Während ihre Brüder Thomas von Blarer als Bürgermeister von Konstanz und Ambrosius als geistlicher Liederdichter für die Sache der Reformation wirkten, ward Margarethe, nach dem Vorbild der Diakonissen der ersten christlichen Kirche, die Dienerin der Armen und Kranken. Es befand sich damals in Konstanz ein ganzer Verein ächt christlicher Gattinnen und Jungfrauen, weit und breit bekannt durch die Hilfe, die sie einheimischen und fremden Kranken, Witwen, Waisen und von der Pest Befallenen angedeihen ließen. Margarethe war die Vorsteherin dieses Vereins. In dieser Hinsicht schrieb Ambrosius im Juli 1541 an sie: „Herzlich bitt ich dich, liebe Schwester, höre nie auf, das Anliegen der Kirche Gottes auf Erden, der ächt evangelischen, dem himmlischen Vater in heißen Fürbitten zu empfehlen. Du weißt, sie leidet übel Noth von allen Seiten und wird angefochten von Gewaltthätigen, geistlichen und weltlichen Standes, von blinden Führern der Blinden. Bitte und erbitte doch mit deinem stillen frommen Hausvölklein, ich meine deiner Hauskirche, daß die bedrängte, verfolgte, wieder zur Ruhe komme, sich erhole, stark werde, aufblühe und Früchte trage für’s ewige Leben. Ja das thust du! Ich darf dir nicht erst meine Gattin und Kinder empfehlen; jene liebst du als Schwester, diese als Mutter. Grüße mir doch deinen ganzen Haushalt, mit allen deinen Armen, Kranken, Presthaften, Nothleidenden, nach Erlösung Seufzenden, welche in dir eine liebende Mutter finden. Sage dem lieben Völklein, wenn es für dich betet, so soll es auch zugleich an mich, deinen Bruder, denken; ich treibe des HErrn Werk wie du, nur jedes auf seine Weise. O wie freut es mich zu sehen, wie schön dich der HErr mit höheren Kräften stärket, daß du nicht erliegst unter den Sorgen allen. Möge Er dir zeitlebens den schönsten Segen gönnen, Hungrige zu speisen, Dürstende zu tränken, Nackende zu kleiden, Fremde zu beherbergen, Kranke zu laben. Wir nähren, tränken, kleiden, verpflegen ja Christum selbst in unsern Kranken. Nochmals, der HErr lohne dir’s Schwester! was du an den Kranken thust in Ewigkeit!“ Aber nicht lange mehr sollte die Getreue also dem HErrn dienen. Als sie bei der verheerenden Pest im Nov. 1541 eine Menge Pestkranke unablässig besuchte, erkrankte sie selbst und entschlief. Von ihrem Heimgang berichtet ihr Bruder Ambrosius: „Sie gab so sanft unter heiligen Reden und mit vollkommenem Vertrauen auf Christum ihren Geist auf, daß man wohl sagen kann, sie ist nicht gestorben, sondern sanft zum HErrn heimgegangen, und hat ihre Seele in die Hände ihres treuen Erlösers übergeben.“

Katharina Luther
Katharina von Bora, aus dem altadelichen Geschlecht der von Hugewitz, ward am 29. Januar 1499, 15 Jahre nach Luther geboren. Da ihre Eltern wenig bemittelt waren, so kam sie noch sehr jung in das adeliche Fräuleinkloster Nimtschen, unweit Grimma an der Mulda, wo sie Gott auf die ihr von der Klosterordnung vorgeschriebene Weise eifrig zu dienen suchte, bis in ihr und noch acht Klosterschwestern der Wunsch lebhaft wurde, sich aus diesem Zwinger befreit zu sehen; denn auch in ihre abgeschlossene Zelle hatte sich Luthers neue, die Nichtigkeit der Werkheiligkeit aufdeckende Lehre Eingang verschafft. Die Nonnen fanden Mittel und Wege, ihren Wunsch, aus dem Kloster zu kommen, Luthern bekannt werden zu lassen, und dieser veranlaßte einen Bürger von Torgau, Leonhard Koppe, mit einigen Gehilfen in der Nacht vom Charfreitag auf den Ostersamstag am 4. April 1523 die neun Nonnen aus ihrem Kloster zu befreien. Da ihn sein Weg durch das Gebiet des eifrig katholischen Herzogs Georg führte, so mußte er hierbei die äußerste Vorsicht anwenden, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er sich, wie die Torgauische Chronik andeutet, dazu einer Anzahl Heringtonnen bedient habe. Von Torgau kamen die Nonnen am Osterdienstag glücklich in Wittenberg an. Luther verwandte sich bei hohen Gönnern für die Verlassenen, und suchte die jüngeren zu verheirathen. Katharina ward vorläufig von dem Wittenberger Bürgermeister Philipp Reichenbach in’s Haus genommen. Bald hatte sich auch für sie ein Bewerber gefunden, Hieronymus Baumgärtner, aus einem angesehenen Nürnberger Geschlecht, der jedoch, als er bald darauf in seine Heimath zurückkehrte, diesen Plan wieder aufgab, so daß diese Heirath, über welche sich Luther laut eines Briefes an Baumgärtner herzlich gefreut haben würde, nicht zu Stande kam. Nun brachte Luther den Dr. Caspar Glatz, Prediger in Orlamünda, in Vorschlag, und Nikolaus von Amsdorf, Prediger in Wittenberg, erhielt den Auftrag, sie darüber zu befragen. Katharina gestand aber aufrichtig, daß sie zu dem Dr. Glatz keine Neigung verspüre, übrigens nicht abgeneigt wäre, zu heirathen, wenn entweder Amsdorf selbst oder Luther ihr die Hand reichen wollte. Nun hatte zwar Luther schon einige Zeit zuvor die Mönchskleidung abgelegt, aber er hatte bis dahin wenig Lust, in den Ehestand zu treten, daher er auch einmal gestand: „Hätte ich früher Lust gehabt zu freien, so hätte ich mir die Eva Schönfeld (eine andere der neun Nonnen, die er bereits erlebt hatte, und die durch ihre trefflichen Geistesgaben sich vor den andern auszeichnete) erkiest.“ Indes drangen seine Freunde, insbesondere sein Vater, sowie der Kurfürst Johann von Sachsen wiederholt in ihn, er möchte doch endlich einmal selbst thun, was viele seiner Freunde, und darunter auch mehrere Prediger, auf seinen Rath gethan hätten. So kam endlich bei ihm der Entschluß zur Reife, Katharina zu heirathen, und nach seiner Weise folgte Entschluß und That plötzlich auf einander. Es war an einem Dienstag den 13. Juni 1525, daß er seine drei Freunde, den Prediger Dr. Bugenhagen, den Juristen Apell und den Maler Lukas Kranach, mit sich in Reichenbachs Haus nahm, und Katharina um ihre Hand bat. Fast nahm sie Anfangs die Bitte für Scherz, konnte ihm aber das Jawort nicht verweigern. Da verrichtete Bugenhagen urplötzlich die Trauung, und ein kleines Familienfest beschloß den wichtigen Tag.
Erst 14 Tage darauf veranstaltete Luther nach der Sitte der Zeit ein festlichere Hochzeitmahl, wozu er auch seine Eltern einlud. Was Luther an seiner Käthe, wie er sie zu nennen pflegte, hatte, ersieht man am besten aus feinen eigenen Worten, wenn er schreibt:
„Es ist mir mit ihr wohlgerathen, denn ich habe ein fromm getreu Weib, auf welche sich des Mannes Herz verlassen darf, wie Salomo sagt Sprüchw. 31, 11., sie verderbt mir’s nicht. Sie hat mir gedienet nicht blos wie eine Ehefrau, sondern selbst wie eine Magd.“
Man ersieht aus seinen herzlichen Briefen an sie, daß er an ihr eine Frau hatte, der er alles mittheilen konnte, was sein Herz bewegte, die selbst auch an seinen gelehrten Streitigkeiten innigen und frommen Antheil nahm. Insbesondere war es ihre Frömmigkeit und ihr fester Glaube, was ihn so innig mit ihr verband. Jeder Angriff auf seine Person war auch ein Angriff auf ihre eigene Gemüthsruhe. Aber sie wankte nie, sie diente sogar zuweilen dem sonst so glaubensstarken Gatten zur Stütze. Sogar zur Zeit der Pest hielt sie mit ihm aus, und er konnte von ihr schreiben: „Noch ist meine Käthe stark im Glauben.“
Zwar behauptet von ihr ein gewisser Nas, der sie gekannt haben will, sie sei „hochtragenden Geistes gewesen, eigensinnig und stolz, so daß sie mit andern Weibern nicht viel Freundschaft gemacht, weil sie sich um des Ruhmes ihres Mannes wegen höher geachtet, denn jene,“ allein die vertrautesten Freunde und Hausgenossen Luthers, ein Bugenhagen und Justus Jonas, reden von ihr nie anders als auf eine ehrende Weise; es ist daher zu vermuthen, daß jener Nas in demjenigen, was eher ein Lob war, einen Tadel gesehen. Da Luthers Haus in Wittenberg ein Sammelplatz der gebildetsten und geistreichsten Männer jener Zeit war, so mag sich Katharina, welche noch obendrein eine sehr ausgedehnte Haushaltung mit geringen ökonomischen Mitteln zu besorgen hatte, um so mehr für verpflichtet gehalten haben, sich auf den Umgang zu beschränken, den sie in ihrem eigenen Hause haben konnte, als sie ohnedies an Geistesbildung und Seelenadel vielen Frauen ihrer Zeit so voraus war, daß sie in ihrem Umgang nicht viel gewinnen konnte.
