1. Bertold Hallers Vorbildung. Berufung nach Bern. Heimische Zustände.
Als der bedeutendste unter den Reformatoren Berns erscheint ein Mann, welcher stets bereit war, sich für einen der Geringsten zu achten und Andern sich unterzuordnen, der aber durch seine ausharrende Geduld und standhafte Treue erreichte, was höher Begabten bei schrofferem Auftreten unter den eigenthümlichen Schwierigkeiten, die sich in diesem Freistaate der Reformation entgegen stellten, hätte mißlingen müssen. Daraus ergibt sich uns, wie es nicht anders möglich sein wird, sein still bescheidenes Wirken zu erfassen als in genauem Zusammenhange mit Anregungen, die von Andern ausgingen, und mit dem ganzen ihn umgebenden Staatsleben.
Werfen wir vorerst einige Blicke auf seinen früheren Lebensgang.
Bertold Haller ward geboren im Jahre 1492 in dem großen schwäbischen Dorfe Aldingen. Obwohl seine Eltern in beschränkten Vermögensumständen lebten und mehrere Söhne hatten, ließen sie ihn in der benachbarten Reichsstadt Rottweil die lateinische Schule besuchen. Diese, unter der Leitung des Michael Rubellus (Röttlin), der eben so wohl durch seine Kenntnisse als durch Lebensreinheit seinen Schülern Achtung und Liebe einflößte, genoß eines ehrenvollen Rufes, so daß auch aus der (seit 1463) mit Rottweil verbündeten Schweiz Jünglinge eintrafen, wie Heinrich Glarean aus Mollis, der nachherige Freund Zwingli’s, und Oswald Myconius aus Luzern. Haller fand hier an dem Kaplan Augustin Bolster, einem Freunde seines Lehrers, einen väterlichen Führer, der sich treulich seiner annahm, ihn aufs trefflichste warnte und mahnte, wo es ihm heilsam war. An dem Neffen des Rubellus, Melchior Rot, genannt Volmar, der späterhin zu Bourges und Tübingen als Professor der Philologie sich auszeichnete, gewann er einen gar lieben, ihm innig vertrauten Mitschüler. Von körperlichen Beschwerden, die in der Folge sich mehrten, war er schon als Knabe nicht frei. Das reinere Latein, dessen Anfangsgründe in dieser Schule sich lernen ließen, bildete den Anfang und damals den unentbehrlichen Schlüssel zur Pforte der eben erst sich aufschließenden humanen Wissenschaften. Diese Pforte sollte sich alsbald für Haller noch weiter öffnen.
Von Rottweil kam er nämlich auf die Schule nach Pforzheim, welche unter Georg Simler aus Wimpfen, später Professor in Tübingen, in vorzüglicher Blüthe stand. Simon Grynäus aus Vehringen in Hohenzollern, der später in Basel so segensreich wirkte, ward hier sein Mitschüler; ebenso traf er mit Philipp Melanchthon zusammen, der zwar etliche Jahre jünger war, aber überaus früh sich entwickelte, von seinem Oheim, dem berühmten Gelehrten Johann Reuchlin, dessen Vaterstadt Pforzheim war, gefördert und öfter besucht. Haller und Melanchthon schlossen sich enge an einander. „Gegen zwei Jahre (vom Spätherbst 1507 bis ebendahin 1509), schreibt jener späterhin (1535), waren wir unter Simler nicht nur Schulgefährten, sondern in innigster Freundschaft verbunden, was er mir auch durch fünf Schriften bezeugte, von denen er viere noch von Tübingen aus, eine hernach aus Wittenberg mir übersandte. Schon im Knabenalter war höchste Lauterkeit und Geradheit an ihm zu erkennen.“ So behielt ihn Haller zeitlebens in liebevollem Andenken und hegte zu ihm auch nach langen Jahren der Trennung ein besonders gutes Zutrauen. Auch Melanchthon erinnerte sich noch in späteren Jahren freundlich der in Pforzheim gepflogenen Freundschaft.
In seinem achtzehnten Jahre bezog Haller die Universität Cöln; er erlangte daselbst nach zweijährigem Studium die Würde eines Baccalaureus der Theologie. Freilich waren es die öden Steppen der erstarrten Schultheologie (Scholastik) und der päpstlichen Rechtssatzungen, zu denen Haller hier geführt wurde, so daß er in späteren Jahren wehklagend ausrufen mußte: „O, hätte ich meine Jugendjahre auf Besseres verwenden können!“ An Neigung hiezu fehlte es ihm keineswegs. Von Cöln begab er sich nach Rottweil zurück; er versah hier das Amt eines Unterlehrers, doch mit dem Vorhaben, nach Verfluß eines Jahres sich wo möglich nach Freiburg im Breisgau zu begeben, um auf der dortigen Hochschule lehrend und lernend, wie es damals öfter vorkam, in den Wissenschaften sich weiter auszubilden. Schon nach etlichen Monaten bot sich ihm hiezu eine gute Gelegenheit, eine um so erwünschtere, da sie ihn davor sicherte, von den Karthäusern ein Stipendium annehmen zu müssen. Durch Vermittlung eines wohlhabenden Jugendfreundes, des Rechtsgelehrten Johann Wolfgang Egen, erhielt er nämlich eine Einladung nach Freiburg zu kommen, mit dem Anerbieten von Seiten des dortigen Magisters Cesareus, ihn für einige Zeit unentgeltlich ins Haus aufzunehmen, bis ihm eine weitere Versorgung zu Theil werde.
Wie gerne hätte er diesem Rufe gefolgt. So schön schien sein still genährter Wunsch nach Vervollständigung seiner wissenschaftlichen Kenntnisse nunmehr in Erfüllung zu gehen. Allein er konnte nicht. Er hatte so eben unter aufmunternder Zustimmung seiner Rottweiler Freunde einen Ruf nach Bern angenommen, wo er für Pflege der Wissenschaft weder Zeit noch günstige Gelegenheit zu finden hoffen durfte. Er mußte aufgeben, was er ersehnt hatte, und in die Ferne ziehen, nicht wissend, welch eine hohe Bestimmung seiner dort wartete.
Auf Pfingsten des Jahres 1513 traf er in Bern ein. Seine Stellung daselbst war freilich vorerst eine sehr bescheidene. Die Berufung nach Bern war von Hallers ehemaligem Lehrer Michael Rubellus ausgegangen, der seit 1510 der lateinischen Schule vorstand, welche zuvor von Heinrich Lupulus (Wölflin), dem Lehrer Zwingli’s, geleitet worden, sodann seit 1505 von Valerius Anshelm aus Rottweil, der als Arzt und Chronikschreiber Berns bedeutenden Ruf erlangte. Als Schulgehülfe trat Haller bei Rubellus ein, zunächst bloß mit einer Besoldung von dreißig Pfund, doch mit der Aussicht, bei steigendem Zutrauen mit der Zeit ein Mehreres zu bekommen. Aus einem sehr verbindlichen Briefe, den er im September 1515 an seinen Wohlthäter Augustin Polster nach Rottweil schrieb, sehen wir, daß er zwar mit einer Menge von Geschäften überaus beladen war, sich aber dabei recht wohl befand. Seine Privatstudien z. B. in der klassischen Literatur mußte er freilich sehr einschränken, indeß trachtete er seine Kenntniß des damals viel gebrauchten Kirchenrechtes zu befestigen, als der Norm, die in kirchlichen Dingen Alles beherrschte. Wie sehr die Schule des Rubellus in Blüthe stand, läßt sich aus der großen Schülerzahl entnehmen. So berichtet Anshelm, der edle Schultheiß von Diesbach, ein mildthätiger Gönner der Künste und Wissenschaften, welcher 1517 im Alter von achtzig Jahren starb, habe für die armen Schüler, deren gemeiniglich über hundert da gewesen, wie für andere Hausarme viele Jahre lang einen wohlbereiteten „Mußhafen“ gehalten.
Durch seine Thätigkeit, wie durch seine Beredsamkeit, durch ein angenehmes Aeußere und Liebenswürdigkeit im Umgange erwarb sich Haller bald Freunde und Gönner. Eine der Zünfte, in welche die Bürgerschaft eingetheilt war, die der Bäcker, erwählte sich ihn zu ihrem Kaplane. Zudem erscheint er seit 1517 als geistlicher (apostolischer) Notar. Besonders wichtig aber ward für Haller der Umgang mit Thomas Wittenbach aus Biel, jenem reformatorisch gesinnten Manne, der zuvor schon als Lehrer an der hohen Schule zu Basel Zwingli und Leo Judä so segensreich angeregt hatte und nun seit 1515 als Chorherr und Leutpriester am Münster in Bern wirkte. In der spätern Zeit seines Aufenthaltes zu Bern lebte Haller bei ihm als einer der beiden Diakone, die er in seinem Hause und an seinem Tische zu halten hatte. Wir können uns wohl denken, welch ein mannigfacher Austausch unter ihnen eintrat in diesen Zeiten, da die großen Geisteskämpfe hervor zu brechen begannen, die Wittenbach längst vorher gesehen und der ihm zuhörenden akademischen Jugend geweissagt hatte. Auch nachdem Wittenbach im März des Jahres 1520 seine Stelle in Bern niedergelegt hatte, nach seiner Vaterstadt, dem nahe gelegenen Biel, einem selbstständigen, mit der Schweiz verbündeten Freistaate, übergesiedelt war und dort das lautere Evangelium zu pflanzen suchte, dauerte sein freundschaftlicher Verkehr mit Haller fort auf mannigfache Weise.
Nachdem Haller schon im Mai des Jahres 1519 auf unbestimmte Zeit als Prediger mit fünfzig Pfund Jahrgehalt angestellt worden, erhielt er am 18. Mai 1520 eine Chorherrnstelle im Münster, und damit faßte er nun für bleibend festen Fuß auf dem Schauplatz seiner ganzen ferneren Wirksamkeit.
Von welcher Art war aber der Boden, den er bearbeiten sollte? Dies ist die Frage, die sich uns aufdrängt. Hier wird es daher am Platze sein, daß wir uns Berns religiöse und sittliche Zustände, so weit sie auf ihn und sein Auftreten Bezug hatten, zu vergegenwärtigen suchen. Unter allen den Freistaaten, welche die schweizerische Eidgenossenschaft bildeten, finden wir keinen, der bis zum Anfange des sechszehnten Jahrhunderts sich zu solcher Größe und Machtentfaltung emporgeschwungen hatte, wie Bern. Es beruhte dies nicht blos auf dem kriegerischen Muthe, welcher auch die übrigen beseelte, sondern auf einem Bern insbesondere inwohnenden Vorwärtsstreben, auf dem staatsmännischen Blicke, der die Lenker beseelte und sie befähigte, ein größeres Ganzes zu umfassen und im weiteren Kreise ihre Umgebung von sich abhängig oder mitwirkend zu machen. Hiezu aber trug der zahlreiche Adel bei, der in Bern sich eingebürgert hatte. Die glückliche Durchdringung des adeligen und des bürgerlichen Elementes führte hier zu einer besonderen Kräftigung des Staatslebens und verlieh der Obrigkeit ein bedeutendes Selbstgefühl. Den einzelnen Landestheilen gegenüber, welche keineswegs bloß unterthänig erscheinen, vielmehr ihrer besondern Rechte und Freiheiten sich erfreuten und deshalb in entscheidenden Zeitumständen jeweilen um ihre Ansicht und Willensmeinung befragt wurden und so zur Entscheidung mitwirkten, behauptete sie durchgängig mit festem Ernste ihre landesherrliche Hoheit. Von Wissenschaften war nicht viel die Rede. Außer dem schlichten Betriebe des Landbaues und der Alpenwirthschaft nahmen die fremden Kriegsdienste, die deshalb statt findenden Werbungen, das reichlich gespendete Geld, der Kriegsruhm und die Ehre, die dabei zu erlangen waren, seit Jahrzehnden die Berner gleich den übrigen Eidgenossen mächtig in Anspruch. Der hohe Heldenmuth, den die eigenen Befreiungskämpfe gestählt hatten, strebte auch solcher Maßen sich kund zu geben. Grade in Bern fand das benachbarte Frankreich selbst unter den Hochstehenden stets offene Ohren und Hände. Die Verderbnisse aber für das leibliche und sittliche Wohl des Volkes stellten sich auch hier in überreichem Maße ein. Einschränkende Verbote von Seiten der Obrigkeit blieben fruchtlos.
Nicht weniger war die innere Fäulniß, in welcher die entartete Kirche sich befand, in erschreckender Ruchlosigkeit gerade in Bern zu Tage getreten. Hieher hatten die Häupter des Dominikanerordens, eifersüchtig auf die Volksgunst ihrer Nebenbuhler, der Franziskaner, mit Vorbedacht und nach gemeinsamer Berathung der Ordensobern das Trugspiel ihrer vorgeblichen Wunder verlegt, durch welche sie sich glänzend emporzuschwingen hofften; denn da, meinten sie, „sei das Volk einfältig, bäurisch und ungelehrt, wiewohl streitbar und mächtig; und werde, wofern ihre Sache Fortgang habe, ihnen mit Gewalt helfen dieselbe zu beschützen und wahr zu machen.“ Mit schamloser, fast unglaublicher Dreistigkeit erschienen sie dem von ihnen mißbrauchten Schneidergesellen Jetzer als Geister, dann in der Gestalt der heiligen Barbara, der Maria übergaben ihm einen Brief vom Himmel, worin die Lehre der Franziskaner von der unbefleckten Empfängniß Mariä verworfen war, drückten ihm die Wundenmale Christi auf, ließen das Marienbild ihrer Klosterkirche rothe Thränen weinen, wobei ungeachtet der handgreiflich aufgedeckten Täuschung auch der Chorherr Lupulus zu den beharrlich Gläubigen gehörte, suchten das vielgepeinigte Werkzeug ihrer Künste mit Gift aus der Welt zu schaffen, zwangen ihn durch grausame Marter, eidlich Verschwiegenheit zu geloben, und reisten sogar nach Rom, um vom Papste die Anerkennung ihrer Wunder zu erlangen. Doch erwirkte der Rath strenge Untersuchung durch einen päpstlichen Legaten; der Betrug ward in allen seinen Einzelheiten gerichtlich aufgedeckt, so daß die gräuelvolle Entweihung des Heiligsten vor aller Welt offen und unwidersprechlich an den Tag kam; die vier Uebelthäter, der Prior der Dominikaner zu Bern und seine Genossen, wurden im Mai 1509, – gerade vier Jahre vor Hallers Ankunft, – auf der Schwellenmatte jenseits der Aare verbrannt. Der Ruf davon durchhallte die Länder Europa’s; die Erzählung des ganzen Hergangs, in mehrere Sprachen übersetzt, fand weite Verbreitung und trug nicht wenig dazu bei, über mancherlei kirchliche Dinge hie und da das Nachdenken zu wecken.
Ebenfalls hiefür geeignet war ein Vorgang, der vier Jahre nach Hallers Ankunft eintrat und in Bern großes Aufsehen erregte. Eine nicht geringe Zahl andächtiger Personen zu Bern vereinte sich nämlich, der heiligen Anna einen Altar zu bauen; zur Verherrlichung desselben sollte etwas von ihren irdischen Ueberresten herbei gebracht werden; Albrecht von Stein reiste deshalb nach Lyon, erwarb sich in einem dortigen Kloster gegen große Bezahlung ein Stück ihres Schädels, in wohlriechenden Seidenstoff eingewickelt; mit größter Verehrung wurde das Heiligthum in Bern empfangen und in feierlicher Prozession zum Altar geleitet, der nun aufs kostbarste geschmückt ward und großen Zulauf erhielt. Wie beschämt fand man sich aber, als bald darauf ein Schreiben vom Abte jenes Klosters anlangte, woraus sich ergab, der Mönch, welcher das Geld angenommen, habe nur einen gemeinen Knochen aus dem Beinhanse entwendet. An Spott fehlte es den Betrogenen nicht.
Dessen ungeachtet gelang es dem Ablaßkrämer Samson, der an Dreistigkeit einem Tetzel nicht nachstand, gerade in Bern sein Geschäft außerordentlich schwunghaft zu treiben. Als er im October 1518 nach Ausbeutung der inneren Schweiz über den Brünig heran zog, wollte man in Bern anfangs ihn nicht einlassen, da man schon hinlänglich mit Ablaß versehen sei. Er wußte sich aber von Burgdorf aus, wo er sich mehrere Tage aufhielt, durch seine Gönner bald den Zutritt zu verschaffen. Die Gegner mußten sich beugen; der ehrwürdige Bartholomäus Mai, ein Mann der ein halbes Jahrhundert auf Schlachtfeldern und im Rathe ruhmvoll seiner Vaterstadt diente, erlangte kaum knieend Gnade. Mit größtem Gepränge, von Chorherr Lupulus als Dolmetscher unterstützt, bot Samson im Münster zu verschiedenen Preisen seinen Ablaß feil, für begangene und selbst für künftige Sünden. Jakob von Stein kaufte um einen apfelgrauen Hengst, den Samson sich wünschte, vollen Ablaß für sich und seine fünfhundert Krieger, sowie für die Einwohner seiner Herrschaft Belp und für die Seelen aller seiner Vorfahren. Da Samsons Geschäft so trefflich von Statten ging, blieb er bis in den Anfang des Jahres 15 l 9 und ließ am letzten Tage der nochmals im Münster versammelten Menge drei unerhörte Gnaden verkündigen: alle Seelen der Anwesenden, die jetzt zu kurzem Gebete niederknien würden, sollten so rein sein wie gleich nach der Taufe; wer noch an jenem Tage dreimal um die Kirche gehe, könne eine Seele aus dem Fegfeuer erlösen, welche er wolle. Nachdem nun alles Volk knieend fünf Unservater und Ave Maria gebetet, schrie er: jetzt diesen Augenblick seien die Seelen aller Berner, wo und wie sie je ans diesem Leben geschieden, aus dem Fegfeuer errettet und in den Himmel versetzt. Als er dabei nochmals die päpstliche Gewalt lobpries, kraft deren er solche Gnaden spende, verließ der Venner Wyler unwillig die Kirche mit der Betheuerung: „Haben die Päpste solche Gewalt, so sind sie ja arge, unbarmherzige Bösewichter, da sie die armen Seelen so lange lassen leiden!“ Allein die Anhänglichkeit an das Hergebrachte und die Ehrfurcht vor Allem, was vom Papste kam, war in Bern noch viel zu groß, als daß ein solches Kraftwort hätte durchschlagen mögen. Als aber Samson im März des Jahres 1519 durch die in Zürich versammelte Tagsatzung auf Anregung des kürzlich dort angestellten Zwingli und unter Beihülfe des Bischofs von Constanz aus der Schweiz weggewiesen wurde, da ernteten die Berner von manchen Seiten Spott für ihre freigebige Gläubigkeit, derzufolge sie sich hatten ausbeuten lassen; – ein Vorzeichen des Umschwungs der Zeiten, der nach wenigen Jahren erlaubte, die gefürchteten Mächte dem öffentlichen Witzspiele Preis zu geben.
2. Erste Jahre von Halters Predigtamt. Anbahnung der Reformation, 1516-1522.
Sehen wir nun auf die Gegenwirkungen. Kaum war es anders möglich, als daß Vorgänge wie die eben erwähnten, in ernsteren Gemüthern einen Stachel zurück ließen, der sie antrieb sich mit Abscheu von den eingerissenen Verderbnissen der Kirche abzuwenden. Ebenso hatte das sittenlose Leben des Klerus schon seit Jahrzehnden die Obrigkeit dazu genöthigt, von Zeit zu Zeit einzuschreiten, um wenigstens die ärgsten Unfugen zurück zu dämmen. Kräftig war auch der Karthäuser Franz Kolb gegen das Unheil des zuchtlosen Söldnerdienstes in seinen Predigten aufgetreten, hatte aber, der fruchtlosen Arbeit überdrüssig, (schon 1512) Bern wieder verlassen. Bibeln sollen schon seit längerer Zeit in Bern vorhanden gewesen sein. Auch hören wir, gerade als Samson Bern brandschatzte, von einem Buchhändler, der von Bernern nach Basel geschickt, viele Exemplare von Luthers Schriften daselbst aufkaufte und mit sich nahm. Selbst einer von Samsons Begleitern, „ein gelehrter Bruder,“ las in Bern mit Erstaunen Luthers Schrift vom Ablaß und kaufte sie heimlich.
So fehlte es an etwelcher Vorbereitung zu einer Besserung nicht, als Bertold Haller sein Predigtamt antrat. Sein Landsmann, der schon genannte Valerius Anshelm, damals als Arzt wirksam, war einer der Ersten, die dem aufleuchtenden Evangelium Eingang zu verschaffen, wenigstens einzelne vertraute Freunde und Gönner dafür zu gewinnen suchten. Er selbst bezeugt aber, wie große Behutsamkeit hier vonnöthen war. Jedes rasche oder kecke Auftreten hätte da nur zurück schrecken können. Es bedurfte einer milden, ganz allmäligen Einwirkung auf die Gemüther der einfältig Gottesfürchtigen, des schlichten, aber unerleuchteten Volkes, um aufs neue den ächten, evangelischen Glauben schrittweise in die Herzen zu pflanzen und sie dadurch innerlich loszumachen von den irrigen Menschensatzungen.
Hiefür war Haller ganz der Mann. Seine heitere Gemüthlichkeit, sein innerlich entschiedenes, zugleich aber höchst anspruchloses Wesen, wie seine ruhige Besonnenheit, befähigte ihn dazu gleich sehr. Er begann daher sein reformatorisches Wirken auf möglichst einfache Weise. In seinen Predigten fing er nicht wie Zwingli sofort mit der Auslegung eines ganzen biblischen Buches an; ein rasches Abgehen von alter Uebung wäre in Bern zu auffallend erschienen und hätte die Gemüther eher abgestoßen. Zwei Jahre lang hielt er sich vielmehr dem Herkommen gemäß an die gangbaren Abschnitte der Evangelien und Episteln. Dabei blieb er indeß nicht stehen, sondern predigte sonntäglich über die heiligen zehn Gebote und zwar nach Luther’s Auslegung und hob solcher Maßen an, „sittiglich (sagt Anshelm) den Mißverstand und hinwieder den rechten Brauch in Hinsicht des Glaubens, der guten Werke und des Gottesdienstes aufzudecken.“ In ähnlicher Weise verfuhr sein rüstiger Mitarbeiter Doctor Sebastian Meier (geboren 1465), Prediger und „Lesemeister“ (theologischer Lehrer) der Baarfüßer.
Doch mußte Hallern viel daran liegen, sich nach einem festeren Halt umzusehen für das weitere Vorgehen in dem weit aussehenden Werke und bei den drohenden Kämpfen; denn er fühlte wohl, wie Vieles in ihm selbst erst angeregt, aber noch nicht zur Klarheit und Festigkeit durchgedrungen sei. Wie begreiflich, daß er seine Blicke auf Zürich wandte und auf das, was dort, wie sonst nirgends, in der Eidgenossenschaft und in ihrer Umgebung, durch Zwingli so muthvoll begonnen war. Er theilte seine Sehnsucht Zwingli zu sehen, ihn näher kennen zu lernen, seinem Jugendfreunde Myconius mit, der damals in seiner Heimat Luzern ein Lehramt bekleidete und längst mit Zwingli in vertrautem Verkehr stand. Myconius setzte Zwingli davon in Kenntniß gegen Ende des Jahres 1520, als der Bannstrahl Luther schon getroffen und bereits davon die Rede war, daß dieser „Ketzer“ zur Verantwortung auf den Reichstag nach Worms solle beschieden werden. (Hedio an Zwingli, 21. Dezember 1520.)
Das folgende Jahr gewährte Hallern die Erfüllung seines Wunsches; es war ihm beschieden, Zwingli in Zürich zu besuchen. So traten die beiden Männer zusammen, welche in den beiden bedeutendsten Städten der Schweiz die einflußreichsten Predigtämter bekleideten; es knüpfte sich zwischen ihnen eine innige Freundschaft und ein Briefwechsel begann, der bis zu Zwingli’s Tode immer lebhafter wurde. Haller sah, wie unermeßlich Vieles Zwingli leistete; er schloß sich mit herzlicher Zuneigung und hoher Verehrung an den geförderten und mannhaften Kämpfer an, den er so gerne seinen „Lehrer“ nannte; er ordnete sich mehr ihm unter, als diesem, der auch an Andern Selbständigkeit liebte, erwünscht war. Zwingli erkannte in Haller eine so recht lautere Seele bei schönen Gaben und Kenntnissen; er war aufs willigste bereit, ihn seinem Wunsche gemäß in christlicher Erkenntniß zu fördern und ihm durch Rath und Ermunterung seine schwierige Stellung zu erleichtern.
An bittern Erfahrungen nämlich fehlte es Hallern nicht; er wurde alsbald ein Schüler Zwingli’s gescholten; seine Verkündigung christlicher Wahrheit sah er schon nach den ersten, bescheidenen Anfängen mit Haß erwiedert; es graute ihm vor dem Ingrimm, den er von allen Seiten sich sammeln sah, um immer heftiger loszubrechen. Er hätte lieber Friede haben mögen und war daher auf dem Punkte, sammt seinem älteren Freunde Wittenbach, dem in Biel Aehnliches widerfuhr, sich in eine ruhigere, sorgenfreiere Stellung zurück zu ziehen. Er konnte nicht umhin, brieflich dies Zwingli anzudeuten, den er schon mehrmals vergeblich um seine Predigten über den Glauben angegangen. Da traf ihn ein Brief Zwingli’s (29. Dezember 1521), der mit apostolischem Ernste ihn mahnte an die heilige Pflicht, standhaft auszuharren im Dienste des Evangeliums, auch unter unverdienten Schmähungen, Christo treulich zu dienen, sich seiner nicht zu schämen, ja selbst das Leben einzusetzen, und auf der andern Seite die süßen Verheißungen und die tröstlichen Versicherungen ihm vorhielt, die Christus seinen verfolgten Bekennern gegeben hat. Das Alles aber wußte Zwingli mit gewinnendster, herzlicher Freundlichkeit und Milde Hallern vorzulegen, nicht im Tone eines Lehrers oder Uebergeordneten, sondern durchaus im Tone eines theilnehmenden Freundes, der die auf- und niedergehenden Bewegungen des eignen Innern mit dem Freunde austauscht, aber zugleich voll heiligen Muthes, durchdrungen und getragen von hoher innerer Entschiedenheit, ja beseelt von Todesfreudigkeit, die er, ahnungsvoll genug, hier schon klar und ernstlich ausspricht.
