Anna Zwingli

Anna Zwingli, eine Tochter Oswald Reinhards und der Elisabeth Wynzürn, wurde zu Zürich um’s Jahr 1487 geboren. Sie verband mit einer außerordentlichen körperlichen Schönheit die edelsten Gaben des Geistes: die statthaftesten Zeugnisse ihrer Zeitgenossen rühmen ihre Frömmigkeit, Sittsamkeit, Treue, Sanftmuth und Herzlichkeit. Kaum aus dem Kindesalter getreten, wurde sie von Johannes Meyer von Knonau, dem einzigen Sohne des Rathsherrn und Reichsvogts Gerold, zur Geliebten erkoren, und da die Ihrigen nichts dagegen einzuwenden hatten, während dagegen der alte Gerold ihn durchaus mit einer Tochter aus einem angesehenen adelichen Hause im Thurgau verheirathen wollte, so ward sie ohne des letzteren Wissen eilends und heimlich in einer Dorfkapelle getraut. Die Folge war, daß der Vater den Sohn von seiner Familie, Tisch und Haus für immer verbannte, alle seine Familienkleinode verkaufte und verschenkte, sich nochmals verheirathete, und seiner zweiten Ehegenossin Regina die Summe von 6000 fl. zu lebenslänglicher Nutznießung verschrieb. So erfuhr Anna gleich Anfangs ihres Ehestandes allerlei Kreuz und Trübsal, dazu war sie in den ersten Jahren kinderlos, und es war zu befürchten, daß ihr Mann, wegen des väterlichen Unwillens zu keinen öffentlichen Bedienungen gelangen würde.

Doch bald wurde der trübe Himmel wieder heiterer. Hans, ihr Gemahl, wurde von der adelichen Zunft in den großen Rath gewählt, und Anna gebar ihm in den Jahren 1509 bis 12 einen lieblichen Sohn Gerold, und zwei Töchter Margaretha und Agatha. Auch zeigten sich nicht alle ihrer neuen Anverwandten so unversöhnlich wie ihr Schwiegervater; denn der Bischof von Konstanz, Hugo von Hohenlandenberg, unterhielt treulich die freundschaftlichste Verbindung mit seinem Vetter Hans, der als Jüngling eine Zeit lang an seinem Hofe gelebt. Auch mußte ein glückliches Zusammentreffen der Umstände dazu dienen, des alten Gerolds Herz wieder günstiger zu stimmen. Eines Tages hatte die Magd seinen jungen Enkel auf den Fischmarkt mitgenommen, und bis sie ihren Einkauf besorgt haben würde, auf einer Fischerkufe niedergesetzt. Gerade sah der Großvater in einem Hause, zum Schnecken genannt, zum Fenster heraus, und erblickte das frische, liebliche Kind, das er noch nicht kannte, weil es bis dahin nicht in sein Haus kommen durfte. Aber der ihm unbekannte Zug der Liebe fesselte so sehr sein Auge bei dem Anblick des Kindes, daß er sich nicht satt sehen konnte, und endlich fragte, wem doch der wunderliebliche Knabe gehöre? Kennet ihr denn das Kind nicht? war die Antwort, es ist ja das sind eures Sohnes Hans Meyer. Da befahl er alsobald, man solle es ihm heraufbringen, nahm es in seine Arme, weinte und sagte: Wiewohl mich dein Vater erzürnt hat, will ich dich dessen doch nicht entgelten lassen, und will dich an deines Vaters Statt zum Kind und Erben annehmen. Wirklich ließ er es auch sogleich in sein Haus, in den Meyerhof tragen, und hielt es von da an, als wie wenn es sein eigen Kind wäre, bis er starb.

Indessen trübte sich der Himmel bald wieder für die gute Anna; denn auch sie sollte, wie so viele Gläubige, durch Kreuz für den Himmel zubereitet werden.

Ihr Gatte fing an zu kränkeln, und nach zweijährigem Leiden entschlief er den 26. Nov. 1517. Anna ward schon in einem Alter von 30 Jahren eine Witwe. Von da an lag ihr die Erziehung und Bildung ihrer hoffnungsvollen Kinder allein ob, sie aber erfüllte treulich ihre Mutterpflicht, und unterließ nicht, um ihren Kindern die Furcht des HErrn zu lehren, und in den jungen Herzen Lernbegierde, Vaterlands- und Menschen-Liebe zu begründen. Der Knabe Gerold benützte die von Jahr zu Jahr sich ausdehnenden Unterrichtsanstalten der Vaterstadt, und als durch des Reformators Ulrich Zwingli’s heilbringenden Einfluß sich über Stadt und Land ein neues Leben und bei vielen Hunderten der thätigste Eifer für das Evangelium verbreitete, so waren Anna und ihre Kinder von den ersten, bei welchen dies bemerkbar war.

