Katharina Zell.

1497-1562?

Zu dem Bilde der Argula von Grumbach finden wir ein anziehendes Gegenstück in Katharina Zell. Sie stellt sich der „bairischen Deborah“ als die „elsässische“ ebenbürtig zur Seite. Es ist merkwürdig, wie diese zwei lutherischen Frauen ihrem Freunde in Wittenberg durch Streitfertigkeit und Lehrhaftigkeit sich wahlverwandt erzeigen. Beide waren reich an Verstand und Gemüt, mutvoll und beredt, voll brennenden Eifers für die Sache des Evangeliums und unermüdlich tätig im Dienste desselben. Beide mussten und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie über die Schranken des weiblichen Berufes hinausgegangen seien, in Streitigkeiten sich gemischt hätten, welche sie „nichts angingen“ und dass ihr Selbstgefühl teilweise in Selbstgefälligkeit ausgebrochen sei. Nun wollen wir aber ja keine katholischen Heiligenbilder, sondern christliche Frauenbilder betrachten, die als „sündige Töchter Evens“ durch ihre Fehler, wie durch ihre Tugenden zur Lehre dienen sollen: daher sei uns auch „die Zellin“ freundlich willkommen.

Katharina Zell, eine geborene Schütz, erblickte das Licht dieser Welt ums Jahr 1497 zu Straßburg in einer ehrbaren Handwerkerfamilie. Ihr Vater war Schreinermeister. Die trefflichen Anlagen des Kindes wurden durch eine sorgfältige Erziehung ausgebildet, ihr heller Sinn bekam in dem frommen schlichten Bürgerhause frühe eine feste Richtung aufs Religiöse. Hören wir, wie sie später als Witwe in einem offenen Briefe als in einer mannhaften Schutz- und Trutzschrift gegen Missurteile und Anklage vor aller Welt sich selber schildert. „Von Mutter Leibe an“, schreibt sie, „hat mich der Herr gezogen, und von Jugend auf gelehrt, darum hab‘ ich mich auch seiner Kirche nach dem Maße meines Verstands und der verliehenen Gnade zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; dass mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben. Deshalb auch mein frommer Matthäus Zell zur Zeit und Anfang seiner Predigt des Evangeliums mich zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hilfe in seinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugnis geben wird am großen Tag seines Gerichts, dass ich treulich und einfältig getan habe, mit großer Freud und Arbeit, Tag und Nacht meinen Leib, meine Kraft, Ehre und Gut, dir, du liebes Straßburg! zum Schemel deiner Füße gemacht habe. Dies hat auch mein frommer Mann mir herzlich gerne zugelassen, und mich sehr darum geliebt, sich selbst und sein Haus meiner oft ermangeln lassen, und mich gern der Gemeinde geschenkt.“

Weiter erzählt sie, wie sie aus der römischen Gefangenschaft in die evangelische Freiheit, aus der Obrigkeit der Finsternis zu Christi wunderbarem Lichte gekommen. „Ich bin seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrte geliebt, viele besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden noch Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehabt. Deshalb auch mein Vater, Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele besprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben. Da aber meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in all meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich den Leib und Seel bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir gangen wie dem armen Weiblein im Evangelio, das alles sein Gut bei den Ärzten immerdar verlor; da es aber von Christo hört und zu ihm kam, da wurde ihm durch denselbigen geholfen. Also mir auch und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig, und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnaden Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Übung und Sakramenten derselbigen Kirche nie keine Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften den lieben und jetzt seligen Doktor Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschrieb, dass ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen bittern Hölle in das lieblich süße Himmelreich, dass ich gedacht an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen und hinfüro sollt du Menschen fangen.“ Ich hab mich Tag und Nacht bearbeitet, dass ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hie das Evangelium habe lernen erkennen, und helfen bekennen, das lass ich Gott befohlen sein.“

