noch jung; tröste dich mit Gott. Laß den Herrn Christum deinen Vater und Bräutigam sein, bis daß er dir einen andern Gatten bescheret. Ich bin gewiß, er wird dich nimmer verlassen, sondern deine Sachen über dein Wünschen ausführen. Rufe daher den Herren Christum an unablässig; fürchte und liebe ihn mit Worten und Werken. Gehe fleißig zur Predigt des göttlichen Wortes. Hüte dich vor böser Gesellschaft. Gehe gern um mit frommen und gottesfürchtigen Leuten. Thue nichts einzig nach deinem Gefallen und Gutdünken, sondern ziehe allezeit gute Leute, die uns beiden Freundschaft erzeigt, zu Rath und besonders den Herrn Johann Calvin, der dir nicht übel beistehen wird, wenn du ihm folgest, wie du billig thust, und wozu ich dich auch ermahne. Denn du weißt, daß dieser Mann fürwahr vom Geiste Gottes regiert wird. Er kann dir daher auch nichts Böses rathen. Willst du dich wieder verehlichen, wozu ich dir selber rathe, so begehre dann besonders Calvin’s Rath und beginne nichts ohne sein Vorwissen und seinen Willen. Erwähle dir einen gottesfürchtigen Gatten, sonst stehe lieber ab dich wieder zu verehelichen. Aber ich hoffe, der Herr wird dich versorgen, wie es dir nach seiner Weisheit selig ist. Rufe ihn daher an vor allem anderen und verlaß dich auf seine Güte. Ich habe ihn unablässig für dich gebeten und bete immer für dich. Du weißt, wie wir uns, so lange uns der gute Gott bei einander gelassen, so innig lieb gehabt. Gottes Friede hat immer unter uns gewohnt und du bist mir in allen Dingen gehorsam gewesen. Ich bitte dich, du wollest dich auch künftig gegen den, welchen dir Gott geben wird, gleicher Weise oder noch besser verhalten. So wird Gott allezeit mit seiner Gnade bei dir und deinen Kindern wohnen. Bedenke immerdar den Anfangsunterricht, den du von mir empfangen, (zwar war ich leider nicht fleißig genug in meinem Amte) baue fort auf demselben Grunde, damit du je länger je mehr dich Gott nahest. Vielleicht wird auch dein Vater, wenn er meinen Tod vernommen, nicht lange fern von dir bleiben und sich bemühen, dich wieder in’s Pabstthum zurückzubringen. Ich bitte dich aber um Gottes und deiner Seligkeit willen, deinem Vater hierin nicht zu gehorchen, sondern ihn abzuweisen, daß du lieber in Gottes Hause bleibest denn wieder in Satans Wohnung zurückkehrest. Ich wollte lieber, daß du vom tiefsten Abgrund verschlungen würdest, ja daß du schon lange todt wärest, denn daß du wiederum eine Päbstlerin werden solltest. Ich zweifle aber auch nicht, du wirst lieber sterben, als hierin deinem Vater gehorchen wollen. Dieser Tod würde dir auch viel besser und heilsamer sein. Bitte aber dennoch Gott, er wolle dich mit seinem h. Geist stärken. Es werden vielleicht auch meine Eltern daran denken, unser Töchterlein zu ihnen zu nehmen. Aber ich bitte dich und an Gottes Statt befehle ich dir, daß diese große Sünde und dieser Frevel nicht ausgeführt werde; es gehe dir denn darüber wie Gott will. Denn ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich dieses unseres Töchterleins Blut von deinen Händen fordern will; wenn es durch deine Schuld und Verwahrlosung Schaden an seiner Seele leiden wird, soll all‘ sein Blut über dein Haupt kommen und ausgegossen werden. Ich bitte dich deswegen bei deinem Dienst, den du Gott schuldig bist, bei deiner mütterlichen Pflicht, bei der Liebe, mit welcher du mir, deinem Gatten, und dem Vater deines Töchterleins verbunden bist, du wollest dir diese meine letzte Bitte lassen zu Herzen gehen und unser Töchterlein, so bald es für Lehre tüchtig, in Gottesfurcht wohl erziehen lassen. Ich hätte deinem Vater wie auch meinen Eltern gerne geschrieben. Aber ich habe dießmal nicht mehr Papier und Tinte und auch nicht mehr bekommen können. Schreibe ihnen was mir durch Gottes Gnade widerfahren, tröste sie und führe ihnen zu Gemüth die großen Gnaden und Wohlthaten, die mir Gott während meiner Gefangenschaft erzeigt hat. Gebe Gott, daß sie durch meinen Tod mehr erweicht und bewegt werden, ihn recht zu erkennen und zu ehren, denn sie bei meinem Leben durch meine Vermahnungen sich haben wollen erbauen lassen. Gott wolle sich ihrer erbarmen!“

Aus einem andern Brief Antons Laborie an seine Gattin Anna: „ Da wir noch bei einander waren, hattest du nicht so viel gute Freunde wie dir Gott jetzt, seit ich gefangen bin, erweckt hat. Diese werden nun noch besser für dich sorgen, als ich selber gekonnt hätte, das wird mir aus vielen Briefen kund. Das kommt allein vom lieben Gott; er gibt dir statt deines Mannes viel treue Väter und Brüder in Christo. Du sollst danken und hieraus lernen, wie viel besser es sei, Anfechtung, Widerwärtigkeit und Armuth nach dem Fleisch leiden, denn allezeit Ruhe und gute Tage vollauf haben. Der Glaube wird erprobt nur im Feuerofen der Trübsal. Ich zweifle nicht, du empfindest die Verfolgung mehr als ich. Deßwegen sollst du dich auch seliger achten und im Herrn trösten und all‘ dein Vertrauen und Hoffen auf ihn allein setzen. Du weißt, da wir noch in unserm Vaterland waren und ich mit großen Herren umging, die mir Gunst und Freundschaft erzeigten, daß ich damals fern von Gott war. Ja auch in Genf, da wir noch ein übriges hatten, du weißt wie kalt und nachlässig wir bald geworden, wie wenig und schläfrig wir an Gott und seine Wohlthaten gedacht. Aber da es dann uns später weniger nach Wunsch und Willen ging, da fingen wir an, unsre Zuflucht zu Gott zu nehmen, mit größerm Ernst und Eifer zu beten und in der h. Schrift zu lesen und uns gegenseitig zu trösten. Lerne also, größre Lust zu haben an Armuth denn an Reichthum, Müßiggang und Wollust und laß dir genügen an den Gütern, die uns von Christo angeboten wurden, der da will, daß wir sie in seinem Kreuz suchen und unser Kreuz geduldig auf uns nehmen und ihm nachfolgen.“

Aus einem andern Brief Laborie’s: „Liebe Schwester Anna, ich habe deinen Brief vom 15. Sept. so wie auch die Kleidungsstücke erhalten, die du mir geschickt; es ist mir lieb, daß du bei diesem Froste an mich gedacht. An den Wohlthaten, die dir Gott erzeigt, ersehe ich die Frucht meines Gebetes. Zwar mein Tod kommt dir schwer an, und du bekümmerst dich darüber heftig; ich konnte das voraus denken, denn ich kenne deine Schwachheit. Aber ich ermahne dich, daß du derselben widerstehest. Ich machte dich mit dem Gedanken vertraut, dich meiner nicht anders zu erinnern denn eines Todten, der bereits zu Asche verbrannt ist, dem du nicht weiter verpflichtet bist als zu brüderlicher Liebe, daß du für mich betest, so lange ich in diesem elenden Leibe auf Erden wohne. Tröste dich mit der Ruth, der Moabitin! Meinst du, Gott werde zugeben, daß es dir an leiblicher Nothdurft mangle? mit nichten. Er wird für dich und nicht weniger auch für deine Tochter sorgen. Du und mein Töchterlein werdet nach meinem Tode viel reicher sein, als ihr jetzo seid. Ich will dich hiermit sammt deiner Tochter dem treuen Gott befohlen haben, welcher euer gewiß sorgfältiger und herzlicher hüten wird, denn ich selbst hätte thun können.“

Auch Johan Vernons Briefe aus dem Gefängniß sind es werth, daß einige Stellen derselben mitgetheilt werden. „Wer mit einem Rechtschaffenen zu schaffen hat, darf ohne Kummer sein, besonders wenn er von ihm geliebt wird. Nun haben wir es mit Gott zu thun, der seines Sohnes nicht verschont, sondern hat ihn für uns Alle dahin gegeben, wie sollte er mit ihm uns nicht alles schenken? Verlassen wir uns auf den lebendigen Gott, der bereitwilliger ist zu geben, denn wir zu empfangen! Viele wahre Gläubige werden am jüngsten Tag wider solche Scheinchristen auftreten, welche sich einen besondern seidenen oder samtenen Christum ihres Gefallens einbilden und ein vom Kreuz und Ungemach abgesondertes Christenthum haben wollen.“ Vernon schrieb seiner Schwester: „Durch das Kreuz werden wir unserm Herrn Jesu gleichförmig gemacht nicht allein in dem, daß wir leiden und sterben wie er, sondern auch in dem, daß wir seiner Heiligung theilhaft werden und so mit ihm durch das Kreuz und die Heiligung zur ewigen Freude und Herrlichkeit eingehen.“

Trigalet schrieb seinem Schwager: „Der gütige Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, dessen Gefangene wir sind, wird uns seine Gnade erzeigen, daß wir seinen heiligen Namen preisen und seine Kirche erbauen können, sei es, daß wir scheiden durch Wasser oder Feuer aus dieser elenden Welt.“

Taurant sagt in einem Abschiedsbriefe seinem Freund: „Pein und Folterung nehme ich an als Mittel, durch welche mich Gott ihm selber näher bringen will. Fordert er mich durchs Feuer, so tröste ich mich der drei Jünglinge, die im Feuerofen zu Babel lebendig erhalten worden sind. Und ich weiß, daß Gottes Macht heute nicht geringer ist. Fordert er mich durchs Wasser, so tröst ich mich der Kinder Israel, die durchs rothe Meer unverletzt hindurchgegangen. Er mache es mit mir, wie er will, so bin ich gar wohl damit zufrieden.“

Die Brüder schrieben auch an Calvin und von ihm, dessen Trostbriefe damals durch treue Boten in alle Kerker und in die Hände der Verfolgten kamen, haben wir noch drei Briefe an die Gefangenen zu Chambery vom 5. Sept. und 8. Oct. 1555. Im Briefe vom 5. Sept. sagt er ihnen: „Laborie und Trigalet können auch betreffend ihre nächsten Verwandten getrost sein, denn sie ergeben sich gelassen in Gottes Willen.“ „Vor Allem,“ sagt er ferner, „verlasset euch auf Gottes väterliche Güte und zweifelt nicht, er halte eure Leiber und Seelen in seiner Obhut; und da das Blut seiner Gläubigen ihm theuer ist, so wird er das in Wirklichkeit auch an euch erweisen, nachdem er euch zu seinen Zeugen erwählt hat.“ In einer Berufung der fünf an den König, die sie ihm zur Prüfung zugesandt, hätte er zwar einige Ausdrücke anders gewünscht; „doch,“ sagt er, „will ich lieber, es bleibe, wie es Euch Gott eingegeben. Wenn die Welt eine solche gerechte und heilige Berufung auf das Recht nicht annimmt, so wird sie doch den Beifall Gottes haben, seiner Engel und Propheten und der ganzen Kirche. Alle Gläubigen, die sie lesen, werden Gott preisen um das, was er euch durch seinen heiligen Geist eingegeben.“ Am 5. Oct. schrieb ihnen Calvin u. A.: „Es ist eine der größten Listen Satans, durch in die Länge ziehen die zu ermüden, die er im ersten Ueberfall nicht schlagen konnte. Aber Gott wird eure Standhaftigkeit befestigen, daß ihr ausharrt bis ans Ende.“

An dem Tage, da sie zur Richtstätte geführt wurden, fand ein Mann, der sich um sie viel bemüht hatte, Gelegenheit in ihren Kerker zu kommen und ihnen eilends die Nachricht des Urtheilsspruches des Parlaments von ihnen beizubringen, und sie zu trösten und zur Standhaftigkeit zu ermuntern. Da erhoben sie ihre Stimme und dankten Gott für die ihnen gewordene Gnade. Vernon aber erschrak bei der ersten Ankündigung des Todes so, daß er an allen Gliedern zitterte, und sagte: ich fühle in mir einen heftigeren Kampf, als dem Menschen gegeben ist, auszufechten, jedoch wird der Geist dies vermaledeite Fleisch bezwingen und ich bin überzeugt, daß der gute Gott mich nicht verlassen wird. Ich bitte Euch, meine Brüder, ärgert euch nicht an mir; ich werde nicht sinken; denn Gott hat verheißen, daß er uns nicht lassen will in unsrer Trübsal; und diese Todesfurcht muß uns wohl von unsrer Schwachheit überzeugen, damit alle Ehre ihm bleibe.“

Als sie auf dem Richtplatz standen, gewann Vernon, was er sich von der Güte Gottes versprochen hatte, ein seliges Ausharren und jene Kraft, die eines Christen würdig ist. Er zuerst wurde von den Henkern ergriffen und ehe er festgebunden ward, sprach er sein Gebet: „Herr, ich bekenne vor dir, daß ich ein armer Sünder bin u. s. w.,“ auch sein Glaubensbekenntniß, und empfahl seinen Geist dem Herrn, also daß er alle Schmerzen des Todes und seine Feinde besiegte.

Anton Laborie fühlte gar keine Todesschrecken; als ob er zu einem Freudenmahle ginge, stellte er sich freudig und muthig dar. Ehe er starb, wurde er vom Henker um Verzeihung gebeten. Laborie antwortete: „Mein Freund, du beleidigst mich nicht und durch dein Thun werde ich aus einem gar schlimmen Gefängniß befreit.“ Nach diesen Worten küßte er ihn. Mehrere unter dem Volk wurden von Mitleid bewegt und weinten bei diesem Anblick. Darauf sprach er das von Vernon begonnene Gebet ganz aus, dann mit lauter Stimme sein Bekenntniß und gab seinen Geist mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit auf.

Johan Trigalet stellte sich dem Tode ebenfalls mit freudigem Herzen und mit Heiterkeit und sagte, für seine Feinde bittend: „es sind mehrere unter ihnen, die nicht wissen, was sie thun, einige aber, die es wohl wissen und durch Satans Zauber gehalten und trunken vom Erdenglück, ihren Glauben nicht bekennen wollen. Aber mein Gott, ich bitte dich, löse ihre Fesseln.“ Darauf: „Ich sehe dich schon hoch auf deinem Thron und die Himmel geöffnet, wie du sie deinem Diener Stephan gezeigt hast“ und so gab er seinen Geist auf.

Bataille bekannte laut, sie seien nicht auf dem Richtplatz als Diebe und Mörder, sondern weil sie für die Sache Gottes gestritten. Und nachdem er gebetet, wurde er bald hingerichtet.

Der letzte, Taurant, sprach einige Psalmstellen, die deutlich gehört wurden; obgleich jung, zeigte er nicht weniger Standhaftigkeit als die andern und mit großem Eifer und starker Stimme betend, starb er.

A. E. Fröhlich in Aarau

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

Zacharias Ursinus

Zacharias Ursinus

In der Reformationsgeschichte Deutschlands lassen sich zwei unterschiedene Abschnitte bezeichnen: eine Zeit des Anfangs, wo die große religiöse Geistesbewegung unter der persönlichen Leitung ihrer ersten Urheber steht und von diesen mit vollen Händen die gottgesegnete Saat evangelischer Wahrheitserkenntniß ausgestreut wird, und eine Folgezeit, wo, nachdem die erste Generation vom Herrn aus dem Arbeitsfeld bereits heimgerufen worden ist, einer zweiten die Aufgabe zufällt, die bereits in den Aehren stehende Ernte des Herrn zu beschirmen, eine jede der unter sich nicht ganz gleichartigen Fruchtgattungen, welche zum Vorschein gekommen sind, zu umfriedigen, auch von mancherlei mit aufgeschossenem Unkraut zu reinigen, mit einem Wort: die Zeit des festern Ausbaues der evangelischen Bekennerschaften zu eigentlichen Confessions-Kirchen. In diese zweite Generation gehört der Mann, von welchem hier die Rede sein soll. Er gehört der reformirten Kirche Deutschlands an; ja unter den Theologen der letztern ist sein Name in allen Ländern und Welttheilen, über welche die reformirte Kirche sich ausgebreitet hat, vielleicht am Meisten bekannt und gefeiert, und zwar weil er den Hauptantheil hat an der Abfassung jenes volksmäßigen Bekenntniß- und Unterweisungsbuches, welches unter den Reformirten aller Länder den ungetheiltesten Beifall und die weiteste Verbreitung erlangt hat, nemlich des Heidelberger Katechismus, dessen Anslichttreten vor nunmehr drei Jahrhunderten, gerade in diesem Jahre (1863) in der reformirten Christenheit mit Dank gegen Gott begangen werden wird.

