Elisabeth von Thüringen

Elisabetha von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen.

geb. 1207. gest. 1231.

Gertrud von Meranien, fromm und männlich wie ihr Gemahl, König Andreas von Ungarn, gebar demselben im Jahre 1207 zu Preßburg eine Tochter, die bestimmt war, eine der berühmtesten und gottseligsten Frauen der deutschen Vorzeit zu werden. Elisabetha war der Taufname des Kindes. Schon in ihrer zartesten Kindheit, als dreijähriges Mädchen, zeichnete sie sich durch Züge des Mitleidens gegen Arme aus, während in ihr junges Herz die vorgesprochenen Gebete, die Unterweisung im Glauben als lebendige Samenkörner fielen. Sage und Dichtung verherrlichten wetteifernd schon die ersten Jahre der frühreifen Elisabeth als eines Wunderkindes.

Landgraf Hermann von Thüringen, ein mächtiger und trefflicher Fürst, ließ für seinen Sohn Ludwig um das Königskind werben, und der Sänger Klingsohr versäumte nicht, nach eigener Anschauung die Reichtümer des Grafen, die Fruchtbarkeit seiner Lande und das Glück seines Volkes zu schildern, das viel Bier trinke und schönes Weißbrot esse. Die kleine, nicht mehr als vier Jahre alte Elisabeth wurde denn auch dem jungen Ludwig versprochen, in ein gold- und silbergesticktes seidenes Gewand eingehüllt, in eine Wiege von gediegenem Silber gelegt und von der weinenden Mutter den Thüringern übergeben. Mit Geschenken und Kostbarkeiten beladen, brachten die Brautwerber die Verlobte glücklich nach Eisenach. Der Landgraf mit seiner Gemahlin eilte von der Wartburg herab, und am folgenden Tage wurde vor Hof und Bürgerschaft die vierjährige Prinzessin feierlich mit dem elfjährigen Prinzen Ludwig verlobt, den sie von da an nie mehr verließ und den sie fortan ihren Bruder nannte.

Einen tief ernsten Eindruck machte auf sie die grausame Ermordung ihrer jungen Mutter durch die eigenen Untertanen, denen sie ihr Leben preisgab, um ihren Gemahl vor den Verschwörern zu retten. Gewiss bildete dieses schreckliche Ereignis den dunklen Grund ihres ganzen Lebens und ihrer absonderlichen Frömmigkeit. So oft sie nur konnte, ging sie in die Schlosskapelle, legte sich am Fuße des Altars hin, und obwohl des Lesens noch nicht kundig, ließ sie sich ein großes Psalmbuch öffnen, faltete die Hände, blickte zum Himmel auf, um nach Kinder Weise gar eifrig zu beten. Gewann sie etwas im Spiele mit andern Kindern, so gab sie es armen Mädchen mit der Auflage, dafür eine Anzahl Vaterunser zu beten. Selbst die Streiche, die sie ihren Gespielinnen spielte, hatten eine religiöse Beziehung. Alles Geld, das sie von ihren Schwiegereltern erhielt oder ihnen ablocken konnte, teilte sie den Armen aus, alle Überbleibsel von Speisen, die sie in den Küchen und Gewölben habhaft werden konnte, brachte sie armen Hungrigen, zum großen Verdruss der landgräflichen Hausbeamten. Zu ihrem Lieblingsheiligen erkor sie den jungfräulich zarten und reinen Johannes.

Früh übte sie sich in freiwilligen Entbehrungen. An Sonn- und Festtagen ließ sie einen Teil ihres fürstlichen Putzes zur Seite. Mitten im Spiele, wo sie am glücklichsten war, konnte sie aufhören. Obwohl eine große Freundin des Tanzes, begnügte sie sich doch stets mit einer einmaligen Runde.

In ihrem neunten Jahre starb der Vater ihres Verlobten. Nun kam sie unter den Einfluss seiner Mutter, der Landgräfin Sophie, einer Tochter des Bayernherzogs Otto von Wittelsbach, welche diesen frühzeitigen Übungen absonderlicher Frömmigkeit des Kindes gram war und sie dem Spotte des Hofes um so mehr aussetzte, als sie eine Vorliebe für den Umgang mit schlichten Eisenacher Bürgerskindern, ja mit den Töchtern von Dienstfrauen und armen Leuten zeigte. Es sei nichts Fürstliches an ihr, sie tauge nur zu einer Kammerfrau oder Magd, hieß es.

Unerträglich war es der Landgräfin, dass an einem hohen Feste Elisabeth, neben ihr vor dem Bilde des Gekreuzigten in der Kirche kniend, die Krone vom Haupte nahm, auf den Betstuhl legte und sich ohne allen Kopfschmuck zur Erde niederwarf. Bittere Scheltworte erpressten wohl bittere Tränen, aber vermochten Elisabeth nicht, von ihrer Weise zu lassen. Nun wurde sie Gegenstand förmlicher Verfolgung am Hofe, man riet, sie nach Hause zu senden, eine solche Begine (Betschwester) tauge nicht zur Fürstin; die Landgräfin wollte sie in ein Frauenkloster zwingen; Agnes, die in allen Reizen weltlicher Schönheit strahlende Tochter der Landgräfin, meinte, eine Dienstmagd wäre an ihr verdorben.

Elisabeth hatte Niemand an dem fremden Hofe, dem sie ihr Leid klagen konnte, als ihren Gott, und nur zu den Füßen des Gekreuzigten durfte sie ihren Schmerz ausweinen; ihre einzige Gesellschaft blieben die Kammerfrauen und armen Mädchen, gegen die sie ihre Freundlichkeiten verdoppelte.

Gegen alle Erwartung blieb der junge Landgraf seiner Verlobten in der Stille treu. Ihre Bescheidenheit, ihre Geduld, ihre Mildtätigkeit war sein geheimes Glück. Er verfehlte nicht, in einsamen Stunden sie mit freundlichen Worten aufzurichten, von jeder Reise ihr einen Beweis seiner herzlichen Zuneigung mitzubringen. Am St. Kilianstage des Jahres 1218, als er sein achtzehntes Jahr zurückgelegt, ließ er sich in der St. Georgskirche zu Eisenach zum Ritter schlagen, das folgende Jahr führte er Krieg gegen den Erzbischof von Mainz, und im Jahre 1220 feierte er in fürstlicher Pracht seine Vermählung auf der Wartburg. Ludwig zählte zwanzig, Elisabeth dreizehn Jahre. Nach allen Nachrichten war er ein nach Körper und Geist gleich ausgezeichneter Jüngling.

Er wusste als Landgraf Zucht, Sitte und Religion zu üben und zu schützen, sein liebster Gang war in die Benediktinerabtei zu Reinhardsbrunn, wo er sich seine Grabstätte ausersehen. Dort besuchte er regelmäßig zuerst das Kranken- und Pilgerhaus, tröstete die Siechen und spendete reichliches Almosen. Aus Enthaltsamkeit aß er nie gesalzene oder gewürzte Gerichte, ganz gegen damalige Fürstenfitte tranf er niemals Bier, und nur wenn er krank war, Wein. Er war einer der stärksten und ritterlichsten Männer seiner Zeit: einen losgewordenen Löwen bändigte er durch bloßes Drohen mit Faust und Stimme. Zudem war er voll guter Sitte gegen die Frauen, voll Leutseligkeit gegen Untergebene, und gegen Jedermann bewies er jene edle Höflichkeit, welche sein Zeitgenosse, Franz von Assisi, so schön die Schwester der Liebe nennt. Nur eine Leidenschaft hatte er, die Gerechtigkeitsliebe. Unerbittlich war er gegen die, welche Recht und Wahrheit beugten, die Armen bedrückten, Ungebührliches taten oder sprachen; persönliche Beleidigung gegen ihn selbst vergab und vergaß er. Neben dieser Milde und Schlichtheit war er aber ein weiser und staatskluger Herr, trotz seiner Jugend. Thüringen blühte unter diesem Fürsten, dessen Wahlspruch war: „Fromm, keusch, gerecht,“ und der hiermit auf seltene Weise den ritterlichen Sinn mit dem priesterlichen verband.

Für einen solchen Mann war Elisabeth, „die fromme, die keusche und die liebe,“ wie sie in den Chroniken genannt wird, das von Gott erwählte Weib. Sie wird als eine vollkommene Schönheit geschildert, das rundliche Angesicht bräunlich und hold, ihr Haar schwarz, ihr Wuchs unvergleichlich schlank und voll Anmut, ihr Gang ernst und voll Adel, ihre Augen ein Sitz der Zärtlichkeit, der Spiegel ihrer schönen Seele. So steht sie noch jetzt in Holz gebildet hoch an einer Säule der Elisabethenkirche zu Marburg, in der Linken das Modell ihrer Kirche haltend, rechts einem Armen zu ihren Füßen Almosen spendend.

Mit ihrer feurigen Liebe zu ihrem jungen Gemahl verband sie eine kindliche Ergebung und eine zärtlich-gehorsame Aufmerksamkeit auf jeden Wink. Dafür ließ Ludwig sie in ihren milden Werken gewähren, munterte sie auf und half dazu; nur wenn ihr Eifer zu weit gehen wollte, warnte er die Folgsame mit liebender Vorsicht.

Mit schonender Liebe trug er ihre selbsterwählten klösterlichen Übungen, die sie sich nach damaliger katholischer Weise auflegte. Jede Nacht nämlich verließ sie, während ihr Gemahl schlief oder zu schlafen schien, ihr Lager, um neben demselben niederzuknien. Oft bat sie der erwachende Gatte, ihrer zu schonen, ja er nahm sie an der Hand und hielt sie, bis sie sich wieder niedergelegt hatte. Ein heiterer Zug ist, wie sie, um ihre Gebetsstunde nicht zu verschlafen und ihren Mann nicht zu stören, ihrer vertrautesten Kammerfrau befahl, sie zur Zeit durch ein Zupfen am Fuße zu wecken, die Dienerin aber einmal sich irrend den Landgrafen an der Zehe fasst, dieser plötzlich erwacht, aber, die Ursache der Störung merkend, sich wieder geduldig zur Ruhe legt.

Auch in der Ehe fuhren die beiden, von frühester Jugend an einander gewöhnten Gatten fort, sich Bruder und Schwester zu nennen. Sie begleitete ihn fast auf allen Reisen. Ging er zu weit fort, als dass sie hätte mitgehen können, so legte sie ihren fürstlichen Schmuck ab, zog Witwenkleider an, verhüllte sich das Haupt und erwartete seine Heimkunft in Gebet, Wachen und nonnenhaft strengen Bußübungen. Mit kindlicher Freude ging sie dem Heimkehrenden in fürstlichem Schmucke entgegen, Alles aufbietend, ihm wohlzugefallen um Gottes willen. Es stieß schon damals gegen die Sitte der Vornehmen an, dass bei Tische die Gemahlin zur Seite ihres Herrn sitze, sie aber ließ sich das Vorrecht der Liebe schlechterdings nicht nehmen, und wusste durch ihre Anwesenheit dem leichtfertigen Tone der Hof- und Weltleute einen Zügel anzulegen.

So war sie auf dem Gipfel des irdischen Glückes. Aber als ob sie dem Kreuze zuvorkommen wollte, das der Herr seinen Lieblingen aufzulegen nicht vergisst, „weil sie ohne dasselbe sind wie eine Braut ohne Kranz,“ suchte sie in selbsterwählter Geistlichkeit über Gebot und Not sich Opfer aufzulegen, und das wirft uns über dieses herrliche Frauenbild einen sehr trüben Schatten, den wir freilich mit der Sitte ihrer Zeit und der Lehre ihrer Kirche entschuldigen müssen. Sie strebte ihr Fleisch abzutöten durch Nachtwachen, durch stetiges Tragen eines härenen Hemdes auf bloßem Körper, durch Geißelhiebe auf den bloßen Rücken jeden Freitag und die ganze Fastenzeit hindurch, später sogar in jeder Nacht, um „damit dem Heilande, der ebenfalls gegeißelt wurde, einige Vergeltung anzubieten!!“ Dabei übte sie sich übrigens, nicht sauer zu sehen, immer heiter und freundlich zu sein, allen Hoffesten und Bräuchen abzuwarten. Auf den Rat ihres Beichtvaters aß sie bei Tafel nichts von solchen Gerichten, welche durch den Schweiß der Untertanen und nicht durch den Ertrag ihrer eigenen Güter bestritten wurden, so dass sie oft hungrig und durstig von dem reichbesetzten Fürstenmahle aufstand und sich mit einem Stück Schwarzbrot begnügte! Fand sie in den Küchen und Speisegewölben nur solche Speisen, die sie für erlaubt hielt, so konnte sie kindlich froh in die Hände klatschen und rufen: „Heute geht’s gut, heute dürfen wir essen und trinken!“ Sie war damals noch nicht sechzehn Jahre alt. Einst ging sie an einem großen Festtag in Edelsteinen strahlend, das Haupt mit der landgräflichen Krone geschmückt, von ihrer Schwiegermutter und zahlreichem Gefolge begleitet, von der Wartburg nach Eisenach hinab in die Kirche. „Da hängt dein Gott nackt am Kreuze, und du, unnütze Kreatur, bist mit kostbaren Gewändern bedeckt; Sein Haupt durchstechen Dornen, und das deine schmückt eine goldene Krone!“ so sprach sie, sank ohnmächtig zusammen und gelobte von Stund‘ an, auf allen Schmuck zu verzichten, außer wo ihr Rang oder ihr Gemahl es gebot, dann aber unter dem fürstlichen Gewande das wollene Kleid und das härene Bußgewand zu tragen.

Während sie also gegen sich hart war, floss ihr Herz über von Liebe und Barmherzigkeit gegen die Unglücklichen. Allen ihren Überfluss, alle Ersparnis widmete sie den Armen, manchmal ihre eigenen Kleider. Wichtiger noch als dieses war die persönliche Hingabe, die sie mit kindlicher Einfalt und Heiterkeit übte. Kamen Kranke mit Bitten, so erkundigte sie sich nach ihrer Wohnung, um sie besuchen zu können. Kein Weg war ihr zu weit, keine Hütte zu schmutzig und dumpf. Erquickung und Aushilfe brachte sie selber mit, mehr als ihre Gaben galt ihr sanftes, liebreich tröstendes Wort. Schulden tilgte sie aus ihrer eigenen Kasse. Die neugebornen Kinder armer Wöchnerinnen nahm sie mütterlich auf, die Armen hüllte sie in selbstverfertigte Kleider, hob sie aus der Taufe, um ein Recht zu haben, ihnen stets die Mitmutter zu sein. Starb einer ihrer Armen, so kam sie, wenn es irgend möglich war, und wachte bei der Leiche, hüllte sie eigenhändig (oft in die eigenen) Betttücher ein, war beim Begräbnis zugegen und folgte demütig dem dürftigen Sarge des Letzten ihrer Untertanen.

War sie auf ihrem Schlosse, so verwandte sie ihre Stunden auf mühsame und nützliche Arbeiten. Sie spann mit ihren Ehrenfräulein Wolle und verarbeitete sie selbst zu Kleidern für Arme. Um zu erfahren, wie Armenkost schmecke, ließ sie ihre Mahlzeit aus einfach ohne Salz und Würze gekochtem Gemüse bestehen, das sie dann mit großer Freudigkeit aß.

Entdeckte sie die Spur irgend einer Gewalttätigkeit oder eines Unrechts gegen die armen Landleute, so zeigte sie es alsbald ihrem Gemahle an, oder suchte selber das Unrecht wieder gut zu machen, so weit es ihre Mittel erlaubten. Sie überbrachte ihnen Geld, Lebensmittel und Kleidungsstücke. Einst stieg sie so belastet in Begleitung einer ihrer vertrauten Frauen einen kleinen, sehr rauen Weg, den man noch heute zeigt, hinunter und trug unter ihrem Mantel Brot, Fleisch, Eier für die Armen. Plötzlich stand ihr Mann, von der Jagd heimziehend, vor ihr und fragte die gebückt Einhergehende: „Lass sehen, was du trägst.“

„Rosen,“ antwortete sie, „um mir einen Kranz zu machen.“ Er aber zog mit den Worten: „Lass sehen die Rosen,“ den Mantel der sich Sträubenden zurück und sah lächelnd und erstaunt die Bescherung, die ihm schöner als der schönste Rosenstrauch am Busen seiner Getreuen dünken musste. Die Sage ließ auch wirklich die sieben Sachen wunderbarer Weise vor seinen Augen in Rosen verwandelt werden! Die Maler und Bildhauer bildeten sie daher vielfach mit Rosen in ihrem Mantel ab, noch heute sieht man Rosen in großer Zahl um ihre Kirche zu Marburg und auf der Wartburg selbst.

Die erste Stelle an ihrem Herzen nahmen die Aussätzigen ein. Es war eine so furchtbare Krankheit des Mittelalters, man hielt diese Kranken als von Gott gezeichnet und schied sie von der christlichen Gesellschaft aus. Elisabeth aber ging, wo sie einen sah, zu ihm hin, tröstete ihn, sprach heitern Mut zu, hieß ihn den Segen dieses Kreuzes erkennen und beschenkte ihn. Einst traf sie einen dieser Unglücklichen, der noch dazu an einer ekelhaften Kopfkrankheit litt. Sie ließ ihn, dessen kein Mensch sich annahm, in einen abgelegenen Teil ihres Baumgartens bringen, schnitt ihm selbst die Haare ab, wusch und verband ihm den Kopf auf ihrem Schoße. An einem grünen Donnerstage wusch sie einer großen Anzahl Aussätziger Füße und Hände und küsste kniend ihnen Wunden und Geschwüre. Einmal nahm sie einen entsetzlich kranken Aussätzigen, dem Niemand zu nahen wagte, zu sich, badete ihn, salbte ihn mit heilsamen Ölen und legte ihn in ihr eigenes Bett, zum Entsetzen der Schwiegermutter und des heimkehrenden Gemahls, der sich aber besänftigte, als er begriff, „wie der Herr in seinen kranken Gliedern aufgenommen und gepflegt werde.“ Den tiefen Eindruck, den dieser Auftritt auf den Landgrafen gemacht, benützte Elisabeth, um von ihm die Erlaubnis zu erbitten, dass sie ein Krankenhaus am Abhange der Wartburg bauen dürfe. Hier verpflegte sie denn achtundzwanzig Kranke oder Altersschwache, welche nicht bis zum Schlosse emporsteigen konnten. Jeden Tag besuchte, speiste und tränkte sie die armen Pfleglinge, denen zu lieb sie gerne selber die Ärmste werden wollte.

Bezeichnend für ihre kindliche Einfalt ist das Gespräch, das sie in einer schlaflosen Stunde mit ihrem Gemahle hatte. „Ich wünschte,“ sprach sie, „dass wir nur für einen Pflug Ackerland hätten, wovon wir lebten, und etwa zweihundert Schafe, dann könntet Ihr ackern, während ich die Schafe hütete.“ Laut über den kindischen Einfall lachend, erwiderte der Landgraf: „Ei, liebe Schwester, wenn wir so viel Land und Schafe hätten, so wären wir, wie mich dünkt, nicht gerade sehr arm, gar viele Leute würden da uns noch viel zu reich finden.“

In vertraulichen Stunden im Frauen-Zimmer legte sie wohl auch ihre schönen Kleider ab, hüllte sich in einen elenden Mantel und zerrissenen Schleier und spielte wie ein Kind vor ihren Frauen die arme, um Brot bittende Bettlerin. „So werde ich umhergehen,“ sprach sie mit prophetischem Wort, „wenn ich durch Gottes Willen arm und elend sein werde.“

Ihre ganze Art zu sein hing, wie bereits bemerkt, mit der menschlichen und kirchlichen Sitte ihrer Zeit zusammen, und darf daher nicht mit unserem Maßstabe gemessen werden. Wenn man in den alten Jahrbüchern liest, wie das damalige Geschlecht ein gott-inniges, natürliches, von jeder gemachten Rührsamkeit freies Gemütsleben hatte, dass selbst die eisernen Männer, die unüberwindlichen Helden, Herzen in ihrem Busen trugen weich und ungekünstelt wie die Kinder, dass Fürsten und Ritter, ja ganze Heere tiefgerührt in Tränen zerschmolzen, wie die Recken des Nibelungenliedes, wie Gottfried von Bouillon mit den ersten Kreuzfahrern am eroberten heiligen Grabe, wie Richard Löwenherz beim Anblicke Jerusalems so kann es nicht Wunder nehmen, wenn ein Wesen wie Elisabeth der einfachen, starken Empfindung sich kindlich hingab und die Lebensbeschreiber dieses zarten, liebeseligen Gemütes ganz besonders die ihr zu Teil gewordene himmlische „Gabe der Tränen“ rühmen. Kam noch die einseitige, auf leibliche Abtötung und irdische Heiligkeit gerichtete Lehre und Zucht der mittelalterlichen Kirche hinzu, so wird auch die in unsern Augen offenbare Übertreibung und Überspannung dieser kindlich frommen Seele begreiflich und bedeutungsvoll.

Elisabeth gab sich willenlos willig allen diesen Geboten ihrer Kirche und Gefühlen ihrer Zeit hin. Sie flog zur Kirche, sagt eine alte Handschrift von ihr, wenn man die Glocken anzog; sie legte, vor dem Altare kniend, allen Schmuck von sich; die Fastenzeit, die Passionszeit war ihr die Zeit der tiefsten Demütigung, nur im Bettelrock und in dürftigen Sohlen oder barfuß wallte sie zum Grab des Erlösers, nachdem sie die Nacht durchwacht hatte; ihr Platz war dann mitten unter dem ärmsten Volke, dem sie in Demut ihre Almosen verteilte. Sie ging in der Nachfolge des armen Lebens Christi an der Hand ihres Freundes, des heiligen Franz von Assisi, des reichen italischen Kaufmannssohnes, der vom Vater verstoßen, von seinen Mitbürgern mit Hohn und Kot bedeckt, sein letztes Gewand ablegte, um in seiner vollendeten Armut Dem, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege, die Welt zu erobern. Wie derselbe Alles, Mann und Frau, jenseits und diesseits der Alpen, in die Bahnen der freiwilligen Armut zog, so war Elisabeth, eine der Ersten, Stifterin eines Franziskanerklosters in Eisenach, und ein Franziskanerbruder musste ihr Beichtvater sein. Sie war die Erste, welche sich dem von Franziskus gestifteten „dritten Orden“ anschloss, der den Gliedern das Bleiben in ihrem weltlichen Stande und bürgerlichen Berufe erlaubte und daher die damalige halbe Welt in sich schloss. Zum Dank für die dem Orden geleisteten Dienste, zur Anerkennung ihrer selbstgewählten Demut und freiwilligen Armut musste der Heilige „seiner deutschen Tochter“ den armen, alten Mantel von seinen Schultern übersenden, der ihr köstlichster Juwel blieb, nachdem sie Alles, Alles hergegeben.

Ihr zweiter vom Papste ihr zugewiesener Beichtvater war der Dominikaner Konrad von Marburg, der ihr folgende Verhaltungsregeln vorzeichnete: 1. Ertrage geduldig Verachtung in freiwilliger Armut. 2. Lass dir die Demut am Herzen liegen. 3. Lass fahren menschlichen Trost und die Lüfte des Fleisches. 4. Sei barmherzig gegen den Nächsten. 5. Habe Gott stets in deinem Herzen und in deinen Gedanken. 6. Danke Gott dafür, dass Er dich durch seinen Tod von Hölle und Tod erlöst hat. 7. Weil Gott so viel für dich erlitten, so trage auch du dein Kreuz geduldig. 8. Weihe dich nach Leib und Seele ganz deinem Gotte. 9. Erinnere dich oft, dass du das Werk der Hände Gottes bist, und bestrebe dich daher, dass du auf ewig mit Gott vereinigt werden könnest. 10. Was du willst, dass dir die Menschen tun, das tue ihnen auch. 11. Denke immer daran, wie kurz das Leben ist, darum strebe immer nach dem himmlischen Leben. 12. Bereue stets deine Sünden und flehe zu Gott um Vergebung derselben. – Elisabeth fügte für sich das Gelübde immerwährender Enthaltsamkeit hinzu für den Fall, dass sie Witwe würde.

Jeder Christ wird den evangelischen Kern dieser Vorschriften erkennen und in seiner Weise sich dieselben anzueignen trachten. Elisabeth hatte ihrem Konrad von Marburg das Gelübde des unbedingten Gehorsams abgelegt. Streng und unbeugsam erleichterte er ihr nicht im Geringsten das Joch. Einst ließ er sie zu einer Predigt rufen; da aber eben ihre Schwägerin auf Besuch bei ihr war, ging sie nicht hin. Unwillig über diesen Ungehorsam ließ er ihr sagen, er wolle sich ferner mit ihrer Seelsorge nicht mehr befassen. Elisabeth eilte zu ihm, beschwor ihn, er möchte ihr verzeihen. Er schlug es ihr ab. Sie warf sich ihm zu Füßen, aber nur nach langem Zögern und unter Auflegung herber Buße erhielt sie Verzeihung.

Im Jahre 1223, als sie sechzehn Jahre alt war, wurde Elisabeth zum ersten Male Mutter auf dem Schlosse Kreuzburg. Der Landgraf erhielt zu Marburg die Kunde von seinem Erstgebornen, eilte nach Kreuzburg und ließ zum Andenken daran die steinerne Brücke bei Kreuzburg bauen, die noch heute steht. Das Jahr darauf genas sie einer Tochter. Zwei weitere Töchter, von denen die eine, Gertrud, nach dem Tode des Vaters geboren wurde, nahmen, von ihrer Wiege an Gott geweiht, den klösterlichen Schleier. Gleich nach jedem Wochenbette ging Elisabeth mit dem Kinde auf den Armen, barfuß in wollenem Kleide, den rauen Pfad hinab zur Katharinenkirche, um es dem Herrn darzubringen.

Während nun Ludwig mit der Kraft seines Armes über dem Rechte seiner Untertanen waltete und ritterlich den Bedrückten zu Hilfe eilte, fand Elisabeth in einer schrecklichen Hungersnot, die über Deutschland und Thüringen hereinbrach, ein reiches Feld der barmherzigen Liebe. Das hungernde Volk aß wilde Früchte und Wurzeln, das Aas von toten Pferden und Eseln, ja der schmutzigsten Tiere, und doch verhungerte eine Unzahl. Jetzt wurde die Wartburg zum Spital. Elisabeth ließ alles bare Geld verteilen, alle Vorratskammern öffnen zu sorgfältiger Austeilung für die tägliche Notdurft; in allen Öfen des Schlosses wurde Brot gebacken, täglich labte sie neunhundert Unglückliche. Zu den Gebrechlichsten trug sie die Überbleibsel der Tafel selber hinab. Zwei neue Hospitäler wurden gegründet und täglich ging die Fürstin Morgens und Abends den langen rauen Weg hinunter, um die Kranken von Bett zu Bett zu besuchen und ihnen selber die widerlichsten Dienste zu leisten. Sie reichte den abstoßendsten Kranken mit eigener Hand die Nahrung, machte ihnen das Bette, trocknete sie mit ihrem Schleier ab in unverwüstlicher Heiterkeit. Bei allem natürlichen Widerwillen gegen Krankenluft blieb sie in der Hitze des Sommers ohne Ekel in den verpesteten Krankensälen, während ihre Frauen murrten oder ohnmächtig wurden.

In einem dieser Pflegehäuser hatte Elisabeth eine besondere Anstalt für arme, verlassene und verwaiste Kinder gestiftet, denen sie ihre besondere Zärtlichkeit zuwandte. So oft sie erschien, hiengen sich Alle an ihre Kleider und riefen: „Mutter! Mutter!“ Dann mussten sie sich um die Fürstin hersetzen, die ihnen kleine Geschenke austeilte und ihren Zustand untersuchte. Die elendesten und ekelhaftesten Kranken pflegte sie auf ihrem Schoße.

Die übrige Zeit des Tages durchzog sie die Umgebung der Wartburg, um Almosen und Lebensmittel zu bringen, die ärmlichsten Hütten mit eigenen Augen zu durchforschen und die geringsten Dienste zu tun. Eines Tages bat ein Kranker, der zu schwach war seine Kuh zu melken, kläglich um etwas Milch. Alsbald eilte die Fürstin in den Stall, wo ihr freilich das an eine stärkere Faust gewöhnte Tier auch gar nicht gehorchen wollte.

Besonders gern trat sie an das Bette der Sterbenden, um tröstend und betend ihren Kampf zu lindern und den letzten Seufzer mit schwesterlicher Liebe wegzuküssen. Wo immer möglich, begleitete sie die Hingeschiedenen zu Grabe, nachdem sie mit selbstgewobener oder aus ihrem Vorrate genommener Leinwand sie umhüllt hatte. Einmal gab sie ihren eigenen Schleier dazu her. Sie litt es nicht, dass man die Reichen in kostbare Stoffe einwickelte, man sollte alte Stoffe nehmen und den Wert der neuen an die Armen verteilen.

Nicht minder wandte sie den armen Gefangenen ihre Liebe zu. Sie besuchte dieselben, kaufte die in der Schuldhaft befindlichen frei, verband die von den eisernen Fesseln verursachten Wunden, betete auf den Knien für ihr Heil.

Ihr einziger Ersatz für die ruhelose Tätigkeit war der Friede Gottes in ihrem Herzen, ihre einzige Erholung war das Dankgebet zu ihrem Gott, der ihr verstattete, diese armen Mitmenschen, seine liebsten Freunde, aufzunehmen und zu verpflegen.

Und nicht bloß der nächsten Nähe, dem ganzen Lande galt ihre mütterliche Sorgfalt. Alle Einkünfte des Landes mussten ausschließlich zur Linderung der Hungersnot verwendet werden, alle ihre Edelsteine und Kleinodien verkaufte sie zum Besten der Unglücklichen. Ihr Gemahl war abwesend; so war in ihrer Person die barmherzige Liebe Regentin des Landes.

Diese Vorkehrungen dauerten bis zur Ernte des Jahres 1226. Nun versammelte Elisabeth alle arbeitsfähigen Armen, gab ihnen Sicheln, neue Hemden und Schuhe zur Arbeit. Denen, die zu schwach dazu waren, teilte sie eigenhändig Kleider aus. Jedem Armen gab sie eine kleine Summe Geldes mit nach Hause, fehlte es ihr daran, so teilte sie ihre Gewänder aus mit dem Befehle, sie zu verkaufen, aber dann auch nach Kräften zu arbeiten; denn „wer nicht arbeite, solle auch nicht essen.“

Mit dankbarer Liebe hielt solche Tätigkeit der Mund des Volkes fest, der noch bis in die neuere Zeit der Orte ihrer stillen Großtaten, des Elisabethenbrunnens, des Elisabethengartens, des Liliengrundes, der Armenruhe und des Elisabethentales gedachte. Mit herzlichster Liebe aber erkannte ihr vom kaiserlichen Kriegszuge heimkehrender Gemahl die treue Pflegerin seines Landes an und beschwichtigte die über ihre Verschwendung klagenden Beamten. „Wenn sie mir nur Wartburg, Eisenach und Naumburg bewahrt, das Übrige wird uns Gott wieder erstatten.“ Er wusste: „Almosen geben armet nicht.“

Im Jahre 1227 schloss sich der Landgraf als Feldoberster des mittleren Deutschlands dem Kreuzzuge Kaiser Friedrichs II. an. Es war ein herzzerreißender Abschied von Land und Weib. Sie konnte ihn nicht verlassen, mit Gewalt riss er sich endlich los und sie kehrte, in Tränen zerfließend, halb tot in die Wartburg zurück. Ihr ahnte, er werde nimmer wiederkommen; sie legte sogleich Witwenkleider an.

An der südöstlichen Spitze Italiens sammelte sich das mächtige Heer gegen Ende August, nachdem es wohlgemut die Alpen überstiegen. In Brundusium ging Ludwig mit dem Kaiser zu Schiffe, kaum aber an Bord angekommen wurde er von einem kalten Fieber befallen. Er fühlte bald die Nähe des Todes, ließ seinen letzten Willen niederschreiben, beichtete, nahm die Sterbsakramente und sah freudig der letzten Stunde entgegen. Ohne Seufzer und Tränen schied seine fromme Seele von hinnen. Ein ungeheurer Schmerz aber ergriff die Seinigen, als sie ihm ins verklärte Antlitz schauten. Wehklagen erfüllten die Lüfte: „das Licht unserer Augen, den Führer unseres Zuges haben wir verloren. Wehe, wehe uns!“

Indessen hatte Elisabeth ihr viertes Kind geboren, man konnte die langsam zur Heimat ziehende Hiobspost der verwitweten Mutter nicht ansagen, bis endlich die alte Landgräfin Sophie, die bei diesem Anlasse wieder mütterlich zu der Gemahlin ihres Sohnes sich neigte, es übernahm, sie darauf vorzubereiten. Erst meinte Elisabeth, der Landgraf sei gefangen, und hoffte auf seine Befreiung durch ihren Vater. „Sei geduldig, liebe Tochter, er ist leider gestorben!“ „Ach, Herr Gott, nun ist Alles, Alles für mich tot!“ rief die Unglückliche mit krampfhaft gefalteten Händen und erstickter Stimme. Leichenblass, halb von Sinnen lief sie durch die Hallen und schrie: „Gestorben, gestorben, gestorben!“ Sie war wie von Sinnen, lief wider eine Mauer und hielt sich an ihr, in Tränen zerfließend. „Nun hab‘ ich Alles verloren! Ach, ich trostlose Witwe, nun tröste mich Der, der Witwen und Waisen nicht verlässt, Gott, mein Gott, tröste mich!“ flehte sie in unsäglichem Schmerze. Ihre ganze Umgebung, das ganze Land teilte ihn mit der zwanzigjährigen Witwe.

Aber die Teilnahme für die junge Witwe dauerte nicht lange. Ihrem Harme lebend vergaß sie der Regierungssorgen und der Feind lauerte. Der ältere Bruder des verstorbenen Landgrafen, Heinrich mit seinem Bruder Raspe, ließen sich gegen die „überfromme, verschwenderische“ Elisabeth und ihren minderjährigen Sohn verhetzen. Weil sie „den Schatz verschleudert, das Land arm gemacht, ihren Mann betrogen und entehrt“ habe, wurde sie ihrer Güter beraubt und aus dem Schlosse verjagt. Nur bis zum äußern Tore durfte ihre Schwiegermutter sie begleiten, im Hofe fand sie, ledig jeder Habe, ihre Kinder und zwei Frauen. Beide Brüder hielten sich, bis sie fort war, versteckt. Allein, in Tränen, zu Fuß im strengen Winter, stieg die Königstochter den Felsenpfad zur Stadt hinab. Sie trug das jüngste Kind, die drei andern wurden von den Frauen geführt. Den Einwohnern von Eisenach, die sie mit Wohltaten überschwemmt hatte, hatte Landgraf Heinrich die Aufnahme der Fürstin verboten und sie gehorchten. In einer elenden Schenke fand sie in einem verfallenen Stalle eine Unterkunft, nachdem die darin befindlichen Schweine vom Wirte hinausgetrieben waren.

Jetzt in dieser tiefsten Erniedrigung kehrte plötzlich die Ruhe ihrer Seele wieder, ihre Tränen stockten und ein göttlicher Friede durchdrang ihr Herz. Um Mitternacht hörte sie das Glöcklein im nahen Franziskanerkloster zur Mette läuten, sie stand auf, ging zur Kirche und bat die Mönche um ein „Herr Gott Dich loben wir“ zur Danksagung für die Trübsale, die der Herr über sie verhängt. Gänzliche Unterwerfung unter Gottes Willen, völlige Hingabe in die jetzt über sie gekommene Armut erfüllte von nun an ihr Gemüt bis zum Tode.

Die scharfe Kälte und der Hunger ihrer Kinder zwangen sie, gegen Morgen die Kirche zu verlassen und um Obdach und Nahrung zu betteln. In der Stadt, wo sie Hunderte genährt und gepflegt, klopfte sie lange vergebens an die Türen. Ein armer Priester erbarmte sich ihrer, richtete Strohlager hin und suchte gegen Verpfändung einiger Habseligkeiten, die sie bei sich hatte, nach Lebensmitteln für die Mutter und ihre Kinder. Als aber ihre Verfolger erfuhren, dass sie eine Zuflucht gefunden, ließen sie ihr den Befehl zukommen, sie solle zu einem der Hofleute gehen, der ihr am feindseligsten gewesen und in Eisenach ein geräumiges Haus mit großen Nebengebäuden besaß. So groß indessen seine Wohnung war, so wies der Elende ihr doch nur ein dunkles Zimmer an, wo er sie einschloss, Nahrung und Heizung versagend. An diesem Orte brachte Elisabeth unter ihren weinenden Kindern die Nacht zu. Bei Tagesanbruch eilte sie fort, den Mauern für den Schutz gegen Wind und Wetter dankend, und herzlich gerne auch deren Herren dankend, „wenn sie nur wüsste warum.“ Sie kehrte in die Schenke zurück, um hier die Nacht, und in den Kirchen, woraus sie Niemand vertreiben konnte, den Tag zuzubringen. Um aber ihre Kinder vor Hunger und Kälte zu retten, musste sie sich auch noch zum härtesten Opfer entschließen. Zuverlässige Personen übernahmen die Kleinen und verbargen sie einzeln an entfernten Orten.