Am 3. Dezember. 1523 in ihrem 26. Lebensjahre verheiratete sie sich mit Magister Matthäus Zell, der zu Kaisersberg im Elsass 1477 geboren erst Professor und Rektor der Universität zu Freiburg im Breisgau, seit 1518 Leutpriester zu St. Lorenz am Münster zu Straßburg und der erste evangelische Pfarrer dieser wichtigen Reichsstadt war. Martin Bucer1auch Butzer, der schon früher in die Ehe getreten war, segnete ihren Bund ein; zum Schlusse der heiligen Handlung feierte das neue Ehepaar das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Die weiten Räume des Münsters waren dabei dicht voll Menschen, welche freudig ihre Beistimmung zu solcher evangelischen Priesterehe bezeugten. Frau Katharina war eine fromme, tätige, treue und verständige Hausfrau, in seltener Herzens- und Geistes-Einheit mit ihrem Gatten. Sie sagt selber darüber: „Gar oft hab ich mich verwundert, und Gott gedankt, dass wir beide, mein seliger Mann und ich so durchaus eines Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind. Wie es dann unser Haushalt, Leben und Wesen in den vierundzwanzig Jahren und fünf Wochen bewiesen hat, da wir bei einander gewesen ein Herz und eine Seele. Ich bezeuge, dass ich vom Tage unserer ehelichen Einsegnung an getan habe, was dem Evangelio und der Seinigen geziemte. Als wir uns verbanden, war die Rede nicht von Wittum, Morgengabe, Silber oder Gold. Wir beiden hatten höheres Ding: Christus war unser Augenmerk. Wir gedachten an die Feuer- und Wassertaufe, und ich an das Wort des Apostels, 1 Tim. 5. der nicht bloß den Witwen, sondern den Weibern zur Pflicht macht, dass sie ein Zeugnis guter Werke haben, dass sie die Kinder wohl erziehen, gute Hausmütter seien, gerne herbergen, der Heiligen Füße waschen, den Bedrängten Handreichung tun, allem guten Werk nachkommen, dem Manne untertan seien; auf dass Gottes Wort nicht gelästert werde. Dann stand mir jenes Wort des Petrus, 1. Brf. 3,1-4, immer im Angedenken; die, welche dem Worte Gottes noch nicht Gehör geben, sollen durch der Weiber Wandel gewonnen werden, ihr keuscher Wandel soll sie beschämen. Wir gaben auch unsers Leibes Ehre und Gut Gott und Christo, seinem Sohne zum Opfer dar. Auch hieß mich mein Mann armer und verjagter Leute Mutter sein, so lange uns Gott beisammenließe. Da hab ich unserer ehelichen Verlöbnis und meines Mannes Befehl Folge geleistet mit Leib, Ehre und Gut, ja großer Unruhe, die ich mir selbst gemacht habe, dem Herrn Jesu und seiner Predigt zu Ehren.“

Matthäus Zell hatte samt seinen Freunden Capito, Hedio, Bucer, Firn manche Anfechtung zu erleiden; da stand ihm seine Gattin ritterlich zur Seite und machte bei Freunden und Feinden fast noch mehr Aufsehen und Eindruck als er selbst. Sie war trefflich geschult und fast gelehrt, das Forschen in der Schrift gab ihr eine bedeutende religiöse Erkenntnis, mit einem seltenen Mute und einer großen natürlichen Beredtsamkeit ausgestattet verstand sie auch mit der Feder ihre Überzeugungen gründlich und in fließender Schreibart zu verfechten. Die Verbreitung des lautern Evangeliums war ihr eine wahre Herzens-Sache und Lebens-Aufgabe. Wenn hiernach ihr Gatte wohl etwas hinter ihr zurücktrat und sein (wir dürfen fast sagen, ihr) Amtsgenosse Bucer den guten Matthäus achselzuckend „von einem Weibe beherrscht“ nennt, so kann uns das nicht wundern bei einem so stark ausgeprägten Charakter, wie Katharina. Dennoch musste Bucer selbst ihr das Zeugnis geben „sie ist gottesfürchtig, grundstudiert und mutvoll wie ein Held“ wenn er auch ihre besondere Art nicht gerade liebte und dem Urteil über sie hinzufügt: „aber es wyblet doch immer ein wenig um sie.“

Bald nach ihrer Verehelichung wurde sie auch mit Luther bekannt, und schon im Jahre 1524 schrieb dieser ihr folgenden Brief: „Der tugendsamen Frauen, Katharina Schützin, meiner lieben Schwester und Freundin in Christo in Straßburg, Gnade und Friede in Christo. Meine Liebe! Dass dir Gott seine Gnade so reichlich gegeben hat, dass du nicht allein selbst sein Reich siehest und kennest, sondern dass er dir auch einen solchen Mann bescheret hat von welchem du täglich ohne Unterlass besser lernen und immer neu Gutes hören magst, gönne ich dir wohl und wünsche dir Gnade und Stärke dazu, dass du solches mit Dank behaltest bis auf jenen Tag, da wir uns alle sehen und freuen werden, wills Gott! Jetzt nicht mehr. Bitte Gott für mich und grüße mir freundlich deinen Herrn, Matthäus Zell. Hiermit Gott befohlen. Am Sonnabend nach Lukas 1524.“

Wie mit Luther, so stand sie auch mit andern Gottesgelehrten im Briefwechsel, namentlich mit Zwingli und Bullinger, selbst dem Bischof von Straßburg schrieb sie raue Briefe.“ Bei all dem gerechten Selbstgefühl, das sie haben durfte und bei der Selbstgefälligkeit, die sich hin und wieder an ihr zeigte, wusste sie dennoch ihre Schranken und ihren eigentlichen Beruf einzuhalten. Sie wollte nur die treue Gehilfin ihres Mannes sein und „ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen.“ Wie sie sich in das Amt ihres Mannes als eine rechte Helferin oder Diakonissin nach apostolischem Vorbilde zu teilen verstand, wie sie ihren weiblichen und geistlichen Beruf am liebsten erfüllte in Werken unermüdlicher Wohltätigkeit gegen Notdürftige überhaupt und insbesondere gegen bedrängte, verfolgte, flüchtige Glaubens-Genossen, für welche Straßburg gleich der freien Schweiz eine sichere Schanze und Zuflucht bot, davon erzählt sie wiederum selbst:

„Ich hab schon im Anfang meiner Ehe viel herrlicher gelehrter Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: unterstütze und stärke die müden Knie.“ „Das hab ich nach meinem Vermögen und gegebener Gnaden Gottes getan.“ „Einmal fünfzehn lieber Männer aus der Markgrafschaft Baden mussten weichen, sie wollten dann wider ihr Gewissen tun, unter welchen ein gelehrter, alter Mann war, hieß Doktor Mantel, der mich samt andern zu Baden innen ward, zu mir kame, Rat und Trost von mir begehrte, da er mit Weinen sagte: „Ach ich alter Mann mit viel kleiner Kinder!“ Da ich ihm aber Matthäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreut und seine müden Knie gestärkt! Dann er Angst und Schrecken verursacht, hat vier Jahre schwer gefangen gelegen. Im 1524. Jahre mussten auf Eine Nacht anderthalb hundert Bürger aus dem Städtlein Kenzingen im Breisgau entweichen, kamen gen Straßburg, deren ich auf dieselbige Nacht achtzig in unser Haus aufgenommen und vier Wochen lang nie minder dann fünfzig oder sechzig gespeist, darzu viel frommer Herren und Bürger steuerten und halfen erhalten. Im 1525. Jahre, nach dem Totschlag der armen Bauern, da so viel elender erschrockener Leut gen Straßburg kamen, hab ich sie mit Meister Lux Hackfurt, des gemeinen Almosen-Schaffner, nebst zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, in das Barfüßer-Kloster geführt, da es eine große Menge ward und hab viel ehrlicher Leute, Mann und Weib angerichtet, dass sie ihnen dienten und große Steuer und Almosen gegeben wurden.“ Solche Werke der Barmherzigkeit habe ihr Mann ihr herzlich gern zugelassen; er hat mich um so mehr, sagt sie, darum geliebt, sein Leib und Haus meiner vielmehr lassen ermangeln und mich gern der Gemeinde geschenkt; mir auch solches nicht mit Gebot, sondern mit freundlicher Bitt, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen; dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahr und elf Wochen nach Zells Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselben Gutes getan habe, in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ Unter andern rief sie nach Straßburg in ihr Haus den treuen frommen Prediger, Marx Heilandt von Calw, im Württemberger Land, damals verjagt; „durch mich beschrieben hieher,“ sagt Frau Zell, „kam er hie auf den Predigtstuhl und hat auch hie sein Leben geendet.“

Frau Zell fuhr fort in diesem Sinn zu handeln und wo ein wohltätiges Werk zu vollbringen war, da war sie eine der Vordersten, die Hand anlegten, und das Ihre nicht sparten. Als im Jahre 1543 in Folge der Reformation, und da Straßburg ein von alter Zeit her berühmter Bildungsort war, sich eine bedeutende Zahl armer Schüler zusammengefunden hatte, da war Katharina eine der tätigsten, um denselben ein Unterkommen zu verschaffen. Sie fanden dasselbe in dem ehemaligen Wilhelmskloster und Frau Zell pflegte ihrer auf die treueste Weise. Sie half mit Kräften dazu mit, dass das noch jetzt bestehende Studienstift, St. Wilhelm genannt, zu Stande kam.

Doch nicht bloß an Armen und Flüchtigen bewies Zells Hausfrau ihre Liebestätigkeit. Sie gefiel sich besonders im Umgang mit den gelehrten und berühmten Männern, die ihren Gatten besuchten. Eine Glanzperiode in ihrem tätigen Hausleben war die Zeit, als im Spätjahr 1529 die berühmtesten oberdeutschen und schweizerischen Theologen auf das Religionsgespräch zu Marburg reisten. „Ich bin, so erzählt sie selber, vierzehn Tag Magd und Köchin gewesen, da die lieben Männer Oecolampad und Zwingli im 29. Jahr hie zu Straßburg waren, dass sie samt den Unsern gen Marburg zu Doktor Luther reisten.“

Wie dem weichen Matthäus Zell, so waren auch seiner Gattin die Abendmahlsstreitigkeiten und überhaupt die mannigfachen Lehrhändel in der jungen evangelischen Kirche zuwider. Mit ihrem Martha-Sinn erkannte sie das Wesen dieser letzteren im liebtätigen Glauben und nicht im Festhalten an ausgeprägter Glaubens-Formel. Daher geschah es, dass sie nicht selten durch ihre freimütigen Äußerungen bei den lehreifrigen Amtsbrüdern ihres Mannes anstieß, insbesondere bei Martin Bucer, der in diesen Lehrstreitigkeiten als Friedensstifter und gar nicht glücklicher Vermittler zwischen Luther und Zwingli ungemein tätig war und der in einem ungedruckten Briefe sich über die tatkräftige, zungen- und federfertige Frau gelegentlich äußerte, sie sei eine tadellose Frau, habe aber zu viel Selbstliebe.