Dies ist um so mehr zu vermuthen, da sie allen Nachrichten nach eine sehr verständige und thätige Hausfrau war, die ihr größtes Glück darin fand, ihrem Manne und ihren sechs Kindern sich zu widmen. Wirklich erforderte es auch nicht wenig Fleiß und Gewandtheit, eine solche Haushaltung zu führen, wie Luther sie hatte. Außer seinen Angehörigen speiste er stets noch viele andere Leute, namentlich auch Studenten an seinem Tische und das Haus war nie leer von Gästen. Dazu hatte er eine Feldökonomie sowohl in Wittenberg als in dem benachbarten Zülsdorf. Er selbst besaß fast gar kein Vermögen, hatte eine geringe Einnahme, und war nichts weniger als ein sorglicher Haushalter. Ohne gerade zu verschwenden, achtete er doch des Geldes allzuwenig, und wenn er anfing Almosen zu spenden, dachte er nicht mehr an die Bedürfnisse der Seinigen. Um so mehr bedurfte er eine Frau, die sowohl ihre Zeit als ihr Geld wohl zu Rathe zu halten wußte, der er mit vollkommenem Vertrauen seine ganze Haushaltung überlassen konnte.
Treulich pflegte Katharina Luthern in den verschiedenen Krankheiten, die ihn zumal in den letzten Jahren seines Lebens trafen, und leistete auch hierin Alles, was ein Mann von einer liebenden Gattin erwarten kann. Endlich starb er den 18. Februar 1546 mit der Ahnung: „So lange ich lebe, wird’s wohl Frieden bleiben; wenn ich aber sterbe, so betet. Es wird wahrlich Betens brauchen, und unsere Kinder werden müssen nach den Spießen greifen und wird in Deutschland übel stehen.“ – Es stand nicht lange an, bis Katharina die Richtigkeit dieser Ahnung erprobte. Schon im Jahr 1547 brach der schmalkaldische Krieg aus, Churfürst Johann Friedrich wurde gefangen genommen, und Kaiser Karl V. zog als Sieger in das eroberte Wittenberg ein. Da flohen die treuen Anhänger des Churfürsten und die eifrigen Beförderer der Reformation aus Wittenberge Mauern. Mit ihnen auch Luthers Witwe. Sie flüchtete mit ihren Kindern nach Leipzig, und hier sehen wir sie dem drückendsten Mangel ausgesetzt, sie mußte einen Kosttisch halten, um sich und die Ihrigen nothdürftig zu erhalten. Denn vergeblich hatte sie selbst sowohl als ihre Freunde sich an einheimische und fremde Fürsten um Unterstützung gewandt. Später kehrte sie wieder von Leipzig nach Wittenberg zurück, und lebte daselbst kümmerlich und eingezogen bis zum Jahr 1552, wo abermals die Pest überhand nahm, so daß die Universität nach Torgau versetzt werden mußte. Sie folgte dahin mit drei Kindern. Auf der Reise wurden die Pferde scheu, sie sprang aus dem Wagen und fiel dabei in eine Pfütze. Bald darauf bekam sie, vielleicht in Folge dieses Falles, die Auszehrung, und starb in demselben Jahre den 20. Dezember. Sie liegt in der Torgauer Pfarrkirche begraben, wo noch jetzt ihr Leichenstein zu sehen ist.
Anna Zwingli
Anna Zwingli, eine Tochter Oswald Reinhards und der Elisabeth Wynzürn, wurde zu Zürich um’s Jahr 1487 geboren. Sie verband mit einer außerordentlichen körperlichen Schönheit die edelsten Gaben des Geistes: die statthaftesten Zeugnisse ihrer Zeitgenossen rühmen ihre Frömmigkeit, Sittsamkeit, Treue, Sanftmuth und Herzlichkeit. Kaum aus dem Kindesalter getreten, wurde sie von Johannes Meyer von Knonau, dem einzigen Sohne des Rathsherrn und Reichsvogts Gerold, zur Geliebten erkoren, und da die Ihrigen nichts dagegen einzuwenden hatten, während dagegen der alte Gerold ihn durchaus mit einer Tochter aus einem angesehenen adelichen Hause im Thurgau verheirathen wollte, so ward sie ohne des letzteren Wissen eilends und heimlich in einer Dorfkapelle getraut. Die Folge war, daß der Vater den Sohn von seiner Familie, Tisch und Haus für immer verbannte, alle seine Familienkleinode verkaufte und verschenkte, sich nochmals verheirathete, und seiner zweiten Ehegenossin Regina die Summe von 6000 fl. zu lebenslänglicher Nutznießung verschrieb. So erfuhr Anna gleich Anfangs ihres Ehestandes allerlei Kreuz und Trübsal, dazu war sie in den ersten Jahren kinderlos, und es war zu befürchten, daß ihr Mann, wegen des väterlichen Unwillens zu keinen öffentlichen Bedienungen gelangen würde.
Doch bald wurde der trübe Himmel wieder heiterer. Hans, ihr Gemahl, wurde von der adelichen Zunft in den großen Rath gewählt, und Anna gebar ihm in den Jahren 1509 bis 12 einen lieblichen Sohn Gerold, und zwei Töchter Margaretha und Agatha. Auch zeigten sich nicht alle ihrer neuen Anverwandten so unversöhnlich wie ihr Schwiegervater; denn der Bischof von Konstanz, Hugo von Hohenlandenberg, unterhielt treulich die freundschaftlichste Verbindung mit seinem Vetter Hans, der als Jüngling eine Zeit lang an seinem Hofe gelebt. Auch mußte ein glückliches Zusammentreffen der Umstände dazu dienen, des alten Gerolds Herz wieder günstiger zu stimmen. Eines Tages hatte die Magd seinen jungen Enkel auf den Fischmarkt mitgenommen, und bis sie ihren Einkauf besorgt haben würde, auf einer Fischerkufe niedergesetzt. Gerade sah der Großvater in einem Hause, zum Schnecken genannt, zum Fenster heraus, und erblickte das frische, liebliche Kind, das er noch nicht kannte, weil es bis dahin nicht in sein Haus kommen durfte. Aber der ihm unbekannte Zug der Liebe fesselte so sehr sein Auge bei dem Anblick des Kindes, daß er sich nicht satt sehen konnte, und endlich fragte, wem doch der wunderliebliche Knabe gehöre? Kennet ihr denn das Kind nicht? war die Antwort, es ist ja das sind eures Sohnes Hans Meyer. Da befahl er alsobald, man solle es ihm heraufbringen, nahm es in seine Arme, weinte und sagte: Wiewohl mich dein Vater erzürnt hat, will ich dich dessen doch nicht entgelten lassen, und will dich an deines Vaters Statt zum Kind und Erben annehmen. Wirklich ließ er es auch sogleich in sein Haus, in den Meyerhof tragen, und hielt es von da an, als wie wenn es sein eigen Kind wäre, bis er starb.
Indessen trübte sich der Himmel bald wieder für die gute Anna; denn auch sie sollte, wie so viele Gläubige, durch Kreuz für den Himmel zubereitet werden.
Ihr Gatte fing an zu kränkeln, und nach zweijährigem Leiden entschlief er den 26. Nov. 1517. Anna ward schon in einem Alter von 30 Jahren eine Witwe. Von da an lag ihr die Erziehung und Bildung ihrer hoffnungsvollen Kinder allein ob, sie aber erfüllte treulich ihre Mutterpflicht, und unterließ nicht, um ihren Kindern die Furcht des HErrn zu lehren, und in den jungen Herzen Lernbegierde, Vaterlands- und Menschen-Liebe zu begründen. Der Knabe Gerold benützte die von Jahr zu Jahr sich ausdehnenden Unterrichtsanstalten der Vaterstadt, und als durch des Reformators Ulrich Zwingli’s heilbringenden Einfluß sich über Stadt und Land ein neues Leben und bei vielen Hunderten der thätigste Eifer für das Evangelium verbreitete, so waren Anna und ihre Kinder von den ersten, bei welchen dies bemerkbar war.
Zwingli, der wohl erkannte, daß von der Bildung der Jugend das Schicksal künftiger Geschlechter wesentlich abhänge, war unermüdet, um die Gemüther und Anlagen der heranreifenden, für das Gute empfänglichen Jugend zu erforschen, und jedes sich auszeichnende Talent in seiner Entwicklung zu unterstützen. Bald wurde der tiefblickende Mann auch auf Gerold aufmerksam. Er selbst widmete dem, wenn schon noch jungen Schüler einen nicht geringen Theil seiner kostbaren Zeit, und führte ihn in die erhebende Bekanntschaft der alten Römer und Griechen ein. Schon 1520 hielt er ihn für reif genug, um nach Basel, dem damaligen Hauptsitz schweizerischer Gelehrsamkeit, gesandt zu werden, wohin er ihn an die trefflichsten Lehrer empfahl und durch Briefwechsel noch weiter zu fördern bemüht war.