Dieses Schreiben that bei Haller die beste Wirkung; es half dem Friedliebenden über die schwierigste Klippe hinweg, die, wie wir an Luther sehen, selbst dem Stärkern zu übersteigen schwer ward, wenn er den schweren unab’sehbaren Kampf der Zeit, in den er hinein treten sollte, und den drohenden Zwiespalt vor sich schaute, und dem gegenüber die eigene Unzulänglichkeit nur um so lebhafter empfand.
Jetzt erst gestand Haller seinem Zwingli, welchen Plan er in seiner zaghaften Stimmung sich entworfen habe; er erwiederte: „Deinen köstlichen Brief, mein wackerster Lehrer! habe ich mit offenen Armen empfangen und nicht ohne reichen Gewinn gelesen und wieder gelesen mit großer Erquickung; ich bin dadurch in christlicher Gesinnung mächtig bestärkt worden. Mein Herz, das wirklich durch dieses Wanken der Zustände und der Menschen darniedergebeugt und unfähig war, Unbill zu ertragen, ist nun durch dieses dein Schreiben so gestählt worden zur Erduldung jeglicher Drangsal, daß ich jetzt viel gelassener bleibe, wenn Leute mich als wüthende Feinde anfallen, die von mir nie auch nur im Geringsten beleidigt worden, es wäre denn, daß sie nach ihrer Gewohnheit das Wort des Herrn, das ich verkündige, als Beleidigung aufnähmen. Wahrhaftig, wenn du mich nicht so kräftig angespornt und meinen völlig gesunkenen Muth wieder erweckt hättest, so wäre ich nächstens vom Predigtamt abgetreten und mit Doctor Thomas Wittenbach nach Basel gegangen, um den schönen Wissenschaften und dem Studium des Griechischen und Hebräischen obzuliegen; denn du glaubst nicht, welche Drohungen gewisse bernische Machthaber ausgestoßen haben. Nun hat aber deine freundliche Zuschrift mir Trost gebracht, so daß ich nicht mehr zage, sondern alle meine Kraft zusammen gerafft und deiner wahrhaft christlichen Aufmunterung gemäß die feste Ueberzeugung gewonnen habe, es gebühre sich in diesen jämmerlichen Zeiten vielmehr, daß ich das Evangelium predige, als daß ich in irgend einem Winkel meine Studien treibe und das so lange, bis ich unter dem Beistand des Herrn, der seinem Worte viel Kraft verleihen kann, Christum, ihn, der durch Mönchsgeschwätz so weit von uns weggekommen, ja beinahe in die Verbannung geschickt worden, best meines Vermögens wiederum werde eingesetzt haben; dannzumal nämlich werd‘ ich um so sicherer dereinst frommen Studien mich widmen können. Jetzt bin ich dir unsäglichen Dank schuldig für deine Freundlichkeit, daß du unter so vielen und großen Geschäften, mit denen du überhäuft bist, meine Wenigkeit, einen Menschen ohne Begabung, durch deinen so zierlichen Brief aufzurichten gesucht hast.“ Haller erbittet sich zugleich von Zwingli möglichst baldige Mittheilung seiner Predigten über den Glauben und über Heiligendienst und wünscht ihm sammt allen seinen Mitarbeitern „königliches Wohlsein, daß Christus in ihm und in ihnen gedeihe.“
Man fühlt es dem Briefe Hallers ab: hier ist ein Entwicklungsknoten in seinem Leben, ein Uebergang aus der nur halbbewußten Vorarbeit zum entschieden reformatorischen Auftreten, zum Bruch mit den widerstehenden Gewalten, eine Entscheidung für immer oder doch auf lange Zeit hinaus für den Kampf und die Unruhe eines reformatorischen Mannes.
Indeß waren Zwingli’s Zumuthungen an Bertold Haller keineswegs übermäßig; vielmehr hatte er ihm, als seiner Kenner der verschiedenen Völkerschaften des Schweizerlandes, mit eben so großer Besonnenheit als Sachkenntniß unter Benutzung des in Bern stets beliebten, unerschöpflichen Wortspieles (am 29. December 152l) geschrieben: „Was du von mir wünschest, nimm selbst kräftig an Hand, auf daß deine ziemlich wilden Bären durch das Hören der christlichen Lehre anfangen zahm zu werden; doch ist dies ein Geschäft, das, wie ich glaube, ganz sachte muß vorgenommen werden; denn es läßt sich bei euch durchaus nicht auf dieselbe Weise verfahren, wie bei den Unsrigen. Da nämlich die Euern noch gar zarte Ohren haben, so darf man sie nicht sofort mit einem so scharfen Eisen kratzen, wie denn auch Christus wohl dies gemeint hat, wo er verbietet, die Perlen vor die Säue zu werfen, da sie vielleicht gegen dich sich wendend in großer Wildheit dich möchten zerreißen und auf immer das Evangelium Christi verabscheuen. Diese rauhen Geschöpfe muß man also ziemlich sachte streicheln und je nach ihrem Tritt ein wenig weichen, bis sie, durch unsere Geduld und unerschütterliche Herzensfestigkeit überwunden, zahm werden. Auch Petrus nahm darauf Rücksicht, als er sprach: Nun aber, lieben Brüder, weiß ich, daß ihr aus Unwissenheit Solches gethan; ebenso Paulus, so lange er die Galater mit Milch, nicht mit starker Speise nährte… So, bitt‘ ich, suche Allen Alles zu werden, damit nicht Christus sammt dir verworfen werde! Diene ihm, auch uns zum Besten, bei den Deinigen!“
Der Unterschied zwischen Zürich und Bern, der verschiedene Volkscharacter, die ungleiche Stellung zu der Obrigkeit war allerdings sehr zu beachten und nicht leicht, das Geeignete durchzuführen. In letzterer Hinsicht war man in Bern viel mehr an gebieterischen Ton gewöhnt von oben her und an straffen Gehorsam der Untergebenen ohne weitere Erörterung. Dagegen durfte hier der Volkshumor sich Manches erlauben, was anderwärts auf derselben Stufe der Entwickelung kaum statthaft erschienen wäre, sondern eher Anstoß gegeben hätte. So geschah es gleich der Fastnacht des Jahres 1522 (am 2. und 9. Februar), daß in Bern zwei Fastnachtspiele aufgeführt wurden, welche unglaublich viel zur Förderung der Reformation beitrugen. Sie stellten dem Volke in lebendiger Gestalt die Gräuel des Verderbens der Kirche und das dringende Bedürfniß der Zeit klar vor Augen. Der hauptsächlichste Verfasser war der begabte Maler Niklaus Manuel, der als Krieger seinem Vaterlande diente, dann als Landvogt und Rathsherr die Reformation mannigfach förderte. Mit dem Feuer tiefer Entrüstung und edlen Unmuthes wird aufs lebendigste in frischen, kräftigen Zügen das Unheil der Kirche, ihre bis ins innerste Mark durchgedrungene Fäulniß vorgeführt und gegeißelt, bald in derber Laune, bald wieder mit überraschendem Ernste und sinniger Gemüthlichkeit. Die große Bedeutung dieser Aufführungen für die bernische Reform nöthigt uns, wenigstens das eine dieser Stücke etwas näher anzusehen. Im ersten dieser Fastnachtspiele, dem „Todtenfresser“, so benannt von der reichen Zehrung, die dem Klerus durch die Seelenmessen (Todtenmessen) zuströmte, findet sich der schroffe Widerspruch zwischen dem Evangelium und dem ganzen bestehenden Kirchenwesen, zumeist die durchgängige schnöde Geldgier, die Rohheit, die Ueppigkeit des Klerus, sowie sein Unglaube, vorerst in einer Reihe von Selbstzeugnissen dargestellt, ebenso der Blutdurst kriegslustiger Cardinäle und der völlige Zwiespalt des Papstes „Enteristilo“ (Antichrist) mit der evangelischen Wahrheit. Dabei schimmert die Ahnung des nahenden Untergangs vielfarbig durch in lauten Klagen der Kleriker über die Thätigkeit der Druckerpressen, die überhand nehmende Verbreitung der Bibel, den daraus entspringenden Vorwitz der Laien in geistlichen Dingen, über ihre schlagenden Einwürfe gegen den Ablaß und gegen die übrigen gewinnbringenden Bräuche.
So fleht der Pfarrer Wetterleich den heiligen Vater an,
„den Gott zu Rom an Christi Statt“:
„Die Laien merken unsre List;
Wo du nit unser Helfer bist,
So geht’s uns ab in allen Dingen;
Denn sie wend (wollen) selbst der Schrift zudringen;
Der Teufel nehm‘ die Druckerg’sellen,
Die alle Ding‘ in Deutsch nun stellen;
Das alt und neue Testament, –
Ach, wären sie doch halb verbrennt (verbrannt)!
Ein jeder Baur, der lesen kann,
Der g’winnt’s eim (einem) schlechten Pfaffen an.
Höchst ergötzlich schildern etliche Bauern im Zwiegespräche Samsons Ablaßkram und machen aufs launigste ihrem Aerger Luft über ihre eigne Albernheit und über die Thorheit Aller, die sich durch den Ablaßhandel prellen ließen, während seither ihnen helles Licht darüber aufgegangen, da von verständigen Leuten jetzt ihnen klar gezeigt worden, wie all das eitel Spiel und arger Trug sei. Ein blutarmer Edelmann, der darben muß sammt seiner großen Kinderschaar, stößt seine lauten Wehklagen aus über die von habgierigen Pfaffen seinen Vorfahren entlockte Vergabung ihrer Güter an die Kirchen und Klöster. Des Papstes schweizerische Leibwächter dagegen preisen ihren Herrn als rechten „Kriegsmann, Pfaff und Gott auf Erden“, und jubeln über die fetten Pfründen, die er ihnen verliehen zum Verschlemmen. Plötzlich belebt sich die Scene; ein Johanniterritter sprengt mit verhängtem Zügel daher und bittet den Papst aufs dringendste um Hülfe für das von den Türken hart bedrängte Rhodus, da ja der Papst weitumher in der Christenheit unsäglich großes Gut zum Türkenkriege gesammelt habe. Vom Papste aber, dem vielmehr Kriege gegen die Christen zur Vergrößerung seines weltlichen Gebietes am Herzen liegen, wird er verspottet und erbarmungslos abgewiesen, so daß er voll edler, tiefer Entrüstung den Fluch ausstößt über das unwürdige Oberhaupt der Christenheit, als den rechten „Antichrist“. Die schlichten Apostel Petrus und Paulus, die bisanhin im Hintergrunde Allem zugesehen, treten hervor; sie lassen sich mit einem Curtisanen (Günstling des Papstes) ins Gespräch ein; sie sprechen, nachdem sie vernommen, wer dieser hoffärtige Herrscher sei, ihr entschiedenes Verwerfungsurtheil über all dies unchristliche Wesen aus und sagen sich von einem solchen Statthalter Christi gänzlich los. Die päpstlichen Truppen aber, worunter auch eidgenössische Söldner, sammeln sich mit blutdürstigen Reden unter dem Oberbefehl eines Cardinals und empfangen zu nahendem Kriegszuge den Segen des Papstes.
Was uns aber am nächsten angeht in diesem Fastnachtspiele, ist die Person des Predigers Doctor Leupold Scheu-nicht, unter welcher ohne anders Bertold Haller selbst erscheint. Schon in der Mitte tritt er auf, namentlich aber ganz am Schlusse, hier mit einem kindlich treuherzigen und innigen Gebete an Christus, daß doch unter seinem Beistand das wahre Evangelium aufs neue gelehrt, willig angenommen werden und den Menschen seine Segnungen bringen möge. So fleht er, eingedenk der einfachen Lehre Christi selbst, den „süßen und tröstlichen Jesum Christ, den lieben Herrn“ an:
Hilf, daß wir alle Menschenlehr‘ ganz verachten
Und fürhin allein dein göttlich Wort betrachten,
Gar nichts auf uns armen Menschen han (halten),
Allein uns fröhlich auf dich Verlan (verlassen).
Denn wir sind und thun nichts Andres als Sünd‘,
Aber du, Herr, bist allein der Fründ (Freund),
Der Gnade uns um Gott erwarb,
Da dein Leib am Kreuz recht starb.
Du bist der Priester und das Opfer beede (beide),
Gott geb, was des Papstes Satzung dawider rede,
Das Opfer werth in Ewigkeit,
Wiewohl man dich noch all‘ Tag‘ feil treit (trägt).
Herr Jesu, verleih dein göttliche Gnad‘ dazu,
Daß man fürhin ganz recht evangelisch thu‘;
Denn ich glaub‘ deinen Worten gestracks;
Wollte Gott, ich könnt‘ mit einer Ar (Axt)
Die päpstlichen Recht‘ ein’s Streichs zerscheiten!
Das hieß‘ recht wider den Türken streiten.
Hilf, daß sich fürhin jedermann hüte
Vor dem, den man so hoch her tragt (dem Papste);
Ich Hab‘ ihm mein’s Theils ganz abgesagt.
Herr, du bist doch allein die Thür,
Dadurch wir werden in Himmel gah’n;
Herr, erbarm dich über jedermann,
Alle Menschen, niemand ausgenommen;
Herr, laß uns All zu Gnaden kommen
Und verleihe uns deinen göttlichen Segen!
Amen! besiegelt mit dem Schweizerdegen.
Das zweite dieser Fastnachtspiele, kürzer und einfacher, besteht in einer kräftigen Gegenüberstellung des milden und recht demüthigen Christus und der Hoffart seines vorgeblichen Statthalters. Besonders ansprechend ist die reichliche und geläufige Schriftkenntniß, die sich in den beiden Stücken kund gibt. Es läßt sich wohl begreifen, daß bei dem schlichten und derben Berner Volke solche „Spiele evangelischer Freiheit,“ wie Anshelm sie bezeichnet, nicht ohne großen Eindruck blieben; er sagt hievon: „Durch diese wunderlichen und zuvor für lästerlich geachteten Anschauungen ward ein groß Volk bewegt, christliche Freiheit und päpstliche Knechtschaft zu bedenken und zu unterscheiden.“ War dafür das Geistesauge geöffnet, so konnten auch die damals so oft in Italien befindlichen Schweizer-Truppen, deren eben in jenen Tagen eine ansehnliche Schaar sammt dem Dichter dieser Spiele von Bern auszog, so Vieles von dem Vorgeführten selbst dort aufs neue in Wirklichkeit mit Augen sehen. Der nämliche Geschichtschreiber fügt bei: „Es ist auch in dem evangelischen Handel kaum ein Büchlein so viel gedruckt und so weit gebracht worden als das dieser Spiele.“ Wenn auch beim Drucke Einiges hinzu kam, so stellt sich uns doch darin unstreitig aufs lebhafteste dar, wie und wie sehr die Geister damals in Bern erregt waren.
3. Förderungen und Gefahren. Das erste Reformations-Mandat, 1523.
Während Haller im Einklang mit Sebastian Meier fortfuhr in behutsamer Weise dem Evangelium den Weg zu den Herzen seiner Berner zu bahnen und dasselbe Schritt für Schritt immer mehr Boden gewann, kam eine hülfreiche Anregung von ganz unerwarteter Seite. Zu Anfang des Juli 1522 erschien in Bern ein langer, hagerer Mönch aus Frankreich, auf einer Eselin reitend. Es war der Baarfüßer Franz Lambert von Avignon, der schon seit etlichen Jahren in seiner Zelle das Evangelium lieb gewonnen hatte auch durch Schriften Luthers, die zu ihm gedrungen waren, und nun im Begriffe stand ganz Deutschland zu durchziehen, um bis zu den Quellen vorzudringen. In Bern trat er ein in die neue Welt, die schon so reichlich von dem erfüllt war, was ihn in der Stille bewegt hatte. Wie erquickte sich Haller an seinem feurigen Geiste, seinen vielversprechenden Anlagen und schönen Kenntnissen. Wie der begeisterte Mann schon in Genf, in Lausanne, hier sogar vor dem Bischofe, und in Freiburg, predigend aufgetreten, so that er auch in Bern. Des Deutschen unkundig, bediente er sich der lateinischen Sprache. Mit großem Freimuth redete er von der Kirche, dem Priesterthum, der Messe, der römischen Tradition, von dem heuchlerischen Aberglauben der Orden und Ordensleute. Es machte einen mächtigen Eindruck auf viele Priester, sagt Haller, was sie bisher nur von Deutschen aussprechen gehört, nun auch aus dem Munde eines Franzosen, dazu eines Mönchs, ja eines Franziscaners zu vernehmen. Herzlich empfahl ihn Haller an Zwingli, bei welchem helleres Licht seinersehnenden Seele aufgehen sollte, das später auch auf deutsche Gauen verklärend wirken mußte.
Indeß war Lambert schon in Lausanne von den Mönchen bei dem Bischofe, dem jungen, stolzen Sebastian von Montfaucon, der Ketzerei verdächtigt worden. Und bald darauf wurde auch Haller, ungeachtet seiner Behutsamkeit, von eben dorther bedroht. Als nämlich der Bischof von Lausanne im August in Bern, das zu seinem Sprengel gehörte, bei seinem Schwager Christoph von Diesbach auf Besuch war, verlangte er vom Rathe, daß Haller nach Lausanne ausgeliefert werde, um über mehrere Artikel seiner Predigten daselbst verhört zu werden. Der Rath forderte Haller vor sich; freimüthig legte dieser, zur Verantwortung aufgefordert, seine in der Bibel gegründete Lehre dar. Allein die Ansichten waren ganz getheilt; es entspann sich ein heftiger Wortwechsel für und wider die neue Lehre, sowohl im Rathe als unter der Bürgerschaft, die sich ums Rathhaus in Schaaren gesammelt hatte. Haller’s Freunde, besorgt über den Ausgang, winkten ihm, sich nach Hause zu begeben; Vertraute begleiteten ihn dorthin und bewachten ihn stark, damit nicht etwa eine Entführung eintreten könne. Nach langer und stürmischer Berathung beschloß der Rath dem Begehren des Bischofs nicht zu entsprechen, sondern zu erwiedern, wenn er gegen die Prediger zu klagen habe, so möge er es zu Bern anbringen, hier werde man ihm gut Recht halten. Der Bischof wollte sodann die Priester eidlich verpflichten, sich der lutherischen Lehre zu enthalten. Allein der Rath hemmte seine Schritte.
Der eben erwähnte, den Predigern günstige Entscheid, durch welchen der Rath die bischöfliche Gerichtsbarkeit namhaft einschränkte, war von bleibender Bedeutung. Noch im nämlichen Monate ward Haller nebst Heinrich Lupulus und Thomas Wittenbach, den man von Biel kommen ließ, Beisitzer eines Ausschusses, der aus Auftrag des Rathes den Pfarrer einer ländlichen Gemeinde Georg Brunner öffentlich verhören mußte, welcher unter großem Zulauf des Volles die evangelische Lehre predigte und deshalb von Seiten anderer Priester hart angegriffen wurde. Diese öffentliche Verhandlung gab dem Angeschuldigten willkommenen Anlaß, über Messe, Papstthum, Priestergewalt mit der Bibel in der Hand die schriftgemäße Lehre kräftig zu verfechten; seine Freisprechung war ein neuer Sieg des Evangeliums und bewährte die feste Haltung des Rathes auch gegenüber dem Bischofe von Konstanz, in dessen Sprengel dieser Theil des bernischen Gebietes lag. Haller schrieb diese denkwürdige Verhandlung nieder, „ganz der Wahrheit gemäß, niemanden zu Lieb noch zu Leid;“ bescheiden fügt er bei: die Leser möchten sich mit seinem schlechten Deutsch zufrieden geben. – Ein Hirtenbrief des Bischofs von Konstanz wider die, welche mit „schrecklichem, zänkischem Aufruhr“ die Kirche bewegen und ihre alten Gewohnheiten antasten, wurde um diese Zeit vielfach verbreitet, fand aber durch eine Schrift Sebastian Meier’s, die durch Haller’s und Zwingli’s Beihülfe zum Drucke befördert wurde, eine klare Beleuchtung und kräftige Widerlegung.
Immer freier und freudiger wurde inzwischen die evangelische Lehre gehört und gepredigt unter großem Zulaufe des Volkes. Nun machte auch Haller sich los von den bisherigen Beschränkungen in der Mittheilung des biblischen Textes. Er fing an über das ganze Evangelium St. Matthäi zu predigen. Er erbat sich dazu von Zwingli Erläuterungen über manche Stellen; dieser lehnte es indeß nothgedrungen ab wegen der Ungeheuern Menge höchst dringender Geschäfte, gab zwar über Einiges Aufschluß, doch mit der ausdrücklichen Bitte, „man solle, was er da schreibe, ja nicht für Orakel nehmen, sondern nur als Anregung zu weiterem Nachdenken.“
Zusehends wuchs in Bern durch die Macht des kräftig eindringenden Gotteswortes die Zahl der Gläubigen, so daß auf der Tagsatzung zu Baden im Dezember 1522, als die Mehrzahl der Eidgenossen den Antrag stellte, die lutherischen Predigten in der gesammten Eidgenossenschaft abzustellen, die Berner durch ihren Gesandten Sebastian von Stein die Erklärung abgaben, „sie ihres Theils wollten frei sein und ihre Prediger an der Verkündigung des Evangeliums und der heiligen Schrift nicht verhindern, vielmehr sie dabei schützen und schirmen!“
Nicht wenig trug auch zum Gedeihen des Evangeliums in Bern die im März 1523 erfolgende Wahl bei, wodurch Nikolaus von Wattenwyl, einer der vornehmsten Berner, zu der mit manchen Privilegien ausgestatteten Würde eines Probstes am Münster erkoren und damit zum Haupte der bernischen Geistlichkeit erhoben wurde.
An zähem und erbittertem Widerstande gegen das Evangelium fehlte es indeß auch nicht; die Verkündiger des Gotteswortes sahen sich manchmal bedroht und mit Schmähungen überhäuft. Besonders der Prediger der Dominikaner, Hans Heim, den die Widersacher von Mainz hatten kommen lassen, zog wider sie los. Die Gegner nannten Haller spottweise den „ketzerischen Wanst,“ seinen noch schärfer auftretenden Mitarbeiter Sebastian Meier ein „Ungeheuer von einem Ketzer, Vater und Lehrer aller Ketzereien, der alsbald mit dem Feuertode zu bestrafen sei.“ Von Haller meinten sie, „er sei noch etwas weniger in Bosheit und Irrthum verstrickt.“ Der Erfolg solcher Schmähungen war, wie der Stand der Dinge im Ganzen, ein verschiedener.
Wiewohl die Berner, gleich den übrigen eidgenössischen Orten, ungeachtet erhaltener Einladung niemand auf das erste Religionsgespräch sandten, das zu Ende Januar 1523 in Zürich gehalten wurde, hielt man Sebastian Meier nicht ab demselben beizuwohnen. Haller schreibt bald hernach (8. April) an Zwingli: „Du hast ihn etwas milder gemacht. Doch predigen wir beiderseits so, daß Einer den Andern schützt und stützt. Täglich vermehrt der Herr unsere Versammlung, obwohl der Adel uns entgegen ist, dem Zinse und Zehnten am Herzen liegen. Ich sollte Freunden und Gegnern darüber die Lehre Christi vorhalten, und erbitte mir deshalb Belehrung von dir.“ Schon war es dem aalglatten Generalvikar des Bischofs von Konstanz, Johann Fader, gelungen, namentlich den höchst einflußreichen Sebastian von Stein, der zuerst in Bern dem Evangelium günstig gewesen und es gefördert hatte, dawider einzunehmen, ja ihn zum entschiedenen Gegner umzuwandeln durch die Zuflüsterung: „Jetzt geht es über uns und hernach wird’s über die Junker gehen! Laßt uns zusammen stehen wider diese aufrührischen Ketzer!“ „Durch dieses Geschrei, sagt Anshelm, wurden viele Junker, Gewaltige und Reiche stumm und verstockt Gottes Wort zu hören, geschweige denn es anzunehmen; nannten teuflisch und evanhöllisch, was göttlich und evangelisch ist.“ Oeffentlich hieß der genannte Staatsmann die Lehrer des Evangeliums Verfälscher des göttlichen Wortes und Lügner, so daß sie nicht dazu schweigen konnten. Indeß wußte der Rath die Sache so beizulegen, daß, wie Haller schreibt, „jedermann zufrieden war und die evangelische Wahrheit frei in ihren Verkündigern triumphirte.“ Auch die Vorurtheile gegen die evangelische Lehre, welche die Gesandten etlicher Kantone in Bern zu verbreiten suchten, blieben damals ohne Erfolg. Im Mai kann Haller aufs neue an Zwingli schreiben: „Bei uns thut der Herr Jesus von Tage zu Tage zur Versammlung hinzu, so daß, wenn Gott uns nicht verläßt, es schwer halten wird, sein Wort zu unterdrücken, so sehr auch der Adel dagegen arbeitet. Der Bischof von Lausanne wollte zum Beweis, daß ihm die geistliche Gerichtsbarkeit über uns zustehe, eine Visitation halten; allein der Rath schickte sobald er durch den Probst Niklaus von Wattenwyl von der Zurüstung Kenntniß erhielt, einen Boten an ihn und untersagte ihm, sei’s in der Stadt sei’s auf der Landschaft Solches vorzunehmen.“
Die Entzweiung nicht bloß unter den Geistlichen, sondern auch unter dem Volke nahm indeß fortwährend zu und führte zu mancherlei Reibungen und Scheltungen. Dies veranlaßte den Rath der Zweihundert dasselbe zu thun, was damals auch andere Städte thaten. Zur Erhaltung der Ruhe und Einigkeit erließ er am 15. Juni 1523 ein Mandat des Inhalts: „alle Prediger sollen nichts Anderes als allein das heilige Evangelium und die Lehre Gottes frei, öffentlich und unverborgen, desgleichen, was sie sich getrauen durch die wahre heilige Schrift zu bewähren, verkünden und sich aller anderen Disputationen, die den heiligen Evangelien ungemäß sind, sie seien von dem Luther oder anderen Doctoren ausgegangen, gänzlich enthalten, da wir wollen, daß jeder Prediger dem gemeinen Volke die bloße, lautere Wahrheit der heiligen Schrift vortrage. Niemand soll fortan den Andern einen Ketzer, Buben oder Schelm schelten.“ Dieser Erlaß ist das erste der Reformation günstige Edikt, das in Bern erschien. Daran knüpfte sich in der Folge ihr ganzer Sieg daselbst; doch war dieser dadurch noch keineswegs gesichert. Denn einerseits sollte diese Verordnung nur „bis auf Weiteres“ gelten, andrerseits barg sie in sich eine gewisse Unsicherheit. Auch die Gegner der Reformation hatten zugestimmt in der Meinung, daß die evangelischen Prediger „lutherische“ Lehre vortrügen, diese aber hier verboten sei, und erkannten erst zu spät, welche Waffe sie der Gegenpartei in die Hand gegeben hatten durch die Bestimmung, daß einzig Gottes Wort gemäß der heiligen Schrift gepredigt werden dürfe. „Da gereute sie es,“ sagt der Chronist Anshelm. Zwingli dagegen sammt den Seinigen war über dieses Edikt hoch erfreut.