Nachdem im Jahre 1536 „die Wittenberger Concordie“, d. h. die Vereinigung der oberdeutschen Städte mit der lutherischen Lehre, abgeschlossen worden, unternahm der schon alternde Zell noch eine Reise zu Dr. Luther nach Wittenberg gleichsam zur Versiegelung des Friedens. Seine Gattin begleitete ihn. Sie erzählt: „Ich bin eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Krankheit und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab‘ dennoch meinen Mann so lieb gehabt, dass ich ihn nit allein hab lassen wandeln, da er (1538) unsern lieben Dr. Luther, und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören, hab ich meinen alten fünfundachtzigjährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen und bin mit ihm wohl 300 Meilen aus und ein auf der selbigen Reis‘ gezogen. So bin ich mit ihm in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andre Ort gereist, diese Gelehrten alle auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihn zu tragen, wie er es denn wohl bedurft hatte, dass ich mehr denn 600 Meilen mit ihm in seinem Alter gereiset mit großer Mühe und Arbeit meines Leibes, und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, das mich aber nit gedauert und noch nit reut, sondern Gott darum danke, dass er mich solches Alles sehen und hören hat lassen.“

Indessen ließ sie sich durch die Verbindung mit Luther nicht von ihrer weitherzigen Duldsamkeit und Gastfreundlichkeit abhalten. In völliger Übereinstimmung mit ihrem Gatten wiederholte die edle Frau oft: „Es soll jeder seinen Zugang zu uns haben und alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Teil und Gemein an unserem Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Teil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, er sei wo er woll‘. Also hab ich mit Zells Willen und Wohlgefallen mich vieler Leut angenommen, für sie geredt und geschrieben, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwinglin, oder Schwenkfelden und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis oder unweis, nach der Red des heiligen Pauli, Alle haben dürfen zu uns kommen. Was hat uns ihr Namen angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

Gewiss, es steht einem Frauengemüte wohl an, in der Liebe die größte unter allen Christentugenden nach des Apostels Wort zu sehen und zu üben, somit auch herzlich Mitleid mit allen Verfolgten zu haben und jeden Unglücklichen als ihren Nächsten zu pflegen. Wir mögen auch gerne lesen, wie die wackere Frau über die Verfolger Andersglaubender zürnt: „Die armen Täufer, da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt, wie ein Jäger die Hund auf ein wild Schwein und Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darinnen wir uns vom Papsttum geteilt haben, über die Erlösung Christi, aber sich in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebt euch die Schuld, dass wir in Lehr und Leben Ursach sind, dass sie sich von uns trennen. Wer Böses tut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen und regieren, wie ihr meint, er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Lest alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium bei uns wiederum erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, der noch lebt, was er geschrieben hat von ihnen, und sie so hoch beschirmt, dass eine Obrigkeit nit mit ihnen zu tun hab, dann in bürgerlichen Sachen. Lest es in dem Büchlein, das der gut Mann Martinus Bellius an den Fürsten und Herzog Christofel zu Wirtemberg2Christoph von Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todbrand zu Genf, da er für und zu dieser Zeit aller Frommen, Verständigen, Gelehrten, … Rede und Meinung fleißig zusammengezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, die man Ketzer nennt, soll handeln. – Wenn euch die Obrigkeit folgte, sie würde bald ein Tyrannei anfangen, dass Städt und Dörfer leer würden. – Straßburg steht noch nicht zum Exempel Schand und Spott dem Teutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmung der Elenden; ist auch noch nit müd worden, Gott sei Lob und ist mancher armer Christ noch darinnen, den ihr gern hättet gesehen hinaus treiben. Das hat der alte Matthäus Zell nit getan, sondern die Schafe gesammelt nit zerstreut; hat auch in solches nie gewilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel und im Konvent der Prediger gesagt: ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, dass ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.“ -((Wohl! aber da versteht sie ihren lieben Luther und Brenz schlecht, wenn sie nicht bloß den Andersglaubenden im Unglück ins Haus führt, sondern auch den „Glauben der Kirche und den Glauben der Schwarmgeister um der Liebe willen“ gleich stellt. Luther ist erbötig im Leben jede Liebe seinen Gegnern zu erweisen, aber in der Lehre könne er nicht Buchstab noch Titel nachlassen. Denn die Lehre sei wie ein fein ganzer güldener Ring, daran kein Risslein noch Bruch: „Wir sind bereit und willig,“ sagte er, Friede und Liebe ihnen zu erzeigen, so ferne sie uns die Lehre des Glaubens unverletzt und ungefälscht lassen. Wo wir solches nicht bei ihnen erhalten können, ist es vergebens, dass sie die Liebe so hoch rühmen. Verflucht sei die Liebe in Abgrund der Höllen, so erhalten wird mit Schaden und Nachteil der Lehre vom Glauben, der billig Alles zumal weichen soll, es sei Liebe, Apostel, Engel vom Himmel und was es sein mag.“))