Zacharias Ursinus, geboren am 18. Juli 1534, war der Sohn einer angesehenen, jedoch nicht eben begüterten Familie. Sein Vater Andreas Bär war damals als Diaconus an der Mariamagdalenen-Kirche in Breslau angestellt; später wurde er Inspektor des geistlichen Ministeriums und Professor der Theologie an der Elisabethanischen Schule daselbst; seine Mutter Anna Roth stammte aus patrizischem Geschlecht. Frühzeitig zeigte der junge Zacharias vorzügliche Anlagen, welche vom Vater und treuen Lehrern ihre Ausbildung empfingen. Bereits 1550 in seinem sechszehnten Lebensjahr war er reif genug um die Universität Wittenberg beziehen zu können. Das Zeugniß eines besonders hoffnungsvollen Jünglings, welches er sich auf der Schule erworben, bewog den Rath und die Handelszunft in Breslau ihn mit Stipendien zu unterstützen. Er verweilte in Wittenberg fast sieben Jahre, mit einer einzigen Unterbrechung im dritten Jahre seiner Studien, wo ihn eine in Wittenberg ausgebrochene Pest von dort vertrieb, aber auch drohende politische Ereignisse seine Heimkehr nach Breslau räthlich erscheinen ließen. Es war das letzte Jahrzehnt der so langen und an vielen tausend Jünglingen so reichgesegneten Wirksamkeit Philipp Melanchthons, des Lehrers von Deutschland, an dieser Ursprungsstätte des gereinigten Evangeliums im Vaterland. Es war aber zugleich das Zeitalter, in welchem leidenschaftliche Streitigkeiten zwischen den Anhängern des Lutherischen und des Calvinischen Lehrbegriffs vom Abendmahl den Frieden der Kirche störten, unter den Protestanten Deutschlands eine weitgehende Zerklüftung nach sich gezogen hatten, und der gehässige Hadergeist der Eiferer für Luthers reine Lehre durch unausgesetzte Schmähungen die letzten Tage Melanchthons auf’s Empfindlichste trübte. Der junge Ursinus, schon in Breslau im friedfertigen Geiste der Schule Melanchthons erzogen, schloß sich in Wittenberg eng an seinen ehrwürdigen Lehrer an und wurde von diesem väterlich wieder geliebt. Als Melanchthon im Jahre 1557 zum Religionsgespräch nach Worms reiste, durfte der vielversprechende Zögling dem berühmten Meister sich anschließen. Nach dem Schluß des Religionsgesprächs aber trat Ursinus, von freigebigen Verwandten unterstützt, eine gelehrte Reise an. Sie führte ihn von Worms über Heidelberg und Straßburg nach Basel und Zürich; von dort nach Lausanne und Genf und weiter über Lyon und Orleans nach Paris. Auf der Rückkehr nach Wittenberg im September 1558 besuchte er noch Tübingen, Ulm und Nürnberg. Glänzende Empfehlungen Melanchthons verschafften dem jungen Mann überall die beste Aufnahme. Noch lebte Calvin und die mit ihm gleichzeitigen Begründer und Wortführer der reformirten Kirche und Theologie. Ursinus lernte fast alle diese Männer persönlich kennen und erwarb sich ihre Hochschätzung und Liebe. Calvin schenkte ihm seine Schriften, in welche er mit eigner Hand Zeugnisse seiner wohlwollenden Gesinnung für den Empfänger einschrieb. Diese Reise war für Ursinus von hoher Wichtigkeit. Denn er benutzte nicht nur unter anderem den Pariser Aufenthalt zur Erweiterung seiner Kenntnisse im Hebräischen und zur Erlernung des Französischen, sondern gewann auch einen tiefern Einblick in die kirchlichen Verhältnisse der durchwanderten Länder und Oertlichkeiten. Endlich waren die erworbenen persönlichen Bekanntschaften von weitreichenden Folgen für sein späteres Leben.

Mittlerweile hatten sich Breslauische Gönner für eine Anstellung des jungen Gelehrten in der Heimath bemüht. Auf der Rückreise in Wittenberg traf ihn eine Berufung als Lehrer an dem Elisabethanischen Gymnasium. Ursinus folgte dem Ruf aus Liebe und Dankbarkeit für die Vaterstadt, vermuthlich aber nicht eben mit leichtem Herzen. Denn der Streit zwischen Lutherisch- und Melanchthonisch-Gesinnten war unterdessen auch dort heftig entbrannt und Ursinus fehlte das Vertrauen in Mitten desselben auf die Dauer eine öffentliche Stellung behaupten zu können. Denn seine Ueberzeugungen waren durch die Reise ausgereift und hatten ihm eine sehr bestimmte Stellung auf Seiten Calvins angewiesen. Obwohl in der Friedensgesinnung mit Melanchthon innig verwandt und dem edeln Mann bis an sein Ende treu zugethan, vermochte Ursinus doch nicht sich mit der unentschiedenen Stellung seines Lehrers zwischen Lutherthum und Calvinismus einverstanden zu erklären und mit dem Bekenntniß seiner Ueberzeugungen zurückzuhalten. So gerieth er in Breslau bald in den gehässigen Ruf eines Calvinisten. Er wußte sich darüber zwar in einer eigenen Schrift zu verantworten, aber im Drang einer peinlich gewordenen Lage sich zu entziehn begehrte und erhielt er wenige Tage nach dem Tode Melanchthons seine Entlassung begleitet von rühmlichen Zeugnissen und der ausgesprochenen Erwartung, daß er auf den Ruf der Vaterstadt wieder in deren Dienste treten werde.

Ursinus brachte in der vollen Freudigkeit eines entschiedenen Glaubens sein Amt zum Opfer. Seinem Oheim Roth gab er auf die Frage: wohin er sich wenden wolle? freimüthig die Antwort: „Nicht ungern verlasse ich mein Vaterland, wenn es das Bekenntniß der Wahrheit nicht zulassen will, das ich mit gutem Gewissen nicht aufgeben kann. Lebte mein bester Lehrer Philipp noch, so würde ich mich nirgend anders wohin als zu ihm begeben. Nun er gestorben ist, will ich mich zu den Zürichern wenden, deren Ansehn hier freilich nicht groß ist, die aber bei andern Kirchen einen so berühmten Namen haben, daß er von unsern Predigern nicht verdunkelt werden kann. Es sind fromme, gelehrte, große Männer, mit denen ich meist Leben zuzubringen sofort beschlossen habe. Für das Uebrige wird Gott sorgen.“ So geschah es. Ohne sich auf der Durchreife in Wittenberg fesseln zu lassen, wo ihn die Theologen gern zum Amtsgenossen gemacht hätten, langte Ursinus am 3. Oktober 1560 in Zürich an. Dort erneuerte er das freundschaftliche Verhältniß mit den einheimischen Geistlichen und Theologen, vor Allem mit Heinr. Bullinger und Peter Martyr. Mit warmer Hingebung aber schloß sich Ursinus besonders an Letztern an und pries sich glücklich den „göttlichen Unterricht“ desselben genießen zu können. Es that ihm wohl hier mit voller Freiheit seine Ueberzeugung bekennen und in einer lebendigen Glaubensgemeinschaft leben zu dürfen. Zwar verläßt ihn nicht die Liebe zur Heimath. Er schreibt von Zürich aus: „Wenn die Unsrigen mich die Lehre, welche in diesen Schweizerischen Kirchen über die Sakramente, die Vorsehung und Wahl Gottes, den freien Willen, die menschlichen Ueberlieferungen in der Kirche, die strenge christliche Kirchenzucht gelten, auf meine Gefahr öffentlich und amtlich lehren lassen wollten, so würde ich bereit sein zu zeigen, mit welchem wahrhaften Verlangen, dem Vaterlande zu dienen, ich erfüllt bin.“ Allein die Hoffnung seiner Breslauer Freunde ihn einmal wieder in ihre Mitte zurückkehren zu sehn, ging nicht in Erfüllung; denn es öffnete sich für Ursinus bald nachher ein großer und lohnender Wirkungskreis in Mitten der reformirten Kirche der Pfalz.

Am 12. Februar 1559 war der Churfürst Otto Heinrich von der Pfalz gestorben. Sein Nachfolger in den Churlanden wurde Friedrich, bisher Herzog zu Pfalz-Simmern, ein Fürst geziert mit den edelsten Regenteneigenschaften, vor allem erfüllt von der aufrichtigsten Gottesfurcht. Schon in seinem kleinen Erbland hatte Friedrich ebenso entschieden die Sache der Reformation geführt, als Otto Heinrich in der Churpfalz. Allein während der Letztere vom Lutherthum ausgehend zu jener mildern und freier n Auffassung der streitigen Lehrpunkte des Protestantismus übergegangen war, welche Melanchthon und seine Schule vertrat und die sich im Abendmahl der Calvinischen näherte, so war Friedrich längst mit Bestimmtheit dem Calvinismus innerlich zugewendet. Gemäß dem Rechte über die Landesreligion zu bestimmen, welches den deutschen Reichsständen durch den kurz vorher abgeschlossenen Religionsfrieden zugesprochen worden war, suchte daher Friedrich dem Drang seines Gewissens folgend mit großem Ernst das Calvinische Bekenntniß auch bei seinen Unterthanen in der Churpfalz zum herrschenden zu machen. Vor allem war die theologische Fakultät in Heidelberg dazu bestimmt, ihm bei diesem Vorhaben Dienste zu leisten. Schon unter Otto Heinrich war eine Anzahl von der reformirten Lehrform zugethanen Männern an der Universität angestellt worden, unter ihnen Peter Boquin, ein geflüchteter französischer Calvinist, als Professor der Theologie. Nicht minder hatten hochgestellte Beamte und selbst Otto Heinrichs Hofprediger Michael Diller dem reformirten Bekenntniß gehuldigt. Aber erst Friedrich nahm die Umgestaltung der Universität und theologischen Fakultät im Sinn dieses Bekenntnisses entschiedener in Angriff. Unter dem Beirath der Züricher und Genfer Theologen gesellte Friedrich dem genannten Boquin noch Em. Tremellius und Casp. Olevian, einen unmittelbaren Schüler Calvins, als Professoren der Theologie bei. Vor Allen gern hätte Friedrich den von ihm hochverehrten Peter Martyr von Zürich nach Heidelberg gezogen. Allein dieser lehnte wegen vorgerückten Alters ab und empfahl statt seiner den jungen Ursinus. Zu den Genannten kam seit 1568 noch der berühmte Hieron. Zanchi.

So trat Ursinus in seinem sieben und zwanzigsten Lebensjahr in einen Kreis von Männern ein, welche zu den Säulen der reformirten Kirche gehören. Durch die Vereinigung derselben empfing Heidelberg weit über die Grenzen der Pfalz hinaus einen berühmten Namen. Die Universität galt seit Friedrichs Zeiten als eine Burg des reformirten Glaubens.

Ursin’s Hauptamt in Heidelberg war und blieb das eines Vorstehers am Sapienzkollegium, einer Art Predigerseminars, welches zum häuslichen Zusammenleben der Zöglinge eingerichtet, mit der Universität in engster Verbindung stand. Schon Otto Heinrich hatte dieses Collegium gegründet, um dem fühlbaren Mangel an Geistlichen für die Pfalz Abhülfe zu schaffen. Von Friedrich dagegen war die Anstalt erweitert worden, so daß sie 70 Zöglinge aufnehmen konnte und unmittelbar unter den Kirchenrath gestellt. Nicht gering war die Aufgabe für einen Mann, welcher selbst noch im jugendlichen Alter stand, die Erziehung einer so großen Zahl künftiger Prediger zu leiten. Nicht nur das Wissenschaftliche der eigentlichen Theologie, sondern auch das Praktische, Predigt und Katechese, umfaßte Ursinus in seinen Vorträgen an jenem Collegium; ja, so wie er das Bedürfniß erkannte, so unterzog er sich sogar dem encyklopädischen Unterricht der philosophischen Fächer. Am 28. August 1562 erhielt er die Doctorwürde, womit die Obliegenheit den von Olevian verlassenen Lehrstuhl der Dogmatik an der Universität zu übernehmen verbunden war. Aber schon nach sechs Jahren trat er dieses Amt, das ihm ungeachtet seines eisernen Fleißes zu beschwerlich geworden war, an Zanchi ab. Denn zu den Bemühungen für gründliche und gewissenhafte Ausarbeitung seiner Vorlesungen kamen noch fast ohne Unterbrechung hinzu die vielen Geschäfte, womit ihn der Churfürst speciell beauftragte und die Abfassung seiner, mit allem Fleiße ausgefeilten, gelehrten Schriften. Zwar nicht an allen Arbeiten für die innere Befestigung und Organisation der Pfälzischen Kirche, welche auf Friedrichs Antrieb schon in den ersten Jahren in Angriff genommen wurden, nahm Ursinus in gleichem Maße Antheil, wie sein Freund Olevianus. Die Aufstellung einer neuen Gottesdienstordnung und eines Kirchenrathes als oberster, aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern zusammengesetzten Behörde in Kirchen- und Schulsachen, war mehr das Geschäft des für praktisch-kirchliche Angelegenheiten vorzüglich ausgerüsteten Olevianus. Der Letztere wurde auch deshalb bald von seinen Aemtern an der Universität entbunden und dafür zum Stadtpfarrer in Heidelberg und Mitglied des Kirchenraths ernannt. Dagegen gab es fast keine Gelegenheit, wobei es eines lehrhaften Ausdrucks für das Calvinische Bekenntniß bedurfte, ohne daß der Churfürst Ursinus als Hauptwortführer, Vertheidiger und Beurtheiler herbeigezogen hätte. Unter den Arbeiten der letztern Art war aber keine so wichtig, als der Antheil, welchen Ursinus nahm an der Abfassung des Heidelberger Katechismus.

Der Churfürst Friedrich machte bereits im Anfang seiner Regierung die Wahrnehmung, daß der katechetische Jugend- und Volksunterricht in seinen Landen nicht bloß überhaupt sehr vernachlässiget, sondern auch, wo dieses nicht der Fall war, nach eines jeden Predigers Willkür ertheilt werde. Er erachtete daher eine zuverlässige und übereinstimmende Unterweisung im christlichen Glauben für durchaus nothwendig, einen Katechismus, welcher die Hauptpunkte der Religion aus Gottes Wort klar und gründlich erklärte, damit nicht allein für die Jugend und die Einfältigen besser gesorgt werde, sondern auch Prediger und Schullehrer eine sichere Richtschnur und Form hätten, wonach sie in Kirchen und Schulen die Hörer unterweisen, anstatt nach ihrem Wohlgefallen Neues, oder was der heil. Schrift weniger angemessen vorzutragen. Mit der Abfassung dieses Katechismus beauftragte der Churfürst Ursinus und Olevianus und beide gingen mit all‘ der Liebe an das Werk, welche die Wichtigkeit der Sache von ihnen forderte. Zunächst wurde von den Beauftragten der reiche Schatz trefflicher Katechismen, welchen die reformirte Kirche bereits besaß, besonders die Katechismen Calvin’s und Lasky’s, gewissenhaft zu Rath gezogen. Auf Grundlage des gemeinsam gesammelten Materials arbeitete dann aber Ursinus zwei Entwürfe zu einem Katechismus aus, einen längern und einen kürzern, beide in lateinischer Sprache. Dies zeigt, daß sie nur als Vorarbeiten für das Pfälzische Volksbuch dienen und vor allem die Lehre desselben feststellen sollten. Und so war es. Die Ursinischen Entwürfe wurden alsdann wiederum von beiden Theologen gemeinsam in deutscher Sprache verarbeitet und nach mannigfachen Veränderungen in die Form gebracht, in welcher der Heidelberger Katechismus nachher an’s Licht getreten ist. Daß an der ebenso klaren, als körnigen deutschen Stvlisirung des Buches Olevian einen Hauptantheil hat, und daß von ihm die viel bewunderte Anlage desselben, die charakteristische Dreitheilung des gesamten Stoffes, so wie der einfache, durchsichtige biblische Bau des Katechismus herrührt, darf wohl mit Sicherheit angenommen werden, und es bleibt daher jedem der beiden Männer an der Abfassung des Ganzen sein eigenthümliches Verdienst.

Betrachtet man nun den Katechismus als Ganzes, so ist wohl darauf zu achten, daß er seiner Zweckbestimmung nach ebensowohl ein kurz gefaßter Ausdruck der Glaubenslehre, eine Art von Bekenntnißschrift für die ganze Pfälzische Kirche, als ein Unterweisungsbuch für die Jugend sein sollte. Hieraus folgt, daß er in manchen Stücken etwas ausführlicher ist, als andere bloß für die Jugend bestimmte Katechismen des Reformationszeitalters. Auch geht er nicht allein in Einzelnem über das Bedürfniß der Jugend hinaus, sondern leiht auch in manchen sonst in den Kreis der Unterweisung des Kindesalters allerdings gehörigen Lehrstücken der Heilswahrheit einen Ausdruck, dessen Verständniß sich erst der tieferen, gereifteren Seelenerfahrung des Erwachsenen in vollem Umfang erschließt. Gleichwohl thut diese Eigenthümlichkeit dem Werth des Katechismus für die Jugend im Ganzen keinen Eintrag. Denn dieser Werth beruht außer dem bereits Angeführten vorzüglich einmal auf der Einfachheit und Natürlichkeit seiner dreitheiligen Anlage: 1) von des Menschen Elend; 2) von des Menschen Erlösung; 3) von der Dankbarkeit; dann auf deren meisterhafter Entwicklung im Einzelnen. Im ersten Theil wird nicht in der Weise des Lutherschen Katechismus die ganze Reihe der einzelnen Gebote Gottes vorgeführt, sondern nur die Summe des Gesetzes nach dem Worte Christi bei Matth. 22, 37-40. Gegenüber diesem Bild des gottgefälligen Dichtens, Trachtens und Lebens, zu welchem der Mensch an sich die Bestimmung hatte, kommt nun die ganze Tiefe des sündlichen Verderbens der wirklichen Menschheit seit und durch Adam zur sachlich gewaltigsten Aussprache in Fr. 5. vom Haß gegen Gott und den Nächsten und Fr. 8. von der Untüchtigkeit zu einigem Guten und der Geneigtheit des natürlichen Menschen zu allem Bösen. Nachdem in der erschütterndsten Weise dadurch das Gefühl des Sündenelends und des Zornes Gottes geweckt worden ist, knüpft der zweite Theil die Lehre von des Menschen Erlösung durch den gottmenschlichen Mittler an eine eingehende Erläuterung des apostolischen Bekenntnisses. Unter vielem andern ist hier besonders hervorzuheben die unvergleichliche Beschreibung des wahren Glaubens Fr. 21. und der Rechtfertigung Fr. 60. Hierauf folgt von Fr. 65 an die Erörterung der Sakramente als heiliger Wahrzeichen und Siegel der Verheißungen Gottes im Evangelium und in gleichem, ächt Calvinischem Ausdruck die Ausführung über das Amt der Schlüssel. Der dritte Theil bringt zunächst die Erklärung der 10 Gebote. Während im ersten Theil das Gesetz dem Menschen den Spiegel seiner Sünde und seines Elends vorhielt, so kehrt es im dritten Theil wieder, nur in anderer Bedeutung, nemlich als Richtschnur für das christliche Leben. Der Katechismus hält hier die Eigenthümlichkeit des ganzen reformirten Lehrsystems fest, daß das Gesetz in seiner Bedeutung für das dankbare Leben des Erlösten zu seiner vollen Anwendung kommt. Auf’s Strengste wird jedoch der Gedanke durchgeführt, daß die guten Werke, welche in der Gesetzeserfüllung erzeugt werden, nicht etwa in katholischer Weise als Verdienste erscheinen, sondern als Früchte des neuen, in der Wiedergeburt uns geschenkten Geistes, als Erweisungen der Dankbarkeit für die in uns erfahrene Erlösung. Zum dritten Theil gehört endlich die Auslegung des Unser Vater als des hauptsächlichsten Theiles des geistigen Gottesdienstes und der Dankbarkeit. So sind die drei allen christlichen Katechismen gemeinsamen Hauptstücke auch dem Heidelberger eingeordnet, aber in einer der reformirten Eigenthümlichkeit entsprechenden Folge und Auffassungsweise. Von einzelnen Stücken des Heidelberger Katechismus aber sind noch besonders berühmt geworden die ergreifende Antwort auf die Fr. 1., mit welcher der Katechismus beginnt: was ist dein einiger Trost im Leben und Sterben? sowie die Fr. 80. mit ihrer scharfen Aussprache gegen die römische Messe als „eine vermaledeite Abgötterei.“ Die erste Auflage des Katechismus hatte diesen Ausdruck nicht. Da aber in jenen Tagen die Beschlüsse des Conciliums von Trient veröffentlicht wurden, so fühlte sich der Churfürst bewogen diese Auflage soviel als möglich zurückzuziehen und in der darauf folgenden die obige Verschärfung anzubringen, welche auf römischer Seite sehr übel genommen wurde und in der späteren Pfälzischen Kirchengeschichte eine bedeutende Rolle spielt. So ging 1563 dieser Katechismus aus mit der Weisung des Kirchenraths, daß in den Sonntag-Nachmittagsgottesdiensten regelmäßig über dessen Fragstücke auch vor den Erwachsenen gepredigt werde. Der amtliche Text wurde zu diesem Ende in 52 Sonntage abgetheilt und außerdem in 10 Lektionen oder Abschnitte, welche jeden Sonntag vor der Predigt sollten vorgelesen werden. Bald wurde der Katechismus nicht nur in’s Lateinische, sondern selbst in’s Griechische und Hebräische, sowie in alle lebende europäische Sprachen übersetzt. Denn in der gesamten reformirten Kirche gewann der „Heidelberger“ ungetheilten Beifall und das volle Ansehn eines Bekenntnißbuches. Auch die regelmäßigen Katechismuspredigten wurden außerhalb der Pfalz, z. B. in Holland bleibende Kirchensitte. Und in der That erklärt sich diese Verbreitung leicht aus dem Gehalt des Katechismus. Mit Recht sagt ein neuerer reformirter Theolog: Eine eigenthümliche Kraft und Salbung ist über das ganze Werk ausgegossen. Eigenthümlich frisch und erweckend spricht das Buch gerade darum zur Seele, weil es als zuversichtliches, freudiges Bekenntniß des heilsgewissen Christenherzens auftritt. Es wird in ihm ebenso sehr zum Gemüthe und Willen, als zum Kopfe geredet. Scharfe und volksthümliche Entwicklung der Begriffe ist hier auf das Schönste verbunden mit dem tiefen Gefühl der Frömmigkeit, wie mit dem ernsten Geist der Erweckung und fröhlich glaubenden Zuversicht. Und wer, der nur einmal diesen Katechismus gelesen hat, könnte verkennen, wie unauflöslich mit diesen hohen Vorzügen der kräftige, würdige und doch so einfache Styl verbunden sei. Welch‘ eine treuherzige, verständliche und doch so erhabene Beredsamkeit spricht z. B. aus der ersten Frage: was ist dein einiger Trost im Leben und Sterben? „Daß ich mit Leib und Seele, beide im Leben und Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem theuern Blut für alle meine Sünden vollkommlich bezahlet und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöset hat und also bewahret, daß ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupte fallen kann, ja auch mir Alles zu meiner Seligkeit dienen muß. Darum er mich auch durch seinen heil. Geist des ewigen Lebens versichert und ihm forthin zu leben von Herzen willig und bereit macht.“