Hinwieder hören wir auf derjenigen Tagsatzung, die im Juli 1523 zu Bern gehalten wurde, aus dem Munde des bernischen Gesandten Kaspar von Müllinen die besonders Zwingli verunglimpfende Warnung an die übrigen Tagherren: „Liebe Eidgenossen, wehret bei Zeiten, daß die lutherische Sache und die, so damit umgehen, nicht die Oberhand gewinnen; denn ihre Prediger haben es in Zürich so weit gebracht, daß die Regenten daselbst, wofern sie es gern wenden wollen, es nicht vermöchten. Auch ist’s dahin gekommen, daß Einer in seinem eigenen Hause nicht sicher ist, ihre Bauern weder Zinsen noch Zehnten mehr geben wollen, und ist eine solche Entzweiung in jener Stadt und auf dem Lande, dergleichen nie erhört worden ist!“ Solche Reden entflammten die Gemüther der Tagherren, und man beschloß, „den Zwingli überall, wo man ihn auf eidgenössischem Gebiete betreffe, gefänglich einzuziehen.“
Auch den bernischen Predigern lauerte man auf, um ihre Vertreibung bewirken zu können. Ein willkommener Anlaß schien sich hiefür zu bieten, als am St. Michaelstage (29. September), dem Hauptfeste des Klosters der Dominikanerinnen zu Bern, „Insel“ genannt, Bertold Haller sammt Thomas Wittenbach von Biel und Sebastian Meier sich daselbst gesprächsweise über das Klosterleben dem Gottesworte gemäß äußerten. Namentlich stellte Haller im Gespräche mit der Nonne Barbara Mai, ein Tochter des Claudius Mai, welcher der Reformation sehr günstig war, in Gegenwart ihrer Großmutter den ehrbaren Ehestand als eben so berechtigt dar und verwarf das Vertrauen auf den höheren Werth des klösterlichen Lebens. Dieses Gespräch, durch Zusätze entstellt, wurde alsbald herum geboten, und bei dem kleinen Rathe, der wie anderwärts ungleich mehr den Neuerungen abhold war als der große, die schwere Klage erhoben, Haller habe ausgesagt: die Nonnen seien in des Teufels Stand und also des Teufels. Die Kläger drangen dabei auf Anwendung eines alten, fast vergessenen Gesetzes: wer eine Nonne aus der Insel entführe, habe den Kopf verwirkt. Aus Gnaden wollten sie den Predigern, deren Verschuldung weit schwerer sei, da sie das ganze Kloster haben verführen wollen, das Leben schenken; doch sollten sie zur Stunde unverhört das Land verlassen und schwören, es nie mehr zu betreten. Der kleine Rath war Willens zu entsprechen. Als aber die Sache glücklicher Weise vor den großen Rath gebracht wurde, erhob sich ein junger beredter Mann, Hallers Freund, Bernhard Tillmann, und sprach: „Es ist doch eine schwere Sache diese Männer so hart zu strafen unverhört, da ihnen eben so wohl zu glauben ist, als den Frauen und Herr Bertold anders mir den Handel hat erzählt.“ Sofort wurden die Angeklagten berufen. Sie behaupteten, nichts Ungebührliches geredet zu haben; sie drangen auf Untersuchung; man wollte nun die Großmutter der Nonne auch noch verhören. Da machte der Venner Hans Weingart, ein rüstiger Freund des Evangeliums, durch den guten Einfall, „er wolle beiden Theilen glauben,“ der mißlichen Verhandlung ein Ende. Auf seinen Antrag beschloß man, den Predigern zu bedeuten, daß sie ihrer Kanzeln warten und des Klosters müssig gehen sollten. „Also gab Gott Gnade, bemerkt Anshelm, daß auf diesen Tag (23. October) die treuen Prediger zusammt dem Evangelium errettet und erhalten wurden; einer vom Adel klagte deshalb, „nun sei’s gethan; der lutherische Handel habe seinen Fortgang.“ Man sieht daraus, wie viel Gewicht die Gegner diesem Vorgang glaubten beimessen zu sollen, und wie groß die Gefahr war, die hier über Hallers Haupte geschwebt und zugleich die eben erst keimenden Anfänge der evangelischen Wahrheit zu Bern bedroht hatte.
Wenige Wochen später (den 25. November) hatte jedoch Haller den Schmerz, seinen Freund und Landsmann den Stadtarzt Valerius Anshelm, der seit zwanzig Jahren in Bern gewesen und von Anfang zu den lebhaftesten Beförderern des Evangeliums gehört hatte, zu einer Geldbuße verurtheilt zu sehen, weil seine Gattin auf einer Badenfahrt sich gelegentlich dahin geäußert, die Jungfrau Maria sei der Gnade Jesu Christi bedürftig wie sie selbst und wie jede andere Frau; sie könne nicht selig machen. Den Spottnamen: „unsrer Frauen Schwester“ ihr deshalb anzuhängen, genügte den Widersachern noch nicht. Abgesehen von der Buße, verkürzte man ihrem Mann überdies seine Besoldung um die Hälfte, was ihn bewog, Bern zu verlassen und in seiner Heimat eine Zuflucht zu suchen, bis er, dort bedrängt, nach Vollendung der Reformation Berns unter günstigeren Verhältnissen wieder zurück kehren durfte. Haller ward durch seine Vertreibung um einen energischen Gehülfen ärmer.
Zu mannigfachen Verhandlungen sah sich der Rath um eben diese Zeit veranlaßt, durch das Verlangen nach Austritt aus dem Kloster von Seiten der Nonnen zu Königsfelden, welche, großentheils vornehmen bernischen Geschlechtern angehörig, sich mit der Bibel, sowie mit Zwingli’s und Luther’s Schriften vertraut gemacht hatten. Hier zeigte der Rath eine im Vergleich mit der eben erwähnten Bedrohung der Prediger erstaunliche Willfährigkeit. Er erließ diesen Nonnen schrittweise Manches von ihren klösterlichen Pflichten. Dennoch flehten dieselben „um Gottes und ihres Seelenheiles willen als unschuldige arme Gefangene“ um ihre Entlassung „Meine Gefangenen müssen sie nicht sein!“ rief der sonst den Klöstern gewogene Venner Krauchthaler. Man gewährte ihnen (am 20. November 1523) freien Austritt. Die Aebtissin und manche andere schritten zur Ehe. Mit großer Verwunderung schaute das Volk im Münster zu Bern der öffentlichen Trauung mehrerer unter ihnen zu.
4. Schwankungen und rückgängige Bewegung, 1524 und 1525.
Wie hier in den zuletzt angeführten Beispielen, so finden wir fortgehend in Berns Haltung ein gewisses Schwanken, eine Unsicherheit in Hinsicht der kirchlichen Angelegenheiten, die theils aus dem Widerstreite der Parteien auf diesem Gebiete, theils aus den mancherlei anderweitigen politischen, zumal vaterländischen Rücksichten sich wohl begreifen läßt. Daher Anhelm bei Anlaß der Vertreibung des evangelischen Predigers in Aarau nicht mit Unrecht sagt: „Also verwirret war die weltweise Obrigkeit in diesen Händeln, daß sie weder ganz lauter („luter“), noch trüb sein konnt‘, sondern nach anfallender Anfechtung auf und ab handelt‘.“
Von Seiten der päpstlichen Kantone wurde auf etlichen Tagsatzungen zu Anfang des Jahres 1524 bittere Klage erhoben über den schändlichen ketzerischen Handel, der in der Eidgenossenschaft, besonders in Zürich, stets wachse, und darauf gedrungen, ernstlich dagegen einzuschreiten. Sämmtliche Kantone (außer Zürich) vereinigten sich deshalb auf neunzehn Artikel, welche verordneten, daß das Evangelium gepredigt werden solle, aber nach alter Gewohnheit und mit Beibehaltung aller bisher üblichen Gebräuche. Bern schien damit ganz einverstanden; seine Boten Sebastian und Albrecht von Stein eiferten aufs heftigste wider alle Neuerungen, doch oft mehr nach ihrem eigenen Sinne, als aus Auftrag; das Interesse für die fremden Kriegsdienste, welche Zwingli als das größte Unheil der Eidgenossenschaft verwarf, fiel eben bei manchen der mächtigsten Berner schwer ins Gewicht. In Gemeinschaft mit zehn Orten (Zürich und Schaffhausen ausgenommen) traf Bern sodann im April dieses Ihres nähere Bestimmungen über die Ausführung des obigen Beschlusses, und erließ in Folge dessen am 28. April ein neues Mandat, wodurch zwar das frühere, der Reformation günstiges von 1523) scheinbar bestätigt wurde, jedoch die ihr ungünstigen Zusätze enthielt: Priester, die sich verehlichen, verlieren ihre Pfründe; wer die Mutter Gottes oder die Heiligen schmähe oder verachte, wer in der Fasten Fleisch esse oder sonst dergleichen unerhörte Sachen brauche oder von der Kanzel predige, habe Strafe zu erwarten. Diesem Mandate folgte hinwieder schon im Mai ein zweites: da die Priesterehe nicht gestattet worden, so erheische die Billigkeit, auch das Concubinat der Priester aufzuheben, und in vierzehn Tagen seien ihre unnützen Frauen und Mägde wegzuschicken bei Verlust der Pfründe. „Dieses Gebot, bemerkt Anshelm, erregte großen Unwillen, und viele Priester, die vorher gegen die Ehe der Geistlichen heftig geeifert hatten, wurden nun gar stille, da sie selbst Reinigkeit halten sollten; diese fanden denn auch Mitleid und Nachsicht, die fromme Ehe aber nicht.“ Drei und viermal mußte dieses Gebot wiederholt werden; so lässig war die Befolgung. Mehrere Chorherren, welche ihre Concubinen behielten, andere, die sich verehlicht hatten, wie Chorherr Lupulus, wurden entsetzt. Haller selbst wurde bei seiner Lebensweise hievon nicht betroffen. Immerhin mußte er die hemmenden Zusätze, die das frühere Mandat erhalten hatte, als einen theilweisen Rückschritt im Reformationswerke empfinden. Es gab sich darin eben das Streben nach einer beiden Parteien entsprechenden Art von Vermittlung, die aber auch für beide Theile gleich sehr unbefriedigend sein mußte, auf ungeschickte Weise kund.
Doch sollte es für Haller noch schlimmer kommen. In Betreff der Drohungen gegen Zürich, welche jenem Beschlusse der zehn Orte beigefügt waren, gab Bern freilich die beruhigende Versicherung, Bern suche Alles zu befördern, was zu Ruhe und Einigkeit diene, dagegen Zwietracht, Aufruhr und Widerwillen zu verhüten; etwas Gewaltthätiges gegen die Zürcher vorzunehmen oder ihnen einen andern Glauben aufzudringen, sei man nicht gemeint. Auf der andern Seite aber führte dasselbe Streben, der Ruhe zu pflegen, aller Unruhe aber sich zu entledigen, zur Vertreibung von Hallers treuestem Mitarbeiter.
Der Streit der Dominikaner und Franziskaner (Baarfüßer) fetzte sich nämlich auch in dieser Zeit fort. Jener Prediger Heim, welchen die Dominikaner, die dem Evangelium eben so sehr wie den Baarfüßern feind waren, von Mainz hatten kommen lassen, gewann durch seine dreisten Streitpredigten großen Zulauf, doch gab es in seinen Predigten viel Gemurmel, so daß Manche entrüstet hinweg gingen und endlich an einem Sonntage (23. October 1524) zwei angesehene Bürger, Thomas von Hofen und Leonhard Tremp – ohne anders um den Rath zu entscheidenden Schritten zu drängen – ihn öffentlich während seiner Predigt einen Lügner nannten, vornämlich weil er gesagt hatte: Christus habe nicht genug gethan für unsere Sündenschuld, wie die neuen Evangelischen wähnen, sondern wir müssen auch selbst dafür genug thun; dies sei die schriftgemäße Lehre. Heim verließ sofort die Kanzel. Die beiden Bürger wurden, wie zu erwarten war, alsbald verhaftet und sammt den Predigern vor den großen Rath beschieden. Die Beklagten drangen auf gründliche Untersuchung; sie erboten sich die Falschheit der Lehren des Predigermönchs zu beweisen auf ihre Kosten und die verdiente Strafe zu leiden, wofern sie Unrecht hätten; ebenso solle man auch gegen den Prediger handeln. Allein der Rath, dem „zänkischen Disputiren“ abhold, und nicht geneigt, sich näher auf die Sache einzulassen und dadurch zu unbequemen Entscheidungen genöthigt zu werden, zog es vor, beiden Parteien nachzugeben. Er beschloß, Beide, sowohl der Prediger der Baarfüßer (Sebastian Meier), als der der Dominikaner sollen sofort das Land räumen, in beiden Klöstern die Predigten bis auf Weiteres aufhören; man solle sich mit denen im Münster begnügen. Bald darauf (am 22. November) ging abermal ein Erlaß aus, der das letzte Mandat bestätigend in seltsamen Schwankungen Altes und Neues zu verquicken und dadurch beiden Parteien gefällig zu werden strebt.
So verlor Bern einen seiner ersten und beredtesten Verkündiger des neu aufleuchtenden Evangeliums, Haller seinen standhaftesten Freund und Beistand in dem schweren Werke. Nun stand er ganz allein und hatte daher einen doppelt schweren Stand. „Es hatte dabei das Ansehen, bemerkt Anshelm überdies, daß Bertold, der Sache nicht gewachsen, zu schwach für dieses Werk, auch weggeschafft würde. Als sich aber zeigte, daß sein Ansehen täglich mehr zu- als abnahm, da trachtete man alsbald, ihn seinem Bischof gen Lausanne auszuliefern, so nämlich, daß die Obrigkeit nicht hätte darum wissen wollen. Dies wurde aber durch die Steinhauergesellen verhindert. Einmal bei Nacht, als er, in eines Kranken Namen berufen, sollte geknebelt und hinweg geführt werden, schrien ihm die Steinhauer, die in der Hütte, wo sie gezehrt, ein verdächtiges Geräusch gehört hatten, zu, er solle in seinem Hause bleiben.“ Zum andern Mal um Mittagszeit traten sie mit ihren Bickeln und Degen zu ihm, daß er unangefochten blieb und der Anschlag zu nichte ward. „Aber der wunderbare, gnädige Gott, fügt der genannte Chronist hinzu, kehrte die vielfachen Räthe und Anschläge des listigen, vor Gott aber blinden Weltwitzes unverhofft zum Guten, nämlich zu freier, einhelliger Predigt des Evangeliums, wozu es nimmer oder kaum gekommen wäre, falls die unvereinbaren Klöster ihr zwieträchtiges Geschrei hätten fortsetzen können. So aber wurden alle Gutwilligen und eine fromme Gemeinde durch solche gewaltsame Versuche und Anschläge um desto beherzter und stärker.“
Zunächst sehen wir freilich die rückgängige Bewegung noch weiter fortgehen. Die Veranlassung dazu gaben die Miteidgenossen. Immer gereizter wurde die Stimmung. Während Zürich auf dem Wege der Reformation schrittweise vorwärts ging, trachteten die päpstlich gesinnten Orte durch gemeinsame Maßnahmen immer ernstlicher dem Umsichgreifen der Reformation in ihren Gebieten und in den gemeinsamen Landschaften zu wehren. Indeß war nicht zu verkennen, daß die grellen Gebrechen der Kirche, insbesondere die Entsittlichung des Klerus, zu ernsten Klagen berechtigten. Neun Orte, worunter Bern (Zürich, Basel, Schaffhausen und Appenzell betheiligten sich dabei nicht) vereinigten sich daher im Februar 1525, in Luzern tagend, in Betracht, „daß der oberste Hirt und die geistlichen Obern schlafen“, auf einen höchst merkwürdigen Entwurf einer „Reformation“, der bis zu einem allgemeinen Concil gelten sollte. Das ganze bisherige Kirchenwesen wollte man dabei festhalten, nur jene Mißstände beseitigen. Acht Orte versagten indeß diesem Entwurfe ihre Genehmigung, in der Meinung, daß der geistlichen Gewalt dadurch zu viel Eintrag geschehe. Bern dagegen erließ im Sinne desselben, doch mit einigen Milderungen, am 7. April 1525 ein neues Mandat von 35 Artikeln, das nun an die Stelle des Ediktes von 1523, sowie der 1524 ihm beigefügten Zusätze trat, das aber ungeachtet etlicher anerkennenswerther Einzelheiten in mancher Hinsicht einen abermaligen Rückschritt der Reformationssache bezeichnet. Die sieben Sakramente nämlich nebst allen übrigen herkömmlichen Gebräuchen, wie Fasten, Beichte, Heiligenverehrung rc. sind unverändert beibehalten; betreffend das Fegfeuer und die Seelenmessen soll niemand gezwungen sein daran zu glauben oder solche halten zu lassen; Ablaß darf nicht mehr um Geld verkauft werden; was sonst der Papst oder die Bischöfe um Geld erlauben, soll von jedem Pfarrer ohne Geld gewährt werden; die Priester sollen ehrbar wandeln und ihrem Amte obliegen; die Priester, die sich verehlichen, verlieren ihre Pfründe, nicht aber das Amt; die Bibel und was ihr gemäß ist, mag jedermann zu seinem Heile gebrauchen, die Bücher dagegen, welche der Schrift zuwider und ketzerisch sind, sollen verbrannt werden; der Rath behält sich vor, solche Priester, die er für geschickt hält das Wort Gottes zu verkündigen, als Prediger anzustellen; in weltlichen Dingen sollen die Priester sich an die weltlichen Gerichte halten; bei Ehesachen entscheidet die Obrigkeit, ob sie vor den Bischof kommen sollen; die Gotteshäuser bedürfen zum Kauf und Verkauf von Grundstücken die Erlaubniß der Obrigkeit; Zinse, Zehnten und dgl. soll jedermann wie bisher treulich entrichten.
Dieses Reformations-Edikt, welches dem Charakter Berns gemäß vornehmlich das Selbstgefühl einer Regierung ausdrückt, welche sich der geistlichen Gewalt gegenüber ihre selbstherrliche Stellung zu wahren weiß, übrigens aber das Gepräge der bisherigen Halbheit an sich trägt, mißfiel den entschieden päpstlich gesinnten Kantonen (Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg), denen schon der Entwurf zu weit ging, besonders auch um der Milderungen willen, welche dieser in einigen Punkten hier erfahren hatte. Sie sahen auf Bern bald mehr, bald weniger mit einem gewissen Mißtrauen. Mannigfach waren die Gesandtschaften, durch welche bald diese auf Bern, bald Bern nebst andern Orten in vermittelnder Stellung auf Zürich zurückhaltend einzuwirken suchten.
Unendlich litt Bertold Haller unter diesen schwankenden Zuständen. Während Bern insgemein Anmaßungen der Bischöfe und selbst Eingriffen des Papstes kräftig widerstand, sah er im bernischen Oberlande einen der treuesten Verkündiger des Evangeliums, den Pfarrer von Amsoldingen, Johannes Haller ((Er war kein Verwandter Bertold Hallers, sondern aus Wyhl (Kanton St. Gallen) gebürtig, fiel in der Schlacht bei Kappel; von ihm stammt das jetzige Geschlecht Haller in Bern.)), in der Fasten 1525 durch den Einfluß des Bischofs von Lausanne vertrieben. Wie schwierig und mißlich während dieser lange dauernden Unsicherheit Bertold Hallers eigene Lage sein mußte, ist leicht zu ermessen. Er sah sich vereinzelt, vielfach gefährdet und gehemmt, sein Wirken überall durchkreuzt. Nur seine große Vorsicht und Gemüthsruhe konnte ihm durchhelfen. Selbst von eifrigen Freunden des Evangeliums fand er sich in politischen Dingen getrennt, da er, gleich Zwingli, fremden Bündnissen, somit auch dem französischen, nicht hold sein konnte. Hören wir, wie er sein bekümmertes und doch wieder gottvertrauendes Herz (5. October 1525) gegen seinen Freund Vadian ausschüttet. „Allenthalben gibt es zwar Viele, an denen man sieht, daß sie die Finsterniß mehr lieben als das Licht. Du kannst dir aber wohl denken, wie man hier gegen das Evangelium Christi gesinnt ist, da durch gedruckte Mandate schon mehr als Ein Mal befohlen worden, dasselbe rein und unverfälscht zu predigen, und doch wieder nach Willkür Alles so vereitelt wird, daß das Volk dem gepredigten Worte durchaus nicht folgen kann.“ Einzig das hielt Haller aufrecht, daß ihm doch wenigstens das Evangelium zu verkündigen vergönnt war und daß Einzelne, namentlich aus der Familie Mai ihm aufrichtig zugethan waren. Den letztern widmete Zwingli auf Hallers Rath im August 1525 seine „Nachhut vom Nachtmal“.
Was aber Hallers Stellung in diesem Jahre noch besonders erschwerte, war das Auftauchen der stürmischen Wiedertäufer. Der Kampf mit ihnen erschien noch bedenklicher als der gegen die Beschützer des Althergebrachten. Durch ihre begeisterten Reden, durch die scheinbare Menge ihrer Schriftzeugnisse machten sie auch in Bern Eindruck gerade auf manche Freunde des Evangeliums und versetzten sie in Zweifel. Man verdächtigte sogar Haller und Thomas Wittenbach bei Zwingli, als ob sie den Wiedertäufern zugethan wären. Haller weist aber aufs entschiedenste jeden Verdacht ab. „Nie, schreibt er an Zwingli (am 29. November 1525), nie sind wir in diesen Unsinn verfallen, die Kindertaufe zu verweisen oder die Wiedertaufe zu billigen.“ Balthasar Hubmeier, Pfarrer in Waldshut, habe durch seine Schrift Manche verwirrt; ein junger, dreister und höchst redseliger St. Galler, Lorenz Hochrütiner, habe sich in Bern aufs frechste über die Taufe ausgelassen, sei aber von Wittenbach trefflich zum Schweigen gebracht worden. Zwingli möge ja seinen Schwager Tremp warnen, ebenso Sebastian Hofmeister seinen in Bern weilenden Bruder. Oecolampad habe an Haller geschrieben, sowie Butzer, welche beide ganz mit Zwingli übereinstimmen, er solle ja dieses ansteckende Uebel nicht weiter sich einschleichen lassen. „Sei fest überzeugt, fährt Haller fort, so lange es Gott gefällt, daß ich der Berner Kirche vorstehe, so werde ich nichts blindlings antasten, sondern mich an Gelehrtere halten, die in der Schrift besser bewandert sind als ich. Mit Einem Worte, ich bin so gesinnt, daß ich mich lieber tödten ließe, als daß ich mich wiedertaufen lassen oder der Wiedertaufe zustimmen würde.“ Haller dankt seinem „Bruder und Lehrer“ Zwingli herzlich für seine so eben, höchst gelegen erschienene Schrift gegen die Wiedertäufer. Schließlich bemerkt er, eine zürcherische Gesandtschaft könnte zur Förderung des Evangeliums in Bern erstaunlich viel beitragen, wofern auch nur Einer der Gesandten wohl beredt wäre.
Diese Gesandtschaft erschien; sie trat Dienstags, 21. Dezember 1525, vor den großen Rath zu Bern. Sie rechtfertigte Zürich darüber, daß man „die Messe, die der Einsetzung Christi nicht entspreche, abgethan und dagegen dem heitern Worte Gottes gemäß das heil. Abendmal eingeführt habe.“ Die Gesandten sprachen sich über Messe und Abendmal so deutlich und offen aus, wie man es in Bern bisanhin wohl noch nicht hatte thun dürfen. Dies begünstigte auch in Hallers Verhalten einen wesentlichen Fortschritt. Von da an (auf Weihnacht) hörte er auf, Messe zu lesen. Ueber ihn schreibt der Rathsherr Claudius Mai am nämlichen Tage an Zwingli: „Meine Herren Räthe und Bürger haben vergangenen Freitag unsern Herrn Bertold aufs neue bestätet zu predigen. Man sucht viele Ränke, ihn zu vertreiben; aber ich hoffe zu Gott, es werde nicht geschehen“.
5. Die Disputation in Baden, 1526.
Der eben erwähnten zürcherischen Gesandtschaft gab Bern die freundliche Versicherung, sich nicht von Zürich lossagen, sondern bei den Bünden bleiben zu wollen; auch im Februar und noch im März 1526 erklärte Bern mündlich und schriftlich dasselbe ungeachtet aller der Botschaften von Seiten der päpstlich gesinnten Kantone, welche verlangten, daß die Berner, gleich ihnen, jetzt nicht mehr neben Zürich auf den eidgenössischen Tagen sitzen sollten.