Jetzt ertrug sie, über das Los ihrer Liebsten beruhigt, ihr eigenes um so ergebener. Nachdem sie das Letzte verpfändet, suchte sie Verdienst durch Spinnen, um ihr eigen Brot zu essen und noch einen Bissen zu haben, den sie den Dürftigen teilen könnte. Nicht ein Zug der Teilnahme und des Mitgefühls regte sich in Eisenach, nach einmal bewiesenem Undank machte das verklagende Gewissen nur um so trotziger. Eine arme Bettlerin, der sie früher so lange wohlgetan, stieß sie sogar einmal beim Hinüberschreiten über einen unreinen Bach hohnlachend in das kotige Wasser: „Du wolltest keine Landgräfin sein, als du es warst, so liege nun arm im Kote; ich helfe dir nimmer auf!“ Elisabeth aber stand lächelnd auf, hieß auch dies, wie alles ihr Unglück, nicht unverdient, wusch ruhig und ergeben ihre Kleider in einem benachbarten Wasser ab und – fügt ein altes Buch hinzu – ihre geduldige Seele in dem Blute des Lammes.

Der Herr, dem sie in Gebet und Andacht ohne Murren und Klagen sich hingab, trocknete ihre Tränen, dass sie erfuhr: „Abendlang währt das Weinen, des Morgens die Freude.“

Indessen hatte Elisabeths Muhme, die Äbtin Mathilde von Kitzingen, durch ihre Schwiegermutter die Not erfahren und ließ sie mit den Kindern nach Kitzingen holen, wo sie ihr eine würdige Wohnung anwies. Von da zog Elisabeth zu ihrem Oheim, dem Fürstbischofe Egbert von Bamberg, der ihr das Schloss Botenstein zu freier Verfügung gab. Auf den Gedanken einer Wiedervermählung mit Kaiser Friederich II. ging sie, ihrem seligen Gemahle, seinen Kindern und ihrem Gelübde getreu, nicht ein. Sie lebte der Andacht und frommen Wallfahrten. Unendliche Trauer und unendliche Freude bereiteten ihr die Gefährten ihres Gemahls, welche die Leiche desselben von Otranto auf ihrer Rückfahrt von Jerusalem mit zurückbrachten. In der Abtei Reinhardsbrunn setzte sie ihn, begleitet von den treuen Rittern bei, unter dem Zusammenströmen von Reichen und Armen, Vornehmen und Geringen, unter dem Wehklagen des Volkes, das ihn drei Jahrhunderte lang als einen Heiligen verehrte.

Nun fehlte es nicht, dass die thüringischen Ritter den Landgrafen Heinrich zur Reue über seine Niederträchtigkeit brachten und der Verstoßenen zu ihrem Rechte verhalfen. Sie verzichtete auf Land und Leute, nur ihre Mitgift und das Leibgedinge ihres seligen Mannes sprach sie an. Der Landgraf, der einstweilen Vormünder über den rechtmäßigen Erben des Landes, den jungen Hermann, bleiben sollte, ging ihr, von seiner Mutter und seinem Bruder begleitet, entgegen und bat sie um Gotteswillen um Verzeihung. Statt zu antworten, warf sich Elisabeth weinend in die Arme ihres Schwagers. Auch die tapferen Recken umher konnten sich der Zähren nicht enthalten.

So war Elisabeth (zu Anfang des Jahres 1229) mit ihren Kindern und ihrer Schwiegermutter wieder auf ihrer Wartburg in allen gebührenden Ehren, und von ihrem Schwager mit aller Aufmerksamkeit behandelt. Sie hatte volle Freiheit zu den Übungen ihrer Andacht und ihrer Liebeswerke. Als Witwe von den Pflichten des Hofes entbunden, mied sie die Gesellschaften und Vergnügungen desselben, von denen sie wohl wusste, wie sie nur zu oft vom sauren Schweiße der Untertanen bestritten werden. Die Verächterin des Reichtums, die Liebhaberin der Armut wurde natürlich wieder als Närrin von den Dienern des Mammon verachtet, selbst die alte Landgräfin Sophie wurde wieder gegen sie eingenommen. Sie aber duldete und wirkte in aller Freudigkeit, der innere Friede strahlte von dem schönen Antlitze der jungen Witwe wieder. Papst Gregor IX. nahm sich ihrer freundlichst an, gewährte ihr das Recht zu einer Kirche und zu einem Kirchhof für ihren Magdalenenhospital, den sie in Gotha gründete, und empfahl ihre geistliche Leitung wieder dem Konrad von Marburg, seinem apostolischen Bevollmächtigten in Deutschland.

Gespornt von diesem, ermuntert vom Papste überließ sie sich nun einer selbsterwählten Geistlichkeit, wie nie zuvor. Das Wort des Erlösers missverstehend wie ihr Franz von Assisi gab sie alle Besitztümer hin und beschloss, sich von Türe zu Türe ihren Lebensunterhalt zu erbetteln. Nicht um der evangelischen Wahrheit willen, sondern weil ihr Geschlecht und ihre Schwäche ihr eine solche Lebensart untersagten, verwies ihr Beichtvater strenge den Gedanken. So ließ sie sich von ihrem Schwager die Stadt Marburg in Hessen samt ihrem Gebiete und Einkommen zum Eigentum abtreten, um dort sich ganz Gott und ihren Werken überlassen zu können, und zog sich, eigentlich wider Konrads Willen, aber von ihm begleitet, von der Welt zurück. In Marburg ward ihr zu viel Ehre erwiesen; daher bewohnte sie eine arme, verlassene Hütte im kleinen Dorfe Wehrda an den reizenden Ufern der Lahn, um Niemand zur Last zu fallen. Vor Wetter und Sonne musste sie sich unter eine Treppe verkriechen, mit Baumzweigen die Öffnungen verstopfen; ihre Augen litten vom Rauche, ihr Körper hatte nicht Schutz vor Hitze und Kälte, sie kochte sich die kümmerlichste Nahrung, bis in Marburg ihr neben dem Franziskanerkloster ein hölzernes Häuschen, mit Lehm verstrichen, nach ihrem Willen zur Witwenwohnung erbaut war. Am liebsten wäre sie ganz in die strenge Ordensregel des Franziskus getreten, da aber Konrad es nicht zugab, so wollte sie wenigstens öffentlich die Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams und der gänzlichen Armut erneuern. Ihre Hände auf den nackten Altarstein der Minoritenkirche legend, schwur sie, ihren Willen, ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Verwandten und Freunde, alle Freude und Pracht dieser Welt aufzugeben. Sie ließ sich ihre Haare abschneiden, legte das graue Kleid an, umgürtete sich mit dem Stricke der Franziskaner und ging fürder immer barfuß. Ihre zwei älteren Kinder wurden auf Schloss Kreuzburg erzogen, die zwei jüngeren Töchter in Frauenklöster gebracht. So war sie der Welt gestorben und die Welt ihr in der Art ihrer Kirche, aber nicht im Sinne des Apostels Paulus, der die Pflichten des Lebens und Arbeitens neben und in die Pflicht des Betens und Sterbens stellte, nicht im Geiste Jesu Christi, der allerdings gesprochen hat: „So Jemand zu mir kommt und hasst nicht Vater, Mutter, Weib, Kinder, Bruder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein,“ der aber dieses Wort in dem entsprechenden: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht wert,“ deutlich genug dahin erklärt, dass es sich lediglich um eine Austilgung der fleischlichen, bloß natürlichen, selbstsüchtigen und also sündlichen Zuneigung zu den Banden des Blutes, die von der ächten, geistig beherrschten und gottmenschlich verklärten Liebe abziehen, handelt. Wie konnte Der, welcher die Liebe selber war, das Gebot der Liebe als erstes gab, und in den letzten Augenblicken die geliebte Mutter Maria dem geliebten Sohne Johannes zur Liebe empfahl, einer Elisabeth es zumuten, ja nur erlauben, also ihre Kinder und alles Leben aus ihrem Herzen zu reißen; wie konnte Er ihr erlauben, die Pflichten des Weibes, der Mutter, der Fürstin wegzuwerfen, und statt das ihr darin verordnete Kreuz auf sich zu nehmen, lieber sich selbst ein Kreuz zu machen und darin mehr Gott zu versuchen, als Gott zu dienen?

Aber freilich, sie teilte den Missverstand ihrer Kirche. Und kann sie in dieser Überspannung und Verkennung des lauteren Gotteswortes, in dieser selbsterwählten Geistlichkeit und Werkheiligkeit uns kein Vorbild sein, so wird kein ernstes Gemüt, keine Gott verwandte Seele die Fülle der Anregung an sich vorübergehen lassen, welche sich in dieser selbstlosen Hingabe an das Unglück, an die Armut, an Alles, was nur von der Liebe gepflegt werden kann, in der lieben, heiligen Elisabeth“ liegt. Wer dem Evangelium hold ist, wer den Herrn Christum liebt, muss in dem Leben dieser Heiligen“ Antriebe zum Erwachen aus der Selbstsucht des Puzes, des Geldes, des Fleisches empfangen.

Alle Einkünfte, die Meister Konrad sie genötigt hatte, wenigstens dem Namen nach zu behalten, verwandte sie ohne Ausnahme auf Unterstützung der Armen und milden Anstalten. Da Konrad ihr nicht erlaubte, ihr Brot zu erbetteln, so beschloss sie, es durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Sie verstand nur Wolle zu spinnen und spann für das Kloster trotz der Ärmsten. Konnte sie vor Schwäche oder Krankheit die Spindel nicht mehr rühren, so zupfte sie die Wolle zur nächsten Arbeit. Sie aß die gröbste Speise, ihr Gemüse ohne Salz in bloßem Wasser gekocht; sie trug einen ärmlichen Rock von ungefärbtem Tuche, der viel geflickt und mit einem Stricke gegürtet war. Selbst diese Kleider verschenkte sie noch an Arme und behielt kaum etwas zur eigenen Bedeckung. Die liebliche Anmut ihres Wesens, ihre Güte und Freundlichkeit blieb dabei unverändert dieselbe. Sie wollte nur dienen. Umhergehen und wohltun, das Elend in ihr Haus aufnehmen oder es im Hause des Elends besuchen, war ihre Lust. Unter Andern nahm sie einen kleinen, elternlosen, von Geburt lahmen und blinden Knaben zu sich, der noch dazu einen immerwährenden Blutausfluss hatte. Dessen pflegte sie wie eine Mutter Tag und Nacht. Nach seinem Tode nahm sie ein aussätziges Mädchen ins Haus, das entsetzlich entstellt war; wusch, verband und besorgte es, dass es sich bald mit ihm besserte. So unterzog sie sich noch viel mehr als früher jeder ekelhaftesten Krankenpflege und fand darin ihr Glück. Ihrer Frauen eine sagte dann freilich einmal: „Euch mag wohl sein dabei, ich aber weiß nicht, ob’s Andern ebenso ist!“ Aber auch Meister Konrad musste ihrem Wesen mit strengem Gebote Schranken setzen und ihr verbieten, die Geschwüre der Aussätzigen zu berühren und zu küssen, damit sie nicht selbst angesteckt würde.

Übrigens brachte sie den Leidenden nicht bloß leibliche Hilfe, mit sanftem Eifer suchte sie das Heil ihrer Seelen zu fördern und sie zur Kirche und den Sakramenten anzuhalten.

Unterdessen hörte ihr Vater, König Andreas, von der Lage unserer armen Armenpflegerin, und ließ sie zur Heimkehr nach Ungarn einladen. Sie schlug es aus und blieb bei ihrem Rocken sitzen. Als der Landgraf ihr Heiratsgut ihr anheimstellte, teilte sie es völlig unter die Armen aus gegen Konrads Wissen und Willen. Nun aber beschloss auch dieser, sie zur vollkommenen Heiligen zu machen. Selbst die von all‘ dieser unevangelischen Werkheiligkeit begeistertsten Lobredner der Elisabeth getrauen sich nicht, das Verfahren Konrads zu rechtfertigen, der sich von der natürlichen Heftigkeit seines Charakters – im Jahre 1233 wurde er von einigen Rittern erschlagen, die er unschuldigerweise als Ketzer behandelt hatte – über die Grenzen christlicher Mäßigung weit hinausreißen ließ. Erst verbot er ihr, einem Armen mehr als einen Pfennig zu geben. Da ließ sie silberne Pfennige – noch jetzt sind in Münzsammlungen solche „Elisabethen Pfennige“ zu sehen – schlagen. Und als die Armen über diese Kargheit klagten, ließ sie dieselben nach einiger Zeit zurückkehren, wo sie wieder erhalten sollten. Das ließen sich die Bettler nicht zweimal sagen; gingen ein- oder zweimal ums Hospital und kamen wieder, und so fort ohne Ende. Wir führen auch diese Ausartung ihrer Wohltätigkeit mit gutem Zuge an als altes Beispiel, was eine nicht wohlgeordnete, nicht weise Almosenspende Übles richte.

Konrad von Marburg aber in seiner Entrüstung über ihren Ungehorsam holte weit aus mit seiner Hand zu einer Ohrfeige für die törichte Fürstin. Er verbot ihr weiterhin jede Gattung von Almosen, und ließ ihr nur die Pflege der Kranken und Gebrechlichen. Geflissentlich suchte er ihr hierbei jeden Weg dornig zu machen, und sie folgte willenlos. Einst betrat sie gegen die Satzung das Kloster zum Besuche ihrer Tochter – zur Strafe ließ er ihr und ihrer Dienerin Stockstreiche geben, über deren Spuren letztere nach drei Wochen noch klagte. Ein anderes Mal kam die Fürstin wegen zweier Kranken nicht zur Predigt. Konrad ließ sie nachher zu sich holen und ohne ihre Antwort zu hören, schlug er sie heftig, mit den Worten: „Ein andermal komme, wenn ich dir rufe, das hast du dafür.“ Demütig nahm sie’s hin und lächelnd wollte sie sich nun entschuldigen. Konrad aber schlug sie aufs Neue, dass sie blutete. Da hob Elisabeth ihre Augen zum Himmel und sagte: „Herr, ich danke Dir, dass Du mich hierzu auserwählt hast.“ Als sie ihren klagenden Frauen antwortete, sie habe unter dieser Misshandlung, bis in den dritten Himmel entzückt, Christum und seine Engel sehen dürfen, entgegnete Konrad, dem’s hinterbracht wurde: „So reut es mich, dass ich sie nicht schlug bis in den neunten Himmel.“ Wenigstens wird so erzählt, und dass es nur erzählt werden konnte, ist bedeutsam genug. Auch das letzte Band der Liebe beschloss Konrad ihr zu zerreißen. Ihre letzten beiden getreuen Dienerinnen Ysentrude und Guda, die Gefährtinnen ihrer Kindheit seit dem fünften Jahre, musste sie weinend entlassen. Dafür gab er ihr eine rohe, hässliche Magd und eine alte, taube, zänkische, tückische, zornige Witwe bei. Sie ergab sich darein, und kehrte und reinigte für sie das Haus. Ganz hatte sie sich bis dahin nicht von ihren geliebten Kindern trennen können, von Zeit zu Zeit ließ sie eines zu sich kommen; auf Konrads Antrieb ließ sie auch diesen allerletzten Rest ihres irdischen Glückes für immer von sich entfernen.

So eilte sie ihrem Ende entgegen. Ihre letzten Tage verkehrte sie ganz allein mit Gott. Sie beichtete, erklärte als ihren letzten Willen, in der Kirche ihres Hospitals ohne alles Gepränge begraben zu werden, nahm die Sterbsakramente, sprach zu ihrer Umgebung von der Auferweckung des Lazarus und dem Besuch des Heilandes bei Maria und Martha, dass den Zuhörenden die Tränen überströmten, dann lag sie die Nacht über in einer Art stiller Verklärung, in ihrer Seele selige Lieder ohne Worte singend, bis sie beim ersten Hahnenschrei den Bräutigam kommen fühlte, der die Braut zur Hochzeit holte. „Stille, stille!“ sagte sie endlich leise, und neigte ihr Haupt zum letzten Schlummer. Es war in der ersten Morgenfrühe des 19. Novembers 1231; Elisabeth hatte eben ihr vierundzwanzigstes Jahr vollendet.

Nun umrankte die fromme Sage ihr Leben und Leiden, ihren Tod und ihren Sarg mit Wundern über Wunder, dass der Papst Gregor IX. sie 1235 heilig sprechen musste, nachdem im Jahr 1233 die Aussagen über dieselben von Konrad gesammelt und nach dessen Ermordung gen Rom berichtet worden waren. Im Dominikanerkloster zu Perugia ertönte zum ersten Mal die kirchliche Stimme: „Bitte für uns, heilige Elisabeth!“ dort wurde, nachdem Wachslichter, Brot und Wein als Zeichen des beschaulichen, zurückgezogenen Lebens, zwei Tauben als Zeichen des reinen, tätigen Lebens dargebracht, und aus einem Käfig eine Anzahl kleiner Vögel in die Luft geflogen war als Zeichen des Auffluges heiliger Seelen zu Gott, der neuen „Heiligen“ zu Ehren der erste Altar geweiht. Bald verbreitete sich ihre Verehrung durch die ganze Christenheit; über vierzig Kirchen, Klöster und fromme Stiftungen sind nach ihr benannt. Ihr schönstes Denkmal aber steht in dem schönen Marburg, wo ihr zu Ehren die herrliche Elisabethenkirche an den Ufern der Lahn, am Fuße des Schlossberges, vom Landgrafen Konrad im Jahre 1235 grundgelegt wurde. Im Mai des Jahres 1236 wurde unter allgemeinem Zusammenströmen des Volkes der Leichnam aus seiner Gruft erhoben und in die begonnene Kirche nach Marburg versetzt. Kaiser Friedrich III. setzte eine goldene Krone auf das besonders aufbewahrte Haupt der „heiligen“ Königstochter. Zwanzig Jahre baute man nun an den Grundmauern, achtundzwanzig am Hauptbau der Elisabethenkirche, bis zum Jahre 1283, fast hundert und fünfzig Jahre am Ganzen. Sie ist mit ihren zwei herrlichen vorderen Spitztürmen und ihren drei gleichhohen gewölbten Schiffen von seltenem Ebenmaße ein vollendetes Denkmal der deutschen Baukunst, ein prachtvolles Gegenbild zu dem Gemüte der Elisabeth: demütig und kühn, anmutig und streng, lockend und ehrfurchtgebietend, jungfräulich rein und voll Einfalt, wie eine eben sich öffnende Knospe. Alle jene unnatürlichen Auswüchse, die wir am Leben der Elisabeth bedauern, und welche die gothische Kunst bald sehr liebte, hat hier die Kunst mit keuscher Hand abgewehrt. Auf vier Altären stellen Bildhauereien Leben und Taten der heiligen Elisabeth dar. In einer Seitenkapelle wurden ihre Gebeine beigesetzt. Noch ist jetzt in halberhabener Arbeit darin aus Stein gehauen, wie die tote Elisabeth als Nonne im offenen Sarge ruht, dahinter Christus und Maria mit Aposteln und Heiligen; an der Vorderseite des Sarges knien, sitzen und kriechen auf Krücken vier Unglückliche. In der Sakristei befindet sich noch der eichene, mit vergoldetem Kupferbleche überzogene, in Form eines Hauses mit hohem Dach gebildete, mit silbernen und vergoldeten Figuren und Abbildungen der Liebeswerke der Elisabeth, einst auch mit Juwelen reichgeschmückte Sarg, in dem ihre Gebeine ruhten, bis Landgraf Philipp im Beginn der Reformation, bei seiner hohen Ahnfrau nach Schätzen suchend, den Anfang mit der Entweihung und Verschleppung der Heiligtümer machte, über die nicht bloß die katholische Kirche trauern muss.

Anthusa

gest. 374.

Die griechische Kirche glänzte in den ersten Jahrhunderten im vollen Glanz der neuen Lehre und des neuen Lebens, das durchs Evangelium ans Licht gebracht worden ist. In welche Dämme der neue Lebensstrom eingeschlossen wurde, vielleicht eingeschlossen werden musste, damit er durch die Welt, die seiner nicht wert war, sicher hindurchgeleitet würde, und was die Frauen daran gearbeitet haben, das hat Basilius und Gregor mit ihrer Mutter und Schwester uns gezeigt. In der einmal eingeschlagenen Richtung zur Weltentsagung, zur Ehelosigkeit und zum Mönchtum sollte das Christentum, das in der morgenländischen (griechisch-russischen) Kirche bald der härtesten und bis heute ungebrochenen Erstarrung anheimfiel, zu tausendfacher Neugestaltung und Neubelebung der Völker wie der Länder ins Abendland weiter strömen. Ehe wir ihm dahin folgen betrachten wir noch zwei aus der griechischen Frauenwelt hervorstrahlende Sterne, die leibliche Mutter und geistliche Tochter des letzten großen Vaters der morgenländischen Kirche.

Im Jahr 347 ist Johannes geboren, dem eine spätere Zeit in Anerkennung seiner ausgezeichneten Beredsamkeit den Namen Chrysostomus (Goldmund) gab. Seine Geburtsstadt ist Antiochien, eine der vier großen Hauptstädte der damaligen Welt, die Hauptstadt des ganzen römischen Asiens. Sein Vater hieß Secundus, und war ein höherer Offizier, die Mutter Anthusa. Beide waren von edler Abkunft, beide Christen. Der Vater starb früh. Um so treuere Führerin und Erzieherin wurde ihm die Mutter. In ihrem 20sten Jahre wurde sie Witwe und blieb es. Das Andenken an ihren Gatten und die Erziehung ihres Sohnes füllte ihre Seele aus. Das riss selbst den heidnischen Redner Libanius zu der Äußerung hin: Was für wunderbare Frauen gibt es doch unter den Christen!

Die treffliche Erziehung, die sie ihrem Johannes gab, spiegelt sich in dem Leben des Mannes. Wenn er später so gediegene Lehren über christliche Erziehung gab, so hat er wohl aus eigenen Erlebnissen geschöpft, und wenn er von dem sittlichen Einfluss christlicher Frauen sprach, so schwebte ihm sicherlich das Bild seiner Mutter vor. Die Erziehung ihres Sohnes leitete sie in wahrhaft edler und freier Weise. In der Schule des Libanius, des berühmtesten der damaligen heidnischen Sophisten, wurde er in der Beredsamkeit gebildet. Bald zeigte er, dass er zum Redner geboren sei; Libanius hielt ihn vor Allen hoch; als es mit ihm zu Ende ging (395), und seine Freunde ihn fragten, wen er wohl zu seinem Nachfolger wünschte (es war zu einer Zeit, als Chrysostomus längst in die kirchliche Laufbahn eingetreten), antwortete er: „den Johannes, wenn ihn mir die Christen nicht entrissen hätten.“ Vielleicht wäre es um diesen auch geschehen gewesen, und die Welt hätte einen großen heidnischen Redner, aber keinen christlichen Bischof gewonnen, hätte die Mutter nicht zugleich den Samen christlicher Frömmigkeit schon frühe in das Herz ihres Johannes ausgestreut. „Die Lehren der Bibel,“ sagte unser Vater später, „sind wie eine Quelle, welche die Seele bewässert.“ Sie bewässerte auch die Seele des Knaben und Jünglings, und stand ihm schützend zur Seite in des Libanius Hörsaal.

Nach Vollendung seiner wissenschaftlichen Bildung ergriff er, wie dies manche später berühmt gewordene Kirchenväter getan haben, den Beruf eines Rechtsanwalts, die gewöhnliche Laufbahn junger Männer, die sich für die Beredsamkeit ausgebildet hatten und höhere Staatsämter anstrebten. Aber der Unruhe, die mit diesem Stande verknüpft war, und der schlechten Künste, wie sie zumal damals bei dem gesunkenen öffentlichen Leben im Schwange gingen, und die seiner schon früh erstarkten sittlichen Gesinnung ein Gräuel waren, bald überdrüssig, wuchs in ihm das Verlangen, sich ganz der Beschäftigung mit den göttlichen Dingen zu weihen. Er hatte einen Freund, Basilius, beide waren ziemlich gleichen Alters, trieben die nämlichen Studien, hatten Eine Sorge, Ein Herz, Einen Sinn. Basilius aber, nach zurückgelegten Studienjahren, hatte sich dem geistlichen Leben gewidmet, während Chrysostomus die weltliche Laufbahn betrat. Der Umgang wurde dadurch zerrissen, doch blieb die Freundschaft wie zuvor. Nachdem nun aber Johannes seines bisherigen Lebens satt wurde, sein Haupt, wie er sagte, wieder über die Wellen dieses Lebens emporhob, so reichte ihm der Freund beide Arme. Vielleicht noch mächtigeren Einfluss hatte der Bischof Antiochiens, der edle Meletius, dessen Unterricht er drei Jahre lang genoss, worauf er sich taufen ließ.

Jetzt war er ganz für das Christentum und die Kirche gewonnen. Aber welche Bahn sollte er betreten? Sollte er Geistlicher oder Mönch werden? Er schwankte, wie einst Basilius der Große. Hierhin zog ihn sein eben genannter, stille Beschaulichkeit liebender Jugendfreund, auch der Widerwille gegen die Welt, wie sie ihm in Antiochien zumal entgegentrat, der Ernst seines Charakters, dann der heilige Schein, in welchem der Jüngling das Mönchstum anschaute, wohl auch die Scheu vor der Größe des priesterlichen Berufes. Aber dort stand sein väterlicher Freund, der Bischof, der erkannte, welch‘ ein Segen der Kirche aus diesem Johannes werden könnte; dort stand vor Allem seine Mutter. „Als sie meine Neigung merkte,“ sagt Chrysostomus, „fasste sie mich bei der Hand, führte mich in eine besondere Kammer, hieß mich auf das Bett niedersitzen, in welchem sie mich geboren hatte, vergoss Ströme von Tränen und brach in noch kläglichere Worte aus. „Mein Sohn,“ sprach sie, „nach der Fügung der göttlichen Vorsehung sollte ich des Schutzes deines Vaters nicht lange genießen; sein Tod folgte gleich auf die Wehen, mit denen ich dich geboren hatte; dich machte er allzu früh zur Waise, mich zur Witwe. Die Beschwerden der Witwenschaft sind nur denen bekannt, die sie erfahren haben… Hinterlässt der Sterbende ein Kind und es ist eine Tochter, so macht das der Mutter wohl auch viele Sorgen, aber es geht noch ab ohne zu große Ausgaben und Ängsten; ein Sohn dagegen gibt täglich Anlass zu tausendfachen Bekümmernissen… Doch hat alles dies mich nicht bewegen können, eine zweite Ehe einzugehen oder einen andern Mann in das Haus deines Vaters einzuführen. Ich hab‘ ausgehalten in diesem Sturm und Ungewitter, ich bin dem Feuerofen der Witwenschaft nicht entflohen. Zum Ersten verließ ich mich auf die Gnade von oben. Hernach gereichte es mir zu keinem geringen Trost, dass ich dein Angesicht beständig sehen konnte, und auf ihm das Bild des Verstorbenen, das ich im Herzen trug. Darum bist du schon mein Trost gewesen, da du noch ein Kind warst und noch nicht reden konntest… Nun fordere ich von dir als einzigen Dank: mache mich nicht zum zweiten Mal zur Witwe und erwecke nicht aufs Neue den kaum besänftigten Schmerz; warte meinen Tod ab: vielleicht ist er nicht mehr ferne. Hast du mich dann der Erde übergeben und meine Gebeine mit den Gebeinen deines Vaters vereinigt, so reise so weit und wage dich auf ein Meer, wohin du willst. Allein so lange ich noch atme, so bleibe bei mir, damit du nicht Gott ohne Ursache beleidigest, wenn du deine Mutter, die es nicht verdient hat, in so viele Übel stürzest. Ich will dich ja nicht in weltliche Sorgen verwickeln, ich will dir alle Muße verschaffen… Schon dies sollte dich zurückhalten, wenn nichts Anderes. Du magst von Tausenden geliebt werden; es wird dir aber Niemand so viel Freiheit und Muße verschaffen, denn Niemand ist, dem dein Friede und deine Ehre so nahe am Herzen liegen.“ So sprach Anthusa. Den Wunsch der geliebten Mutter zog der Sohn seiner eigenen Neigung vor.

Meletius weihte ihn sofort zum kirchlichen Vorleser. Sein frommer Eifer und seine geistige Tüchtigkeit zogen nun bald die Blicke auf ihn. Er aber wich den Anträgen zu einem Bischofsamt in Antiochien aus Demut aus. Inzwischen starb seine Mutter, und nun ging er, wohin es ihn längst gezogen, auf die antiochischen Berge, um sechs volle Jugendjahre in Selbsterkenntnis, Gebet und heiliger Schrift zuzubringen, bis seine leidende Gesundheit ihn zwang, 380 nach Antiochien zurückzukehren. Von da begann sein großer, tatenreicher und leidensvoller Beruf als Diener, Vater, Lenker und Bekenner der streitenden Kirche, aus welcher er den 14. September 407, in der Verbannung ungefähr 60 Jahre alt bei Kommana in Pontus im 9. Jahr seiner Bischofswürde zu seinen Vätern und Brüdern sich sammelte und zu seiner Mutter in die triumphierende Kirche einging.

Katharina Melanchthon.

geb. 1497. gest. 1557.

Man kann Luther nicht ohne Melanchthon nennen, wir wollen auch Katharina Luther nicht ohne Katharina Melanchthon haben. Melanchthon, der zarte nach Leib und Seele, der sanftmütige und von Herzen demütige, der von tausend Sorgen und Bedenklichkeiten umgetriebene, der von ganz Deutschland und noch weiter in Anspruch genommene, der Tag und Nacht in Studien, Büchern und Briefen vergrabene, der viel auf Geschäftsreisen abwesende, der für Andere sich selbst vergessende und verzehrende „Präzeptor Deutschlands,“ das Urbild eines treufleißigen, nur dem Berufe lebenden, wissensdurstigen und wissensmächtigen, eines wahrhaft humanen, d. h. gottseligen und menschenfreundlichen Gelehrten, konnte wohl eine Gehilfin brauchen, die ihm die Kraft seines Leibes, das Heiligtum seines Hauses, das Kleinod seines Herzens, die Ruhe seines Lebens pflegen und hüten wollte mit sanftem und stillem Geiste, mit tätiger Hand und frommer Treue. Der erste Theologe des evangelischen Deutschlands sollte in seinem Hause und in seiner Hausfrau ein großes, weithin leuchtendes Beispiel geben, wie der Ehestand ein gottgeordneter und heiliger, ein eheloses und familienloses Leben aber nicht ein vollkommeneres und verdienstlicheres sei, wie die Hausfrau mit der von ihrem Mann ihr in die Hand gegebenen Bibel in der Mitte ihrer Kinder und Hausgenossen das allgemeine Priestertum der Christen an ihrem Teil verwirklichen und die Pfarrfrau insbesondere jene wahre Freiheit, zu welcher Christus Mann und Weib und alle Stände befreit („emanzipiert“) hat, darstellen könne. Gleichermaßen musste wohl das Haus des ersten Gelehrten des evangelischen Deutschlands zeigen, wie die Gelehrsamkeit und die Häuslichkeit, das stille Studierzimmer und die nach außen tätige Liebe, wie die Wissenschaft und die Gottseligkeit, Aristoteles und Paulus, Plato und Johannes sich vertragen, und wie in einem Professorenhause Christus nicht bloß unter den Göttern Griechenlands in ein Pantheon zu einem Kultus des Genius versammelt, sondern als Gott über Alles gelobt in Ewigkeit zu aller guten und bösen Zeit, die Seele, das Glück und der Trost auch des gelehrtesten und berühmtesten Hauses sein könne und wolle. Es musste Melanchthons Gattin vorbildlich zeigen, wie die Hausehre eines deutschen Professors, wie eine deutsche Professorenfrau miterfahren und mitbewähren soll, dass „Christum lieb haben besser ist denn alles Wissen,“ und dass „züchtig sein, den Mann und die Kinder lieben, sittig sein, keusch, häuslich, gütig, dem Mann untertan, nicht Lästerin, sondern gute Lehrerin sein“ der tröstlichste Hausschatz ist gegenüber dem alten unglücklichen Verse, der zu den Schätzen, die Äskulap, und zu den Ehren, die Justinian darbiete, scheel sehend jammert: At nos grammatici turba misella sumus! („Aber wir Grammatiker, wir sind ein armes Geschlecht.“)

Philipp Melanchthon (geb. 1497) machte sich im August 1518 von Tübingen aus auf die Reise nach Wittenberg, wohin ihn der Kurfürst als Professor der griechischen Sprache berufen. Über Augsburg, wo die Bayern ihn für Ingolstadt gewinnen wollten, Nördlingen, Nürnberg, Leipzig zog er auf seinem Rösslein, und bereits am 29. August hielt er seine Antrittsrede mit so unerhörtem Beifall, dass Luther nur Glück wünschen und neidlos bewundern, aber auch nur fürchten konnte, es möchte der schwächliche junge Mann, der noch nicht zwanzig Jahre alt, fast noch wie ein Knabe aussehe, die Wittenberger Luft und Lebensart nicht aushalten, zumal bei so spärlicher Besoldung. Am 9. Februar 1520 schreibt Luther an Spalatin, er hätte schon lange gerne für Melanchthon eine passende Frau gewünscht, denn er wisse, wie leicht solchen großen Geistern etwas zustoße und wie Melanchthon gerade um seinen Körper und sein Hauswesen sich gar nichts kümmere, leider aber sei derselbe gar nicht zum Heiraten geneigt. Spalatin nannte ihm eine passende Jungfrau, aber Luther wagte es nicht, dem Melanchthon, der ganz und gar nicht zum Heiraten sich schicken wollte, eine bestimmte Person vorzuschlagen; er selbst ist ja noch weit entfernt, nach dem Beispiele seines Amtsbruders Agricola von Eisleben, sich in die Ehe zu begeben. Indessen höhlt ein Tropfen den harten Stein aus, wie sollte nicht das weiche Gemüt eines Melanchthon sich haben von so treu meinenden Freunden unter das sanfte Joch der Ehe biegen lassen? Am 15. August 1520 schreibt der 23jährige Philippus: „Man gibt mir nun Katharina Krapp zur Frau (die Tochter des Bürgermeisters Hieronymus Krapp zu Wittenberg); ich will nicht sagen, wie unerwartet es mir ist und wie kühl ich dabei bin, aber das Mädchen ist von solchen Sitten und von solcher Gemütsart, wie ich es mir nur wünschen konnte. Ich folgte dem Rate meiner Freunde“. „Gewiss ist sie eines bessern Mannes wert, aber Gottes Wille mag nun also sein. Ich bringe mich um meine Studien, um mein einziges Vergnügen, indem ich dem Rate und Willen meiner Freunde folge und heirate.“ Luther wurde für den Verursacher dieses Schrittes ausgeschrien, er erklärte auch, er kümmere sich nichts um das Geschrei, er habe es dem Manne und dem Evangelium zu lieb getan, in der Hoffnung, Philippus werde, wenn verheiratet, länger leben, während er bei seiner bisherigen Lebensweise es schwerlich lange dauern würde. Um nun die „bösen Zungen“ zum Schweigen zu bringen, wurde die Hochzeit beschleunigt und auf den 6. November, den Tag nach Katharinen, verlegt. Melanchthon hätte sie gerne noch lange, lange hinausgeschoben, aber, so schreibt er an Spalatin, „die Freunde meinten es anders und ich habe, ihnen folgend, es früher geschehen lassen.“ So kam denn für den guten Mann der nicht ersehnte Tag; Luthers eigene Eltern und Schwestern beehrten seines Philippus Hochzeit mit ihrer Gegenwart samt andern angesehenen und gelehrten Männern. Seinen Zuhörern kündigte Melanchthon dieselbe in lateinischer Sprache an mit den Versen:

Fröhlich und gern ruht aus von Studien heute Philippus, \\
Pauli heilige Lehr‘ trägt er Euch heute nicht vor.

Das klingt wie gute Miene zum bösen Spiel, denn, ach! die Studien, die Bücher, die edle Zeit, die er nun mit einer Frau teilen soll – und einen ganzen langen Hochzeittag das Schreiben und Lesen nun aussehen sollen, welch eine harte Aufgabe, welch ein herbes Opfer für den jungen deutschen Professor!

Indessen ließ er sich doch nicht bloß als Opfer geduldig zur Schlachtbank der Ehe führen, er zeigte sich auch bald als einen treuen und freudigen Priester des ehelichen Heiligtums, das seine Katharina ihm schmücken und pflegen sollte. Melanchthon, als ein Schriftgelehrter zum Reiche Gottes geschickt, wusste auch Altes und Neues aus dem reichen Schatze seines Wissens hervorzubringen, wo es sich darum handelte, den Ehestand als Gottes Ordnung hoch hervorzuheben. Zu eigenster Überzeugung wie Luther hatte er das große Geheimnis der Ehe zumal aus der Schrift tief genug erkannt, um durch Wort und Tat es gegen die katholische Kirche zu retten, welche die Ehe einerseits zum Sakrament hinaufschraubt und andrerseits als des Priesters unwürdig herabsetzt.