Ueber diesen Sorgen für den innern Ausbau der Pfälzischen Kirche, mangelte es nicht an Gelegenheit zu Kämpfen nach Außen, denen sich Ursinus nicht entziehn konnte. Die Aufrichtung des Calvinischen Kirchenthums in der Churpfalz erregte in und außerhalb Deutschlands ein großes Aufsehn. Der Churfürst Friedrich erntete von der einen Seite hohes Lob, von der andern erfuhr er bittern Tadel und heftige Angriffe. Im besondern ließen die lutherisch gesinnten Nachbarfürsten Herzog Christoph von Württemberg, Markgraf Karl von Baden und Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken nicht nach in Bemühungen den Churfürsten von seinen Reformen zurückzubringen. Bei diesem Anlaß kam immer von Neuem die Abendmahlslehre zur Sprache. Um die Angriffe auf die von den Gegnern sehr entstellte reformirte Abendmahlslehre zu widerlegen arbeitete Ursinus im Auftrage des Churfürsten eine seiner berühmtesten Schriften aus, welche 1564 unter dem Titel: „Gründlicher Bericht vom heil. Abendmahl unseres Herrn Jesu Christi, gestellt durch der Universität Heidelberg Theologen“ im Namen der ganzen Fakultät veröffentlicht wurde. Im gleichen Jahre wurde in Gegenwart der beiderseitigen Fürsten von Pfälzischen und Württembergischen Theologen in dem Württembergischen Kloster Maulbronn von 10-15 April ein berühmt gewordenes Religionsgespräch gehalten. Bei dieser ebensowenig erquicklichen, als erfolgreichen Verhandlung war unter den zahlreich anwesenden Pfälzern Ursinus der Hauptwortführer gegen den Tübinger Kanzler Jak. Andreä. Als im Jahre 1573 von demselben Andreä den Pfälzischen Theologen der Vorwurf entgegengeschleudert wurde: sie verträten in ihrer Glaubenslehre die Gräuel des Muhammedanismus und die Dogmen des Alkoran, so wurde 1574 das „Bekenntniß der Theologen und Kirchendiener zu Heidelberg von dem einigen wahren Gott in drei Personen, den zwei Naturen in der einigen Person Christi und dem heiligen Abendmahl unseres Herrn Jesu Christi“ veröffentlicht. In meisterhafter Klarheit und Schärfe werden die hier genannten Lehrpunkte entwickelt und begründet und am Schluß ein kurzer Inbegriff der reformirten Abendmahlslehre hinzugefügt. Auch an dieser Arbeit war Ursinus‘ Antheil jedenfalls ein sehr beträchtlicher, ja sie wird ihm wohl ganz zugeschrieben.

Zu diesen Kämpfen nach Außen kamen innere Kämpfe in der Pfälzischen Kirche selbst.

Der Heidelberger Katechismus charakterisiert sich als treuer Ausdruck der Calvinischen Reformation auch durch die in Fr. 82-85 niedergelegten Grundsätze über die Notwendigkeit einer von Gemeinde-Presbyterien zu übenden Kirchenzucht und speciell der Ausschließung Unwürdiger vom heil. Abendmahl. Schon frühzeitig hatte sich Olevian über diese wichtige Einrichtung Calvins Rath erbeten und ihn erhalten. Nicht minder war es dem Churfürsten voller Ernst mit der Einführung dahin zielender presbyterialer Einrichtungen in der Kirche seines Landes. Nur war die praktische Verwirklichung dieses Gedankens bei der engen Verbindung zwischen Staat und Kirche in der Pfalz nicht ohne große Schwierigkeiten. Die unter Schutz und Pflege des Staates gegründeten reformirten Kirchen in der deutschen Schweiz hatten unter dem Einfluß dieser Thatsachen, ähnlich wie die lutherischen Kirchen Deutschlands, in Betreff des Verhältnisses zum Staat andere Grundsätze angenommen und in andere Gewöhnungen sich hineingelebt, als die Kirchen in Frankreich und den Niederlanden, welche unter Druck und Verfolgung von Seiten der Staatsgewalt entstanden waren. Letztere waren nicht gewöhnt von der Staatsgewalt Förderungen zu begehren, aber eben so wenig Einwirkungen auf ihr inneres Leben zu dulden. Sie suchten vielmehr eifrig ihre körperschaftliche Unabhängigkeit in kirchlichen Dingen sich zu wahren, und empfanden deshalb nichts so lebhaft, als das Bedürfniß einer ernsten, nicht von der Staatspolizei, sondern von den eignen Organen der Kirche zu übenden Zucht über ihre Glieder. Diese Zucht galt ihnen als einzig feste Grundlage ihrer innern Einheit und diese als unerläßliche Grundbedingung ihrer Gemeindefreiheit und Selbstregierung. Die Wirkungen dieser Verschiedenheit, schon in der Schweiz hervorgetreten, zeigten sich auch in der Pfalz. Olevian und mit ihm vornehmlich die in der Pfalz angesiedelten ausländischen Calvinisten drangen auf Einrichtungen im Einklang mit dem Katechismus; eine andere Partei, an ihrer Spitze Thom. Erastus, Professor der Medicin, ein geborener Schweizer, erklärten sich heftig gegen die Zuchtübung der Kirche und verfochten die in der Schweiz und Deutschland einheimische Gewöhnung. Die Einzelheiten des heftigen Streites, welcher darüber seit 1568 zum Ausbruch kam, können hier nicht erzählt werden. Genug: der Sache lag zu Grund jener tiefere Gegensatz zwischen einem Staatskirchenthum und einem Freikirchenthum, der später noch öfters im Schoß der reformirten Gemeinschaft hervorgetreten ist. Erastus hatte gehofft, Ursinus als einen gebornen Deutschen in diesem Streit auf seine Seite herüberzuziehn. Allein vergeblich; denn Ursinus verfocht standhaft die Grundsätze seines Katechismus. Es war nicht die Art des Mannes, der einst als Jüngling eine ehrenvolle Laufbahn in Breslau willig seinen Ueberzeugungen zum Opfer gebracht hatte, in reiferem Alter zuerst in Büchern von einer Sache große Worte zu machen und dann dennoch dieselbe tatsächlich zu verleugnen. Er bekannte freimüthig: „wenn kein Dorf, keine Stadt ohne Disciplin, Gesetze und Strafen bestehn kann, so bedarf gewiß auch die Kirche, welche das Haus des lebendigen Gottes ist, ihrer eigenthümlichen geistlichen Verfassung und Disciplin, wenn dieselbe gleich von der staatlichen sehr verschieden ist.“ An dieser Ueberzeugung machte ihn weder das Geschrei gegen den „Hierarchen“ Olevian, noch die spitzen Reden gegen die „Fremden“, noch die Ungunst irre, in welche er mit Olevian und den Fremden bei der der Disciplin abgeneigten Heidelberger Bürgerschaft so wie bei vielen Gelehrten, Hofleuten und Beamten gerieth, zumal unter den Personen, welche Erasts Partei nahmen, der Natur der Sache nach viele Leute von zweideutigem und – wie sich später erwies – lockerem Charakter sich befanden. Erastus aber wußte Ursins Ueberzeugungstreue und Charakterfestigkeit so wenig zu würdigen, daß er denselben geradezu eines „wahnsinnigen“ Verhaltens in dieser Sache beschuldigte.

Indessen war Ursinus von Natur schüchtern, ängstlich und weichen Gemüths. Deßhalb hatten die unablässigen theologischen Fehden je länger desto mehr für ihn etwas tief Verletzendes. Besonders das Maulbronner Gespräch hatte einen überaus schmerzlichen Eindruck in seiner Seele zurückgelassen. Daher zog er sich von dergleichen so viel nur immer möglich zurück und lebte seinen ‚ akademischen Beschäftigungen. Aber auch hier war er bei kärglichem Einkommen über die Maßen überbürdet, besonders dadurch, daß ihm neben Lehre und Disciplin auch die Geschäfte der äußern Verwaltung des Instituts oblagen. Er fühlte daher bald seine Kräfte abnehmen. Körperleiden und Schlaflosigkeit singen an sich einzustellen; mehr und mehr lagerte sich eine düstere Hypochondrie über das edle Gemüth. Er sehnte sich danach von dem Sapienzkollegium, das er mitunter seine „Tretmühle“ oder „Marterkammer“ nennt, an eine ruhigere Stelle versetzt zu werden. Ein Ruf von Bern an die theologische Schule zu Lausanne schien ihm 1571 die ersehnte Erleichterung zu bringen; allein zweimal lehnte der Churfürst Ursins Entlassungsgesuch ab und wider den Willen des Fürsten wollte er nicht scheiden. Er fügte sich also gottergeben in die Lage der Dinge, in welcher ihm jedoch seitdem Erleichterungen, auch Verbesserung seines spärlichen Einkommens, wenigstens versprochen wurden. Noch war Ursinus nicht in die Ehe getreten, besonders aus Gründen seiner Kränklichkeit. Erst im Sommer 1574 verband ihn eine glückliche Wahl mit Margaretha Trautwein, an welcher er eine treue Ehegenossin und liebevolle Pflegerin fand und von der ihm ein Sohn geboren wurde.

Aber noch brachen über den treuen Zeugen der Wahrheit schwere Stürme herein, wie er sie längst ahnend vorausgesehen hatte.

Am 26. October 1576 starb Churfürst Friedrich III. und ihm folgte in der Churwürde sein Sohn Ludwig VI. Der neue Regent war ein eifriger Lutheraner und keineswegs gesonnen die ihm widerwärtigen Schöpfungen seines Vaters zu achten, ja auch nur zu dulden. Vielmehr ging sein ganzer Sinn auf eine Umwälzung der bestehenden reformirten Ordnung zu Gunsten des Lutherthums. Mit der größten Schonungslosigkeit und Härte setzte er sofort sein Vorhaben in’s Werk. Alle Gesuche der Geistlichkeit, der Universität, so wie des Rathes und der Zünfte in Heidelberg, sie bei freier Ausübung ihres Glaubens zu belassen, blieben vergeblich. Die Gotteshäuser wurden den Reformirten entzogen, der reformirte Kirchenrath aufgelöst und ein lutherischer an dessen Stelle gesetzt, die theologische Facultät aus einander gesprengt und gemäß diesen Maßregeln auch gegen Prediger und Lehrer im ganzen Lande verfahren, sofern sie nicht zum lutherischen Bekenntniß übertreten wollten. In Folge dessen wurden in Kurzem über 600 Prediger und Schullehrer um ihres Glaubens willen von ihren Stellen vertrieben. Mit tiefer Betrübniß richtete sich Ursins Blick auf den Schauplatz der Zerstörung jener Schöpfungen, für die er bisher mit so vieler Liebe und Hingebung gearbeitet hatte. Nur einen Beschützer fand das reformirte Bekenntniß innerhalb der Pfälzischen Lande um jene Zeit noch in Friedrichs zweitem Sohne Johann Casimir. Ihm war in der linksrheinischen Pfalz ein kleiner Territorialbesitz mit der Stadt Neustadt zugefallen. Hier sammelte der hochherzige Fürst, soviel es die Mittel erlaubten, einem beträchtlichen Theil der wissenschaftlichen Kräfte, welche durch seinen Bruder von Heidelberg vertrieben worden waren, an einer neugegründeten Lehranstalt. Auch Ursinus gehörte zu denjenigen, welche in Neustadt eine Zufluchtsstätte und seit dem Mai 1578 an dem sogenannten Casimirianum einen neuen Wirkungskreis fanden. Aber auch sein körperliches Leiden und dessen Gefährten Hypochondrie und Melancholie begleiteten ihn nach Neustadt hinüber. Gleichwohl arbeitete Ursinus hier noch fleißig an einer umfassenden Auslegung des Propheten Jesaias und an einer gelehrten Erläuterung des Heidelberger Katechismus. Selbst den Boden confessionellen Streits mußte er hier noch einmal betreten. Auf lutherischer Seite war die sogenannte Concordienformel und damit der letzte Scheidebrief gegen die Reformirten aufgestellt worden. Ursinus wurde die leidige Arbeit übertragen, in der „Christlichen Erinnerung vom Concordienbuch“ den reformirten Lehrbegriff noch ein letztes Mal gegen die Anfechtungen und Entstellungen der Lutheraner zu vertheidigen. Die Abfassung dieser Schrift war der letzte bedeutende Akt der öffentlichen Wirksamkeit Ursins. Ausgangs 1582 waren alle seine Krankheiten mit erneuerter Heftigkeit wieder aufgetreten. Die sorgfältigste Behandlung, die treueste Pflege zeigten sich nicht mehr vermögend ihn zu erhalten. Er brach unter seiner Arbeitslast, die er fast bis zur letzten Stunde trug, recht eigentlich zusammen. Am 6. März 1583 Abends sechs Uhr rief ihn der Herr aus der streitenden Kirche in die triumphierende hinüber. Franz Junius, sein College und Tröster auf dem Krankenlager, kann die Glaubensfreudigkeit, womit er aus der Welt schied, nicht herrlich genug schildern. In dem Gotteshause zu Neustadt haben seine Gebeine ihre Ruhestätte gefunden. Die dankbare reformirte Kirche nennt ihn in der Grabschrift mit sehr einfachen, aber wahren Worten „einen großen Theologen, einen Besieger der Irrlehren von der Person und dem Abendmahl Christi, begabt mit kräftigem Wort und Feder, einen scharfsinnigen Philosophen, einen weisen Mann und strengen Lehrer der Jugend.“

Hundeshagen in Heidelberg, später in Bonn

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

 

Samuel Urlsperger

 Hofprediger in Stuttgart.

(Geb. 31. August 1685, gest. am 20. April 1772).

„Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir.“ (Apgsch. 18, 9.)

Samuel Urlsperger wurde am 31. August 1685 zu Kirchheim unter Teck geboren. sein ältester Bruder Esaias Matthäus unterrichtete ihn so, daß er vom Jahre 1699 an die gelehrten Schulen durchmachen, und schon 1705 im Stift zu Tübingen Magister werden konnte. Der Herzog von Württemberg ließ den begabten Jüngling nach Vollendung seine Studien gelehrte Reisen in’s Ausland machen. In dem kalten Winter des Jahres 1709 reiste er über Jena, Halle und Leipzig nach Holland. Das Schiff, das ihn nach England bringen sollte, wurde durch einen heftigen Sturm im Kanal wieder an die holländische Küste zurückgeworfen. In dieser Lebensgefahr mitten in den tobenden Wellen fühlte er sich mächtig zu dem lebendigen Gott hingezogen, und klammerte sich fest an diesem Felsen an. er blieb nun eine Zeit lang in Utrecht, bis er in der Einladung eines Schiffsgefährten, des Hofpredigers Böhm, in der lutherischen Savoy-Kirche und in der Kapelle zu St. James zu London zu predigen, einen Wink Gottes sah, England zu besuchen. Zwei Jahre hielt er sich in England auf, und gewann sich große Achtung bei geistlichen und weltlichen Personen. Im Jahre 1712 trat er seine Rückreise über Hamburg, Hannover und Berlin an. Er lernte hier den frommen Baron von Canstein, den Gründer hallischen Bibelanstalt, zu seinem Segen kennen. In Halle war es besonders August Hermann Francke, zu dem er sich hingezogen fühlte. Ins Vaterland zurückgekehrt, wurde er Vikarius, aber schon im Jahre 1713 erhielt er die Pfarrei Stetten im Remsthale. Kaum hatte er sich mit Jakobine Sophie von Jägersberg verheirathet, so wurde er auf Veranlassung der berüchtigten Mätresse des Herzogs, von Grävenitz, als Hofkaplan nach Stuttgart berufen, und im Jahre 1715 war er schon Oberhofprediger und Consistorialrath. Das schien kein gutes Zeugniß für ihn zu seyn; denn an dem Hofe des Herzogs Eberhard Ludwig war eine heillose Wirthschaft. Menschenfurcht und Menschengunst lähmte die Zunge des jungen Oberhofpredigers. Zwar verkündigte er die lautere evangelische Wahrheit; er war auch recht thätig für die Mission, aber er berührte gar nicht die Sünden des Hofes, wie der gewaltige Zeuge Christi, Hedinger, es gethan hatte. Im Jahre 1717 kam Francke nach Stuttgart, welcher von seiner Menschenfurcht gehört hatte. Vor Allem ging er in die Predigt Urlsperger’s, um sich selbst zu überzeugen, ob jenes sich wirklich so verhielte. Er fand es so. Voll Schmerz ging er nach der Predigt zu seinem Freunde. „Ich höre, Bruder, redete er ihn mit hohem Ernste an, daß deine Vorträge evangelisch sind, aber die Sünden deines Hofes berührst Du mit keinem Wort. Ich komme also, dir im Namen Gottes zu sagen, daß du ein stummer Hund bist; und wenn du nicht umkehrst, und als öffentlicher Lehrer die Wahrheit frei heraussagst, so gehst du verloren, trotz aller deiner Erkenntniß.“ Das Wort des treuen, väterlichen Freundes machte einen tiefen Eindruck auf Urlsperger.