Dennoch blieb ihr unausgesetztes Drängen nicht ohne Erfolg. Das Unheil des vorjährigen Bauernkrieges, der auch nach der Schweiz sich verzweigt hatte, die theilweise damit zusammen hängenden Regungen der Wiedertäufer, ihre unseligen Ausschreitungen hatten viele schwankende Gemüther erschreckt, manche dem Evangelium Geneigte unsicher gemacht und so eine der Reformation ungünstige Stimmung erzeugt; und diese Zeitströmung, durch anderweitige politische Vorgänge noch begünstigt, wurde von den Verfechtern des Papstthums aufs emsigste benutzt. Die Veranstaltung des Religionsgespräches zu Baden (im Aargau) bildet einen Theil, gewisser Maßen den Höhepunkt dieser Gegenwirkung. Gegenüber den in Zürich gehaltenen Religionsgesprächen, deren bedeutende Wirkung zu Gunsten der Reformation nicht zu verkennen war, erschien die Anordnung einer Disputation in entgegen gesetzter Richtung als das beste Mittel, die in Zürich vorgenommene Reformation zurück zu drängen und das in allen Schichten des Volkes vielfach erschütterte Ansehen der bestehenden Kirche wieder zu heben. Je mehr die Veranstaltung eine gemein-eidgenössische ward, desto mehr ließ sich erwarten, daß der Schlag von allgemeiner Wirkung sein und in weitem Umkreise die da und dort hervorbrechenden Keime der Reform werde zu überwältigen vermögen. Daher gaben sich die der Reformation besonders feindseligen Kantone alle mögliche Mühe, die milder Gesinnten oder Unsichern zu diesem Schritte zu bewegen, insbesondere auch Bern dazu zu bringen, welches lange Zeit nicht einwilligen wollte, vielmehr einwandte, es sei dies ein schwerer Handel , es sollte nur mit Bewilligung des Papstes und Kaisers eine solche Disputation gehalten werden, jedenfalls aber wäre eher Basel, als Sitz des Bischofs und der hohen Schule, der angemessene Ort. Doch alle diese Einwendungen wurden beseitigt; am 19. März 1526 ward auf einer Tagsatzung in Luzern von sämmtlichen Ständen (mit Ausschluß Zürichs) der Beschluß gefaßt, die Disputation in Baden zu halten, und am 15. April in Einsiedeln bestätigt. Nicht um Erforschung der Wahrheit konnte es sich dabei handeln; vielmehr war zum voraus in dem Ausschreiben erklärt, es werde dieses Gespräch gehalten, „damit Zwingli und seinesgleichen in der Eidgenossenschaft mit ihren verführerischen Lehren zum Schweigen gebracht (geschweigt) und das gemeine Volk einiger Maßen von den Irrthümern abgewandt und zur Ruhe gebracht werde.“ Zwingli wußte wohl, welches Schicksal ihn treffen würde, falls er sich einfände. Sein Schwager Tremp schrieb ihm von Bern: „Hütet euch bei Leib und Leben, daß ihr nicht gen Baden kommt; denn es würde an euch kein Geleit gehalten werden!“
Indeß war man in Bern über die Verbindlichkeit dessen, was in Baden beschlossen würde, in Zwiespalt. Während die Einen behaupteten, jedermann werde sich darnach zu halten haben und der neue Glaube ausgerottet werden, schworen Andere, dessen ungeachtet werden sie am Worte Gottes festhalten. Um hierüber einen Entscheid zu erwirken und dem Einflusse der Letzteren vorzubeugen, wurden Ausschüsse vom Lande auf Pfingstmontag, 21. Mai, (eben den Tag, an welchem in Baden die Disputation begann) nach Bern berufen; ungeladen erschien auch eine Gesandtschaft der sieben päpstlich gesinnten Orte vor den Räthen und den Abgeordneten der bernischen Landschaft und beschwor die Versammelten, bei dem alten Christenglauben zu verbleiben und sich nicht zu dem neuen, überall Aufruhr stiftenden, ketzerischen Glauben bewegen zu lassen. Die Mehrzahl der Einberufenen vom Lande erklärte sich damit einverstanden. So kam, obwohl nicht ohne Hader, der Beschluß zu Stande, bei dem alten Glauben zu beharren laut des letzt ausgegangenen der Reform ungünstigen Mandates (vom 7. April 1525), und zwar mit Weglassung des Punktes (das Fegfeuer und die Seelenmessen anlangend), der damals frei gegeben worden war. Dieser Beschluß wurde sofort sogar durch allgemeinen, feierlichen Eidschwur bekräftigt und den Abgesandten der sieben päpstlich gesinnten Kantone eine besiegelte Urkunde darüber ausgestellt, die ihnen nichts zu wünschen übrig ließ und bloß auch die Bitte enthielt, daß des Glaubens wegen keine Gewaltmaßregeln gegen Zürich ergriffen werden möchten. „Dieses besiegelten Abschiedes, bemerkt Anshelm, wurden die sieben Orte gar hoch erfreut; aber die Freude, die mit viel menschlichen Umtrieben erobert war, wurde bald wunderbarlich umgekehrt und verbittert durch den, der aller Menschen Räthe und Thaten mit Nichts zu Nichts machen und durch eigne Führungen zerstören kann, so daß die Gutwilligen, dadurch wieder wohl getröstet und fester gestärkt, die gnädige, wunderwirkende Hand Gottes erkannten und priesen.“
Zunächst freilich war davon noch nichts wahrzunehmen. Vielmehr sahen sich die evangelisch Gesinnten und namentlich Haller in der tiefsten Erniedrigung. Die verehlichten Priester, welche nicht Kantonsangehörige waren, wurden verbannt; wer von den Kirchengebräuchen gewichen war, wurde hart gestraft, scharfe Aufsicht gehalten, besonders auf Fremde von evangelischer Gesinnung. zumal auf Buchführer, und eine Anzahl Bücher zur Schmach öffentlich verbrannt. Gesellige Zusammenkünfte wurden beschränkt, kurz Alles erdacht und vorgenommen, was irgend zur Vernichtung des evangelischen Glaubens dienlich schien. Der bisherige Prediger des Evangeliums, Bertold Haller, sollte sich, wie geschworen worden, nach dem alten Glauben richten, aber zu niemand und niemand zu ihm Gesellschaft haben. Alles ward ihm aufs äußerste verargt und verdächtigt. „Dennoch, tröstet sich Anshelm, war der Herr Gott Meister, also daß er die Weltwitzigen in ihren Anschlägen, Räthen und Thaten so verwirrt und kindisch gemacht, daß die Mittel, welche am stärksten ihrem Vornehmen dienen sollten, am stärksten dawider halfen.“
Indeß beschloß der kleine Rath noch am Nachmittag des Pfingstmontags, Haller sollte sofort nach Baden auf die Disputation reisen, um über Alles, was er gepredigt, es betreffe das Sakrament oder andere Punkte, Erläuterung zu geben und anzunehmen. Dasselbe wurde über Peter Kunz, Pfarrer in Erlenbach, der bisanhin im Simmenthale das Evangelium gepflanzt hatte, verfügt. Freiwillig begleitete sie Claudius Mai, Thomas von Hofen und andere evangelisch Gesinnte. Der große Rath ernannte Bernhard Tillmann zu ihrem Geleitsmann.
Haller befand sich zu Baden in sehr mißlicher Lage, auf jede Weise eingeengt. Bei der Ungunst seiner Oberen erschien er da wie ein Beklagter, ja beinahe schon Verurtheilter. Schon die äußern Anordnungen drückten die Mißachtung gegen ihn wie gegen Oekolompad aus. Eine prächtig geschmückte, hohe Kanzel war für den päpstlich gesinnten Gesprächführer zugerüstet, eine armselige, niedrige für den evangelischen. Zudem war es für Haller, den ungelehrten Mann, eine schwere Aufgabe, vor einer größtentheils sehr ungünstigen Hörerschaft mit einem so geübten Streiter wie Doctor Eck zu disputiren, der schon im Jahre 1519 bei der Disputation zu Leipzig gegenüber Luther und Carlstadt unter den Seinen sich einen großen Namen gemacht hatte und völlig bereit war, von allen den Mitteln Gebrauch zu machen, die ihm in den Augen der anwesenden Rathsboten den Schein des Siegers verschaffen konnten. Zum voraus rühmte er, wie die Herren von Bern durch Gottes Gnade zur Einigkeit des wahren Glaubens gelangt seien, und setzte Haller, den er nur einen Bruder in der Kiste nannte, verächtlich herab. Haller war, wie er selbst gesteht, anfangs etwas erschrocken.
Ueber die erste der sieben von Eck aufgestellten Thesen: „der wahre Leib Christi und sein Blut ist gegenwärtig im Sakrament des Altars“, begann das Gespräch zwischen Eck und Oekolompad (am Pfingstmontag, den 21. Mai), schon ehe Haller in Baden anlangte. (S. Band 2. Hagenbachs Oecolompad, S. 92.) Haller wagte, wie es scheint, aus berechtigter Vorsicht, um nicht als eidbrüchig behandelt zu werden, überhaupt nicht zu disputiren, bis er vom Rathe zu Bern durch eine besondere Zuschrift ausdrücklich behufs der Disputation des so eben eidlich beschworenen bernischen Mandates entledigt war. Nunmehr trat er auf und zwar gegen die zweite These, daß Christus aufgeopfert werde im Amt der Messe für die Lebendigen und die Todten, denn gerade dessen war Haller beschuldigt, namentlich von dem Provinzial der Augustiner Conrad Treger zu Freiburg, als einem Ohrenzeugen, daß er gegen die Messe gepredigt habe. Er erklärte, er wolle sich in Kürze auf die heil. Schrift berufen und ihr sich unterwerfen, führte namentlich aus der Epistel an die Hebräer (Kapitel 9 und 10) den Beweis, weil Christus ein vollkommenes Opfer gebracht habe, so möge dasselbe nicht von uns verbessert, sondern nur nachgebildet werden mit dankbarem Gedächtniß, wie denn der Herr selbst sage: Thut das zu meinem Gedächtniß. Wohl aber sei das Dankopfer, da wir uns selbst Gott darbringen zu einem lebendigen, heiligen, gottgefälligen Opfer, allen Christen anbefohlen (Röm. 12), als ein vernünftiger Gottesdienst. Da Eck spöttelte, er möchte wohl wissen, in welcher Schule Haller dies gelernt habe, und für seine Behauptung, die Messe sei ein Gedächtniß und dennoch auch selbst ein Opfer, sich auf Daniel und andre alttestamentliche Stellen berief, so wies ihn Haller beharrlich auf Christus selbst, der zweierlei von seinen Jüngern fordere, den Genuß des Sakramentes und daß dasselbe zu seinem Gedächtniß geschehe; dafür habe er (Haller) klare Stellen des neuen Testaments angeführt; nirgends dagegen sei die Messe eingesetzt oder angeordnet, daß der Priester allein das Sakrament genieße. Mochte auch Eck die Anschuldigung beibringen, Alle, welche das Meßopfer bestreiten, seien Vorboten des Antichrists, Haller ließ sich nicht irre machen. Eben so wenig ließ er sich durch die List fangen, welche Eck anwandte, ihn auf die erste These zurück zu bringen und ihn zu einer Erklärung über dieselbe zu nöthigen, wodurch er ihn bei den Bernern in Mißkredit zu bringen, wohl gar vom Predigtamte zu vertreiben hoffte. Eck wandte sich zwar sofort an den anwesenden Gesandten Berns, Kaspar von Müllinen, er möge es der Obrigkeit in Bern anzeigen, daß Haller nicht habe Rechenschaft geben wollen, damit sie sich vor dem Zwiespalt im Glauben von Seiten der neuen Prediger hüte. Haller aber glaubte, dem Befehle seiner Obrigkeit den schuldigen Gehorsam geleistet und ihrem Auftrage hinreichend nachgekommen zu sein, und bekräftigte zum Schlusse, wie das stete Opfer des Kreuzes und Lobes von allen Christen gefordert werde, nämlich Glaube und Liebe, so Gott von Herzen geliebt, gefürchtet und ihm vertraut werde. Haller reiste von Baden ab, ehe die Disputation, welche im Ganzen achtzehn Tage dauerte, zu Ende war; daher war er auch nicht genöthigt, für die eine oder andere Partei zu unterschreiben. Er hatte sich hier besonnen und muthig gezeigt unter den ungünstigsten Umständen, und durch seine schlichte Festigkeit die Erwartungen der Freunde und Gegner übertroffen. „Sei gegrüßt, theuerster Bertold, schreibt ihm Vadian ans St. Gallen schon am 13. Juni; jedermann rühmt den herrlichen Siegespreis und Ehrenkranz, den du bei dem Kampfe zu Baden errungen, und freut sich herzlich, daß wider Erwarten dem Sophisten Eck begegnet ist, von dem, welchen er mit solchem Selbstvertrauen wie einen Besiegten auf den Kampsplatz herbei zog, nach dem Ermessen Aller nicht nur besiegt, sondern auch zu Schanden gemacht zu werden. Wir hoffen, du werdest den Deinen nur noch lieber werden, wie zuvor. Deshalb bitt‘ ich dich um Christi willen, laß dich ja durch keinerlei Schmach, woher sie auch über dich komme, bewegen, den Platz zu räumen, wo du das Evangelium verkündest. Gott wird so mächtigen Stürmen einen glücklichen Ausgang geben! Harr‘ also tapfer aus und leide dich!“ Haller antwortet (am 21. Juni) in seiner gewohnten Bescheidenheit ganz bezeichnend: „Ich war als einer von der kleinen Heerde ziemlich betroffen ob der Gegenwart so vieler, ohne anders ausgezeichneter Gelehrten; der Herr aber verlieh mir, mit Zuversicht heraus zu reden, was ihm gefiel. Man ging verfänglich mit mir um, wie ich schon daheim ganz wohl spürte. Doch wie die Kinder dieser Welt nach ihrer Klugheit, so handelten wir in unserer Einfalt. Alles aber wird zur Ehre Gottes ausfallen! Bern ist Ein Mal gefallen, aber durch diesen schweren Fall ist’s bereits dahin gekommen, daß es kräftiger sich wieder erheben und kräftiger dastehen wird als bisher je.“
Auch in launigen Liedern auf dieses Badener Gespräch wird der große und wohlbeleibte Haller als der Bär von Bern gepriesen, der zu dem Riesen Eck in die Badewanne gesprungen sei und ihm so lange zugesetzt habe, bis die Reifen abgefallen seien:
„Da badet Eck auf trocknem Land,
Bis daß er in Daniele fand,
Z‘ fragen den Bär von Berne;
Er fraget das er selbst nit wußt‘;
Er gab sich nit so gerne.“
Als Haller von Baden zurück kam, hatte er freilich zunächst wieder einen schweren Stand in wirrevoller Unsicherheit. Er wurde alsbald vor den kleinen Rath gestellt und aufgefordert wieder Messe zu halten, was er nun schon ein halbes Jahr lang (seit der letzten Weihnacht) unterlassen hatte. Im Weigerungsfalle drohte ihm Verabschiedung, da in Baden beschlossen ward, die lutherischen Prediger abzustellen, und es bei den Gegnern überall hieß, sie seien daselbst unterlegen. Haller aber begehrte vor dem großen Rathe seine Antwort abzugeben. Mit Mühe erlangte er es. Hier stießen jedoch die beiden Parteien so hart auf einander, daß sich das Gerücht verbreitete, die Rathsherren seien handgemein geworden und viel Volk zulief. Haller selbst bat dringend, man möge seinetwegen nicht in Streit gerathen; lieber wolle er das Land meiden; so jemand irgend eine Klage wider ihn habe wegen seiner Predigten oder wegen dessen, was er in Baden gesprochen, so sei er hier zur Verantwortung bereit; aus wichtigen Gründen könne er nicht mehr Messe halten; so man nicht ihm als Prediger die Pfründe lassen wolle, so gebe er sie frei und willig auf; denn es liege ihm an der Ehre Gottes und der Wahrheit des göttlichen Wortes mehr als am Bauche und am Brote. Mit ergreifender Herzlichkeit trug er Solches vor; seine Festigkeit und Hingebung machten tiefen Eindruck selbst auf manche seiner Gegner. Die Chorherrnpfründe verlor er zwar wegen der Weigerung Messe zu halten; doch sollte ihm das Einkommen wie einem Verstorbenen noch zwei Jahre zukommen. Dagegen wurde er zum Prediger angestellt, nun zum dritten Male, und ihm dafür eine anständige Besoldung ausgesetzt. Einige der heftigsten Gegner der Reformation wurden so sehr hierüber erbittert, daß sie lieber Bern verließen und ihre Stellen im Rathe aufgeben wollten.
6. Berns Wiedererhebung, 1526 und 1527.
Von nun an begann in Bern das Licht des Evangeliums wieder aufzudämmern , wenn gleich noch manche Wolke über den Himmel hin zog. Mit neuer Kraft und mit neuer Freudigkeit fuhr Haller fort zu predigen. Wiewohl noch gebunden: altes und neues Testament zu predigen gemäß dem letzthin (21. Mai) erlassenen Mandate, fand er Spielraum genug zur lautern Verkündigung der christlichen Heilslehre. Bern erhob sich wieder von seinem Falle, wie er voraus geahnt; das Zutrauen, das er genoß, nahm zu, wie ihm Vadian es wünschte. Immer mehr fand das Evangelium Beifall und Eingang in die Herzen des Volkes.
Umsonst waren die harten Beschlüsse des Raths (29. Juni und 6. Juli) gegen Alle, die offen oder geheim dem letzten Mandat widerstreben würden, sowie die schweren Strafen, mit denen die bedroht wurden (30. Juni) welche Bücher, die demselben widerstreiten, verkaufen oder sofern sie solche besitzen, nicht heraus geben würden, ein Beschluß, der Hallern noch insbesondere mitgetheilt ward. Der Rath rügte es (19. Juli), daß er die Heiligenfeste und Prozessionen nicht mehr ankündige; doch dauerte es nicht lange, so wurden (24. Oct.) die Feiertage überhaupt sehr beschränkt.
Die Pest, welche im Spätherbst dieses Jahres um sich griff, erfaßte freilich auch manchen Freund des Evangeliums. Sehnlich wünschte sich Haller einen Gehülfen; er theilte sich auch darüber seinem steten Berather Zwingli mit. Sehr kam ihm zu Statten, daß der Rath gegen die Wiedertäufer entschieden mit Verweisung einschritt, da ihr heftiges Auftreten gegen die Prediger die Papisten ergötzte. Auch gegen Willkür des Klerus trat der Rath fortgehend fest auf.
Was aber zur Förderung des Evangeliums in Bern besonders beitrug, waren die Mißhelligkeiten, welche zwischen Bern und den inneren Kantonen der Schweiz in Folge der Badener Disputation eintraten. Gerade das ungemessene Triumphgeschrei der letztern wegen ihres anscheinend errungenen Sieges, dem sie für die gesammte Eidgenossenschaft verbindliche Kraft zu verleihen sich vermaßen, mußte zum Widerspruche reizen. Bald nach dem Schlusse der Disputation verlangte Bern die Akten, um sie einzusehen und darnach handeln zu können. Man erwiederte, sie seien eilends geschrieben und nicht wohl zu lesen; der Schreiber von Luzern sei indeß beauftragt, eine getreue Abschrift zu fertigen. Bern forderte aber eines der fünf Exemplare der Original-Akten, Basel ebenso. Der abermalige Abschlag erregte Verdacht und Unwillen. Bern erneuerte sein Ansuchen aufs ernstlichste, und da auch dies fruchtlos blieb, nahm es an der Abfassung der Vor- und Nachrede, die den Akten im Drucke beigefügt werden sollte, keinen Antheil. Im October trug Bern sein Anliegen aufs neue vor mit beigefügter Drohung sich von dieser Sache völlig zurück zu ziehen, und nachdem sein Bemühen auch im November umsonst geblieben, erfolgte dieser Schritt gegen Ende (21., 26., 29. Dezember) dieses Jahres (1526) und zu Anfang (9. Januar) des folgenden.
Der scharfblickende Zwingli erkannte, daß der günstige Augenblick nahe, und schrieb deshalb einen lieblichen Brief voller Ermunterung an Bertold Haller (4. Januar 1527): „Lindere Lüfte wehen. Gott hat Dir und uns Allen bei Euch die Thür aufgethan, um die eine Zeit lang verscheuchte, aber stets auf ihre Rückkehr lauernde Taube wieder aufzunehmen.“ Jetzt sollte Haller allen Fleiß anwenden, „die günstige Gelegenheit ergreifen, mit aller Kraft das Netz auswerfen.“ Haller befliß sich, diesen Ermunterungen des Freundes treulich zu folgen, wiewohl zu Anfang des folgenden Monats von schwerer Krankheit befallen.
Noch vermehrt wurde Berns Entfremdung von den inneren Kantonen durch die Schmähungen, die besonders von Luzern her, namentlich von dem Baarfüßer Doctor Thomas Murner, gegen Bern ausgestoßen wurden. „Ihr faulen Berner habt einen faulen Glauben!“ (5. Oktober 1526) hieß es, dann wieder, „sie seien wohl halb Ketzer und Diebe wie die Züricher“ (25. Januar 1527); der bernische Gesandte Bernhard Tillmann fand sich insbesondere verletzt. Murners „Kirchendieb- und Ketzerkalender,“ der die Evangelischen aufs pöbelhafteste besudelte, (Februar 1527) erhöhte die Mißstimmung.
Um so mehr neigte sich Bern, gleich den Kantonen von ähnlicher Stellung, zu Zürich hin. Die Gesandten von Bern, Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Appenzell und Stadt St. Gallen fanden sich im Februar auf Zürichs Einladung in Zürich ein, um die Verantwortung der Züricher über ihr Verhalten und ihre Beschwerden über das Benehmen der inneren Kantone anzuhören. Bern lud die nämlichen Stände behufs einer abermaligen Versammlung zu sich ein. Inzwischen trafen die Boten der innern Kantone, hierüber unwillig, in Bern ein, machten Gegenvorstellungen und verlangten die Einberufung von Abgeordneten des ganzen Landes nach Bern, um vor ihnen und dem großen Rathe über die Glaubensangelegenheiten zu verhandeln. Sie erhielten aber eine kalte Antwort. Dessen ungeachtet erließen sie am 1. März 1527 ein Schreiben an Bern, worin sie dasselbe forderten und überdies Entlassung der evangelischen Prediger verlangten mit der Drohung, wofern dies nicht geschehe, so werden sie selbst an die bernischen Gemeinden Gesandte schicken, um sie über den Stand der Dinge aufzuklären. Dies war mehr als das auf seine Herrschaftsrechte eifersüchtige Bern ertragen mochte. Eine solche Einmischung in die inneren Angelegenheiten wurde als Eingriff in die Souverainetätsrechte derb und entschieden abgelehnt (7. März) mit dem Bemerken, Bern habe Gewalt genug seine Angehörigen selbst zu beschicken oder durch Boten zu ihnen zu reden; und nun erfolgten die Schritte, welche unausweichlich Berns Reformation herbei führten.
Gleich in den nächsten Tagen wurde Wilhelm Farel, der schon seit November (1526) auf Bertold Hallers Rath in der romanischen Schweiz, zunächst zu Aelen (Aigle) im untern Rhonethale die Reformation versucht hatte, vom bernischen Rathe, dem jene Herrschaft unterthan war, zur ungehinderten Verkündigung des göttlichen Wortes bevollmächtigt und förmlich als Prediger und Schullehrer daselbst angestellt. (S. Schmidt, Farel. Suppl.-Band 9. S. 9.)
Gerade zur rechten Zeit wurde nun auch Hallers innigster Wunsch erfüllt, einen tüchtigen Gehülfen in Bern selbst zu erhalten. Der beredte und muthige Baarfüßer Franz Kolb, der schon von 1509 bis 1512 in Bern gegen die großen sittlichen Schäden eifrig gepredigt, aber halb gezwungen seinen Abschied genommen hatte, kam aus Deutschland zurück und wurde nun am 4 April aufs neue neben Haller zum Prediger am Münster bestellt. Bereitwillig hatte er sich Hallern schon im Juli 1526 von Nürnberg aus, wo für ihn nichts mehr zu wirken war, dazu angeboten. Anfangs ohne Besoldung lebte er bei Haller, aufs innigste mit ihm verbunden. Sie verkündeten an Sonn- und Festtagen zweimal und überdies an drei Wochentagen das Wort Gottes „gar gewaltig.“ Mit jugendlichem Eifer trug der schon betagte Kolb die Lehre vom Abendmale vor, während Haller dies nur mit Schonung that.
Immer fühlbarer wurde dadurch der Widerspruch zwischen der freien Predigt des göttlichen Wortes und den durch das letzte Mandat noch festgehaltenen schriftwidrigen Satzungen. Indeß wurde (13. März) beschlossen, niemand solle eigenmächtig eingreifen, eine Aenderung des Mandates dürfe nur mit Vorwissen und Zustimmung der Landgemeinden eintreten; Manchen erschien am rathsamsten, wieder auf das erste Mandat (vom 15. Juni 1523) zurück zu kommen und dieses zu erneuern. Der kleine Rath befand sich in völliger Entzweiung; von dem großen Rath aber wurde (am 13. April) beschlossen, Boten abzusenden, um den Landgemeinden vorzustellen, wie das letzte Mandat (vom 7. April 1525 und beschworen am 21. Mai 1526) mit sich selbst und dem Worte Gottes im Widerspruche und daher eine stete Quelle der Entzweiung und des Haders sei.