Viele lehrreiche Bemerkungen darüber gibt er in einer Betrachtung über das Evangelium von der Hochzeit zu Kana im ersten Bande seiner Postille. Auf die gegenseitige Liebe der Geschlechter zu einander weist er als auf einen gottgeordneten und gewollten Gegenstand hin, in welchem die größten Geheimnisse verborgen liegen. Zwei Personen habe Gott zur Fortpflanzung des Geschlechtes verbunden, damit er so eine Kirche bildete, um in der Gemeinschaft verherrlicht zu werden. (Die Ehe als der Ort, dadurch die Kirche Gottes auf Erden vermehrt und verbreitet werde, ist darum auch in den alten lutherischen Kirchenordnungen so hoch und heilig gehalten.) „Mehr“, setzt Melanchthon hinzu, „könne er nicht darüber sagen, und die tieferen Ursachen müssten wir im ewigen Leben lernen.“

„Es ist eine bewunderungswürdige Sache“, fuhr er fort, dass die erste Liebe immer eine reine, keusche ist, darin Jüngling und Jungfrau sich wie im Himmel befindet und keines wagt, in Gegenwart des Andern ein unschönes Wort zu sagen oder gar einen unedlen Wunsch zu hegen. Gewiss, die erste Liebe erinnert an das verlorene Paradies.“ Wie tief die Liebe der Geschlechter in der gottgeschaffenen Natur begründet sei, dafür zieht Melanchthon zwei scherzhafte Geschichtchen an, womit er seinen eigenen, reinen, kindlich heitern Sinn bekundet. „Ein Eremit“, sagt er, „hatte einstmals seinen Sohn mit in die Stadt genommen und dieser hatte da zuerst Jungfrauen gesehen. Er fragt den Vater: was sind denn das für Tiere? Der Vater verwundert, dass er sogleich auf die Mädchen achtet, antwortet: „es sind Gänse.“ „Ah“, äußerte drauf der Sohn: „hätten doch auch wir solche Gänse!“ Für noch sinniger erklärt Melanchthon das andere, das er selbst in ein lateinisches Sinngedicht brachte: Ein Jüngling sprach einst zu einer Jungfrau, die ihn beständig anblickte: „sie möchte doch zur Erde sehen.“ Witzig antwortete sie: „Du bist von der Erde, also musst du vielmehr herniederblicken. Das Weib ist vom Manne genommen, warum sollte ich nicht den Stoff betrachten, aus dem ich entsprungen bin?“ Welch eine unendlich menschlichere und göttlichere Ansicht bezeigen doch die Väter unserer evangelischen Kirche durch Wort und Tat von dem Stande, den Gott selbst im Paradiese eingesetzt und worauf er seinen Segen gelegt und den Christus im Neuen Testamente bestätigt – als jene großen, aber überall, wo sie über das Schriftwort hinausgehen, nur scheingroßen Väter der alten katholischen Kirche, welche die Ehelosigkeit als Heiligkeit, die Ehe als „Chorführerin aller Tragödien des Lebens“ hinstellen!

Der junge Meister Philippus fand aber auch an seiner Katharina, was ihr Name bedeutet, eine reine, eine feine und treue Lebensgefährtin und führte mit ihr eine wahrhaft glückliche Ehe. Die leiblichen Trübsale, die dieser heilige Stand nach des Apostels Wort mit sich bringt, blieben allerdings nicht aus, aber sie förderten das Glück dieser christlichen Eheleute. Katharina gebar zwei Töchter und zwei Söhne: Anna, Philippus, Georg und Magdalena.

Schon im Jahre 1524 erfreute ihn die Geburt seiner ersten Tochter Anna, eines ausbündig holdseligen Kindes, wie Luther es nennt. Da eröffnet sich uns nun ein Blick in Melanchthons Herz und Haus, so schön als der in seines Freundes Luther. Hat das kindliche Gemüt Melanchthons überhaupt die Kinderwelt mit fast übergroßer Zärtlichkeit umfasst, wie teuer waren ihm erst die eigenen Kinder! Seine Anna war und blieb sein Liebling. Sie war auch ein äußerst gutes und begabtes Kind, fromm, folgsam und züchtig; ihrer Mutter war die Geburt dieses Kindes sehr hart angekommen, auch das machte die mit solchen Schmerzen und Sorgen Erstgeborene dem Vater um so kostbarer. Einst kam das kleine Kind ins Zimmer und fand ihn weinen. Da geht es hin, nimmt sein Schürzchen und sucht ihm die Tränen aus den Augen zu wischen. „Dieser Beweis ihrer Teilnahme“, schreibt er an seinen Freund Camerarius, „drang mir tief ins Herz.“ Einmal ist seine Tochter über Gebühr lange vom Hause weggeblieben. Als sie zurückkommt, fragt er sie scherzend, was sie denn nun der Mutter, die sie tüchtig auszanken werde, sagen wolle? „Nichts“, entgegnete das Kind. Dieses Wort machte ihm große Freude und er wendete es nachher öfters gegen die Lästerungen seiner Feinde an. Ein anderes Mal sitzt er in der Kinderstube, das Wiegenband in der einen, ein Buch in der andern Hand. Da tritt ein französischer Gelehrter ein und verwundert sich hoch, den berühmten Mann an solchem Orte bei solchem Amte zu finden. Philippus aber rühmt die Pflicht des Familienlebens und den Dank der Kinder gegen Gott auf solche Weise, dass der gelehrte Fremdling mit sehr belehrter Miene davonging. In der Kinderstube, im Familienkreise sah Melanchthon mit Wonne die „kleine Kirche.“

An einer Stelle der Postille, wo er von der Zärtlichkeit spricht, welche den Eltern gegen ihre Kinder eingepflanzt ist, dabei das Beispiel des Agefilaus erwähnt, wird man unwillkürlich an ihn selber erinnert. Er sagt: „Siehe, wenn wir Kinder haben, küssen wir sie, wie stellen wir uns so närrisch; wenn das ein Stoicus sieht, möchte er’s tadeln, oder wenigstens denken: „was ist das für ein Geck?“ Bekannt ist das Beispiel des Agefilaus. Ein Fürst kam einst zu ihm, als er schon Greis war und eben mit seinem Sohne Archidamus spielte. Der alte Vater ritt mit dem Sohne auf dem Stocke und lehrte den Sohn auf dem Stocke reiten. Da jener nun plötzlich dazu kam, sagte Agefilaus: „Ich bitte dich, sage Niemand etwas, bis du selbst Söhne haben wirst.“ Er deutete das mit an, dass die Zuneigung, welche der Vater gegen seine Kinder hat, sich nicht von Andern fordern lasse.“ – War nun Melanchthon ein so glückseliger Kinder- und Hausvater, wer konnte glücklicher in seinem Glücke sein, als Melanchthons Gattin? Und an wen konnte er sich hinwiederum zuversichtlicher nächst Gott anlehnen, als an die geisteskräftige, unermüdliche, selbstlos ihm dienende Gattin, die uns sein Busenfreund Camerarius schildert als eine sehr fromme Frau, die ihren Mann aufs innigste liebte, als eine überaus fleißige und geschäftige Hausmutter, in Sitten und Leben völlig untadelig, stets auf das Eine bedacht, was Not ist, und in diesem frommen und tugendsamen Eifer die einfachste in Kleidern und Epeisen.“ Sie scheint ihrem Manne, der selbst ohne Vermögen war, kein größeres Vermögen in die Ehe gebracht zu haben; dafür brachte sie ihm das größte Vermögen, das man haben kann, nämlich „Gottseligkeit mit Genügen.“

Nicht um sich Geld zu verschaffen, sondern um seine Pflicht zu tun, gab sich der große Gelehrte mit Privatunterricht von Knaben in seinem Hause ab, wozu nur ein anderer Professor noch sich hergab. Es war teure Zeit, die Besoldung wurde nicht aufs Pünktlichste ausbezahlt, es geschieht ihm schwer sich durchzuschlagen, aber es ist ihm doch eine angebotene Zulage von 200 Gulden zu viel, er will durch Sparsamkeit und Häuslichkeit lieber zurecht kommen, als durch sein Amt und seine Feder reich werden. Gerne zwar möchte er seinen Kindern ein kleines Erbe hinterlassen, wenn er es auf ehrliche Weise könnte. Aber er kann und will nicht schmutzig sein, er gibt sich zufrieden, seinen Kindern einst nichts als ein bisschen Ruhm und Erziehung zum Erbe geben zu können.

Katharina aber, statt aus diesem Ruhm und dieser Gelehrsamkeit ihres Mannes eine Erwerbsquelle zu machen, statt ihn zum Geldverdienen zu drängen, oder um des geringen spärlichen Lebens und Einkommens willen ihn zu quälen, oder die Gastfreundschaft und die Almosen, um die eines Melanchthons Haus von allen Seiten und nicht immer bescheiden angesprochen wird, „mit Murmeln“ zu üben, Katharina, ihres Mannes würdig, gibt sich gerne zufrieden, dass er ihr in den vier ersten Jahren der Ehe auch nicht ein einziges neues Kleidungsstück gekauft hat. Das durfte er als ein Zeichen seiner und ihrer Häuslichkeit gegen Spalatin rühmen.

Sie hätte namentlich anfangs gerne dem schwächlichen Manne mehr mit guter Speise zugesetzt, die er auch wohl zu würdigen wusste. Er hatte sich in Tübingen an die größte Einfachheit gewöhnt und oft Fleisch und Gemüse mit der Suppe seines Nachbars vertauscht. In Wittenberg ließ sich diese Enthaltsamkeit nicht immer durchführen und er beklagt sich oft bitter über die „üppige“ Lebensweise, in die man hineingezogen werde, und über „unsere Frauen, welche glauben, wir seien nicht satt oder sterben Hungers, wenn wir nicht vollgestopft sind wie Würste, d. h.: so mit Speise und Trank angefüllt, dass wir nichts mehr hinunterbringen können. Solche Gefräßigkeit war ehedem nicht. Wie einfach hielt Reuchlin sich und mich! Er wurde aber auch über 70 Jahre alt. Wie mäßig war mein Vater, der niemals mehr als ein Gericht aß. Wie unmäßig bin ich dagegen, der ich doch ziemlich mäßig zu sein glaube!“ … Nun, seine Katharina wusste sich in ihn zu schicken, und sie wird wohl hin und wieder ihn dennoch mit einem guten Stücklein überlistet und getröstet haben, wenn er aus Speise und Trank sich allzu sehr ein Gewissen machen wollte. Andererseits wusste sie wohl, wer nicht im Kleinen spart, kann nicht im Großen geben. Und Geben war ihr eine Lust. Wenn Melanchthon die Güte selber war, wie Luther, wenn er aufopferungsfreudig sich selbst und das Seine vergaß, nur um Andern Wohltat erweisen zu können, wenn er hierzu oft selbst seine kostbaren Becher zu den Kaufleuten trug, um sie zu versetzen; so war darin seine Hausfrau mit ihm ein Herz und eine Seele. Camerarius sagt von ihr, sie sei freigebig und wohltätig gegen Alle, für die Armen zumal in solcher Weise besorgt gewesen dass sie, beim Austeilen von Gaben ohne Unterschied, nicht bloß ihres Vermögens und ihrer Kräfte vergaß, sondern auch bei Andern sich zuweilen aufs Inständigste und mit fast ungestümer Fürbitte für sie verwendete. Das konnte sie, die „nichts auf kostbare Mahlzeiten oder vornehme Kleidung gab“, die nicht auf das Ihrige sah, sondern auf das, was des Andern ist, wie es einer Bekennerin des Evangeliums geziemt.

Sie hatte wie Melanchthon einen schwächlichen Körper. Bald litt sie an der Leber, am Stein, am Fieber. Ihrem Manne schlug die Wittenberger Luft nicht zu, von 1525 an hören seine Klagen über entsetzliche Schlaflosigkeit, dann über die ihn niederdrückende schmerzhafte Steinkrankheit nicht mehr auf. Wenn er mit diesem Körper dennoch diese unermessliche Tätigkeit seines Geistes und Berufes aushalten sollte, so musste er sich an die pünktlichste Lebensordnung halten und seine Hausfrau, statt ihm seine Kreise zu stören, zu seinem und ihrem Gewinn die strengste Hausordnung aufrecht erhalten. Morgens um 2 oder 3 Uhr fand man ihn schon in seiner Studierstube, und zwar im Sommer und Winter. Am Tage las er drei oder vier Collegia, wohnte den Konferenzen der Professoren bei und arbeitete alsdann bis zum Abendessen. Nach demselben ging er zu Bette gewöhnlich um 9 Uhr. Er erbrach keinen Brief mehr am Abend, um nicht durch Sorgen im Schlafe gestört zu werden. Weil ihn seine Freunde am Rheine häufig mit gutem Wein beschenkten, so trank er vor dem Abendessen noch ein Glas. Seine Lebensweise war überhaupt sehr regelmäßig. Er aß täglich ein Mal, höchstens zwei Mal, und ganz einfach. Kostbare Gerichte liebte er nicht, dagegen Suppe, Fische, Gemüse und Eier.

Über Tisch war er sehr gesprächig, an Stoff fehlte es natürlich einem Manne nicht, der so große Kenntnisse besaß und zugleich die Bekanntschaft mit Fürsten, Staatsmännern und anderen berühmten Leuten gemacht hatte. Er liebte Munterkeit und anständigen Scherz. Er begann alle seine Geschäfte im Namen Gottes und vor Gottes Angesichte. Man kann gewiss sagen, sein ganzes Leben war ein Gebet. Nach dem täglichen Morgengebete las er einen Abschnitt aus der heiligen Schrift, dann warf er einen Blick in den Kalender, um sich der kirchlichen Zeit, in der er gerade lebte, und der Männer Gottes, deren Namenstage gerade dastanden, zu erinnern. Erst nachdem er sich auf solche Weise durch Wort und Gebet geheiligt hatte, ging er an seine Arbeiten oder schrieb die dringendsten Briefe. Das Mittagsmahl wurde immer zur bestimmten Stunde gehalten. Dabei wurde nicht bloß das Tischgebet, sondern auch das apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen.

Welchen Segen, welche Förderung ihres innern Lebens und ihres Haushaltes musste Katharina von dieser festen christlichen Wohlordnung haben, die als ein Band des Friedens die Gatten, das Gesinde und das ganze Haus umschlang. In der Tat, was war es doch ein Gewinn fortan für Mitlebende und Nachkommen, dass die Reformation nun das Wort Gottes auch in den Bürgerhäusern, nicht bloß in den Klöstern und Kirchen reichlich wohnen ließ und in der Lutherbibel auch den Hausfrauen eine Vorratskammer der Lehre, des Trostes an die Hand gab, um im Hausgottesdienst Priestertum zu üben, besonders in Zeiten, worin sie hilflos, auf sich selbst beschränkt, vergehen müssten in ihrem Elende, wenn Gottes Wort nicht ungeteilt und unverfälscht ihr Trost sein könnte. Und wahrlich, auch Frau Melanchthon bedurfte dieses Brünnleins Gottes in den viel heißen Tagen ihres Ehestandes zu Ertragung des Kreuzes, womit dieses stille und einfache Haus fast unausgesetzt heimgesucht war!

Im Januar 1525 gebar Katharina ihren ersten Sohn Philippus nicht ohne Gefahr ihres Lebens. Denn drei Tage vorher war sie in der Küche bei einem Geschäft etwas unvorsichtig und fiel mit dem Leibe hart auf den Boden, eine schwere vorzeitige Geburt war die Folge; der Erstgeborne selber war und blieb so elend und kränklich, dass sie kaum hoffen konnte, ihn auferziehen zu dürfen. Dennoch wurde ihre Muttertreue belohnt, der kleine Philippus blieb am Leben; dem Vater zwar nicht an Geistesgaben, doch an Herzensgüte ähnlich, wurde er Rechtsgelehrter und starb als Protonotarius der Universität zu Wittenberg, achtzig Jahre alt und kinderlos, nachdem er in seinem hohen Alter noch in ein Stammbuch geschrieben: „Ich wünsche abzuscheiden und bei Christo zu sein, den 9. August 1603.“

Schrecken, Kummer und Nachtwachen hatten in dieser Notzeit, zu der die Ängsten des Bauernkrieges kamen, unserm Melanchthon so sehr und fast noch mehr zugesetzt als seiner Gattin. Schlaflosigkeit tötete ihn fast; da hatte sie doppelt zu pflegen und zu wachen Tag und Nacht, für Kind und Gatten. Nachdem er im folgenden Jahre das Gymnasium in Nürnberg eingeweiht hatte, fiel er (im August 1526) aufs Neue so darnieder, dass er und sein Arzt zwölf Tage lang an seinem Aufkommen verzweifelten. 1527 geht er zur Messe nach Leipzig, kehrt aber so elend zurück, dass er sich nur durch die einfachste Lebensordnung erhalten kann. Während er dann im Juli und August auf einer Visitationsreise war, brach in Wittenberg die Pest aus, von der auch die Dienstmagd Katharinens hingerafft wurde. Sie eilte nun mit den Kindern zu ihm nach Jena, wohin die Universität flüchtete. Im Oktober liegt dann Melanchthon an der Kolik darnieder. Am 25. November, während er mit Luther zu Torgau arbeitete, wurde Katharina von einem Sohne entbunden, der den Namen Georg erhielt. Je größer die Mutter- und Vaterfreude an dem „allerliebsten“ Kinde war, desto heißer war der Schmerz, als auch dieses wieder heimgehen sollte. Am 26. Juli 1529 trifft die Nachricht vom Tode seiner Mutter ein, am 15. August stirbt der kleine Georg am englischen Schweiß. Da ist der ohnehin von Leibesschwachheit beschwerte Mann den ganzen Sommer über „in Trauer und Tränen.“ Was mochte die Frau durchmachen am Totenbette des Kindes und an der Seite des Gatten, der zugleich über die Not der Kirche so betrübt war, dass kein Tag war, an dem er nicht zu sterben wünschte! Wie war da „Geduld der Heiligen“ nötig, wenn gerade die Elternfreuden, in denen beide Gatten ihr einziges Erdenglück sahen, durch so mannigfaltigen Kummer getrübt wurden! Aus ihrer und seiner Erfahrung heraus sagte der zartfühlende Mann in der (lateinischen) Postille: „Kein Schmerz kann nächst dem Gefühle des Zornes Gottes größer für die Natur des Menschen sein, als Elternschmerz beim Leiden und Unglück der Kinder. Dieses Schmerzgefühl bleibt, so lange die Natur gesund und nicht vom Teufel berückt ist.“ „Nichts ist mir,“ schreibt er an einen Freund beim Tode seines zweijährigen Georg, „nichts ist mir jemals teurer gewesen, als dieser Knabe. Es leuchteten aus ihm außerordentliche Geistesgaben hervor. Welcher Schlag mir sein Verlust ist, das kann ich nicht mit Worten beschreiben.“ Luther selbst schreibt am 17. August an Jonas: „Unserm Philippus hat der Herr am vergangenen Sonntage seinen Sohn Georg genommen. Da kannst du nun denken, welche Mühe und Sorge wir haben, dass wir diesen Mann von dem zartesten und empfindsamsten Gemüte trösten. Außerordentlichen Schmerz verursacht ihm der Verlust des Sohnes, da er bisher noch nicht in solcher Lage gewesen ist. Du weißt, wie viel daran gelegen ist, dass dieser Mann lebe und erhalten bleibe; wir Alle sind mit ihm krank und betrübt.“ Am Ende des Monats schrieb Luther abermals an denselben Jonas: „Noch klagt Philippus. Wir Alle gehen ihm zur Seite, wie es sich für uns in Bezug auf einen Mann der Art gebührt. Möchten doch zu ihrer Demütigung vielmehr alle Timonseelen solches zu tragen genötigt sein, die vor Stolz auf ihre Weisheit nicht wissen, einen wie großen Vorzug diese einzige Person von allgemeiner Bedeutung, wenn auch fündig und schwach, vor vielen, ja vor allen Tausenden von Hieronymi, Hilarii und Macarii voraus hat, welche allzumal nicht wert sind, meinem Philippus die Schuhriemen aufzulösen.“ Wenn so die Freunde zu Mitleid und Fürbitte sich aufgefordert fühlten, wie musste Katharina den eigenen Schmerz über dem des Mannes vergessen, nur damit dieser getröstet würde!

Doch auch die Zeit heilt Wunden, und der bevorstehende Augsburger Reichstag entzog ihn dem häuslichen Leide. Die Vollendung und Übergabe der Konfession zu Augsburg musste auch für die ferne Gattin ebenso viel Freude als die nachherigen fruchtlosen Friedensbemühungen Trauer bereiten. Während Melanchthon mit der Apologie seiner Konfession beschäftigt ist, schenkt ihm seine Frau (10. Juli 1531) eine zweite Tochter, Margaretha. Mit diesem ihrem letzten Kinde trat eine kurze Erquickungszeit im Melanchthonschen Hause ein, und damit es auch an äußerem Behagen nicht fehle, schreibt im Jahre 1535 der Kurfürst Johann Friedrich an Katharinens Vater, er wolle auf seine Kosten ihr Haus und Hof vergrößern, wie es der Zuwachs der Familie wünschen ließ. König Heinrich von England schickte ein Geschenk von 200 Dukaten, und auch an andern Ehren und Ehrengaben, besonders an ehrenvollen Berufungen Melanchthons bald nach England, bald nach Frankreich, bald nach Tübingen rc. fehlte es nicht. Dafür fehlte es auch in guter Zeit nicht an Unruhe, Arbeit und Sorge. Melanchthon entwickelte eine unglaubliche, nur mit der Arbeitsamkeit Luthers vergleichbare Tätigkeit – sind doch von ihm noch bei 7000 Briefe und kleinere Arbeiten vorhanden, ungezählt aber sind die Ausgaben von alten Schriftstellern, die er besorgt, die Vorreden, die er zu fremden Büchern geschrieben, die Gutachten, die er gestellt, die Vorlesungen über Klassiker und Bibel, die er gehalten, die Geschäftsreisen, die er so unaufhörlich zu Beratungen, Disputationen und Visitationen zu machen hatte, dass er 1533 seine Privatschule wegen der vielen Reisen aufgeben musste. Im Jahre 1535 ging er mit Weib und Kind nach Jena, um mit den englischen Gesandten über Vereinigungspunkte zwischen der deutschen und englischen Reformation zu verhandeln, von da musste er im Februar 1536 krank und allein nach Wittenberg. Dann war er wieder in Torgau, in Leipzig, wieder in Wittenberg, dann mit seiner Frau in Leipzig, dann in Heidelberg; in Tübingen weilte er bis zum Oktober in Sachen der Universität, ging dann über Nürtingen, Ellwangen und Nürnberg wieder nach Hause, tief bekümmert und wahrhaft gequält über die Uneinigkeit der Evangelischen, welche der milde Mann so gerne ausgeglichen hätte. Welchen Wiederhall das Alles im Hause und im Gemüte der Gattin fand, können wir uns denken; das war allerdings nichts weniger als ein ruhiges Studierstuben Stillleben, das unsere Reformatoren führen konnten, und das ihre Frauen miterlitten, miterkämpft, mitdurchgebetet haben!

Nun wurde es aber ganz besonders laut im Melanchthonschen Hause, als am 6. November 1536 die älteste und geliebteste Tochter Anna mit Georg Sabinus Hochzeit machte. Doch sollte diese Verbindung leider eine Quelle schwersten Jammers für Melanchthon und seine Gattin werden. Sabinus zeigte sich bald als einen eitlen, selbstgefälligen und ruhmsüchtigen Mann, der keinem fremden Rate folgte. Melanchthon beklagte es nachher bitter, dass er nicht genauer nach des Sabinus Horoskop gesehen, als er um seine Tochter gefreit habe, denn der Mann sei, wie er nachher gefunden, in der Konjunktion des Saturn und Mars geboren – man weiß ja, wie damals Natur und Geschick eines Menschen unter dem Einflusse der Gestirne gedacht wurde, und Melanchthon hielt auf dergleichen Zeichen und Vorzeichen so viel als Luther selbst. Im Jahr 1523, in einem Alter von 15 Jahren, war er von Brandenburg, seinem Geburtsorte, nach Wittenberg gekommen und wegen seiner vortrefflichen Anlagen, besonders in der Poesie, hatte ihn Melanchthon, in dessen Hause er als Schüler wohnte, lieb gewonnen. Später studierte er zwar die Rechte, aber nebenbei beschäftigte er sich noch eifrig mit dem klassischen Altertum, und konnte im Jahr 1538 vom Kurfürsten Joachim von Brandenburg als Professor der schönen Wissenschaften nach Frankfurt a. d. O. berufen werden. Aber Sabinus war ehrgeizig, hochfahrend, rau und zornig gegen seine stille, milde Gattin, und bald zeigte sich die Ehe als eine ganz unglückliche.

Wahrlich diese häuslichen Sorgen und Kümmernisse wären neben den Amtsmühen und Berufssorgen, die seinen Tag zu Hause und auf Reisen unausgefüllt ließen, Glaubensprüfung und Geduldsübung genug gewesen, aber „wenn einmal das Unglück kommt, so kommt es mit Haufen.“ Den ärgsten Schlag erhielt Melanchthon von seinem eigenen Gewissen. Er und Luther hatten dem Landgrafen Philipp von Hessen die Doppelehe, die derselbe eingehen wollte, abgeraten zwar, aber schließlich als ein geringeres Übel leider doch zugestanden. Melanchthon musste (3. März 1540) selber Zeuge der Vermählung des Landgrafen mit Margarethe von Saal werden und als jener das Ärgernis öffentlich zu machen drohte, fiel der arme Melanchthon aus Grämnis und Schwermut zu Weimar in eine tödliche Krankheit. Als er nun so heftig krank lag und es mit ihm so gefährlich stund, ließ der Kurfürst bei Tag und Nacht Luthern und Melanchthons Sohn von Wittenberg holen. „Die fanden,“ so erzählt ein Zeitgenosse, „seine Augen schon gebrochen, allen Verstand gewichen, die Sprache entfallen, das Gehör vergangen und das Angesicht schlaff und eingefallen. Dazu kannte er niemand, aß und trank nichts. Als ihn nun Lutherus so unbekenntlichen ansieht, erschrickt er über die Maßen und spricht zu seinen Gefährten: behüt Gott, wie hat mir der Teufel dies organon geschändet! kehrte sich alsbald zum Fenster und betete ernstlich zu Gott. Alda, saget Lutherus, musste mir unser Herrgott herhalten. Denn ich warf ihm den Sack vor die Türe und rieb ihm die Ohren mit allen promissionibus exaudiendarum precum, (Verheißungen der Gebetserhörung) die ich in der heiligen Schrift zu erzählen wusste, dass er mich musste erhören, wo ich ans ders seinen Verheißungen trauen sollte. Hierauf er greift er Philippum bei der Hand und spricht: Bono animo esto, Philippe, non morieris!((Sei guten Mutes, mein Philippus, du wirst nicht sterben!)) Obwohl Gott Ursache hatte zu töten, so will er doch nicht der Sünder Tod, sondern dass er sich bekehre und lebe. Er hat Lust zum Leben und nicht zum Sterben. Hat Gott die allergrößten Sünder, die je auf Erden kommen, als Adam und Eva zu Gnaden wieder berufen und angerufen, viel weniger will er dich, mein Philippe, verstoßen, noch in Sünden und Schwermut verderben lassen. Darum so gib dem Trauergeist keinen Raum, und werde an dir selbst kein Mörder, sondern vertraue dem Herrn, der töten und wiederum lebendig machen, verletzen und verbinden, schlagen und wieder heilen kann. Denn Lutherus wusste wohl seines Herzens und Gewissens Anliegen. In solchem Ergreifen und Aussprechen fängt Philippus an, wieder Atem zu holen, konnte aber doch lange nichts reden bis über eine gute Weile. Da wendete er sein Angesicht stracks auf Lutherum, und fängt an, ihn um Gotteswillen zu bitten: er wolle ihn nicht länger aufhalten; er sei jetzo auf einer guten Fahrt, er solle ihn lassen hinziehen; es könne ihm doch nichts besseres wiederfahren.

Mitnichten, saget Lutherus, Philippe, du musst unserm Gott noch weiter dienen. Also wurde Philippus je länger je mehr munterer, und ließ ihm Lutherus eilends etwas zu essen vorrichten, und brachts ihm selber. Aber Philippus weigert sich davor. Da nötigt ihn Lutherus mit diesen Dräuworten und sagte: hörst du, Philippe? kurzum du musst mir essen, oder ich tue dich in den Bann! Mit diesen Worten wurde er überdräuet, dass er aß, doch gar wenig, und also gemach wieder zu Kräften kam.“

Melanchthon selbst erzählte, wie ihm in dem Todeskampfe das Schriftwort: „ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkünden!“ als an die Wand geschrieben vorgekommen und sein mächtiger Trost geworden sei. Kaum hergestellt darf er aber nicht einmal seine Gattin begrüßen, er muss mit nach Eisenach zum Konvent, dann nach Worms, von wo aus er den Doktor Fuchs in Tübingen wegen seiner eigenen Hinfälligkeit zu Rate zieht, während seine Frau zu Hause ebenfalls schwer krank darnieder liegt, die er erst im Januar 1541 wieder sieht, aber nur, um ihn im März schon wieder zum Konvent nach Regensburg ziehen zu lassen. Da wird er auf der Reise aus dem Wagen geworfen und bricht fast den rechten Daumen; in Regensburg selbst muss er durch Luther, der in Wittenberg die neue Gefahr vernommen, vor Giftmischern gewarnt werden. So musste Katharina in fortwährenden Ängsten schweben!

Kaum ist er wieder zu Hause und wohl, dabei nach Luthers Wort arbeitsamer als je und als jemand, „ein wahrer Atlas, der Himmel und Erde auf seinen Schultern trägt,“ so muss Katharina zu ihrer Tochter Anna, die ihre vierte Tochter gebären sollte. Glücklich zurückgekehrt, findet sie ihren Gatten von Unterleibsschmerzen gequält und bald durch die Nachricht vom Tode seiner Schwester und Schwägerin in Trauer versetzt. Eine rechte äußere Freudigkeit und Ruhe kehrte nun schon nicht mehr in dem Hause ein. Am 29. Jan. 1543 schreibt Melanchthon an Mykonius in Gotha: „ich bin so von Schmerzen und Arbeiten erdrückt, dass ich oft an die Flucht denke, und wenn mich nicht das Alter und die Verzweiflung an einem längeren Leben festhielten, so würde ich mich nach irgend einem verborgenen Schlupfwinkel umsehen.“ Allein er muss eben arbeiten, er muss reisen, er muss sich in Ärger und Sorge verzehren; er, der bei all seinem besten Willen zugleich bestverleumdete Mann. Die Mutter wird auch nicht immer mit den Kindern fertig, von Bonn aus muss Melanchthon seinen herangewachsenen Sohn Philippus ermahnen, doch der Mutter recht zu folgen, deren Stütze er sein müsse. Aber der junge Philippus macht seiner Mutter ein schweres Herzeleid durch seine Verlobung mit Margaretha Küffner von Leipzig unter Vorwissen ihrer, aber nicht seiner Eltern. Als Katharina es erfuhr, war sie heftig dawider und wollte es rückgängig machen. Wie die Verlobte das hört, stellt sie am 8. Januar 1544 „dem züchtigen und gelehrten Gesellen Philippo Melanchthon dem Jüngern meinem guten Gönner zu handen“ einen jammervollen Brief, worin sie ihm erklärt, dass ohne ihre und seine Bewilligung das Band nicht zerrissen werden könne. „Und macht mich armes Mägdlein diese neue Mär zu diesem neuen Jahr ganz betrübt und verrenkt, kann und mag weder essen noch trinken, weder schlafen noch wachen, also bin ich gar in meinem Gemüt zerrückt, und ich besteh, so dieser Sach nicht recht geholfen werd, werde es mir großen Schaden tun und wird mich und euch nicht Leib und Leben, sondern den ewigen Zorn Gottes und seine Strafe und das ewige Nagen des Gewissens betreffen wiewohl ich nicht getan, wie ihr euch oftmal verflucht, wo solche Zusage von euch nicht gehalten werde, dass ihr Gottes Angesicht nimmermehr besehen wollt, auch ewig des Teufels fein.“ Den Brief las der Sohn der Hauptsache nach seinem Vater vor und, so schreibt er dem Mädchen, „nach der Vorlesung hat mir mein Vater geantwortet, es nehme ihn sehr Wunder, dass ihr so sehr jetzt treiben mögt, weil ihr doch wohl wisst, dass die Mutter noch sehr heftig sei, würde sie aber ein wenig linder, wollt er der Sache bald raten – denn er habe mit nichts merken lassen, dass er solche Ehe zu zerreißen gesinnt sei.“

Ist der eine Sturm vorüber, so kommt der andere. Der Schwiegersohn Sabinus, der unruhige Kopf und unglückliche Ehemann, findet sich als Professor in Frankfurt an der Oder nicht groß und glänzend genug. Aussicht auf eine höhere Stellung eröffnet sich 1543, als der Herzog Albert von Preußen auf den Gedanken kam, eine Universität zu Königsberg zu stiften. Die Hoffnung, durch Teilnahme an deren Stiftung großen Ruhm zu ernten, spiegelte ihm die Zukunft so golden vor, dass er kein Mittel zum Zwecke unversucht ließ. Er wollte herrschen, bei Hofe gelten, auch wohl seine Frau den Augen der Eltern entziehen, bei welchen sie ihren natürlichen Rückhalt sucht. Anna, bescheiden und still erzogen, konnte sich in der Verbindung mit diesem Manne immer weniger glücklich fühlen. Sie hat unter vielem Andern ihrer Mutter über das Schuldenmachen ihres Mannes zu klagen, wodurch auch sie in üblen Ruf gebracht werde, aber die Mutter solle dem Vater davon nichts sagen, sie habe schon so viel Unglück ertragen und wolle auch fernerhin aushalten. Sabinus dringt nun sogar auf Scheidung der Ehe. Er ist voll von Verwürfen über die Frau und voll Klagen und Anklagen gegen Melanchthon. Anna mit den Kindern war zu den Eltern gegangen und jetzt fragt Melanchthon seinen Schwiegersohn ernstlich, ob er kommen und sie in Liebe abholen wolle, oder da lassen, bis sie niedergekommen sei, oder ganz sich von ihr scheiden – es stehe ihm alles frei. Unterdessen wurde Sabinus, besonders durch Camerarius, der ihn auch immer bei Melanchthon vertrat, so vorteilhaft dem Herzoge empfohlen, dass er in der Tat zum ersten Rektor der neuen Universität ernannt wurde. Nun verlangt er, dass Frau und Kinder ihm gebracht werden. Melanchthon selbst will seine Anna mit zwei Töchtern zu ihm führen, die dritte aber lässt die Großmutter nicht von ihrer Seite. „Mir,“ so schreibt Melanchthon an Camerarius, macht die Reise meiner Tochter ungeheuer Sorge und Schmerz. Aber ich bitte Gott, dass er unsere Tränen ansehen wolle. Wenn du doch sähest, wie meine Tochter immer zu Hause war: sie ist still, bescheiden, mäßig, gar keine Zänkerin und nicht dumm.“ „So folgt denn, schreibt er den 10. Juni, die Mutter mit den zwei Kleinen voll des tiefsten Schmerzes ihrem Mann, er lässt sie nicht einmal die hiesige Magd mitnehmen, an die doch das eine Töchterlein in seiner Krankheit so gewöhnt war, dass es sich nur von ihr behandeln ließ; ach der Kummer wird ihr eine frühzeitige Geburt und den Tod bringen, wie sie selber ahnt, wenn nur nicht noch Traurigeres kommt; „ich flehe zu dem Sohne Gottes, der gesagt hat, kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, dass er sie behüte und regiere.“ Es vergrößerte seinen Schmerz, dass man ihm und den Seinen alle Schuld aufbürde und den Sabinus freispreche, der ihn und seine arme Gattin, so wie seine Tochter, nun acht Jahre lang so vielfach gequält habe, während dieser Schwiegersohn ihm noch wenig Freude gemacht. „Aber ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt … am besten wäre es gewesen, wenn ich die Tochter zurückbehalten hätte“

Kein Wunder, wenn er auf diesen Sturm schwer er krankte. Im Anfang Juli war seine Steinkrankheit so bedenklich, dass man in Leipzig ihn schon tot sagte und sein Herzensfreund Camerarius eiligst nach Wittenberg kam. Dieser traf ihn kaum etwas besser und mitten in seinen unablässigen Arbeiten. Im Oktober brach zu neuem Schrecken die Pest in Wittenberg aus; noch stärker aber Luthers Zorn über Melanchthons Nachgiebigkeit gegen Bucer und die „Sakramentierer“ so dass Melanchthon Alles anwenden muss, sich bei Luther zu entschuldigen und falls dies nicht geriete, an einen Wegzug von Wittenberg denkt, wo Luthers unbeugsame Kraftnatur den weichen Melanchton beengt und drückt. Doch Luther gab sich zufrieden mit Melanchthons Erklärungen, und wer von Wittenberg weggehen sollte, das war nun nicht der weiche Melanchthon sondern der eiserne Luther.