Am Charfreitage 1718 spürte der Herzog die Macht der verkündigten Wahrheit. Aber sie diente nicht zu seiner Demüthigung und Besserung; sondern er ließ seinem Hofprediger sagen, er habe im Sinne gehabt, ihn von der Kanzel herunter zu schießen. Am nächsten Sonntage solle er wiederrufen; widrigenfalls klage er beim Reichskammergericht, und er würde, weil ein Majestätsverbrechen vorliege, zum Tode verurtheilt werden. Aber Urlsperger erklärte, er könne nicht widerrufen, und müsse es Sr. Durchlaucht überlassen, zu handeln, wie sie für gut fände. Darauf wurde er gefangen genommen, und Anstalt zu seiner Verurtheilung getroffen. Es wurde ihm für die nächste Woche der Todestag bestimmt. Da ließ er seine Frau und vier Kinder zu sich kommen. „Was sagt ihr dazu?“ fragt er sie. „Lieber Mann, antwortete die Frau, dein Tod wird mich und die Kinder in das größte, leibliche Elend stürzen; ich bitte dich aber um Gottes willen, verläugne die Wahrheit nicht, sonst bliebe der Fluch auf mir und meinen Kindern liegen.“ Dadurch getröstet ließ er dem Herzog sagen, „kein Kopf stehe im alle Tage zu Dienst.“ Als aber der Herzog das Todesurtheil seinem Minister von Schütz zur Unterschrift vorlegte, übergab dieser ihm Amt und Degen mit den Worten: „Ew. Durchlaucht, hier ist mein Amt und meine Ehre, ich unterschreibe keine Blutschulden.“ Seinen Minister wollte er nicht gern verlieren. Er setzte aber den Oberhofprediger ohne allen Gehalt ab, und verbot ihm sogar, auswärtige Dienste zu suchen.

Nach zwei Jahren war der Herzog mit seinem Minister auf der Wachtparade. Urlsperger ging vorüber. „Ew. Durchlaucht hatte, sagte Schütz, so lange dieser Mann noch im Dienste war, Glück und Segen; aber seitdem wir einen Schmeichler hier haben, geht Alles unglücklich. Wollen Sie das Böse wieder gut machen, so suchen Sie ihn wenigstens zu versorgen.“ Dem Herzog ging das Wort zu Herzen, und der berief Urlsperger zum Stadtpfarrer und Dekan von Herrenberg im Jahre 1720. Doch blieb er hier nicht lange. Er hatte auf einer Reise zu Augsburg gepredigt. Diese Predigt und die ganze Persönlichkeit des Mannes hatte solchen Eindruck hinterlassen, daß er nach dem Tode des Seniors und Pfarrers an der St. Annakirche, Renz, an dessen Stelle berufen wurde. Diesen Ruf nahm er im Jahre 1723 an, obschon zu gleicher Zeit ihm Stele seines verstorbenen Freundes, des Hofpredigers Böhm zu London angetragen wurde. In Augsburg wirkte er noch ein halbes Jahrhundert mit großem Segen. Die Mission blieb ihm Herzenssache. Als im Jahre 1730 die um ihres Glaubens willen vertriebenen Salzburger zu Tausenden nach Augsburg kamen, sorgte er auf’s Liebreichste für sie, sammelte aller Orten, empfahl sie dem Könige von Preußen, und wirkte für Anlegung einer Colonie in Pennsylvanien. Er schrieb auch Schriften zum Besten der bedrängten Glaubensgenossen. Seit dem Jahre 1728 hielt er in seinem Hause gesegnete Erbauungsstunden.

Urlsperger mußte als ein rechter Jünger Christi auch durch viele Trübsale hindurchgehn. Sein ältester, hoffnungsvoller Sohn wurde ihm auf der Heimreise zum Vaterhaus durch den Tod hinweggenommen. Der Tod forderte noch mehrere geliebte Glieder seiner Familie; aber er tröstete sich des Worts: „Gott führt es herrlich hinaus!“ Von seinen Söhnen blieb ihm nur ein einziger übrig, sein Amtsgehülfe Johann August, welcher später der Stifter der reichgesegneten Christus-Gesellschaft wurde. Mit großer Treue wirkte er fort für seinen Herrn, und durfte am 31. August 1763 sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum feiern. An diesem Tage liefen von den verschiedensten Gegenden Deutschlands Glückwünschunngsschreiben ein; denn bei Allen, denen die Sache des Herrn am Herzen lag, war sein Name hoch geehrt. Er selbst brachte den Tag auf das Erbaulichste zu. Er sang mit den Seinen das Lied, das er selbst gedichtet hatte: „Lobe, lobe, meine Seele,“ und seine Gebete gingen darauf hin, daß Gott ihn immer treuer in seinem Dienste werden lassen möge, damit, wenn sein letztes Stündlein schnell schlage, er als ein um seine Lenden gegürteter und wachender Knecht erfunden werde. Bis in’s höchste Alter, so lange es seine Leibeskräfte zuließen, wirkte er im Dienste Christi. Zuletzt trat er in den Ruhestand, bis ihn der Herr am 20. April 1772 im Alter von 87 Jahren zu sich rief.

Außer vielen gottseligen Liedern gab er im Jahre 1723 ein köstliches Erbauungsbuch für Kranke und Sterbende heraus, unter dem Titel: Der Kranken Gesundheit und der Sterbenden Leben, welches weithin segensreich wirkte, mehrere Auflagen erlebte, und im Jahre 1857 von Ferd. Riehm zu Ludwigsburg neu aufgelegt worden ist.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

 

Wolfgang von Anhalt

Wolfgang Fürst von Anhalt

Fünf deutsche Reichsfürsten waren es, die im Juni 1530 zugleich mit zwei Reichsstädten die Augsburgische Confession unterzeichnet hatten. Der Fünfte unter jenen Reichsfürsten, welche Gut und Blut für das Bekenntniß des evangelischen Glaubens einsetzten, ist Wolfgang, Fürst zu Anhalt, aus dem altberühmten Geschlechte der Grafen von Asanien, Stammverwandter und Zeitgenosse jenes Fürsten Georg des Gottseligen, der als Landesherr zugleich evangelischer Prediger war und das Bisthum zu Merseburg verwaltete.

Fürst Wolfgang ist am 1. August 1492 zu Köthen geboren: sein Vater, Fürst Woldemar, ist früh (1508) verstorben, seine Mutter Margarethe, Tochter eines Grafen Günther zu Schwarzburg, hat bis zum Jahre 1539 gelebt. Frömmigkeit und Tapferkeit waren in dem Anhaltischen Fürstenhause erbliche Tugenden: er hörte in seiner Jugend von den Kriegsthaten seiner Vettern im kaiserlichen Heere in Italien: er sah in seiner Nähe die Beispiele andächtiger Kirchlichkeit in seiner Muhme Scholastica, Aebtissin des Stiftes zu Gernrode, und seinen Vettern Wilhelm und Adolf, von welchen der Erstere allen fürstlichen Ehren entsagt hatte und in der Kutte des Bettelmönchs als Bruder Ludwig durch die Straßen der Stadt Magdeburg wandelte, der Letztere aber als Bischof zu Merseburg starb und bei vieler Einsicht in die Gebrechen der Kirche doch nie dazu gelangte, sich mit Luthers kühnen Schritten verständigen zu können. Fürst Wolfgang war der Erste aus dem Hause Anhalt, der sich für Luthers Sache entschied, und nach und nach folgten ihm in dieser Richtung sämmtliche jüngere Glieder der Familie. Die Scheidung zwischen dem jüngern Geschlecht, welches sich dem neu hervorbrechenden Lichte des Evangeliums zuwendete, und zwischen den Aelteren, die im Gehorsam der römischen Kirche blieben, war unvermeidlich. Doch brachte die Glaubenstrennung hier nicht einen solchen Riß hervor, wie in dem Sächsischen Fürstenhause, und dieß mag wohl vorzüglich dem milden freundlichen Sinne Wolfgangs zuzuschreiben sein, der versöhnend wirkte, ohne seiner Entschiedenheit Abbruch zu thun.

Schon als Knabe von acht Jahren (1500) wurde er zu seiner Ausbildung nach Leipzig gesendet und kaum hatte er das sechzehnte Jahr zurückgelegt, so wurde er durch seines Vaters frühen Tod (1508) zur Regierung der ihm zugefallenen Landestheile, Köthen, Ballenstädt, Sandersleben, halb Bernburg und halb Jerbst berufen. Sein einziger Bruder Woldemar war als Kind gestorben: von seinen beiden Schwestern verheirathete sich die jüngere Barbara, wie er selbst noch ein Knabe war (1503), während die ältere Margarethe zehn Jahre später (1513) dem verwitweten Herzog zu Sachsen Johann dem Beständigen, nachmaligem Kurfürsten, ihre Hand reichte. Wolfgang aber hat zwar mancher fürstlichen Braut beim Einzug in ihre neue Heimath das Ehrengeleite gegeben, ist aber selbst nie in die Ehe getreten.

Er war ein Fürst von ansehnlicher Statur, ausgezeichnet durch Gewandtheit und Leibesstärke, in allen ritterlichen Uebungen trefflich geübt, dabei heiter und lebenslustig in seiner Jugend. Das Ritterthum, das vor seinem Absterben am Hofe des Kaiser Maximilian I. noch seine letzten Blüthen trieb, wurde von ihm geliebt und gepflegt, und er hat manche Lanze im Turnier eingelegt, bevor im Mannesalter ernstere Kämpfe sein Herz bewegten. Noch im Frühjahr 1521 auf dem Reichstage zu Worms, wo er vom jungen Kaiser Karl V. die Belehnung mit seinen Erblanden dem Herkommen gemäß empfing, ließ er sich mit dem Herzog Heinrich von Braunschweig in einem Turnierrennen sehen, worin beide Fürsten so, unsanft auf den Sand gesetzt wurden, daß ihnen das Blut aus Mund und Ohren drang. Noch als siebzigjähriger Greis saß er kräftig mit ritterlichem Anstand zu Pferde. Aber bei aller Munterkeit war er doch schon in jüngern Jahren für ernstere Betrachtungen empfänglich und als sein Vetter Adolf ihm als Knabe die Frage vorgelegt hatte, ob er wohl gedächte in den Himmel zu kommen, erwiderte er eben so offenherzig als vernünftig: „Ja traun! aber, ob Gott will, zur Zeit noch nicht! für den Himmel bin ich getauft; ich hoffe aber noch eine Zeit lang hier auf Erden zu bleiben und darnach ewig bei Gott zu bleiben.“ Nachhaltiger als jene Frage wirkte auf ihn die überraschende Entschließung eines Freiherrn von Sternberg, der am Hofe zu Weimar einer großen Festlichkeit mit Turnier und Tanz und allerhand Pracht und Genuß beigewohnt hatte. Aber als er am andern Morgen Saal und Rennbahn verödet und wüste gefunden, war er von einem so tiefen Gefühl der Nichtigkeit aller vergänglichen Lust übernommen worden, daß er den Entschluß faßte, der Welt zu entsagen, und sogleich zu einem Kloster in Arnstadt ritt, sein Pferd einem Diener überließ und die Mönchskutte anlegte. Dieses Ereigniß hat Fürst Wolfgang öfters erwähnt und noch im Alter fast nicht ohne Thränen erzählen können. Ebenso unvergeßlich war ihm eine Aeußerung seines Schwagers, des Herzogs Johann von Sachsen, der bei Erwähnung der glänzenden Feste, an welchen er in seiner Jugend am Hofe des Kaisers Maximilian Theil genommen, allezeit die Rede geführt: „Er wüßte mit Wahrheit zu sagen, daß Keiner jener Freudentage ihm ohne ein tiefes Gefühl von Traurigkeit verflossen wäre.“ Wolfgang selbst ging mehrere Jahre lang mit dem Gedanken um, in seiner Residenzstadt Köthen ein Kloster anzulegen, hatte auch schon die päbstliche Bewilligung dazu erlangt, als die neuen Bewegungen der Kirche sein Gemüth auf andre Bahnen führten, wo er mitten in der Welt den Frieden in Christo finden sollte, den auch kein Kloster geben kann. Im Jahre 1510 soll er auch in Rom gewesen sein.

Zwar fehlt uns noch eine urkundliche Geschichte seines Lebens, aus welcher wir eine genaue Nachricht von der Entwickelung seines Glaubens schöpfen könnten. Aber das ist unzweifelhaft, daß er früh in dem benachbarten Anhaltischen Lande von Luthers Person und Wirken in Wittenberg Kenntniß nehmen konnte und seit dem Jahre 1517 von allen Fortschritten der sächsischen Reformation genau unterrichtet war. Denn sein Oheim Fürst Adolf war als Bischof von Merseburg schon amtlich genöthigt, den Gang der Ereignisse, die sein Bisthum, zu welchem auch die Stadt Leipzig gehörte, so nahe berührten, zu überwachen. Fürst Adolf war ein frommer Herr, der die Schäden der Kirche zum Theil kannte und beklagte: er schätzte auch Luthers große Gaben und tiefe Erkenntniß der heiligen Schrift, nahm aber Anstoß an dessen heftigen Streitschriften und besonders an seinen Angriffen gegen das Pabstthum, hatte deshalb auch im Jahre 1519 die Veranstaltung der Leipziger Disputation als kirchengefährlich zu hindern versucht und im Februar 1520 ein versöhnliches Schreiben Luthers zwar achtungsvoll, aber doch mit entschiedenem Tadel seines Verfahrens beantwortet. Das Urtheil dieses Verwandten, eines so würdigen Bischofs, mußte den jungen Fürsten Wolfgang vorsichtig machen, bis er selbst durch eigne Anschauung sich ein unabhängiges Urtheil bilden konnte. Dieß geschah, als er im April 1521 den Mann Gottes auf dem Reichstag zu Worms sah und hörte. Von dieser Zeit an war sein Herz für Luther entschieden; doch hütete er sich vor übereilten Schritten und begünstigte erst nur im Stillen, was von erweckten Bürgern der Stadt Zerbst ausging. Diese veranstalteten, daß am 18. Mai 1522 Luther in Zerbst predigte und bald darauf ein Wittenberger Lector, ein Schüler Luthers, als Prediger an der Kirche der Barfüßer angestellt wurde: sein Name war Johann Luckow. Vom Jahre 1525 an trat Fürst Wolfgang entschieden mit seinem Bekenntnisse hervor und schloß sich dann auch im folgenden Jahre dem erneuerten Vertheidigungsbündniß zwischen dem Kurfürsten Johann von Sachsen und dem Landgrafen Philipp von Hessen an. Im Jahre 1529 unterzeichnete er zu Speier die Protestation der evangelischen Reichsstände, 1530 die Augsburgische Confession und 1531 die Urkunde des Schmalkaldischen Bundes.

Jetzt stand er mit festem Glauben in den vordersten Reihen der evangelischen Bekenner und war entschlossen, Land und Leute, auch Leib und Leben für das Evangelium zu lassen. Als auf dem Reichstag zu Augsburg die Evangelischen hart bedrängt wurden, erklärte er freimüthig: „Er wolle lieber Land und Leute verlieren und an einem Stecken davon gehen, denn daß er sollte eine andre Lehre annehmen und dulden.“ Auch stand er dem Markgrafen Georg von Brandenburg zur Seite, als dieser dem Kaiser seinen Kopf darbot, lieber zu sterben als das Evangelium zu verleugnen. Bei den Verhandlungen über die Unterzeichnung der Augsburgischen Confession rief er aus: „Ich habe manchen schönen Ritt andern Leuten zu Gefallen gethan: warum sollte ich denn nicht, wenns noth wäre, auch meinem Herrn und Erlöser Christo Jesu zu Ehren und Gehorsam mein Pferd satteln und mit Dransetzung meines Leibes und Lebens zu dem ewigen Ehrenkränzlein im himmlischen Leben eilen.“ Seiner Mutter schrieb er damals: „Ich hoffe zu Gott, Er wird sein göttliches Wort wohl erhalten, obs gleich dem Teufel und aller Welt leid ist.“ Und weiter: „Der Teufel hat jetzt viel zu schaffen; aber wir haben einen Trost, daß Gott sein Herr und Meister ist, der wird ihm seine Anschläge wohl zu Trümmern stoßen.“

Beim Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges hielt Wolfgang treulich zu dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und zog sich dadurch die Reichsacht zu, welche der Kaiser Karl V. am 12. Januar 1547 über ihn aussprach. Dieß konnte ihm im Anfang bei den überlegenen Streitkräften der Verbündeten nichts schaden. Aber als nach der unglücklichen Schlacht bei Mühlberg (24. April 1547), wo Johann Friedrich in Gefangenschaft gerieth, Alles verloren war, mußte auch Wolfgang landflüchtig werden und der erzürnte Kaiser vergab seine Lande an einen Spanier, Grafen Sigismund von Ladron. Damals bewährte der treue Bekenner in der schweren Trübsal seine Glaubensstärke und ritt getrost unter dem Gesang „Ein feste Burg ist unser Gott“ durch die Thore seiner Stadt Bernburg, ohne zu wissen, wo er eine sichere Zufluchtsstätte finden würde. Anfangs verbarg er sich verkleidet in einer Mühle, dann für längere Zeit in dem Waldgebirge des Harzes. Es währte mehrere Jahre, ehe des Kaisers Zorn sich milderte, und erst nach dem Passauer Vertrag (1552) erhielt er seine Erblande zurück, nachdem er viele Demüthigungen und schwere Verluste erlitten.