Unter all den vielen Fremden, welche Gastfreundschaft im Zellschen Hause genossen, fand insbesondere Kaspar Schwenkfeld, der schlesische Edelmann, welcher als Vertriebener im Jahre 1528 nach Straßburg kam, den meisten Anklang. Die Wärme, welche allen Schwärmern eigen zu sein pflegt, die Gefühligkeit und Geistigkeit seiner Richtung, sein achtungswerter Charakter und das adelig feine Wesen in seiner ganzen Erscheinung gewannen ihm das Herz des Zellschen Ehepaars. Je mehr er mit seinen angeblichen besonderen Offenbarungen als Kirchenfeind angefochten war, desto mehr fühlte sich die ihm etwas wahlverwandte Frau sogar von seiner Irrlehre angezogen, die statt auf die Kraft des Worts und Sakraments auf das rein innerliche Licht und Leben ging, Christi Menschheit von der Gottheit verschlungen erklärte und durch all das dem angefochtenen Gläubigen seinen Haupt-Anker nahm.

Auch nachdem Schwenkfeld die Stadt Straßburg verlassen hatte, blieb Frau Zell im Briefwechsel mit ihm. Die Briefe sprechen alle gegenseitige innige Hochachtung, Liebe und Geistesgemeinschaft aus. Schwenkfeld nennt sie „herzliebe Frau Katharina“, wünscht ihr Beständigkeit und Wachstum im Glauben und für ihren Hauswirt Meister Matthäus Zell bittet er, der Herr Jesus Christus wolle ihm in wahrer Einfalt des heiligen Geistes sich selbsten mit Fried und Freud im Herzen zu erkennen geben, dass er mit dem lieben alten Simeon vor seinem End nu recht wahrhaftig das „Nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren“ möge singen. In einem ungedruckten Briefe (19. Okt. 1553) erzählt Frau Zell: „Mein lieber Mann hat mir Plath und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät, Tag und Nacht vergönnt, ja große Freude daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibeswartung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Er hat mir auch nie gewehrt mit euch (Schwenkfeld), dieweil ihr in Straßburg gewesen, zu reden, zu euch und euch zu mir zu gehen, euch zu hören, Guts zu beweisen, oder euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft, oder gehasst, sondern vielmehr deshalb mich sehr geliebt.“ Gewiss aber hätte er ihr viel Übles erspart, wenn er der Mann gewesen wäre, mit klarer Entschiedenheit ihr geistiger Führer auf dem Felde zu sein, wo das weibliche Herz so leicht mit dem Verstande davon eilt und deswegen der Apostel Paulus es schweigen und in der Stille lernen heißt.

Unsere liebe Zellin bewies übrigens ihre geistige Tätigkeit nicht bloß durch ihren fleißigen Briefwechsel, sondern auch durch mehrere Schriften, die sie bei verschiedenen Anlässen veröffentlichte zum Frommen der ihr so teuren evangelischen Kirche. So ließ sie im Jahr 1524 eine Entschuldigung des M. Matth. Zell erscheinen, die aber von der Obrigkeit eingezogen wurde und wahrscheinlich nicht mehr vorhanden ist3Eine Fehleinschätzung, mittlerweile gibt es diese Schrift sogar in der Glaubensstimme. In demselben Jahre verfasste sie eine Trostschrift „an die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen, meine Mitschwestern,“ deren Männer durch die Oestreicher vertrieben nach Straßburg geflohen waren. Im Jahr 1534 schrieb sie eine Vorrede zu dem bei Jakob Frölich in Straßburg erscheinenden Abdruck des Michael Weisseschen Gesangbuchs, unter dem Titel: „Von Christo Jesu unserm säligmacher, seiner Menschwerdung usw. etlich christliche und trostliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt sie: „dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch von Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher aller Laster, Buhlerei und anderer schandlicher Ding den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dünkt es mich ein sehr gut und nutz Ding zu sein, wie dieser Mann (Michael Weisse) getan hat, die ganz Handlung Christi und unseres Heils in Gsang zu bringen, ob doch die Leut also mit lustiger Weis und heller Stimmen ins Heil ermahnt möchten werden und der Teufel mit seinem Gsang nit also bei ihnen Statt hätte.“ Übrigens war dieses kein Gemeindegesangbuch, ein solches gab es damals noch nicht. Aber die gangbarsten Kirchenlieder finden sich in allen damaligen Liedersammlungen wieder, und so auch in dieser.