Inzwischen trat in der bürgerlichen Vertretung ein wichtiger Umschlag ein. Bei der gesetzlichen Erneuerung der Räthe am Osterdienstage (23. April) überwog im großen Rathe die reformatorische Partei so stark, daß derselbe das Recht, den kleinen Rath zu wählen, das ihm zwanzig Jahre lang von den Vennern und Sechszehnern entzogen worden, wieder an sich nahm und die bedeutendsten Gegner der Reformation aus demselben entfernte. Nachdem die große Mehrheit der Gemeinden sich sodann für das erste Mandat erklärt hatte, erfolgte am 25. Mai der entscheidende Beschluß des großen Rathes, welcher die späteren Mandate als Quellen der Zwietracht aufhob und allen Geistlichen befahl, das Wort Gottes frei zu predigen, mit dem ausdrücklichen Beisatze: „obgleich solch ihr Predigen den Satzungen, Ordnungen und Lehren der Menschen, wie dann die sein möchten, entgegen laute;“ doch solle niemand eigenmächtig an den sieben Sakramenten, Bildern, kirchlichen Gebräuchen rc. etwas ändern; auch wurde gegenseitiges Schmähen ernstlich verboten. Voll Jubels konnte Haller (26. Mai 1527) an seinen lieben Freund Valerius Anshelm nach Rottweil schreiben: „Das ist die höchste Freude, die wir jetzt bei uns haben Und so sind wir in aller Hoffnung, das Wort Gottes solle einen Fortgang haben. Es ist viel und große Unruhe gestillt in Hoffnung einer rechten Besserung. Unsre Herren haben viele Anstöße, aber herrlich und tapfer sind sie, Gott sei Lob! Ich hoff allweg, wir sollen noch wiederum zusammen kommen.“
Doch gelangte man in Bern noch nicht zur Ruhe. Einerseits drängten sich sofort aufs neue die Wiedertäufer herzu, welche heimlich von Basel her kamen. Haller gab sich große Mühe, sie in einer dreistündigen Unterredung zu belehren, allein umsonst. Ohne Vorwissen der Prediger schritt indeß die Obrigkeit ein; sie hob ihre Versammlungen auf. Ganz bezeichnend ist aber für Hallers Gesinnung, daß er (25. April 1527) an Zwingli, den er um Rath bittet, schreibt: „Wir wissen freilich, daß der Rath ganz bereit ist, sie zu verbannen; uns aber kommt es zu, Alles mit dem Schwerte des Geistes sei’s von der Kanzel, sei’s im Gespräche zu widerlegen.“ Zwingli sowohl als Oecolampad leisteten Hallern in diesem Kampfe aufs neue trefflichen Beistand. Letzterer widmete ihm und Kolb im August 1527 eine Schrift hierüber. Bern verband sich im nämlichen Monat mit Zürich, Basel und St. Gallen zu gemeinsamen Maßnahmen.
Andrerseits dauerte der Zwiespalt fort zwischen den päpstlich und den evangelisch Gesinnten. Man stritt sich für und wider die Messe; man fing in einzelnen Gemeinden an sie abzuschaffen; sechs von den Zünften der Stadt stellten die von ihnen gestifteten Messen u. ab, die andern waren bereit ihnen zu folgen. Auch die Priesterehe wurde aufs neue verlangt und bestritten, auch theilweise gestattet. Die Klöster wurden bcvogtet, vertriebene Priester, die vorher des Evangeliums wegen hatten weichen müssen, zurück gerufen.
Haller erbat sich daher (4. September) Zwingli’s Rath; Kolb, bemerkte er, habe von der Kanzel schon zweimal die Messe ganz ungescheut für den ärgsten Götzendienst und Gotteslästerung erklärt. Er selbst hielt eine Reihe von zehn Predigten wider die Messe. Zwingli warnte zunächst (11. October) vor übereilter Abschaffung der Messe; vielmehr müsse für und für das Verlangen nach dem heiligen Abendmal in den Herzen der Frommen entzündet werden, daß sie immer stärker darauf dringen. Auf die Dauer aber konnte dieser Zustand der Aufregung und des Zwiespaltes nicht bestehen; er verlangte gründliche Abhülfe. Diese glaubte man zu finden in der Anordnung einer neuen, einläßlichen, in Bern zu haltenden Disputation.
7. Die Disputation in Bern, Januar 1528.
Auch darüber ging Haller mit seinen Freunden Zwingli und Vadian zu Rathe. Schon im Juli 1527 trug man sich mit dem Gedanken, nach dem Vorbilde Zürichs die bernische Geistlichkeit zu einem Gespräche über die ungleichen Lehren zusammen zu rufen. Indeß war zu besorgen, daß bei der Beschränkung auf die bernischen Geistlichen sich am ehsten üble Einflüsse von Seiten der „Oligarchen“, wie Haller sich ausdrückt, möchten geltend machen. Einmüthig wurde daher am 17. November 1527 vom großen Rathe beschlossen, ein allgemeines Religionsgespräch auf den Anfang des folgenden Jahres nach Bern auszuschreiben. In diesem Ausschreiben wird als Beweggrund und Zweck angegeben das dringende Bedürfniß, der lange schon fortgehenden vielfältigen Zwietracht los zu werden, „den Grund göttlicher Wahrheit, christlichen Verstandes und Glaubens hervor zu bringen und dem nachzuleben, rechtschaffenen und in göttlicher Schrift gegründeten Gottesdienst zu pflanzen und zu üben, der Menschen Satzungen, womit man Gott vergebens ehret, auszureuten.“ Eingeladen werden zuvörderst die vier Bischöfe von Konstanz, Basel, WalIis und Lausanne, deren Bisthümer sich ins bernische Gebiet erstrecken, und zwar in eigener Person zu erscheinen, wegen ihres Amtes als oberste Seelsorger und Hirten, „wofür sie wollen geachtet werden“, bei Verlust alles dessen, was sie ihres bischöflichen Amtes halber in Bern ansprechen. Sodann werden alle Eid- und Bundesgenossen, welcher Partei in Hinsicht des Glaubens sie seien, ersucht, ihre Gelehrten, geistliche und weltliche, zu senden, „ob mit Gottes Hülfe die gesammte Eidgenossenschaft auch in Einigkeit des Christenglaubens möge gefördert und erhalten werden“, da durch die Badener Disputation dies nicht sei erreicht worden. Doch solle, was beschlossen werde, für die übrigen Eidgenossen durchaus nicht verbindlich sein, wohl aber für alle Angehörigen Berns. Berns sämmtliche Geistlichkeit ist beizuwohnen verpflichtet. Wer sonst Lust hat dabei zu disputiren, ist unter Zusicherung freien Geleites freundlich eingeladen. Dabei soll einzig die Bibel gelten, bloß das klare und lautere Wort Gottes gebraucht werden und zwar nicht so, daß man sie nach der Auslegung der Kirchenlehrer richte, sondern allein Schrift mit Schrift verglichen und erklärt, das Dunkle durch das Heitere erläutert werde und die Schrift allein, als die Richtschnur und Grundfeste, als einziger Richter in Glaubenssachen, über sich selbst zu urtheilen habe. Strenge Beobachtung der Zucht und Ordnung wird jedermann eingeschärft. „Und was dann, heißt es zum Schlusse, mit göttlicher biblischer Schrift auf dieser Disputation bewährt und angenommen wird, das soll (für Bern und sein Gebiet) Kraft und ewigen Bestand haben, dies für uns und unsere ewige Nachkommenschaft stet und fest, unverbrüchlich und getreulich zu halten.“
Zugleich wurden die von Bertold Haller und Kolb mit vieler Umsicht verfaßten, von Zwingli durchgesehenen und in Druck gegebenen zehen Schlußreden (Thesen) deutsch, lateinisch und für Berns waadtländische Bezirke französisch verbreitet.
Dieses Ausschreiben erregte großes Aufsehen und steigerte noch die Aufregung der Gemüther. Haller selbst schwebte zwischen Hoffnung und Furcht; er wußte, wie viel auf die glückliche Ausführung der Sache ankomme, aber auch wie große Besonnenheit, Einsicht und Geschicklichkeit dazu erfordert werde und wie mancherlei Hindernisse sich zwischenein legen könnten. Noch schlich die Pest umher, die vom August an in Zeit von vier Monaten fünfhundert Personen in Bern wegraffte, meist jüngere Leute, doch auch den Unterschreiber Thomas von Hofen, einen trefflichen Freund des Evangeliums. Aufs tiefste in seinem Gemüthe bewegt, richtet Haller zwei Tage nach jenem Beschlusse (am 19. November) an Zwingli, seinen „allerliebsten Bruder und Helden im Handel Christi“, einen aus Deutsch und Latein aufs bunteste gemischten Brief. Er bittet ihn innigst um Hülfe. „Alle Frommen, ruft er ihm zu, hoffen aufs zuverlässigste, du werdest nickt ausbleiben. Du weißt, was an Bern diesmal gelegen ist, und wie große Schande, Schmach und Spott, wofern wir der Sache nicht gewachsen wären, das Evangelium und uns treffen würde. Ich weiß gar wohl aus vielfacher Erfahrung, wie sehr dir die Ehre Gottes und seines Wortes, das Heil Berns, ja der ganzen Schweiz, so recht am Herzen liegt, und daß du zum Lobe des Herrn, zur Förderung der Sache Christi, den Gottesfeinden aber zur Beschämung deine Gegenwart uns gewiß nicht versagen wirst. Wollte Gott, lieber Bruder, daß du wüßtest unser Aller Eifer, damit dem Handel ein christlicher Austrag beschehe.“ Haller verlangt insbesondere noch vor Anfang des Gespräches einen zürcherischen Gelehrten, der die nöthigen Vorkehrungen treffe und sehe, woran es noch mangle, „damit nicht etwa, sagt er, um meiner Unwissenheit willen Gottes Wort gelästert werde.“
Auch auf Seiten der Gegner war die Aufregung groß. In Bern selbst zeigten sich die zahlreichen Meßpriester sehr thätig; bei einigen Zünften gab sich Unzufriedenheit kund. Die eingeladenen Bischöfe verweigerten ihre Theilnahme. Die päpstlich gesinnten Kantone mahnten Bern mit Berufung auf die Badener Disputation von seinem Vorhaben ab. Murner erwiederte die an ihn besonders ergangene Einladung mit einer maßlos groben Schmähschrift; „er wolle nicht in diesen Winkel kriechen oder in diese Ketzerschule gehen“; Haller hielt er „nicht eines Hellers werth“; Eck schrieb in ähnlicher Weise, ebenfalls mit Scheltung gegen Haller; auch von den Dominikanern aus Rottweil kam eine solche Schrift, sowie etwas später von Cochläus aus Mainz. Selbst vom Kaiser Carl V. langte aus Speier (20. Dezember 1527) eine Abmahnung an mit Vertröstung auf ein allgemeines Concil. Er erhielt eine höfliche, aber feste Antwort.
In Zürich fand begreiflich Berns Entschluß den freudigsten Anklang; man beschloß, „Gott zu Lob und zur Freundschaft unserer Eidgenossen zu Bern“ das Gespräch durch Rathsboten und Gelehrte ehrenvoll zu besuchen. Zwingli erbat und erhielt die Erlaubniß selbst hinzugehen. Als Haller dies vernahm, schrieb er ihm (am 2. Dezember) inniglich getröstet: „Jetzt sehe ich, wie der Herr unerwartet durch dich und Oecolampad seine Ehre bei uns verherrlichen will, da ihr Beide so bestimmt zusaget. Ihr seid die Hülfstruppen, die der Herr mir, der ich solchem Kampfe weit nicht gewachsen wäre, gnädiglich zugeschickt! O möchten die Widersacher all ihre Gründe auf einmal ausschütten! Da wären Männer, die zu seinem großen Ruhme sie einzeln entkräfteten! Etliche unserer Machthaber sind voll geheimen Ingrimms. An Anschlägen ihrerseits wird’s nicht fehlen, unserem Vorhaben Hindernisse in den Weg zu legen oder, können sie das nicht, Verwirrung zu stiften. Aber wir wollen aus allen Kräften Stand halten, daß der Satan durch sie nicht losbreche. Doch ist dir wohl bewußt, wie gering meine Kraft ist zu so schwierigen Dingen. Wofern ihr nicht allesammt uns die Hände reicht, so sind wir verloren.“ Ganz wie Haller gewünscht, fand Doctor Sebastian Hofmeister sich zum voraus in Bern ein, um bei den Vorbereitungen zu helfen.
In Zürich versammelten sich die Abgeordneten von St. Gallen, Konstanz, Lindau, Memmingen, Augsburg, Nürnberg, und traten am 2. Januar 1528, mehr als hundert an der Zahl, von dreihundert Bewaffneten geleitet, die Reise nach Bern an. Außer Zwingli erschien Pellican, Collin, Megander, der Commenthur Schmid, Bullinger von Zürich, Ambrosius Blaarer von Constanz, Som von Ulm, Althamer von Nürnberg rc. In Bern trafen sie Oecolampad von Basel, Butzer und Capito von Straßburg rc. nebst vielen Andern. Wiewohl die vornehmsten Verfechter des Papstthums ausgeblieben, hatte dasselbe ebenfalls seine Vertreter, wie Alexius Grat, Beichtvater des Nonnenklosters zur Insel in Bern, Johannes Buchstab, Schulmeister in Zosingen, Conrad Treger, Provinzial der Augustiner, früher in Augsburg und Straßburg, nunmehr in Freiburg. Jeder Partei war erlaubt, ihre Versammlungen zu halten, die geschicktesten Redner auszuwählen und sie nach Gutfinden zu unterstützen. Auf strenge Ordnung wurde pünktlich gehalten; vier Präsidenten und eben so viele Schriftführer waren bestellt und eidlich verpflichtet, unter ersteren namentlich der Bürgermeister Joachim von Watt (Vadian), als Theologe eben so kundig wie als Arzt und als Geschichtsforscher. Für die Disputirenden waren Bühnen angebracht.
So begann die Disputation Dienstag Morgens den 7. Januar 1528 in der Baarfüßerkirche und dauerte neunzehn Tage. Nach einigen Eingangsworten des Präsidenten danksagte Kolb zuerst für die große Gnade, daß Gott jetzt alle Welt bewege nach der Wahrheit zu fragen; darum gemäß der ohne anders durch Gottes Geist der bernischen Obrigkeit gewordenen Anregung stehe er und sein Bruder Bertold sammt allen, die das Evangelium bekennen, hier, um Rechenschaft zu geben von ihrem Glauben und ihrer Predigt. Hierauf eröffnete Haller das Gespräch mit Beleuchtung der ersten These: „Die heilige christliche Kirche, deren einzig Haupt Christus, ist aus dem Worte Gottes geboren, in demselben bleibt sie und hört nicht die Stimme eines Fremden.“ Die Kirche sei nicht die Versammlung der Cardinäle und Bischöfe, sondern die Gemeinschaft Aller, die Gott vertrauen und glauben durch Christum; sie sei geboren aus dem innerlichen Worte, dem Worte des Glaubens, das Gott lebendig und thätig mache und in unser Herz rede und das kein anderes sei, als das in der Schrift verfaßte; niemand möge daher ihr Haupt sein, als Christus, aus dessen Wort sie geboren sei. Der Beichtvater Grat wandte ein, das Wörtlein einzig finde sich nirgends in der Schrift; es gebe unter dem obersten Haupte Christus noch andere Häupter, nämlich die Apostel, besonders Petrus; er meinte, „Kephas“ sei griechisch und heiße „Haupt“. Haller zeigte, wie die Apostel sich nicht als Häupter, sondern als Diener der Kirche ansehen, sie zu weiden und die Sünden zu verzeihen oder zu behalten durch die Predigt des Evangeliums. Butzer unterstützte ihn, Zwingli erklärte, wie die Gewalt des Bannes jeder einzelnen Gemeinde zukomme. Hutter, Pfarrer von Appenzell, sowie Treger, Buchstab und Andere vertheidigten den Bann als die Schlüsselgewalt der sichtbaren Kirche, wogegen Haller und Butzer den evangelischen Begriff desselben darlegten und die Freiheit einer jeden Gemeinde in Schutz nahmen. Sechs Tage dauerte die Verhandlung über diesen ersten Punkt.
Jede These wurde abwechselnd von Haller oder Kolb zuerst begründet. Bei der zweiten derselben: „die Kirche Christi mache keine Gesetze ohne Gottes Wort, weshalb alle Menschensatzungen uns nicht weiter binden, als sie darin gegründet sind,“ fügte Haller nur Weniges dafür bei, „daß der heilige Geist in der Kirche nichts dem zuwider reden könne, was Christus gelehrt habe.“ Einläßlich befürwortete er dagegen die dritte These: „daß Christus allein uns Erlösung sei und Bezahlung für aller Welt Sünden; weshalb ein anderes Verdienst zur Seligkeit und eine andere Genugthuung für die Sünde bekennen, heiße, Christum verläugnen.“ So klar sei dies in der heil. Schrift gegründet; man müsse sich nur verwundern, daß es noch von Manchen bezweifelt werde; freilich ermahne uns das Wort Gottes zu den Werken und Früchten des Geistes, die unsern Glauben und unsere Liebe bezeugen; aber dies sei kein Mitverdienst zur Genugthuung. Gar lieblich und anschaulich zeigte Haller dies an dem Kinde, dem der Vater ein Röckchen verheißt zum Lohne, wofern es in der Schule fleißig lerne. Buchstab machte Einwendungen, die Butzer widerlegte; drei appenzellische Geistliche fochten Hutter an wegen seiner mangelhaften Lehre von Christi Genugthuung. Die vierte These, betreffend die Art der Gegenwart Christi im Abendmal, hatte besonders Zwingli so wie Oecolampad den anwesenden Lutheranern gegenüber zu verfechten. Ausführlich verbreitete sich hinwieder Haller über die fünfte These, „daß die jetzt gebräuchliche Messe als ein Opfer für Lebendige und Todte der Schrift zuwider, eine Lästerung des Opfers Christi und um der Mißbräuche willen ein Gräuel vor Gott sei.“ Christus wolle keine Mitpriester, Mithelfer und Miterlöser; wenn er seine Jünger mahne: „Nehmet, esset, danksaget, gedenkt meiner, verkündigt meinen Tod,“ so heiße er sie nicht opfern; vielmehr sollen wir da unsern Glauben bezeugen und christliche Liebe anerbieten. Ueberdies soll der da opfert, würdiger sein als das Opfer; wollen nun die Priester Christum aufopfern, so müßten sie ja besser sein als Christus, ob sie schon die bösesten wären. Bei der sechsten These, die gegen die Anrufung der Heiligen gerichtet war, bemerkte Haller: „an die lebendigen Heiligen, welche Armuth und Gebrechen leiden, weise uns Christus, daß wir mit ihnen unsere zeitliche Habe theilen sollen, und sie werden dereinst Zeugniß geben unserm Glauben, den wir durch die Werke der Liebe an ihnen geübt haben.“ Die siebente These wider das Fegfeuer und allen Todtendienst erhärtete er durch viele Schriftgründe. Der Glaube und das Vertrauen auf Christus, der Werth seines Leidens und Sterbens dulde kein Fegfeuer, weil nichts Verdammliches ist an denen, die in Christo Jesu sind. Auch widerstreite es der christlichen Liebe, da die Armen ein Hinderniß hätten ins Reich Gottes zu kommen durch solche Todtendienste um ihrer Armuth willen. Für die achte These gegen die Bilderverehrung brachte Zwingli schlagende Beweisgründe vor. Das Verbot der Priesterehe, welches die neunte These angriff, wurde von Haller überzeugend als schriftwidrig dargethan; es wurde nur von Buchstab darum vertheidigt, weil man Gelübde zu halten schuldig sei. Die letzte These, „daß Unkeuschheit keinem Stande schädlicher sei, als dem geistlichen,“ wurde von niemandem bestritten.
So viel in kurzen Umrissen über Hallers Betheiligung an diesem Religionsgespräche. Jedenfalls zeigte sich da, wie tief und fest er in der Schrift gegründet und wie sehr er trotz seiner stets von ihm selbst bekannten „Unwissenheit“ hinsichtlich aller damaligen Streit- und Lebensfragen in theologischen Dingen geübt und bewandert war.
Endlich wurde von ihm noch die Schlußrede gehalten am 26. Januar. Er spricht vorerst die Hoffnung aus, alle christlichen Herzen, die mit gelassenem Gemüthe wahrheitbegierig sind, werden nun erkennen, daß sie (die Prediger) nicht in Fürwitz oder gelehrtem Dünkel noch aus Eigennutz etwas Neues, dem göttlichen Worte Zuwiderlaufendes vorgebracht haben, sondern allein was diene zur Ehre Gottes und zum Heile aller Gläubigen, insbesondere Berns. Gemäß ihrem heiligen Amte seien sie gedrungen durch die Wahrheit Gottes sanft und rauh das Evangelium Christi zu verkündigen, „da wir aus großer Erbarmung und Gnade Gottes gefunden haben, christliche Religion, Zucht, Glaube und Leben sei nach dem Worte Gottes viel anders gestaltet, als bisher von römischer Kirche und unter päpstlicher Gewalt gelehrt und gepredigt worden“ zum großen Unheil der Gemeinden. „Da aber Gott das Licht in unsere Blindheit, die Wahrheit mitten in unsern Irrthum, die Gnade mitten in unsere Bosheit und unsern Abfall als ein getreuer, langmüthiger, barmherziger Gott und Vater gesendet hat, so gebührt uns, solche Gnade nicht undankbar auszuschlagen, sondern mit großem Ernste anzunehmen, nicht allein mit Reformation des Gottesdienstes, welches euch, den Regenten, nach der Schrift allerdings zukommt, sondern mit Besserung und Erneuerung des Lebens, damit dasselbe rechtschaffen und mit Gott von uns vollbracht werde, wie dem Volke Gottes und wahren Christen geziemt; denn das wird vor Gott niemand entschuldigen, wenn man nicht nach erkannter Wahrheit lebt und handelt.“ Sodann wandte er sich an alle seine bernischen Amtsbrüder, mit rührender Herzlichkeit sie aufs dringendste bittend, „ihren heiligen Beruf zu bedenken, Acht zu haben auf sich selbst und auf die ganze Herde, in welcher der heilige Geist sie zu Bischöfen d. i. zu treuen Wächtern und Dienern am Worte Gottes gesetzt habe, zu weiden die Gemeinde des Herrn, die er erworben durch sein eigen Blut, sie treulich zu lehren und zu führen den Weg Gottes und dem Herrn ein gerüstetes Volk zu bereiten in der Furcht Gottes, wie Christus seinen Jüngern befohlen hat, ihm als unserm einigen Haupte und Heiland Zeugniß zu geben Und daran sollen wir als Jünger Christi erkannt werden, so wir einander lieb haben, wie er uns geliebet hat; denn darin besteht Gesetz und Propheten, der wahre, rechte Gottesdienst! Wollet auch das Volk Gottes weiter nicht beladen mit eigennützigen Bürden menschlicher Satzung, sondern nach Gottes Wort treulich voran gehen und mit unsträflichem Leben ein Vorbild der Herde sein, nach 1. Petri 5. Ezech. 3. Luc. 12. Hier höret, ihr lieben Brüder und Seelsorger: ihr seid es, die der Herr gesetzt hat über sein Gesinde, ihm die wahre Speise, das göttliche Wort, den Schatz des Neuen und Alten hervor zu tragen zu rechter Zeit… Das fasset zu Herzen: Suchet die Ehre Gottes und das Heil unserer Schäflein und thut das aus Liebe / die da hervor geht aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungefärbtem Glauben, so werdet ihr einen gnädigen Gott erfahren!“ Schließlich bat er Alle, gegen die er gesprochen, in keiner Weise zu zürnen, falls auch rauhe Worte geflossen; denn vor Gott könne er bezeugen, ohne alle Bitterkeit zu sein. Zwingli bot sich noch zu weiterer Rechenschaft an mit dem Bemerken, obschon Eck, Faber etc. nicht persönlich beiwohnten, seien doch alle ihre Beweisgründe zugegen gewesen. Vadian übergab die genau geprüften Akten der Regierung. Haller schloß aus Auftrag des Rathes mit herzlicher Danksagung an alle Anwesenden, die geholfen, dies göttliche Vornehmen christlich zu vollführen; man werde ihnen dies nie vergessen, sondern allezeit gerne vergelten.
Im Anschluß an diese Disputation fanden noch zwei kürzere Gespräche statt, ein lateinisches mit den französischen Priestern, welches sich bald in wildes Geschrei auflöste, trotz Farels Bemühen, und eines mit den Wiedertäufern; diese wurden ihrer gefahrdrohenden Irrthümer überführt und alsdann des Landes verwiesen.
8. Durchführung der Reformation Berns.
Umfassend waren die Folgen dieser Disputation. Unmittelbar schloß sich daran die Reformation Berns. „Allein auch außerhalb Berns trug sie ihre Früchte; so in Biel, Basel, Schaffhausen, den oberdeutschen Städten. An sie knüpften sich ferner die Disputationen von Genf (l535) und Lausanne (1536), die Befestigung der Reformation am ersteren Orte, ihr Vordringen und ihre Verbreitung von da aus nach dem westlichen Europa, Frankreich, Schottland, England, den Niederlanden; die Berner Disputation hatte somit nicht bloß eine lokale Bedeutung, sondern sie bildete zugleich ein sehr wesentliches Verbindungsglied in der Kette großer Ereignisse, durch welche der Protestantismus eine Weltmacht geworden ist.“ (Trechsel.)