Es kam das Unglücksjahr 1546. Das Tridentiner Konzil begann. Luther starb. Auf Melanchthons Schultern wälzte sich nun alle Last allein. Er wurde Vormund der Kinder Luthers. Der Schmalkaldische Krieg brach aus. Melanchthon muss mit Weib und Kind aus dem vom Kurfürsten Moritz belagerten Wittenberg im November nach Zerbst, nach Magdeburg fliehen. Am 29. Dezember kann zwar Katharina wieder in die befreite Stadt zurück, er selbst aber kommt erst im Januar nur auf drei Tage und muss gleich weiter von Ort zu Ort. Und nun trifft ein herbster Schlag den unstet umhergetriebenen Mann und seine verlassene Gattin. Ihre Enkeltochter, die sie nicht von sich gelassen, erkrankte am 2. März am Fieber; wenige Tage darauf geht die Nachricht ein, dass ihre geliebte schmerzenreiche Tochter Anna am 26. Februar zu Königsberg entschlafen sei. Das schlug den vielgeprüften Herzen die tiefste Wunde. Wie es unserer Katharina zu Mut war, das mögen wir aus ihres Gatten Worten wiederklingen hören, wenn er von Zerbst aus an Paul Eber nach Wittenberg schreibt: „Ich schicke Dir die Beschreibung des Todes meiner Tochter, die, wenn ich sie lese oder nur daran gedenke, den väterlichen Schmerz so steigert, dass ich Gefahr für meine Gesundheit fürchte. Nicht aus den Augen kommt mir der Anblick, den die weinende Tochter gewährte, als man sie fragte, was sie den Eltern wohl noch sagen möchte, und es fallen mir dabei verschiedene Dinge ein, welche mich ängstigen.“ Sein einziger Trost war, dass sie unter deutlichen Zeugnissen wahrer Liebe gegen Gott und ihren Mann verschieden; die Liebe, die er zu seinem Kinde fühlte, war ihm eine deutliche Erinnerung an die Liebe Gottes des Vaters zu seinem Sohne und zu uns. der Nacht, als sie verschied, erschien sie in der Gestalt einer Verstorbenen ihrem Vater im Traume. An seinen Freund Cruciger schrieb er kurz zuvor: „Ich liebte die Tochter mit einer von Gott in die Natur gepflanzten Liebe und die Liebe wurde durch das Mitleid stärker, nach dem sie in die traurige Sklaverei gekommen war; zumal da ich sah, wie viel herrliche Vorzüge in ihr angelegt waren. Daher kann ich nicht anders, als tief trauern, nun ihr frühzeitiger Tod dazu kommt. Auch steigert sich meine Trauer durch den Gedanken an den Fehler, den ich gemacht. Nicht ihre Schuld, sondern meine Achtlosigkeit hat sie in solchen Jammer gebracht. Da ich sie aber zehn volle Jahre lang täglich mit wahren Herzensseufzern Gott befohlen, so achte ich, dass sie durch Gott aus diesem Leben abgerufen worden, um aus ihrem Jammer befreit zu werden.“ Später schreibt er an Milich, er habe so lange Jahre her seine Tochter in seine unablässige Fürbitte eingeschlossen und er könne nicht glauben, dass das unerhört geblieben sei, zumal seit ihm einmal, da er in der Kirche war, ein helles höheres Licht erschienen sei zum Zeichen, dass Gott sich der Tochter in Gnaden annehmen wolle.

Nun wünschte Melanchthon, der alle Innigkeit seiner Liebe auf die verwaisten Enkel überströmen ließ, dass nebst der kleinen Katharina, welche eben die Großmutter mit der übrigen Familie gar nicht hatte von sich trennen lassen, den Großeltern wenigstens auch die noch jüngere Martha zur Erziehung und Versorgung überlassen werden möchte. In einem seiner Briefe aus dieser Zeit an Staphylus in Königsberg lesen wir: In Bezug auf die Töchter des Dr. Sabinus habe ich geschrieben, es sei meine Bitte, dass er sie mir alle, oder wenigstens einige davon geben wolle. Martha, weil sie etwas schwächlich ist, möchte ich durchaus hier bei der Schwester erziehen lassen, wo sie unter Gottes Beistand zärtlich gepflegt und eifrig zur Erkenntnis Gottes und zu ordentlicher Arbeit, in Gemeinschaft der Schwester, die nun schon liest und schreibt, angehalten werden sollte.“ Und an seinen Schwiegersohn schreibt der sanfte Mann bald darauf: „Ich wünsche, dass unsere Freundschaft beständig sei, und ich will sie auch treulich bewahren. Deine Kinder wenigstens will ich für die meinigen halten, und sie sind in der Tat auch die meinigen; ich liebe sie nicht weniger, als ich die Mutter geliebt habe. Dass ich aber meine Tochter mit einer großen Innigkeit umfasst habe, wissen Viele; auch ist diese mit ihrem Tode nicht erloschen, sondern durch Schmerz und Sehnsucht wird sie genährt. Da ich nun weiß, wie lieb sie die Kinder gehabt, so glaube ich ihre Neigungen auf mich übertragen zu müssen.“ Es ist leicht zu erachten, wie groß seine Freude war, als Sabinus dem ausgesprochenen Wunsche wirklich nachkam und bei seiner Reise nach Wittenberg im Herbste des Jahres 1547 ihm sogar drei Töchter und einen Sohn in seinem Hause zurückließ. Die Enkel waren nun seine Erheiterung und Erholung in den Tagen des Alters. Er nennt sie nur „seine süßen Töchterlein.“ Wahrscheinlich sprach das naive Urteilen und Reden der Jüngsten sein Gemüt so sehr an, dass er nicht selten selbst zu seinen Zuhörern davon plauderte. So bemerkt er einmal: „Martha heißt „Fraw Doktorinne.“ Meine Tochter sagte: „es ist ein feiner Name, wenn man sagt Frau Doktorinne.“„ An einer andern Stelle teilt er folgendes Liedchen von ihr mit:

„Lieben Kinderchen seid ihr fromm,\\
So kommt ihr in den Himmel; \\
Seid ihr aber nicht fromm, \\
So kommt ihr in die Hölle.“

Für die Mutter Katharina gesellten sich indessen zur Trauer um die Erstgeborene die schrecklichsten Steinschmerzen. Alle Mittel wollten nicht helfen, die Qual war unerträglich, die arme Frau jammerte und schrie vor Schmerz; Melanchthon erklärt ihre Ungeduld für sehr entschuldbar. Und dazu kam Krieg und Kriegsgeschrei in die Nähe. Am 24. April 1547 war die für die Evangelischen so unglückliche Schlacht bei Mühlberg, am 1. Mai musste Melanchthon mit seiner kranken Frau und mit Luthers Witwe auf die Flucht nach Braunschweig und Nordhausen; schon schickte er des Sabinus Tochter mit seinem eignen Sohn voraus in die Pfalz, um dann mit seiner Gattin und dem Hausrate nachzukommen. Indessen konnte er (26. Juli) doch nach Wittenberg zurückkehren, am 31. August kommt auch Katharina dahin, geht aber bald wieder nach Nordhausen zurück zu den Kindern. Im September kommt Sabinus mit allen seinen Kindern nach Wittenberg. Katharina aber wird in Nordhausen schwer krank, während ihr Gatte selbst in Wittenberg an Leib und Seele gefoltert darniederliegt. Zuerst eilt ihr Sohn Philippus, nachher auch ihr Gatte und Schwiegersohn zu ihr. Sie kehrt endlich im Oktober halb genesen nach Wittenberg. Schon am 29. Februar 1548 aber muss Melanchthon wieder vor dem erzürnten Kaiser Karl V. nach Klosterzelle fliehen. „Hie und da ist keine Ruh, die ist bei Gott, die suche du!“ so hieß es für dieses Haus.

Heil ihm, dass es Gott zu suchen und zu finden wusste. Unter den größten Steinschmerzen schrieb Melanchthon im Juni 1549 einen Katechismus für sein Töchterlein. Und so ging am 13. Febr. 1550 dem Hause denn doch auch wieder ein Licht der Freuden auf. Die zweite Tochter Magdalena (geb. 18. Juli 1531) verlobte sich mit dem trefflichen Doktor der Medizin, Caspar Peucer.

Katharina ging mit der glücklichen Tochter selbst nach Leipzig zur Messe, um die Einkäufe zu besorgen, und Alles geriet wohl. Am 28. Februar verlobte sich der Sohn Philippus, dessen Verhältnis mit Margaretha Küffner sich gelöst hatte, man weiß nicht, wie, mit einer ehrbaren Witwe; am 5. Mai war dessen Hochzeit, am 2. Juni die Hochzeit Magdalenens, am 28. Juni die des Sabinus mit seiner zweiten Frau, Anna, der Tochter des Königsberger Ratsherrn Christof Cramer – es war für Melanchthon eine große Freude, von ihm die freundliche Bemerkung zu hören, dass diese zweite Frau Ähnlichkeit mit seiner heimgegangenen Anna habe. Das war doch ein wenig heiterer Himmel; aber er bedeckte sich bald genug wieder. Am 18. Juli 1552 musste Katharina mit der Familie nach Torgau fliehen, weil in Wittenberg die Pest ausgebrochen. Am 15. Dezember wird Magdalene, Peucers Gattin, in Torgau erstmals glücklich entbunden, aber am 21. Dezember daselbst Katharina Luther begraben, mit welcher unsere Katharina Melanchthon so manche Freude und Ehre, aber auch so manches Leid geteilt in dem Maße, als Melanchthon von Anfang an doch nur an Luther eine ihm zusagende Gesellschaft in Wittenberg gefunden hatte.

Im folgenden Jahre (den 3. April) erlitt die indessen nach Wittenberg heimgekehrte Familie einen Verlust, der auch unserer vielduldenden Katharina einen gewaltigen Riss durch Herz und Leben machte. Johann Koch aus Ilsfeld bei Heilbronn am Neckar war 1519 durch Hieronymus Baumgärtner von Nürnberg dem Melanchthon zum Diener empfohlen worden. Von da an hat dieser Schwabe mit großer Treue in seinem Hause gedient, die Kinder aufgezogen und unterrichtet, ist dem ganzen Hauswesen als ein rechter Elieser vorgestanden und hat sich insbesondere seiner Hausfrau in Abwesenheit Melanchthons fast unentbehrlich gemacht; wie denn auch letzterer öfters von seinen Reisen aus an ihn schrieb und überhaupt große Stücke auf ihn hielt. Als Veit Dietrich in Nürnberg seine Predigten über den Seelenkampf des Sohnes Gottes dem Melanchthon schickte, schrieb dieser zurück, „ich werde sie sorgfältig lesen, mein Diener, welcher solche Schriften mit Begierde liest, lobt sie sehr.“ Nun sollte auch dieser treue Diener im Frieden Gottes fahren. Am 3. April 1553 starb er und Melanchthon zeigte den Tod seines lieben Hausgenossen der Universität öffentlich an mit folgenden Worten: „Mit Gottes Hilfe hat mein Diener Johannes, geboren am Neckar, 34 Jahre mit mir gelebt. Mit wahrer Frömmigkeit hat er Gott verehrt und gegen die Menschen war er gerecht, wahrhaftig und dienstfertig. Er war züchtig und ein Freund der Züchtigkeit. Die Zeit des Tages widmete er Morgens dem Lesen der heiligen Schrift und dem Gebete, alsdann der Pflege und dem Unterrichte meiner kleinen Söhne und Töchter, hierauf der Haushaltung. Er begleitete uns auf allen unseren Wegen in Zeiten des Kriegs und der Pest, und hat all mein Leben, meine Arbeiten und Kümmernisse gesehen. Und nie haben ihn uns die Zeiten geändert. Er hatte in seinem Wesen nichts Angelerntes, nichts Gemachtes oder Geschminktes. Da er anhielt am Lesen des Wortes Gottes und am Gebet, so strahlte in ihm der Sohn Gottes, die Sonne der Gerechtigkeit und zündete in ihm das Licht wahrer Tugend an. Er war mir nicht bloß ein treues liebes Familienglied, sondern auch ein biederer Ratgeber und äußerst verständiger Beurteiler in strittigen Lehrpunkten. Oft hat er mich klüglich gewarnt und auf Fragen über Lehrstreitigkeiten sein gewichtiges Urteil abgegeben. Er liebte die Einigkeit der Kirche so sehr, dass ihn nichts mehr schmerzte, als die Zwistigkeiten der letzten fünf Jahre. Dieser Schmerz hat auch seine Kräfte untergraben und nach und nach verzehrt. Nun ist er, wie ich nicht zweifle, in der Zahl derer, von welchen es heißt: selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben; ihm selber ist mit seinem Hinübertritt in die Akademie des Sohnes Gottes und der Schar der Seligen im Himmel ein sehnlichster Wunsch erfüllt, mir aber eine tiefe Wunde geschlagen und nicht bloß diese Verwaisung sondern noch Anderes bewegt mich im Innersten. Aber ich bitte unsern Herrn Jesum Christum um Gnade und Euch um Fürbitte und Teilnahme bei der Beerdigung.“

Dieses dem Diener ausgestellte Zeugnis ist nicht minder bezeichnend und ehrenvoll für den Herrn und für die Frau, in deren nächster Umgebung und Dienstleistung solch ein Mann 34 Jahre lang mit Wohlgefallen wirkte. Der Todesfall griff aber auch Katharina so an, dass sie im April am dreitägigen Fieber schwer darnieder geworfen wurde.

Vom 1. Mai an kämpfte sie Wochen lang mit dem Tode. Mit zitternder Hand berichtet ihr Gatte seinem Freunde am 22. Mai, wie sie noch auf den Tod krank sei. „Meine Frau zehrt allmählig ab, nur dies lindert meinen Kummer, dass ihr Geist frei, bei vollen Sinnen und ruhig ist, dabei oft Sprüche hersagt und betet.“ Erst im Juli endete das Fieber, dafür stellten sich Anfänge von Wassersucht ein, damit es der Uhr ihres inneren Lebens ja nicht am vollen Gewichte, dem Läuterungstiegel nicht an Feuer gebreche.

Seit der Verheiratung ihrer zweiten Tochter und ihres Sohnes, seit dem Tode ihres treuen Dieners fühlte sie sich, da ihr Gatte fortwährend durch Arbeiten und Reisen ihr entzogen war, gar sehr verlassen. Da war es ihr eine große Freude, dass Sabinus ihre zwei Enkelinnen brachte, deren Anblick und Umgang sie erheiterte und erleichterte in den sie heimsuchenden weiteren Ängsten. Melanchthon, das Jahr 1554 über viel am Steine leidend, wurde den 3. Juni 1555 sogar von einem polnischen Studenten mit dem Schwerte überfallen, als er einem nächtlichen Tumulte auf der Straße wehren wollte.

Eine letzte Mutterfreude und Sorge erlebte Katharina (1556, den 2. Februar) durch die Geburt einer dritten Enkelin von ihrer Tochter Magdalena, Dr. Peucers Gattin. Dann aber schreibt im Frühjahr 1557 Melanchthon an Camerarius: „Meine Frau sagt, sie wolle lieber aus diesem Leben scheiden, als noch länger mit beständigen Krankheiten zu kämpfen haben.“ Im Mai dieses Jahres dankt er seinem Freunde für Südfrüchte und Kirschensaft, den er ihr sandte. Aber leider hätten sie die Krankheit nicht gemindert, auch möge seine arme Frau, die täglich mit dem Tode ringe, dergleichen nicht genießen. „Mitleid und Schmerz,“ fährt er fort, „ergreift mich bei ihrem Anblicke, doch ist das immer mein Trost, dass sie fortwährend bei sich und ruhigen Gemütes ist. Und wenn sie ins Gebet geht und in die göttlichen Tröstungen, da spricht sie so, dass man sie festgegründet in der Erkenntnis des Sohnes Gottes und in der Hoffnung auf ewige Gemeinschaft mit der oberen Gemeinde weiß.“

Sie wurde noch einmal von den Pforten des Todes herausgerissen, aber nur um unter dem Kreuze noch völliger zum Eingange in die Herrlichkeit bereitet zu werden. Sie fasste ihre Seele in Geduld; das Psalmbuch war auch ihr die unerschöpfliche Trostquelle.

Man hörte häufig aus ihrem Munde das Gebet Psalm 71, 18: „Verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde.“ …

Und er verließ sie nicht, obwohl Freunde und Kinder sie verließen; ja ob auch ihr frommer, sorglicher Gatte im bösen Stündlein sie um seines Amtes willen allein lassen musste, der Herr war bei ihr. Melanchthon hatte gerade 1557 zu dem Religionsgespräch nach Worms reisen müssen, wo seine Gegner zornig und kampfbereit seiner harrten. Der gute herrliche Mann war seiner ganzen Natur nach zum milden Vermittler angetan. Aber es ging ihm, wie allen Vermittlern: er konnte es beiden aufeinander platzenden Parteien nicht recht machen. Vollends seit dem Tode des ihn kräftig anziehenden und haltenden Luther wurden ihm seine Lebensjahre zu wahren Kummerjahren durch die ewigen Angriffe und Streithändel. Er konnte nicht Hammer sein, so musste er Amboss werden. Und die eifrig ihre reine Lehre hütenden Lutheraner hämmerten unerbittlich auf den Mann los, der das Augsburger Bekenntnis zwar ihnen geschenkt, aber (1540) auch den reformirten Brüdern zu lieb, denen er sich in seinem Denken wahlverwandt fühlte, mit wenigen, doch verhängnisvollen Worten bei dem Artikel vom Abendmahl abgeändert hatte.

Noch war der Gang nach Worms ihm nicht der letzte Gang und Kampf, aber der schwerste wohl war er ihm durch den Abschied von der hinfälligen, lebenssatten und leidensmüden Gattin. Sein Schwiegersohn und Paul Eber begleiteten ihn, daheim lag auch sein Sohn krank, „welcher, obgleich er noch lebt, an Schwäche des Leibes und der Seele leidet.“ „Ich habe große Sehnsucht nach den Meinigen,“ schreibt er an seinen Freund, „und wollte lieber mit den mir so teuren Söhnen und Töchtern Gebete hersagen, als mich mit diesen giftigen Wortfechtern herumstreiten.“ Es ist als ob er eine Ahnung von dem gehabt hätte, was zu Hause vorging.

Am 27. Sept. 1557 war Katharina bedenklicher denn je erkrankt. Sogleich sah sie ihr Ende voraus, empfing das heilige Abendmahl und bat Gott, als sie sich legen musste, um Geduld. Sie wurde erhört. Auch nicht ein Wort der Ungeduld vernahm man, wohl aber konnte man deutlich sehen, dass sie ganz gerüstet auf ihr Ende sei. „In diesem Gehorsam gegen Gott,“ sagt ein alter Bericht, „und in häufigem Gebete zu dem Sohne Gottes ist sie in Christo so friedlich eingeschlafen, dass die umstehenden es kaum bemerkten.“ Es war am 11. Oktober Morgens 3 Uhr in ihrem 60. Jahre, im 37. ihrer Ehe. Als ihr Tod erfolgte, befand sich Melanchthon gerade in Heidelberg, wohin ihn der Kurfürst Ott-Heinrich eingeladen hatte, um mit Micyllus der dortigen Universität durch bessere Einrichtungen aufzuhelfen. Er hatte hier vergnügte Tage, da er, außer der Ehre beim Fürsten und allen Gelehrten, seinen lieben Bruder Georg umarmen durfte. Und nun kam auch noch sein teurer Camerarius. Dieser sah Melanchthons Glück und musste es stören, indem ihn die Universität Wittenberg beauftragt hatte, ihm die Trauernachricht zu überbringen. Als sie am folgenden Morgen im kurfürstlichen Garten spazieren gingen, entledigte sich Camerarius seines schmerzlichen Auftrags. Melanchthon blieb ruhig; zum Himmel blickend sagte er: „Lebe wohl, ich werde dir bald folgen!“ Er fing nun an, von der kirchlichen Not und den schweren Zeiten, die bevorstünden, zu sprechen; doch kehrte der Schmerz über den Verlust seiner Frau wieder zurück. An seinen Brudersohn Sigismund, der sich gerade damals in Wittenberg aufhielt, schrieb er einen herzlichen Brief, worin er seinen Schmerz über den Heimgang der geliebten Gattin ausspricht, und ihn auffordert, Vaterstelle im Hause zu vertreten. Auf das teilnehmende Schreiben der Universität Wittenberg, das Camerarius überbracht hatte, antwortete er am 31. Oktober: Obwohl er alle möglichen Trostgründe aufsuche, und an das Alter der Hingeschiedenen, an ihre heftigen Krankheiten, an künftiges gemeinsames Elend denke, so breche doch immer wieder die Liebe zu ihr und den Töchtern und Enkelinnen, die nun der mütterlichen Leitung und Pflege entbehren, mit solcher Macht hervor, dass er dem Schmerz fast unterliege. Aber er gedenke des Wortes: „Sei Gott untertan und bete;“ so flehe er denn aus ganzem Herzen für Kirche und Haus, dass der gute Hirte seine zarten Schafe in seinem Schoße tragen wolle.

Wie Katharina Luther ihrem Manne nicht die Augen zudrücken konnte, so konnte Melanchthon seine Katharina nicht sterben sehen, nicht ihrem Leichenbegängnisse beiwohnen, nicht einmal sogleich an ihrem Grabhügel seinen Schmerz ausweinen, er musste erst nach Worms zurück, dort zwecklos und freudelos weilen, ehe er nach Hause gehen durfte, um nach drei schweren Jahren, in denen er zwar noch die Geburt eines Enkels (Peucers Sohn) und die Verheiratung zweier Enkelinnen (von seiner Tochter Anna) erleben durfte, aber sonst manchen Schmerz und Tod miterleben musste, endlich aus dem Jammertale heim zu der vorangegangenen Gattin und Tochter zu gehen.

„Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott,“ das dürfen wir füglich auf den Grabstein der beiden Katharinen schreiben, deren Namen mit Luther und Melanchthon für immer verknüpft ist. Im Rückblick auf ihr vielbewegtes, schmerzvolles Erdenwallen mögen wir, denen das Erbe der Väter mühelos in den Schoß gefallen, dankbar der Mühsal und Arbeit gedenken, welche diese Männer und Frauen es sich kosten ließen, um sich und uns die eine köstliche Perle zu gewinnen; und wenn wir Spätgeborenen weich und unlittig über böse Zeiten klagen wollen, so müssen jene, die ein Leben lang gelitten und gestritten, uns erinnern: „wir sind nicht besser, denn unsere Väter denn unsere Mütter alle.“

Katharina Zell.

1497-1562?

Zu dem Bilde der Argula von Grumbach finden wir ein anziehendes Gegenstück in Katharina Zell. Sie stellt sich der „bairischen Deborah“ als die „elsässische“ ebenbürtig zur Seite. Es ist merkwürdig, wie diese zwei lutherischen Frauen ihrem Freunde in Wittenberg durch Streitfertigkeit und Lehrhaftigkeit sich wahlverwandt erzeigen. Beide waren reich an Verstand und Gemüt, mutvoll und beredt, voll brennenden Eifers für die Sache des Evangeliums und unermüdlich tätig im Dienste desselben. Beide mussten und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie über die Schranken des weiblichen Berufes hinausgegangen seien, in Streitigkeiten sich gemischt hätten, welche sie „nichts angingen“ und dass ihr Selbstgefühl teilweise in Selbstgefälligkeit ausgebrochen sei. Nun wollen wir aber ja keine katholischen Heiligenbilder, sondern christliche Frauenbilder betrachten, die als „sündige Töchter Evens“ durch ihre Fehler, wie durch ihre Tugenden zur Lehre dienen sollen: daher sei uns auch „die Zellin“ freundlich willkommen.

Katharina Zell, eine geborene Schütz, erblickte das Licht dieser Welt ums Jahr 1497 zu Straßburg in einer ehrbaren Handwerkerfamilie. Ihr Vater war Schreinermeister. Die trefflichen Anlagen des Kindes wurden durch eine sorgfältige Erziehung ausgebildet, ihr heller Sinn bekam in dem frommen schlichten Bürgerhause frühe eine feste Richtung aufs Religiöse. Hören wir, wie sie später als Witwe in einem offenen Briefe als in einer mannhaften Schutz- und Trutzschrift gegen Missurteile und Anklage vor aller Welt sich selber schildert. „Von Mutter Leibe an“, schreibt sie, „hat mich der Herr gezogen, und von Jugend auf gelehrt, darum hab‘ ich mich auch seiner Kirche nach dem Maße meines Verstands und der verliehenen Gnade zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; dass mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben. Deshalb auch mein frommer Matthäus Zell zur Zeit und Anfang seiner Predigt des Evangeliums mich zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hilfe in seinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugnis geben wird am großen Tag seines Gerichts, dass ich treulich und einfältig getan habe, mit großer Freud und Arbeit, Tag und Nacht meinen Leib, meine Kraft, Ehre und Gut, dir, du liebes Straßburg! zum Schemel deiner Füße gemacht habe. Dies hat auch mein frommer Mann mir herzlich gerne zugelassen, und mich sehr darum geliebt, sich selbst und sein Haus meiner oft ermangeln lassen, und mich gern der Gemeinde geschenkt.“

Weiter erzählt sie, wie sie aus der römischen Gefangenschaft in die evangelische Freiheit, aus der Obrigkeit der Finsternis zu Christi wunderbarem Lichte gekommen. „Ich bin seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrte geliebt, viele besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden noch Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehabt. Deshalb auch mein Vater, Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele besprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben. Da aber meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in all meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich den Leib und Seel bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir gangen wie dem armen Weiblein im Evangelio, das alles sein Gut bei den Ärzten immerdar verlor; da es aber von Christo hört und zu ihm kam, da wurde ihm durch denselbigen geholfen. Also mir auch und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig, und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnaden Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Übung und Sakramenten derselbigen Kirche nie keine Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften den lieben und jetzt seligen Doktor Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschrieb, dass ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen bittern Hölle in das lieblich süße Himmelreich, dass ich gedacht an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen und hinfüro sollt du Menschen fangen.“ Ich hab mich Tag und Nacht bearbeitet, dass ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hie das Evangelium habe lernen erkennen, und helfen bekennen, das lass ich Gott befohlen sein.“

Am 3. Dezember. 1523 in ihrem 26. Lebensjahre verheiratete sie sich mit Magister Matthäus Zell, der zu Kaisersberg im Elsass 1477 geboren erst Professor und Rektor der Universität zu Freiburg im Breisgau, seit 1518 Leutpriester zu St. Lorenz am Münster zu Straßburg und der erste evangelische Pfarrer dieser wichtigen Reichsstadt war. Martin Bucer1auch Butzer, der schon früher in die Ehe getreten war, segnete ihren Bund ein; zum Schlusse der heiligen Handlung feierte das neue Ehepaar das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Die weiten Räume des Münsters waren dabei dicht voll Menschen, welche freudig ihre Beistimmung zu solcher evangelischen Priesterehe bezeugten. Frau Katharina war eine fromme, tätige, treue und verständige Hausfrau, in seltener Herzens- und Geistes-Einheit mit ihrem Gatten. Sie sagt selber darüber: „Gar oft hab ich mich verwundert, und Gott gedankt, dass wir beide, mein seliger Mann und ich so durchaus eines Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind. Wie es dann unser Haushalt, Leben und Wesen in den vierundzwanzig Jahren und fünf Wochen bewiesen hat, da wir bei einander gewesen ein Herz und eine Seele. Ich bezeuge, dass ich vom Tage unserer ehelichen Einsegnung an getan habe, was dem Evangelio und der Seinigen geziemte. Als wir uns verbanden, war die Rede nicht von Wittum, Morgengabe, Silber oder Gold. Wir beiden hatten höheres Ding: Christus war unser Augenmerk. Wir gedachten an die Feuer- und Wassertaufe, und ich an das Wort des Apostels, 1 Tim. 5. der nicht bloß den Witwen, sondern den Weibern zur Pflicht macht, dass sie ein Zeugnis guter Werke haben, dass sie die Kinder wohl erziehen, gute Hausmütter seien, gerne herbergen, der Heiligen Füße waschen, den Bedrängten Handreichung tun, allem guten Werk nachkommen, dem Manne untertan seien; auf dass Gottes Wort nicht gelästert werde. Dann stand mir jenes Wort des Petrus, 1. Brf. 3,1-4, immer im Angedenken; die, welche dem Worte Gottes noch nicht Gehör geben, sollen durch der Weiber Wandel gewonnen werden, ihr keuscher Wandel soll sie beschämen. Wir gaben auch unsers Leibes Ehre und Gut Gott und Christo, seinem Sohne zum Opfer dar. Auch hieß mich mein Mann armer und verjagter Leute Mutter sein, so lange uns Gott beisammenließe. Da hab ich unserer ehelichen Verlöbnis und meines Mannes Befehl Folge geleistet mit Leib, Ehre und Gut, ja großer Unruhe, die ich mir selbst gemacht habe, dem Herrn Jesu und seiner Predigt zu Ehren.“

Matthäus Zell hatte samt seinen Freunden Capito, Hedio, Bucer, Firn manche Anfechtung zu erleiden; da stand ihm seine Gattin ritterlich zur Seite und machte bei Freunden und Feinden fast noch mehr Aufsehen und Eindruck als er selbst. Sie war trefflich geschult und fast gelehrt, das Forschen in der Schrift gab ihr eine bedeutende religiöse Erkenntnis, mit einem seltenen Mute und einer großen natürlichen Beredtsamkeit ausgestattet verstand sie auch mit der Feder ihre Überzeugungen gründlich und in fließender Schreibart zu verfechten. Die Verbreitung des lautern Evangeliums war ihr eine wahre Herzens-Sache und Lebens-Aufgabe. Wenn hiernach ihr Gatte wohl etwas hinter ihr zurücktrat und sein (wir dürfen fast sagen, ihr) Amtsgenosse Bucer den guten Matthäus achselzuckend „von einem Weibe beherrscht“ nennt, so kann uns das nicht wundern bei einem so stark ausgeprägten Charakter, wie Katharina. Dennoch musste Bucer selbst ihr das Zeugnis geben „sie ist gottesfürchtig, grundstudiert und mutvoll wie ein Held“ wenn er auch ihre besondere Art nicht gerade liebte und dem Urteil über sie hinzufügt: „aber es wyblet doch immer ein wenig um sie.“

Bald nach ihrer Verehelichung wurde sie auch mit Luther bekannt, und schon im Jahre 1524 schrieb dieser ihr folgenden Brief: „Der tugendsamen Frauen, Katharina Schützin, meiner lieben Schwester und Freundin in Christo in Straßburg, Gnade und Friede in Christo. Meine Liebe! Dass dir Gott seine Gnade so reichlich gegeben hat, dass du nicht allein selbst sein Reich siehest und kennest, sondern dass er dir auch einen solchen Mann bescheret hat von welchem du täglich ohne Unterlass besser lernen und immer neu Gutes hören magst, gönne ich dir wohl und wünsche dir Gnade und Stärke dazu, dass du solches mit Dank behaltest bis auf jenen Tag, da wir uns alle sehen und freuen werden, wills Gott! Jetzt nicht mehr. Bitte Gott für mich und grüße mir freundlich deinen Herrn, Matthäus Zell. Hiermit Gott befohlen. Am Sonnabend nach Lukas 1524.“

Wie mit Luther, so stand sie auch mit andern Gottesgelehrten im Briefwechsel, namentlich mit Zwingli und Bullinger, selbst dem Bischof von Straßburg schrieb sie raue Briefe.“ Bei all dem gerechten Selbstgefühl, das sie haben durfte und bei der Selbstgefälligkeit, die sich hin und wieder an ihr zeigte, wusste sie dennoch ihre Schranken und ihren eigentlichen Beruf einzuhalten. Sie wollte nur die treue Gehilfin ihres Mannes sein und „ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen.“ Wie sie sich in das Amt ihres Mannes als eine rechte Helferin oder Diakonissin nach apostolischem Vorbilde zu teilen verstand, wie sie ihren weiblichen und geistlichen Beruf am liebsten erfüllte in Werken unermüdlicher Wohltätigkeit gegen Notdürftige überhaupt und insbesondere gegen bedrängte, verfolgte, flüchtige Glaubens-Genossen, für welche Straßburg gleich der freien Schweiz eine sichere Schanze und Zuflucht bot, davon erzählt sie wiederum selbst:

„Ich hab schon im Anfang meiner Ehe viel herrlicher gelehrter Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: unterstütze und stärke die müden Knie.“ „Das hab ich nach meinem Vermögen und gegebener Gnaden Gottes getan.“ „Einmal fünfzehn lieber Männer aus der Markgrafschaft Baden mussten weichen, sie wollten dann wider ihr Gewissen tun, unter welchen ein gelehrter, alter Mann war, hieß Doktor Mantel, der mich samt andern zu Baden innen ward, zu mir kame, Rat und Trost von mir begehrte, da er mit Weinen sagte: „Ach ich alter Mann mit viel kleiner Kinder!“ Da ich ihm aber Matthäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreut und seine müden Knie gestärkt! Dann er Angst und Schrecken verursacht, hat vier Jahre schwer gefangen gelegen. Im 1524. Jahre mussten auf Eine Nacht anderthalb hundert Bürger aus dem Städtlein Kenzingen im Breisgau entweichen, kamen gen Straßburg, deren ich auf dieselbige Nacht achtzig in unser Haus aufgenommen und vier Wochen lang nie minder dann fünfzig oder sechzig gespeist, darzu viel frommer Herren und Bürger steuerten und halfen erhalten. Im 1525. Jahre, nach dem Totschlag der armen Bauern, da so viel elender erschrockener Leut gen Straßburg kamen, hab ich sie mit Meister Lux Hackfurt, des gemeinen Almosen-Schaffner, nebst zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, in das Barfüßer-Kloster geführt, da es eine große Menge ward und hab viel ehrlicher Leute, Mann und Weib angerichtet, dass sie ihnen dienten und große Steuer und Almosen gegeben wurden.“ Solche Werke der Barmherzigkeit habe ihr Mann ihr herzlich gern zugelassen; er hat mich um so mehr, sagt sie, darum geliebt, sein Leib und Haus meiner vielmehr lassen ermangeln und mich gern der Gemeinde geschenkt; mir auch solches nicht mit Gebot, sondern mit freundlicher Bitt, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen; dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahr und elf Wochen nach Zells Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselben Gutes getan habe, in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ Unter andern rief sie nach Straßburg in ihr Haus den treuen frommen Prediger, Marx Heilandt von Calw, im Württemberger Land, damals verjagt; „durch mich beschrieben hieher,“ sagt Frau Zell, „kam er hie auf den Predigtstuhl und hat auch hie sein Leben geendet.“

Frau Zell fuhr fort in diesem Sinn zu handeln und wo ein wohltätiges Werk zu vollbringen war, da war sie eine der Vordersten, die Hand anlegten, und das Ihre nicht sparten. Als im Jahre 1543 in Folge der Reformation, und da Straßburg ein von alter Zeit her berühmter Bildungsort war, sich eine bedeutende Zahl armer Schüler zusammengefunden hatte, da war Katharina eine der tätigsten, um denselben ein Unterkommen zu verschaffen. Sie fanden dasselbe in dem ehemaligen Wilhelmskloster und Frau Zell pflegte ihrer auf die treueste Weise. Sie half mit Kräften dazu mit, dass das noch jetzt bestehende Studienstift, St. Wilhelm genannt, zu Stande kam.

Doch nicht bloß an Armen und Flüchtigen bewies Zells Hausfrau ihre Liebestätigkeit. Sie gefiel sich besonders im Umgang mit den gelehrten und berühmten Männern, die ihren Gatten besuchten. Eine Glanzperiode in ihrem tätigen Hausleben war die Zeit, als im Spätjahr 1529 die berühmtesten oberdeutschen und schweizerischen Theologen auf das Religionsgespräch zu Marburg reisten. „Ich bin, so erzählt sie selber, vierzehn Tag Magd und Köchin gewesen, da die lieben Männer Oecolampad und Zwingli im 29. Jahr hie zu Straßburg waren, dass sie samt den Unsern gen Marburg zu Doktor Luther reisten.“

Wie dem weichen Matthäus Zell, so waren auch seiner Gattin die Abendmahlsstreitigkeiten und überhaupt die mannigfachen Lehrhändel in der jungen evangelischen Kirche zuwider. Mit ihrem Martha-Sinn erkannte sie das Wesen dieser letzteren im liebtätigen Glauben und nicht im Festhalten an ausgeprägter Glaubens-Formel. Daher geschah es, dass sie nicht selten durch ihre freimütigen Äußerungen bei den lehreifrigen Amtsbrüdern ihres Mannes anstieß, insbesondere bei Martin Bucer, der in diesen Lehrstreitigkeiten als Friedensstifter und gar nicht glücklicher Vermittler zwischen Luther und Zwingli ungemein tätig war und der in einem ungedruckten Briefe sich über die tatkräftige, zungen- und federfertige Frau gelegentlich äußerte, sie sei eine tadellose Frau, habe aber zu viel Selbstliebe.