Unter viel Arbeit, Mühe und Liebestaten alterte Frau Zell. Sie war aber noch rüstig als ihr ehrwürdiger Gatte starb, am 9. Januar 1548 im 71. Lebensjahr. Noch in der letzten Nacht hatte Zell seine Frau gebeten, sie solle seinen Helfern (Diakonen, Unterpredigern) sagen, dass sie „Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen, und Christum predigen.“ Herzerhebend war Zells Hinscheiden und rührend ist der Bericht, den dessen Gattin uns davon hinterlassen hat. Betend für seine Gemeinde entschlief er. Die treue Gattin hatte seiner bis zum letzten Atemzug gepflegt und auch bei dessen Leichenbegängnis bewies sich Frau Zell als glaubensstarke Christin. Nachdem die Leichenrede von Bucer gehalten war, hatte diese Männin den Mut, an die Gemeinde eine zweite Leichenrede zu halten. Sie legte die Worte zu Grund: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Dabei war sie so in der Fassung, dass sie keine Träne vergoss. „Mein Mann,“ sprach sie, „ist ja nicht gestorben; er ist nur ins bessere Leben übergegangen; er lebt, er ist Gottes! Sein wollen wir auch sein.“

Traurige Tage hatte sie mit der ganzen lutherischen Kirche, als der siegreiche Kaiser Karl V. das „Interim“ und den „Schalk hinter ihm“, wie der Volkswitz sagte, einführte, d. h. einstweilen so viel als möglich vom alten Katholischen wieder einzuführen befahl. Die stückweise Einführung des Interims auch in Straßburg fiel ihr, die zugleich ihren Zell verlieren sollte, äußerst schwer. „O Straßburg,“ schreibt sie, wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen. Nimmt Gott Matthis Zell bald davon, lug um, wie es dir wird gehn!“ Und ferner: „Oh Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr, Lüt und Bücher geben, erbarm dich auch unserer Nachkommen. Kath. Zellin.“

„Oh Herr Christus mach mich fromm in dir; mein Herz soll solchem Recht nimmermehr abfallen. Katharina Zellin.“

Mit dem Tode Zells und der Abreise Bucers nach England trat in Straßburg eine weitere Veränderung ein. Die unsicher vermittelnde Ansicht und Auffassung der Kirchenlehre musste einer größeren Entschiedenheit weichen. Jüngere Prediger zumal verfuhren mit rücksichtsloser Schroffheit, ja mit bitterer Feindschaft gegen die alten Lehrer der Straßburgischen Kirche, welche Frau Zell so wert hielt. Am empfindlichsten aber schmerzte es sie, als ihr gleichsam aus ihrem eigenen Hause ein Widersacher erwuchs. Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war Pflegling im Zellschen Hause gewesen, da er sich als unbemittelter Jüngling dem evangelischen Lehramte widmete. Katharina erwies sich ihm als treu sorgende Mutter. Der junge Rabus, wohl begabt wie er war, wurde bald ein Lieblingsprediger des Volkes in Straßburg und nach Zells Tode dessen Nachfolger. Anfänglich war es das Interim und der Chorrock, wogegen er heftig ereiferte. Bald aber warf er seine scharfen Pfeile auf die früheren Zustände der straßburgischen Kirche, auf die milden, schwankenden Lehransichten ihrer Reformatoren und auf den (gerade durch seine Gutmütigkeit nicht ungefährlichen) Schwärmer Schwenkfeld. In harten Ausdrücken ließ er sich gegen Beide aus nicht bloß im Privatgespräch, sondern auch in öffentlicher Predigt. Frau Zell übernahm die Ehrenrettung der Geschmähten mündlich und schriftlich. Rabus antwortete von Ulm aus im Jahr 1557, wohin er als Superintendent war berufen worden. Sein Brief beginnt in der ungeheuren Derbheit jener Zeit: „Dein heidnisch, unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zukommen den 16. Aprilis, welcher der Karfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem giftigen, neidischen, erstunkenen, erlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch keine Besserung an dir zu verhoffen, sondern du für und für in schrecklichen Irrtumben, falscher Zeugnis und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrst“ usw. Auf dies erschien „Ein Brief an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg, von Katharina Zellin, dessen jetzt säligen Matthei Zellen, des alten und ersten Predigers des Evangelii dieser Stadt, nachgelassene Ehefrauw, betreffend Herr Ludwig Rabus, jetzt ein Prediger der Statt Ulm, sampt zweyer Brieffen ir und sein, die mag mengklich lesen und vrteilen on gunst und Hassz, sondern allein der Wahrheit warnemen. Dabei auch eine sanfte Antwort auf jeden Artikel seines Brieffs.