Mittlerweile schritt das Reformationswerk auch in Zürich immer mehr voran. Zudem man sich bemühte, alle kirchlichen Einrichtungen wieder auf die Grundsätze des apostolischen Christenthums zurückzuführen, stellte man auch die bis ins zwölfte Jahrhundert in Uebung gewesene Priesterehe wieder her.
Die sittenlose Ungebundenheit, welche bis dahin bei einem großen Theile der Geistlichkeit in Folge des päpstlichen Eheverbote herrschend gewesen war, brachte es dahin, daß man anfing, die eheliche Verbindung von den evangelischen Predigern wirklich zu fordern. Allerdings waren die ersten Beispiele wegen ihrer Neuheit auffallend, dennoch wurden die Priesterheirathen immer häufiger. Endlich erkannte auch Zwingli, bereits ein Mann von 40 Jahren, daß es seine Pflicht sei, in den Ehestand zu treten, und seine Wahl fiel auf Anna. Schon seit seinem ersten Auftreten war sie eine seiner aufmerksamsten Zuhörerinnen gewesen. Ihre Frömmigkeit, Bescheidenheit und Muttertreue war ihm nicht verborgen geblieben: durch seinen Schüler Gerold war er ja mit ihren Verhältnissen noch näher bekannt geworden.
Bereits hatte Anna die Jahre der Jugend hinter sich, und ihr Vermögen war gering; denn es bestand nebst einigen kostbaren Kleidern und Kleinodien aus nicht mehr als vierhundert Gulden und einem Leibgeding von 30 fl. Aber Zwingli suchte bei ihr Anderes als körperliche Reize und irdische Güter. Schwere Erfahrungen hatten ihrem ganzen Charakter und Benehmen einen Ernst eingeflößt, aus welchem ihre stillen, aber thätigen Tugenden desto schöner hervorleuchteten, und zu der Hoffnung berechtigten, sie würde eine treffliche Priestersfrau werden. Hierauf blickte Zwingli bei seiner Wahl, und seine Hoffnung ward nicht getäuscht. Nachdem er sich am 2. April 1524 mit Anna vermählt, faßte sie sogleich mit richtigem Blicke die ganze ernste Bedeutung der ihr gewordenen Aufgabe. Sie wußte, daß sie die Gehilfin eines Mannes geworden, auf dessen öffentliche Stellung viele tausend Blicke und Erwartungen gerichtet waren, und war bereit jedes Opfer zu bringen, das in diesen Verhältnissen zum gemeinen Besten von ihr gefordert werden sollte. So eingezogen und bescheiden sie bis dahin gelebt, so dünkte es sie doch, sie müßte als Priestersfrau es hierin noch strenger nehmen. Sie entsagte von nun an gänzlich jeglichem Gebrauch der kostbaren Kleider und Kleinodien, die ihr von der früheren Verbindung her geblieben waren. Dem Gatten, den mannigfaltige Berufspflichten, schriftstellerische Arbeiten, ein ausgebreiteter Briefwechsel, Besuche und Anfragen von Hohen und Niedern in stets angestrengter Thätigkeit erhielten, erleichterte sie dieselbe, wo und soviel sie konnte. Sie erheiterte seinen Geist in trüben Stunden. Ihr verständiges und unbefangenes Urtheil diente ihm nicht selten als gewichtiger Rath, und bei dem allgemeinen Vertrauen, das sie genoß, und bei dem reichen Schatze ihres ganz für Gott und ihre Mitmenschen schlagenden Herzens, befriedigte und beruhigte sie, wenn der Gatte von Geschäften überladen, sich nicht jedem Besuche unbedingt hingeben konnte, manche des Trostes und Rathes bedürftige Gemüther durch die freundliche und herzliche Auskunft, den ihr theilnehmendes Wort ihnen gewährte. Die Armen fanden stets bei ihr Gehör, die Kranken besuchte sie fleißig, indem sie wohl wußte, daß es eine gottgefällige Handlung ist, unglückliche Menschen aufzusuchen, und daß unser Heiland sagt: „Was ihr gethan einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan.“ Zwingli theilte ihr viele seiner Schriften vor dem ersten Abdrucke mit, und ihr Urtheil war ihm nicht unwichtig. Die ersten Magistratspersonen Zürichs, die Prediger und die übrigen Gelehrten, die sich häufig in seinem Hause einfanden, waren alle voll Achtung für die verständige Hausfrau, und für ihr zwar immer bescheidenes und schüchternes, aber nur desto richtigeres Urtheil, das oft durch bloße Fragen manchen raschen Gedanken milderte.
Aber auch dieser neue Ehestand Anna’s war kurz und mit schweren Bekümmernissen erfüllt. Stete Drohungen und Nachstellungen waren auf Zwingli gerichtet. Seine Reise zur Berner Disputation 1528 und zum Marburger Religionsgespräch 1529 mußte in Geheimnis gehüllt werden, und dennoch fiel bei der ersten Reise in der Nähe von Mellingen auf ihn und seine zahlreiche Begleitung unversehens ein Schuß.
Als 1529 die unglücklichen Mißverhältnisse in Religionssachen die schweizerischen Eidgenossen beider Parteien zahlreich in’s Feld führten und die bewaffneten Scharen auf der Grenze der Kantone Zürich und Zug einander gegenüberstanden, mußte Zwingli als erster züricher Geistlicher ebenso im Felde wie vorher zu Hause die öffentlichen Gefahren theilen; doch versöhnten sich für diesmal die Entzweiten bald wieder und Zwingli kehrte unversehrt zu den erfreuten Seinigen zurück. Aber nach kurzer Zeit loderte die Flamme der Zwietracht wieder auf, die Erbitterung zwischen beiden Religionsparteien stieg immer höher und in eben dem Maße, wie die Gefahr von Außen sich vermehrte, verschwand in Zürich unter denen, die sich zur Reformation bekannten, insbesondere bei vielen bedeutenden Männern, die bisher bestandene Zusammenstimmung. Die Klugheit, mit welcher die öffentlichen Angelegenheiten waren geleitet worden, wurde nicht mehr beibehalten. Rasche Männer, die in Allem durchgreifen wollten, verkannten bei ihren Rathschlägen das Bedürfnis einer sorgfältigen Umsicht, die bisher das Ganze zusammengehalten hatte. Man wollte mit Einem Male Alles verbessern, und beschränkte sich nicht auf das Nothwendige. Daraus gingen Schwankungen und gefährliche Gegenwirkungen hervor; aber auch dies belehrte die Heftigen nicht. Die meisten älteren Magistratspersonen, welche noch an der Spitze standen, überließen sich nun den Empfindungen der Eifersucht gegen diejenigen, welche jetzt oft ihren Einfluß überwogen. So kam Unordnung in die öffentliche Verwaltung, und als am Abend des 9. Okt. 1531 ein Bote nach dem andern meldete, daß die fünf Orte: Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug mit bewaffneter Hand gegen Zürich heranrücken und bereits der Grenze sich nähern, so fehlte es nicht allein an den Vorbereitungen zur Gegenwehr, die längst hätten getroffen sein sollen, sondern es war auch dem Bannerherrn Schweizer trotz aller Bemühung nicht möglich, den kleinen Rath zu bewegen, sogleich eine Kriegsschar ihnen entgegen zu senden. Erst als am 10. Okt. früh die Kunde eintraf: aus dem biedern Volke der Herrschaft Knonau habe eine Anzahl Entschlossener sich beim Kloster Cappel versammelt, die laut fragen, ob sie denn verlassen und vollende verrathen seien? wurden 100 Mann dahin beordert, über welche man den nicht ohne Grund für verdächtig geachteten Georg Gördli zum Anführer setzte. Umsonst drangen kräftige und überlegende Männer darauf, daß man den Landsturm ausziehen lassen möchte; doch erst des Nachmittags wurde der große Rath versammelt, und erst in der Nacht wurde. beschlossen, den Landsturm aufzubieten und an die verbündeten Städte Aufforderungen zur Hilfeleistung zu erlassen. Den andern Tag kamen gegen 10 Uhr etwa 700 Mann zusammen, unter ihnen viele Greise und ältere Männer; noch war Mancher nicht vollständig gerüstet, keine gehörige Eintheilung war geschehen, aber neuere Nachrichten von dem Herannahen der Gegner erlaubten kein Zögern, wenn man nicht die kleine Schar bei Cappel der überlegenen Macht eines kühnen und im Kriege erfahrenen Feindes aufopfern wollte. Stille und ernst war der Aufbruch; große Pflichten, enge und heilige Bande zogen manchen der zum Kampfe Entschlossenen an diejenigen, die mit bangen Besorgnissen erfüllt, ihn so lange, als es noch möglich war, zurückhielten. Zwingli, vom Rathe aufgefordert, die Schar zu begleiten, entsprach willig dem Rufe; aber sein Scheiden von der innigst geliebten Gattin und den theuren Kindern, von zahlreichen Freunden, die sich um ihn drängten, war schwer. Das Zurückweichen des Pferdes in dem Augenblicke, wo er es bestieg, erfüllte Alle mit bangen Besorgnissen. Er selbst war standhaft, aber tief ergriffen und nachdenkend, und schied von den Seinigen mit großer Bewegung.