Schöne Zeugnisse von seiner Treue im evangelischen Glauben und Bekenntniß ziehen sich durch sein Leben hindurch. Wir erinnern nur an sein Verhalten in den Jahren 1541, 1557 und 1561. Im Jahre 1541 auf dem Reichstage zu Regensburg wohnte er den Verhandlungen bei, durch welche zwischen den Katholischen und Evangelischen eine Einigung gestiftet werden sollte, um bis zu einem künftigen allgemeinen Concil einstweilen den Friedensstand zwischen beiden Parteien aufrecht zu erhalten: dieß war das sogenannte Regensburger Interim. Hier drohte die Gefahr, daß man um des äußern Friedens willen die Perle der evangelischen Wahrheit unter der Form einer scheinbar fast gleichlautenden Lehre, die sich aber nach Belieben drehen und wenden ließe, preisgäbe. Dazu erbat sich der gewissenhafte Fürst zuvor Luthers Fürbitte: dieser aber stärkte ihn in seiner großartigen Weise durch ein Schreiben vom 12. März und sprach ihm heiligen Muth ein, indem er schloß: „Befehle hiermit Ew. Fürstl. Gnaden dem lieben Gott, in deß Sachen E. F. Gn. ein Legat worden ist: der gebe E. F. Gn. ein Herz, das da fühle und erfahre, daß sie Gottes Legat sind, so wirds fröhlich und getrost sein. Denn das ist auch allezeit mein Trost gewesen bisher, daß ich gewiß bin gewesen, die Sache, so ich führe, nicht mein, sondern Gottes sei; der habe Engel genug, die mir beistehen, oder wo sie mich hier lassen, doch dort und besser empfahen. Amen.“ In diesem Geiste hat sich dann auch der fromme Fürst in Regensburg treu und tapfer bewährt. Im Jahre 1557 war ein evangelisch gesinnter Markgraf von Brandenburg, Namens Sigismund, Verweser des Erzstifts Magdeburg, scheute sich aber aus Menschenfurcht, aus Rücksicht auf den Kaiser, an den Domen zu Magdeburg und zu Halberstadt die päbstlichen Gebräuche abzuschaffen und der evangelischen Predigt freien Lauf zu lassen. Wie dieß der Fürst Wolfgang vernahm, vermahnte er denselben freundlich, Christum zu bekennen vor den Menschen, auf daß ihn Christus wiederum bekennen möchte vor seinem himmlischen Vater. Als aber im Jahre 1561 auf dem Fürstentag zu Naumburg die Augsburgische Confession in veränderter Ausgabe unterzeichnet werden sollte, da schrieb er in gewissenhafter Vorsicht dem Kurfürsten August von Sachsen: „Ich bin erbötig, die Confession, wie sie zu Augsburg kaiserlicher Majestät übergeben und vom Kurfürsten Johannes und andern Fürsten, auch mir, unterschrieben, wiederum zu unterschreiben, doch daß die jetzige der vorigen ganz gemäß, und nichts darin verändert sei. Denn Eure Liebden haben zu bedenken, in was für Leichtfertigkeit und Beschwerung es mir gereichen wollte, wenn ich mich entschließen könnte, eine andere Confession zu unterschreiben, denn wie der kaiserlichen Majestät zu Augsburg übergeben worden.“

In einem Alter von 70 Jahren trat der noch rüstige und ritterliche Fürst sein Erbe an die nächsten Lehnsvettern ab und behielt sich nur einige wenige Besitzungen und Einkünfte vor (1562), nahm sich aber um so mehr der Armen, der Schulen und Kirchen an und nährte seinen Glauben reichlich durch Gottes Wort, welches er so liebte, daß fast nicht ein Tag verging, wo er nicht eine Predigt hörte. Er residierte in dieser Zeit erst in Koswig, später (seit dem Herbst 1564) in Zerbst, wo er die verfallene Bartholomäuskirche durch einen bedeutenden Bau wieder herstellte. „Ich will, ob Gott will, diesen Vogelbauer vollends bauen helfen“, sprach er, „ehe denn ich sterbe: der allmächtige Gott wolle nachher gute Singvögel hinein bescheren.“ Sehr nahe ging ihm zu Anfang des Jahres 1565 der Tod seines Freundes, des Grafen Wolfgang zu Barby, dessen Bestattung er beiwohnte und dessen nachgelassene Söhne er fleißig zur Gottesfurcht und brüderlicher Eintracht vermahnete. „Nun sind sie Alle dahin“, sprach er, „meine lieben alten Freunde, und ich bin allein noch übrig“, und sang sich häufig Luthers Sterbelied: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin.“ Im Mai desselben Jahres besuchte er noch einmal Dresden und erquickte sich bei dem Kurfürsten August von Sachsen: als er die Stadt wieder hinter sich hatte, schlug er gegen sie mit der Hand ein Kreuz und sagte ihr für immer Lebewohl. Sein Wahlspruch war: Christus spes una salutis (Nirgends Heil als in Christo). Im September 1565 überfiel ihn ein heftiges Fieber und in dieser Krankheit hatte er auch im Geiste den Todeskampf zu kämpfen, genas aber wieder. Seitdem bereitete er sich noch mehr zum Heimgang, ließ sein Sterbekleid anfertigen und ordnete Alles genau für sein Begräbniß an. Endlich am 23. März 1566 Sonnabend vor Lätare kurz vor Mitternacht ist er sanft und selig entschlafen und am 27. März im Chore der Bartholomäuskirche in Zerbst beigesetzt worden, wo sein Bildniß mit Grabschrift noch zu sehen ist. Sein Beichtvater, der Pfarrer an der Bartholomäuskirche in Zerbst, Abraham Ulrich aus Cranach in Franken hat ausführlich sein erbauliches Ende beschrieben und seiner frommen Stiftungen gedacht. Er war eine Zierde des Anhaltischen Fürstenhauses, ein Vorbild für evangelische Fürsten. Philipp Melanchthon rühmt von ihm: „Es wird Keiner wiederkommen, der ihm gleich sei im Ansehn bei den Fürsten, in Liebe gegen Kirchen und Schulen, im Eifer Einigkeit zu erhalten und Leib und Leben für den Glauben dran zu setzen.“

  1. E. Schmieder in Wittenberg.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

 

Thomas von Westen

(Gest. am 9. April 1727.)

„Fahret auf die Höhe, und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thut!“ (Luc. 5, 4.)

In der nördlichen Provinz Norwegens, Finnmarken, wohnen die Lappen, oder Finnen. Je nach ihren Wohnsitzen theilen sie sich in Berg-, Strom- oder Seelappen. im Ganzen sind ihrer etwa 11,000 Seelen. Den Kern bilden die Berglappen. Diese schweifen auf ihren Rentieren und Schlitten, Jahr aus, Jahr ein, auf ihren schneeigen Bergen umher, und müssen an die acht Wochen im Jahr des Sonnenlichts entbehren. Die Strom- und Seelappen sind noch tiefer gesunken, als jene, und leben von der Fischerei. Noch bis ins siebenzehnte Jahrhundert hinein behaupteten unter ihnen die Götzen fast ungebrochen ihre Gewalt. Freilich waren hier und da Pfarreien im Lande gegründet, und mehrere Könige von Norwegen und Dänemark hatten befohlen, daß die Lappen das Christenthum annehmen sollten. Zwangsweise ließen sie nun ihre Kinder wohl taufen; aber es war etwas ganz Gewöhnliches, ihnen die Taufe durch ein besonders dazu angestelltes Zauberweib wieder abwaschen zu lassen, und es umzutaufen. Dann trug ein solches Kind zeitlebens einen Ring auf der Brust, zum Zeichen, daß es zu den väterlichen Göttern umgetauft sei. Bequemte sich ein Finne, dem christlichen Gottesdienste beizuwohnen, so opferte er eilend seinem Hauptgötzen, dem Saivo und dem Sarrakka, einen Hund zur Sühne. Wollte er zum Tische des Herrn gehn, so bat er beim ersten besten Bach seine Götzen um Verzeihung. Die Hostien behielten sie im Munde, nahmen sie nach der Feier heraus, hefteten sie an eine Mauer, und durchschossen sie mit einer Kugel. Das Blut, welches angeblich herausfloß, wurde im Laufe der Büchse aufgefangen, und nun traf jeder Schuß. Im Jahre 1658 machte sich der von den Schweden vertriebene evangelische Bischof Erich Bredul auf, und predigte in den Finnmarken Christum, den Gekreuzigten. Aber seine Stimme verhallte wie die eines Predigers in der Wüste; denn nach seinem Tode fand sich Niemand, der sein Werk fortsetzte. Erst im Jahre 1703 erweckte Gott den Lappen einen neuen Boten des Evangeliums. Das war der Schullehrer Isaak Olsen. Dieser schlichte Mann arbeitete vierzehn Jahre hindurch mit treuer Hingabe an den Seelen seiner Finnenkinder, die er sich auf seinen Reisen mühsam zusammenbetteln mußte. Es waren aber nur einzelne Garben, die er einsammeln konnte; jedoch durch ihn wurde König Friedrichs IV. thätige Liebe zu den Finnen erweckt. Und der gute Hirte machte sich auf, und zeigte ihm den Mann, den er sich zu seinem Werke ausgerüstet hatte.

Thomas von Westen ist im Jahre 1682 zu Drontheim geboren. Von Jugend auf übte ihn Gott in der Schule der Noth und der Selbstverleugnung. Sein Vater hatte zehn Kinder zu versorgen, und wollte ihn nicht studieren lassen. Aber der Knabe war nicht von den Büchern fortzubringen. Und eines Tages fand man ihn im Heuschober versteckt, ein lateinisches Vokalbuch in der Hand. Endlich ergab sich sein Vater; aber er sollte nun nach dessen Willen Medicin studieren, und er wäre so gern ein Prediger geworden. Schon hatte er seine medicinischen Studien beendet, und wollte zum Doktor promovieren; da starb sein Vater. Wäre seine Neigung zur Theologie nicht so groß gewesen, so würde sie die Probe, die er jetzt durchmachen mußte, nicht bestanden haben. Er mußte sehr kümmerlich leben, hatte nur einen Tag um den andern die bescheidenste Kost zu essen, und bewohnte mit einem Freunde, der eben so arm war, wie er, Ein Zimmer. Beide zusammen hatten nur Einen Anzug; wenn der Eine ausging, mußte der Andere zu Hause bleiben. Als er seine Studien vollendet hatte, berief ihn Peter der Große zum Professor nach Moskau. Friedrich IV. aber machte ihn zu seinem Bibliothekar, vorerst ohne Gehalt. Drei Jahre blieb von Westen auf diesem Posten. Eine fromme Witwe speiste und kleidete ihn, und in ihr fand er die ihm von Gott geschaffene Lebensgefährtin. Im Jahre 1710 wurde er zum Pfarrer nach Wedonn, im Stifte Drontheim, berufen. Auch diesen Weg sollte er unter schweren, äußeren Nöthen antreten. Die ganze Habe seiner Frau und seine Büchersammlung ging in einem Schiffbruch verloren; die älteste seiner beiden Stieftöchter fand in den Wellen ihr Grab. Dies war der Schluß seiner Vorbereitung zum Pfarrer.

In der evangelischen Kirche Norwegens sah es damals traurig aus. Unter den 5 – 6000 Seelen der Gemeinde des von Westen fanden sich eine Bibel und zwei oder drei Gesangbücher. Westen und sechs andre Geistliche, eng mit ihm verbundene Freunde, schildern in einem Briefe an den dänischen König den trostlosen Zustand der Kirche folgendermaßen: „Die Wege Zions in diesem Reich liegen ganz öde. Es ist keine Kirchenzucht mehr in diesem Lande; der Bindeschlüssel ist ganz vergraben, der Löseschlüssel ganz gemißbraucht, die Kanzel leider meistentheils ohne Furcht, der Beichtstuhl mehr zur Förderung des Reichs des Bösen, als zur Abschaffung der Sünden. Hurerei hat so überhand genommen, daß die Wächter des Heiligthums täglich Sodoms Strafe über dieses Land befürchten müssen. Trunkenheit ist keine Sünde mehr, Zank und Neid zur Sitte geworden, falsch Gewicht und Maß hält man für erlaubten Gewinn, Unwissenheit in Sachen der Seligkeit für den wahren Glauben, Fluchen und Schwören sind die gewöhnliche Sprache, Sabbathschänderei eine gleichgültige Sache…Wenige Kinder Gottes ausgenommen, so ist kein Unterschied zwischen uns und unsern heidnischen Vorfahren, als der bloße Name „Christen.“ Diese sieben Männer waren hell leuchtende Sterne, – man nannte sie auch das Siebengestirn, – und damals vom Herrn zu einem Salz der norwegischen Kirche bestimmt. Der hellste Stern unter ihnen war von Westen. Ohne Menschenfurcht erhob er für seinen Herrn und Meister seine Stimme, deckte Armen und Reichen, Vornehmen und Geringen, ihre Sünden auf, strafte im Namen Gottes die ganze Kirche, und lud mit dringendem Mahnen alle Sünder zum Kreuze Jesu Christi. Die Feindschaft der Welt erwachte bald. Spott und Schmach war der Lohn des treuen Hirten; ja, seine Gemeinde ging in ihrem Kampfe gegen Gott so weit, daß sie beim Könige auf seine Amtsentsetzung antrug. Wie Westen wirkten auch seine Freunde; wie er, mußten auch sie Verachtung und Hohn einärnten. Die Sieben standen aber in der Kraft Gottes unerschütterlich. Sie wandten sich in einem Briefe, als dem wir oben Einiges mitgetheilt haben, an den König um Hülfe. Dadurch mehrte sich der Ingrimm der Feinde. Bischof Krog von Drontheim wurde der erbitterte Feind des Siebengestirns. Mancher der Brüder fing an, zu zittern; von Westen stand ohne Furcht. „Ist es denn unsere Sache, sagte er, unsere Ehre, die wir verfechten? ist es nicht die Sache Jesu, für die wir streiten? Sollen wir denn der Verspottung seines Reichs und seiner theuren Wahrheit zusehen, ohne darüber zu klagen? Und wer soll klagen, wenn nicht seine eignen Diener? Und wem soll’s geklagt werden, wenn nicht seinem Gesalbten?“ Und ihre Klage verhallte nicht in den edlen Königsherzen, und bei seiner frommen Gemahlin, der Königin Luise. Die schreiendsten Nothstände wurden gehoben, sodaß von Westen an seinen Freund Engelhardt, einen aus dem Siebengestirne, schreiben konnte: „Ein Purimsfest müsse man halten!“

Während so die Kirche in Norwegen eine gnädige Heimsuchung des treuen Gottes erlebte, erhielt im Jahre 1715 das Missionscollegium in Kopenhagen die Weisung vom Könige, an die Finnische Mission Hand anzulegen. Die Königl. Worte sind hellsuchende Edelsteine, und dürfen hier nicht fehlen: „Nachdem die göttliche Vorsehung und Liebe uns eine Neigung geschenkt hat, unsere Unterthanen in den Finn. und Lappmarken, die noch in Blindheit und Unwissen von Gott leben, zur seligmachenden Erkenntniß zu führen; so versehen wir uns zu euch, daß ihr dies große Werk mit allem Fleiß und Eifer euch wolltet angelegen sein lassen, ob und Gott vielleicht Gnaden geben möchte, sowie wir es von seiner Barmherzigkeit hoffen, unsere große Sehnsucht und herzliches Verlangen nach der Bekehrung dieser Armen und Erfüllung gehn zu sehen.“ Das Missionscollegium erkannte, daß das Gelingen der Mission davon abhinge, daß man einen Mann fände, den Gott selbst zum Missionar zubereitet hätte. Ein solcher Mann war von Westen, das sahen Alle, die geistliche Augen hatten. Er wurde am 28. Februar 1716 zum Rektor des Kapitels Drontheim, und am 14. März zum Vikar und Bevollmächtigten des Missionscollegiums ernannt. In den Augen der Welt war es freilich eine Thorheit, daß er eine einträgliche Stelle und alle Bequemlichkeit des Lebens aufgab, um die Mühen und Gefahren eines Boten Christi zu übernehmen. Aber von Westen nahm sogleich den Ruf an. „Die frommen Herren schreiben, antwortete er dem Collegium, sie zweifeln nicht an meinem Eifer und meiner Treue; allein ich zweifle gar sehr an mir selbst, verlasse mich aber auf Gott, der das, was schwach ist vor der Welt, erwählet, auf daß er zu Schanden mache, was stark ist. Und nun in Jesu Namen! Ich berathe mich nicht lange mit Fleisch und Blut, sondern mache mich gleich künftigen Montag reisefertig, da ich dann auch mit aller Treue, so weit Gott einem gebrechlichen Menschen Gnade schenkt, die übrigen Punkte der Instruktion erfüllen werde!“ Nur Eins machte ihm das Herz schwer: die Sorge für seine Gemeinde, daß sie nicht wieder in die Hände eines Miethlings gerathe. Er schrieb an den König: „Habe ich Gnade gefunden vor den Augen Ew. Majestät, möge dann mein Angesicht nicht beschämt werden! Ich reise von meinen Schafen, und verlasse eine Gemeinde, gegen die mein Herz ausgebreitet war, und das ihrige gegen mich. Sie stehen um mich her mit Weinen, die Hände ausstreckend, wie die Jünger zu Cäsarea. Kaum erlaubt mir ihr Heulen, diese unterthänigen Zeilen an meinen König zu schreiben. Mit Thränen und inniger Betrübniß des Geistes schreibe ich, und könnte ich mit einem guten Gewissen dem Rufe Gottes mich entziehen, so bliebe ich noch hier. Aber die Liebe Christi dringt mich, und meine liebe gegen meinen König überwindet mich.“ – Das war dieselbe Gemeinde, die noch vor sechs Jahren gegen ihn tobte, und ihn gern verjagt hätte; jetzt bot sie dem Könige die Hälfte des Vermögens aller Einwohner an, wenn sie nur ihren lieben Seelsorger behalten dürfe. Zu seinem und ihrem Troste wurde Engelhardt zu seinem Nachfolger ernannt. Kaum war von Westen in Drontheim angekommen, so zog er sogleich unter die Lappen. Am 20. Mai 1716 segelte er mit Kjeld, Stub und Jens Bloch ab. Er ging zuerst zu den Seelappen, weil diese norwegisch verstanden. Die Liebe Christi lehrte und drang ihn, das Elend der Finnen zu studieren, und die Macht, welche dem Mitleiden gegeben ist, that ihm die Thüre zu den Herzen derselben auf. Er begnügte sich nicht allein mit Predigen, das so oft über die Köpfe hinrauscht, sondern er nahm „die einzelnen Seelen von dem Volke besonders,“ und ging ihnen in großer Geduld nach.