Nachdem im Jahre 1536 „die Wittenberger Concordie“, d. h. die Vereinigung der oberdeutschen Städte mit der lutherischen Lehre, abgeschlossen worden, unternahm der schon alternde Zell noch eine Reise zu Dr. Luther nach Wittenberg gleichsam zur Versiegelung des Friedens. Seine Gattin begleitete ihn. Sie erzählt: „Ich bin eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Krankheit und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab‘ dennoch meinen Mann so lieb gehabt, dass ich ihn nit allein hab lassen wandeln, da er (1538) unsern lieben Dr. Luther, und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören, hab ich meinen alten fünfundachtzigjährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen und bin mit ihm wohl 300 Meilen aus und ein auf der selbigen Reis‘ gezogen. So bin ich mit ihm in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andre Ort gereist, diese Gelehrten alle auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihn zu tragen, wie er es denn wohl bedurft hatte, dass ich mehr denn 600 Meilen mit ihm in seinem Alter gereiset mit großer Mühe und Arbeit meines Leibes, und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, das mich aber nit gedauert und noch nit reut, sondern Gott darum danke, dass er mich solches Alles sehen und hören hat lassen.“

Indessen ließ sie sich durch die Verbindung mit Luther nicht von ihrer weitherzigen Duldsamkeit und Gastfreundlichkeit abhalten. In völliger Übereinstimmung mit ihrem Gatten wiederholte die edle Frau oft: „Es soll jeder seinen Zugang zu uns haben und alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Teil und Gemein an unserem Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Teil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, er sei wo er woll‘. Also hab ich mit Zells Willen und Wohlgefallen mich vieler Leut angenommen, für sie geredt und geschrieben, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwinglin, oder Schwenkfelden und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis oder unweis, nach der Red des heiligen Pauli, Alle haben dürfen zu uns kommen. Was hat uns ihr Namen angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

Gewiss, es steht einem Frauengemüte wohl an, in der Liebe die größte unter allen Christentugenden nach des Apostels Wort zu sehen und zu üben, somit auch herzlich Mitleid mit allen Verfolgten zu haben und jeden Unglücklichen als ihren Nächsten zu pflegen. Wir mögen auch gerne lesen, wie die wackere Frau über die Verfolger Andersglaubender zürnt: „Die armen Täufer, da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt, wie ein Jäger die Hund auf ein wild Schwein und Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darinnen wir uns vom Papsttum geteilt haben, über die Erlösung Christi, aber sich in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebt euch die Schuld, dass wir in Lehr und Leben Ursach sind, dass sie sich von uns trennen. Wer Böses tut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen und regieren, wie ihr meint, er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Lest alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium bei uns wiederum erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, der noch lebt, was er geschrieben hat von ihnen, und sie so hoch beschirmt, dass eine Obrigkeit nit mit ihnen zu tun hab, dann in bürgerlichen Sachen. Lest es in dem Büchlein, das der gut Mann Martinus Bellius an den Fürsten und Herzog Christofel zu Wirtemberg2Christoph von Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todbrand zu Genf, da er für und zu dieser Zeit aller Frommen, Verständigen, Gelehrten, … Rede und Meinung fleißig zusammengezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, die man Ketzer nennt, soll handeln. – Wenn euch die Obrigkeit folgte, sie würde bald ein Tyrannei anfangen, dass Städt und Dörfer leer würden. – Straßburg steht noch nicht zum Exempel Schand und Spott dem Teutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmung der Elenden; ist auch noch nit müd worden, Gott sei Lob und ist mancher armer Christ noch darinnen, den ihr gern hättet gesehen hinaus treiben. Das hat der alte Matthäus Zell nit getan, sondern die Schafe gesammelt nit zerstreut; hat auch in solches nie gewilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel und im Konvent der Prediger gesagt: ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, dass ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.“ -((Wohl! aber da versteht sie ihren lieben Luther und Brenz schlecht, wenn sie nicht bloß den Andersglaubenden im Unglück ins Haus führt, sondern auch den „Glauben der Kirche und den Glauben der Schwarmgeister um der Liebe willen“ gleich stellt. Luther ist erbötig im Leben jede Liebe seinen Gegnern zu erweisen, aber in der Lehre könne er nicht Buchstab noch Titel nachlassen. Denn die Lehre sei wie ein fein ganzer güldener Ring, daran kein Risslein noch Bruch: „Wir sind bereit und willig,“ sagte er, Friede und Liebe ihnen zu erzeigen, so ferne sie uns die Lehre des Glaubens unverletzt und ungefälscht lassen. Wo wir solches nicht bei ihnen erhalten können, ist es vergebens, dass sie die Liebe so hoch rühmen. Verflucht sei die Liebe in Abgrund der Höllen, so erhalten wird mit Schaden und Nachteil der Lehre vom Glauben, der billig Alles zumal weichen soll, es sei Liebe, Apostel, Engel vom Himmel und was es sein mag.“))

Unter all den vielen Fremden, welche Gastfreundschaft im Zellschen Hause genossen, fand insbesondere Kaspar Schwenkfeld, der schlesische Edelmann, welcher als Vertriebener im Jahre 1528 nach Straßburg kam, den meisten Anklang. Die Wärme, welche allen Schwärmern eigen zu sein pflegt, die Gefühligkeit und Geistigkeit seiner Richtung, sein achtungswerter Charakter und das adelig feine Wesen in seiner ganzen Erscheinung gewannen ihm das Herz des Zellschen Ehepaars. Je mehr er mit seinen angeblichen besonderen Offenbarungen als Kirchenfeind angefochten war, desto mehr fühlte sich die ihm etwas wahlverwandte Frau sogar von seiner Irrlehre angezogen, die statt auf die Kraft des Worts und Sakraments auf das rein innerliche Licht und Leben ging, Christi Menschheit von der Gottheit verschlungen erklärte und durch all das dem angefochtenen Gläubigen seinen Haupt-Anker nahm.

Auch nachdem Schwenkfeld die Stadt Straßburg verlassen hatte, blieb Frau Zell im Briefwechsel mit ihm. Die Briefe sprechen alle gegenseitige innige Hochachtung, Liebe und Geistesgemeinschaft aus. Schwenkfeld nennt sie „herzliebe Frau Katharina“, wünscht ihr Beständigkeit und Wachstum im Glauben und für ihren Hauswirt Meister Matthäus Zell bittet er, der Herr Jesus Christus wolle ihm in wahrer Einfalt des heiligen Geistes sich selbsten mit Fried und Freud im Herzen zu erkennen geben, dass er mit dem lieben alten Simeon vor seinem End nu recht wahrhaftig das „Nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren“ möge singen. In einem ungedruckten Briefe (19. Okt. 1553) erzählt Frau Zell: „Mein lieber Mann hat mir Plath und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät, Tag und Nacht vergönnt, ja große Freude daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibeswartung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Er hat mir auch nie gewehrt mit euch (Schwenkfeld), dieweil ihr in Straßburg gewesen, zu reden, zu euch und euch zu mir zu gehen, euch zu hören, Guts zu beweisen, oder euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft, oder gehasst, sondern vielmehr deshalb mich sehr geliebt.“ Gewiss aber hätte er ihr viel Übles erspart, wenn er der Mann gewesen wäre, mit klarer Entschiedenheit ihr geistiger Führer auf dem Felde zu sein, wo das weibliche Herz so leicht mit dem Verstande davon eilt und deswegen der Apostel Paulus es schweigen und in der Stille lernen heißt.

Unsere liebe Zellin bewies übrigens ihre geistige Tätigkeit nicht bloß durch ihren fleißigen Briefwechsel, sondern auch durch mehrere Schriften, die sie bei verschiedenen Anlässen veröffentlichte zum Frommen der ihr so teuren evangelischen Kirche. So ließ sie im Jahr 1524 eine Entschuldigung des M. Matth. Zell erscheinen, die aber von der Obrigkeit eingezogen wurde und wahrscheinlich nicht mehr vorhanden ist3Eine Fehleinschätzung, mittlerweile gibt es diese Schrift sogar in der Glaubensstimme. In demselben Jahre verfasste sie eine Trostschrift „an die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen, meine Mitschwestern,“ deren Männer durch die Oestreicher vertrieben nach Straßburg geflohen waren. Im Jahr 1534 schrieb sie eine Vorrede zu dem bei Jakob Frölich in Straßburg erscheinenden Abdruck des Michael Weisseschen Gesangbuchs, unter dem Titel: „Von Christo Jesu unserm säligmacher, seiner Menschwerdung usw. etlich christliche und trostliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt sie: „dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch von Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher aller Laster, Buhlerei und anderer schandlicher Ding den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dünkt es mich ein sehr gut und nutz Ding zu sein, wie dieser Mann (Michael Weisse) getan hat, die ganz Handlung Christi und unseres Heils in Gsang zu bringen, ob doch die Leut also mit lustiger Weis und heller Stimmen ins Heil ermahnt möchten werden und der Teufel mit seinem Gsang nit also bei ihnen Statt hätte.“ Übrigens war dieses kein Gemeindegesangbuch, ein solches gab es damals noch nicht. Aber die gangbarsten Kirchenlieder finden sich in allen damaligen Liedersammlungen wieder, und so auch in dieser.

Unter viel Arbeit, Mühe und Liebestaten alterte Frau Zell. Sie war aber noch rüstig als ihr ehrwürdiger Gatte starb, am 9. Januar 1548 im 71. Lebensjahr. Noch in der letzten Nacht hatte Zell seine Frau gebeten, sie solle seinen Helfern (Diakonen, Unterpredigern) sagen, dass sie „Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen, und Christum predigen.“ Herzerhebend war Zells Hinscheiden und rührend ist der Bericht, den dessen Gattin uns davon hinterlassen hat. Betend für seine Gemeinde entschlief er. Die treue Gattin hatte seiner bis zum letzten Atemzug gepflegt und auch bei dessen Leichenbegängnis bewies sich Frau Zell als glaubensstarke Christin. Nachdem die Leichenrede von Bucer gehalten war, hatte diese Männin den Mut, an die Gemeinde eine zweite Leichenrede zu halten. Sie legte die Worte zu Grund: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Dabei war sie so in der Fassung, dass sie keine Träne vergoss. „Mein Mann,“ sprach sie, „ist ja nicht gestorben; er ist nur ins bessere Leben übergegangen; er lebt, er ist Gottes! Sein wollen wir auch sein.“

Traurige Tage hatte sie mit der ganzen lutherischen Kirche, als der siegreiche Kaiser Karl V. das „Interim“ und den „Schalk hinter ihm“, wie der Volkswitz sagte, einführte, d. h. einstweilen so viel als möglich vom alten Katholischen wieder einzuführen befahl. Die stückweise Einführung des Interims auch in Straßburg fiel ihr, die zugleich ihren Zell verlieren sollte, äußerst schwer. „O Straßburg,“ schreibt sie, wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen. Nimmt Gott Matthis Zell bald davon, lug um, wie es dir wird gehn!“ Und ferner: „Oh Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr, Lüt und Bücher geben, erbarm dich auch unserer Nachkommen. Kath. Zellin.“

„Oh Herr Christus mach mich fromm in dir; mein Herz soll solchem Recht nimmermehr abfallen. Katharina Zellin.“

Mit dem Tode Zells und der Abreise Bucers nach England trat in Straßburg eine weitere Veränderung ein. Die unsicher vermittelnde Ansicht und Auffassung der Kirchenlehre musste einer größeren Entschiedenheit weichen. Jüngere Prediger zumal verfuhren mit rücksichtsloser Schroffheit, ja mit bitterer Feindschaft gegen die alten Lehrer der Straßburgischen Kirche, welche Frau Zell so wert hielt. Am empfindlichsten aber schmerzte es sie, als ihr gleichsam aus ihrem eigenen Hause ein Widersacher erwuchs. Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war Pflegling im Zellschen Hause gewesen, da er sich als unbemittelter Jüngling dem evangelischen Lehramte widmete. Katharina erwies sich ihm als treu sorgende Mutter. Der junge Rabus, wohl begabt wie er war, wurde bald ein Lieblingsprediger des Volkes in Straßburg und nach Zells Tode dessen Nachfolger. Anfänglich war es das Interim und der Chorrock, wogegen er heftig ereiferte. Bald aber warf er seine scharfen Pfeile auf die früheren Zustände der straßburgischen Kirche, auf die milden, schwankenden Lehransichten ihrer Reformatoren und auf den (gerade durch seine Gutmütigkeit nicht ungefährlichen) Schwärmer Schwenkfeld. In harten Ausdrücken ließ er sich gegen Beide aus nicht bloß im Privatgespräch, sondern auch in öffentlicher Predigt. Frau Zell übernahm die Ehrenrettung der Geschmähten mündlich und schriftlich. Rabus antwortete von Ulm aus im Jahr 1557, wohin er als Superintendent war berufen worden. Sein Brief beginnt in der ungeheuren Derbheit jener Zeit: „Dein heidnisch, unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zukommen den 16. Aprilis, welcher der Karfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem giftigen, neidischen, erstunkenen, erlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch keine Besserung an dir zu verhoffen, sondern du für und für in schrecklichen Irrtumben, falscher Zeugnis und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrst“ usw. Auf dies erschien „Ein Brief an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg, von Katharina Zellin, dessen jetzt säligen Matthei Zellen, des alten und ersten Predigers des Evangelii dieser Stadt, nachgelassene Ehefrauw, betreffend Herr Ludwig Rabus, jetzt ein Prediger der Statt Ulm, sampt zweyer Brieffen ir und sein, die mag mengklich lesen und vrteilen on gunst und Hassz, sondern allein der Wahrheit warnemen. Dabei auch eine sanfte Antwort auf jeden Artikel seines Brieffs.“ Ziemlich sanft lautet es darin: „Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habet ihr mir unsanft und zugeschlossen wiederum geschickt und nit gewöllt lesen. Das hat mir wohl weh getan, als einer die euch geliebt, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden, auch helfen fürdern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es wohl aber auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzt ist worden, hab gedacht, Jahr und Verstand kommen mit der Zeit miteinander, der Herr Christus könne alle Ding ändern und Verstand ges ben. Habs demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist.“ Schon minder sanft fährt sie fort: Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, dass ihr meinet, die Leut seien Narren und verstehen nit, wann sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red und lehre, und was ihr vielmal aus Unverstand auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch, redet und lehret! Und ihr sollet es nit zürnen, ihr lernet erst aus Schwenkfelds Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euren Predigen und fluchet ihm dannoch gleich darauf; gleich wie die armen Päpstler aus unsers lieben Dr. Luthers seligen Büchern haben etwas gelernet und ihn darnach verdammen. Luget! machet euch ihrer nit teilhaftig, es wird euch sonst gehen, wie dem Propheten Bileam: was du fluchest, will ich segnen.“- Aber ganz unsanft antwortet sie ihrem Gegner, der sich in seinem Briefe an die Witwe Zell unterschrieben: „L. Rabus, Doktor der heiligen Schrift und Superintendent der Kirche zu Ulm, wider alle Zwinglische, Schwenkfeldische, wiedertäuferische Geister, daneben aber ein armer, schlechter Diener des gekreuzigten Christi und seiner Kirche“:
„Dass sich der Herr „Doktor“ unterschreibt, lass ihm gelten : es ist eben nicht ein hässlich Wort. Es heißt und soll heißen, ein gelehrter, ein verständiger erfahrener Mann in heiliger Schrift und göttlicher Kunst; ein Lehrer wohl einstudiert in die Theologie, das ist heiliger Schrift und geistlicher Dinge wohl kundig. Nun, wo ein solcher Doktor, ein weiser kluger, treuer, verständiger Lehrer göttlicher Dinge, wirklich sanft, demütig und eines stillen Geistes ist, erzogen und gebildet in der Schule Christi und des heiligen Geistes, arm im Geiste und doch reich in Gott; ein Mann, dem der Herr den Sinn der Schrift geöffnet hat, dass er Altes und Neues aus seinem Schatze hervorlangen kann zum Heil der armen Seelen da ist Gott für einen solchen zu loben. Wer sollte ihn nicht zwiefacher Ehre wert halten? Aber, wenn ein solcher stolz, aufgeblasen, einbildisch auf menschliche Gelehrsamkeit wäre; wenn er sich mit fremden Federn brüstete, wie ein Rabe krächzte, oder dem ersten dem besten den Handschuh vorwürfe, wenn er Alles überpolterte und überschnarchte, selbst redselig Niemand neben sich zum Worte kommen ließe, in Allem Recht haben und über Alles absprechen, keine Gegenmeinung dulden und lieber mit Schimpf- und Pöbelworten um sich werfen wollte; welcher Vernünftige möchte vor diesem Narren Respekt haben? – O der närrischen Titel! Kennt Ihr den nicht, der gesprochen hat: Ihr sollt Euch nicht Rabbi nennen lassen: Einer ist Euer Meister, Christus: Ihr aber seid Brüder.

„So schreibt sich Herr Rabus „Super-in-tendent. Ein viersilbiges Wort! Deutsch: ein Oberaufseher. Nun, dawider rede ich nicht viel. Den lateinischen Titel mag ich ihm wohl gönnen, besser als meinem seligen Mann: der ließ sich schlechtweg „Pfarrer“ nennen. Der nagelneue Herr Superintendent sehe indes nur fein hübsch um sich und über sich, vor Allem aber in sich. Wie mir aber solcher Name und Amt gefalle, weiß man schon, doch mags hier noch einmal stehn. Ich halte mich an meines Herrn Wort: „Ihr nicht also, wer der Oberste sein will, der sei Euer Diener.“ Das findet man in meinem Brief, den ich ihm geschrieben, wie Christus und seine Apostel Superintendenten gewesen. Und dabei mags genug sein.“

Dieser Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war übrigens ein tüchtiger Gottesgelehrter, der sich zumal um Straßburg und Ulm wohl verdient gemacht, und der evangelischen Kirche durch verschiedene Schriften, namentlich eine Geschichte der Märtyrer, nicht geringe Dienste geleistet hat.4Ulm, das bisher immer mit Zwingli gehen, wohl auch zwischen ihm und Luther auf beiden Seiten hinken wollte, gewann er mit kräftiger Hand dem entschieden lutherischen Bekenntnisse. Den Schwarmgeistern, die sich in Ulm eingenistet, den Wiedertäufern, dem Schwenkfeld legte er gründlich das Handwerk. Dass dem feurigen, entschiedenen Manne, dem Choleriker, die sanguinische Frau mit ihren Schwächen zuwider war, ist sehr begreiflich. Tief aber musste allerdings unsere Katharina seine Anklage verwunden, als stifte sie Unruhen. So verantwortet sich dann auch die tapfere Frau in der Zuschrift an ihre Mitbürger. „Stehet mir zur Rede, Herr! und hört: Heißt etwa das in der Kirche Unruhe anfangen, dass ich in den ersten Ehestands-Jahren so vieler herrlicher, gelehrter Leute aufgenommen und beherbergt habe, welche als Flüchtlinge kein Unterkommen haben finden können? Und das hab ich, Gottlob, nach meinem Vermögen und Gottes Gnade getan. Heißt das Unruhe in der Kirche gestiftet, dass ich, während dem andere Weiber ihre Häuser geziert, viel Geld unnützer Weise an Puz, Staat, Hoffart und Eitelkeit verschwendet, sich bei allen Freuden und deren Anlässen, Gastereien, Hochzeiten, Spiel und Tanz eingefunden, ich dagegen wie es sich gab, in armer und reicher Leute Häuser gegangen bin, mit aller Liebe, Treue und Mitleid ihre Kranken besucht und getröstet, bei ansteckenden Krankheiten und Pestilenzen ausgehalten, ihre Sterbenden verpflegt, ihre Toten weggetragen, die Angefochtenen oder unschuldig Leidenden in Gefängnissen, in Türmen, am Sterbebette besucht, Andere auf ihrem Todeswege getröstet, ja beherzt gemacht; und so die Wahrheit des Spruchs des Weisen an mir selbst erfahren: „Es ist besser ins Trauerhaus gehen, als ins Trinkhaus!“ Gott sei Dank! Ich habe viel dabei gelernt. Ja, ich darf wohl vor Gott bezeugen, dass ich mehr Arbeit meines Leibes und Mundes getan, als kein Helfer oder Kaplan! dass ich Tag und Nacht gewachet, gelaufen bin, und nicht selten zwei und drei Tage soviel als nichts gegessen und getrunken habe. Eben darum hat mich mein frommer Mann, weil er an diesem Allen herzliche Freude hatte, bald seinen rechten Arm, bald einen Diakonum (Helfer) genannt. Und bin ich nicht bloß in meinen nächsten Umgebungen behülflich gewesen, sondern, wie er, auch außer Straßburg, in manchem Lande und Volk, wo ich um Hilfe angesprochen war. Diese ward wie es immer in den Kräften lag, Niemand versagt, so dass ich wohl Nutz, aber nirgends Schaden und Unruh gestiftet hab, wie man mir aufbürden will.“

Die Wohltätigkeit gegen verfolgte und arme Unglückliche, die sie als Gattin von Matthäus Zell in einem solchen Grade wie kaum eine übte, hat sie auch noch als Witwe nach dem Wunsche ihres Mannes auf eine Weise fortgesetzt, welche über ihre herrliche Gesinnung keinen Zweifel lässt. So war es z. B. im Jahr 1549, als ihre Freunde und Gönner, die Straßburger Gottesgelehrten, Bucer und Fagius, im Begriffe nach England zu reisen, wohin sie von dem König Eduard berufen waren, sich bei ihr verabschiedeten und ihr, in einem verschlossenen Briefe, unbemerkt noch einige Goldstücke zurückließen mit der Bitte, dieselben nicht zu verschmähen, sondern in ihrer Dürftigkeit für einige Bedürfnisse zu verwenden. Kaum hatte Katharina Zell die Gabe bemerkt, als sie den Freunden zurückschrieb: „Ihr habt mich mit dem Gelde, so Ihr heimlich in dem Brief hinterlassen, wahrhaftig sehr betrübt. Damit aber meine Schamröte eines Teils hingelegt werde, habe ich Euch Eure zwei Goldstücke wiederum in diesen Brief legen wollen, wie Joseph das Geld seinen Brüdern. Es ist indes soeben ein unschuldig verjagter, grundehrlicher Prediger mit fünf Kindern zu mir gekommen, sowie eines andern Predigers Frau, vor deren Augen man dem Manne den Kopf heruntergeschlagen hat. Die gute liebe Seele! Wie ich mit ihr inniges Mitleid hatte! Die hab ich zwei Tage bei mir beherbergt, und das Eine Goldstück diesen Beiden zur Zehrung geschenkt; das andere ist diesem Briefe beigeschlossen, damit Ihr’s selber braucht und ein ander Mal nicht so gütig seid. Glaubt nur, Freunde, Ihr werdet noch viel bedürfen, sowie Euer Volk (Familie), wenn es in England Euch nachkommen soll. Seid also Gott befohlen in seinen Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und Eure Feind.“

Doch mit dem Allem konnte sie ihre kirchlichen Widersacher nicht zum Frieden gewinnen. Wann sie gestorben, ist nicht bekannt. Noch am 3. März 1562 ließ sie sich durch Conrad Hubert, ihren bewährten Hausfreund bei Ludwig Lavater in Zürich entschuldigen, dass sie diesem so lange nicht geantwortet habe; sie sei durch lange Krankheit halb tot und könne seit vielen Monaten nicht mehr die Feder führen. Als sie starb, ließ der damalige Superintendent seinen Amtsgenossen das Verbot zugehen, ihr zu Ehren förmliche Leichenpredigten zu halten; es wäre denn, dass sie beifügen wollten: „Allerdings habe die Katharina Zell sich als Wohltäterin verdient gemacht um eine Menge von Armen; aber zuletzt sei sie von der Lutherischen Mutterkirche abtrünnig geworden, und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.“

Anna Zwingli - Portrait

Anna Zwingli

geb. 1487. gest. 1538.

Anna, in Zürich einst „die apostolische Dorkas“ (Rehe, Apostelgesch. 9,30.) genannt, war die Tochter des Junkers Oswald Reinhard, Gastwirts zum Rössli, und der Elisabetha Wynzürn. Ihr Großvater, Hans Reinhard von St. Gallen, hatte sich 1432 in Zürich niedergelassen. Sie wurde einige Jahre nach Zwingli, um 1487 geboren. Mit seltener weiblicher Anmut des Körpers verband sich in ihr eine große Lebhaftigkeit des Geistes, eine edle, feinfühlende Seele und ein kindliches Gemüt, das ihr alle Herzen gewann. Sie heißt in den alten Familienschriften ihres Geschlechts „ein überaus schön Mentsch“, und zog schon dadurch die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, noch mehr aber wissen die Zeugnisse ihrer Zeitgenossen von ihrer Frömmigkeit, Sittsamkeit, Treue, Sanftmut und Herzlichkeit zu sprechen.

Einige Jahre älter war Johannes, einziger Sohn des altadeligen Gerold Meyer von Knonau, Ratsherrn von Zürich, und der Anna von Hinweil. Der gewann die schöne Anna Reinhard lieb – aber das war nicht nach dem Willen des Vaters, der damals Zeugherr in Zürich und ein sehr geschätzter, ernster Mann war. Er sandte daher den Sohn zu weiterer Ausbildung an den Hof seines Vetters, des weithin herrschenden Bischofs von Konstanz, Hugo von Landenberg. Unterdessen zeigte sich eine Verbindung des Sohnes mit einer Tochter aus einem angesehenen adeligen Hause im Thurgau möglich und der Vater, nach alter Sitte über seine Familie unumschränkt verfügend, rief den Sohn schnell zurück, um ihm seine Willensmeinung zu eröffnen und die Heirat in Vollzug zu bringen.

Hans aber wurde nach seiner Heimkehr nur noch mehr zu der kaum zur Jungfrau herangeblühten Anna Reinhard hingezogen, und da die Ihrigen es nicht missbilligten, verlobte er sich eilends mit ihr. Während der Vater seinen Sohn auf der Brautreise ins Thurgau glaubte, ließ sich Hans mit seiner Anna heimlich in einer Dorfkapelle des Kantons trauen. Der Vater war von solcher Nachricht wie vom Donner gerührt, und das Familienbuch schreibt: „Da hat man die schon eingeleitete Heirat, nicht ohne große Verkleinerung, abschlagen und davon mit Spott stehen müssen. Welches dem Vater so mächtig ins Herz gegriffen und ihn erzürnt hat, dass er den Sohn, sobald er die Reinhardin hinterrucks und ohne Vorwissen des Vatters und ganzer Früntschaft genommen, hatt Ihn der Vatter niemals mehr begnadet, und Ist Inn syn Hus mit wüssen und an synen Tisch niemals mehr khommen. Es hatt auch der Vatter die schönsten Kleinoten, die dies Geschlecht gehabt, in solchem widermut und Unwillen verkauft, vermacht, verschenkt und seinem Tochtermann auch viel angehenkt. Aber die Reinhardin hatte diesen ihren Ehegemahl und er sie hinwieder herzlich lieb.“

Die ersten Jahre waren kinderlos, dann gebar Anna 1509 den nachher berühmt gewordenen Gerold, und ihm folgten 1510 und 1512 zwei Mädchen, Margaretha und Agathe, nach. Trotz dem väterlichen Unwillen erhielt Hans mehrere städtische Ehrenstellen, und sein Vetter, der Bischof Hugo, blieb ihm der Art zu Gnaden geneigt, dass er ihm 1515 „einen lustigen thrunk“ verehrte, und dazu zweihundert gedigner gangfisch (die berühmten Konstanzer Bodenseefelgen), „die wöllest umb unsertwägen mit fröwden niessen.“

Von seinem Vater getrennt nahm er in fremden Kriegsdiensten als Schützenfähnrich Teil an dem großen Siege der Eidgenossen bei Novara, wo seine Kriegsgenossen die Nacht darauf ihn „unter den Kanonen“ schlafen sahen. Wenige Jahre nachher begann seine Gesundheit zu wanken, und am 26. Nov. 1516 ließ er die, um der gemeinsamen Übertretung des vierten Gebotes willen schon viel genug geprüfte Anna – in ihren Armen sterbend als Witwe zurück. Sie aber lebte ihren Kindern in Gottesfurcht, hielt sich eingezogen und still, als eine rechte Witwe, und so musste es ihr zuletzt auch wieder wohlgehen.

Schon das war ihr ein Glück, dass der alte Schwiegervater bereits vorher sich ihres Knaben angenommen hatte. Wenige Wochen nämlich, nachdem der alte eiserne Ratsherr in fortwährendem und von außen fortgenährtem Grolle 1512 die Herrschaft Knonau um den Spottpreis von 1650 rheinischen Gulden an die Regierung verkauft hatte, befand er sich in Gesellschaft anderer angesehener Zürcher aus dem Vereine der Böcke, der jetzt noch in Zürich besteht, auf der Gesellschaftsstube zur Schnecke, die ans Rathaus gegen den Fischmarkt zu angebaut war. „Auf diese Zeit,“ so erzählt die Familienchronik, „hat des Hansen Magd den Gerold, der etwan dreijährig gewesen, mit sich in den Fischmarkt genommen, dahin sie geschickt worden, Fisch zu kaufen, da hat sie denselben in eine Fischbränte((Die «Bränte» ist ein Holzgefäss, das in vielen Formen und Funktionen auftritt)) gesetzt, bis sie den Fischer bezahlt hat. In solchem luget des Kindes Großvatter zum Schnecken zum Fenster uß, und ersah das Kind in der Bränten so frisch und fröhlich sitzen, fraget bald, wes doch das schön lustig Kind wäre, dem bald geantwortet ward, ob er’s nit kenne, es sei synes Sohns, Hansen Meyer. Wie das der Großvater gehört, befahl er ohne Verzug, man sollte ihm das Kind bringen, nahm dasselbe in seine Arme, weint und sagt: „wiewohl dein Vater mich erzürnt, will Ich doch dich dessen nit entgelten lassen, und will dich an deines Vaters Statt zum Kind und Erben nehmen. Und ließ es gleich darauf heim in sein Haus, inn Meyerhof (in Zürch) tragen, und hielt es da als wan es sein eigen Kind wäre, bis dass er gestorben (ein Jahr nach dem Sohne Hans), und folgends hat auch die Regin (seine zweite Gattin) das Kind behalten ihr Leben lang.“

Anna, die natürlich ihr Kind heimholen lassen konnte, so oft sie wollte, hatte ihre Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn zu erziehen treulich für ihren Mutter- und Witwenberuf gehalten. Der Knabe Gerold namentlich sollte die neu aufgerichteten und sich immer mehr hebenden und mehrenden Unterrichtsanstalten seiner Vaterstadt wohl benützen, und als durch Ulrich Zwingli über Stadt und Land ein neues Leben sich verbreitete, so waren Mutter und Kinder von den ersten, bei welchen dies bemerkbar wurde.

Zwingli, wie Luther Alles von Heranbildung der Jugend hoffend, suchte jedes Pfund auch in Andern zu entdecken und zu Wucher zu bringen. Sein Blick fiel bald auf den durch Fleiß, Anlagen und feine Sitte, durch einnehmendes Äußere und ansprechende Gesichtszüge sich auszeichnenden Gerold, zog ihn hervor, widmete ihm manche Privatstunde und bildete ihn in den alten Sprachen aus. Schon 1520 hielt er den elfjährigen Jüngling für reif zur hohen Schule in Basel, dem damaligen Hauptsitze der schweizerischen Gelehrsamkeit. Als derselbe im Sommer 1523 zu Baden im Aargau das Bad gebrauchte, schickte ihm Zwingli als Badgeschenk einen trefflich geschriebenen lateinischen Brief, „wie man die Jugend in guten Sitten und christlicher Zucht ziehen und lehren solle,“ worin er in drei Abschnitten über Glauben, Wissen und Leben eines rechten Gottesgelehrten und Christen einen köstlichen Jugendspiegel aufstellte, der damit schließt, dass „vollkommen wird der sein, der sich vorsetzte, einzig Christum nachzuahmen.“

Schon mehr als fünf Jahre war Zwingli tätig in seinem großen Werke. Seit 1523 war auch in der Schweiz die Priesterehe, welche bis zur Zeit Gregors VII. noch in der römischen Kirche Geltung hatte, von der evangelisch erneuerten Kirche wieder aufgenommen worden. Am ersten verehelichte sich im April 1523 Wilhelm Rubli, Pfarrer zu Wytikon, vorher zu St. Alban in Basel, gebürtig von Rotenburg am Neckar. Bald darauf heiratete Diakonus Schmied eine Klosterfrau im Kleebach, Verena Schiltknecht. Im Gegensatz zu den herrschenden Sünden der ehelosen katholischen Geistlichkeit wurde sogar die Ehelichung von den Predigern des Evangeliums bald gefordert, nachdem das erste Gemurmel des Volks durchs Evangelium beschwichtigt war. So entschloss sich nach andern Vorgängen auch Zwingli in seinem vierzigsten Jahre zu dem ernsten Schritte.

Gleich von seinem ersten Auftreten an war Anna eine seiner aufmerksamsten Zuhörerinnen gewesen, mochte er in der Stadt predigen, oder im Kloster am Detenbach den Nonnen die Lehre von dem Reiche Gottes nach den Schriften verkündigen, oder den Stiftsfrauen am Frauenmünster die Bibel erklären. Ihre Frömmigkeit, Bescheidenheit und Muttertreue konnten dem Seelsorger, in dessen Nähe sie wohnte, nicht verborgen bleiben. Gerold und dessen kindliche Liebe für den Lehrer und Leiter seines Lernens wurden das Mittel, den Pflegevater und die sorgsame Mutter noch näher mit einander zu verbinden. Anna war über die Jugendzeit hinaus, schwere Erfahrungen hatten ihrem ganzen Wesen und Benehmen einen Ernst aufgedrückt, aus dem ihre stillen aber tätigen Tugenden desto lieblicher hervorleuchteten. Ihr Vermögen bestand aus nicht mehr, denn vierhundert Gulden. Aus dem ganzen großen Nachlasse, der nach des Großvaters und seiner zweiten Ehefrau Ableben den Kindern zufiel, war ihr nur ein Leibgeding von dreißig Gulden vorbehalten. Sie konnte, obschon mit dem „Weinstocke“ tiefinnerlich verbunden, der seine Reben nicht welken noch verderben lässt, doch eine Stütze in ihrer Schwachheit brauchen, und an wen unter Menschen durfte sie sich getroster anlehnen, als an einen Mann, der wie Zwingli die tiefe Bedeutung der Ehe aus dem Evangelium erkannt hatte. Nennt er sie doch in seinen Schriften „ein hochheiliges Bündnis,“ und sagt zum fünften Kapitel des Epheserbriefes: „dass wie Christus für die Seinigen gestorben, und so ganz der Ihrige geworden, also sollen auch die Ehegatten wechselseitig Alles für einander tun und leiden; der Mann als das Bildnis Gottes soll vornämlich sein Weib lieben, schützen, sich für dasselbe hingeben, das Weib soll dem Manne allein anhangen mit Liebe und Treue. Dadurch werden die Ehegatten Gott am allerähnlichsten, da hinwiederum Gott sich herablasse, sich und seine Kirche mit dem Namen Mann und Weib zu bezeichnen.“

Er hatte gesehen, wie Anna in schwieriger Lage, aller häuslichen Missverhältnisse ungeachtet, als Tochter, Gattin und Mutter sich auszeichnete, dass in ihren Kindern bereits edle Früchte einer echt christlichen Kinderzucht heranreiften, dazu war sie ganz geeignet für sein munterernstes Wesen: er konnte nicht zweifeln, durch ihre Ehelichung ein evangelisches Vorbild weiter für seine Herde zu geben. Nachdem er die vom Herrn ihm zugesandte Freundin wie sein Mitkämpfer Heinrich Bullinger die Anna Adlischweiler an der Hand der Schrift dem ernsten Berufe der Pfarrfrau einige Jahre hindurch näher zugebildet hatte, ließ er sich Samstags den 2. April 1524 mit ihr ehelich einsegnen. „An der Hochzeit war manch ehrlicher, redlicher Mann.“ Freunde wünschten ihm Glück, und namentlich Capito (Wolf Köpflin), Probst zu St. Thomas in Straßburg, schrieb ihm: „Herzlich wünsch ich, dass deine Gattin, die treu bewährte Schwester, in der Erkenntnis täglich wachse. Sie ist durch die Verbindung mit dir gewissermaßen mit Christo selbst in eheliches Verlöbnis getreten. Sie ist eine Mitdienerin des Wortes als Gehilfin eines solchen Apostels.“

Es fehlte nicht an hämischen Feinden und Lästerern, namentlich hörten Zwinglis Gegner in seinem Vaterlande Toggenburg nicht auf, ihn beim dortigen Landrate zu verunglimpfen, er habe eine reiche Witwe geheiratet, und lebe mit ihr jetzt flott und locker zum Ärgernis einer ehrbaren Welt. Da rechtfertigte er sich in einem Schreiben, worin er angibt, seiner lieben Ehefrau bares Vermögen bestehe aus mehr nicht als vierhundert Gulden. Mit schönen Kleidern, Ringen und allerlei Geschmeide ist sie zwar versehen, aber von dem Tage ihrer Verehelichung an hat sie den Plunder nicht angerührt, geschweige ihn zur Schau getragen. Wie sich’s für eine ehrbare Altfrau geziemt, ist sie gerade wie unsere Bürgerweiber gekleidet, schlecht und recht, dass man ihr den vorigen (adeligen) Stand nun gar nicht anmerkt. Das Geld der Kinder berührt die Gattin nichts, als was sie für den Leib bedarf, und jährlich dreißig Gulden Leibgeding Zinses. Die Brautgeschenke, welche ihr gesetzlich gehört hätten, wollte ich nicht einmal rechtlich einfordern. All ihr Vermögen aber sehe ich an als fremdes, mir angetrautes Gut.“ In gleicher Weise erwiderte er dem Konstanzer Vikar Johann Faber, der sich sogar über Zwinglis Freude an Musik und Saitenspiel ärgerte. Den Schluss seiner derben Antwort machte er mit dem Worte des alten Dichters: er hasse solch gemeines Volk und es soll ihm von der Schwelle bleiben((Odi profanum vulgus et arceo. Horatius.)).

Für den Reformator begann mit seiner Verehelichung ein neues Leben. Er arbeitete noch einmal so munter und leicht, denn Leid und Freud teilte Anna mit ihm wie sein zweites Ich. Sie betrachtete sich nur als Gehilfin ihres Mannes und erleichterte ihm seine mannigfaltigen Berufspflichten, schriftstellerischen Arbeiten, seinen ausgebreiteten Briefwechsel. In trüben Stunden erheiterte sie ihn. Ihr verständiges und unbefangenes Urteil diente ihm nicht selten als gewichtiger Rat, und bei dem allgemeinen Vertrauen, das sie genoss, und bei dem reichen Schatze ihres für Gott und den Nächsten schlagenden Herzens befriedete und beruhigte sie, wenn der Gatte von Geschäften überladen sich nicht jedem der vielen Besuche unbedingt hingeben konnte, manches des Trostes und Rates bedürftige Gemüt durch die freundliche und herzliche Auskunft, den ihr teilnehmendes Wort gewährte.

Die Züricher Ratsherren, die Prediger und übrigen Gelehrten, die sich häufig in Zwinglis Hause einfanden, waren alle voll Achtung für die vernünftige Hausfrau und für ihr immer bescheidenes und schüchternes, aber desto richtigeres Benehmen, das oft durch bloße Fragen manchem raschen Worte die gefährliche Spitze brach. Da war Anna nicht bloß die alle Hausgeschäfte pünktlich besorgende Martha, die selbst vieles Amtliche dem Manne abzunehmen wusste, sondern die anmutige Gesellschafterin, welche die Gäste sogar lehrreich unterhielt, bis der Gatte erschien und das Gespräch fortsetzte, bei dem er sie gerne behielt, wenn sie Zeit hatte. Die neuen Zeit- und Flugblätter und die andern gelehrten Sachen aus Basel, welche immer frisch von der Presse oder Messe ankamen, gaben reichen Stoff zur Unterredung. Anna war für Alles empfänglich und besonders auch für die damals erschienenen köstlichen Spottschriften gegen das Papst- und Mönchtum. So übersetzte ihr Zwingli ganze Stellen aus Erasmus Lob der Narrheit, aus den 1515 erschienenen Briefen der Dunkelmänner, ebenso gab er ihr die geistreichen Schriften Ulrichs von Hutten in die Hand und ganz besonders die herrlichen Sachen. aus der Feder oder dem Pinsel des Berner Dichters, Malers und Staatsmannes Niklas Manuel, den uns Späteren die Schrift von Grüneisen so trefflich schildert.