In Bern machte sich schon während des Gespräches seine Einwirkung fühlbar. An dem sonst hochgefeierten St. Vincenzfeste (22. Januar) gab sich mit geringen Ausnahmen die allgemeine Abneigung gegen die Messe kund. Nach Beendigung des Gespräches wurden die zehen Sätze von sämmtlichen Chorherren, den meisten Dominikanern und zwei und fünfzig Pfarrern unterzeichnet; die Uebrigen warteten auf die Verfügungen der Regierung. Diese zog die Präsidenten der Disputation zu Rathe; sie erklärten: „die Wahrheit sei heiter an den Tag gekommen und nunmehr die Reformation tapfer an Hand zu nehmen;“ nur Dekan Briefer von Basel wünschte Aufschub. Hierauf beschloß der große Rath am 27. Januar die Abschaffung der Messe und Bilder in der Hauptstadt. Einzelne Bürger erlaubten sich wohl derbe Aeußerungen des Spottes und Unwillens; selbst im Unmuthe konnte der bernische Humor sich nicht verläugnen. Indeß beschwor die ganze Gemeinde, in der Kirche versammelt, Alles was der große Rath in Religionssachen vornahm, treulich zu handhaben. Sodann wurde am 7. Februar das von Haller entworfene allgemeine Reformationsedikt erlassen für den ganzen Kanton, darauf gestützt, „daß der Obrigkeit gebühre, nicht nur in weltlichen Sachen die Ihrigen zur Billigkeit zu weisen, sondern auch, so weit Gott Gnade verleihe, ihr zu rechtem christlichem Glauben Anweisung zu geben.“ Jedermann soll den zehen Sätzen der Disputation stracks nachleben und alle Pfarrer denselben gemäß predigen, treu dem Worte Gottes; Messe und Bilder sind abzuthun, doch um der Schwachen zu schonen, nach dem freien Willen einer jeden Gemeinde, wie sich ihre Mehrheit entscheide. Ueber das heil. Abendmal, Taufe, Trauung, Bann wird später das Nähere bestimmt werden. Von der Gewalt der Bischöfe ist jedermann entbunden; Mönche und Nonnen dürfen in den Klöstern bleiben oder austreten; den Geistlichen ist die Ehe erlaubt, Unkeuschheit aber bei Verlust der Pfründe verboten; die Fasttage sind aufgehoben, die Unmäßigkeit aber wird bestraft. An jedem Sonntag, Montag, Mittwoch und Freitag sollen die Pfarrer Gottes Wort verkünden. Von dem Volke wird die Obrigkeit nichts verlangen, als was es nach billigem Gehorsam wohl ertragen mag und gemäß dem Worte Gottes schuldig ist. Bei schwerer Strafe soll keine Partei die andre des Glaubens halber schmähen oder kränken, sondern Alle einander christlich dulden. Gegen die Miteidgenossen wird Bern in weltlichen Dingen alle Bundespflichten treu erfüllen und, fern von allem Zwingen, jedem von ihnen anheim stellen zu glauben, was ihm anmuthig ist. Vorbehalten wird, wofern mit Gottes Wort etwas an dieser Reformation als Irrthum erwiesen würde, dies willig anzunehmen.
Vom 23. Februar an wurden nun die einzelnen Gemeinden durch Abgesandte um ihren Beitritt zur Reformation befragt; beinahe alle erklärten sich für dieselbe, nur einige wenige weigerten sich noch. Bedeutende Verstärkung wurde der Reformation sodann zu Ostern (am 13. April) 152s bei der gesetzlichen Erneuerung des Rathes zu Theil; vier Mitglieder des kleinen und zwanzig des großen Rathes, die zu den heftigen Gegnern der Reformation gehörten, verloren, zum Theil wegen Ehebruchs, ihre Stellen. Das verderbliche Pensionswesen wurde bald (im August) unter Zustimmung der Gemeinden durch ein strenges Verbot zurück gedämmt. Mit Zürich und Konstanz hatte sich Bern schon am 6. Januar 1528 durch das „christliche Bürgerrecht“ aufs engste verbündet.
Nunmehr war für Haller ein ausgedehntes, aber auch überaus beschwerliches Arbeitsfeld eröffnet. So unendlich Vieles war jetzt zu thun theils zur Durchführung der kirchlichen Umgestaltung, theils behufs der den evangelischen Grundsätzen entsprechenden, höchst nothwendigen Umwandlung der öffentlichen Sittlichkeit. Eine Reihe von Verordnungen wurde deshalb erlassen und mannigfaltige Verfügungen waren zu treffen, wobei Haller, als der im Gotteswort bewanderte Berather der Obrigkeit, fortgehend Räthe, Gutachten, Entwürfe zu geben im Fall war. Ein Chorgericht wurde in jeder Gemeinde bestellt zur Handhabung der Kirchen- und Sittenzucht, so wie zur Behandlung der Ehesachen. Für die Kranken, die Armen, für Nothleidende jeder Art war christliche Fürsorge anzuordnen, insbesondere aber auch für die religiöse Belehrung des Volkes und die Heranbildung einer tüchtigen, des Evangeliums kundigen Geistlichkeit anstatt der größtentheils untauglichen Priesterschaft. In einem Briefe an Zwingli vom 12. Februar ist schon dies Alles berührt; aufs dringendste bittet Haller, Zwingli möge sich verwenden, daß Megander (Großmann), Sebastian Hofmeister und ein Schulmeister in Chur, die er dem Rathe auf dessen Anfrage als Gelehrte zur Berufung vorgeschlagen, den Ruf annehmen; ebenso dringend wünscht er eine Anleitung für die Pfarrer des bernischen Gebietes; gegen das Pensionswesen arbeite er aufs kräftigste; den Kranken solle das Predigerkloster eingeräumt werden; Gehülfen zur Predigt sollte er durchaus bekommen, da er selbst genöthigt sei, den Nonnen der Insel zu predigen. Dabei war Hallers Gesundheit sehr angegriffen, zwar schon lange, insbesondere aber seit den Anstrengungen bei der letzten Disputation, so daß er nun eines Bruchbandes bedurfte. An Vadian, den er als ausgezeichneten Arzt gerne consultirte, schreibt er gleich am 15. Februar unter andern:,, Hinsichtlich der meiner Gesundheit zuträglichen Lebensweise, so wie der Abhülfe für meine so leicht aufschwellenden Füße und meine ganze Schwerleibigkeit erwarte ich deine Rathschläge; gewiß, wenn du Zeit findest, versagst du mir’s nicht. Noch dies. Meine bisanhin kräftige Stimme hast du gehört, unsere umfangreiche Kirche gesehen, in der ich, schon von Knabenzeit her auf der einen Seite gebrochen, mir nun auch noch auf der andern dieses Leiden zugezogen habe. Ich fürchte noch Schwereres, rathe mir also, wie zuvor zu kommen.“
Zu Hallers großer Freude langten die in den Ursprachen der Bibel bewanderten Gelehrten, Hofmeister, Megander und als Dritter Pellican alsbald an, und gingen rüstig ans Werk, emsig sowohl im Predigen, als in Vorträgen zur Ergründung der göttlichen Wahrheit durch wissenschaftliche Schriftauslegung nach den Grundsprachen, während bisanhin in Bern fast niemand des Hebräischen oder Griechischen kundig war, und jüngere Leute aus angesehenen Geschlechtern in den letzten Jahren, von Haller herzlich empfohlen, insgemein zu ihrer Ausbildung nach Zürich gegangen waren. Haller nahm die drei Gelehrten allesammt in sein Haus auf und beherbergte sie etliche Wochen. Das Volk schien ihnen nicht so verdorben, wie in Zürich. Haller freute sich ihres Umgangs, schreibt aber ganz seiner aufrichtigen Demuth gemäß, obwohl selbst nicht verheirathet, am 31. März an Zwingli: „Herzlich bitt‘ ich dich, theuerster Ulrich, richte an uns insgesammt, so du Zeit findest, eine gemeinsame Ermunterung; mahne uns zum Frieden und zu gegenseitiger Liebe unter einander, zu einer dem Diener des Wortes würdigen Lebensführung, ebenso dazu, daß auch unsere Gattinnen nicht nach eitlem Putze trachten, sondern bescheiden und mäßig seien, fern von aller Schwatzhaftigkeit. So wirst du dem vorbeugen, was uns unschicklich wäre und der Kirche zum Aergerniß würde. Und da jeder von uns seine Mängel hat und es nichts durchaus Vollkommenes und Preiswürdiges gibt, so bitte ich dich dringend, schildere mich, den du nun persönlich kennen gelernt hast, meinem Character und meiner Befähigung nach, mir selbst, und erinnere auch die übrigen Mitdiener, wofern etwas ist, wovor sie sich hüten müssen, in deinen Briefen an mich, daß ich dazu mithelfen kann. Ich bin zu Allem bereit, wodurch ich die Ehre des Herrn, den Bau der Kirche, das Wohlsein ihrer Diener zu fördern vermag!“
Das Wort Gottes hatte herrlichen Fortgang. Zu Ostern (April) wurde nun in Bern das heil. Abendmal zum ersten Male gefeiert. Haller schreibt am 20. April an Vadian: „Aufs neue von Krankheit befallen bin ich so übel daran und über alle Maßen mit Geschäften überschüttet, daß dabei kaum ein Gesunder aufathmen könnte. Eine solche Menge von Predigern läuft von allen Seiten herbei; Manche drängen sich auf und will man sie nicht gleich himmelhoch erheben, so übergießen sie mich mit einer Fluth von Schmähungen. Von siebzig solchen „fahrenden Brüdern,“ die sich hier einfanden, hatten bloß zwei bis drei in ihren Attestaten das von Zwingli und Oecolampad mit mir verabredete geheime Kennzeichen, welches ich hier auch dir mittheile, nämlich am Fuße des Schreibens die Worte: Gott allein sei Preis und Ehre. Unser Rath ist überaus beschäftigt, so daß kaum erst die Grundlagen zur Erneuerung der Kirche geordnet sind. Genf, von Savoyen bedrängt, ruft unsre Stadt, als Bundesgenossin um Hülfe an; inmitten dieser Wirren ist nichts Anderes abzusehen, als daß in Kurzem der Krieg losbricht. Das Aergste ist, daß, nachdem Messe und Mönchsthum abgeschafft worden, die Bauern auch die Güter zurückzufordern suchen… Indessen geht das Wort Gottes seinen Weg. Das heilige Abendmal haben wir in der unserer Kirche entsprechenden Weise gefeiert. Der ganze Rath und das Volk, Wenige ausgenommen, traten zum Tische des Herrn. Der Schultheiß empfing das Brod des Herrn aus meiner Hand, will’s Gott mit aufrichtigem Herzen!“
An feindseligen Regungen und Gegenwirkungen konnte es indeß nicht fehlen. Je mehr sich die Reformation in Bern befestigte, von da aus auch auf andere Gegenden befruchtend einwirkte, und namentlich in den gemeinsamen Herrschaften Anklang fand, desto mehr stieg die Erbitterung bei den innern Kantonen. Von hier aus, namentlich von Unterwalden her genährt, gestaltete sich schon während des Sommers der Unwille der Altgläubigen im bernischen Oberlande zur Empörung, zumeist in dem lieblichen Gelände von Interlaken und im Haslithal. Zu Frutigen, Aeschi, Gsteig, Grindelwald rc. wurden die Prediger des Evangeliums vertrieben, die Evangelischen arg bedroht, die Messe hergestellt. Die Regierung zögerte; sie trat öfter durch Boten mit den Aufständischen in Unterhandlungen; sie schien unsicher und in sich selbst getheilt. Haller sah mit tiefem Bedauern auf diese bedenklichen Rückschritte; sie erfüllten sein Herz mit viel Kummer und Sorge. Er schreibt an Zwingli (7. October): „Unser Rath ist zerstreut, angeblich der Weinlese wegen, ganz stumpf, auf evangelischer Seite durchaus rath- und hoffnungslos, während die Gottlosen flüstern, hohnlachen, voll Hoffnung, jetzt, jetzt sei ihr Messias gekommen. Die Bürger murren, bedauern, klagen, aber ohne rechten Eifer, ohne Rath, ohne Einsicht. So matt ist hier das Christenthum. Wir Diener des Wortes erheben unsre Stimmen, wir drängen, mahnen, flehen, schildern unwidersprechlich die Gefahren und was redlichen Männern gezieme, kurz Alles; allein wir predigen tauben Ohren I Ja sogar schreien die Gottlosen uns als Unruhstifter aus, weil wir nicht ablassen den Rath und das Volk gegen sie anzutreiben. Sieh, theuerster Freund, das sind Trübsale, die meine Seele bis ins tiefste Innerste verwunden!“ Ganz geeignet, Hallers Stimmung auszudrücken, sind Manuels Klagen aus dieser Zeit:
„Sie hassen uns, daß wir uns din (dein)
Und deiner Lehr‘ steif halten wend (wollen),
Daß wir hend (haben) d‘ Götzen g’worfen hin
Daß wir ein (einen) Greuel ab Kriegen hend
Und mit das Brot
Für unsern Gott,
Ihn nimmer wend anbeten hie; –
Hast du, mein Herr!
Uns solche Lehr‘
Durch deinen Sohn verkündet ie (je)?“
Abermal schreibt Haller an Zwingli (22. October), es seien zwar etwelche Vorkehrungen getroffen. „Indeß ist unser Rath fortwährend lässig und langsam; wenn nicht der Herr mit starker Hand uns erlöst, so ist’s, furcht‘ ich, um uns geschehen. Denn es ist die Weisheit von den Weisen gewichen, der Rath von den Rathgcbern, die Großherzigkeit und Festigkeit von den Führern und dem Volke. Freilich würde das Volk in der Stadt lieber sterben, als die Herstellung der Messe und die Gewaltthat der Bauern dulden. Doch was ist das inmitten so viel gewaltiger Dränger!“ Bewaffnet zogen die Unterwaldner eben in jenen Tagen den Empörern zu Hülfe, verließen aber beim Herannahen des bernischen Heeres das Land wieder. Die Regierung verfuhr mit ruhigem Ernste und großer Mäßigung. Es erfolgte am 11. November allgemeine Unterwerfung und erneute Rückkehr zum Evangelium. Der Ausgang war diesmal günstiger, als Haller besorgt hatte. Doch knüpften sich an den hier geschehenen Friedensbruch der Unterwaldner in den folgenden Jahren (1529 und 1531) die beiden Kappeler Kriege.
9. Haller während der Kriegsjahre, 1529-31.
Nunmehr schien Haller ungestörter, sowohl seiner eigenen Fortbildung, die ihm sehr am Herzen lag, als auch dem Auf- und Ausbau der erneuten Kirche leben zu können. Er erquickte sich an Butzers Commentarien, schrieb oft an Oecolampad, berieth die vom Rathe ihm vorgelegte Frage über Ehescheidung mit dem Letztern und mit Zwingli. Doch sah er sich alsbald von neuen Stürmen umringt. Schon zu Anfang des Jahres 1529 machten ihn Genfs Gefahren um das Evangelium daselbst besorgt. Von Eck und Murner ward er der Disputation wegen aufs neue mit Schmähungen begossen. Immer drohender aber ward im Laufe des Frühjahrs und Sommers die Spannung zwischen Zürich und den innern Kantonen. Bern wünschte gleich Zürich die Ausbreitung des Evangeliums, doch nur mit Vermeidung des Kriegs. Zwingli aber hielt den rechtzeitigen Krieg für besser als steten Hader und Scheinfrieden, der doch noch zum Kriege führen müsse. In diesem Sinne wirkte Zwingli auf Haller und die bernischen Freunde. Zürichs wohlgerüstetes Heer lagerte sich bei Kappel. In welche Stellung aber Haller und seine Gefährten geriethen, zeigt uns ein Wort von Haller an Vadian (14. Juli 1529), aus jener Zeit: „Ihr schreitet mächtig vorwärts; ihr seid aber auch dem Herrn zugethan; wir aber sehen uns bald von Wölfen, bald von Bären, bald von Füchsen angefallen, so daß man, wenn nicht der Herr seine Sache führen würde, nichts mehr für uns hoffen dürfte.“ Plötzlich kam die Vermittlung und (am 25. Juni) der Abschluß des „ersten Landfriedens,“ welcher der Reformation günstig schien, von Zwingli aber so sehr bedauert wurde und auch Haller nicht befriedigte.
Was Hallern diese sturmbewegte Zeit erleichterte, war der Umgang mit gleichgestimmten Freunden. Insbesondere hatte er die Freude, seinen Landsmann Valerius Anshelm, in diesem Jahre aus Rottweil vertrieben, wieder zurück kehren zu sehen, und zwar ehrenvoll zum Chronikschreiber Berns berufen. Zudem fällt in diese Zeit Hallers Verehelichung. „Eine Jungfrau von ungefähr dreißig Jahren, schreibt er (11. August) an Butzer, habe ich zum Weibe genommen, unbemittelt, aber in geistiger und leiblicher Hinsicht ganz für mich passend. Bete zum Herrn für uns, daß er nach seinem Wohlgefallen unseren Ehebund segnen möge!“ – Mit lebhaftester Theilnahme erkundigte sich Haller über den Gang des zu Marburg (im October 1529) zwischen Zwingli und Luther gehaltenen Gespräches, zumal die päpstlich Gesinnten wie die Wiedertäufer sich bemühten, ungünstige Gerüchte auszustreuen; Oecolampad ertheilte ihm mit Freuden den gewünschten Bericht.
Das folgende Jahr begann für Haller mit mancherlei schweren Sorgen, da eine Gesandtschaft der innern Kantone Bern aufs einschmeichelndste gegen Zürichs kühnes Vorschreiten einzunehmen und den alten Einfluß auf Berns Staatsmänner wieder zu gewinnen suchte, und zudem französisches Geld und List nicht gespart wurde, um die Mächtigen zu Bern wieder in den verderblichen Söldnerdienst hinein zu reißen. Ihm selbst erwuchs eine neue Aufgabe aus den Zwistigkeiten der beiden Glaubensparteien in dem benachbarten mit Bern eng verbündeten Solothurn. Schon im vorigen Jahre war es hier zu Tumulten gekommen, wobei die katholische Partei, welcher die Mehrheit der Räthe angehörte, die Thore schloß und Geschütze aufstellte; Bern und Basel vermittelten; den Evangelischen wurde die Baarfüßerkirche überlassen und die Bilder aus derselben entfernt. Auf ihr dringendes Ansuchen bewilligte Bern am 16. Januar 1530, daß Haller einige Zeit als Prediger daselbst auftrete. Er kam und hielt bei dreißig Predigten; allein die Zwietracht ließ nicht nach. Im Gegentheil erscholl eines Morgens der Ruf durch die Stadt, St. Urs, der Schutzheilige, vergieße Schweißtropfen; die Weiber schrieen, der dicke Pfarrer von Bern habe ihm den Angstschweiß ausgetrieben; die Verwandte eines Rathsherrn wünschte ihr Messer in dem großen Bauche des verhaßten Predigers umzuwälzen. Er gerieth in nicht geringe Gefahr; ein Haufe lief gegen das Baarfüßerkloster heran, wo er sammt andern Predigern sich aufhielt. Achtzig Getreue wachten die ganze Nacht zu ihrem Schutze. Die herbeieilenden Gesandten von Bern, Basel und Viel, worunter auch Manuel, bemühten sich acht Tage lang, einen Vergleich zu bewirken. Die Berner riefen Haller ab, doch durfte er auf Bitte der Solothurner noch etliche Tage bleiben; er kehrte Mitte Februars zurück. Voll Schonung übergeht er bei der Erzählung des Auflaufes, die er Zwingli mittheilt, die gegen ihn gerichteten feindseligen Worte und Schritte. Wohl erkannte er aber, daß der stürmische, wiedertäuferische Geist, wovon selbst Vornehme sammt ihren Frauen angesteckt waren, in Solothurn, wie überall, wo er sich regte, am meisten verdarb und die schön aufblühende Saat des Evangeliums aufs höchste gefährde. Der auf den November (l530) angesetzten Disputation, zu der die evangelischen Solothurner ihn besonders wünschten, war er entschlossen unter billigen Bedingungen beizuwohnen. Doch ließ die in der Stadt überwiegende katholische Parthei dieselbe nicht zu Stande kommen, obschon von den achtundvierzig Landgemeinden vierunddreißig die Messe und Bilder abgeschafft hatten.
Sehr erfreulich war ihm dagegen der durch den feurigen Eifer seines lieben Farel geförderte Durchbruch des Evangeliums in Neuenburg, wozu auch der bernische Venner Weingarten viel beitrug. Um so mehr schmerzte ihn der plötzliche Tod des letztern, welcher im August an der Pest dahin starb. Aufs tiefste aber ergriff ihn das wenige Tage später ebenfalls durch die Pest erfolgende Hinscheiden seines treuen Diakons Michael, der früher sein Kaplan gewesen war. „Welch eine liebe Seele, seufzte er (an Zwingli, 15. August); mehr als ein leiblicher Bruder war er mir; er allein hat unter allen meinen Anfechtungen als treuester Freund bei mir ausgeharrt (auch 1526, als Begleiter auf der Badener Disputation.) Täglich schwinden wir dahin durch die Pest.“ Er bittet Zwingli dringend um einen Gehülfen, da Kolb vom Alter gebeugt, Megander angegriffen, er selbst bekanntlich mit Leibesschwachheit behaftet sei; sowohl für die Predigt als für die Geschäfte der Kirchenleitung wäre ein Mitarbeiter vonnöthen.
In letzterer Beziehung war eben noch gar Vieles zu ordnen. An manchen Orten blieben die Reformations-Mandate unvollzogen; gegnerische Amtleute legten ihrer Durchführung die größten Hindernisse in den Weg, so daß Haller sammt seinen Amtsbrüdern sich genöthigt sah, bei der Regierung Klage zu erheben. Manche auffallende Abweichungen in kirchlichen Gebräuchen und Einrichtungen schienen Ausgleichung zu fordern. Was aber zu einläßlichen Verhandlungen Anlaß gab, war die Kirchenzucht, deren Mangel oder ungehörige Einrichtung besonders von Seiten der Wiedertäufer stets aufs neue ernstlichen, zum Theil nicht ungegründeten Tadel hervor rief. Am meisten staatlich ward dieselbe in Bern gehandhabt. „Du weißt, schreibt Haller hierüber an Zwingli (5. October 1530), daß nach der Uebung und den Gesetzen unsers Chorgerichts (Consistoriums) die Fehlbaren gewarnt und zuletzt gestraft werden nicht blos mit Gefängniß, sondern auch mit Ausschließung (Bann, Excommunication), nicht bloß mit kirchlicher, sondern sie werden auch von den bürgerlichen Rechten (den Zünften) ausgeschlossen. In unserm Chorgerichte sitzen zwei Prediger, zwei Mitglieder des kleinen und vier des großen Rathes; diese repräsentiren die ganze Kirche. Damit aber ihre Warnungen und ihr Bann bei dem rauhen und in Lastern verhärteten Volke nicht zum Gespötte werde, hat die Obrigkeit diesen acht Männern auch ihre Verrichtung und Gewalt ertheilt, so daß dem Chorgerichte Beides zukömmt, sowohl zu strafen im Namen der Obrigkeit, als zu warnen und zu excommuniciren im Namen der Kirche.“ Daran stieß sich besonders Oecolampad in Basel, dem es Ueberzeugungs- und Gewissenssache war, kirchliches und staatliches Einwirken grundsätzlich mit Bestimmtheit zu unterscheiden und sorgfältig aus einander zu halten. Er legte seine Gedanken und sein ernstes Verlangen nach Uebereinstimmung hierin unter den evangelischen Orten dem Rathe zu Basel vor, sodann im September 1530, einem Tage der evangelischen Rathsboten in Aarau; ebenso seinen Freunden Vadian und Zwingli, an deren letzteren er im September 1530 die goldenen, jetzt noch beachtenswerthen Worte schrieb: „Unerträglicher als der Antichrist selbst ist eine Obrigkeit, welche die Autorität der Kirche sich anmaßt. Die Obrigkeit führt das Schwert, und das mit Recht. Christus aber hat uns Arzneien und Heilmittel gegeben, wodurch wir den gefallenen Brüdern helfen sollen. Zudem bessern wir sie nicht, indem wir sie der Obrigkeit verzeigen, sondern wir geben sie Preis. Christus hat nicht gesagt (Matth. 18,17): „Hört er dich nicht, so sage es der Obrigkeit,“ sondern „der Kirche (Gemeinde)“. In demselben Sinne und sehr ausführlich schrieb Oecolampad an Bertold Haller: „Sieh, mein Lieber, die Kraft des Wortes wirkt mehr als die Strafe; sie vermag besser, steinerne Herzen zu erweichen. Nicht genug läßt sich’s sagen, wie viel wir an Wirksamkeit verlieren und wie verächtlich wir werden, wenn wir mit einem andern Schwerte als mit dem des Geistes uns bewaffnen, und wie sehr der Haß des Volkes uns trifft, das uns alsdann neue Tyrannen, Verräther, Hierarchen schilt, welche die weltliche Herrschaft an sich ziehen wollen.“ Haller war zweifelhaft über die Richtigkeit der in Bern bestehenden Einrichtung und wandte sich deshalb an Zwingli um Rath (wie er schon im Sommer den jungen Bullinger, damaligen Pfarrer in Bremgarten, nicht umsonst darum angegangen hatte.) Haller erklärt sich auch bereit, zu einer Conferenz in Aarau oder Solothurn sich einzufinden, sobald er vom Rathe die Erlaubniß dazu erhalte, was nach Beendigung des eben obschwebenden Krieges zwischen Genf und Savoien, in welchen Bern verwickelt war, gewiß geschehen würde. Auf einem Tage in Aarau (1. August 1531) näherten sich Oecolampad und Haller, so daß jener das bernische Verfahren nicht mehr so ganz verwerflich fand; er beharrte aber darauf, das seine sei der Schrift und Vernunft entsprechender, während bei jenem die Autorität der Kirche leide und die Diener des Wortes sich sammt ihrer Sache durch diese richterliche Funktion verhaßt machen.
Inzwischen nahten für Haller wiederum gar schwere Zeiten. Mit bangem Herzen sah er die Zerwürfnisse zwischen den evangelischen und den päpstlich gesinnten Kantonen sich steigern, die Erbitterung wachsen, die furchtbare Gefahr eines blutigen Ausganges aufs neue immer näher rücken. Während Zwingli schon im Frühjahr 1531, als Zürich kriegsbereit war, einen raschen Entscheid durch die Waffen wünschte, um dieses faulen Friedens los zu werden, war Haller dagegen ganz einverstanden mit Berns beharrlichem Streben, einen solchen Krieg beinah um jeden Preis zu vermeiden. Noch im Sommer, als von verschiedenen Seiten Vermittlungsversuche gemacht wurden, entsprach er dem Ansuchen eines bernischen Staatsmannes, Zwingli anzufragen, ob er es wohl für ersprießlich hielte, wenn von dem französischen Gesandten ehrenhafte Friedensartikel vorgelegt würden und zwar im Sinne freier Verkündigung des Evangeliums. Doch umsonst. Haller hatte vielmehr den Schmerz, sich von mancherlei Verläumdung umsponnen zu sehen, und grade mit seinen Amtsbrüdern Kolb und Megander nicht mehr einig gehen zu können. Der Letztere namentlich führte zur Zeit der unglückseligen Sperre (Mai bis October 1531) von der Kanzel eine so ungebührliche Sprache, selbst dem Rathe gegenüber, und wiegelte das Volk so heftig zum Kriege auf, daß selbst die treuesten Freunde des Evangeliums es kaum ertragen mochten. Es kam so weit (wie Haller später erzählt), daß jeder Prediger, der nicht mit Spott- und Schmähreden bald gegen die Regierung, bald gegen die fünf Orte und die Päpstler loszog, von den Eifrigen für nichts geachtet oder ein falscher Prophet gescholten ward. Gerade Haller sah sich am meisten von solchen unbilligen Vorwürfen betroffen.