„Es ist ein Prediger ins Land gekommen, der die Finnen lieb hat,“ dies Gerücht ging vor ihm her, und bald versammelte sich in den Hütten, wo er einkehrte Alte und Junge um ihn, denen er in aller Einfalt biblische Geschichten erzählte, den Katechismus lehrte, Lieder vorsang, Sprüche auslegte. Hier und da bauten die Finnen aus eigenen Mitteln kleine Bethäuser, in denen ihnen das Wort Gottes reichlich gepredigt wurde. Denn Stub blieb als Missionar in Ost-Finnmarken, Bloch in West-Finnmarken, und beide setzten die gesegnete Arbeit Westens fort. Dieser zog weiter nach Norden, wo Unwissenheit und Aberglaube besonders groß waren, Auf Kähnen fuhr er über die stürmischen Binnenseen, oft in großer Gefahr, und besuchte die Fischerhütten der Finnen. Die Meisten meinten, alles Glück würde von ihrem Handwerk weichen, wenn sie ihrem Heidenthume entsagten, und hierin wurden sie, es ist schrecklich, zu sagen, von so vielen Namenschristen bestärkt, denen das Geld der Finnen lieber war, als ihre unsterbliche Seelen. Doch auch hier ist manches Samenkörnlein auf fruchtbares Land gefallen, und hat später reiche Frucht getragen.“ Als von Westen zurückkehrte, und die Erfahrungen seiner ersten Reise überblickte, war seine Freude groß. „Gott behielt fast überall den Sieg, schreibt er ans Collegium. Ihr würdet vor Freude sterben, wenn ihr selbst wüßtet, wie viele Seelen gerettet, wie viele Prediger ihr erweckt, wie viele Herzen ihr geöffnet habt, allein dadurch, daß ihr Evangelisten aussendet. Und nun, seit getrost, hoffet auf Gott, der euch schon große Sachen gezeigt hat! Er wird euch bald größere zeigen; die Engel gehen auf und nieder auf der Leiter des Menschensohnes.“

Von Westen kehrte am 5. November 1716 nach Drontheim zurück. Er brachte zwei Finnenkinder mit, die er in seinem Hause erzog, um sie später als Boten Christi zu den Ihrigen zurückzusenden. Von dieser Zeit an bildete er auf eigene Kosten Finnen zu Missionaren heran. So ging das Werk des Herrn im Segen weiter. Aber um so grimmiger wurde Bischof Krog. Er erließ sogar an alle Prediger der nördlichen Gegenden ein Schreiben, in welchem er sie vor Westen warnte. Aber der Pfeil prallte auf ihn selbst zurück; der Prediger wurden immer mehr, welche erkannten, daß er wider Gott stritt. Im Jahre 1717 ordnete der König die Erbauung einer Reihe von neuen Kirchen und Kapellen in Finnmarken an. Missionskatecheten wurden angestellt, deren jeder zwei fähige Finnenkinder zu Schullehrern heranbilden sollte. Krog war deswegen ein so großer Feind der Mission, weil er an ihrer Spitze einen schlichten Mann sah, der Nichts als seinen Glauben hatte. Darüber schreibt Westen: „es ist mir eine Herzensfreude, wenn ich von der irdischen Weisheit Nichts weiß, und ich bemühe mich täglich, sie mehr und mehr zu verlieren. Gottes Reich wird nicht durch Machiavellum (ein Politiker), sondern durch Paulum erbaut; auch ist es mir eine große Ehre, daß Gott in meiner Niedrigkeit und Untüchtigkeit geehret werde; denn desto größere Schande hat Satan davon, wenn sein Gezelt von einem Aschenbrode umgeworfen wird. Seelen zu retten, dazu gehört mehr Liebe und Eifer, als ein raffinierter Sinn. Ich rühme mich nur meiner Schwachheit, daß Christi Kraft und Weisheit in mir mächtig seyn möge.“

Im Juni 1718 trat der eifrige Evangelist, begleitet von den beiden Finnen, seine zweite Missionsreise an. Nach einer beschwerlichen Fahrt landeten sie in Waranger, der Hauptstation Ostfinnmarkens, von wo aus sie das Land hin und her durchzogen. In Tana fand er eine neue Kapelle, und in ihr eine große Menge Volks, der er predigen konnte: „Ihr waret weiland Finsterniß, nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn.“ In Porsanger, der Hauptstation von West-Finnmarken entsagten viele Zauberer ihrer vorwitzigen Kunst. Andere bekannten, sie hätten seit zwei Jahren keine rechte Lust mehr am Götzendienst gehabt; jedoch noch dann und wann ein Rentier geopfert, um sicher zu gehen, wenn etwa Saiwo doch etwas sei, sodaß er in seinem Zorne sämmtliche Rentiere vertilgen könnte. Auch von diesen Hinkenden auf beiden Seiten ließen sich nicht wenige überwinden. In Alten, hoch auf dem Gebirge, schleppten die Finnen zum Bau der Kirche das Holz auf 129 Rentieren hinauf. In den Nordlanden hatte Westen eine beschwerliche Winterreise. Aber in dem Herzen der Finnen wurde es Frühling. „Wenn ich auch, schrieb er über diese Zeit, an meinem Leibe in dieser harten Winterszeit Zeichen davontragen mußte, so tragen auch wohl alle die Seelen, die ich pflege, Zeichen von der Kraft Christi.“ In Lödingen zogen ihm 300 heilsbegierige Seelen bittend entgegen. Den Winter über blieb er bei einem Freunde, besonders mit dem Unterricht von sechs Finnenkindern beschäftigt. In einem Bericht an das Missionscollegium schüttete er sein Herz recht aus, sowohl seine Freude ober das Werk Gottes unter den Finnen, als seine Trauer über die Hindernisse, welche die Norweger denselben in den Weg legten. Diese verderbten namentlich durch ihren Branntwein Leib und Seele des armen Finnenvolkes, und verfolgten die, welche sich von den Abgöttern zum lebendigen Gott bekehrt hatten, mit teuflischem Spott. Sogar christliche Prediger trieben den Branntweinhandel. Es schnitt Westen tief in die Seele hinein, wenn die Finnen fragten: „Vater, sollen denn die Norweger nicht eben so gut, als wir, Gott fürchten?“ Er wandte sich an den König um hülfe, und dieser that, was er konnte, dem Unwesen zu steuern.“

Nach einer Reise nach Kopenhagen machte sich von Westen zum dritten Mal am 29. Juni 1722 auf den Weg zu seinen Lappen. Zu Bodöen baten ihn die Leute mit Thränen um Lehrer. Er errichtete Winterschulen, und nun kamen die Kinder weither; die meisten hatten nur drei Pfund Hafermehl auf die Woche mitgebracht, und sie salzten es stark, um so seine Kraft zu vermehren, daß es reichen möchte. Die am Schulbesuch verhindert waren, ließen sich die Buchstaben lehren; andere verbargen sich vor dem Spott der Norweger mit ihren Büchern in der Einsamkeit. Kam war ein Monat verflossen, so konnten schon Viele lesen; den Katechismus mußten sie auswendig. In Siumen hatten die Heiden sich fest vorgenommen, von Westen und seine Gefährten zu tödten, wenn sie kämen; aber als sie das Evangelium predigen hörten, und dem freundlichen Prediger ins Auge schauten, wurden sie andern Sinnes. Sie geleiteten ihn hernach über die Klippen ihrer unwegsamen Gebirge, und liefen ihm auf viele Meilen weit zum nächsten Predigt-Orte nach. Die Gräuel des Heidenthums unter den Finnen lernte von Westen auf dieser dritten Reise noch mehr kennen, als früher. Im Oktober 1722 schrieb er an das Collegium: „Ich habe nun fast jede Finnen- und Lappenbucht durchwandert, und einen großen Theil der Felsen in den Nordlanden. Der Herr hat reich und weit über meine Gedanken meine geringe Arbeit gesegnet, und gewiß, es war die höchste Zeit, daß Gott den armen, nordländischen Finnen und Lappen Hülfe sandte. Es waren ganze Buchten, wo kein Einziger war, der nicht den Teufeln opferte, ein jedes Haus und jede Gemeinde war eine Synagoge des Satans. Diese dritte Reise hat meine Kräfte am meisten mitgenommen; aber das ist ein Geringes gegen die Herzensfreude, daß, wenn der Tod Christi an meinem Leibe offenbar wird, sein Leben sich offenbaren kann in meinen gesegneten Kindern, den Finnen. Die im Anfange wie bittere Bären und Wölfe gegen mich waren, sind nun beriet, mir bis zum Ende der Welt zu folgen.“ Den ganzen Winter hindurch blieb von Westen in den Nordlanden. Auf den Felsen zu Overhalden, einem Arme der großen Bergkette Kjölen, wohne ein Finnenvölkchen, etwa 300 Seelen, die seit Menschengedenken nicht in die Thäler herabgekommen waren. Die Prediger am Fuße des Berges wußten kaum etwas von ihnen. Nun aber erscholl das Gerücht, daß von Westen auch zu ihnen wolle. Sie wandten allerlei Zaubereien an, um ihn abzuhalten; aber bald legten sie die Zauberstäbe zu seinen Füßen. Denn sie merkten, daß eine Liebe ihn herauftrieb, die ihn lehrte, arm zu werden mit den Armen, und selbst an ihrer Kost, Wasser und Wacholderrinde abgekocht, sich genügen zu lassen. Andere Selbstverleugnung bewies er an andern Orten. „Gelobt sei Gott, schrieb er beim Rückblick auf diese Reise, der mich durch so viele Fährlichkeiten und Kümmernisse und Anläufe des Satans endlich mit Garben voller Freude hieher geführt hat. Viele Wohlthaten hat Gott in meinem ganzen Leben mir erzeigt; aber seine Gnade gegen mich auf dieser Reise ist wie ein überströmender Becher.“

Unterdessen hatte König Friedrich von Bischof Krog von Westens geschwornen Feind, wegen vielfacher Verletzung seiner Amtspflichten entsetzen wollen, und hatte dem von Westen das Bisthum angeboten. Dieser aber warf sich vor ihm auf die Kniee, und hat ihn, er möchte doch über den alten Mann nicht eine so harte Strafe ergehen lassen, daß seine grauen Haare mit Gram in die Grube führen. Wenige Jahre später sollte er Bischof von Christiansand werden; aber auch diese Stelle schlug er aus. Er begehrte als ein einfacher Bote Christi unter seinen Finnen zu leben und zu sterben. Vierzehn Tage nachher, als er von seiner dritten Missionsreise zurückgekehrt war, zog er von seinem Freunde Skanke begleitet, von Neuem aus. Diesmal ging er nicht weit, zu den Finnen in Stördalen und Merager nur zwei Meilen von Drontheim. Es war eine Erquickungsreise, denn unter diesen seinen Kindern trug das Wort Gottes liebliche Frucht. „Ihr Weinen und ihre Thränen, erzählt Skanke, habe ich gesehen nicht allein reichlich fließend, sondern so, daß man denken sollte, sie müßten selbst hineinfließen und aufgelöst werden, nicht zu einer oder andern Stunde, sondern ganze Tage. Ich war bei ihren Gebeten gegenwärtig, und hörte diese nicht hervorgepreßt, sondern ausströmend; sie seufzen nicht allein, sondern schrieen um Gottes Gnade.“ Beim Abschiede schwammen die dankbaren Kinder ihrem lieben Vater nach, kletterten in seinen Kahn, umfaßten sein Kniee, und riefen: „Gott, erfreue den, der dieses ausdachte! Wollte Gott, diese Lehre wäre eher gekommen, so hätten wir längst allem Teufelswesen entsagt.“ – Aus dem Stift Christiania kam ein Finne, Lars Nielsen, nach Drontheim, und suchte „den guten Mann, der nimmer den Finnen Etwas zu Leide that.“ Er bat ihn, herüberzukommen, und sein Weib und seine Kinder und die andern Finnen zu bekehren. Westen wollte hin. Jedoch der Bischof Deichmann von Christiania war ein Feind der Mission, und dieselbe sollte sich nach den Statuten nur auf Finnmarken beschränken. Westen schrieb ans Collegium, er werde die Finnen auch ohne Weisung aufsuchen, „oder sollen einige hundert Finnenseelen allein aus Furcht vor dem Bischof Deichmann verloren gehen? Ist er doch nicht größer als Gott, oder ärger als der Teufel!“ Indessen wurde im vom Collegium befohlen, jene Finnen nicht aufzusuchen. Aber Deichmann konnte es nicht hindern, daß die armen Heiden in Haufen zu dem Manne Gottes nach Drontheim zogen, und von dort das Wort Gottes mit nach Christiania brachten. Von weit her kamen heilsbegierige Finnen, Greise, Jünglinge, Kinder, Mütter und Säuglingen auf den Armen. einst hatten sich drei Finnen aus Merager auf die Reise zu Westen begeben. Sie wurden unterwegs überfallen und ausgeplündert, und mußten umkehren. Aber sie kamen zum zweiten Male, um zu seinen Füßen den Heiland kennen zu lernen. – Im Jahre 1725 belief sich die Zahl der Christen in Finnmarken auf mehr denn 1700 Seelen. Der Arbeit der Missionare unter den Finnen kam von Westen durch seine „Anweisung für die Mission in den Nordlanden“ zu Hülfe, worin er seine reiche Erfahrung niederlegte, und seinen Nachfolgern den Weg zu den Seelen der Finnen wies.

In seinen letzten Lebensjahren erlebte von Westen noch schmerzliche Erfahrungen. Die Finnen in Tidsfjord hatten ihre Katecheten erschlagen wollen, und unter denen zu Salten war ein falscher Prophet aufgestanden. „Der Teufel, schriebt der treue Knecht, fängt bei uns an, sich recht als ein wüthender Hund zu zeigen, der seinen alten Raub nicht fahren lassen will. Allein Christi Kraft wird ihn zerschmettern, und keineswegs zweifle ich, daß ich in dieser Sache fest stehen werde.

Auch fürchte ich mich nicht vor allen Teufeln, die in der Hölle sind, geschweige denn vor Menschen, dir auf Erden sind. Denn nun erst bin ich gestärkt und bereit, welche Stunde es auch seyn soll, zum rechten Bisthum, das ist, mein Amt unter den Heiden, und das Zeugniß Jesu mit meinem Blute zu bekräftigen!“ Täglich hoffe er, noch einmal eine Missionsreise antreten zu können; aber der Herr hatte es anders beschlossen. Eine schmerzhafte Krankheit rieb ihn, der durch viele Mühsale im Dienste des Herrn schon sehr schwach geworden war, vollends auf. Er starb am 9. April 1727 mit den Worten des Stephanus: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf.“ So arm war dieser Mann, der Viele reich gemacht hatte, daß die Kosten zu seinem Begräbniß von etlichen christlichen Freunden aufgebracht werden mußten; sein ganzes Vermögen hatte er für seinen Herrn aufgeopfert. An seinem Grabe redete Niemand; Aber besser als tausend Leichenpredigten war das Wort von ihm, das unter den Finnen durch viele Geschlechter von Mund zu Mund ging: „Der Lektor, der den Finnmann lieb hatte!“

Als der Sohn Friedrichs IV., König Christian VI. im Jahre 1733 den Dom zu Drontheim besuchte, fragte er die Umstehenden: „Wo liegt denn unser guter, seliger Lektor von Westen begraben?“ Der Bischof Hagerup antwortete: „Ew. Majestät stehen eben auf dem Grabe des seligen Mannes.“ „Nun, rief der König, so stehen wir auf dem Grabe eines Mannes Gottes!“

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859

 

Christoph Thomas Walliser

Walliser: Christoph Thomas W., geboren am 17. April 1568 zu Straßburg im Elsaß und ebendort am 27. April 1648 gestorben, verließ mit 16 Jahren seine Vaterstadt, um an verschiedenen Orten Deutschlands, Böhmens, Ungarns, Italien und der Schweiz die Wissenschaften und freien Künste zu studieren. Lobstein in seiner Geschichte der Stadt Straßburg sagt S. 54: er war ein Schüler des Tobias Kindler in Zittau und hatte vordem in Straßburg das Wilhelmitanerstift besucht. Im J. 1599 kehrte er in seine Vaterstadt zurück und wurde an der achten Classe des evangelischen Gymnasiums und der Akademie (die 1621 zur Universität erhoben wurde) zum Praeceptor classicus und Musicus ordinarius ernannt. An der Thomaskirche und am Münster hatte er die Kirchenmusik zu leiten. 1634 wurde er als Lehrer am Gymnasium pensioniert; ob er die übrigen Aemter beibehielt und wie lange, ist nicht bekannt. W. genoß in seiner Vaterstadt die größte Achtung und seine Compositionen waren in Deutschland, theils im Druck, theils in Copien weit verbreitet. Sein kleines theoretisches Werk: „Musicae figuralis praecepta brevia“, Argentorati 1661, Kieffer, Lederetz, in 8°, hat nur einen Werth als Leitfaden für die Schüler, die er unterrichtete, gibt uns aber einen Begriff, wie gründlich damals Musik auf Schulen gelehrt wurde. Exemplare besitzen die Bibliotheken in Berlin, München, Mainz und das Conservatoire in Paris. Bedeutender tritt er uns entgegen als Beförderer und Bearbeiter des Kirchenliedes. In diesem Fache gab er drei große Sammlungen zu 4, 5 und 6 Stimmen heraus. Der erste Theil trägt den Titel: „Ecclesiodiae, Das ist Kirchen Gesäng. Nemblich die gebreuchlichsten Psalmen Davids, so nicht allein viva voce, sondern auch zu Musicalischen Instrumenten Christlich zugebrauchen. Mit 4. 5. vnd 6 Stimmen componirt durch …“ (Straßburg 1614, Paul Ledertz. 6 Stb. mit 50 Gesängen.) Dazu der „Ander Theil: Darinn die Catechismus gesäng, andere Schrifft und geistliche Lieder, sampt dem Te Deum laudamus vnd der Litania, wie sie durch das gantze Jahr in der Kirchen vast vblich begriffen … Mit 4. 5. 6. und 7 Stimmen gesetzt …“ (Straßburg 1625, bei Marx von der Heyden. 6 Stb. 60 Gesänge). Im Frankfurter Kataloge von Israel ist das Register des 2. Theils abgedruckt. v. Winterfeld bespricht das Werk in umständlicher Weise im 2. Bande S. 8 seines evangel. Kirchengesangs. Vor dem gab W. schon ein ähnliches Werk heraus, welches wie eine Vorbereitung des größeren erscheint. Selbst der Titel hat fast gleichen Wortlaut: „Teutscher Psalmen vnd Geistliche Kirchengesäng mit fünff Stimmen, welche nicht allein viva voce“ etc. wie oben (Nürnberg 1602 bei Catharina Dieterichin. 5 Stb. 8 Lieder zu 5 St.). Exemplare von allen drei Werken besitzen die Bibliotheken zu Königsberg, Gotha, Grimma, Berlin, Elbing, Hamburg, München, Zwickau (1602 ohne Baß), Frankfurt a. M. (nur 2. Thl. 1625). Von 1610, 1613, 1627 und 1641 existieren noch vier Gelegenheitsgesänge, die sich in Privathänden befinden. Außerdem besitzt die [755] Kgl. Bibl. zu Berlin in den Manuscr. Z. 28. Z. 44 und 54 eine Reihe deutsche und lateinische mehrstimmige Gesänge. Auch in der Proske’schen und Liegnitzer Bibliothek befinden sich handschriftliche Motetten und geistliche Lieder. In alten Sammelwerken sind 9 Gesänge aufgenommen (siehe Eitner’s Bibliographie) und in neuen Ausgaben 15 Gesänge (siehe desselben Verzeichniß nebst dem Nachtrage in Monatsh. Bd. 9). Dazu kommt noch ein Gesang in Ambros’ 5. Bd. Musikgeschichte, ediert von Kade, S. 523. Soweit mir seine Compositionen bekannt sind, benützt er nur die Motive der bekannten Kirchenlieder zu contrapunktischen Combinationen, ohne je eine Melodie in ihrem ganzen Umfange dem Tonsatze zu Grunde zu legen. Seine Schreibweise ist sehr lebhaft und wohlklingend, noch ganz im Stile des 16. Jahrhunderts sich haltend.