Diese Schriften las Anna aufs Begierigste und teilte sie ihren vertrauten Freundinnen mit. Durch ihre Besuche bei den Nonnen am Detenbach und bei den Stiftsfrauen zu Münster wirkte sie eine schnellere Bekehrung vom Papsttum zum Evangelium. Nicht selten war sie Veranlassung zu ihrer Verehelichung mit wackeren Pfarrherren. Denn, sagte sie, Priester und Nonnen paffen wohl am besten zusammen und beide schmachten nach Erlösung aus ihrem bisherigen Klosterhimmel. Sie sind auch nicht verzärtelt, ja gewissermaßen der Welt abgestorben und machen nicht viel Geräusch. Wer sollte besser wissen als sie, was keuscher Wandel ist und was der Weiber Zierde sein soll. 1 Petri 3.

Vor allen Schriften aber war für Anna die wichtigste die heilige Schrift. Zwingli las ihr gewöhnlich, ehe sie sich zur Ruhe legte, die ersten aus der Presse kommenden Bogen der Züricher Bibel-Übersetzung vor, welche bei Froschauer vom Herbste 1525 an herauskam, und woran er so viel Anteil hatte, dass man sie für ein gemeinschaftliches Werk von ihm und Leo Judä halten konnte. Im Jahr 1529 konnte er ihr das erste vollständige Exemplar der kleinen Handbibel (in fünf Bändchen) bringen. Diese blieb ihr Lieblingsbuch bis zum Tode und durch ihre Empfehlung kam sie schnell in die Haushaltungen der Bürger. Anna selbst konnte jetzt sich auch selber in der Schrift erbauen und brauchte nicht daheim zu kurz zu kommen, während ihr Mann von den Auswärtigen und von Geschäften ganz in Beschlag genommen wurde.

Gar köstlich schreibt Zwingli an seinen Herzensfreund Bürgermeister Vadian von St. Gallen, wie unendlich er mit Geschäften überladen und fast nie im Stande sei, seinen Arbeiten die letzte Feile zu geben, denn da stehe immer, lange vor Vollendung der Handschrift der Setzer vor der Türe und fordere Fortsetzung. „Mein treues Hausmütterlein zupft mich zwar nicht selten am Ärmel, wenn sie merkt, dass ich’s leiden mag und eben bei guter Laune bin und sagt mir ins Ohr: „Gönne dir doch mehr Ruhe, mein Lieber!“ „Aber was Ruhe,“ sag‘ ich dann, „du siehst es ja, an Ruhe gönnen fehlt es nicht, aber am geben können. Denn da steht ein guter Freund dann kommt ein Klopffechter hierauf ein redlicher ehrlicher Landapostel – jetzt folgt ein Schullehrer, und schon steht ein Ratsherr auf der Schwelle – kaum ist der fort, so ruft man den armen Müdling an ein Krankenbett, und auf dem Wege mahnt Herr Froschauer, der Buchdrucker, an die versprochene Schrift; kommt endlich der Übelgejagte todmüde heim, so liegen noch ein Dutzend eilende Briefe auf dem Pulte, so dass nicht selten der Morgenstern den armen Müdling noch am Tintenfass antrifft.“

Um so fleißiger ging Anna für ihn zu den Kranken, besonders zu den Wöchnerinnen, und brachte Speise und Trank, Arznei und Kleidung. Die Armen fanden bei ihr stets Gehör und sie war auch darin ganz die rechte Hand ihres Eheherrn, der mit stetem Eifer für Anstalten zu wohltätigen Zwecken predigte und wirkte. Durch ihn kam es dazu, dass die Einkünfte der reichen. Frauenmünsterabtei zu solchen Zwecken bestimmt und ein Almosenamt für den Kanton angeordnet wurde, in welches bald bedeutende Vermächtnisse flossen; dass das Augustinerkloster sich in eine Küche für Arme umgestaltete; dass aus dem Barfüßergebäude ein Speicher des Almosens, aus den Klöstern am Detenbach und Selnau ein Hospital für Kranke und eine Herberge für Fremde, später ein Waisenhaus wurde.

Ebenso freundlich und zuvorkommend wie gegen die Armen war Anna gegen Fremde, besonders solche, welche anderwärts vertrieben in Zürich Schutz und Unterkommen suchten. Ihr Haus war selten von Fremden leer und Alle bewunderten, wie ihr heiteres Gemüt und ihre Selbstverleugnung unerschöpflich an Mitteln war, die Gäste zu erfreuen und zu erheitern. Man hieß sie ebendaher nur die apostolische Rehe; sie war zu einer Pflege- und Herbergsmutter wie geschaffen. Bis Zwingli den Vertriebenen in Zürich Brot und Anstellung verschafft hatte, sorgte sie gewöhnlich für einstweilige Nahrung und Kleidung, teils aus eigenen Mitteln, teils durch Fürsprache bei Andern.

Sonntags Nachmittags kamen bei ihr gerne auch etliche Stadtpredigerfrauen zu religiöser Unterhaltung zusammen, und wenn den Männern es die Amtsgeschäfte erlaubten, so ordnete Pfarrer Leu (Leo Judä) zu St. Peter eine Haus- Musik an. Zwingli und er setzten selbst mehrere Lieder und Gesänge; denn er war wie Luther ein ebenso großer Freund der Geselligkeit als der „lieben Musika.“

So war Zwinglis Haus ein Sammelplatz der religiösen und der gelehrten Welt, und nicht bloß ein Nikolaus Arator (Ober-Kanzler in Schlesien) schrieb noch in späterer Zeit, wie ihm bei diesen lieben Leuten die christliche Hausordnung so wohlgefallen, dass er derselben nimmer vergessen werde sein Leben lang und werde sie den Seinigen immer anpreisen. Gewöhnlich saß einer der Diakonen, oder zwei mit der Familie an dem einfachen Bürgertische, bis sie eigene Familie und Wohnung hatten. Diese waren ihrem Hausherrn zur Hand, wo er ihrer bedurfte; oft auch zum Schutz, der allerdings hin und wieder nötig war, denn Zwingli hatte viele Feinde und Auflaurer. Am 28. August 1525 liefen zwei Bürger vor sein Haus und „schmissen mit großen Steinen die Fenster ein, so dass die Stücke umherflogen und die Steine dem Hausvölklein in der Stube nachliefen.“ Die guten Leute fingen an zu jammern; da beschwichtigte sie Zwingli, stand auf zu seinem Schwert und sah nach, ob man ihm etwa ins Haus gestiegen sei. Dann rief er zum Fenster hinaus: so fern sie ihn um etwas zu sprechen hätten, sollten sie die Sache am Tage mit Recht vornehmen und nicht mit Gewalt zu Nacht. Die Sache wurde ruchbar und einer der Übeltäter gefangen. Bei aller Wachsamkeit der Hausgenossen, so wie der vor Gift rc. warnenden Freunde und Mitbürger war Zwingli fast täglich in solcher Gefahr. Einst begehrten zwei Mönche spät Abends mit ihm zu sprechen. Die Diakonen warnten ihn, sich nicht vor die Türe zu begeben, und statt seiner ging einer von ihnen hinaus. Sogleich ward dieser ergriffen und sollte gebunden abgeführt werden, als man sich in seiner Person getäuscht sah, und ihn wieder laufen ließ. Selbst auf Tagsatzungen ließen sich ernste Drohungen gegen Zwingli hören: „man solle es ihm machen, wie es der Bischof von Konstanz mit Johann Hüglin zu Meersburg 1526 machte, nämlich verbrennen, oder mit Peter Spengler, nämlich ertränken.“ In Luzern verbrannte man seine Bücher und machte bekannt, man solle ihn, wo man ihn finde, gefänglich einliefern. Auf dem Wege zum Religionsgespräch in Bern fiel unweit Mellingen vom Wald her, als man vorbeizog, ein Schutz, der wahrscheinlich auf Zwingli gerichtet war, aber glücklicherweise fehlte.

Unter solchen Umständen durfte Anna wohl die rüstige Beraterin und Helferin sein nach innen und außen und das eigene Herz wie das ihres Mannes mit dem heitern Gemüte stillen, in welchem das göttliche Wort ihr eine feste Burg und gute Wehr errichtet hatte. Während er in Bern war, genas sie eines Knäbleins, was sie ihn sogleich wissen ließ. Mit umgehendem Boten schrieb er ihr: „Gnade und Frieden von Gott unserm Herrn Jesu Christo! Ich sage dem Herrn Lob und Dank, liebes Herz, dass er er dir eine fröhliche Geburt verliehen hat. Er gebe uns Gnade, dass wir sein teures Geschenk wie die früheren nach seinem Willen erziehen und einzig ihm weihen und heiligen. Dich erhalte, stärke, befestige, segne Er, und gebe dich bald wieder gesund und munter den Kindern, den Freunden, der Gemeinde und mir! Sei meiner Person halber ganz ruhig und unbesorgt. Ich bin, Gott sei Dank, wohl und trefflich aufgehoben bei Freunden unter Gottes Schutz, wie du. Alles geht seinen erwünschten Gang. Die Lieben im Hause erkundigen sich nach dir und segnen und grüßen dich, die Deinen und Meinen. Schick‘ doch der Base ein oder zwei Kopftüchlin, wie du sie trägst. Du machst ihr Freude damit. Sie trägt sich nach ihrem Stand, fast wie die geistlichen Weiber, doch nicht begynlich (betschwesterlich). Jetzt möchte sie einen Kopfschmuck, wie du hast. Sie hat ihre vierzig Jahre auf sich, und mir und uns Allen tut sie über die Maßen gütlich. Hiermit Gott befohlen. Grüße mir, wer dir lieb ist; er ist’s auch mir. Bitte Gott für mich und uns Alle. Herze, küsse, segne mir alle deine Kinder. Sie sollen der Mutter nie zu viel Unmuss machen. Hör’st du’s? Der Herr sei mit dir. Auf baldiges Wiedersehen! Du Seele meiner Seele. Dein Hauswirt, Huldreich Zwingli.“

Dies Briefchen an sie vom Januar 1528 ist das einzig übrig gebliebene; von Anna ist gar nichts Schriftliches mehr vorhanden.

Ein Jahr nach seines Ulrichs Geburt reiste Zwingli, um nicht gefährdet zu sein, heimlich bei Nacht über Basel zu dem Religionsgespräch mit Luther nach Marburg (1529). Es war ein hitziger Kampf, da sich Luther mit Kreide auf den Tisch schrieb: „Das ist mein Leib,“ gegenüber dem Zwinglischen Satz: „Das bedeutet meinen Leib.“ Man trennte sich unverglichen, aber Zwingli behielt Luthern, „der mit ihm einhellig die Lehre Christi treibe, und der ein so fromm treu Herz zu wahrer göttlicher Wahrheit und dem Worte Gottes habe,“ in ehrenvollem Gedächtnis und hielt seine Schriften hoch, ja stellte den sächsischen Reformator weit über sich hinauf.

Am 19. Oktober 1529 langte Zwingli wieder in Zürich an, um zu sehen, wie die Eidgenossen mit einander der Religion willen haderten und auf der Grenze der Kantone Zug und Zürich sich bewaffnet gegenüber stellten. Zwingli zog als Vermittler mit aus. Die Entzweiten versöhnten sich, kein Blut floss und der Gatte und Vater kehrte glücklich zu den erfreuten Seinigen zurück. Gleich darauf im Dezember reiste er auf die Kirchenversammlung zu Frauenfeld. Von da an blieb er in der Stadt bis zu seinem letzten schweren Gang.

Der Schweizer Friede hatte um der neuen Lehre willen zu brechen begonnen. In Zürich selbst wurden Viele dem Reformationswerke gram, weil ihr Eigennutz darunter litt. Zweimal kam in Folge davon Zwingli um seine Entlassung ein. Nur auf dringende Bitte verblieb er. Aber um den Frieden war es geschehen. Rasche Männer, die in Allem durchgreifen wollten, verdarben die Sache. Eifersucht, Feindseligkeit, Erbitterung über Änderungen und strenge Maßregeln im städtischen Wesen zu Gunsten der reformatorischen Partei nahm überhand. Die fünf Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug wurden durch Sperrung der Getreidezufuhr bei einer auch Zürich drückenden Teuerung noch mehr verfeindet, und während jene sich fest zusammenschlossen, versäumte man in Zürich ganz, sich in Verteidigungsstand zu setzen. Bote um Bote verkündigte am Abend des 9. Okt. 1531 das Vorrücken der Feinde, erst am andern Morgen ordnete man einige hundert Mann ab unter einem unsicheren. Anführer, und erst am zweiten Tage, den 11. Oktober, sammelten sich endlich etwa 700 Mann, die teilweise nur halbgerüstet langsam und stille gen Kappel zogen. Zwingli, vom Rate aufgefordert, das Banner zu begleiten, gehorchte und griff zum Schwerte. Standhaft, aber tief ergriffen und nachdenklich bestieg er das Ross, das in diesem Augenblicke scheu zurückwich – ein trübes Vorzeichen für die Seinen, von denen er in tiefer Bewegung schied, als schon der Donner des schweren Geschützes über den Albis herüberdröhnte.

Neben dem geliebten Gatten hatte Anna mit schwerem Herzen ihren Sohn Gerold und noch Andere ihrer Nächsten in dem kleinen Häuflein wegziehen sehen. Sie übergab sich und sie in die Hand ihres Gottes. Zwingli empfahl desgleichen, wenn er einzeln neben dem Zuge ritt, eifrig betend, seine Kirche und sein Vaterland Gott dem Herrn, und war, sobald Jemand ihn ansprach, ruhig und gefasst. Als man auf der Höhe des Albis auf die Zurückgebliebenen warten wollte, war er fürs Forteilen, denn soll man sich erst lang hier sammeln, besorg‘ ich, es werde unsern biederen Leuten zu spat und füget sich gar nit, dass wir hier standind und die unsern drunten leiden lassind und es noch darzu hörend. Ich will recht in dem Namen Gottes zu den biderben Leuten und willig mit ihnen und unter ihnen sterben oder sie helfen erretten.“ In der Schlachtlinie angekommen konnte die Schar mit allem Mute das Glück der Evangelischen nicht mehr wiederherstellen. Die Niederlage bei Kappel war entscheidend. Fünfundzwanzig Geistliche fielen mit Zwingli in der Schlacht; mit dem Pfarrer Schmied von Küssnacht 36 Männer seiner Gemeinde. Zwingli hatte so eben einem neben ihm eingesunkenen Mitbürger, Balthasar Keller, den er am Tode glaubte, noch einige Trostworte zugerufen, als er selbst von einem Schleudersteine gefährlich getroffen wurde. Er raffte sich auf und fiel von Neuem betäubt nieder. Man hörte ihn rufen: „Was soll das? Den Leib können sie wohl töten, aber die Seele nicht!“ Da wurde er durch mehrere Stiche verwundet, lag ausgestreckt auf dem Rücken mit gefalteten Händen und seine noch nicht gebrochenen Augen gen Himmel richtend. So fanden ihn diejenigen, die nach dem mörderischen Kampfe die mit Leichen und Sterbenden bedeckte Stätte des Todes durchsuchten. Vielleicht wäre er gerettet worden, wenn er hätte verleugnen wollen. Er aber, dazu aufgefordert, schüttelte das Haupt still und stumm; erzürnt darüber, versetzte ihm Hauptmann Vockinger von Unterwalden mit dem Schwerte den Todesstreich. Noch war er nicht erkannt; aber am folgenden Morgen wurde seine entseelte Hülle mit Feuer verbrannt. Hans Schönbronner, Konventherr von Kappel, der bei den Katholischen stand, rief bei dem Anblicke des Leichnams aus: „Welches auch dein Glaube gewesen, ich weiß, dass du ein redlicher Eidgenosse warst; Gott sei deiner Seele gnädig!“

Unfern von Zwingli hatte auch sein Stiefsohn, Gerold Meyer von Knonau, mit Jugendkraft unter den Entschlossensten gestritten. Er solle sich ergeben und werde geschont werden, riefen ihm wackere Männer, die ihn kannten, aus dem vordringenden Feindeshaufen zu. Aber treu seiner Sache und seinen Gefährten, nicht achtend seiner drei unmündigen Kinder, seiner geliebten Gattin und Mutter, „hat er sich an der Schlacht gar tapfer und redlich erzeigt und gehalten und wollt‘ er sich nit gefangen geben, sagt, es wäre ihm loblicher, ehrlich gestorben, dann sich schandlich in die Flucht oder gefangen begeben.“ So starb er den Heldentod.

Anna konnte in ihrer Wohnung das dumpfe Tönen des Geschützes hören. Die aufeinander folgenden, zur Hilfe gegen die Übergewalt auffordernden Boten blieben ihr nicht verborgen; endlich kam die Schreckensnachricht. Außer ihrem Gatten und Sohne war auch ihr Bruder, ihr Tochtermann und der Mann ihrer Schwester umgekommen. Alles, woran ihre Seele sich erfreute, war hin ohne letzten Scheideblick, ohne Gruß, ohne Trost. Ihre verlassenen Kinder erhoben ein Jammergeschrei, das Haus war voll Klagen und Trauern geworden. Doch eilte auch Trost und Teilnahme herbei, und wie aus einem Munde ermahnten und stärkten die Freunde die schmerzenreiche Mutter und Witwe. Simpert Schenk, der früher Karthäuser Mönch war und später Reformator der Reichsstadt Memmingen wurde, schrieb an sie: „Ehrsame, tugendsame und in Gott mein Geliebte: Der Vater alles Trostes erleuchte sein Angesicht mit Freuden über euch; dann ich nit finden kann jemands anders auf dem weiten Umbkreis der Erden, er sei, wer er wolle, der euch in eurer Trübsal trösten könne und möge, weder Er allein. O des weinbarlichen und kläglichen Tages! darein der teure Mann, mein lieber Zwinglius, mit so treffentlichen Leuten gefallen ist. Weil ich aber gewisslich weiß, dass wie niemand lebendig machet, also auch niemand tötet weder der Herr selbs und allein, wann wie und durch wen er will, und seinem Willen niemand Einred tun kann, auch nit soll, und muss ich’s vor Hand geben und den Herren loben in seinen Werken: denn sie sind wahrlich Gericht und Gerechtigkeit ohn allen falsch und trug, voll aller barmherzigkeit und güte. Ist das Haupt Christus durch den Tod ins Leben, wird lang kein Glied dahinten bleiben. O fromme liebe fraw, seid getrew! weder ihr noch wir hand Zwinglin und die anderen verloren. Denn wer in Christum glaubt, hat das ewig Leben. Ist hierum mein Vermahnung, wann ihr etwan, euren Zwinglin, im Haus, bei den Kinden, bei euch, an der Kanzel, in der Lektion, bei den Gelehrten nit mehr leiblich finden, so erschrecken nit; sind nit zu vil traurig, sondern gedenket, er seie im Haus Gottes, bei allen kinderen Gottes, da er hört den Mund der Weysheit und das Gespräch der Engelen. Wohlan der Herr wird nichts an seiner kirchen versäumen: wirds auch nit verlassen: Sie wird nichts desterminder sieghaftig fürfahren und wachsen: Geschiehts nit in der Zahl, wirds doch geschehen im Wesen. Behüte und tröste euch selbs mit eueren kinderen der barmherzige liebe Gott und verleihe euch stärke im heil. Geist, alle Trübsal im Herren zu überwinden, Amen. Lasset mich und mein Memmingen euch gegen Gott in euerem Gebett befohlen sein. Datum zu Memmingen den IX. Novbr. 1531.“

Hatte Anna schon früher jedem geräuschvollen Lebensgenusse entsagt, und im Berufe der Gattin, Mutter und barmherzigen Schwester ihre Freuden gefunden, so hörte ihr jest nach diesem schweren Schlage fast jeder Verkehr außer mit ihren Nächsten auf. Alle ihre Sorge widmete sie den verwaisten Kindern, ihren Töchtern erster Ehe und der ebenfalls von drei Waisen umgebenen verwitweten Schwiegertochter. Gott, ihr Gott, erheiterte in dessen noch die letzten Tage ihres Lebens durch einen edlen Freund ihres Mannes. Der treffliche Oberpfarrer Bullinger machte es sich zur Herzensangelegenheit, für die Witwe und ihre Waisen zu sorgen. Da sie weiter kein Vermögen hatte als das Zugebrachte aus erster Ehe, da Zwingli selbst ihr nichts als Kinder und Schriften und Hausgeräte hinterlassen hatte, weil er Alles, was er an sich selbst ersparte, sogleich den Armen gab, so sprach er für sie beim Rat, stand auch sonst mit Rat und Tat ihr bei und nahm sie unter sein Dach und an seinen Tisch. Ebenso übernahm er die Erziehung und Ausbildung der noch lebenden Kinder, als wären sie seine eigenen. Der Sohn Wilhelm starb leider schon auf der Schule zu Straßburg 1541; die Tochter Anna starb sehr frühe. Den jungen Ulrich ließ er auf seine Kosten auf der hohen Schule lernen, sorgte für seine Anstellung und gab ihm seine erste Tochter Anna zur Ehe, wie der ältesten, durch Schönheit und Frömmigkeit nach dem Ebenbilde ihrer Mutter ausgezeichneten Tochter Regula, seinen Pflegesohn Rudolf Gwalther (1541), der später sein Nachfolger wurde, dem sie aber schon 1565 durch die Pest entrissen wurde. Die wenigen Nachrichten, die von dieser Zeit über die schwergeprüfte Frau auf uns gekommen sind, sprechen von nichts Anderem, als wie sie Gott diente und die Nächsten liebte.

Im November 1538 ward sie von einer heftigen Krankheit befallen, nach einigen Wochen schon, am 6. Dezember, starb sie still und sanft, wie sie gelebt. Bullinger schrieb an Vadian über sie: „Ich möchte mir kein seligeres Leben wünschen als das Ende der Edeln. Sie löschte sanft aus wie ein mildes Licht, und schwebte, anbetend und uns Alle Gott empfehlend, hinüber, heim zum Herrn.“

Wibrandis Rosenblatt, Anna Adlischweiler, Katharina Gmünder

XXV. Wilibrandis Rosenblatt, und andere Schweizer Frauen.

Die Gattin des Antistes Heinrich Bullinger, die oben schon genannte Anna Adlischweiler, eine gewesene Nonne am Detenbach, war in Zürich nur unter dem Titel „Frau Mutter“, im Auslande unter dem Namen „Zürich-Mutter“ bekannt. So nannten sie Engländer, Italiener, Niederländer, Pfälzer, welche bei Monaten und Jahren Obdach, Herberge, Hilfe und Trost in Zürich fanden, dass sie diese Stadt für ihr zweites Vaterland ansahen.

Von der Gattin des M. Leu, Pfarrers zu St. Peter in Zürich, Katharina Gmünder von St. Gallen, heißt es: „Sie trug allen armen Kranken und Kindbetterinnen in ihrer Gemeinde zu; sie teilte redlich mit ihnen. Weil aber die Pfründe klein und M. Leu arm war, und bösen Leumund fürchtete, so musste er stets entlehnen; und wiewohl er nicht große Schulden machte, konnte er doch auch nichts erübrigen. Katharina lag Tag und Nacht dem Weben ob im Pfarrhause; damit gewann sie viel Geld und daraus kaufte sie Tuch und Hausplunder. Sie hatte auch arme Knaben, deren etliche nicht über 12 fl. Tischgeld im Jahr gaben. Die Vertriebenen nahm sie auf, und hielt manchen einen Monat, zwei oder drei und mehr.“

Conrad Pellikanus, früher Franziskaner-Mönch in Tübingen, kam im Jahre 1526 als Lehrer des Hebräischen nach Zürich, legte die Kutte ab und ehelichte die Anna Fries, eine geborne Züricherin. Von ihr wird es gerühmt, wie sie sich besonders um verarmte stille Bürgerhaushaltungen, um sogenannte Hausarme verdient machte und namentlich dafür sorgte, dass die Kinder armer Eltern unentgeltlich Schulunterricht genießen konnten.

Um ähnlicher Verdienste willen lebt eine andere, etwas später geborene Züricherin noch heute im dankbaren Andenken ihrer Vaterstadt. Wenn es nämlich ein Großes für eine Mutter ist, wie die Hanna ihren Samuel dem Dienste seiner Kirche zu widmen, so ist es ein nicht minder Löbliches, wie jene Frau Cotta ihr kinderloses Haus und ihr Vermögen zur Erziehung und Ausbildung fremder Kinder in den Dienst der Kirche und Schule darzugeben. Und gewiss, je weniger zu aller Zeit und besonders heute der Dienst an der arm gewordenen Kirche gegenüber den ganz anders von der Welt geschätzten Ämtern etwas Lockendes hat, je weniger man hinfort das Wort gelten lassen will, dass die das Evangelium verkündigen, sich auch vom Evangelium nähren sollen, desto mehr verdient eine Frau erwähnt zu werden, wie die treffliche Züricherin Agnes Tomman. Sie war geboren den 22. Jan. 1524 und starb den 21. Dez. 1607. Ihr Bruder Caspar Tomman war Bürgermeister in Zürich von 1584 bis 1594 und galt mit einem Vermögen von 40.000 Gulden als der reichste Bürger seiner Zeit. Die ebenfalls vermögliche Agnes war mit Heinrich von Huben verheiratet, aber nur kurz und ohne Kinder. Als Zeitgenossin des Antistes Bullinger war sie Zeuge von der Entwicklung und Ausbildung der Reformation. Jene kräftige, aufopferungsreiche Zeit verfehlte ihren bedeutenden Einfluss nicht auf eine Frau, welche aus dem noch vorhandenen Bildnisse im dunkeln pelzbesetzten, vorn offenen Kleide, aufrechtstehendem geringeltem Hemdkragen, feinem, das ganze Haar bedeckendem und über die Stirne hereinfallendem weißem Schleiertuche rund, stark, fest und klar als eine rechte verständige Biederfrau herausschaut. Eine Base von ihr, Regula Tomman war (4. April 1597) mit Antistes Breitinger verheiratet und auf seinen Antrieb hin geschah es, dass unsere Frau Agnes ein Vermächtnis von 400 Pfund machte „Gott dem Allmächtigen und unserm lieben einigen Heiland, dem Herrn Jesu Christo zu Lob und Ehren, darnach zu Beförderung ihrer und ihrer lieben Nachkommenschaft ewigem Heil, aus christlichem Eifer und freiwilliger Gemüt angesächen ein Gotts-Gaab und Stiftung, mit der Bedingung dass von diesem Geld, als welches ein wahres Almosen und Gottesgaab, niemanden überall nichts gegeben werde, als allein und einzig denjenigen, so da wissenthaft gewiedmet sind und eigentlich erzogen werden zum Dienst der Kirchen und heiligen Predigtamt, jedoch soll fürnehmlich gesehen werden, welche unter den Armen die tugentlichsten, fleißigsten, und der besten Hoffnung, damit durch dieser Gottes gaben Fleiß und Frommkeit belohnet und die Eltern veranlasset werden, ihren Kindern desto mehr zuzusprechen und zu vermahnen. Alle die Knaben sollen das ihnen bestimmte dann nach der jährlichen Prüfung empfangen von eines Schulherrn Hand und ein Pfarrer soll ihnen einbilden, aus was Ursachen ihnen ein sömmlichs gegeben werde, mit gebührender Vermahnung Gott und der frommen Leuten dankbar, auch fromm und geflissen zu sein.“

Zu dieser „Tommanischen“ Stiftung trugen bis in unsere Zeit 229 Personen nach und nach 34.890 Gulden bei und der Grundstock hat sich bis auf 80.000 Gulden vermehrt. Seit 1834 werden die Zinsen auch auf die Stadtschulen, doch der weitaus größere Teil auf die Unterstützung Theologie studierender Bürgerssöhne verwendet. Auch Preise für vorzügliche theologische Ausarbeitungen wurden ausgesetzt, um den Eifer der Studierenden zu beleben.

Unter diesen edlen Schweizerfrauen, welche das Zeitalter der Reformation mit einem, durch ausharrende Liebe tätigen Glauben schmückten, zeichnet sich ganz besonders Wilibrandis Rosenblatt durch ihr Schicksal und ihre Geschicklichkeit als Gehilfin dreier reformatorischen Männer, als eine treueste Mutter auch fremder Kinder und als würdige Kirchen- und Armenvorsteherin aus. Ihr Vater war Ritter und Feldoberster Kaisers Maximilian I. Als eine zwar arme, aber sittsame und schöne Person verehelichte sie sich sehr jung mit M. Ludwig Keller, der aber bald an einer heftigen Krankheit starb. Ökolampad, der um diese Zeit seine um das Hauswesen treubesorgte Mutter durch den Tod verloren hatte, lernte die bescheidene Witwe kennen, die in stiller Verborgenheit Gott. diente. Oftmals hatte er gesagt, entweder wolle er eine Monika heiraten oder ledig bleiben. Nun hatte sich eine Monika gefunden, und er verband sich ehelich mit ihr im Jahr 1526, nach dem Beispiele seines Freundes Zwingli in Zürich und Capito in Straßburg.

Seine Gesinnung ergibt sich aus einem Schreiben an den Reformator Farel: „– vielleicht hast du es schon durch das Gerücht vernommen, ich melde es dir aber selbst, dass mir der Herr, statt meiner teuren, jüngst verstorbenen Mutter, eine echt christliche Schwester zur Gattin gegeben hat. Sie ist zwar arm, aber von guter Familie, ist Witwe, und weiß seit Jahren was Kreuztragen ist. Ich wünschte zwar, sie wäre etwas älter, doch habe ich bis dahin noch keine Spur von jugendlichem Leichtsinn oder flüchtigem Weltsinn an ihr wahrgenommen. Sie lebt ihrem Gott und mir. Bitte den Herrn, dass unser Ehestand glücklich und dauerhaft sein möge.“

Das Ehepaar ward mit Kindern gesegnet. Nach der heiligen Sitte der Patriarchen wurden den Kindern bedeutungsvolle Namen gegeben, Eusebius, Irene, Alithea. Denn, sagten die Eltern, die Taufnamen sollen unsre Kinder zeitlebens an ihre Christenbestimmung und Würde erinnern. Eusebius soll sich der Frömmigkeit befleißen, Irene eine Freundin und Stifterin des Friedens und des stillen häuslichen Glückes werden, Alithea soll die Wahrheit, welche von Gott kommt, wie Gott selbst lieben. „Und schenkt uns der Herr noch ein Paar Knaben,“ sagte Ökolampad, „so soll der eine Timotheus, der andere Natanael heißen.“

Ökolampad hing mit ganzer Seele an Zwingli. Kaum hatte er dessen trauriges Lebensende vernommen, so ward er von einer heftigen Krankheit ergriffen und auf das Sterbelager geworfen. Jetzt rief er: „Geliebter meiner Seele, ich folge Dir nach!“ Die treue Mutter musste die Kinder auf sein Bette tragen; hier legte er ihnen die Hände auf das Haupt und segnete sie vor seinem Scheiden. „Geliebte Kinder,“ sprach er, „liebt Gott, euren Vater! und du, liebe Mutter, lehre du sie statt meiner, du kannst es am besten, Gott den Vater lieben, der sie erschaffen, den Sohn, der sie erlöset hat, und den heiligen Geist, der uns heiligt. Sie sollen dein Trost sein ihr und dein Leben lang, und ihre Bestimmung erfüllen, fromm, friedsam, wahrhaft.“

Der vertrauteste Freund des Entschlafenen, Dr. Wolfgang Capito, Reformator und Prediger zu Straßburg, trat in seine Fußstapfen und wählte sich die Witwe zur Gattin. Auch dies Eheband dauerte nur kurze Zeit. Als Capito 1541 vom Reichstag zu Regensburg zurückgekehrt war, befiel ihn die Pest und er ging bald in die ewige Ruhe ein. Merkwürdig war indes, dass er noch eine Viertelstunde vor seinem Ende seinen Herzensfreund Martin Bucer (Bucer) den berühmten Theologen, mit einer kurzen Zeile ersuchen konnte, die „hinterlassene Gattin aus seiner Hand anzunehmen, damit sie und die Kinder wieder einen Vater fänden.“ Die Herzlichkeit, mit welcher Bucer entsprach, ergibt sich aus seinem Schreiben an Ambrosius Blarer vom April 1542. „Wie konnte ich anders, als des sterbenden Freundes Stimme ehren? – Nachdem ich meine Verhältnisse und meinen Beruf überlegt hatte, fasste ich den Entschluss, mich mit der Witwe zu verbinden, ungeachtet ich in Jahren bin, die zum Heiraten nicht mehr ganz geeignet scheinen. Sie hat noch vier Kinder: eine Tochter, welche sie dem Ökolampad geboren hat, ein Söhnlein und zwei Töchter von Capito. Seinen Kindern hat er wenig hinterlassen, weil er durch Bürgschaft in Unglück geraten war. Doch ist ihnen noch etwas übrig geblieben, womit man ihnen behilflich sein kann. Und dieses wollen wir auch, so wie es ist, den Waisen aufbehalten, so lange mir Gott das Leben fristet und meine Einkünfte erhält. Inzwischen werde ich die Kinder neben meinen drei eigenen und wie dieselben ernähren. Die vornehmste Ursache also, warum ich mich in eheliche Verbindung eingelassen habe, ist, teils weil ich der Einsamkeit nicht gewohnt war und solche nicht vertragen konnte; teils die Gefahr, die Besorgung des Hauswesens fremden Leuten anzuvertrauen; über dieses die Tugend der Witwe und die herzigen Waisen eines heiligen Mannes, welcher sich seit vielen Jahren so unvergesslich um mich verdient gemacht hatte.“

Als Bucer 1549 nach England berufen wurde und den Lehrstuhl der Gottesgelehrsamkeit zu Cambridge erhalten hatte, begleitete ihn seine Gattin dahin. Im Jahr 1551 ging er in das Land des ewigen Friedens über, welchen er unter den Evangelischen herzustellen vergeblich bemüht war. Unter der Königin Maria wurden 1556 seine Gebeine aus dem Grabe gerissen und verbrannt. Wilibrandis reiste nach Basel zurück, wo sie den 1. November 1564 im Herrn entschlief. Sie ward im Kreuzgange des Münsters daselbst beigesetzt, in dem Grabe ihres 33 Jahre früher vollendeten Ökolampadius.

Valeria Anshelm.

Mit dem gelehrten und gebildeten Zürich wetteifert von Alters her nächst dem frommen und tätigen Basel das reiche und vornehme Bern; auch seine Frauen verstanden mit gutem Eifer, die Ehre Gottes zu fördern und die Ehre der Stadt als eines Vorortes der Eidgenossen zu erhöhen.

Valerius Anshelm, genannt Rud, gebürtig aus Rottweil und schon seit 1510 sesshaft in Bern, war Arzt, diente aber dem Stift Bern als Chorherr und „Schulmeister“. Seine vielen Kenntnisse, verbunden mit Edelsinn und Herzlichkeit, hatten ihm Freunde und Gönner in den höheren Ständen erworben. Man musste einen Mann lieb gewinnen, der nicht bloß seinem erlernten Berufe treu oblag, sondern seine Achtung vor Bibel und Gottes Wort ohne Scheu an den Tag legte. Man vertraute sich ihm um so lieber, weil er ein christlicher Arzt war. Der um Bern hochverdiente, in jeder Beziehung treffliche, Religion und Vaterland über Alles liebende, religiöse Freiheit und Bibelglauben mutvoll verteidigende schon oben genannte Großrat Niklaus Manuel war sein besonderer Freund. Als im Jahr 1522 die in Zürich schon seit 1519 eingeführte evangelische Lehre auch in Bern immer mehr Gönner fand, sprach Anshelm laut für sie, zog sich aber von Seiten des unbelehrbaren Pfaffenvolkes Hass und Verfolgung zu. Man nannte ihn einen Gotteslästerer, Kirchenfeind und Friedensstörer, weil er zur Ehre des Evangeliums sprach; konnte ihm aber nichts angewinnen. Niklaus Manuel wurde indessen 1523 als Landvogt nach Erlach berufen, und war mithin seinem Günstling nicht mehr an der Hand.