Es war nahe an 11 Uhr, als der kleine Haufe Zürich’s Thore verlassen hatte, und noch war die Berghöhe vor ihnen, als der Donner des schweren Geschützes ihnen schon über die Lücke des Albisgebirges her Beschleunigung zurief. Mit dem geliebten Gatten hatte Anna ihren Sohn Gerold, und noch andere ihrer nächsten Anverwandten in dem kleinen Häuflein wegziehen sehen, wohlbewußt, welchem großen gefährlichen Zwecke dasselbe sich weihe.
Leicht läßt es sich denken, mit welchen Gefühlen, in wie tiefem Nachdenken und inbrünstigem Gebete Anna die bangen Stunden durchlebte und durchwachte bis zur Entscheidung des unglückseligen Kampfes. Das dumpfe Hallen des schweren Geschützes konnte sie in ihrer Wohnung hören. Die Kunde von den auf einander folgenden Boten, die zur Hilfe aufforderten und zugleich die Stärke der wohlgerüsteten Gegner und die Bedrängnisse der Angegriffenen schilderten, blieb ihr nicht verborgen. Aber die schreckliche Nachricht, die am Ende eintraf, erreichte das höchste Maß des Unglücks, das unter diesen Umständen auf die Schwergeprüfte fallen konnte. Kein Anblick, kein Gruß, weder Trost noch Rath von einem ihrer Theuren war ihr mehr beschieden. Außer dem Gatten und dem Sohne waren auch ihr Bruder Bernhard Reinhard, ihr Tochtermann Anton Wirz, und der Gatte ihrer Schwester, Hans Lütsch, umgekommen. Nur ihr zweiter Tochtermann, Balthasar Keller, den man mit vierzehn Wunden ebenfalls für todt gehalten, und der auf dem Schlachtfelde bei Cappel liegen geblieben war, hatte sich bei Nacht wieder aufgerafft und gerettet. Außer ihren zwei Töchtern erster Ehe waren ihr noch drei Kinder zweiter Ehe, zwei Knaben Wilhelm und Ulrich, und ein Mädchen Regula geblieben; diese theilten kindlich ihre Klagen und ihre Thränen, sie waren auch nach Gottes gnädiger Führung dazu bestimmt, in ihrem zweiten Witwenstande sie zu trösten und ihren Muth aufrecht zu erhalten. Außerdem erfreute sie sich der herzlichen Theilnahme vieler Freunde ihres entschlafenen Gatten, denen sein früher Hingang und ihr abermaliger betrübter Witwenstand sehr nahe ging. Wie aus Einem Munde und aus Einem Herzen äußerten sich Alle gegen sie, ermahnten sie zu standhaftem Glauben an Christum und seine Wiederkunft, und zum Vertrauen auf Gott in ihrer Trübsal, und zu einem gottseligen Sinne und Leben.
Unter Andern schrieb ihr Simpert Schenk, früher Carthäusermönch, nachher Reformator der Reichsstadt Memmingen:
„O fromme, liebe Frau! seid getreu! weder ihr noch wir haben Zwingli und die Andern verloren: denn wer an Christum glaubt, der hat das ewige Leben. Daher ist meine Ermahnung, wenn ihr den lieben Zwingli im Haus, bei den Kindern, bei euch, auf der Kanzel, bei den Gelehrten nicht mehr leiblich findet, so gedenkt, er sei im Haus Gottes, bei allen Kindern Gottes, da er hört den Mund der Weisheit und das Gespräch der Engel. Es behüte und tröste euch sammt euren Kindern der barmherzige liebe Gott, und verleihe euch Stärke im heiligen Geist, alle Trübsal im HErrn zu überwinden. Amen.“
Sie selbst ergoß die Klage ihres Herzens in einem Trauerliede, in dessen letzten Versen sie sich also an die Bibel wendet:
Komm du, o Buch, du warst sein Hort,
Sein Trost in allem Uebel.
Ward er verfolgt durch That und Wort,
So griff er nach der Bibel,
Fand Hilf‘ bei ihr –
HErr, zeig‘ auch mir
Die Hilf‘ in Jesu Namen!
Gib Muth und Stärk‘
Zum schweren Werk‘
Dem schwachen Weibe! Amen.
Von dieser Zeit an lebte Anna noch eingezogener als zuvor. Sie widmete sich ganz ihren verwaisten Kleinen, und ihren Töchtern erster Ehe, sowie ihrer gleichfalls schwer geprüften verwitweten, von drei Waisen umgebenen Schwiegertochter. Gott erheiterte ihr indes noch die letzten Tage ihres Lebens. Bald nahm sie Zwingli’s würdiger Nachfolger, Heinrich Bullinger, als ein ehrwürdiges Andenken an seinen großen Vorgänger, mit ihren Waisen in seine Haushaltung auf, und behielt sie bis an das Ende ihrer Tage bei sich. Von nichts Anderem, als wie sie Gott diente, und ihren Nächsten liebte, sprechen die wenigen Nachrichten, die von dieser Zeit an über die fromme Dulderin auf uns gekommen sind. Aber ihr Leben eilte jetzt schnell seinem Ziele zu, und schon am 6. Dez. 1538 vollendete sie in einem Alter von 51 Jahren ihren Erdenlauf.
Monika
Wie der Kirchenvater Chrysostomus durch die fromme Antusa, die als junge Witwe ganz der Erziehung ihres Sohres sich widmete, zuerst zum lebendigen Christenthum geführt wurde, so auch der Kirchenvater Augustinus durch seine fromme Mutter Monika. Diese, um’s Jahr 332 nach Christi Geburt geboren, hatte christliche und fromme Eltern, verdankte aber, mehr noch als diesen, einer alten gottesfürchtigen Magd ihre erste fromme Erziehung. Leicht hätte ihr in den Jugendjahren die Aufgabe, den Wein aus dem Keller herauf zu holen, zum verderblichen Fallstrick werden können, aber die Zurechtweisung jener Magd rief sie noch zu rechter Zeit von dem gefährlichen Irrwege zurück. Als sie erwachsen war, wurde sie von ihren Eltern an einen heidnischen Mann, den Rathsherrn Patricius in Tagaste, verheirathet; er fand an ihr eine Ehegattin, die ihrem Christenthum durch Gehorsam, Sanftmuth und Gefälligkeit Ehre machte. Anfange ließ sich die Mutter des Patricius durch das Geschwätz der Mägde gegen ihre Schwiegertochter Monika einnehmen, allein diese betrug sich so sanft, so sorgfältig und ehrerbietig gegen sie, daß die Mißverständnisse bald ein Ende nahmen, und die herzlichste Freundschaft zu Stande kam. Mit der Zeit gewann sie auch ihren Mann für das Christenthum, so daß er sich im Jahr 370 unter die Katechumenen aufnehmen und 371 taufen ließ; bald hernach starb er. Monika hatte ihm zwei Söhne und eine Tochter geboren. Nichts lag ihr mehr an, als diese ihrem Heilande zuzuführen, daher ließ sie namentlich den Aurelius Augustinus gleich nach seiner Geburt im Jahr 354 unter die Katechumenen aufnehmen; aber sie mußte über dreißig Jahre harren, bis er durch die heilige Taufe der Christengemeinde einverleibt ward. Der damals noch heidnische Vater ließ zwar dem Sohne eine sorgfältige Erziehung geben, aber sein Augenmerk war dabei nicht das, aus ihm einen Christen, sondern einen gelehrten und berühmten Mann, der ein glänzendes Glück in der Welt machen könne, zu bilden, und es gelang ihm in vollem Maße, die Flamme des Ehrgeizes bei dem hochstrebenden begabten Jüngling anzufachen. Bald ward er auch durch schlechte Gesellschaft auf der Schule zu Karthago zu allerhand jugendlichen Ausschweifungen verführt, und der verblendete Vater kümmerte sich darüber so wenig, daß er einmal in der Trunkenheit sein Wohlgefallen über die Ausschweifungen des Sohnes aussprach. Das mußte für Monika eine um so tiefere Kränkung sein, da bei ihr die Eindrücke der Taufe, die sie erst vor Kurzem empfangen hatte, noch neu waren. Sie erschrak über den Zustand ihres Sohnes, und hatte nicht eher Ruhe, als bis sie Gelegenheit gefunden, mit ihm darüber zu reden. Sie warnte ihn auf’s Ernstlichste vor dem gefahrvollen Abwege des Lasters, allein er verachtete ihre Warnung, als die Rede eines schwachen unwissenden Weibes, die nicht wisse, daß die Jugend vertoben müsse.