Zwingli, der wohl erkannte, daß von der Bildung der Jugend das Schicksal künftiger Geschlechter wesentlich abhänge, war unermüdet, um die Gemüther und Anlagen der heranreifenden, für das Gute empfänglichen Jugend zu erforschen, und jedes sich auszeichnende Talent in seiner Entwicklung zu unterstützen. Bald wurde der tiefblickende Mann auch auf Gerold aufmerksam. Er selbst widmete dem, wenn schon noch jungen Schüler einen nicht geringen Theil seiner kostbaren Zeit, und führte ihn in die erhebende Bekanntschaft der alten Römer und Griechen ein. Schon 1520 hielt er ihn für reif genug, um nach Basel, dem damaligen Hauptsitz schweizerischer Gelehrsamkeit, gesandt zu werden, wohin er ihn an die trefflichsten Lehrer empfahl und durch Briefwechsel noch weiter zu fördern bemüht war.

Mittlerweile schritt das Reformationswerk auch in Zürich immer mehr voran. Zudem man sich bemühte, alle kirchlichen Einrichtungen wieder auf die Grundsätze des apostolischen Christenthums zurückzuführen, stellte man auch die bis ins zwölfte Jahrhundert in Uebung gewesene Priesterehe wieder her.

Die sittenlose Ungebundenheit, welche bis dahin bei einem großen Theile der Geistlichkeit in Folge des päpstlichen Eheverbote herrschend gewesen war, brachte es dahin, daß man anfing, die eheliche Verbindung von den evangelischen Predigern wirklich zu fordern. Allerdings waren die ersten Beispiele wegen ihrer Neuheit auffallend, dennoch wurden die Priesterheirathen immer häufiger. Endlich erkannte auch Zwingli, bereits ein Mann von 40 Jahren, daß es seine Pflicht sei, in den Ehestand zu treten, und seine Wahl fiel auf Anna. Schon seit seinem ersten Auftreten war sie eine seiner aufmerksamsten Zuhörerinnen gewesen. Ihre Frömmigkeit, Bescheidenheit und Muttertreue war ihm nicht verborgen geblieben: durch seinen Schüler Gerold war er ja mit ihren Verhältnissen noch näher bekannt geworden.

Bereits hatte Anna die Jahre der Jugend hinter sich, und ihr Vermögen war gering; denn es bestand nebst einigen kostbaren Kleidern und Kleinodien aus nicht mehr als vierhundert Gulden und einem Leibgeding von 30 fl. Aber Zwingli suchte bei ihr Anderes als körperliche Reize und irdische Güter. Schwere Erfahrungen hatten ihrem ganzen Charakter und Benehmen einen Ernst eingeflößt, aus welchem ihre stillen, aber thätigen Tugenden desto schöner hervorleuchteten, und zu der Hoffnung berechtigten, sie würde eine treffliche Priestersfrau werden. Hierauf blickte Zwingli bei seiner Wahl, und seine Hoffnung ward nicht getäuscht. Nachdem er sich am 2. April 1524 mit Anna vermählt, faßte sie sogleich mit richtigem Blicke die ganze ernste Bedeutung der ihr gewordenen Aufgabe. Sie wußte, daß sie die Gehilfin eines Mannes geworden, auf dessen öffentliche Stellung viele tausend Blicke und Erwartungen gerichtet waren, und war bereit jedes Opfer zu bringen, das in diesen Verhältnissen zum gemeinen Besten von ihr gefordert werden sollte. So eingezogen und bescheiden sie bis dahin gelebt, so dünkte es sie doch, sie müßte als Priestersfrau es hierin noch strenger nehmen. Sie entsagte von nun an gänzlich jeglichem Gebrauch der kostbaren Kleider und Kleinodien, die ihr von der früheren Verbindung her geblieben waren. Dem Gatten, den mannigfaltige Berufspflichten, schriftstellerische Arbeiten, ein ausgebreiteter Briefwechsel, Besuche und Anfragen von Hohen und Niedern in stets angestrengter Thätigkeit erhielten, erleichterte sie dieselbe, wo und soviel sie konnte. Sie erheiterte seinen Geist in trüben Stunden. Ihr verständiges und unbefangenes Urtheil diente ihm nicht selten als gewichtiger Rath, und bei dem allgemeinen Vertrauen, das sie genoß, und bei dem reichen Schatze ihres ganz für Gott und ihre Mitmenschen schlagenden Herzens, befriedigte und beruhigte sie, wenn der Gatte von Geschäften überladen, sich nicht jedem Besuche unbedingt hingeben konnte, manche des Trostes und Rathes bedürftige Gemüther durch die freundliche und herzliche Auskunft, den ihr theilnehmendes Wort ihnen gewährte. Die Armen fanden stets bei ihr Gehör, die Kranken besuchte sie fleißig, indem sie wohl wußte, daß es eine gottgefällige Handlung ist, unglückliche Menschen aufzusuchen, und daß unser Heiland sagt: „Was ihr gethan einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan.“ Zwingli theilte ihr viele seiner Schriften vor dem ersten Abdrucke mit, und ihr Urtheil war ihm nicht unwichtig. Die ersten Magistratspersonen Zürichs, die Prediger und die übrigen Gelehrten, die sich häufig in seinem Hause einfanden, waren alle voll Achtung für die verständige Hausfrau, und für ihr zwar immer bescheidenes und schüchternes, aber nur desto richtigeres Urtheil, das oft durch bloße Fragen manchen raschen Gedanken milderte.