Auf einem Besuche in dem Kurorte Baden, den Anshelm mit seiner Gattin machte, hatte sich diese, nichts Arges ahnend, mit einem hochmütigen Propst eingelassen, der an der Speisetafel behauptete: „Es gebe keinen Seligmacher, außer Maria, unsrer Frau, sie sei aller himmlischen Gnaden Besitzerin und Spenderin, die einzige Himmelskönigin; vor ihr allein müssten sich alle Knie beugen; ihr allein müsste man Tempel und Altäre weihen, ihr zu Ehren müssten die Pfaffen ledig bleiben, und wenn einer zur Ehe schritte, so wäre das lästerlich und ein Gräuel vor Gott.“ Dagegen erhob sich mit männlichem Mute Frau Anshelm. „Das Alles,“ sagte sie, „dürfte dem gnädigen Herrn schwer zu erweisen sein, denn davon stehe keine Silbe in der Bibel; Maria sei bei aller ihrer Heiligkeit nur eine Frau wie andere, und statt Gnadenspenderin zu sein, des gnadenspendenden Sohnes so dürftig wie andere; selig machen könne sie gar nicht, das könne nur ihr Sohn; in diesem sei allein das Heil, auf ihn weise alle Schrift; übrigens sei Maria ein Muster reiner Jungfräulichkeit, des unbeschränktesten Gottesvertrauens und heiliger Demut, eine Magd des Herrn, wie sie sich selbst nenne; sie als Fürbitterin anzubeten, sei nicht biblisch. Wenn ihr,“ so fuhr sie fort, „als Mutter Gottes solche Ehre gebührt, so würde sich fragen lassen, was der Großmutter gebühre. In aufsteigender Linie käme man am Ende zu Adam, von welchem es heiße: „Der war Gottes.“ Diesen unbekannten Gott, geoffenbart in Christo, verkünde das Evangelium Jesu Christi; ein Evangelium Mariä anerkenne sie nicht. Da sie aus priesterlichem Geschlecht stamme, liege schon hierin ein Beweis, dass die Priesterehe biblisch, mithin das Priestereheverbot durchaus schriftwidrig und trotz allen päpstlichen Bullen zu verwerfen sei. Der gnädige Herr möchte doch an den Priester Zacharias denken, an seine Frau Elisabeth, an die Prophetin Hanna, die auch verehelicht gewesen usw.“ Der beschämte Pfaffe entfernte sich, wütend vor Zorn und kochte Rache. Plöglich hieß es in Bern: „Der Doktor Anshelm sei ein großer Ketzer, und seine Frau ein noch größerer; denn sie glaube nicht an den Papst und habe Maria gelästert.“ -“Was,“ schrie man, „ein Weib spricht so? Und öffentlich? Eine solche Lästerzunge solle man zum öffentlichen Widerruf zwingen; man soll das Weib in das Halseisen stecken und dann schwemmen.“ Die Gelinderen meinten doch: „Es wäre Schade um die Frau Doktorin, denn sie sei hübsch und ein Hauptweib; aber verbannen sollte man sie; denn das sei doch gar zu toll.“ Mit großer Mühe gelang es Anshelms Gönnern, dass man sich mit einer Geldbuße von 20 Pfund befriedigte, doch der Frau zur Pflicht machte, Absolution bei dem Bischof zu Lausanne nachzusuchen, was sie aber nie tat. Zu Bern nannte man sie seitdem nur „Unsre Frauen-Schwester.“

Mit dieser Strafe waren indes die rachsüchtigen Pfaffen nicht zufrieden; sie ruhten nicht, bis dem Arzte auch die Hälfte seines Einkommens genommen ward. Jetzt verleidete ihm der Aufenthalt in einer Stadt, wo, wie er sagte: „Der Teufel an allen Enden spucke, und seinen Sendlingen große Gewalt gebe, wo Verdienste übel belohnt würden, und der größte Aberglaube seine Verteidiger finde, wo kein ehrlicher Mann es wage, dem Schlangen- und Natterngezücht den Kopf zu zertreten, und wo die guten Geister alle geflohen seien oder stumm geworden wären.“ Er verkaufte nun Haus und Heimat und zog mit Weib und Kindern, zu großem Bedauern seiner Kranken, in sein Stammort Rottweil. Als aber nach wenigen Jahren Niklaus Manuel wieder von seiner Landvogtei nach Bern zurückkam, und die heuchlerischen Pharisäer mit der Geißel des Spottes verfolgte und aus dem Tempel jagte, als das Licht des Evangeliums endlich durchdrang, da wurde auch Anshelm wieder zurückberufen. Gerne kam er und verzieh den jetzt erschrockenen Prahlern ihr Unrecht. Die Gattin des trefflichen Arztes kam auch wieder mit ihm, munter und froh, und blieb, was sie vorher gewesen war, für Viele ein Seelenarzt, freundschaftlich verbunden mit einem Kreise trefflicher Frauen, welche vorher Nonnen, jetzt mit bewährten Freunden der Reformation sich verehelicht hatten. Anshelm selbst wurde Mitglied des Kleinen Rates, und konnte nun in Gemeinschaft mit seiner von Gott gelehrten Gattin doppelt zum leiblichen und geistlichen Heile seiner Mitbürger wirken.

Barbara von Roll.

1502-1571.

Als Sprössling einer Familie, die in den drei Kantonen Bern, Uri und Solothurn sich auszeichnete und in letzterem Kanton jetzt noch in hohem Ansehen steht, wurde Barbara von Roll geboren zu Solothurn, den 4. Dez. 1502, und war die Tochter des Hans von Roll, der 1475 das Bürgerrecht daselbst erworben, 1499 durch seine Tapferkeit zu dem Siege der Eidgenossen bei Dornach das Seinige beigetragen hatte, und nachher verschiedene Staatsämter bekleidete. Über ihre früheren Lebensjahre sind keine Nachrichten auf uns gekommen. Als ausgezeichnet durch Schönheit, Geist und seltene Kenntnisse schildern sie nicht bloß Familiennachrichten, sondern auch solche Berichterstatter, die ihr nicht nahe angehörten.

Noch in der ersten Blüte ihrer Jahre verheiratete sie ihr Vater 1519 an Hieronymus von Luternau, dessen Familie schon 1429 das Bürgerrecht zu Bern erworben hatte, indessen doch noch im Aargau zurückblieb. Er war der Sohn Hans Sebastians von Luternau, eines angesehenen Mannes, der mehrere Herrschaften besaß, und 1491 das Schultheißenamt in Aarau bekleidete. Die jungen Eheleute scheinen schon frühzeitig, und noch ehe die Religionsveränderung in Bern tiefere Wurzeln schlug, sich zu Solothurn niedergelassen, oder doch nähere Verbindungen daselbst eingegangen zu haben; denn bereits 1523 legte das Ehepaar 300 rheinische Goldgulden von der Mitgift, welche Barbara von ihrem Vater empfangen hatte, die demnach für jenes Zeitalter sehr ansehnlich gewesen sein muss, bei der Stadt Solothurn an Zinsen; 1540 wurde er zum Sekelmeisteramte erhoben. Früher und später erscheint er auch unter denen, die an den auswärtigen Kriegszügen Teil nahmen, und nach 1547 wurde ihm eine wichtige Sendung zu Teil, indem er mit drei andern eidgenössischen Ratsherren im Namen der Eidgenossenschaft die Patenstelle bei der Taufe einer französischen Königstochter vertrat.

Hieronymus von Luternau starb schon 1549, und von dieser Zeit scheint der besondere und merkwürdige Wirkungskreis der Witwe von Luternau, oder wie die alten Schriften sie einfach nennen, der Barbara von Roll, eine immer größere Ausdehnung erhalten zu haben. Ihre Ehe war kinderlos geblieben. Einsam stand sie da; aber ihr frommes Gemüt vermochte zu ertragen, was ihr zu tragen beschieden war. Sie verschloss sich nicht in ihre Wohnung, noch weniger entsagte sie der Welt. Gerade auf der entgegengesetzten Bahn suchte sie Trost, Erholung und Beruhigung, und zwar keineswegs auf dem Wege der Behaglichkeit oder der Zerstreuung, sondern in Mühseligkeiten, Anstrengungen und Hingebungen, vor denen sonst zartere Naturen ängstlich zurückbeben. Sie fasste nämlich den Entschluss, von nun an ihre Zeit und ihr Vermögen den Kranken ausschließlich zu widmen, und sich zur Erreichung dieses Zweckes auch wissenschaftlich immer mehr zu befähigen.
Die Verhältnisse der damaligen Zeit waren ganz geeignet, einem Gott und die Brüder liebenden Herzen den Gedanken einzugeben, für Heilung und Pflege der Kranken sein Möglichstes zu tun. Die Arzneikunde lag darnieder, sie wurde fast überall nur als eine freie, keinerlei höherer Aufsicht unterworfene Kunst oder vielmehr als Handwerk betrieben. Jede Willkür hatte freien Spielraum. Die Heilarten wurden so viel als möglich in das Dunkel von Geheimnissen gehüllt, und die schlaue Gewinnsucht hatte geräumiges Feld. Es ist bekannt, dass sich in den Zeiten vor und nach der Reformation die Juden unter andern einträglichen Berufszweigen auch der Arzneikunst widmeten, und, wenn nicht als öffentlich angestellt, doch als Privatärzte.

Es ist natürlich, dass bei einer solchen Preisgebung einer der wichtigsten Lebensbeziehungen edle Gemüter den Entschluss fassten, die Lücke möglichst auszufüllen, und wenigstens in ihren näheren Verhältnissen dem so tief gefühlten Bedürfnis abzuhelfen. Zwar wurde wenigstens teilweise Abhilfe auch von Seiten der damaligen Regierungen angestrebt. Jede größere oder kleinere Stadt hatte außer ihren Ringmauern eine Pflegeanstalt für Angehörige oder Fremdlinge, die an einer ansteckenden Krankheit darnieder lagen, innert den Ringmauern aber Spitäler zum bleibenden Aufenthalt für presthafte oder hochbetagte arme Bürger, und Herbergen zum Wohnort für durchreisende, auf der Reise erkrankte Personen. Besonders wetteiferten die Schweizerstädte mit einander schon frühe in Anlegung und Begabung von Spitälern. Dadurch wurde allerdings zur Erleichterung armer Kranken etwas geleistet, doch im Ganzen weit weniger, als man gewöhnlich glaubt. Diese Spitäler waren ausschließlich städtische Anstalten, so dass, wer außer dem engen Stadtbann wohnte, keinen Anspruch auf eine Versorgung hatte. Auch waren sie vor der Reformation meistens in einem so kleinen Maßstabe angelegt, dass selbst von den Berechtigten nur Wenige Aufnahme fanden, und der kleine Raum wurde noch dadurch verengt, dass man Stuben und Betten an solche hingab, welche für eine Einkaufssumme lebenslängliche Versorgung suchten. Von eigentlichen Kranken wurden nur die Allerverlassensten und Notdürftigsten aufgenommen. Wer immer noch, wie elend und gebrechlich er sein mochte, sich auf der Straße oder vor den Kirchthüren herumschleppen konnte, um dort das Almosen zu suchen, dem war die Aufnahme verschlossen.

Den eigentlichen Hauskranken zu Stadt und Land war also durch die Errichtung der Spitäler im Ganzen wenig geholfen. Hilfe konnte diesen nur dadurch kommen, dass die ärztliche Kunst im Allgemeinen gehoben wurde. Und dies geschah denn auch allerdings mit dem Wiederaufleben der Wissenschaften im Zeitalter der Reformation. Einstweilen war die Beihilfe einer Frau, wie unserer Barbara, von hohem Segen.

Vermutlich hatte sie schon früher die Pflanzenkunde lieb gewonnen. Sie machte aber aus dieser Wissenschaft nicht bloß eine Liebhaberei, sondern ihre Bemühungen gingen dahin, die heilenden und lindernden Kräfte der Pflanzen, die seltenen Kräuter und die verborgenen Wurzeln kennen zu lernen. Sie scheint nicht bei demjenigen stehen geblieben zu sein, was vorhandene wissenschaftliche Hilfsmittel oder eine allgemeine Anschauung ihr bekannt gemacht hatten, sondern sie umstreifte die an Schätzen der Natur so merkwürdige Umgegend ihres Wohnsitzes Solothurn. Einöden und Wälder, Felsen und Berge waren ihr nicht zu entlegen oder zu beschwerlich, um nicht da ihren Forschungen die sorgfältigste Folge zu geben. Ihr genügte es nicht, das, was sie bedurfte, aus der Hand gemieteter Personen zu erhalten; sie selbst wollte, so viel als es ihr möglich war, Alles in bester Beschaffenheit und Vollkommenheit zur Hand bringen, und so hielten beschwerliche Pfade, Hitze und raue Witterung sie selten ab, wenn die Jahreszeit oder die Gegend, in welcher die Nachspürung gemacht werden musste, es forderten, dass der Augenblick sorgfältig und anhaltend benutzt wurde. Die Arzneimittel, deren sie sich bediente, wurden von ihr selbst in einer kleinen Hausapotheke, die sie sich zu diesem Zwecke errichtet hatte, bereitet.

Die gründlichen Kenntnisse, welche sie sich über die Heilkräfte der Pflanzen und über die Natur der Krankheiten selbst erworben hatte, setzten sie in den Stand, mit Einsicht und daher auch mit Erfolg die Kranken zu behandeln. So ausgerüstet war sie die Zuflucht hilfsbedürftiger Menschen geworden. Diese ersetzten ihr den Mangel eigener Kinder, und sie waren gleichsam ihre Familie, die sie zu warten und zu pflegen berufen war.

Ihr Tagewerk begann mit dem Besuch aller armen Kranken, von deren Zustand sie Kunde erhalten hatte. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit zunächst den in und um Solothurn wohnenden Kranken; aber der glückliche Erfolg ihrer Kuren verbreitete ihren Ruhm so, dass allmählig aus entfernten und endlich aus ganz entlegenen Gegenden Hilfsbedürftige zu ihr die Zuflucht nahmen. Was ihren Ruf bei dem Volke besonders erhöhte, war ihre Uneigennützigkeit. Milderung des menschlichen Elends war das einzige Ziel, nach welchem sie strebte. Jedes Geschenk und jede angebotene Belohnung wies sie zurück. „Umsonst habe ich es erhalten, umsonst gebe ich es, gebt den Armen, was Ihr mir bestimmt habet!“ war die einfache Antwort, die sie Jedem gab, der ihr etwas anbot. Nichtsdestoweniger war ihre Beflissenheit und Anstrengung so groß, dass sie bei einer wirklichen Anstellung und übernommenen Berufspflicht nicht größer hätte sein können. Sie beschränkte sich nicht darauf, die Hilfsbedürftigen zu sich kommen zu lassen, sie wanderte selbst von einem Krankenbette zum andern. Schwere und ansteckende Krankheiten, unzugängliche, ärmliche und abschreckende Lagerstätten hielten sie nicht zurück, und es war nicht bloß die leibliche Hilfe, die sie brachte, sie fasste auch das ewige Wohl derer, die sich ihrer Pflege anvertrauten, ins Auge. Angefochtenen brachte sie als ein geistlicher Arzt den Balsam des Lebens: den Sterbenden erleichterte sie durch Hinweisung auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes den Übergang; die Gesundgewordenen ermahnte sie zum Dank. Kurz, wohin sie ihre Schritte wandte, verbreitete sie leiblichen und geistlichen Segen.

Margaretha Blarer

geb. 1494. gest. 1541.

In die Wette mit Zürich und Bern und andern freien Städten am Fuße der Hochgebirge, am Saume des Bodensees und am Ufer des Rheines öffnete Konstanz, die uralte mächtige Bischofsstadt der reinen Lehre des Evangeliums, dieselben Pforten, durch welche ein Jahrhundert früher Johannes Hus und Hieronymus von Prag zum Scheiterhaufen hinaus geführt worden waren. Die Prediger Dvanner, Bartholomäus Metzler, Johann Zwick, der Bürgermeister Bartholomäus Blarer pflanzten ein neues Leben, an dem selbst der Bischof Hugo von Landenberg samt seinem Domkapitel anfangs ein Wohlgefallen hatte, bis er sich in seinem Besitze und Ansehen gefährdet sah.

Das ausgebreitete und blühende Geschlecht der Blarer von Wartensee hatte mehrere seiner Sprösslinge schon auf dem Konstanzer Bischofstuhle gesehen und um 1530 waren drei Blarer zumal Äbte in Weingarten, St. Gallen und Einsiedeln. Aber ein Zweig dieses Geschlechtes übte nicht mindern Einfluss auf die schweizerische und süddeutsche Reformation. Der Ratsherr Augustin Blarer hatte drei Kinder, Ambrosius, Thomas und Margarethe, welche durch Geist, Gelehrsamkeit und Tatkraft gleich ausgezeichnet waren. Ambrosius war zum Leidwesen des Rates von Konstanz, der seine Talente der Stadt erhalten wollte, in das württembergische Benediktinerkloster Alpirsbach eingetreten, aber dort mit den Schriften Luthers und Brenzens bekannt geworden, verließ er nicht ohne Gefahr das Kloster und eilte durch die Schluchten des Schwarzwaldes seiner Vaterstadt zu. Hier erwarb er sich durch seine Predigt und durch die geistlichen Lieder, die er dichtete, vollsten Eingang und durchgreifenden Einfluss zu Gunsten der Reformation. Auch nach auswärts wurde er vielfach um Rat und Tat gebeten. Herzog Ulrich von Württemberg ließ durch ihn sein Land „ob der Steige“ reformieren, weswegen Martin Bucer von Straßburg in seinen Briefen ihn gerne den „Apostel der Schwaben“ hieß.

Sein Bruder Thomas hatte auf der Universität zu Wittenberg selber die neue Lehre kennen und lieben gelernt; wovon das Herz voll war, des ging auch sein Mund in geistlichen selbstgedichteten Liedern über. Nach Konstanz zurückgekehrt, erstieg er eine Stufe der Ehren nach der andern und ward, wie die auf dem Rathaus zu Konstanz befindliche Chronik von Christoph Schultheiß rühmt, „nit on sonder Schickung Gottes“ gerade Bürgermeister daselbst, als Ambrosius Blarer, sein Bruder, als Zwinglis Freund und Kampfgenosse Luthers der Erneuerung der Kirche seine reichen Kräfte weihte.

Im Jahre 1527 wurde, nachdem 1526 an die sittlichen Schäden des städtischen Lebens ernste Hand angelegt und das öffentliche Lusthaus geschlossen war, die Stadt trotz des mächtigen Bischofs reformiert. Die „Pfaffen“ zogen mit dem ganzen Domkapitel fort nach Reichenau und Meersburg. Sofort wurde das Schwesternhaus in der neuen Gasse aufgehoben, den Nonnen, welche fortzogen, ihr Gut herausgegeben und das Übrige dem Spital zur Unterstützung der Armen übermacht. Hierauf wurde die Klosterhaft in allen Frauenklöstern abgetan. Im Jahre 1528 wurden die katholischen Bilder und die Messe abgeschafft, und drei Jahre darauf der katholische Gottesdienst auch in den übrigen Klöstern vollends abgestellt. An der Stelle der Mönche und römischen Priester verkündigten 23 Prediger das Evangelium in den geräumten Kirchen.

Es war eine vielbewegte Zeit und zu der Erregung der Geister kam dann auch mannigchfache leibliche Not und Gefahr, wie denn immer in Zeiten großer geistiger Umwälzungen auch die äußere Natur in Unruhe kommt. Im Jahr 1538 regierte ein schmerzhaftes „Hauptstechen“ in der Stadt, so dass auf einmal im Laufe des Monats Julius über tausend Menschen daran niederlagen, doch nur wenige daran starben. Schlimmeres brach im Jahr 1540 herein.

Da war nach der Chronik von Konstanz ein gar heißer Sommer, es regnete von April bis Jakobi 20 Wochen lang fast gar nicht. Alles auf dem Felde verbrannte, an vielen Orten war gar kein Heu; der Schwarzwald ging an manchen Orten an und verbrannte fast viel. Bald nach Jakobi kam etliche Tage ein Regen, und darauf noch eine Heuernte und ein guter Herbst; der Wein war gar gut, und weil der vorige noch in den Fässern lag, sehr wohlfeil. Der Sommer war so heiß, dass auch die Fische im Wasser die Hitze nicht leiden mochten. Das Wasser wurde überall so klein, dass in Konstanz der abfließende Rhein die Mühlen unter der hölzernen Rheinbrücke nicht mehr trieb. Auf diese große Hitze folgte alsbald ein Sterben. Den Winter über war’s wieder ziemlich gut, aber im Sommer 1542 starben viel mehr denn zuvor, und bis zum Ende des Jahres waren bis an 1600 Menschen, Junge und Alte an der Pest gestorben, so dass der erst 1520 neu angelegte Gottesacker nicht ausreichte, sondern wegen der Menge der Toten ein frischer Kirchhof beim Schottenkloster benutzt werden musste. Endlich kam auch noch am 14. Dezember ein Erdbeben, doch tat es keinen Schaden. In dieser bösen Pestzeit „ward aber Jedermann so wohl durch die Prediger getröstet, dass man fest bei einander blieb und fast wenige aus der Stadt wichen.“

Die Prediger hätten bei allem Eifer nicht genug Trost bringen können, wenn sie nicht eine mächtige Hilfe durch mildtätige Frauenhand erhalten hätten. Die Reformatoren rissen nieder, nur um Neues zu bauen auf altem gutem Bibelgrunde. Als Ambrosius die Schwesternhäuser mit ihrem papistischen Brauch und Missbrauch eingehen ließ, wollte er die Sache nicht zerfallen lassen, deren Form zerschlagen werden musste. „Arme habt ihr allezeit bei euch, aber mich habt ihr nicht allezeit bei euch“ – dies war das Todesurteil für die bisherigen Samariterstätten und der göttliche Wink zu ihrer Erneuerung im Geiste der evangelischen Freiheit und Liebe.

Wie trefflich kam ihm da seine Schwester Margaretha zu Statten, welche mit denselben Gaben und Tugenden geziert, in derselben trefflichen Weise erzogen wie Ambrosius und Thomas sich jenem als Gehilfin darstellte! Margaretha, von der wir nun weiter hören wollen, stand selbst an Gelehrsamkeit ihren Brüdern nicht nach, sie las die alten römischen und griechischen Schriftsteller in der Ursprache, unterhielt mit mehreren Gelehrten einen Briefwechsel meist in lateinischer Sprache, war auch in der Dichtkunst wohl erfahren und daher von dem hochgelehrten Erasmus aus Rotterdam, von Bullinger und Gualther aus Zürich hochgeehrt. Allein weder die Achtung solcher Männer noch ihr Wissen blähte sie auf, sie „bekleidete sich mit dem größeren Schmucke der Bescheidenheit“ und machte ihrem Namen dadurch Ehre, dass sie nicht bloß im Evangelium „die gute Perle gefunden“ hatte, sondern selbst eine Perle wurde, wie ihr Name bedeutet, durch den Glanz ihrer Reinheit „ihr Vorbild guter Werke und unverfälschter Lehre“, eine Zierde ihrer Vaterstadt. Ihr höchster Schmuck war „inwendig, der verborgene Mensch des Herzens unverrückt mit sanftem und stillem Geiste, welcher ist köstlich vor Gott“. Mit ihrer Anspruchslosigkeit verband sie eine aufopfernde Liebe, und ihr Beispiel war ebenso erbaulich als ihr Wort belehrend. Unermüdlich im Gutestun, gastfrei und gütig gegen Vertriebene und Unglückliche aller Art, erwarb sie sich ein vorzügliches Verdienst durch Unterweisung armer Kinder im Lesen, im Arbeiten und in der Christenlehre. Ihr Gottesdienst war, die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchen; ihr Amt war, während Ambrosius das geistliche Schwert, „welches ist das Wort Gottes“, schwang und Thomas das weltliche Schwert der Obrigkeit trug, das stille, milde Amt der überall dienenden Liebe; sie, die vielleicht selbst Mitglied einer geistlichen Ordensschwesterschaft zur Übung barmherziger Liebe gewesen, jetzt trat sie mit einem Kranze von evangelischen Frauen und Jungfrauen in einen Verein zusammen und dieser weibliche Verein für Armen- und Krankenpflege machte sich bekannt durch die Hilfe, die er den einheimischen und fremden Kranken, Witwen, Waisen und von der Pest Befallenen angedeihen ließ. Margaretha war Vorsteherin des Vereins (Archidiakonissin), und in welchem Geiste, in welcher innigen Beziehung zu dem Evangelium sie ihr Werk vollführte, beweisen die in der Vadianischen Büchersammlung zu St. Gallen noch vorhandenen Briefe des Reformators Ambrosius an seine geliebte Schwester.

Ambrosius schrieb an sie von Hagenau aus am 4. Juli 1540 folgende Zeilen: „Herzlich bitt ich dich, liebe Schwester, höre nie auf, das Anliegen der Kirche Gottes auf Erden, der echt evangelischen, dem himmlischen Vater in heißen Fürbitten zu empfehlen. Du weißt, sie leidet übel Not von allen Seiten und wird angefochten von Gewalttätigen geistlichen und weltlichen Standes, von blinden Führern der Blinden. Bitte, o erbitte doch mit deinem stillen, frommen Hausvölklein, ich meine deine Hauskirche, dass die bedrängte und verfolgte wieder zur Ruhe komme, sich erhole, stark werde, aufblühe und Früchte trage fürs ewige Leben. Ja, das tust du! Ich darf dir nicht erst meine Gattin und Kinder empfehlen, jene liebst du als Schwester, diese als Mutter. Grüße mir doch deinen ganzen Haushalt mit allen deinen Armen, Kranken, Presthaften, Notleidenden, nach Erlösung Seufzenden, welche in dir eine liebende Mutter finden. Sage dem lieben Völklein, wenn es für dich bete, so soll es auch zugleich an mich, deinen Bruder, denken; ich treibe des Herrn Werk wie du, nur jedes auf seine Weise. Lebe wohl, beste liebste Schwester, o mein Herz in dem Herrn! Tue, was du tust, geflissentlich; nähre, tränke, besuche, sammle in den Hungrigen, Dürstenden, Kranken, Vertriebenen Christum, in der gewissen Zuversicht, dass dein Lohn bei ihm im Reiche seiner Herrlichkeit dir bereitet ist. Lebe recht wohl.“

Als im Jahre 1541 die Pest in Konstanz wütete, ließ die sich selbst vergessende Margaretha sich nicht abhalten, die Kranken selber zu pflegen, zu warten und aus der Schrift zu trösten. In einem Schreiben vom 5. Nov. schildert Ambrosius ihr Walten seinem Freunde Bullinger mit folgenden Worten: „Margaretha, die beste Schwester, benimmt sich jetzt wahrhaftig wie eine Archidiakonissin unserer Kirche, indem sie ihr Leben und Alles in Gefahr setzt. Täglich besucht sie jene öffentlichen Häuser, in denen die von der Pest Befallenen, gemeine Knechte und Mägde und andere Leute dieser Art gepflegt werden, und das tut sie mit Mut und erhabenem Geiste. Auch hat sie jetzt ein Mädchen, welches sie schon seit zehn Jahren unterhält, und das gegenwärtig fast in den letzten Zügen ist, in ihr Haus aufgenommen. Bitte, ich beschwöre dich, den Herrn, dass er sie, welche jetzt unser einziger Trost ist, uns nicht entreiße.“

Doch die heldenmütige Jungfrau sollte in kurzer Zeit viele Jahre erfüllen. Indem sie unablässig die Pestkranken besuchte, erkrankte sie selbst am Fieber und starb wie ein siegreicher Heerführer auf dem Schlachtfelde den 15. November 1541 in einem Alter von 47 Jahren. Wie ausgestorben fühlte sich die Stadt, als man die jungfräuliche Mutter der Armen, die Schwester der Barmherzigen hinaus auf den neuen Gottesacker zu den Schotten trug. Sie ward begraben „fast in aller Mitte“ – die so manchem Leidenden das Schlummerkissen zurecht gelegt, sollte ihre letzte Schlummerstätte inmitten derer finden, deren Tränen sie getrocknet, deren Todesschweiß sie von der kalten Stirne gewischt; deren heimziehende Seele sie mit einem letzten Labetrunk aus der lebendigen Quelle gelabt, deren Wasser ins ewige Leben strömen.
Am Tage nach der Beerdigung schrieb Ambrosius, ihr Bruder, an den gemeinschaftlichen Freund, Antistes Bullinger: „Unter denen, welche der Pest unterlagen, hat der Herr, der Geber des Lebens, auch unsere treffliche und in Wahrheit unserer Kirche getreueste Dienerin, meine leibliche Schwester Margaretha, zum großen Leidwesen Aller vom Tode zum Leben hinübergeführt, zu der für sie allerdings geeigneten, für uns jedoch ungünstigsten Zeit, was meine Seele zuweilen so erschüttert, dass ich mein Herz klopfen höre und sehr fürchte, es möchte dieser Tod eine schlimme Vorbedeutung für die ganze Stadt haben, was noch viele Wohlgesinnte mit mir besorgen. Was aber die Schwester betrifft, so sind wir völlig gewiss, dass sie nicht tot ist, sondern den Tod mit dem glücklichsten Leben vertauscht hat. Sie hat auch ihren Atem unter heiligen Reden ausgehaucht, im Vertrauen, sie sterbe nicht, so dass du gesagt hättest, sie sei sanft entschlafen und habe ihren Geist in die Hände ihres treuen Schöpfers übergeben. Uns aber ist ein so großer Trost und Segen entzogen, dass wir in unserer unbeschreiblichen Trauer mehr als „die Hälfte unseres Lebens“ verloren zu haben stets empfindlicher fühlen. Bitte du für uns, dass es uns vergönnt werde, in ihren Fußstapfen Christo nachzufolgen.“

Wahrlich, es war als ob mit Margaretha der gute Engel von der Stadt Konstanz gewichen wäre. Die trüben Ahnungen ihres Bruders gingen bald genug in Erfüllung. Kaiser Karl V. siegte, das Interim und bald darauf die Gegenreformation zog blutig in das erstürmte Konstanz ein; für Ambrosius war kein Bleiben mehr im Vaterlande, er begab sich in die Schweiz, wo auch ein Sohn des Thomas als reformierter Pfarrer im Segen wirkte. Er predigte in mehreren Orten das Evangelium und starb zu Winterthur 1564 im Kreise seiner Verwandten im hohen Alter.

Je mehr aber die Freunde entzückt gewesen waren von der Frömmigkeit und Trefflichkeit der Schwester Margaretha, desto tiefer schmerzte sie die Trauerkunde. Der Straßburger Reformator Bucer war selbst mit ihr in Briefwechsel gestanden und hatte nach Zwinglis Tode unter Anderem an sie geschrieben (Ende November 1531): „Ihr Konstanzer seid uns Zion und Jerusalem in diesen Landen, wir sind dagegen ein armes Babylon.“ Über die Hingeschiedene schrieb er nun: „O unvergleichliche Zierde, Frucht und Segen des wiedergeschenkten Evangeliums, die mit den größten Zierden der glücklichsten Zeiten der Kirche in Eine Linie gesetzt werden kann! Wahrlich, man möchte sagen, Christus war in ihr und wirkte in ihr!“ In seinem lateinischen Trostschreiben an Blarer sagt Bullinger: „Von Herzen bin ich betrübt, dass der unerbittliche Tod deine Schwester, die eine Hoffnung so vieler Dürftigen hienieden, und ein Edelstein reinsten Wassers gewesen ist, Margaretha, diese Perle der Jungfrauen, dir entrissen hat. Der Herr, der Alles nach gerechtem Gerichte tut, tröste dich und Alle, welche auf ihre Hilfe sich stützten. Es hat dem treuen Gott, der alles Gute belohnt, gefallen, die treueste Magd aus des Leibes Banden zu erlösen und vor dem hereinbrechenden Unglück wegzuraffen, damit sie nicht mehr erlebe, was wir mit unserem Undanke verdient haben. Jetzt ist sie in ihres Herrn Freude mit Loben und Danken in Ewigkeit. Freue dich mit ihr in dem Herrn -, lass die Trauer und bitte: Dein Reich komme. Mein R. Walther, unseres Zwingli Schwiegersohn, hat auf meine Bitte der heiligsten Jungfrau ein Leichengedicht gewidmet, das Gedicht soll bei Froschauer zu unserer aller Freude gedruckt werden. Der junge Mann ist herzlich deiner Familie zugetan und wünscht dir einen Dienst erweisen zu können. Zürich, 10. Dezember 1541. Ganz dein Bullinger.“ Ein anderes Freundesschreiben an A. Blarer lautet: „Es hat mich mit großem Schmerze, ja mit Schrecken erfüllt, dass deine Schwester, die Jungfrau von seltener Frömmigkeit und Bildung aus dieser Zeitlichkeit so schnell hinweggenommen ist. Sie hat als reine Jungfrau, die verderblichen Lüfte des Fleisches verachtend, Glauben gehalten und in brennender Liebe die Lenden umgürtet, mit den vom Herrn ihr verliehenen Pfunden so fleißig und fröhlich gewuchert und an der unverwelklichen Krone sich einen Schatz erworben, der nun nach überstandenen Leiden sie in den Reihen der Seligen erquickt. Indes traure ich für dich und die Armen und Elenden, dass sie einer solchen Trösterin und Helferin beraubt sind. Doch wird ihr Beispiel Andere zu gleicher Liebe und Mühe spornen und du magst darin deinen Trost finden, dass sie dir nicht verloren, nur vorangegangen ist. Augst im Januar 1542. Bonifacius Wolfart.“ Ein drittes Schreiben lautet: „Du darfst es glauben, wie schmerzlich mir und meiner Frau die Trauerfunde von dem Tode deiner Schwester fiel, dieser wahrhaft heiligen Jungfrau, die eine seltene Zierde unserer Zeit gewesen ist. Sie schwebt uns als ein Vorbild der Frömmigkeit, der Menschenfreundlichkeit, der Mildtätigkeit stets vor den Augen. Und obgleich wir aus ganzem Herzen und vollem Munde der Himmelsbraut Glück wünschen, dass sie zur Hochzeit des Lammes gekommen ist, so müssen wir doch in Betracht unserer gegenwärtigen Zustände von ganzer Seele trauern, dass wir ein so herrliches Werkzeug Christi, die uns und vielen Andern so viel Gutes getan, vermissen sollen. Doch nachdem sie schon längst die Pracht und Herrlichkeit dies ser Welt aus Liebe zu ihrem Bräutigam, in dessen seligem Genusse sie nun lebt, verachtet und für Kot geachtet hat, so dürfen wir die erwünschte und freudenreiche Trennung von dem Leibe dieses Todes ihr um so mehr gönnen, als der Erstling von denen, die da schlafen, der unser Heil ist und die Auferstehung und das Leben, uns mit allen Kräften dahin trachten heißt, wohin sie selbst durch seine heiligen Engel heimgeführt ist …. Straßburg, den 10. Febr. 1542. Conrad Hubert.“

Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg.

Elisabeth, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg.

geb. 1510. gest. 1559.

Joachim I. war noch ein Jüngling von 16 Jahren, als er im Jahre 1499 Kurfürst von Brandenburg wur-de. Nach Geist und Körper ausgezeichnet, gelehrt wie nicht leicht ein Fürstensohn, den Künstlern hold, mit den ersten Männern seiner Zeit in geistigem Verkehre, der lateinischen, französischen und italienischen Sprache mächtig, ein Freund der Heilkunde, in der Geschichte und Sternfunde wohl er-fahren, dem Kaiser und Papste unwandelbar treu anhängend war er ein ebenso gefährlicher als ent-schiedener Gegner der Reformation. Es verdross ihn, dass das Wittenberger Mönchlein ins Innerste des Glaubens gehende Neuerungen machte, während er selber durch eine Kirchenversammlung den auch von ihm erkannten tiefen äußeren kirchlichen Schäden abgeholfen sehen wollte. So verbot er die Lutherische Bibelübersetzung und legte evangelische Prediger in Ketten.

Seine treffliche Gemahlin, Elisabeth, eine dänische Königstochter gebar ihm zwei Söhne und drei Töchter. Elisabeth, die jüngste, im Jahre 1510 geboren, verband sich 1525 mit Herzog Erich dem Älte-ren von Calenberg-Göttingen. Erich war ein hochgesinnter tapferer Kriegsmann von Jugend auf, hatte als Jüngling das heilige Grab besucht, gegen die Osmanen gekämpft und mit dem Kaiser Maximilian einen Freundschaftsbund auf Tod und Leben geschlossen. Er verstand die neue Zeit so wenig als sein Kaiser und Freund, in dessen Burg zu Wien er häufiger war als auf seinen Schlössern zu Münden und Neustadt. Doch war er der ritterliche Mann, welcher Luthern (1521), als er zu Worms vor Kaiser und Reich gestanden, eine silberne Kanne mit Einbecker Bier zur Erquickung bringen ließ, und dem Luther nach getanem Trunke wünschte: „Wie heute Herzog Erich meiner gedacht, also gedenke seiner unser Herr Christus in seinem letzten Kampf.“ Im Jahre 1497 hatte er sich erstmals vermählt mit Katharina, der Witwe des Erzherzogs Sigismund von Österreich, die 1524 starb. Schon 55 Jahre alt, aber kindlich an Geist und jugendfrisch an Körper, führte er im Juli 1525 die fünfzehnjährige Markgräfin von Bran-denburg heim. Die heitere, junge Fürstin nahm sich alsbald mit seltener Besonnenheit des fürstlichen Haushalts und selbst eines Teils der Regierungsgeschäfte mit sicherer Hand an, denn das umständli-che Amtsleben war dem alten lebensfrischen Degen, der kurz zu reden und derb dreinzuschlagen gewohnt war, im Grunde der Seele zuwider. So übergab er die Geschäfte gerne der klugen Frau, machte sie zur alleinigen Mitwisserin seiner geheimen Sorgen, klagte ihr seine Schulden, verschwieg ihr überhaupt nichts, schrieb ihr unter Anderem durch einen reitenden Boten den Sieg über die Wie-dertäufer zu Münster, sann, selbst wenn körperliche Schwäche ihn plagte, heimlich auf eine kleine Freude, die er der züchtigen Hausfrau bereiten könnte, sei’s mit schöner Leinwand, sei’s mit einem Seidengewande, sei’s mit dreißig Kronen zu Neujahr, die er vom Feldlager aus mit freundlichem Dan-ke entgegenzunehmen bittet.