Nach einiger Zeit starb der Vater, und Augustinus bekam durch eine Schrift Cicero’s eine ernstere Richtung. Er fragte ernstlich nach Wahrheit und Weisheit, wandte sich auch für eine Zeit lang zur heiligen Schrift, konnte ihr aber noch keinen Geschmack abgewinnen, und ging endlich zu der Sekte der Manichäer über. Ein neuer Schmerz für die gute Mutter! Sie grämte sich tief darüber, flehte für ihren Sohn bei Tag und bei Nacht, ermahnte ihn mit vielen und heißen Thränen, den bessern Weg zu erwählen, wollte aber, da alle ihre Erinnerungen vergeblich schienen, nach Tit. 3, 10. nicht mehr mit ihm zusammenleben, obgleich ihr Herz mit innigster Liebe an ihm hing. Nachdem ihr jedoch im Traum ein Jüngling in glänzender Gestalt erschienen war, und ihr gesagt hatte: „Wo du stehst, steht auch er,“ so faßte sie wieder neuen Muth, sagte es dem Augustinus mit großer Herzensbewegung und nahm ihn wieder in ihr Haus und an ihren Tisch auf. Sie verdoppelte jetzt ihre Gebete für den irrenden Sohn, und erhielt von einem Bischof, den sie bat, er möchte doch denselben zurückzubringen suchen, die merkwürdige, nachher durch den Erfolg bestätigte Antwort: „Laß ihn für jetzt, bete für ihn zum HErrn, so wird er von selbst durch das Lesen der heiligen Schrift gewahr werden, wie groß sein Irrthum sei und dessen Gottlosigkeit. So wahr Du lebest, es ist nicht möglich, daß das Kind so vieler Thränen verloren geht.“ Auch dieses sagte sie dem Sohne wieder, und wenn er gleich für jetzt sich noch nicht entschieden zum Guten wandte, so ließen ihm doch ihre Worte einen tiefen Stachel im Herzen zurück. Ehe die Frucht hievon offenbar wurde, mußte Monika noch einen bittern Schmerz erfahren. Augustinus rüstete sich zu einer Reise nach Italien, und da sie ihn zurück halten wollte, bestieg er heimlich ein Schiff. Trauernd stand sie am Ufer, und sah, zu Gott aus der Tiefe ihres Herzens seufzend, dem Schiffe nach, das den ungehorsamen Sohn nach Rom führte.
Nach einiger Zeit hörte sie, er sei in Mailand, und der fromme Erzbischof Ambrosius habe ihn dahin gebracht, daß er sich wieder unter die Katechumenen aufnehmen ließ. Da kann sie es nicht mehr länger in Afrika aushalten; in freudigem Glaubensmuth besteigt sie ein Schiff und bleibt so unerschüttert bei den gefährlichsten Stürmen des Meeres, daß sie auch noch ihre Mitschiffenden zu trösten vermag. Sie kommt eben im rechten Augenblicke in Mailand an. Der gewaltige Kampf, der in ihrem Sohne gährte, hatte ihn an den Rand der Verzweiflung geführt, aber ihre mütterlichen Bitten und Ermahnungen beschwichtigten den Sturm seiner Seele, und zu Anfang der Fasten 387 hatte sie die Freude, ihn unter den Täuflingen zu erblicken, welche auf Ostern durch die Hände des Ambrosius das Bad der Wiedergeburt empfangen sollten. Nach empfangener Taufe wollte er mit ihr nach Afrika zurückkehren. In heiliger Freude, das Ziel ihrer sehnsuchtsvollen Wünsche erreicht zu sehen, machte sie die eifrige Dienerin der ganzen Reisegesellschaft. Als sie in Ostia angekommen waren, stand sie voll ernster Betrachtungen allein mit ihrem Sohne an einem Fenster; da brach sie endlich das Stillschweigen und sagte: „Sohn, was mich betrifft, so hat nichts mehr einen Reiz für mich in diesem Leben. Was ich hier noch machen soll, und warum ich hier noch bin, weiß ich nicht, da keine Erdenhoffnung mir übrig ist. Eines war’s, weswegen ich in diesem Leben noch etwas zu verweilen wünschte: daß ich dich als rechtgläubigen Christen sähe, ehe ich sterbe. Ueber meine Erwartung hat mir Gott dies gewährt, da ich dich nun als Seinen Diener sehe, der alles Erdenglück verachtet. Was mache ich ferner hier?“ Etliche Tage darauf erkrankte sie und fiel in Ohnmacht. Ihre Söhne Augustinus und Navigius eilten herbei. Bald kehrte ihr das Bewußtsein zurück; sie schaute umher und fragte: „Wo war ich?“ Traurig standen die Söhne vor ihr. „Werdet ihr hier eure Mutter begraben?“ fragte sie. Augustinus schwieg und hielt die Thränen zurück. Navigius äußerte den Wunsch, daß sie nicht hier, sondern in Afrika sterben möchte, welches, wie er sagte, besser wäre. Als Monika dies hörte, warf sie auf ihn einen bekümmerten. Blick des Mißvergnügens und sagte: „Begrabet meinen Leib, wo ihr wollt, und seit meinetwegen ohne Sorgen. Ehedem wünschte ich wohl, neben meinem Manne in Afrika begraben zu werden, aber jetzt glaube ich, nichts ist fern von Gott, und ich fürchte nicht, daß Er am Ende der Tage nicht wissen werde, wo Er mich auferwecken wolle.“ Sie verschied am neunten Tage der Krankheit, und heftiger Schmerz ergriff Augustinus und seinen Bruder; doch hielten sie die Thränen zurück, weil es ihnen ungeziemend schien, Seufzer und Thränen einer Seele nachzusenden, von deren Seligkeit sie gewiß waren.
Emilia
Der berühmte Kirchenvater Basilius von Cäsarea erhielt auf seinem einsamen Landsitze in Pontus durch seine fromme Großmutter Emilia seine erste Erziehung, und diese streute in sein kindliches Gemüth den Samen des Christenthums. Als er von seinen literarischen Studien in Athen nach seiner Vaterstadt Cäsarea zurückkehrte, und er durch den Glanz den seine Talente über ihn verbreiteten, von der ernsten Richtung des Lebens abgezogen werden konnte, da wurde die Wirkung der frommen Großmutter auf sein Gemüth erneuert durch den Einfluß seiner frommen Schwester Mawina, die früh durch das Lesen der heiligen Schrift von jener Großmutter war gebildet worden, und bei der jene erste Anregung der Kindheit in einem stillen Leben ohne Unterbrechung fortgewirkt hatte. Basilius empfing jetzt die heilige Taufe, die einen neuen Abschnitt in seinem Leben begründete; er bereitete sich von nun an in der Einsamkeit und im Umgange mit Gleichgesinnten, durch das Studium der heiligen Schrift zu dem geistlichen Amte vor. Er selbst sagte von dieser neuen Richtung seines Lebens : „Als ich, der ich viele Zeit mit eitlen Dingen verschwendet, und fast meine ganze Jugend in der Erlernung jener von Gott zur Thorheit gemachten Weisheit verbraucht hatte, gleichsam aus einem tiefen Schlafe erwachend, zu dem wunderbaren Lichte der Wahrheit des Evangeliums hinblickte, erkannte ich das Unnütze der Weisheit der Obersten dieser Welt, welche vergehen; da beklagte ich mein bisheriges trauriges Leben, ich suchte Hilfe, die göttliche Wahrheit mir anzueignen, und vor Allem strebte ich nach Besserung meiner Sinnesart, die lange Zeit durch den Umgang mit Schlechten verderbt worden war.“
Natalia
Als die gottesfürchtige Christin Natalia, welche zu Anfang des vierten Jahrhunderts lebte, hörte, das ihr Gemahl Adrianus zu Nicomedien gefänglich eingezogen und mit Ketten belastet werden, so erschrak sie anfangs, indem sie fürchtete, er möchte irgend etwas Unrechtes begangen haben, sobald sie aber hörte, er sei um des Bekenntnisses Christi willen mit 33 andern Christen in’s Gefängnis geworfen worten, so schwand ihre Angst dahin, obgleich sie zugleich vernahm, Maximianus werde Alle mit einander umbringen lassen. Es blieb ihr nur die eine Besorgnis noch, ihr Mann möchte durch den Anblick der Marter der Andern verzagt werden und in Gefahr gerathen, seinen Glauben zu verleugnen. Um dieses zu verhüten, und ihm die Märtyrerkrone zu sichern, ging sie zu den Henkern und bat sie, sie möchten doch bei der Hinrichtung ihren Mann zuerst vornehmen. Dies geschah und Natalia ward eine Witwe. Nach einiger Zeit warb der Landpfleger von Nikodemien um ihre Hand. Sie aber erbat sich eine Bedenkzeit von drei Tagen, bestieg ein Schiff und floh nach Konstantinopel. Der Landpfleger setzte ihr nach, aber ein Sturmwind vereitelte sein Vorhaben, und Natalia gelangte unter göttlichem Schutze glücklich an ihren Bergungsort.