Aber auch dieser neue Ehestand Anna’s war kurz und mit schweren Bekümmernissen erfüllt. Stete Drohungen und Nachstellungen waren auf Zwingli gerichtet. Seine Reise zur Berner Disputation 1528 und zum Marburger Religionsgespräch 1529 mußte in Geheimnis gehüllt werden, und dennoch fiel bei der ersten Reise in der Nähe von Mellingen auf ihn und seine zahlreiche Begleitung unversehens ein Schuß.

Als 1529 die unglücklichen Mißverhältnisse in Religionssachen die schweizerischen Eidgenossen beider Parteien zahlreich in’s Feld führten und die bewaffneten Scharen auf der Grenze der Kantone Zürich und Zug einander gegenüberstanden, mußte Zwingli als erster züricher Geistlicher ebenso im Felde wie vorher zu Hause die öffentlichen Gefahren theilen; doch versöhnten sich für diesmal die Entzweiten bald wieder und Zwingli kehrte unversehrt zu den erfreuten Seinigen zurück. Aber nach kurzer Zeit loderte die Flamme der Zwietracht wieder auf, die Erbitterung zwischen beiden Religionsparteien stieg immer höher und in eben dem Maße, wie die Gefahr von Außen sich vermehrte, verschwand in Zürich unter denen, die sich zur Reformation bekannten, insbesondere bei vielen bedeutenden Männern, die bisher bestandene Zusammenstimmung. Die Klugheit, mit welcher die öffentlichen Angelegenheiten waren geleitet worden, wurde nicht mehr beibehalten. Rasche Männer, die in Allem durchgreifen wollten, verkannten bei ihren Rathschlägen das Bedürfnis einer sorgfältigen Umsicht, die bisher das Ganze zusammengehalten hatte. Man wollte mit Einem Male Alles verbessern, und beschränkte sich nicht auf das Nothwendige. Daraus gingen Schwankungen und gefährliche Gegenwirkungen hervor; aber auch dies belehrte die Heftigen nicht. Die meisten älteren Magistratspersonen, welche noch an der Spitze standen, überließen sich nun den Empfindungen der Eifersucht gegen diejenigen, welche jetzt oft ihren Einfluß überwogen. So kam Unordnung in die öffentliche Verwaltung, und als am Abend des 9. Okt. 1531 ein Bote nach dem andern meldete, daß die fünf Orte: Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug mit bewaffneter Hand gegen Zürich heranrücken und bereits der Grenze sich nähern, so fehlte es nicht allein an den Vorbereitungen zur Gegenwehr, die längst hätten getroffen sein sollen, sondern es war auch dem Bannerherrn Schweizer trotz aller Bemühung nicht möglich, den kleinen Rath zu bewegen, sogleich eine Kriegsschar ihnen entgegen zu senden. Erst als am 10. Okt. früh die Kunde eintraf: aus dem biedern Volke der Herrschaft Knonau habe eine Anzahl Entschlossener sich beim Kloster Cappel versammelt, die laut fragen, ob sie denn verlassen und vollende verrathen seien? wurden 100 Mann dahin beordert, über welche man den nicht ohne Grund für verdächtig geachteten Georg Gördli zum Anführer setzte. Umsonst drangen kräftige und überlegende Männer darauf, daß man den Landsturm ausziehen lassen möchte; doch erst des Nachmittags wurde der große Rath versammelt, und erst in der Nacht wurde. beschlossen, den Landsturm aufzubieten und an die verbündeten Städte Aufforderungen zur Hilfeleistung zu erlassen. Den andern Tag kamen gegen 10 Uhr etwa 700 Mann zusammen, unter ihnen viele Greise und ältere Männer; noch war Mancher nicht vollständig gerüstet, keine gehörige Eintheilung war geschehen, aber neuere Nachrichten von dem Herannahen der Gegner erlaubten kein Zögern, wenn man nicht die kleine Schar bei Cappel der überlegenen Macht eines kühnen und im Kriege erfahrenen Feindes aufopfern wollte. Stille und ernst war der Aufbruch; große Pflichten, enge und heilige Bande zogen manchen der zum Kampfe Entschlossenen an diejenigen, die mit bangen Besorgnissen erfüllt, ihn so lange, als es noch möglich war, zurückhielten. Zwingli, vom Rathe aufgefordert, die Schar zu begleiten, entsprach willig dem Rufe; aber sein Scheiden von der innigst geliebten Gattin und den theuren Kindern, von zahlreichen Freunden, die sich um ihn drängten, war schwer. Das Zurückweichen des Pferdes in dem Augenblicke, wo er es bestieg, erfüllte Alle mit bangen Besorgnissen. Er selbst war standhaft, aber tief ergriffen und nachdenkend, und schied von den Seinigen mit großer Bewegung.