Die kränkelnde Elisabeth erkannte auch mit warmem Danke die zärtliche Fürsorge des Fürsten, der sich bereit erklärte, Tag und Nacht zu reiten, um, falls ihr Unwohlsein nicht gehoben werde, ihr in Treuen beizustehen. Sie bittet ihn, in der Nähe zu bleiben, ihr einige Erquickung mit Pomeranzen und Feldhühnern zu senden, und schreibt mit zitternder Hand an das Ende des in die Feder gesagten Brie-fes: „Lieber Herr, seid zufrieden mit unserer Krankheit; es ist Gottes Will und ist besser auf den Leib gelegt als auf die Seele. Wenn Gottes Wille bei uns wäre, so ist’s Alles gut! Gott sei Dank, dass ich mit Geduld solches freiwillig annehmen und leiden mag; es wird nach diesem bösen Leben aber gut wer-den der ewigen Seligkeit; dazu helf mir Gott, Amen!“

So war ihr Sinn zu Gott gestellt und in solchem Sinne war sie die umsichtige, sorgsame Hausfrau und Landesmutter. Eine Menge von untergeordneten Geschäften im Haushalt erledigte sie selbst. Die höchste Ordnung beobachtete sie in ihren Ausgaben; jeder Gesindelohn, jeder Ankauf, jedes unge-wöhnliche Geschenk verzeichnete sie in ihrem Hausbuche. Da lesen wir, wie Mägde zu drei, vier, sie-ben Gulden angenommen werden; da ergehen nach Frankfurt, Antwerpen, Augsburg, Berlin ihre Aufträge für Tuch, Gewürz und Geschirr. Gleichzeitig versäumte sie nicht, nach der Sitte jener Tage die freie Zeit sich mit feinen Stickereien zu kürzen, wozu sie bei ihren Freundinnen um Übersendung „etli-cher Muster“ anhält. In allen ihren Briefen zeigt sich die hochgebildete Frau, die mit leichtem, schar-fem Auge Verhältnisse zu durchschauen und zu ordnen versteht.

Kein Wunder, dass der alternde Erich die Landessorgen ihr ganz überließ. Sie verspricht auch, die Steuer des Landes mit dem Amtmann zu ordnen, sei sie schon schwach, so wolle sie sich doch beflei-ßigen, dass Seine Liebden sehen möge, wie gut sie es meine. Andere Fürsten wandten sich gerne an sie, und der Landgraf Philipp von Hessen bat sie unter Anderem auch um gütige Vermittlung zwi-schen dem Herzog und den wegen verweigerter freier Ausübung des evangelischen Glaubens aufrüh-rerisch gewordenen Bürgern der Stadt Hannover.

In dieser Stadt nämlich hatte seit 1524 die lutherische Lehre gewaltigen Anhang unter den freien Bür-gern und ebenso gewaltigen Widerstand bei Rat und Geistlichkeit gefunden. Jeder, bei dem ein deut-sches oder lateinisches Buch von Luther gefunden wurde, verfiel in schwere Geldbuße oder Verban-nung aus der Stadt. Dafür machte sich des Volkes Unwille in Spott und Gewalttat Luft. Nicht ohne Gefahr legte der Herzog. persönlich den Unfrieden bei, indem er fromme gottesfürchtige Prediger, das Lesen der heiligen Schrift und Singen deutscher Psalmen gestattete, doch so, dass in der äußerli-chen Ordnung der Kirche nichts gestört werde. Als aber auch diese Bewilligungen nicht treu gehalten, noch viel weniger das Abendmahl in beiderlei Gestalt, die Taufe in deutscher Sprache und der Ehe-stand der Geistlichen zugestanden wurde, kam es zu argem Aufruhr; der Rat musste abdanken, die Pfaffen mussten fliehen und kaum wurde das entzügelte Volk, das schon alle Obrigkeit, Steuer und Abgabe hinter sich, das gemeinsame Teilen der Güter vor sich glaubte, durch einen neu gewählten Rat gebändigt. Gegen Erichs Zorn, der die Zufuhr abschnitt, schützte Herzog Ernst von Lüneburg, Luthers Freund, die Stadt; derselbe empfahl ihr auch wie der Stadt Braunschweig die Kirchenordnung seines Generalsuperintendenten Urban Regius, so wie den Eintritt in den schmalkaldischen Bund (1534). Am meisten suchte aber Elisabeth den über die vermaledeite Sektiererei ergrimmten Fürsten zu be-sänftigen, wie sie schon früher immer so gern ihre milde Fürsprache für die Unterdrückten einlegte.

Als ihm in der Nacht nach Laurentius, 10. August 1528, ein eilender Bote die freudige Meldung tat, es sei ein junger Landesfürst geboren, hieß er voll Jubel dem Neugebornen zu Ehren das begonnene Schloss in der Nähe Erichsburg, ritt spornstreichs gen Münden, fand Mutter und Knäblein in Gottes Hut und schickte ansehnliche Botschaft an König Ferdinand nach Böhmen, ihn zum Paten zu laden. Noch war der festliche Tag nicht erschienen, als Elisabeth, dem Zuge ihres Herzens folgend, etlichen Gefangenen vom Herzog die Freiheit erbat. Unter diesen befand sich ein Geistlicher, Georg Stenne-berg, der, weil er zu Ellierode das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht hatte, in der Nacht auf-gegriffen und 21 Wochen lang ins Verließ geworfen worden war. Erich willfahrte den Bitten und gab zugleich alle Gefangenen im Fürstentum frei.

Indessen war durch König Christian II. von Dänemark, welcher Krone und Reich aufgebend nach Ber-lin flüchtete, die Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg mit dem lutherischen Glauben bekannt ge-worden. Aus Furcht vor ihrem Gemahl nahm sie nur heimlich das heilige Abendmahl in beiderlei Ge-stalt. Als es dennoch und zwar durch die Tochter Elisabeth ihm verraten wurde, kannte er in seinem Zorn keine Grenzen mehr und wollte sie allen Ernstes lebendig einmauern lassen. Unterstützt von ihrem Bruder Christian floh sie, nur von einer Kammer-Magd und einem Edelmann begleitet, auf ei-nem gedungenen Bauernwagen zu ihrem Oheim, Kurfürst Johann von Sachsen, den 24. März 1528. Dieser räumte ihr das Schloss Lichtenberg ein und da lebte sie in tiefster Abgeschiedenheit, nur mit Gebet und Lesen der Schrift beschäftigt, in brieflichem Verkehre mit Luther, in dessen Haus sie einst drei Monate zugebracht, um sich im Worte Gottes unterrichten zu lassen. Joachim I. betrachtete sie ohne irgend ein Zeichen des Schmerzens als für ihn tot und blieb auf dem Augsburger Reichstage 1530 und zu Regensburg 1532 der erbittertste Todfeind der Protestanten, gegen die er dem Kaiser ohne Weiteres die Waffen zu ergreifen riet. Doch erlaubte er seinen Kindern je und je einen Besuch bei der Mutter, wie denn unsre Elisabeth noch 1534 bei ihr war, und sich beim Kurfürsten von Sach-sen über Luthers heftige Sprache gegen ihren Oheim, den Kardinal Albrecht von Mainz beschwerte. Joachim I. starb 1535, nachdem vorher seine Söhne ihm schriftlich ihr festes Beharren am katholi-schen Glauben hatten versprechen müssen. Erst 1546 konnte die Kurfürstin Elisabeth nach Branden-burg heimkehren, um in stiller Einsamkeit zu Spandau kummervoll zu leben. Die Tochter Elisabeth übrigens versäumte ihre kindliche Liebe nicht und bat bei Joachim II. um Erleichterung der kümmerli-chen Lage ihrer Mutter, die 1555 starb.

Joachim II., streng katholisch erzogen, war doch zu geistvoll und zu sehr ergriffen durch den Übertritt seiner Mutter, als dass er nicht durch Lesen und Nachdenken sich ein eigenes Urteil hätte schaffen und sofort die Beweggründe seiner Mutter begreifen sollen. Nach seinem Regierungsantritte wurde er vom Landgrafen Philipp von Hessen aufgefordert, von der Erkenntnis und Ehre Gottes sich nicht ab-wendig machen zu lassen durch kaiserliche Huld, und so ließ er es wenigstens geschehen, dass hin und her in seinem Lande evangelische Prediger aufkamen. Schon 1538 trat sein Bruder, Markgraf Johann von Küstrin zu Wittenberg dem lutherischen Glauben bei. Am 1. Nov. 1539 empfing nun auch der Kurfürst mit seiner Familie, dem Hofe und dem Landadel aus den Händen des Mathias von Jagom, Bischofs von Brandenburg im Dom zu Cöln an der Spree das Abendmahl unter beiderlei Ge-stalt.

Im Gemüte unserer Elisabeth hatte gewiss von ihrer geliebten Mutter her das Licht des Evangeliums zu dämmern begonnen, die Städte Hannover, Göttingen und Braunschweig hatten den Scheffel vom Leuchter hinweggetan, ein Besuch ihres eben übergetretenen Bruders Johann scheint das Letzte zu ihrem Entschlusse getan zu haben. Am Sonntag Judica 1538 ließ sie sich mit einigen ihrer Jungfern und Mägden durch Konrad Brecht, Pfarrherrn zu Groß-Schnehen das Abendmahl nach lutherischer Weise reichen.

Erich lag gerade im Felde, er wurde wohl „stutzig“, aber er zürnte nicht, als er bei seiner Heimkehr das Geschehene erfuhr. Er war müde und alt, traute seiner Gemahlin das Beste zu, blieb zwar seinem Kaiser und seiner Kirche treu, fand aber nunmehr eine gewaltsame Bekämpfung der neuen Lehre weder vor Gott noch Menschen angenehm. Elisabeth erbat sich vom Landgrafen Philipp von Hessen den Antonius Corvinus, Pfarrherrn zu Witzenhausen, um von demselben Nachtmahl und weitern Unterricht zu empfangen in der Wahrheit, die sie nimmermehr verleugnen werde, ob sie sich auch auf Verfolgung gefasst mache, in der übrigens Gott ihr Helfer und der Landgraf ihr Berater sein werde.

Eben war Erich reisefertig unter das Schlosstor getreten, als man ihm die Ankunft des „Ketzers“ von Witzenhausen meldete. „Weil uns die Frau in unserm Glauben nicht hindert, so wollen wir auch sie in ihrem Glauben ungehindert und unbetrübt lassen.“ Mit diesen Worten bestieg der alte Herr sein Ross, das ihn zum Reichstag nach Hagenau im Elsass tragen sollte. Hatte nun Elisabeth früher mit ganzer Seele dem Glauben des Vaters angehangen, so umfasste sie jetzt mit der nämlichen Innigkeit die von Corvinus ihr ausgelegte Schrift. Nur sah sie die Aufgabe ihres Lebens aufs Bestimmteste darin, dass sie das Werk der Reformation auf dem Wege freundlicher Beratung fördere. Damit wusste die an Liebe zu Gott und Menschen reiche Frau ihre Pflichten gegen den Gatten und die mit ihm erzeugten vier Kinder aufs Beste zu vereinigen. Der Landgraf von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen standen ihr treu zur Seite.

Am 26. Juli 1540 ereilte den siebzigjährigen Erich der Tod zu Hagenau. In seinem Vermächtnisse hatte er Elisabeth, den Landgrafen Philipp und den erprobten Kanzler Jakob Reinhard als Vormünder des jungen Erich II. bezeichnet. Aber nun wollte Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel als nächster Anverwandter die Vormundschaft an sich reißen. Durch diesen eigensinnigen, unsteten Mann, diesen grimmigen Anhänger des Papsttums würde das in der Stille begonnene Werk der Re-formation zertrümmert worden sein, so beschloss Elisabeth, ermutigt durch ihre protestantischen Freunde, dem Ungestüm Heinrichs mit weiblicher Sanftmut zu begegnen und seinen Drohungen ihr gutes Recht entgegenzusehen. Es kam ihr freilich darob eine schwere Zeit.

Vor Allem erdrückten sie fast die Schulden, in die ihr gutmütiger ritterlicher Gemahl sich verstrickt hatte. Als Elisabeth durch weise Sparsamkeit, die manchem Junker ungelegen kam, den Haushalt zu heben sich befliss, da drängten die verbrieften Forderungen auf Befriedigung. Alle weibliche Würde und Milde musste sie zusammennehmen, um die Stürme zu beschwichtigen. Selbst die Leiche ihres Gatten aus der Herberge im fernen Hagenau zu lösen war unmöglich, bis durch eine neue Steuer jeder Untertan zur Zahlung des sechzehnten Pfennigs seines Vermögens angehalten war, wodurch das Landvolk zur Verzweiflung die Bürger selbst zu den Waffen getrieben wurden und Elisabeth fliehen musste. Erst im September 1541 wurde die Leiche ihres Herrn nach Münden gebracht. Aber die kläg-lichsten Verlegenheiten nahmen noch lange kein Ende.

Inmitten dieser mannigfachen Sorgen verlor Elisabeth den Gegenstand ihres tätigsten Strebens, die Begründung der evangelischen Lehre in ihrem Lande keinen Augenblick aus dem Auge. Der größere Teil der Städte teilte ihre Gesinnungen, der Landadel war gewonnen, Klosterleute und Prälaten muss-ten mit Behutsamkeit der neuen Lehre entgegengeführt werden. Melanchthon war voll Freude und Lob darüber und versprach, für die Fürstin eine eigene Schrift „über die christliche Witwe“ abzufas-sen. Corvinus gab öffentliches Zeugnis, mit welch evangelischem Gemüte und höchstem Fleiße sie ihre Kinder, Hofgesinde und Untertanen ohne Unterlass zur Gottseligkeit beredet habe. Melanchthon schreibt an seinen Freund, Burkard Mithob, den Amtsgenossen des Corvinus in Münden: „Es werden etliche Königinnen der Kirche Näherin und Säugammen sein, unter welche auch billig gezählt wird die fürtreffliche Heldin Fürstin Elisabeth von Braunschweig. Es ist aber ein gar lieblicher Name einer Am-men, welche der mütterlichen Liebe am nächsten ist, und wird durch dies Wörtlein Amme und mit Milch speisen eine liebliche, holdselige Regierung bedeutet, wie diese Fürstin ihre Kirche aus mütterli-chem Herzen sanft und lieblich mit dem Evangelio speiset, mehret und regieret. Das sind wahrhaft fürstliche und Gott wohlgefällige Werke.“ Ein Landeskind von ihr, der Magister Just Waldhausen, ward von Luther der gnädigen Frau aufs Angelegentlichste als ein feiner, gelehrter, frommer Mensch zu Dienst Gottes in der Stadt Hameln empfohlen.

Um dem, mit leiser, aber sicherer Hand begründeten Gebäude einen festen Halt zu geben, ließ Elisa-beth durch Corvin und seine Freunde 1542 die treffliche mündensche Kirchenordnung ausarbeiten, deren erste Ausgabe das Bildnis der Fürstin mit ihrem Wahlspruche: „Alles in Ehren kann Niemand verkehren“ ziert. Elisabeth sagt darin ausdrücklich, ob sie wohl wisse, worin das wahre Christentum bestehe, habe sie doch um der Schwachen willen viele Zeremonien beibehalten; die lateinischen Ge-sänge nur mit vielen deutschen Liedern untermischt, das Messgewand und die Lichter beim heiligen Abendmahl nicht verstoßen und die üblichen Fasttage noch gelten lassen. Wer das Fasten noch halte, werde hoffentlich von dem, der es schwinden lasse, keinen Verdruss erdulden. So spricht sich überall mehr der mütterliche Rat der Frau als das Gebot der Landesfürstin aus. Sie selbst besuchte Kirchen und Klöster des Landes, einzelnen Klosterleuten, die sich jeder Neuerung mit Starrsinn widersetzten, gebot sie 1543 ihre Glaubensbücher ohne Verzug nach Münden zu übersenden, damit sie die schädli-chen ausscheide, solche aber, die zu einem gottseligen Wandel und Haltung fürstlicher Ordnung dien-ten, zurückschicke. Neben diesen Kirchen-Visitationen ordnete sie alle zwei Jahre zwei Kirchentage, im Frühling und Herbste, an, wozu sie den armen Predigern die Kosten vergütete und im Schlosse das Essen reichen ließ.

Im Jahre 1545 erließ sie folgenden christlichen Sendbrief an ihre Untertanen: „In diesen schweren Läufen sorgen wir für euch ohne Unterlass wie eine getreue Mutter. Es lässt sich ansehen, als wolle Gott Deutschland mit einem schweren Kriege heimsuchen, wenn man da Gott nicht zum Freunde, sondern wider sich hat, da helfen weder Festung, noch Mauern, noch einige Rüstung. Deshalb müs-sen wir uns zur Buße und Besserung wenden, und wollt ihr, ob wir wohl ein schwach Werkzeug Gottes und Weibsbild sind, meine Ermahnung nicht verachten. – Wir können wohl erkennen,“ so redet sie die kleinen Städte und die Bauerschaft an, „dass euch die Bürde, so ihr traget, schwer genug wird. Es wird’s auch Gott richten an jenem Tage und Zeugnis geben, wie wir allezeit ein mütterliches Mitleid mit euch getragen und, wollte Gott, es stünde unseres freundlich lieben Sohnes Gelegenheit also, dass man euch gar nicht beschweren dürfte. Denn so ihr verderben werdet, so wird unser lieber Sohn, euer Landesherr, auch verderben.“

Es war ein schwer Regiment, durch den leidenschaftlichen Heinrich von Braunschweig fortwährend verbittert und gestört; mit Tränen hatte Elisabeth die Vormundschaft angetreten, nur der Glaube ließ sie nicht unter der Last der verwickelten Geschäfte erliegen, welche von den Landständen der schwa-chen Frau eher mutwillig erschwert als erleichtert wurden. Als durch plötzliche Todesfälle im Schlosse zu Münden die Furcht vor einer pestartigen Krankheit sich erhob und Elisabeth, nachdem sie ihre Kinder geflüchtet, mutig im Schlosse blieb, schrieb sie an den Landgrafen von Hessen: „Es sollen E. L. in ganzer Wahrheit glauben, dass wir mannigfache Trübsal und Anfechtung erdulden, und wenn wir uns nicht mit Gottes Wort und sonderlich dem Spruche Tobiä: „Weil du Gott lieb warst, so musste es so sein“ trösteten, so möchte es uns allzu schwer werden. Weil aber der Herr nur den züchtigt, den er lieb hat, so wollen wir ihn anrufen, dass er uns gnädiglich Geduld schenke.“

Der junge Erich war bei seines Vaters Tode 12 Jahre alt. Seitdem leitete Elisabeth dessen Erziehung. Sie sorgte nicht bloß für einen erfahrenen Hofmeister und Lehrer, sondern in mütterlicher Treue wachte und betete sie für den Sohn, auf dem ihre und des Landes Hoffnung stand. Er sollte ein frommer, Gott und seine fürstliche Ehre liebender Landesherr werden. Die noch jugendliche Elisabeth war durch ihre Erfahrungen frühe gereift und beurteilte mit weiblichem Scharfblicke Menschen und Verhältnisse. Sie hatte gelernt, durch Liebe die Menschen zu gewinnen und zu fesseln, dieses Weges sollte sich auch ihr Sohn bedienen und um Alles nicht dem gegen Gott und Menschen trotzenden Heinrich nachstreben. Mit Freudigkeit gedachte sie des Gelingens, mit dem ihr Gott das bisherige Re-formationswerk gekrönt, nicht ihren Mühen, dem Herrn verdankte sie es und auf ihn warf sie auch die Erziehung ihres Sohnes.

Im Jahr 1545 schrieb sie mit eigener Hand für denselben eine christliche Unterweisung nieder, welche ganz in ihr großes Herz hineinblicken lässt.

„Ich schreibe dieses nieder,“ sagt sie am Eingange, „um dich zu erinnern, dein Vertrauen nicht auf Menschen zu setzen, sondern allein auf Gott dich zu stützen und seine Gebote zu halten; denn wenn du Gottes Wort fürchtest, so wird er dir gnädiglich beistehen. Solches merke mit Fleiß und bedenke, dass ich es dir, als meinem lieben Kinde, sage, das ich vor ewigem und zeitlichem Verderben behütet sehen möchte. Deshalb hab ich mit eigner Hand dies Büchlein geschrieben, vom Anfang bis zum End und wolltest du es nicht verachten, sondern seine Worte im Sinn und Gemüte behalten.“ „Ich begeh-re und bitte von dir mit höchstem Fleiß und mütterlicher Treue, du wollest vor allen Dingen dir Gottes Wort befohlen sein lassen, denn ein wahrer Gottesdienst besteht darin, dass man des Herrn Wort wisse und tue. Aber Gottes Willen kann man nicht wissen, ohne sein Wort gern zu hören; das muss in allen Sachen unser Lehrmeister sein; im Glauben müssen wir es auffassen und also ins Werk überge-hen lassen. Das sei dein höchster Dank gegen Gott und mich, dass du nicht allein für deine Person seine Gebote haltest, sondern dich auch als Hüter derselben betrachtest, dass deine Untertanen nicht von ihnen lassen, dass du dem falschen Gottesdienst wehrest und die Übertreter der Worte des Herrn strafest. Darin lass dir einen sonderlichen Eifer und ein feuriges Herz befohlen sein. Es ist wohl wahr, dass des Menschen eigenes Herz nicht ausreicht zur Treue gegen Gott; nur wenn der Glaube in sein Herz dringt, fühlt er sich dazu geschickt. Weil aber ohne Glauben nichts gefördert wird, denn allein die Sünde, so wisse, dass kein geringes Ding um denselben ist.“

Dann zu einzelnen Zweigen der Verwaltung übergehend, rät Elisabeth, der Kirche ihre Güter nicht zu entziehen. Am passendsten werde es sein, einzelne spärlich besuchte Klöster aufzuheben, und aus ihnen Schulen für Knaben oder Maidlein und arme Jungfern vom Adel und Bürger bilden zu lassen, oder Witwen und Waisen darin zu beherbergen und aus ihren Mitteln arme Jünglinge zu unterstützen und Siechhäuser zu bessern. Seine alten, frommen Diener möge er nicht in Armut versinken lassen; für Kranke und Gebrechliche redlich Sorge tragen, denn, „wenn wir Christen sein wollen, so will sich auch gebühren, dass unsere Liebe gegen den Nächsten so groß sei, dass wir keinen Bettler unter uns dulden. Deshalb, mein Sohn, lass dich der Liebe nicht durch Tätigkeit entführen, schließ Herz und Hand den Armen nimmer zu, denn Gott hat einen fröhlichen Geber lieb und hat dich als einen Schaff-ner über seine Güter gesetzt. Darum teile sie treulich, doch mit Klugheit aus, damit du dem, der sie dir befohlen hat, gute Rechnung ablegst. Es will dir auch gebühren in deinem fürstlichen Amte wacker zu sein, damit alle Gerichte mit tüchtigen und erfahrenen Leuten bestellt werden und der Arme sowohl wie der Reiche ein göttlich gleichmäßig Recht habe, denn es ist gar ein arm elend Ding, wo kein Recht im Land ist; und was die weltlichen Fürsten in diesem Fall versäumen, wird Gott mit großem Ernst aus ihren Händen fordern, weil solch Gericht und Recht nicht ihr, sondern des Herrn ist. Es fordert auch dein fürstlich Amt, dass du zuweilen armer Leute Sache in eigener Person hörest, und wollest der Rede eingedenk sein, die mir mein freundlich herzlieber Herr und Vater, der hochgeborene Fürst von Brandenburg löblichen Gedächtnisses, aus hohem fürstlichem Verstand tat: Es sollte kein Fürst regie-ren, er wüsste denn zuvor die Kaiserrechte.“„ Ich ermahne dich auch, du wollest Gott kindlicher Weise fürchten und sein Wort deine getreusten Räte sein lassen. Denn die höchste Weisheit ist Gott! Da-rum, mein Sohn, gib ihm die Ehre und bete, dass er dir seine Weisheit mitteilen wolle, damit du, was zu deiner Regierung erforderlich, klüglich anheben und vollenden mögest. Deshalb halte dich nicht für klug noch verachte frommer, weiser Leute Rat, sondern besprich dich mit gottseligen, aufrichtigen, ehrlichen Leuten. Vor allem aber hüte dich vor Schmeichlern, die nur reden, wie du gerne hörst, suche vielmehr allezeit den höchsten Rat bei Gott und seinem Worte. Lass zwischen dir und Gott den höchs-ten Bund sein und begib dich sonst in keine Einigung, denn sie wird selten gehalten, und kämest du hinein, so würde man von dir wohl Treue fordern, aber gegen dich sie in Vergessenheit stellen. Wenn du aber mit Gott wohl stehst, so kannst du Teufel und Menschen trotzen. Ist Er deine feste Burg, so werden deine Feinde weidlich anlaufen.“

„Desgleichen ermahne und bitte ich dich, du wollest als ein christlicher Fürst auf dem Wege des Herrn in aller Unschuld wandeln und deinen armen Untertanen wohl vorstehen, nicht allein, indem du ihnen Gottes Wort verschaffst, sondern auch darin, dass du ihre Bürde so viel immer möglich linderst; so wird dir Gott ein glückselig Regiment verleihen.“

Vor geizigen Amtleuten, die weder Gott noch Menschen fürchten, und alles was sie können mit Recht und Unrecht an sich krahen, solle er sich ängstlich hüten. „Sei den armen Leuten nicht strenge oder stolz, sondern höre sie, nicht als ein Fürst, sondern als ein Vater mit aller Sanftmut, damit du sie nicht blöde machest und ihr Herz sich von dir abwende. Nimm ihre Bitten gnädig an, wo sie recht haben, da hilf ihnen ernstlich, und wo sie unrecht, da weise sie fein freundlich und mit Gelindigkeit ab.“ Sein Lebelang, schließt sie, möge er die Diener des göttlichen Wortes ehren, die treuen Beamten seines Vaters nicht darben lassen und als ein frommer Fürst des Reichs für des Landes innere Ruhe und Si-cherheit wachen. „Lieber Herr,“ heißt es endlich, „nachdem ich nun mit großer Mühe und Arbeit dies Buch zum Ende gebracht und abgehandelt, so will ich dir hiermit solches zugestellt haben, mit freundlicher Bitte, du wollest es kindlicher Weise von mir annehmen und als eine Einleitung zur Gott-seligkeit, beide in geistlichen und weltlichen Sachen, zum Eingange deines fürstlichen Regiments dir befohlen sein lassen und als ein Erbbuch bei dem Fürstentum behalten. Denn ich habe solchen Fleiß hieran gewandt, dass ich nicht zweifle, wo du dem also mit Gottes Hilfe nachkommen wirst, du wer-dest wohl ein christlicher Fürst vor Gott und der Welt sein und bleiben.“

Aber wie schmerzlich täuschte sie sich in ihrer mütterlichen Hoffnung! Luther schon, den sie (1544) auf einer Reise nach Sachsen in Wittenberg an ihre Tafel zog, ahnte das Schlimmste, ihm entging die schlummernde Leidenschaft Erichs nicht, er sah ihn schon einst von den Verführungen der kaiserli-chen Partei umstrickt, es jammerte ihn die arme Mutter so wie das junge fürstliche Blut; und mit aller Kraft und Wärme bat er den Corvinus, doppelt wachsam den Jüngling vor Gefahren zu hüten.

Im Jahre 1545 vermählte sich Erich zu Münden mit Sidonie, Tochter des Herzogs Heinrich von Sach-sen, einer Schwester des Kurfürsten Moritz. Im nämlichen Jahre wurde er für mündig erklärt. Das Jahr darauf trat die sechsunddreißigjährige Elisabeth auf ihrem eigenen Schlosse zu Münden mit dem evangelischen Grafen Poppo von Henneberg in eine zweite Ehe.

Der achtzehnjährige Erich II., kaum der mütterlichen Vormundschaft entlassen, überließ sich unge-stüm seinem Zuge in die Ferne. Der Kaiser lockte ihn an sich; mit Tränen warnte die Mutter, mit Sorge mahnten die Stände ab, er ließ sich nicht halten; doch genoss er vor der Abreise noch das heilige Abendmahl mit der ganzen Gemeinde, und vor dem Altare schwur der Jüngling, „Alles was er zwi-schen Wams und Busen habe, für die Wahrheit der evangelischen Lehre dranzusetzen.“ Aber was die Stände gefürchtet hatten, geschah. Der Kaiser übermochte ihn und sandte ihn gegen die protestanti-schen Seestädte ins Feld. Geschlagen floh Erich (1547) nach Halle, ritt von da zurückkehrend an Münden vorüber, wo er eine schuldlose Jugend verlebt hatte; nur ein flüchtiges Schreiben richtete er von der Erichsburg aus an die trauernde Mutter, er war von ihr und der stillen bescheidenen Sidonie durch seine veränderte Glaubensrichtung innerlich auf immer geschieden.

Was die Mutter mühsam gepflanzt, zerstörte er mit frecher Hand. Überall auf dem flachen Lande hieß er die evangelischen Prediger mit katholischen Priestern vertauschen; die Klöster hielten wieder ihre Messen, die Städte vertrieben ihre Geistlichen, auch Corvin wurde auf dem Kalenberge in harte Ban-de gelegt, dass die Kraft seines Lebens dahinsank. Nur Elisabeth war in dieser schweren Zeit die Stütze der Bedrängten und Verfolgten.

Erich verband sich selbst mit dem Todfeinde seiner Mutter, dem Herzog Heinrich von Wolfenbüttel, der nun auch jede Rücksicht, jede Höflichkeit gegen Elisabeth aus den Augen setzte. Erich trieb sich dazu meist in der Fremde herum und gab auch seiner Gattin kaum eine kurze Nachricht von seinem Befinden.

Die Herzogin, vom Kummer über den verlornen Sohn, der Eid- und Pflicht-vergessen in fernen Län-dern nach Genüssen schwärmte, vom Kummer über das zertrümmerte Werk der Reformation, über die Strenge gegen die von ihr berufenen Diener des Werkes, über die unwürdige Behandlung von Seiten Heinrichs niedergedrückt, wandte sich leider! – an den mit ihr verwandten, überall gefürchte-ten, tollkühnen Markgraf Albrecht von Brandenburg-Culmbach, der dem lutherischen Glauben zwar eifrig zugetan war und selbst Verfasser des schönen Kirchenliedes ist: „Was mein Gott will, Gescheh‘ allzeit“ -; sie lud ihn zu einer Zusammenkunft mit Erich II.

Sie hatte richtig gerechnet. Das gebietende sichere Wesen Albrechts machte auf Jenen einen solchen Eindruck, dass er sich mit ihm gegen den treulosen Vetter von Wolfenbüttel verband, in Folge davon alle früher erlassenen harten Verordnungen gegen die evangelische Lehre zurücknahm und des Lan-des Regierung wieder seiner Mutter übertrug.

Jetzt erwachte die alte Tätigkeit in der edlen Frau. Überall griff sie fördernd ein, die verwaisten Kirchen wurden erprobten Männern übergeben; Goldketten, Silbergeschirr und Kleinodien versetzte sie, um ihren Sohn gegen den Erbfeind Heinrich zu unterstützen. Da ward der Markgraf den 9. Juli 1553 bei Sievershausen von Heinrich und dem sterbenden Kurfürsten Moritz von Sachsen aufs Haupt geschla-gen, und Elisabeth sah ihre Rechnung auf eines Menschen Hilfe durchstrichen, ihre letzte Hoffnung zertrümmert. Der Herzog Heinrich hatte in der Schlacht zwei blühende Söhne verloren, sein Ingrimm wälzte sich nun gegen den treulosen Vetter Erich, sein Herz dürstete nach Rache gegen Elisabeth. Er nahm jenem Land und Leute, dieser ihre Güter weg. Kummervoll lebte Elisabeth mit ihrem Gemahl in Hannover, wo sie wehmütig ihres reizenden Schlosses zu Münden gedachte, in welcher Stadt sie so viel Liebe gesät, Segen gestiftet und unter Anderem das Hospital St. Crucis in ein Armenhaus umge-wandelt hatte, in welchem „zwölf lahme, blinde, sehr gebrechliche und notdürftige Arme“ Aufnahme fanden. Der liebevollen Vermittlung Sidoniens gelang es zwar, das gute Vernehmen zwischen Erich II. und Heinrich 1553 im November endlich herzustellen, doch blieb Elisabeth ihrer Einkünfte beraubt und lebte gleich einer Verbannten in Hannover.

Ihre Lage war trostlos. Einst die gefeierte Gemahlin des vielvermögenden, vom Kaiser bevorzugten Fürsten, heiter, lebensfroh, die Seele eines prachtliebenden, kleinen Hofes, sah sie sich jetzt da, wo sie früher geherrscht hatte, als „ein arm Weibsbild“ behandelt, wie es doch bei ehrlichen Deutschen nimmer gehört, ja wäre es schier bei Türken genug und zu viel, „dermaßen mit edlen Frauen zu han-deln“ so schreibt sie an den Bischof von Würzburg und Bamberg, auch an den Rat der Stadt Nürnberg um Hilfe und Fürbitte. Heinrich achtete nicht der Fürsprache und bat sich aus, sie solle ihn „unange-tastet lassen mit falschen Beschuldigungen, die nichts mehr sind als Worte und Widergeplapper, wie sie dem weiblichen Geschlechte eigen zu sein pflegen.“ Auch des Fürwortes ihrer brandenburgischen Brüder Joachim II. und Johann achtete er nicht. Sie hätte ihr weibliches Wesen bedenken und sich in Kriegshändel nicht mischen sollen, so brauchte sie jetzt nicht des Gegenspiels gewärtig zu sein.“ Dass eigentlich die Wiedereinführung des augsburgischen Glaubensbekenntnisses in den Fürstentümern Erichs II. seinen ganzen Zorn gegen die verlassene Frau auflodern ließ, das wollte er nicht offen sagen. Selbst König Ferdinand bat seinen Bruder, den Kaiser Karl V., vergeblich aufs Inständigste, gegen Eli-sabeth gerecht zu sein und sie in ihr Wittum wieder einzusetzen. Heinrich und Erich II. schädigten und eroberten fortwährend das Gebiet Albrechts von Culmbach; mit Lust wurde von dem Wolfenbüttler Wolfe die Gelegenheit ergriffen, die Dörfer und Schlösser des alten, allgemein im Reiche geachteten, ihm immer befreundeten Grafen Wilhelm von Henneberg in Rauch aufgehen zu lassen, nur weil er der Vater Poppos, des Gemahls der Elisabeth, war. Erich, der unnatürliche Sohn, konnte endlich nur durch ein ernstes Schreiben zu einiger Nachgiebigkeit und Gerechtigkeit bewogen werden. Heinrich aber ließ sich erst durch vielfache Vermittlung in Güte zur Güte lenken. Durch bittere Erfahrungen war er etwas weniger ungestüm geworden, es rührte ihn doch die bittere Not der Elisabeth, welche ganz verlassen, ohne Einkünfte mit ihrer Tochter Katharine, „dem armen verlassenen Fräulein,“ ihre Tage zu Hannover verweinte und im Herbste 1554 klagen musste: „seit drei Wochen haben wir kein Fleisch in unserer Küche gehabt und haben an Holz empfindlichen Mangel leiden müssen.“ Sie durfte ihm sogar 1555 mit einem Bittschreiben nahen: „Zwei Jahre haben wir hier in Hannover im Elende verlebt und das Angst und Bettelbrot brechen müssen; sie wolle ja gern mit Jedermann, vielmehr mit E. L. Freund-schaft haben und erhalten. E. L. wollen sich hierinnen christlich und freundlich erweisen, dessen wol-len wir uns vertrösten.“

Einiges von ihrem Leibgedinge scheint er nun ihr gegeben zu haben, das volle Wittum erhielt sie nie. So konnte sie nun doch die dringendsten Schulden bezahlen und ehrlich Hannover verlassen. Auf dem letzten Kirchentage, der dort während ihrer Anwesenheit gehalten worden war, hatte sie noch die versammelten Geistlichen gebeten, mit Kraft und Treue ihrem Amte vorzustehen und für sie zu Gott um Gnade zu flehen. Schmerzlich war der Abschied von der Stätte ihres Elends. Dankbar für die Liebe, welche ihr die dortige Bürgerschaft bewiesen, verehrte sie dem Altare der St. Georgskirche Kelch und Hostienteller zum Andenken. Dann segnete sie zum letzten Mal die treue Stadt. Vor ihrem Wagen ritt ihr jüngstes liebliches Kind, das arme Fräulein Katharine, als sie gen Süden weiter zog.

Seit der Mitte des Jahres 1555 lebte sie mit ihrem Gemahle Poppo auf dessen hennebergischen Besit-zungen. An ihrem Leben nagte der Schmerz um den verlorenen Sohn. Mit unwiderstehlicher Sehn-sucht gedachte sie der schönen Tage von Münden. Der alte Graf Wilhelm erfreute sich wohl der frommen Schwiegertochter und verschrieb ihr Schloss, Flecken und Amt Ilmenau als Leibgedinge, aber ihr Herz blieb traurig bis zu ihrem Tode. Die letzte Tücke übte Erich II. an seiner Mutter, als er oh-ne ihre Einwilligung eingeholt zu haben, ihre jüngste Tochter Katharine mit dem katholischen Oberst-burggrafen in Böhmen, Wilhelm von Rosenberg, verlobte und nach der zu Münden vollzogenen Ver-mählung sofort nach Böhmen ziehen ließ. Nun war jeder Versuch, sie zu beruhigen, umsonst. Mit Herzeleid musste sie, ihrer Kinder beraubt, in die Grube fahren. Sie starb am 25. Mai 1558 auf Schloss Ilmenau. Ihre Leiche wurde in der Prämonstratenser-Abtei Verra beigesetzt. Hart am Altare der Klos-terkirche deckt ein unscheinbarer Stein ihre Hülle, während Erich II. in der Kapelle zu Schleusingen ein prunkendes Denkmal errichten ließ für die misshandelte Mutter, deren Herz im Schmerz um ihn ge-brochen war.