Der furchtbare Schlag aber, den die Sache des Evangeliums durch die Schlacht bei Kappel (11. October 1531) und noch mehr durch die unglücklichen Friedensschlüsse nach derselben erfuhr, ging ihm darum nicht weniger tief zu Herzen. Zwingli’s rascher Tod erfüllte ihn mit inniger Betrübniß. Er hatte dem Hingeschiedenen seit Jahren so nahe gestanden, ihm Alles so unbefangen vorlegen, sich ihm so ganz vertrauen dürfen! weshalb er auch bitten mußte, daß nunmehr seine Briefe in keine andere als in Freundeshände kommen und durch solche an ihn zurück gelangen möchten. „Denn so Vieles, bemerkt er, hab‘ ich ihm geschrieben, was von einem unbilligen Leser aufs ärgste mißdeutet werden könnte.“ Ohne anders ein auch jetzt noch zu beachtender Wink! – Nicht besser wußte Haller das Andenken des Gefallenen zu ehren, als daß er sofort versprach, dem frühe verwaisten Sohne desselben, Wilhelm, der in Bern bei seinem Oheim Tremp erzogen werden sollte, ein Vater zu sein.
Ueberdies rief der Umschlag der öffentlichen Stimmung unter dem Landvolke Berns wie Zürichs bedenkliche Regungen hervor, bei denen verborgener Widerwille gegen die ernsten Prediger des Evangeliums, wie gegen die Handhabung größerer Sittenstrenge zu Tage trat und den noch unvollendeten und eben jetzt stark erschütterten Bau der erneuerten Kirche sehr zu gefährden drohte. So erschienen in Bern zu Anfang Dezember 1531 hundert und zwanzig Abgeordnete vom Lande und legten dem Rathe ihre Begehren vor. Die Sittenzucht sei ihnen beschwerlich; das Chorgericht solle abgeschafft oder doch die Prediger daraus entfernt werden; die Prediger sollen nicht schelten, das Wort „gottlos“ nicht mehr gebrauchen; Fremde solle man nicht zu Predigern anstellen. Die Regierung ging mit Vorsicht und Freundlichkeit auf diese und andere das Bürgerliche betreffende Begehren ein, im Kleinen nachgiebig, im Wesentlichen fest, und so kam es dazu, daß statt der gefürchteten Störung Stadt und Land sich vielmehr aufs neue vereinigten: so lange der Berner Boden stehe, bei Gottes Wort zu bleiben und die Reformation und Mandate aufrecht zu erhalten. Alles was die Prediger betreffend vorgebracht worden, wurde ans Chorgericht oder an eine demnächst einzuberufende allgemeine Synode gewiesen. Die Prediger blieben im Chorgericht, auch Haller. Die Obrigkeit bezeugte ihnen überdies ihren guten Willen auch durch die Aufforderung: die Prediger möchten ihre allfälligen Anliegen jederzeit dem Rathe brüderlich eröffnen; dasselbe wolle der Rath gegen sie thun.
Dessen ungeachtet erschien die Lage der bernischen Kirche als eine traurige und höchst unsichere. Den Rath sah Haller in sich getheilt und fürchtete den innern Zwiespalt mehr noch als äußere Feinde; den meisten der Herren schienen ganz andere Dinge, Macht und Glanz, Genuß und Ehre weit näher zu liegen, als die ernste Sorge um das Gedeihen des Evangeliums. Wie kümmerlich aber stand es um die Diener der Kirche gerade in der Hauptstadt! Haller selbst war so krank, von Podagra, Bruchleiden und von der Bürde seines schweren Körpers überaus belästigt; Kolb, der im Felde sich von leidenschaftlichem Ungestüm hatte hinreißen lassen, bereits altersschwach; Megander war schon zu Anfang des Krieges um seiner verletzenden Kanzelreden willen in Anklagezustand versetzt, seine Verantwortung aber auf seine Rückkehr aus dem Felde und auf die bevorstehende Synode verschoben worden. Als er zurück kam, brachte die Erbitterung über den unglücklichen Ausgang des Krieges es dahin, daß das Predigen ihm untersagt und er im Amte still gestellt wurde, bis daß Alles vor der großen Synode verhandelt und geschlichtet wäre. Man konnte gar nicht wissen, was bei der Ungunst des Rathes und bei dem allgemeinen Unwillen über ihn verhängt würde. Es war zu besorgen, daß er verabschiedet werde. Aufs sehnlichste wünschte daher Haller einen wissenschaftlich gebildeten, rüstigen und dabei maßhaltenden Diener des göttlichen Wortes zu seinem Mitarbeiter in der Pflege der bernischen Kirche zu erhalten. Da es im bernischen Gebiete gänzlich an solchen Männern fehlte, richtete er seine Blicke auf den eben aus Bremgarten vertriebenen, ihm seit der Berner Disputation wohl befreundeten Bullinger, der sich durch weise Mäßigung während der Vermittlungsversuche allseitig großes Zutrauen, auch bei den Bernern, erworben hatte. An ihn ließ der Rath (im Dezember) einen Ruf ergehen durch Hallers Vermittlung. Aufs freundlichste bittet Haller ihn, den Ruf nach Bern anzunehmen; er bietet sich ihm zu jedem Dienste, ja zum treuen Freund und Bruder an. „Ist man gleich gegen Megander erbittert, schreibt er, so darfst du unbesorgt sein; durch meine Mäßigung hat der Herr mehr gewirkt, als durch seine Bitterkeit. Solltest du nicht entsprechen, so möchte ich lieber in Kurzem sterben, als so verlassen sein.“ Doch Bullinger konnte nicht, da Zürich ihn fest hielt. (S. Pestalozzi, Bullinger, S. 72.) Hallern blieb nichts übrig, als durch fortgehenden brieflichen Verkehr seine Beihülfe zu suchen und seine Freundschaft zu pflegen.
10. Berner Synodus, Januar 1532.
So nahete das Ende dieses Unglücksjahres. Mit schwerem Herzen sah Haller der bevorstehenden ersten allgemeinen Synode entgegen, die vom Rathe auf den 9. Januar 1532 zur Beurtheilung der Prediger hinsichtlich der Lehre und des Lebenswandels, zur Aufstellung einer bleibenden Ordnung (Vorschrift) hierüber und zur Beseitigung aller wahrgenommenen Uebelstände einberufen war. Namentlich machte ihm Meganders Angelegenheit bange. Grade der ungestüme Eifer derjenigen Prediger, die für ihn Partei nahmen, und um seinen Fehler zu vertuschen, sogar Haller der Nachlässigkeit und Untreue beschuldigten, weil er nicht eben so wie jener gepredigt habe, konnte beim Rathe Alles verderben. Für seine Person fürchtete Haller nichts, wohl aber besorgte er Verlust oder Hemmung der freien und freimüthig eingreifenden Predigt des göttlichen Wortes und Entlassung des kräftigen Megander, den er trotz seines unzeitigen Eifers hoch schätzte und von dem er eben in jenen Tagen bezeugte, „er sei ein gelehrter, frommer und in seinem Wandel untadelhafter Mann.“
Da kam ihm plötzlich eine Hülfe. Wie ein rettender Engel erschien bei ihm Wolfgang Capito aus Straßburg, der, um die eigene Schwermuth zu stillen, eben eine Rundreise durch die evangelischen Städte begonnen hatte. So unerwartet trat er am 29. Dezember 1531 bei Haller ein, daß dieser den fremden Reitersmann im Augenblicke, als er ihn um eine Herberge ansprach, nicht einmal erkannte. „Einen Augenblick nachher, erzählt Haller, lag ich mit Thränen der Freude in seinen Armen.“ Haller machte den mit den bernischen Wirren nur wenig Bekannten mit der Lage der Dinge vertraut, und führte ihn am folgenden Tage zu den angesehensten Häuptern des Staates. Auf Hallers Betrieb baten diese den willkommenen Gast, nachdem sie ihn predigen gehört, bis zur Synode zu bleiben. Der anberaumte Tag (9. Januar) erschien; zweihundert und zwanzig Prediger versammelten sich; der gesammte Rath wohnte bei; Capito setzte auseinander, wie die Synode abzuhalten, was zu verhandeln sei und wie es mit der Angelegenheit Meganders stehe. Als sofort dessen Partei sich erheben wollte, sprach er so eindringlich, daß ein jeder in sich selbst blickte und beschämt erkannte, worin er es in der Zeit des Kriegssturmes versehen. Am folgenden Tage legte Capito zuerst der Gemeinde von der Kanzel, sodann in längerer Rede der Synode sammt dem Rathe dar, welches der Kern und Stern der ganzen evangelischen Predigt sei, wie Christus und Christus allein müsse verkündigt werden, wie er selbst und die in ihm erschienene Gnade Gottes der rechte Inhalt der ganzen christlichen Lehre sei. Dies Alles trug er mit so hinreißender Kraft der Rede, mit solcher bezaubernden Milde und Innigkeit vor, daß er Aller Herzen gewann. Des Nachmittags kamen Ausschüsse aus den acht Kapiteln zu weiterer Beratung mit ihm zusammen, während anderswo die Censur (Zeugnißablegung und Beurtheilung) über Lehre und Wandel jedes einzelnen Geistlichen gehalten wurde. Am eilften Januar redete Capito eben so ergreifend von christlicher Zucht und davon, wie die Vertreter der Kirche und des Staates sich gegenseitig zu unterstützen haben, damit das Wort Gottes die Fülle seiner segensreichen Kraft frei entfalte. Kurz, erzählt Haller weiter (an Butzer, 16. Januar), als er am 13. Januar die Synode schloß und mit beweglichen Worten der Liebe und des Friedens, der Zucht und Vermahnung Abschied nahm von den Kirchen und sämmtlichen Brüdern, da brachen die dreihundert versammelten Männer in Thränen aus, so daß niemand der Rede mächtig war. Denn als man mich aufforderte, im Namen der Brüder ihm den Dank auszusprechen, so versagte mir die Stimme
Seinen Bitten verdanken wir die Versöhnung Meganders mit den Herren: ein Handel, den kein Fürst mit all seinem Ansehen hätte beilegen können; so verbittert war derselbe. Er hat Alles erlangt, was er nur gewollt und hat sich die ganze Stadt und alle Brüder dermaßen in Dankbarkeit und Liebe verbunden, daß selbst die Rohesten und Gottlosesten unwillkürlich ausriefen: Gott hat den Mann her geschickt!“
In der That waren Hallers Freudenthränen, seine tiefe innere Bewegung bei dieser ersten Berner Synode, der einzigen, die er erlebte, nicht grundlos. Er hatte damit etwas Großes erlebt, einen wesentlichen Fortschritt zum rechten Ausbau der erneuten Kirche Berns, an deren Reform er sein Leben und all seine Kräfte gesetzt hatte. Nicht ein blos persönliches Friedenswerk war demjenigen mit Gottes wunderbarer Hülfe gelungen, vor dessen höherer Begabung er selbst in seiner Anspruchlosigkeit ohne einen Hauch von Unmuth gern völlig zurück trat, dessen tiefer Ernst, dessen christliche Milde und Liebesfülle so ganz seinem eigenen Sinne entsprach. Weit Größeres war zu Stande gebracht, ein bleibendes Denkmal zum Segen auf Jahrhunderte. Durch diese Synode, deren Akten sich nicht in dürrer Gesetzesform, sondern mit ansprechender Herzlichkeit im Tone freundlicher Ermahnung über das ganze Amt und Leben des Geistlichen verbreiten, erhielt Bern nach sofort erfolgter Genehmigung des Raths eine feste kirchliche Gestaltung, eine Kirchenordnung von unvergleichlicher Art, „auch für unsere Zeit (nach Hundeshagen) ein wahres Meisterwerk.“ Sie ist durchweht vom christlich warmen Hauche freiesten Geisteslebens, das aber in die nothwendigen Schranken der Zeitlichkeit willig eingeht. Bemerkenswerth ist die eindringliche Klarheit, mit der die Obrigkeit gemahnt wird, als Gottes Dienerin des Evangeliums Lehre und Leben, sofern es äußerlich ist und bleibt, bei ihren Unterthanen zu bewahren, zugleich aber davor gewarnt wird, sich in den inwendigen Gang der Gnade und die Gewissen einzulassen oder von außen etwas zu gebieten oder zu verbieten, wodurch die guten Gewissen beschwert oder dem heiligen Geiste ein Ziel gesetzt würde. Diese Kirchenordnung, „Berner Synodus“ genannt, blieb nebst den Akten der Berner Disputation das besondere Symbol der bernischen Kirche.
11. Hallers weitere Bemühungen für die evangelische Kirche im In- und Auslande, 1532-1535.
Auf Grundlage dieser Kirchenordnung konnte sich nun Hallers ferneres mannigfaches Wirken zum Besten der bernischen Kirche, zu ihrer Weiterleitung und zur Herstellung besserer Zustände gedeihlich entfalten, obwohl die Drangsale der Zeit vielerlei Störung und Unsicherheit mit sich brachten. Schon in diesem Jahre (1532) hatte er im März und im October in den verschiedenen Landestheilen Kirchenvisitationen zuhalten. Die Prediger ermahnte er aus allen Kräften, das überall wieder mächtig sich erhebende Papstthum fest und gemäßigt mit klaren Gründen der heil. Schrift zu bekämpfen; das Volk wies er auf die Zeichen der Zeit und das Unheil der Abtrünnigen; die Amtleute, unter denen manche in Erfüllung ihrer Pflicht sich schlaff oder feindselig zeigten, zu ernsterer Bestrafung der Laster. Dem Rathe erstattete er genauen Bericht; daraufhin schärfte derselbe allen Amtleuten treuere Handhabung der erlassenen Mandate ein. Für die Jugend, deren Unterricht in jener Zeit meist den Eltern überlassen blieb, wünschte Haller schon damals einen angemessenen Katechismus. Auch in den folgenden Jahren hatte Haller jährlich zweimal die sämmtlichen acht Kapitel zu visitiren und sich dabei über Alles persönlich Rechenschaft geben lassen, zur größten Förderung der Pfarrer und Gemeinden, wie er selbst gesteht. Freilich gab es Pfarrer, die, wo er auch auf äußern Anstand hielt (1533), darin schon „ein neues Papstthum“ finden wollten. Außer der täglichen „Prophezei“, bei der, ähnlich wie in Zürich, die Bibel den Grundsprachen gemäß von den Gelehrten, zum Theil auch von Haller, ausgelegt wurde, hielt man unter Hallers Vorsitz zur Belehrung der großenteils ungebildeten Prediger wöchentlich an den Markttagen Colloquien (Besprechungen) über schwierigere Schriftstellen; manchen erwuchs daraus großer Segen, indem sie gegen Papstthum und Wiedertäufer besser gewaffnet wurden. Mit großer Freude begrüßte Haller zu seiner eigenen und anderer Belehrung Bullingers ziemlich kurzgefaßte Commentare (Schriftauslegungen). Von sich selbst sagt er dabei mit gewohnter Bescheidenheit, „er habe viele Lehrer gehabt, aber nie einen geordneten Studiengang; er sei eben was Eck einst dem Zwingli mit Unrecht vorwarf, ein „„selbstgewachsener Theolog“„; deshalb lerne er, sowie andere fromme Amtsbrüder, so gerne aus Bullingers Schriften, weil sie klar, offen und einfach seien und so die Finsterniß der Unwissenden gründlich heben.“ Wiederholt bittet er ihn sehr dringend, in der Ausarbeitung der Commentare fortzufahren, besonders um derjenigen willen, die ungefähr so eine ähnliche Bildung haben, wie er selbst. Allem Lobe aber fügt der grundehrliche Haller sogleich die Warnung bei, „Bullinger solle doch ja demüthig bleiben, nicht etwa selbstgefällig, ehrsüchtig, hochmüthig werden; nicht daß Bullinger ihm zu Besorgnissen Anlaß gegeben hätte, aber vor den Schlingen des Satans könne man sich nicht genug hüten; er habe auch Zwingli seiner Zeit gerade so gewarnt und dieser es niemals übel genommen.“ Als Bullinger (1533) die Auslegung des Römerbriefes, „ein Compendium christlicher Philosophie“, wie der Titel sagt, ihm widmete, antwortete er, „von Ehrsucht und Ruhmsucht wisse er sich frei; es sei ihm nur leid, daß sein Name je gedruckt worden, es wäre denn, daß er noch einst der Welt eine Spur desselben aufdrücken könnte; Bullingers Dedication dieses Buches irgendwann zu erwiedern, sei er ja nicht im Stande.“ Seine eigenen Abrisse (Rapsodien) wollte er nicht einmal dem befreundeten Bullinger senden, da er sie nicht für werth achtete, von einem so gelehrten Manne gelesen zu werden. Von Bullinger erbat er sich einen umfassenden Plan für die Einrichtung seiner Studien (April 1532); diesen theilte er auch andern strebsamen Geistlichen seiner Umgebung mit; gerne wollte er diesem Plane folgen, doch drückte ihn der Mangel an Zeit.
Außer den Schulanstalten in Bern zur Heranbildung von Predigern wurden in mehreren Landstädten lateinische Schulen errichtet zu ihrer Vorbildung. Um so mehr mußte man auf Erleuchtung der Prediger und innere Stärkung der evangelischen Kirche bedacht sein, da diese von den siegreichen Gegnern nicht nur in den gemeinsamen Herrschaften sich zurück gedrängt, sondern überall bedrängt und gefährdet sah. Das Gerücht, Zürich wolle die Messe wieder zulassen (März 1532), erschreckte auch Haller. Wie über Alles theilte er sich auch darüber seinem Millinger mit, dem er so innig sich verbunden fühlte, daß er „gerne mit ihm auch das Schwerste auszustehen bereit war.“ „Allenthalben thun sie groß, meldet ihm Haller, ehe ein Jahr um sei, müsse zu Zürich und Bern wiederum die Messe sein.“ Haller wußte wohl, wodurch es zu Bern am ehsten dahin kommen könnte, daß nämlich das verführerische Pensionswesen für dessen Machthaber am verlockendsten werden möchte. Die Franzosen suchten so eben eine Werbung und wandten dafür insgeheim ihre alten Künste an; daher er scherzend an Bullinger schrieb, „er fürchte die französische Messe noch mehr als die päpstliche.“ Das Drängen der katholischen Orte, ihre Zumuthungen an Zürich, ihr Druck auf die gemeinsamen Herrschaften wurde so arg, daß Bullinger vorschlug, lieber gütlich die Bundesbriefe heraus zu geben und dann einander ungekränkt zu lassen. Haller besprach den Vorschlag (im Oct. 1532) mit den ihm befreundeten Staatsmännern Berns; diese aber besorgten, wie Haller seinem Freunde zurück berichtet, die katholischen Demokratien würden bei einem solchen Anlasse „das bernische Oberland und Aargau zur Abtrünnigkeit verleiten können und aus ihnen, wie auch schon verlautete, zwei neue selbstständige Kantone machen.“ Beide Männer bedauerten, zumal gegenüber der festen Geschlossenheit der katholischen Orte, aufs tiefste die Kälte, die seitdem unglücklichen Kriege zwischen Bern und Zürich eingetreten war und thaten ihr Möglichstes zur Wiedervereinigung. Allein, sie stießen auf mancherlei Hindernisse; es wollte Jahre lang nicht gelingen, wiewohl sie ihre Freunde in Basel, Schaffhausen und St. Gallen um Vermittlung angingen. „Es ist um uns geschehen, schreibt Haller an Vadian nach St. Gallen, im Februar 1532, wenn die zwei Städte nicht wieder eins werden, die einander ganz entfremdet sind. Keine mag der andern ein gutes Wort geben;“ dann wieder 1533 an Bullinger: „Gott ist erzürnt über uns, daß die zwei Städte einander nicht mehr verstehen und hören wollen.“ Als der Schultheiß Jakob von Wattenwyl, „das christliche Herz“, wie Haller ihn nannte, mit wohlwollenden Aufträgen zur Tagsatzung abging, hoffte dieser das Beste; allein umsonst waren so viele Versuche, „die alte Freundschaft wollte nicht erwachen.“ Noch im Februar 1534 klagt Haller (an Bullinger): „Die christlichen (evangelischen) Städte gehen mit einander um, wie die Katze um den Brei. Es traut und sagt Niemand dem andern, wie’s ihm im Herzen ist.“ Endlich gelang es im März 1534, durch den Hallern besonders eng befreundeten Sulpitius Haller, seinen Gevatter, damals Vogt in Lenzburg, einen Besuch bernischer Amtleute in Zürich und Kyburg zu bewirken, wobei diese aufs glänzendste bewirthet und ihnen Vorschläge zu weiterer Vollführung der Wiedervereinigung überreicht wurden. Eine Folge davon war die Ausgleichung allzu auffallender Verschiedenheiten in kirchlichen Gebräuchen, die bei Tagsatzungen den Gegnern Anlaß zu Spott gegeben hatten, während man sonst „der christlichen Freiheit gemäß“ Ungleichförmigkeit in äußeren kirchlichen Dingen bestehen ließ. Namentlich aber kam es unter den fünf evangelischen Orten zu einer Vereinbarung in Betreff der Ehesatzungen. Oft war Haller durch seine Stellung im Chorgericht veranlaßt, über letzteren Punkt bei seinen Freunden Zwingli, Bullinger, Vadian, Butzer, Capito, Blaarer sich Rath und Auskunft zu erbitten.
Vielfältige Sorge machten Hallern in diesen Jahren überdies die fortgehenden Umtriebe der Wiedertäufer, die immer wieder sich zeigten, obgleich schon im Juli 1529 etliche derselben in der Aare ertränkt worden, nicht der Lehre halben, sondern wegen ihres Ungehorsams, wegen trotziger „Verachtung der Obrigkeit“, da sie, obgleich öfters verwiesen, doch wieder zurück gekommen waren. Im April 1531 hatte Haller nebst zwei andern Predigern zu Bern mit einem der bedeutendsten Wiedertäufer Hans Pfistermeier ein Gespräch zu halten; es geschah das mit großer Freundlichkeit und Sanftmuth, und es gelang ihn zu gewinnen. Schon zu Anfang des folgenden Jahres (1532) muß aber Haller aufs neue Bullingern klagen, die Gemeinden auf dem Lande werden von den Wiedertäufern arg beunruhigt; die bisherigen Maßnahmen, wie Belehrung und Ausweisung der Hartnäckigen erweisen sich als fruchtlos; nun komme in Frage, ob man zum Schwerte greifen dürfe; der Rath sei dazu sehr geneigt; er selbst noch nicht mit sich im Reinen, da Hinrichtungen ihre Zahl nur mehren; „und dürfen wir, die wir auf Seiten des Evangeliums stehen und von Allen Verfolgung um Christi willen erwarten sollten, auch wieder Solche haben, die wir verfolgen, während wir des Kreuzes und der Bedrängniß vielmehr uns rühmen sollten?“ Haller befand sich deshalb in höchster Gewissensqual, entschied sich aber gegen das Recht der Todesstrafe und beharrte dabei unerschütterlich. Ein neues Gespräch wurde vom Rathe angeordnet; zwanzig Prediger im Juli 1532 dazu nach Zofingen berufen; drei und zwanzig Wiedertäufer erschienen; neun Tage lang wurde disputirt. Umsonst; die letztern rühmten sich sogar des Sieges und wurden nur kühner. Als im August 1534 die Wiedertäufer sich abermals mehrten und der Rath ihm aufs neue ein Gutachten abnöthigte, in der Hoffnung, nun werde er zur Todesstrafe einwilligen, erklärte er unumwunden, die Entstehung und Verbreitung dieser Sekte sei hauptsächlich der Bequemlichkeit mancher Pfarrer, der Ueppigkeit vieler Rathsherrn und Vögte, ihrer Versäumniß des Gotteswortes, lauer Bestrafung der Laster, schlechter Erziehung der Jugend, der als unmündig Getauften beizumessen. Die Gefängnisse vermochten sie nicht zu fassen; dennoch widerstand Haller schärferer Bestrafung, treu der Ueberzeugung, „der Glaube sei eine Gabe Gottes.“
Es schien ihm ein Widerspruch zu sein, daß man die Wiedertäufer so hart, die halsstarrigen Anhänger des Papstthums dagegen gar gelinde behandle. Entschiedene Schritte schienen ihm den Letztern gegenüber vonnöthen. Im November 1534 kam es dazu, daß der große Rath im Beisein von fünf und dreißig Amtleuten vom Lande nach einem zweistündigen Vortrage Hallers das Reformationsedikt sammt den Mandaten aufs neue zu halten beschwor und den Beschluß faßte, dasselbe zu Stadt und Land von jedermann beschwören zu lassen; wer sich weigere, den Eid zu leisten, habe freien Abzug.