“ Ziemlich sanft lautet es darin: „Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habet ihr mir unsanft und zugeschlossen wiederum geschickt und nit gewöllt lesen. Das hat mir wohl weh getan, als einer die euch geliebt, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden, auch helfen fürdern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es wohl aber auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzt ist worden, hab gedacht, Jahr und Verstand kommen mit der Zeit miteinander, der Herr Christus könne alle Ding ändern und Verstand ges ben. Habs demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist.“ Schon minder sanft fährt sie fort: Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, dass ihr meinet, die Leut seien Narren und verstehen nit, wann sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red und lehre, und was ihr vielmal aus Unverstand auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch, redet und lehret! Und ihr sollet es nit zürnen, ihr lernet erst aus Schwenkfelds Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euren Predigen und fluchet ihm dannoch gleich darauf; gleich wie die armen Päpstler aus unsers lieben Dr. Luthers seligen Büchern haben etwas gelernet und ihn darnach verdammen. Luget! machet euch ihrer nit teilhaftig, es wird euch sonst gehen, wie dem Propheten Bileam: was du fluchest, will ich segnen.“- Aber ganz unsanft antwortet sie ihrem Gegner, der sich in seinem Briefe an die Witwe Zell unterschrieben: „L. Rabus, Doktor der heiligen Schrift und Superintendent der Kirche zu Ulm, wider alle Zwinglische, Schwenkfeldische, wiedertäuferische Geister, daneben aber ein armer, schlechter Diener des gekreuzigten Christi und seiner Kirche“:
„Dass sich der Herr „Doktor“ unterschreibt, lass ihm gelten : es ist eben nicht ein hässlich Wort. Es heißt und soll heißen, ein gelehrter, ein verständiger erfahrener Mann in heiliger Schrift und göttlicher Kunst; ein Lehrer wohl einstudiert in die Theologie, das ist heiliger Schrift und geistlicher Dinge wohl kundig. Nun, wo ein solcher Doktor, ein weiser kluger, treuer, verständiger Lehrer göttlicher Dinge, wirklich sanft, demütig und eines stillen Geistes ist, erzogen und gebildet in der Schule Christi und des heiligen Geistes, arm im Geiste und doch reich in Gott; ein Mann, dem der Herr den Sinn der Schrift geöffnet hat, dass er Altes und Neues aus seinem Schatze hervorlangen kann zum Heil der armen Seelen da ist Gott für einen solchen zu loben. Wer sollte ihn nicht zwiefacher Ehre wert halten? Aber, wenn ein solcher stolz, aufgeblasen, einbildisch auf menschliche Gelehrsamkeit wäre; wenn er sich mit fremden Federn brüstete, wie ein Rabe krächzte, oder dem ersten dem besten den Handschuh vorwürfe, wenn er Alles überpolterte und überschnarchte, selbst redselig Niemand neben sich zum Worte kommen ließe, in Allem Recht haben und über Alles absprechen, keine Gegenmeinung dulden und lieber mit Schimpf- und Pöbelworten um sich werfen wollte; welcher Vernünftige möchte vor diesem Narren Respekt haben? – O der närrischen Titel! Kennt Ihr den nicht, der gesprochen hat: Ihr sollt Euch nicht Rabbi nennen lassen: Einer ist Euer Meister, Christus: Ihr aber seid Brüder.