Nonna
Die fromme Nonna hatte sich lange bemüht, ihren Gemahl Gregorius, welcher einer nicht christlichen Religionssekte angehörte, für das Evangelium zu gewinnen. Oft betete sie mit heißen Thränen für sein Heil, drang in ihn mit langem Zureden und mit nachdrücklicher Rede, aber mehr als das Alles wirkte, wie Gregor von Nazianz, ihr Sohn, sagt: ihre im Leben sich bewährende Frömmigkeit und ihr anhaltendes Gebet. In allen äußerlichen Dingen ihrem Gatten nach dem Gesetz der Ehe unterthan, verstand sie es doch in wahrer Frömmigkeit seine Lehrerin und Führerin zu sein. Sie löste die schwere Aufgabe, eine höhere Bildung vornehmlich in der Erkenntnis göttlicher Dinge, und strenge Uebung der Andacht mit pünktlicher Sorge für ihr Hauswesen zu vereinigen. War sie im Hause thätig, so schien sie von den Uebungen der Frömmigkeit nichts zu wissen; beschäftigte sie sich mit Gott und seiner Verehrung, so schien ihr jedes irdische Geschäft fremd zu sein: sie war bei jedem ganz und ungetheilt. Erfahrungen hatten ihr unbegrenztes Vertrauen auf die Wirkungen des glaubensvollen Gebets eingeflößt. Sie war daher die fleißigste Beterin, und überwand durch das Gebet auch die tiefsten Empfindungen des Schmerzens über eigene und fremde Leiden. Sie hatte dadurch eine solche Gewalt über ihre Seele erlangt, daß sie bei allem Traurigen, was ihr begegnete, nie einen Klagelaut ausstieß, ehe sie Gott dafür gedankt hatte. Am wenigsten hielt sie es geziemend, Thränen zu vergießen, oder ein Trauerkleid anzulegen an den Tagen der Christlichen Festfreuden; so vollständig war sie durchdrungen von dem Gedanken: „eine gottliebende Seele müsse alles Menschliche dem Göttlichen unterordnen“. Wichtiger als die Uebungen der Andacht war ihr der thätige Gottesdienst: Unterstützung der Witwen und Waisen, Besuche der Armen und Kranken. Unerschöpflich war ihre Freigebigkeit, ja selbst in’s Uebermaß ausartend, so daß sie, wie ihr eigener Sohn erzählt, sagen konnte: „Sie könnte, wenn es anginge, sich selbst und ihre Kinder verkaufen, um das erlöste Geld den Armen zu geben.“ Ein tägliches Vorbild dieser Art konnte auf den ernsten, empfänglichen Sinn des Gatten nicht ohne Einfluß bleiben. Der immer fort anschlagende Wassertropfen mußte endlich den Felsen erhöhlen. Oft hatte Nonna ihn vergebens gebeten, mit ihr Ps. 122, V. 1. zu singen: „Ich freue mich des, daß mir geredet ist, daß wir werden in’s Haus des HErrn gehen.“ Einst träumte er nun, daß er diesen Vers mit seiner Frau sänge. Dieser Traum machte so großen Eindruck auf ihn, daß ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht ergriff, an dem beseligenden Leben seiner Frau theil zu nehmen, und diesen günstigen Eindruck wußte sie sogleich, wie sie ihn selbst als Wirkung des HErrn betrachtete, glücklich zu benützen, und der Erfolg ward, daß Gregor nicht nur ein Christ wurde, sondern nach einiger Zeit zum Bischof der Gemeinde Nazianz erwählt ward.
Dieselbe Nonna eilte mit ihrem Erstgebornen, dem nachher berühmten Kirchenlehrer Gregor von Nazianz, sobald sie konnte, in die Kirche, weihte ihn Gott, daß sein Leben der Religion besonders dienen möge, und legte als Zeichen der Weihung, wie damals in solchen Fällen zu geschehen pflegte, ein Evangelienbuch in die Hand des Kindes. Die Erinnerung an diese erste Weihe machte auf das Gemüth Gregors wiederholt die gesegnetsten Eindrücke. Als Jüngling war er auf stürmischer See dem Schiffbruche nahe, und es schmerzte ihn besonders, daß er ungetauft sterben sollte. Da betete er mit heißen Thränen, daß Gott sein Leben Ihm zum Dienste erhalten möge. Und da er dann sein Gebet erhört sah, betrachtete er dies als eine zweite Weihe, als eine neue Verpflichtung zu einem ganz Gott geweihten Leben. Der Sohn, der nie ohne Gefühl der innigsten Dankbarkeit, besonders wegen des von ihr empfangenen Segens für das höhere Leben, an die Mutter Nonna zurückdachte, schilderte sie mit folgenden Zügen: „Nie besuchte sie das Theater; wenn sie gleich tiefe Empfindungen hatte, und selbst die Leiben Anderer tief empfand, ließ sie doch keine plötzliche Trauerempfindung auf solche Weise ihrer Seele sich bemeistern, daß sie nicht bei Allem, was ihr begegnete, zuerst Gott gedankt hätte. Bei Allem, was sie auch Trauriges betreffen mochte, faßte sie ihre Seele in Geduld und Ergebung, nie legte sie an einem Festtage ein Trauergewand an, denn immer wurde bei ihr das Menschliche von dem Göttlichen überwogen, die religiösen Gefühle siegten bei ihr über alle anderen, die Heilsangelegenheiten der ganzen Menschheit bewegten ihr Herz noch tiefer, als alles Persönliche. Mit ehrfurchtsvoller Andacht erschien sie in der Kirche; betend in der Kirche fand sie ihren Tod.“
Die Wirkung dieser christlichen Erziehung der frommen Nonna zeigte sich, wie bei Gregor, so auch bei ihrem zweiten Sohne Cäsarius. Zwar nahm er einen andern Lebensgang als Gregor; er wurde mehr in die Zerstreuungen des Weltlebens hineingeworfen; er erhielt alle kaiserlicher Leibarzt einen angesehenen Platz am Hofe zu Constantinopel. Er blieb sogar am Hofe, als der Kaiser Julian zur Regierung kam. Dieser dem Christenthume so feindselige Fürst, der alle ausgezeichneten Talente gern der christlichen Kirche entzog und für das Heidenthum gewann, wandte auch bei Cäsarius alle Arten der Ueberredungskunst und Versprechungen an. Schon war die Familie in der größten Besorgnis seinetwegen. Der Mutter mußte man Alles zu verbergen suchen, weil man wohl wußte, daß ihr frommes Gemüth hier auf das Empfindlichste verletzt werden konnte. Aber auch Cäsarius hielt den Glauben für die Perle, für die man alles Andere verkaufen müsse, und er verließ den Hof des Kaisers, um an der Gunst des Allerhöchsten nicht Schaden zu leiden. Als er, nach dem Tode dieses Kaisers, wieder zum Hofleben zurückgekehrt war, brachte eine merkwürdige Fügung eine neue Erweckung in ihm hervor. Bei einem Erdbeben, welches die Stadt Nicäa in Bithynien verheerte, wo er ein ansehnliches Amt bekleidete, wurde er unter den Trümmern seines Hauses begraben; doch wurde er gesund wieder hervorgezogen. Da regte sich in ihm Reue über sein früheres Leben, und er that das Gelübde, ganz von Neuem und zwar mit aller Strenge Gott zu dienen. Die Taufe, die man damals auf das Ende des Lebens aufzuschieben pflegte, war für ihn der Anfangspunkt eines neuen Abschnitte seines nun mit höherem Ernste erfüllten Lebens. Doch konnte er wenig von seinen neuen Vorsätzen in dem irdischen Leben ausführen, denn bald wurde er zum ewigen Leben abgerufen. „Ich vermache Alles, was ich habe, den Armen“, waren seine letzten Worte.
Auch an ihrer Tochter Gergenia erlebte die fromme Nonna hohe Freude: denn auch diese trat in ihre gottseligen Fußstapfen, sie hielt nicht allein ihren Mann von Sünden ab, sondern erzog auch ihre Kinde und Neffen in der Furcht Gottes. So lang sie lebte, ging sie ihnen mit dem Muster eines gottseligen Lebens voran, und als sie starb, gingen ihre letzten Erinnerungen darauf hin, daß sie sollten Gott fürchten und in Seinen Wegen wandeln. Es hatte aber ihre Frömmigkeit einen um so höheren Werth, da sie es nicht sowohl auf äußerliche Frömmigkeit anlegte, als vielmehr auf wahrhaftige innerliche Gottseligkeit, und vor Allem bemüht war, demjenigen zu gefallen, der in das Verborgene siehet.
Die Gattin des Apostels Petrus.