Besonders schwere Sorgen machten Hallern auch jetzt wieder die Zerwürfnisse Solothurns, woselbst das Evangelium von zwei Seiten her, von papistischer wie von wiedertäuferischer, hart angefochten und endlich verdrängt wurde. Schon im April 1532 wurde den Evangelischen in der Stadt ihr Prediger entrissen. Immer heftiger bedroht machten sie im Oktober 1533 einen Anschlag auf das Zeughaus; nur der hingebende Heldenmuth des Schultheißen Wenge verhütete Blutvergießen. Doch wurden die Evangelischen aus der Stadt vertrieben. Bern hatte Ursache genug, sich ihrer kräftig anzunehmen. Allein ein Krieg schien dafür unvermeidlich. Haller aber schreibt klaren Geistes hierüber (22. November an Bullinger): „Von Gottes Wort wegen Krieg führen ist nie wohl erschossen. Für Gottes Wort Krieg führen trifft den Teufel an; der wird bestritten durch geistliche Waffen, durch unschuldiges Leben, durch reinen Glauben und durch dessen freie Verkündigung.“
Indeß erwartete er nichts Anderes, als daß Bern, „nunmehr von Papisten umringt alsbald angegriffen und wo möglich mit Gewalt vom Evangelischen weggedrängt werde.“ Er rüstete sich daher aufs Schwerste: „Uns ist das Kreuz Christi verheißen, die Verfolgung, und daß die Gottlosen über uns siegen werden. Uns, die wir fromm und christlich leben wollen, trifft immerwährende Anfechtung. Die ganze Welt mag uns drücken; aber der ewige Sieg wird uns zu Theil. Zehn Verfolgungen hat die alte Kirche erduldet. Sind diese ein Vorbild unserer Kirche, so leben wir in der Zeit der ersten Verfolgung, damit auch unser Glaube bewährt und die Gedanken Vieler offenbar werden.“ Fest entschlossen, der Gefahr nicht zu entfliehen, erbat er sich bei seinen Straßburger Freunden eine Stätte der Zuflucht, wofern er vertrieben würde. Fünf und zwanzig evangelische Landgeistliche wurden von ihren Pfarrstellen im Solothurnischen vertrieben; viele Bürger wanderten aus, unter ihnen solche, denen Haller christliche Liebe und Freundlichkeit gern erzeigte.
Eine Reihe von Verhandlungen anderer Art veranlaßten Butzer’s fortgehende Versuche zur Vereinigung der schweizerischen und oberdeutschen Protestanten mit den lutherischen. Bern zeigte sich dabei sehr zurückhaltend. Als Butzer im Mai 1533 auf seiner Rundreise durch die Schweiz mit seinem Begleiter Bartolome Fontio in Bern eintraf, hatte er zwar den freundlichen und ehrenvollen Empfang, der ihm zu Theil ward, sehr zu loben. Eine Zahl von hundert und zwanzig Geistlichen wurde versammelt, die in Butzers Gegenwart und unter seiner Beihülfe manche kirchliche Verbesserung beriethen; mit ihnen trat Butzer vor den Rath, um diesen zur standhaften Behauptung der evangelischen Wahrheit zu ermuntern, was auch Farel sammt den anwesenden französischen Predigern that. Oefterer gegenseitiger Besuch der Synoden lag längst in Hallers Wünschen. Haller war zudem Butzern seit Jahren mit aufrichtiger Achtung und Freundschaft zugethan und bewahrte ihm trotz aller Vorkommenheiten stets diese Gesinnung. Auch er wünschte von Herzen Frieden mit Luther und den Seinigen. Allein nichts vermochte ihn und seine Amtsbrüder, dies auf Kosten der Wahrheit und Klarheit zu thun, von hellen auf dunkle, zweideutige Ausdrucksweisen überzugehen, wie Butzer sie wünschte. Ihm schien daraus mehr Verwirrung und Zwietracht als Heil zu erwachsen (wie ihm auch sonst subtile Erörterungen über die Prädestination rc. zuwider waren.) Was man ihm (im November 1534) aus Bourges und Paris über Blaarers Stellung in Württemberg schrieb, bestärkte ihn darin. Selbst was die Zürcher unter Zustimmung Basels, Schaffhausens und St. Gallens im Dezember 1534 zur Erleichterung einer Annäherung in Betreff der Abendmalslehre glaubten vorschlagen zu können unbeschadet der zwinglischen Lehrweise, schien ihm und den übrigen Bernern nicht einfach genug. Seinen guten Willen gab Haller zwar aufs klarste kund, da er sich zu einer von Bern angeregten Besprechung mit den Zürichern trotz seines beschwerlichen Leibes auf den 30. März 1535 in Zosingen einfand, voll Sehnsucht, Bullinger oder Leo Judä noch einmal, wie er ahnte, zum letzten Mal in seinem Leben zu sehen. Leider wurden sie abgehalten ohne ihre Schuld durch das böswillig ausgestreute Gerücht, Zug stehe in den Waffen, es drohe ein feindlicher Ueberfall. So gern hätte er eben jetzt wieder Bullinger nach Bern gezogen, da er in ihm das Werkzeug des Herrn erkannte, um nicht nur die Zürcher, sondern Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener rc. zur Erkenntniß des Heils zu führen (Mai 1535). Da die Zürcher im August dieses Jahres eine Verteidigungsschrift zur Verwahrung ihrer Kirche gegen all die Befeindungen herauszugeben beabsichtigten, mahnte er zu bescheidener Haltung. Indeß war es sein Wunsch, daß die schweizerischen Kirchen eine Darstellung ihrer Lehren und Gebräuche in Bereitschaft halten möchten, um sie je nach den Umständen einem allgemeinen Concil oder den Lutheranern vorzulegen. Er selbst hatte früher schon die Abfassung versucht. Höchlich lobte er es (3. Oktober 1535), als Bullinger sich an den friedliebenden Melanchthon wandte und erinnerte aufs freundlichste an die vorzüglichen Eigenschaften dieses seines Jugendfreundes. Eine im Dezember 1535 von Zürcher und Basler Geistlichen in Aarau entworfene, den Bernern zu lieb vereinfachte Formel in Betreff des Abendmals befriedigte abermals die Berner noch nicht. Indeß wünschten sie nun selbst eine neue allgemein schweizerische evangelische Conferenz Sie begann im Januar 1536 in Basel. Ihr Ergebniß war die erste schweizerische Confession. Hallers letzte Lebenstage erheiterte diese Einigkeit der schweizerischen Kirchen.
Eben so lebendig war Hallers Theilnahme für die Regungen des Evangeliums unter den Christen französischer Zunge, an deren Grenzscheide er sich befand, insbesondere für den Protestantismus in der jetzigen französischen Schweiz, die damals mit Bern aufs mannigfachste verknüpft war. Mit Farel, der hier zu Hallers Zeit als der Hauptkämpfer wirkte, war er innig befreundet. Wie er diesen ermuntert hatte, 1526 in Aelen sein Werk zu beginnen, so finden wir Haller in stetem Verkehr mit ihm, auch während seines Wirkens in Murten, Neuenburg rc. Da Farel stets in Bern seinen Ausgangs- und Stützpunkt suchen mußte, wurde sein Verkehr mit Berns Machthabern öfters durch Haller vermittelt. Häufig waren seine Besuche bei Haller; bei ihm herbergte er bei der Berner Synode 1532. In seinem Hause sah er im Mai desselben Jahres das merkwürdige, ums Jahr 840 verfaßte Schriftchen des Ratramims (Bertram) über das Abendmal, das Haller sofort ins Deutsche übersetzt zu sehen wünschte; es gefiel Farel so wohl, daß er’s mit sich nahm. Auch im folgenden Jahre treffen wir ihn öfter unter Hallers Dach, woselbst er immer wieder besonnenen Rath, Trost und Hülfe fand. Im August war er von seinem Bruder begleitet, der von dem starken Absatze reformatorischer Schriften in Paris berichtete, was Haller veranlaßte, gegen seine züricherischen Freunde jetzt schon das dringende Verlangen nach Herausgabe von Zwingli’s Schriften auszusprechen, einen Wunsch, der erst zwölf Jahre später auf besondere Veranlassung sollte in Erfüllung gehen. (S. Pestalozzi, Bullinger, S. 222.) Mit seinem Jugendfreunde Melchior Volmar in Bourges, zu dessen Füßen Calvin und Beza saßen, stand Haller ebenfalls in Verbindung; durch ihn gingen (1533) die Geldsendungen für die zürcherischen Studirenden Fries in Paris und Conrad Geßner in Bourges. Aufs herzlichste freute er sich über den Besuch seines Volmar bei dessen Rückkehr aus Frankreich (Mai 1535), als die Reaktion gegen den Protestantismus mächtig und blutig vordrang. Wie einen Bruder empfahl ihn Haller seinen Freunden. – Mit einem Franzosen oder Savoiarden, Namens Claudius, der im März 1534 in Bern anlangte, mußte Haller sich in eine Disputation einlassen über die Person Christi, deren Göttlichkeit wie auch die Dreieinigkeit von diesem bestritten und hartnäckig geläugnet wurde ungeachtet aller Schriftzeugnisse, durch die Haller ihn überführte. Haller fühlte die Größe der Schwierigkeiten, die sich hier vor ihm aufthürmten; doch schien es ihm, Claudius sei nicht bei Sinnen. Derselbe wurde sodann, damaliger Uebung gemäß, aus dem Lande verwiesen. Auch in Betreff Farels besorgte Haller zur nämlichen Zeit, er sei von solcherlei Irrthum etwas angesteckt.
Im Mai desselben Jahres erschien bei Haller der Straßburger Arzt Ulrich Chelius, als Agent des französischen Gesandten in der Schweiz, Wilhelm de Cange, Bruders des Erzbischofs von Paris, um eine Vereinigung zwischen der evangelischen und päpstlichen Kirche einzuleiten. Er legte Hallern die Vorschläge, die hiefür von Melanchthon und von Butzer und Hedio verfaßt worden, vor, erlangte aber Hallers Zustimmung nicht, da dieser, nicht mit Unrecht, fand, durch die gemachten Zugeständnisse sei die Grenze des Erlaubten, die Linie der Wahrheit überschritten (s. Pestalozzi, Bullinger, S. 25l, 272. Baum, Butzer S. 496.) Eben so vergeblich waren bei Haller dieselben Bemühungen im folgenden Jahre, mochte auch die französische Gesandtschaft mißvergnügt aussprengen, „nur die bernischen Dummköpfe und Krebsgänger bleiben hartnäckig auf ihrer Meinung.“ Als bald darauf der König von Frankreich Melanchthon und Butzer zu sich begehrte, warnte Haller aus innerster Ueberzeugung vor dieser Reise. „Was hast du, schreibt er (im Juni 1535) an Butzer, mit den Franzosen zu schaffen? Sie geben gute Worte, Geld und weiter nichts, wenn nicht etwa gar noch Gift!“ Er erinnert an Farels und Virets Lebensgefahr in Genf; er beruft sich auf Solche, die, wie der Schultheiß von Wattenwyl, der Franzosen List und Art genau kennen. „Will man Butzern allerdings lassen ausbutzen, meint er, so schick‘ man ihn nach Frankreich; nichts als Trug sei von König Franz I. zu erwarten.“
Ueberdies nahmen Berns vielversprechende Verhältnisse zu Genf, auf dessen Bedeutsamkeit schon Zwingli hingewiesen hatte, Hallers Aufmerksamkeit öfters und besonders in der letzten Zeit seines Lebens in Anspruch. Nachdem Genf seit 1534 einzig mit Bern verbündet, sich im August 1535 für die Reformation erklärt hatte, sah es sich vom Herzog von Savoien aufs furchtbarste bedrängt und bat daher Bern dringend um Hülfe. Es schien aber nichts Andres übrig zu bleiben, als entweder die Bundesgenossen und Glaubensbrüder im Stiche zu lassen, oder in mißlicher Lage einen höchst bedrohlichen Krieg zu führen. Bern setzte Alles daran den Krieg zu vermeiden; Monate lang mühte man sich umsonst ab. Welche schwierige Lage für Haller als Prediger, dem die Glaubensbrüder in Genf sehr am Herzen lagen und von dem man in der Predigt auch über politische Dinge gemessene Worte erwartete! Nachdrücklich mahnte er in dieser aufgeregten Zeit, bei der immer steigenden Gefahr, daß Alles mit Sorgfalt und Umsicht geschehe, nichts unbedacht und hitzig, daß man gegen jedermann Frieden halte und keinen Krieg unternehme, doch unbeschadet der Ehre Gottes. Während die Spuren innerer Entzweiung ihn ängsteten, erfreute ihn die kirchliche Festigkeit, welche die Boten Berns dem Herzoge und selbst den bei ihm befindlichen Gesandten des Kaisers gegenüber an den Tag legten, getreu ihrem Auftrage, in ihren Forderungen auf der Freiheit des Glaubens für Genf zu beharren.
12. Haller’s Lebensende, 1536.
Mitten unter allen diesen Mühen und Gefahren nahete Haller’s Lebensziel, dem er freilich nicht unvorbereitet entgegen ging. Schon im Bisherigen haben wir seine aufrichtige Bescheidenheit erkannt, nach der er so gerne an höher Begabte sich anschloß und ihnen sich unterordnete, seine kindliche Lauterkeit und offene Herzlichkeit im Verkehr mit seinen Freunden und die gewissenhafte, hingebende Treue, womit er das ihm anvertraute Pfund verwandte, indem er die Pflichten seines Amtes nach allen Seiten hin redlich zu erfüllen strebte. Dennoch genügte er sich nie. Im Gegentheil machte er sich in seinem Innern manche schwere Bedenken über seine Unzulänglichkeit für die hohe Stellung, die er einnahm. Allerdings war er ganz in der Lage, sich als Vorsteher (Antistes) der gesammten bernischen Kirche betrachten zu müssen, wenn auch ohne besondern Titel oder äußere Auszeichnung. Insbesondere drückte ihn seine mangelhafte wissenschaftliche Ausbildung und er suchte sie, wie auch die übrigen Mängel, mit denen er sich behaftet glaubte, zumal in diesen seinen letzten Lebensjahren aufs emsigste zu ergänzen. So schreibt er an Butzer, nachdem dieser im Mai 1533 Bern besucht hatte (ähnlich wie früher an Zwingli): „Du hast nun, lieber Martin, unsere Kirche gesehen, einige unserer Prediger gehört; mich hast du ganz gesehen, wie viel oder wie wenig an mir sein mag. Nichts kannst du thun, was mir willkommener wäre, als wenn du mir ganz offen schreibst, was du daran, zumeist aber an mir, vermissest.“ Sodann: „Ich weiß, daß die Frömmigkeit allein nicht ausreicht zur Führung eines so wichtigen Amtes. Es wird Klugheit, Treue, Gelehrsamkeit erfordert, um die Geheimnisse Gottes auszuspenden. Du kennst mich; befiehl, dringe, zeige mir, wie ich dasjenige möge verbessern, was leicht nicht bloß mir, sondern der Kirche schaden kann!“ Dann wieder an denselben: „Ich weiß genug dessen, das Gott gern hätte und fürchte, es gebreche an mir. Hätte ich doch diese Furcht schon vor zehn Jahren gehabt!“ Ebenso schreibt er an Bullinger, nachdem er diesem von der Menge seiner Geschäfte Kunde gegeben und von seinen kärglichen Studien, für die er nur die stillen Stunden der Nacht verwenden könne: „So steht meine Sache, mein frommer Heinrich! so drückt mich mein Gewissen erst am allermeisten, daß ich Ungeschickter an solchem Orte der Sache Gottes soll vorstehen. Ich fürchte Gott übel, ich versäume etwas in seiner Sache.“
Noch im März des Jahres 1535 seufzt er (ebenfalls an Bullinger): „Hätte ich vor zehn Jahren schon so eifrig studirt, wie viel reicher an Kenntnissen und der Kirche nützlicher hätte ich werden können! O meine jungen Tage, wie habe ich sie so übel (er meint die Scholastik), ja gar nicht angelegt. So gern ich jetzt wollte, so kann ich vor Größe, Alter und Geschäften nicht mehr. Nichts desto weniger stehe ich im Karren. Wer wird mich erlösen von der Last, der ich nicht gewachsen bin!“
Auch dies sollte kommen. Der hochbetagte Franz Kolb, der bisanhin immer noch als Prediger gewirkt hatte, war es nicht mehr im Stande. Da es nicht leicht war ihn zu ersetzen, übernahm Haller ungeachtet seiner eignen großen Beschwerden nebst Megander einstweilen seine Geschäfte. Daneben arbeitete Haller so eifrig, daß er Bullingers Auslegung der Evangelien, die er handschriftlich erhielt, theils auszog, theils abschrieb; so sehr erfreute ihn „dieser Schatz und Schrein himmlischer Weisheit.“ Dies überstieg aber die Kräfte seines Leibes, dessen Umfang so zugenommen hatte, daß man den Eingang zur Kanzel erweitern mußte. Er verfiel in schwere Krankheit; seine Leibschmerzen wurden so furchtbar, daß er völlig des Todes gewärtig war. „Die Rathsherren erschraken darüber sehr, berichtet er Bullingern (24. Juni 15Z5), so daß sie bereitwillig waren mir mein Amt zu erleichtern. Denn Gott weiß wohl meine Mühe und Arbeit, so ich über meines Leibes Vermögen getragen und mich lassen ausnutzen bis aufs Aeußerste. Nicht mehr als zwei Predigten muthet man mir zu. Ich besorge aber, ich möge nirgends hin mehr reiten noch gehen; also werde ich meinen Bullinger nicht mehr sehen. Drum laß dich’s nicht dauern, mich mit deinen freundlichen Zeilen zu trösten. Wofern etwas von dir unter der Presse ist, so melde mir’s. Mit Thränen muß ich schließen.“ Er predigte wieder und wollte gerne nach Bullingers Rath auch bei zunehmender Krankheit dies nicht unterlassen; doch hinderten ihn bisweilen die Leiden, bisweilen die Freunde wiewohl zu spät. Er fühlte, daß er früherhin aus falscher Scheu zu lange sein Uebel verhehlt und sich Jahre lang dadurch hatte täuschen lassen, daß es wenig zunahm und damals kein Schmerz damit verbunden war. Noch im Sommer (1535) indeß finden wir Haller, mit Kirchenleitung beschäftigt, vorübergehend in Büren.
Todesgedanken verließen ihn freilich nicht mehr. Beim Hinschiede seines treuen Amtsbruders, des siebzigjährigen Kolb, schreibt er: „Sein Andenken wird nicht so leicht erlöschen. Dies christliche Herz hat mich oft getröstet. Wie sein Uebel nach seiner öftern Aussage ihn immer an den Tod erinnerte, so erinnert mich meine fast unerträgliche Bürde täglich an mein Ende.“ Aus der Stadt gehen konnte Haller nicht mehr und ohne Beschwerde nicht einmal in die nahe Kirche oder aufs Rathhaus sich begeben. Sein sonst volles Antlitz nahm ab. Er bedauerte des trauten Gespräches mit so vielen gar lieben Freunden entbehren zu müssen, erkannte aber auch darin „den guten Willen des Herrn;“ es kam ihm vermöge der Angewöhnung vor, als habe er an der auferlegten Bürde einen Gefährten, den er nicht mehr entbehren könne. Wiewohl Anshelm als Arzt ihn aufs emsigste besorgte, zog er auf Bitten seiner Freunde, wie,. ohl ohne Hoffnung, auch noch den ihm längst vertrauten Vadian zu Rathe. Wiederholt schreibt er an ihn und Bullinger: „Daß ich lebe, lebe ich nur durch die wunderbare Güte Gottes. Mein Zustand läßt mich nichts weniger als ein langes Leben hoffen; nichts erwarte ich gewisser als den Tod.“ Seine Bitte war: „Möge der Herr für meine übrigen wenigen Lebenstage mir Geduld schenken und daß ich nicht ein unnützer Knecht werde. Lieber will ich sterben, als auf dem Krankenlager langsam dahin siechen.“ Dabei war sein Entschluß: „So lange ich lebe und Gott mir Kräfte schenkt, will ich meines Amtes treulich warten. Uebrigens hab‘ ich mich dem Herrn ergeben. Möge ich ihm allein leben und sterben!“ Gerne schüttete er noch häufiger als sonst seine Hoffnungen und Befürchtungen für die Kirche und das Vaterland in die Herzen seiner Freunde aus. Er freute sich seines neuen Amtsgefährten Peter Kunz, der an Kolbs Stelle trat, sowie des durch ihn selbst den Studien erhaltenen und vielfach geförderten hoffnungsvollen Simon Sulzer; er berieth sich auch auf dem Krankenbette mit Megander über die kirchlichen Dinge. Mit Befriedigung sah er auf den gedeihlichen Zustand der bernischen Kirche, ahnte jedoch die im Innern bevorstehenden Conflikte. An Bullinger richtete er neben ernstlichen Bitten, sich zu schonen und der Kirche zu erhalten, und Worten freundlichster Theilnahme in der gefahrvollen Zeit, als die Pest in dessen Haus einkehrte (September 1535), fortgehend neue Ansuchen um das, was zur Förderung seiner Studien dienen konnte. Da er angefangen hatte über das erste Buch Moses zu predigen, ersucht er ihn (im Nov.) um den Ankauf der Vorlesungen Biblianders, welche ein zürcherischer Pfarrer nachgeschrieben und hinterlassen hatte. Doch bittet er ihn, falls die Wittwe arm sei, ihr von dem Preise nichts abzuhandeln, obwohl er selbst arm war, da seine Kränklichkeit und der tägliche Verbrauch, zumal auch für Zufluchtsuchende, seine Einnahmen aufzehrte. Das Letzte von der Art, was Haller noch auf seinem Krankenbette sich erbat, war Bullingers Auslegung der Briefe an die Thessalonicher, Timotheus rc., welche dieser, im Januar 1536, drei Brüdern des edlen Geschlechts von Wattenwyl widmete.
Wie jammervoll indeß dieses Jahr für Haller begann hinsichtlich seines leiblichen Zustands, so sollte er doch noch zwei große Ereignisse erleben, eine Friedens- und eine Kriegsthat, beide gleich sehr bedeutend für die fernere Entwicklung der evangelischen Kirche. Jenes friedliche Ereigniß war die erwähnte Versammlung der geistlichen und weltlichen Abgeordneten in Basel zur Abfassung des ersten helvetischen Glaubensbekenntnisses. Sehnlich hätte Haller gewünscht, beiwohnen zu können. Dort kamen ja seiner lieben Freunde so manche zusammen, sein Bullinger und Leo, Myconius und Grynäus, auch Butzer und Capito «. „Aber von der Hand des Herrn gebeugt, schreibt er bei ihrem Zusammentreten (28. Januar) an Vadian, bin ich zu Hause festgehalten. Daher weih‘ ich mich dem Herrn und erwarte seinen gnädigen Willen, was auch der Ausgang sein mag.“ Im Geiste war der friedliche Haller anwesend, und hinwieder erhellte die Einigkeit der schweizerischen Kirchen wie mit freundlichem Abendschimmer die bangen Stunden seines schweren Scheidens.
Die Kriegesthat aber, welche Hallers letzte Tage bewegte, war der kühne Zug nach der Waadt, den die Berner hoch begeistert für das hart bedrängte Genf auf dessen dringendes und anhaltendes Flehen endlich unternahmen und rasch vollführten. Immer noch, selbst im Augenblicke der Kriegserklärung (16. Januar) ängstigte Hallern die Sorge, Bern sei nicht hinlänglich gerüstet. Drei Tage vor dem Aufbruche des bernischen Heeres, Mittwoch den 19. Januar, bestieg er, obwohl zum Tode krank, die Kanzel, ermahnte Obrigkeit und Volk „zur Standhaftigkeit und Tapferkeit, beim göttlichen Worte zubleiben, recht und wohl zu handeln, jetzt besonders bei ihrem Vornehmen die armen verlassenen christlichen Mitbrüder in Genf zu entsetzen, die schon so lange um des Gotteswortes und gemeiner Gerechtigkeit willen harten Drang erlitten und sonst nirgends auf der Welt Hülfe finden könnten.“ „Weil aber der Sieg nicht in eines Menschen Macht stehet“, ward ein tägliches Gebet im Münster angeordnet, um nach Hallers Wunsche zu flehen, „daß Gott selbst der Führer sei und Allen treue Herzen verleihe.“ Schon in eilf Tagen war der größte Theil des Waadtlandes erobert, am 2, Februar hielt das Heer seinen Einzug in das befreite Genf. In Hallers ersterbendes Ohr drang noch die Kunde des Sieges, durch welchen die Waadt mit Bern vereinigt, dem Evangelium geöffnet und auf Jahrhunderte hinaus die bleibende Verbindung mit Genf errungen ward, dem alsbald ein auserwähltes Rüstzeug des Herrn und eine so reiche Zukunft beschieden war.
Mit Haller aber wurde es indessen so schlimm, daß er nicht mehr selbst zu schreiben vermochte. Kaum zu ertragende Schmerzen quälten ihn; die Theilnahme liebender Freunde nah und fern erquickte den gottergebenen Dulder. Vierzehn Tage dauerte sein letzter Kampf. „Am fünfundzwanzigsten Hornung, Nachts um die eilfte Stunde entschlief der gute, treue Hirt, der wohlgelehrte Herr Bertold Haller, den am folgenden Tage, nachdem Klein- und Groß- Räthe aufstanden, sie mit der ganzen Gemeinde, Weib und Mann, ehrlich zu den Predigern bestatteten.“ So meldet ein ihm befreundeter Zeitgenosse (Werner Steiner). Haller starb kinderlos, vierundvierzig Jahre alt.
Sein Werk jedoch ist geblieben. Die Kirche Berns, der er zwanzig Jahre diente, ist sein Ehrentempel. Er selbst aber in all seiner Anspruchlosigkeit steht vor uns als eine köstliche Frucht des neu erwachten Evangeliums, als ein lebendiger Zeuge von der reichen Gnade Gottes, die wohl vermag, auch durch den weniger Begabten, welcher nicht glänzt, sondern nur milde leuchtet und erwärmt, der aber in wahrhafter Treue und hingebender Geduld ausharrt, Großes zu wirken und den Bau der Kirche fest zu gründen. Haller kann daher nicht anders als, beim Rückblick auf seine heiße Kampfeszeit in den letzten Jahren seines Daseins (1533) bekennen: „Gott, dem ich es, wie auch meine Gemeinde bezeugt, allein verdanke, hat mir die Gnade verliehen, vier Jahre lang, ohne Gehülfen, unter steter Gefahr des Todes oder der Verbannung das Wort des Herrn zu verkündigen. Dem Herrn sei Preis und Ehre in Ewigkeit!“