 

Petrus Waldes

Petrus Waldes

Es war um das Jahr 1170 nach Christi Geburt; da saß eine Gesellschaft ehrbarer Bürger von Lyon in der Sommerzeit zusammen und man erging sich in harmlosen Gesprächen, im Gefühle der Ruhe und des sichern Lebensgenusses. Plötzlich aber fiel Einer von ihnen todt zur Erde nieder und, als Alle darüber betroffen waren, hub ein angesehener wohlhabender Kaufmann aus ihrer Mitte sogleich an, von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des irdischen Lebens zu reden und die Notwendigkeit der Bekehrung und eines gottgeweihten Wandels den Anwesenden an das Herz zu legen. Dieser Kaufmann hieß Petrus Waldus oder der Waldenser, weil er aus dem Waadtland herstammte. Er selbst war tief erschüttert und, wenn er vorher schon seiner Seele Heil gesucht hatte, so lag es ihm nun noch viel mehr am Herzen, den Willen Gottes unfehlbar kennen zu lernen, um ihm vollkommen zu dienen und auch Andre aus dem Sündenschlafe zu wecken. Da die Kirche seiner Zeit mit ihren Bußordnungen und Gnadenmitteln die Seelen meistens, wie er sah, nur fälschlich beruhigte und einschläferte, so wollte er das reine Wort Gottes aus der Quelle schöpfen. Man hatte aber damals die Bibel nur in lateinischer Uebersetzung und er verstand wenig Latein. So wandte er die Kosten daran und ließ sich von einem Priester, der die Sprache verstand, mehrere Bücher der Schrift mündlich in die provencalische Volkssprache übersetzen und ein junger geschickter Schreiber mußte die Uebersetzung nachschreiben. Er verachtete aber auch die ächten Kirchenlehrer nicht und legte sich nach gewissen Kapiteln eine Sammlung der trefflichsten Aussprüche über christliche Lehre und christliches Leben an und prägte sich das Bibelwort und die Lehrsprüche durch häufiges Lesen so ein, daß er fast Alles auswendig wußte. Dabei war es sein ganzer Ernst, die evangelische Vollkommenheit so zu beobachten, wie es die Apostel gethan. Das war freilich nicht ganz der richtige Weg: denn die christliche Vollkommenheit wird nicht dadurch erlangt, daß man damit anfängt, alle einzelnen Gebote halten zu wollen, sondern damit, daß der Grund des Herzens durch den Glauben erneuert wird. Indessen er betrat den Weg, den seit dem heiligen Antonius im dritten Jahrhundert fast alle Fromme, die nach dem Reiche Gottes trachteten, gewandelt waren und, wo, wie bei ihm, wirklich lebendiger Glaube und die rechte Erkenntniß der Sünde und der Gnade im Herzen war, da schadete das übereilte Streben nach der äußern Vollkommenheit des Wandels weniger. Sein Grundspruch war das Wort des Herrn zum reichen Jüngling: „Willst du vollkommen sein, so verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, und folge mir nach.“ (Matth. 19, 21.) Und er verkaufte seine Habe, warf sein Geld auf die Straße und ließ die Armen es auflesen. Darauf begann er, wie es die Apostel gethan, in Häusern und auf Märkten das Evangelium zu predigen und viele Männer und Frauen wurden von ihm erweckt. Diese Erweckten versammelte er in seinem Hause und prägte ihnen die Lehren des Evangeliums ein. Als sie bibelfest geworden, sandte er sie, wie weiland die siebzig Jünger, je Zwei und Zwei aus, um da und dort in der Umgegend, in den Häusern und im Freien, wohl auch in Kirchen, das Wort Gottes zu verkündigen. Er hielt darauf, daß sie auch im Aeußern arm und schlicht, wie die Jünger des Herrn, einhergingen, ja daß sie auch (nach Luc. 10, 4.) keine Schuhe, sondern nur Sandalen tragen sollten: das Volk nannte sie die Armen von Lyon, die Sandalenleute oder auch Waldenser.

Die kirchlichen Behörden verboten das Predigen der Laien ohne bischöfliche Genehmigung und hatten darin der Form nach recht: aber freilich predigten jene gerade darum, weil sie die Lehre der Kirche und die Art, wie von ihr die Seelen geführt wurden, für unzureichend, irrig und gefährlich hielten, und konnten darum die Genehmigung des Bischofs weder suchen noch erwarten. Sie stellten das Wort Gottes der ausgearteten Kirchenlehre entgegen und glaubten dazu verpflichtet und von Gott verordnet zu sein. Sie erklärten, wie einst die Apostel (Apgsch. 4, 19.), sie müßten Gott mehr gehorchen als den Menschen. Gegen die Verbote und Strafgerichte des Erzbischofs Johannes von Lyon suchten sie Schutz bei dem Pabst, wurden aber schon im Jahre 1184 durch den Pabst Lucius III. in den Bann gethan, nachdem sie bereits früher auf einer Kirchenversammlung in Rom (1179) lächerlich gemacht und verurtheilt worden waren. Darum ist Petrus Waldus und die Bewegung, die er hervorgerufen hat, so wichtig, weil durch ihn zuerst der traurige Zwiespalt öffentlich wurde, in welchen fromme Christen gerathen mußten, wenn sie zwischen dem klaren Worte Gottes in der Schrift und dem Gehorsam gegen eine kirchliche Obrigkeit, die dieß Wort mißdeutete und mißbrauchte, zu wählen hatten. Es ist viel leichter ein Zeuge der Wahrheit gegen Juden und Heiden zu sein, als dieß schwere Amt gegen eine Kirche selbst zu üben, die auf das alleinige Recht Anspruch macht, über kirchliche Ordnung und Lehre und über das Wort Gottes und seine Auslegung zu richten. Das Gewissen gebietet ja, der Kirche und ihren Dienern zu gehorchen: es gebietet aber noch weit stärker, Christo, dem Herrn der Kirche, und seinem Worte unbedingt zu folgen. Hier streitet Pflicht mit Pflicht, Gehorsam mit Gehorsam, und die Waldenser zweifelten keinen Augenblick, daß sie dem Herrn des Pabstes mehr gehorchen müßten als dem Pabste, der sich den Knecht Christi nennt. Freilich geriethen sie auch in Gefahr, die Worte der heiligen Schrift irrig zu deuten, indem sie gerade den sichersten Weg zu gehn meinten, wenn sie ganz bei dem Buchstaben blieben. Sie hielten sich durch Jesu Befehl an die Apostel für verpflichtet, grade wie diese öffentlich zu predigen: aber wer gab ihnen die Vollmacht, sich für Apostel zu halten! Sie verboten, wenigstens in den ersten Zeiten ihres Auftretens, alles Schwören, alles Tödten, ohne die Verbote des Herrn in ihrem Zusammenhange und nach ihrem Zwecke aufzufassen. Aber der Schwerpunkt ihrer Lehre und ihres Zeugnisses lag nicht in diesen Einzelheiten, sondern darin, daß sie behaupteten, die Kirche bestehe nicht bloß in dem Clerus, sondern in der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen, das Wort Gottes dürfe nicht durch die ausgeartete Clerisei gebunden werden: wahre Buße, Glaube und neuer Gehorsam könne allein Gnade bei Gott erwerben, und alles Beichten, aller Ablaß, alles Anrufen der Heiligen, alle Messen und Almosen seien nichtig, wenn sie die Verpflichtung zur christlichen Vollkommenheit ersetzen und in den Augen der Laien herabsetzen sollten. Das war der Sinn und das Ziel ihrer Lehre, und das wollte der Clerus nicht leiden, sondern faßte sie bei einzelnen Ausdrücken und Behauptungen, und schob die Hauptsache absichtlich zurück, um sie in den Schatten zu stellen. Bald fing man an, sie nicht nur gefangen zu setzen, sondern auch mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen zu bestrafen. Aber ihre einfältige Lehre und ihr reiner Lebenswandel zog das Volk an, unter das sie als Handwerker und arme Leute sich mischten, aber ohne daß man je eine Lüge von ihnen hörte, ohne daß sie die Trinkhäuser besuchten oder etwas Unzüchtiges sich zu Schulden kommen ließen. Die Verfolgung nöthigte sie sich zu zerstreuen und bald finden wir sie in Spanien und Oberitalien, im Elsaß und in den Niederlanden: überall erwecken sie den Eifer in der Schrift zu lesen, fromm und sittig zu wandeln und die kirchlichen Mißbräuche zu bekämpfen: ihre Feinde selbst müssen ihre Schriftkenntniß und ihren reinen Wandel loben. Petrus Waldus zog flüchtig, aber predigend, von Land zu Land: er soll endlich in Böhmen eine Ruhestätte gefunden haben und im J. 1197 daselbst gestorben sein.

Es war schon nach seinem Tode, als Pabst Innocenz III. auf den Gedanken geführt wurde, die Waldenser mit der Kirche wieder auszusöhnen und in den Gang der römischen Mönchsorden zu leiten: er wurde in diesem Plane von einem in die Kirche zurückgetretenen Waldenser, Durandus von Osca, bestärkt. Er wollte ihnen gestatten sich vom Kriegsdienst und von Eidschwüren zu enthalten, in so fern dieß ohne Andrer Nachtheil und Aergerniß und unter Zustimmung der Landesfürsten geschehen könnte: die Tüchtigsten und Geschicktesten unter ihnen sollten fernerhin lehren und predigen dürfen, jedoch mit vorgängiger Erlaubniß der kirchlichen Oberen; die Uebrigen sollten für der Lehrer Unterhalt arbeiten und Niemand sollte sie hindern, arm zu bleiben: auch sollten sie eine Tracht behalten, die der ihrigen ähnlich wäre. Dagegen sollten sie versprechen, sich dem römischen Stuhle völlig zu unterwerfen, und die Gemeinschaft mit den von der Kirche getrennten Waldensern, so wie mit andern ketzerischen Secten, aufgeben. Aber es war zu spät: weder die Bischöfe noch die Waldenser wollten darauf eingehen, weil der Riß schon zu groß geworden und die armen Verfolgten schon zu tief in das Verderben der herrschenden Kirche hinein geblickt hatten. Ueberall hin zerstreut, überall verfolgt, verbreiteten sie im Stillen die biblische Lehre und säeten den Glauben an das allgemeine Priesterthum aller Gläubigen unter dem Volke aus, das freilich die Ordnung des geistlichen Amtes nicht ausheben soll.

Die Waldenser werden mit Recht als standhafte Zeugen der Wahrheit gegen das Verderbniß in der römischen Kirche und als Vorläufer der Reformation geehrt, und mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit haben sie Jahrhunderte lang die grausamsten Verfolgungen erduldet, so wie ihre Ueberreste noch in der neuesten Zeit unter fortgesetztem Druck sich erhalten haben. Wie verbreitet sie im Mittelalter in den niedern Ständen waren, beweist ein Bruchstück aus einem Inquisitions-Verzeichniß vom Jahre 1391, wo folgende Namen als Waldenser angemerkt sind: „Nikolaus und sein Sohn Johannes, aus Polen, Beide Landleute: Conrad aus der Stadt Düben bei Weißemburg (Wittenberg?), Sohn eines Landmanns: Walich von Guidex (?), ein Schuhmacher: Conrad von Gemünd in Schwaben, Sohn eines Landmanns: Simon von Salig, aus Ungarn, ein Schneider: Hermann von Mistelgen, aus Baiern, ein Schmidt: Johann von Diruna, aus Baiern, ein Schmidt: die Vorbenannten werden unter ihnen Apostel, Meister (Magistri), Engel (Boten Christi) und Brüder genannt.“ Die letzte Bemerkung führt auf ihre Verfassung und ihren Lehrstand, wovon man sonst aus früherer Zeit wenig weiß: auch haben die beständigen Verfolgungen eine ordentliche kirchliche Einrichtung wohl verhindert und einen streng abgesonderten Lehrstand konnten sie nach ihren Grundsätzen nicht haben. Apostel mochten diejenigen heißen, welche zum Zeugniß des Wortes Gottes in die Fremde gingen, Meister oder Magister die, welche in ihren Bethäusern lehrten, Engel (nach Offenb. Joh. 2, 1.) die Vorsteher und Vertreter ihrer Gemeinlein. In den Gebirgen und Thälern von Savoyen, wo ihrer Viele seit dem 14. Jahrhundert eine Zuflucht suchten, wurden ihre Vorsteher Barben (Larbae, Bartmänner) genannt, mit welchem Namen man gemeinhin einen Oheim und häufig in jenen Gegenden ehrenthalben einen Priester bezeichnete. Dieser Name soll bis in’s Jahr 1630 den Vorstehern der Waldenser in den piemontesischen Thälern, wo sie sich allein noch erhalten haben, beigelegt worden sein. Damals aber sind in Folge einer Pest Alle bis auf Zwei ausgestorben und die Waldenser wandten sich nun nach Genf und Frankreich, um von den Reformirten sich Lehrer zu erbitten. Diese wurden Messer (Herr) tituliert und predigten nicht mehr in der alten Sprache ihrer Väter, sondern französisch. Eine alte Kirchenordnung der Waldenser hat ihr ehemaliger Prediger Johann Leger um die Mitte des 17. Jahrhunderts in seiner Geschichte der Waldenser abdrucken lassen: ihre strenge Zucht ist von den Reformatoren belobt worden. Die Waldenser sind die Einzigen, die von den vielen Secten des Mittelalters sich noch bis auf den heutigen Tag, freilich in geringen Ueberresten, erhalten haben: das ist wie ein Gnadenzeichen von Gott, weil sie mit Treue und Einfalt sich rein dem Worte Gottes unterwerfen wollten, während alle andern ketzerischen Partheien dieß nicht thaten oder doch noch etwas Anderes nebenbei suchten und darum mit Recht ihr Urtheil trugen. Nach Piemont zogen sich zeitig Waldenser hin, weil sie dort am Ersten Duldung erwarten konnten, da viele Gleichgesinnte, die mit der Hierarchie unzufrieden waren und in evangelischer Reinheit Gott dienen wollten, daselbst sich aufhielten und in den stillen Thälern sie Niemandem in den Weg traten. Sie blieben auch bis zum Jahre 1640 ziemlich unangefochten: aber von da an begannen Anfeindungen und Verfolgungen, vor denen schon beim Lesen die Haut schauert. Da werden Waldenser von Felsen herabgestürzt, Andre gesteinigt, Andre an die Hinterbeine von Pferden oder Eseln gebunden und zu Tode geschleift; Einigen wird der Leib aufgeschlitzt und die Höhlung mit Steinen oder Pulver gefüllt: kein Alter, kein Geschlecht wird verschont. Die Verwendungen von Seiten des Kurfürsten von Brandenburg und der englischen Regierung gaben wenig Linderung: die Auswanderung war schwierig und gefährlich, und die armen Thalleute hingen zu sehr an ihren Bergen und Schluchten, als daß sie leicht anderswo sich eingewöhnen konnten. So ist denn ein Ueberrest von etwa 20,000 Seelen in den Thälern von Luserne, Pelice, Angrogne, St. Martin und Perouse ohnweit der Stadt Pinerolo in Piemont übrig und bildet seit 1655 eine Abzweigung der französisch-reformirten Kirche. Ihre Prediger studieren gewöhnlich in Genf: der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III, hat auch in Berlin zwei Freistellen auf einem Gymnasium und zwei Stipendien auf der Universität für Theologie studierende Waldenser gegründet. In La Tour, dem Hauptort der Waldenser im Thale Luserne, haben sie eine lateinische Schule, die für die höheren Classen der Gymnasien vorbereitet und durch milde Beiträge ist dafür im Jahre 1836 ein stattliches Gebäude errichtet worden. Ein englischer Oberster Ch. Beckwith hat einen großen Theil seines Lebens und Vermögens den Waldensern gewidmet und auch eine Anstalt zur Erziehung von Mädchen für sie gegründet. Von Zeit zu Zeit sind sie neuerlich von Reisenden besucht worden. Unter Napoleon waren sie von allem Drucke frei; aber seit der Wiederherstellung der Sardinischen Regierung haben sie nicht wenig vom Druck der Regierung und von der Zudringlichkeit der römischen Kirche leiden müssen. Durch ein Patent des Königs von Sardinien, das unter dem 17. Februar 1848 ergangen, sind jedoch endlich alle früher gegen sie gegebenen Gesetze aufgehoben und es ist ihnen nun nicht nur vollkommen freie Religionsübung, sondern auch Gleichheit aller bürgerlichen und politischen Rechte mit allen übrigen Unterthanen des Königs bewilligt worden. Dieser Ueberrest einer fast sechshundertjährigen, von vielen Stürmen umbrausten Glaubenseiche – ob er wohl noch einmal frisch und kräftig aus der Wurzel sprossen wird? (Geschrieben 1850.)