„So schreibt sich Herr Rabus „Super-in-tendent. Ein viersilbiges Wort! Deutsch: ein Oberaufseher. Nun, dawider rede ich nicht viel. Den lateinischen Titel mag ich ihm wohl gönnen, besser als meinem seligen Mann: der ließ sich schlechtweg „Pfarrer“ nennen. Der nagelneue Herr Superintendent sehe indes nur fein hübsch um sich und über sich, vor Allem aber in sich. Wie mir aber solcher Name und Amt gefalle, weiß man schon, doch mags hier noch einmal stehn. Ich halte mich an meines Herrn Wort: „Ihr nicht also, wer der Oberste sein will, der sei Euer Diener.“ Das findet man in meinem Brief, den ich ihm geschrieben, wie Christus und seine Apostel Superintendenten gewesen. Und dabei mags genug sein.“

Dieser Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war übrigens ein tüchtiger Gottesgelehrter, der sich zumal um Straßburg und Ulm wohl verdient gemacht, und der evangelischen Kirche durch verschiedene Schriften, namentlich eine Geschichte der Märtyrer, nicht geringe Dienste geleistet hat.4Ulm, das bisher immer mit Zwingli gehen, wohl auch zwischen ihm und Luther auf beiden Seiten hinken wollte, gewann er mit kräftiger Hand dem entschieden lutherischen Bekenntnisse. Den Schwarmgeistern, die sich in Ulm eingenistet, den Wiedertäufern, dem Schwenkfeld legte er gründlich das Handwerk. Dass dem feurigen, entschiedenen Manne, dem Choleriker, die sanguinische Frau mit ihren Schwächen zuwider war, ist sehr begreiflich. Tief aber musste allerdings unsere Katharina seine Anklage verwunden, als stifte sie Unruhen. So verantwortet sich dann auch die tapfere Frau in der Zuschrift an ihre Mitbürger. „Stehet mir zur Rede, Herr! und hört: Heißt etwa das in der Kirche Unruhe anfangen, dass ich in den ersten Ehestands-Jahren so vieler herrlicher, gelehrter Leute aufgenommen und beherbergt habe, welche als Flüchtlinge kein Unterkommen haben finden können? Und das hab ich, Gottlob, nach meinem Vermögen und Gottes Gnade getan. Heißt das Unruhe in der Kirche gestiftet, dass ich, während dem andere Weiber ihre Häuser geziert, viel Geld unnützer Weise an Puz, Staat, Hoffart und Eitelkeit verschwendet, sich bei allen Freuden und deren Anlässen, Gastereien, Hochzeiten, Spiel und Tanz eingefunden, ich dagegen wie es sich gab, in armer und reicher Leute Häuser gegangen bin, mit aller Liebe, Treue und Mitleid ihre Kranken besucht und getröstet, bei ansteckenden Krankheiten und Pestilenzen ausgehalten, ihre Sterbenden verpflegt, ihre Toten weggetragen, die Angefochtenen oder unschuldig Leidenden in Gefängnissen, in Türmen, am Sterbebette besucht, Andere auf ihrem Todeswege getröstet, ja beherzt gemacht; und so die Wahrheit des Spruchs des Weisen an mir selbst erfahren: „Es ist besser ins Trauerhaus gehen, als ins Trinkhaus!“ Gott sei Dank! Ich habe viel dabei gelernt. Ja, ich darf wohl vor Gott bezeugen, dass ich mehr Arbeit meines Leibes und Mundes getan, als kein Helfer oder Kaplan! dass ich Tag und Nacht gewachet, gelaufen bin, und nicht selten zwei und drei Tage soviel als nichts gegessen und getrunken habe. Eben darum hat mich mein frommer Mann, weil er an diesem Allen herzliche Freude hatte, bald seinen rechten Arm, bald einen Diakonum (Helfer) genannt. Und bin ich nicht bloß in meinen nächsten Umgebungen behülflich gewesen, sondern, wie er, auch außer Straßburg, in manchem Lande und Volk, wo ich um Hilfe angesprochen war. Diese ward wie es immer in den Kräften lag, Niemand versagt, so dass ich wohl Nutz, aber nirgends Schaden und Unruh gestiftet hab, wie man mir aufbürden will.“

Die Wohltätigkeit gegen verfolgte und arme Unglückliche, die sie als Gattin von Matthäus Zell in einem solchen Grade wie kaum eine übte, hat sie auch noch als Witwe nach dem Wunsche ihres Mannes auf eine Weise fortgesetzt, welche über ihre herrliche Gesinnung keinen Zweifel lässt. So war es z. B. im Jahr 1549, als ihre Freunde und Gönner, die Straßburger Gottesgelehrten, Bucer und Fagius, im Begriffe nach England zu reisen, wohin sie von dem König Eduard berufen waren, sich bei ihr verabschiedeten und ihr, in einem verschlossenen Briefe, unbemerkt noch einige Goldstücke zurückließen mit der Bitte, dieselben nicht zu verschmähen, sondern in ihrer Dürftigkeit für einige Bedürfnisse zu verwenden. Kaum hatte Katharina Zell die Gabe bemerkt, als sie den Freunden zurückschrieb: „Ihr habt mich mit dem Gelde, so Ihr heimlich in dem Brief hinterlassen, wahrhaftig sehr betrübt. Damit aber meine Schamröte eines Teils hingelegt werde, habe ich Euch Eure zwei Goldstücke wiederum in diesen Brief legen wollen, wie Joseph das Geld seinen Brüdern. Es ist indes soeben ein unschuldig verjagter, grundehrlicher Prediger mit fünf Kindern zu mir gekommen, sowie eines andern Predigers Frau, vor deren Augen man dem Manne den Kopf heruntergeschlagen hat. Die gute liebe Seele! Wie ich mit ihr inniges Mitleid hatte! Die hab ich zwei Tage bei mir beherbergt, und das Eine Goldstück diesen Beiden zur Zehrung geschenkt; das andere ist diesem Briefe beigeschlossen, damit Ihr’s selber braucht und ein ander Mal nicht so gütig seid. Glaubt nur, Freunde, Ihr werdet noch viel bedürfen, sowie Euer Volk (Familie), wenn es in England Euch nachkommen soll. Seid also Gott befohlen in seinen Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und Eure Feind.“

Doch mit dem Allem konnte sie ihre kirchlichen Widersacher nicht zum Frieden gewinnen. Wann sie gestorben, ist nicht bekannt. Noch am 3. März 1562 ließ sie sich durch Conrad Hubert, ihren bewährten Hausfreund bei Ludwig Lavater in Zürich entschuldigen, dass sie diesem so lange nicht geantwortet habe; sie sei durch lange Krankheit halb tot und könne seit vielen Monaten nicht mehr die Feder führen. Als sie starb, ließ der damalige Superintendent seinen Amtsgenossen das Verbot zugehen, ihr zu Ehren förmliche Leichenpredigten zu halten; es wäre denn, dass sie beifügen wollten: „Allerdings habe die Katharina Zell sich als Wohltäterin verdient gemacht um eine Menge von Armen; aber zuletzt sei sie von der Lutherischen Mutterkirche abtrünnig geworden, und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.“