Wie Maria, die Mutter des Herrn, die schmerzensreiche Zeugin des Kreuzestodes ihres geliebten Sohnes sein mußte, und damit in vollem Maße das weissagende Wort des alten Simeon an ihr erfüllt wurde: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dringen“, so mußten von Anfang an auch die Frauen der Diener Jesu es erfahren, daß auch sie treffe Sein Wort: „der Jünger ist nicht über den Meister, haben sie Mich verfolget, so werden sie auch Euch verfolgen.“ „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir!“ Unter den neutestamentlichen Priesterfrauen soll nach der Erzählung des Kirchenvaters Clemens Alexandrinus die Gattin des Apostels Petrus eine Tochter des Aristobulus, des Bruders Barnabä, eine der ersten gewesen sein, welche den Märtyrertod starb. Denn da sie den Apostel auf seinen Missionsreisen begleitet (1 Kor. 9,5.) hatte, so ward sie noch vor ihm gefangen, eingezogen und zum Tode geführt; Petrus selbst aber soll sie auf diesem Gange getröstet und ihr zugerufen haben: Gedenke des HErrn, vergiß Seiner nimmermehr.“
Regula Breitinger
Am 4. April 1597 verheirathete sich Johann Jakob Breitinger, ein Züricher Prediger, mit Regula Tomman, der wohlerzogenen durch körperliche und geistige Vorzüge ausgezeichneten Tochter des Professors der griechischen Sprache Sadrach Tomman, der ihn sofort sammt seiner Mutter in seine Haushaltung aufnahm, und bald so lieb gewann, als ob er sein eigener Sohn gewesen wäre. Aber nicht minder bewährte sich Regula als eine treubesorgte Ehegattin und liebende Tochter. Ihre erste und größte Sorge war, wie sie in allem ihrem Thun und lassen vor Augen haben möge den lieben, getreuen Gott, darnach aber auch gegen ihren Ehewirth auf’s vollkommenste erstatte die Gebühr eines ehrliebenden, getreuen, gehorsamen, vernünftigen Weibes. Als schon gegen das Ende des Jahres 1597 ihre Schwiegermutter erkrankte und bis an ihr etliche Monate darauf erfolgtes Ende das Bett hüten mußte, wartete ihrer Regula bei Tag und Nacht aufs treulichste ab, eben auch hiemit die zärtliche Liebe beweisend, mit der sie an ihrem Manne hing. Sie lebte mit demselben 37 Jahre. In dieser ganzen Zeit wußte man sich keiner einzigen Stunde zu erinnern, da ihr Herz, Gemüth, Angesicht und Geberde sich im Geringsten gegen ihn geändert hätte. Sie war so begierig und beflissen seine Gesundheit zu erhalten, als ihre eigene. Aufs eifrigste bemühte sie sich alles zur Hand zu schaffen, was ihm von Aerzten angerathen wurde. Bei den mancherlei Krankheitsanfällen, denen er unterworfen war, erzeigte sie unglaubliche Aufwart viele Tage und Nächte ohne Aufhören. Mit allem möglichen Fleiße suchte sie alles vor ihm geheim zu halten, wovon sie meinte, daß es ihm Kummer und Unmuth schaffen könnte und war auf nichts mehr aus, als auf das, wodurch sie ihn zu erfreuen hoffte. Auf’s emsigste wies sie alle ihre Hausgenossen an, alles nach dem Willen ihres lieben Herrn zu thun, damit ihm durchaus kein Anlaß sich zu erzürnen gegeben werden möchte. Was ihm aber Beschwerliches begegnete, zumal in der Zeit, da er Pfarrer am Großmünster war, das konnte er ihr alles mittheilen, und sich bei ihrer Verschwiegenheit, gottseligen Gutachtens und vernünftigen Zuspruchs fröhlich bedienen, was ihm bei so schwerem Amt ein hocherwünschter Vortheil war. Als es sich zu Anfang seiner Haushaltung davon handelte, daß er Pfarrer in Glarus werden sollte, und die Schwiegermutter es sehr schwer nahm ihre Tochter in die Fremde zu lassen, da sprach Regula Breitinger ihm recht freundlich zu, er solle sich nicht zu sehr bekümmern, denn sie sei gänzlich entschlossen, ihm williglich zu folgen, wohin immer der liebe Gott ihn zum Dienst seiner Kirche berufen werde. Vor ihrer Vermählung trug sie kostbare Kleider und Kleinode, ihrem und der Ihrigen Stande gemäß; sobald aber die Hochzeit vorüber war, legte sie ohne daß sie von irgend jemand darum ersucht worden wäre, alle ihre vorigen Kleider und Kleinode ab, und selbst an Hochzeiten, Taufen, Mahlzeiten und bei andern Anlässen sah man, so jung sie auch war, nichts anderes an ihr als Schwarzes, beides von Kleidung und Geschmeide; denn sie glaubte, daß sie das dem ehrwürdigen Amte ihres Mannes schuldig wäre. Und sie that das ohne alles Trauern, vielmehr war sie dabei heiter und freudig, und zeigte stets ein ehrsames anständiges Wesen. Wie mit der Kleidung hielt sie es auch mit dem übrigen Hauswesen. Alle Einfachheit und die bloße Nothdurft war ihr so genug, wie andern ihr Ueberfluß. Was sie an Gold und Silber von ihren Eltern geerbt, oder von andern bekommen, das stand allezeit zum Dienst ihres Gemahls. So oft er zu einer Ehrenausgabe ein Stück Geldes, klein oder groß bedurfte, bot sie es ihm an, ohne daß er darum bitten durfte und nie sah man an ihr auch nur die geringste Unzufriedenheit darüber, daß dieses oder jenes weggegeben wurde. Eine große Freundin von auserlesenen Büchern, las sie fleißig Abends und Morgens in der Bibel, außerdem meistens in den Büchern, die Breitinger selbst herausgegeben. Seine Gebete konnte sie mehrentheils Wort für Wort auswendig. Mußte sie eine seiner Predigten versäumen, so war es für sie ein rechter Trauertag und damit dergleichen desto seltener vorkommen möchte, vertauschte sie ihren Kirchensitz mit einem andern, der in der Nähe der Kirchenthüre war, und von dem sie eher nöthigenfalls nach Hause gerufen werden konnte. Eine so gründliche Schriftkenntnis sie besaß, so liebte sie doch das Disputieren durchaus nicht, aber mit großer Treue unterrichtete sie ihre Dienstboten in dem, was zur Seligkeit nothwendig ist. Mit andern Leuten aber redete sie wenig von der heiligen Schrift und von dem Glauben; nicht daß sie die Worte gespart hätte, wo Belehrung, Warnung oder Trost nöthig war, sondern es war ihr darum zu thun, daß sie nicht möchte darum angesehen werden, als ob sie viel wüßte; denn alle ihre Gedanken waren in Demuth einzig dahin gerichtet, daß sie gefallen möchte dem lieben Gott und ihrem Erlöser Jesu Christo. Zwar legte sie sich nie auch nur im Mindesten in das Predigtamt und die sonstigen Amtsgeschäfte ihres Mannes, aber wenn er auf’s Rathhaus oder zu andern wichtigen Verrichtungen ging, so begleitete sie ihn stets mit ihren Segenswünschen und Gebeten. Eine besondere Tugend an ihr war, daß sie so frei von allem Vorwitz war; so groß auch der Anlauf von Hohen und Niedern war, welche bei ihrem Manne sich Raths erholten, so fragte sie doch nie, was dieser oder jener gewollt, wenn Breitinger nicht selbst etwas sagte. Eben dies gab auch bekümmerten Gemüthern so viel Muth ihm als ihrem Seelsorger alles anzuvertrauen weil sie wußten, daß alles verschwiegen blieb. Daneben wußte sie mit denen, welche von ihrem Manne traurig oder zornig weggegangen, so tröstlich und beschwichtigend zu reden, daß ihr Wort wie ein lindernder Balsam in den Seelenwunden war, und viele zarte Herzen erleichtert, viele rauhe Gemüther gewonnen wurden.
Die ganze Last der Haushaltung nahm sie allein auf sich und besorgte alles pünktlich nach seinem Wunsche und Willen, zwar mit aller Sparsamkeit, aber so ehrenhaft und freundlich, daß jedermann gerne mit ihr zu thun hatte, und so freigebig gegen die Armen, daß diese in allen Stücken von ihr unterstützt wurden, und doch selten erfuhren, woher die Gaben kamen. Insbesondere erfreuten sich ihrer Mildthätigkeit Vertriebene verschiedener Nationen und Religionen, so wie alle Kranken und Gebrechlichen. Bis in ihr fünfzigstes Jahr genoß sie eine gute Gesundheit; dann aber litt sie bei ihrem großen und schweren Leib viel an Engbrüstigkeit und konnte nicht mehr viel ausgehen. Die letzten zwei Jahre waren besonders beschwerlich; endlich wurde sie 1634 bettlägerig; da wurde ihr aber auf ihrem Lager reichlich vergolten, was sie ehedem an Kranken gethan. Jedermann befließ sich ihr Erleichterung zu verschaffen und mit heiterem Glaubensmuth durfte sie von hinnen scheiden.