  1. E. Schmieder in Wittenberg.

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

 

Matthias Waibel

Zwischen Reformation und Revolution ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Die Revolution ist eine Ausgeburt der Finsterniß, die sich vergeblich in den Schein des Lichts zu kleiden sucht. Sie fordert Recht, aber sie selbst übet Gewalt; sie verheißt Besserung, aber sie macht das Uebel ärger. Sie ist wie ein verheerendes Gewitter, ein Strafgericht über die Menschen und Völker, das der Herr zuläßt zu ihrer Besserung, um gut zu machen, wenn sie sich bekehren, was sie übel machten. Die Reformation dagegen ist eine Tochter des Lichtes. Als das Licht des Evangeliums Christi in seiner eignen Kirche von dem Papst und seiner zahlreichen Priesterschaft in aller Welt unter den Scheffel gesetzt war, daß es dem Volke nur noch spärlich leuchtete, hat sie es wieder auf den Leuchter gesetzt. Da wurde es wieder licht in der Kirche des Herrn wie zu der Apostel Zeit und noch manches Jahrhundert danach, und lichter und besser durch manche Reform auch in der bürgerlichen Ordnung der Christenheit. Aber diejenigen, welche von der Finsterniß und der Ungerechtigkeit Nutzen ziehn nach ihrer Art, nannten und nennen bis auf den heutigen Tag die Reformation Revolution, dagegen die, welche von der Revolution, dem gewaltsamen, rechtlosen, gottlosen Umsturz des Bestehenden, für sich einen Nutzen hoffen, dieselbe gerne Reformation der Kirche und Reform des Staates nennen möchten. Nur die Unverbesserlichen können verwechseln, weil sie es wollen, was so erkennbar von einander geschieden ist, wie Tag und Nacht. Dieser Unterschied wurde im Ganzen und Einzelnen vollkommen erkennbar im Zeitalter der Reformation selbst, da sich neben dem hellen Lichte der Reformation der dunkle Schatten der Revolution des Bauernkriegs gelagert hat. Besonders deutlich tritt dieser Unterschied im Leben und Ende des Reformators im Allgäu hervor, dessen wohlverdientes Gedächtniß wir hier erneuern.

Matthias Waibel ist von ehrbaren und frommen Aeltern geboren in einem Dorfe, genannt Martinszell, welches ungefähr 2 Meilen Wegs von der Stadt Kempten im Allgäu liegt und im ehemaligen Gebiet der vormaligen gefürsteten Abtei von Kempten. Sein Vater war Hans Waibel, ein aufrichtiger, frommer Bauersmann. Dieser hat ihn nachmals vom Hirtenstab in der Stadt Kempten zu einem Bürger in Kost gethan und zwei ganze Jahre zur Schule, die dazumal der Abt im Kloster eingerichtet hatte, gezogen und angehalten. In welcher Schule denn auch Matthias dermaßen sich vor Andern in Zucht und Lehre hervorgethan, daß ihn der Abt sogar zu sich ins Kloster auf seine eignen Kosten ausgenommen und folgends bald hernach, weil er sich in Lehre und Leben alleweg fromm, fleißig und eingezogen hielt, mit etlichen jungen Mönchen von Adel, deren Pädagogus oder Aufseher er sein sollte, auf die hohe Schule gen Wien in Oesterreich geschicket hat. Daselbst ist er im Studieren gar fleißig und ernstlich fortgefahren und eines züchtigen und ehrbaren Lebens und Wandels für und für geblieben, wie denn davon wahrhaftig Zeugniß gaben viele fromme und gottesgelehrte Leute, die zum Theil noch am Leben waren, als Ludwig Rabus, Prediger der Kirchen zu Straßburg, ein Landsmann, Zeit- und Glaubensgenosse desselben, im andern Theile seiner Historien der heiligen auserwählten Gotteszeugen im Jahre 1556 auch vom Leben und Ende unseres frommen Matthias Alles gar fleißig erforscht und für die Nachwelt getreulich erzählt hat.

Nachdem nun aber Matthias von der hohen Schule wiederum heim gekommen, hat ihm der Abt von Kempten die Schule desselbigen Ortes anvertraut und ihn erstlich zu einem Schulmeister gemacht, bald darauf aber ihn auch zu einem Priester, wie zur selbigen Zeit der Brauch gewesen, weihen lassen und ihm als einem verständigen und gottseligen Manne die Seelsorge sammt dem Predigtamt in einer besondern Pfarrei, genannt die Pfarr auf dem Berg, welche Kirche außerhalb der Stadt Kempten zunächst am Kloster unter des Abtes Herrschaft gelegen ist, anvertraut und anbefohlen. In solchem Pfarramt also bei St. Lorenz hat er sich ohngefähr in die 6 ganze Jahre dermaßen in Lehre und Leben gehalten, daß er von männiglich in Stadt und Land lieb gehalten worden ist, auch einen großen Zugang frommer Christenleute bekommen hat, die, des papistischen Joches überdrüssig, mit höchster Begierde und Andacht die reine Lehre des Evangeliums von ihm angehört haben. Nenn Gott der Herr ihn bei Zeiten und gar bald aus des Antichrists Greueln in die Erkenntniß seines heiligen Wortes durch seinen heiligen Geist gnädiglich geführt hat. Und ob er gleichwohl im Anfang nach papistischer Gewohnheit noch Messe gelesen, so ist doch dies in alleweg seine vornehmste Sorge gewesen, wie er den Inhörern von der Kanzel Gottes Wort rein und lauter predigte und dasselbige auch mit nachfolgendem züchtigen Wandel, wie einem rechtschaffenen Hirten und Seelsorger zusteht, zieren möchte. Hat auch daneben alles Opfer, so ihm das Jahr durch geworden, den Armen um Gottes willen zu ihrem Unterhalt verabfolgen lassen. Und endlich ist er des Meßkrames gar müßig und ledig gestanden.

Die Summa seiner Lehre zum Volke aber bestand vornehmlich aus folgenden 2 Stücken. Das 1. Stück ist dieses: daß Vergebung der Sünden, Gottes Gnade und das ewige und selige Leben nicht durch unser Verdienst oder Thun, sondern allein durch einen rechten, wahren Glauben an den lebendigen eingebornen Sohn Gottes, den Herrn Jesum Christum, welcher um unserer Sünde willen dahingegeben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt ist (Röm. 4, 25), erlangt und erhalten werde; das andere Stück aber ist dieses: daß aber danach aus einem solchen Glauben zum Zeugniß, daß er rechtschaffen und wahr sei, die rechten christlichen und in Gottes Wort gegründeten guten Früchte und Werke der Liebe gegen Gott und den Nächsten folgen sollen und müssen. Das ist auch die Hauptsumme des Evangeliums und der Lehre des theuern Gottesmannes Dr. Martin Luther.

Und da im Jahre 1525 aus Verhängniß des zornigen Gottes, „dessen Gericht dahin ging“, wie die Chronik der Stadt Kempten sich ausdrückt, „daß die unbarmherzige Obrigkeit und die ungehorsamen Unterthanen einander selber strafen mußten“ (was denn auch reichlich und schrecklich geschehen), nach langen vergeblichen Verhandlungen zwischen dem Abt von Kempten und seinen Unterthanen endlich eine erschreckliche Empörung der Bauern wider ihre verordnete Obrigkeit zuerst gerade in der Gegend von Kempten ausbrach, um sich von da fast über ganz Deutschland auszubreiten und dasselbe jämmerlich zu verwüsten, so hat unser Matthias, wie alle Reformatoren und zumal unser Luther, in seinen Predigten solchem Unwesen mit höchstem Ernste widersprochen, seine Zuhörer von solchem aufrührerischen Vornehmen öffentlich abgemahnt, auch angezeigt, wie sie mit solcher Unweis den allmächtigen, ewigen Gott schwer erzürnen und daneben auch Ursache geben werden, daß die reine Lehre des Evangeliums, die doch alle Christen ermahnt, einem Jeden zu geben, was man ihm schuldig ist, von den Feinden und Widersachern desselben zur Lästerung göttlichen Namens geschändet und geschmäht und also der Lauf göttlichen Wortes verhindert werde. Endlich aber, weil ohne Zweifel der heilige Geist ihm inwendig in seinem Herzen zu verstehen gegeben, wie er nicht allein mit dem Munde, sondern auch mit seinem Blut und Tod den Herrn Christum preisen und bekennen sollte, hat er oftmals in seinen Predigten neben andern Vermahnungen die Zuhörer auch vor der zukünftigen Aergerniß des Kreuzes und Todes vermahnt, so ihm etwa auferlegt und widerfahren möchte, daß sie sich daran ja nicht wollten weder seiner Person noch seiner Lehre halben stoßen und ärgern, wenn sie schon sehen sollten, daß er um seiner Predigten willen vom Widerpart gefangen genommen, geschmähet, verspottet, ja gar getödtet und erwürgt würde, sondern dagegen gedenken und sich aus Gottes Wort dessen erinnern, daß solches nicht allein ihm, sondern den heiligen Propheten im alten, den heiligen Aposteln im neuen Testament, ja dem Sohne Gottes Jesu Christo selber begegnet und widerfahren sei, und wissen, daß nach der Lehre des heiligen Apostels Paulus alle die, so da wollen in Christo Jesu gottselig leben, in dieser Welt Verfolgung leiden müssen (2 Tim. 3, 12). Und so ist es denn auch bald geschehen. Es ist eine papistische Gewohnheit desselbigen Ortes gewesen, daß man jährlich an der Herren Tag, wie sie es nannten, Gordiani und Epimachi das Heiligthum aus dem Kloster hinaus auf die Wiese, genannt die Schwaigwiese, getragen und dem armen Volk bei der Maria-Kapelle dasselbige gezeigt und dabei großen Ablaß verkündet hat. Wider diese heidnische Abgötterei und Unweis hat der gottesfürchtige Matthias als ein rechter Eiferer der Ehre Gottes und der Wohlfahrt vieler armen Seelen etwas ernstlicher, ja gar heftig und mit großer Freudigkeit aus Gottes Wort geprediget und hiemit die Herzen der falsch genannten Geistlichen wider sich erbittert. Bald aber nach solchem, damit eines zum andern käme, hat der neue Abt, genannt Sebastian Breitensteiner, seine erste Messe gesungen, darauf viele Prälaten, Edle und andre Herrn erschienen und zugegen gewesen sind. Bei derselbigen ersten Messe hat auch Matthias gepredigt und neben Anderem der Geistlichen Pracht, Stolz, Hoffart, Uebermuth und Pomp sammt dem ganzen Papstthum ernstlich gestraft und verworfen, so daß ihn auch nach gethaner Predigt des Abtes Bruder, Hans von Breitenstein, erstochen hätte, wäre die blutige That nicht vom Bürgermeister der Stadt verhütet worden. Gailin, lateinischer Schulmeister in der Stadt, nahm den Pfarrer mit sich und beherbergte ihn mehre Nächte in seinem Hause, da er in seiner eignen Wohnung außerhalb der Stadt nicht sicher war. Daher sich also der Neid und Haß der Papisten wider ihn erhoben hat, daß sie ferner Tag und Nacht ohne Unterlaß danach trachteten, wie sie ihn vertilgen möchten, auch bei dem schwäbischen Bunde, der damals wider die aufrührerischen Bauern gerüstet war, nicht allein die Aufrührer, so den Reichsständen zuwider, sondern auch alle evangelischen Prediger, die sie betreten konnten, hinzurichten, daß sie also auch bei dem Bunde hierüber Rath suchten und mit Ernst darum anhielten. Der Rath aber war bald gefunden, bewilligt und beschlossen (denn Herodes, die Pharisäer und Pontius Pilatus werden gar bald eines, wenn Etwas wider Christum und seine Glieder zu thun ist), daß man ihn nämlich bei erster gelegener Zeit auffangen und tödten sollte. Die Praktik ward auch bald erdacht und zwar auf den nächsten Sonntag nach St. Bartholomäi Tag (im Jahre 1525) und auf diese Weise.

Sein Sigrist oder Kirchner ist nämlich zu ihm gekommen an demselbigen Sonntag in den Pfarrhof der St. Mangenkirche zu Kempten, woselbst er bei dem Prediger an derselben Kirche, M. Paul Gälin, mit andern evangelischen Glaubensbrüdern versammelt war, und hat ihn berufen, er sollte daheim in seiner Pfarrei zuerst ein Kind taufen und dann dem andern Volke, so zugegen sein würde, eine Predigt halten. Wiewohl ihm nun solches die Andern alle widerriethen und ihn ermahneten, nicht hinauszugehen, sondern bei ihnen in der Stadt zu bleiben, denn man der papistischen Geistlichen Gemüth gegen ihn gar wohl erkennen konnte, hat er doch geantwortet: weil sein Amt und Beruf solches erheische und er nun auch zu Pfarrgeschäften erfordert werde, so wolle er hinausgehen und erwarten, was ihm Gott der Herr hierüber zuschicken werde. Wie er nun aus der Stadt hinaus zu seiner Pfarr gegangen, wo ihm auf dem Wege vor dem Kloster ein Kaplan begegnete und ihn warnte, und er zuvor in sein Haus gehen wollte, ist er von etlichen reisigen Knechten des Bundes bei seinem Garten überfallen und gefangen genommen worden, wobei er auch, obwohl er sich ohne Sträuben in die Hände der Blutgierigen ergab, einen Stich empfangen hat und also verwundet worden ist, daß man seine Mutter, welche zur selben Zeit noch lebte, glauben machte, sie auch nicht anders glaubte, als daß ihr geliebter Sohn am selbigen Stich gestorben sei.

Was sich aber nach seiner Gefangennehmung noch weiter mit ihm zugetragen und wie es ihm ergangen sei bis zur Zeit seines Todes, wollen wir aus einem „Volkslied von der Lehre, dem Leben, dem Gefängniß und dem Tod des theuren Märtyrers Matthias Waibel“, besonders aber aus der Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft und Abtei Kempten von Joh. Bapt. Haggenmüller gar entnehmen.

Auf ein Pferd gebunden, wurde er eiligst nach Leutkirch entführt, 3 Meilen von Kempten, und daselbst 12 Tage lang gefangen gehalten, ohne ein einziges Verhör erlangen zu können, so man doch selbst einem Mörder nicht verweigert. Die Bürgerschaft von Kempten aber, die den frommen evangelischen Pfarrherrn gar sehr geliebet, wollte, als sie erfuhr, was geschehen, alsbald nacheilen, um ihn aus den Händen der Henker zu befreien. Weil aber kein Geleit gegeben war, so ließ der Rath die Thore der Stadt vorsorglich schließen. Doch machte der Rath sogleich ernstliche Vorstellungen bei dem Abte. Dieser weigerte sich mit Entschiedenheit und mit Grimm, eine Bitte für den evangelischen Pfarrer bei dem Bunde einzulegen. Die Stadt Leutkirch aber, welche ihn auch losbitten wollte, wies der Hauptmann, der seit dem 20. August 1525 mit etwa 12 Pferden samt dem Profoßen Achelin, dem letzten Wissenden des westphälischen oder des Fehm-Gerichts, daselbst gelegen, falsch und listig an den Truchseß Georg von Waldburg, des schwäbischen Bundes Obersten, zu dem er den Pfarrherrn bringen wolle, ihm loszuhelfen. Der Hauptmann ritt nun alsbald fort. Zwei Stunden später aber wurde ihm Waibel, auf ein Pferd gebunden, gen Waldsee eiligst nachgeführt. Auf dem Wege dahin begegneten ihm 2 papistisch gesinnte Mönche von Lenzfried. Die trieben mit ihm gottlosen Spott, aber der fromme Pfarrherr lobete Gott und stimmte Psalmen an. Zwischen Leutkirch und Diepoldshofen lenkte der Profoß einem Walde zu; bei einer Buche angekommen, verkündete er dem Pfarrherrn sein nahes Ende. Dieser grüßte vor Freuden den Baum, an dem er sterben sollte, und küßte den Strick, den man ihm alsbald um den Hals legte, betete zu Gott und vergab allen seinen Feinden von Herzen. – Dann endete der Profoß sein trauriges Geschäft.

Es fängt also an: Die Wahrheit thut mich zwingen den Hirten thu‘ ich nennen,
Aus meines Herzens Grund, Herrn Matthias Waibel gut.
Daß ich ein Lied muß singen, Wer seiner sich thut schamen,
Dadurch ich thue kund, Der hat lein Christenblut.
Wies traurig ist ergangen, Sein‘ Schäflein hat er trieben
Davon ich sing‘ und sag‘ ; Auf die Weid‘ zu guter Frucht,
Ein Hirt ward schnell gefangen, Beim Wort Gott’s ist er blieben.
Den Schafen zu großer Klag‘ . In Gottes Ehr‘ und Zucht.

Und schließt mit diesem Zeugniß von seinem Märtyrerthum, aus dem Munde seiner Henker:

Auch thaten sie umgehen „Gott Vater“, thät er sprechen,
Mit Wahrheit allbehend! „Mein‘ Geist befehl‘ ich dir,
„Keiner hab‘ je gesehen Mein‘ Tod wollst, Herr, nicht rächen.
Ein christlicheres End‘ “. Bitt‘ ich dich mit Begier“.
Er opfert‘ Gott sein Leben Also hat sich geendet
Und auch die große Schand. Das christlich Leben sein;
Er thät‘ ihn‘ n all‘ vergeben, All Leid hat sich gewendet,
Nur Liebe er empfand. Er ging in den Himmel ein.

Es war nach der Erzählung bei Haggenmüller der Abend vor Mariä Geburt, also der 7. September, nach andrer allgemeiner Annahme aber schon der 6. September im Jahre des Heils 1525, als der Reformator des Allgäus, Matthias Waibel, dessen Geburtstag für das Leben auf Erden und dessen erreichtes irdisches Lebensalter uns Niemand aufgezeichnet, an seinem Geburtstag für das höhere Leben reif und vollendet in den Himmel einging.

Das Gedächtniß der Gerechten bleibet auch bei den Menschen im Segen. Nach einigen Tagen erlaubte der Vogt zu Zeil, Martin Fürsthäuser, zwei Bürgern von Leutkirch, den Leichnam in der Feldcapelle bei St. Wolfgang auf der Haide mit Ehren zu bestatten. Das ganze Volk aber erkannte in dem frommen Pfarrherrn und Märtyrer mit Recht einen Heiligen, der in seinem heiligen Zeugentode für den Herrn und sein Reich noch mehr gewirkt, als in seinem frommen Leben. – Sein Gedächtniß sei bei uns evangelischen Christen allen alle Zeit gesegnet!

Johann Paul Hechtfischer in Benk, jetzt in Seibelsdorf (Bayern).

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862