Sibylle Mathesius
Am Montag nach dem Andreasfeste im Jahr 1543 trat Magister Johann Mathesius, der Bergmannsprediger im St. Joachimsthal, in den Stand der heiligen Ehe. Die Auserwählte war eines seiner Pfarrkinder, Sibylle Richter, eine Tochter des Hüttenreuters Paul Richter. Schon öfters hatten ihre Eltern ihr zu einer Heirath zugeredet, aber jedesmal hatte sie ihre Antwort nicht eher gegeben, als bis sie in ihrem Kämmerlein zu Gott gebetet: lieber Vater, beschere mir Einen, der dein Wort lieb hat, so bin ich gewiß, er wird um deinetwillen auch mich beständig lieb haben; und in Erfüllung dieses Gebetes war sie bis dahin noch immer ledig geblieben; als ihr nun aber der HErr den frommen Priester Mathesius zuführte, da hielt sie es für die größte Ehre und sprach öfters ihren Dank aus, daß der Sohn Gottes sie zu seines Dieners Hausfrau verordnet habe. Es gab auch nicht leicht eine glücklichere Ehe, als die der Pfarrleute im Joachimsthal. Mathesius sagt von seiner geliebten Sibylle, indem er zu seinen Kindern spricht: „Eure liebe Mutter hat dies Zeugnis männiglich in dieser Gemeine, auch bei mir und ihrem Beichtvater hinter sich gelassen, daß sie eine gottesfürchtige, gläubige und christliche Matrone ist gewesen, die den Sohn Gottes, sein Wort und seine Diener lieb, und werth gehalten. Ihr wisset, daß sie keine Predigt versäumt und allezeit ihr Psalterlein mit zur Kirche getragen und daheime sehr gerne gelesen und von der Predigt geredet hat, wie sie auch die ganze Predigt vom Abendmahl des HErrn und das 15. Kapitel an die Korinther mit eigener Hand hat abgeschrieben. O wie eine fleißige Zuhörerin war sie! darum sie auch allemal den Text, den man auslegte, vor sich hatte. – Die ganze Bibel hat sie ihrem Mann nach Tisch dreimal – fein deutlich gelesen. Dabei blieb sie stets in Demuth dessen eingedenk, daß der Mann ist des Weibes Haupt. Sie war liebreich, holdselig und freundlich gegen Jedermann. Nie hörte man ein unschön und unfreundlich Wort von ihr, oder sah eine übelstehende Geberde. Nie ist sie mit mir uneins geworden, sie hat nur zu Glimpf und Sühne helfen reden, meine Freunde lieb und werth gehalten, ist verschwiegen, pünktlich und reinlich gewesen und meine treue Schafmeisterin. War ich in Nöthen und Betrübniß, so tröstete sie mich mit Gottes Wort und rieth mir an, daß ich ja nichts wider das Gewissen thun soll. Sie war willig und bereit, mit mir bis an der Welt Ende zu ziehen, so es die Noth erforderte.
Einmal da es mit meiner Stellung im Joachimsthal sehr schwierig stand, tröstete sie mich: „Seid getrost, lieber Hauswirth, ich will über Berg und Thal mit Euch, man wird uns unsers HErrn Gottes Land wohl nicht können verbieten. Denn die Erd‘ ist des HErrn und was darin ist; Er wird uns Kraft seiner Zusage nicht Waisen lassen, sondern schon ein Hüttchen und Oertlein geben. Schlaget demnach alle Traurigkeit aus Eurem Herzen. Kümmert Euch mein und unserer Kinder halber nicht; thut Ihr, was recht ist, und meinetwillen handelt bei Leib wider Euer Gewissen nicht. Gott lebet noch, der wird mich und Eure Kinder als der rechte Witwen- und Waisenvater wohl zu versorgen wissen, und da Er uns hier gleich eine Zeit lang von einander reißet, wird Er uns doch vor seinem Angesicht in ewigen Ehren wieder zusammenbringen, da ich Eure ewige Gefährtin sein und bleiben werde.“ Auch in eigenen Nöthen bewies sie große Geduld. Als sie in ihrem ersten Wochenbette unglücklich war, sagte sie: HErr Jesu, der Du allein für die Kinder so fröhlich aus Mutter Leib kommen, und kindlich unter der Jungfrau Herz gewesen bist, und hast Jakob, den Erzvater, und Johannes den Täufer im Mutterleibe mit dem heiligen Geiste auf ihrer Mutter Gebet gesegnet, ich habe Dir ja mein armes Würmlein, von der Zeit, so ich’s gefühlt, treulich befohlen. Ich glaube und hoffe gänzlich, mein liebes Kindlein, darein der Tod seine Zähne um mein und meiner Sünde willen geschlagen, lebe noch in Deinen Augen, und Du wirst mir’s erwecken, und mich es in seinem völligen Alter sehen lassen. Denn obwohl Du nach Deinem Wort die getauften Kinderlein selig machst, nimmst Du Dich auch aller dieser an, die Dir durch gläubiger Eltern herzliche Seufzer zugebracht, und in ihrem oder zwar in Deinem Blute getauft und mit Deinem Geiste unter ihrem Mutterherzen besprengt worden.“
Sie erfreute ihren Mann mit 7 Kindern, darunter waren 4 Söhne. Unter denselben war das gebrechliche Kasperli, das mit einer gräulichen Hasenscharte und aufgespaltenem Gaumen auf die Welt kam. Als die Mutter dieses Kind sah, war sie, wie sich wohl denken läßt, sehr erschrocken und betrübt, doch tröstete sie sich alsbald und sagte: „Am jüngsten Tage wird dies alles heilen, wenn Christus uns von allem Jammer und Herzeleid erlösen wird.“ Das Eheglück im Joachimsthalischen Pfarrhause währte aber nicht viel über zwölf Jahre. Schon zwei Jahre vor ihrem Tode that die theure Frau Aeußerungen über ihren Heimgang. Das erste, was sie schwer angriff und in tiefe Betrübnis versetzte, war der Tod ihrer lieben Schwester, die in ihrem ersten Wochenbette ihr Leben lassen mußte. Diese Trauer machte, daß Sibylle oft sehr schwere und ängstliche Träume und Schrecken im Schlafe hatte. Einen Hauptstoß aber versetzte ihr der Tod ihres oben erwähnten lieben, armen Kasperli’s. Von der Zeit ist all ihr Muth und Freude darnieder gelegen, und stets ist sie mit Sterbensgedanken umgegangen. Als sie solche Sterbensgedanken hatte, war ein Töchterlein unterwegs. Schon am zweiten Tage nach seiner Geburt bekam sie einen geschwinden und hitzigen Fluß, den sie wohl auch sonst unter solchen Umständen gefühlt hatte, der ihr aber diesmal nach Gottes Willen tödtlich werden sollte. Aber so groß auch ihre Schmerzen waren, sie bewährte sich doch als ächte Christin. Ganz getrost befahl sie ihre Sache dem lebendigen Gott. Als ihr Mann sehr betrübt war, tröstete sie ihn: „Wie stellt Ihr euch also? Haben nicht eure guten Freunde auch ihre liebsten Hausfrauen zu Gott wieder heimgehen lassen und die sind unverloren? Ihr werdet mich auch wieder finden. Ihr habt um einen Erben gebeten, damit Ihr auch unserm Gott einen Diener hinter Euch ließet. Nun hat Euch Gott von mir sieben Kinder bescheret, daran Ihr Euer und mein, auch meines lieben Vaters und Bruders und Eurer Mutter und Schwester Bild sehet. Die lasset Euch um des HErrn Christi und meinetwillen befohlen sein. Denn Gott wird mit Euch und mit ihnen sein, und uns in Kürze wieder fröhlich zusammenbringen.“ Als ihre Mutter sie fragte: wem sie ihre kleinen Kinderlein befehlen wollte? erwiderte sie mit einem sehnlichen Seufzer: „Meinem treuen Gott und meinem lieben Mann.“
So hatte sie die Ihrigen gut befohlen, aber sie war auch hauptsächlich mit dem Heil ihrer eigenen Seele beschäftigt.
Man hörte sie öfters den Sohn Gottes anrufen, sie tröstete sich dabei ihrer heiligen Taufe. Als sie noch gehen konnte, hatte sie sich durch einen Kirchendiener abholen, und den Leib und das Blut Christi im heiligen Sacrament reichen lassen. Endlich da die Schmerzen größer wurden, und die Leibeskraft ihr ausgehen wollte, dankte sie Gott, der sie zur Erkenntnis des Evangeliums berufen und bis an ihr Ende dabei erhalten, und gesegnet mit vielen Thränen und befahl ihre Seele dem Sohne Gottes zur treuen Hand. Am siebenten Tage ihres Lagers, es war am 23. Februar 1555, nahm die Hitze sehr überhand, sie fühlte besonders ihren Kopf sehr schwach, da sprach sie: „Ach Gott! wie geschicht mir! Wollte ich doch auch gerne sanft und stille einschlafen: Lieber HErr Jesu! tröste mich mit Deinem Geist, und erhalte mich an Deinem Wort, und nimm mich in einem seligen Stündchen auf, wie Du St. Stephans Geist aufnahmst.“ Jetzt lag sie noch etliche Stunden ganz stille und erlosch wie ein Licht. Mathesius war tief betrübt über ihren Tod. Der Schmerz währte fort bis zu seinem Ende, es blieb immer eine blutende Wunde, und er konnte sich nicht mehr entschließen, aus seinem Witwenstand herauszutreten, und noch einmal die Ehe zu erwählen. Seine ganze Liebe richtete sich jetzt auf die sieben theuren Kinder, die ihm Sibylle hinterlassen und so herzlich empfohlen hatte. Ihnen widmete er seine ganze Sorgfalt, und ließ es sich aufs treulichste angelegen sein, sie nach dem Sinne der Entschlafenen auf christliche Weise zu erziehen.