Es war nahe an 11 Uhr, als der kleine Haufe Zürich’s Thore verlassen hatte, und noch war die Berghöhe vor ihnen, als der Donner des schweren Geschützes ihnen schon über die Lücke des Albisgebirges her Beschleunigung zurief. Mit dem geliebten Gatten hatte Anna ihren Sohn Gerold, und noch andere ihrer nächsten Anverwandten in dem kleinen Häuflein wegziehen sehen, wohlbewußt, welchem großen gefährlichen Zwecke dasselbe sich weihe.

Leicht läßt es sich denken, mit welchen Gefühlen, in wie tiefem Nachdenken und inbrünstigem Gebete Anna die bangen Stunden durchlebte und durchwachte bis zur Entscheidung des unglückseligen Kampfes. Das dumpfe Hallen des schweren Geschützes konnte sie in ihrer Wohnung hören. Die Kunde von den auf einander folgenden Boten, die zur Hilfe aufforderten und zugleich die Stärke der wohlgerüsteten Gegner und die Bedrängnisse der Angegriffenen schilderten, blieb ihr nicht verborgen. Aber die schreckliche Nachricht, die am Ende eintraf, erreichte das höchste Maß des Unglücks, das unter diesen Umständen auf die Schwergeprüfte fallen konnte. Kein Anblick, kein Gruß, weder Trost noch Rath von einem ihrer Theuren war ihr mehr beschieden. Außer dem Gatten und dem Sohne waren auch ihr Bruder Bernhard Reinhard, ihr Tochtermann Anton Wirz, und der Gatte ihrer Schwester, Hans Lütsch, umgekommen. Nur ihr zweiter Tochtermann, Balthasar Keller, den man mit vierzehn Wunden ebenfalls für todt gehalten, und der auf dem Schlachtfelde bei Cappel liegen geblieben war, hatte sich bei Nacht wieder aufgerafft und gerettet. Außer ihren zwei Töchtern erster Ehe waren ihr noch drei Kinder zweiter Ehe, zwei Knaben Wilhelm und Ulrich, und ein Mädchen Regula geblieben; diese theilten kindlich ihre Klagen und ihre Thränen, sie waren auch nach Gottes gnädiger Führung dazu bestimmt, in ihrem zweiten Witwenstande sie zu trösten und ihren Muth aufrecht zu erhalten. Außerdem erfreute sie sich der herzlichen Theilnahme vieler Freunde ihres entschlafenen Gatten, denen sein früher Hingang und ihr abermaliger betrübter Witwenstand sehr nahe ging. Wie aus Einem Munde und aus Einem Herzen äußerten sich Alle gegen sie, ermahnten sie zu standhaftem Glauben an Christum und seine Wiederkunft, und zum Vertrauen auf Gott in ihrer Trübsal, und zu einem gottseligen Sinne und Leben.

Unter Andern schrieb ihr Simpert Schenk, früher Carthäusermönch, nachher Reformator der Reichsstadt Memmingen:

„O fromme, liebe Frau! seid getreu! weder ihr noch  wir haben Zwingli und die Andern verloren: denn wer an Christum glaubt, der hat das ewige Leben. Daher ist meine Ermahnung, wenn ihr den lieben Zwingli im Haus, bei den Kindern, bei euch, auf der Kanzel, bei den Gelehrten nicht mehr leiblich findet, so gedenkt, er sei im Haus Gottes, bei allen Kindern Gottes, da er hört den Mund der Weisheit und das Gespräch der Engel. Es behüte und tröste euch sammt euren Kindern der barmherzige liebe Gott, und verleihe euch Stärke im heiligen Geist, alle Trübsal im HErrn zu überwinden. Amen.“

Sie selbst ergoß die Klage ihres Herzens in einem Trauerliede, in dessen letzten Versen sie sich also an die Bibel wendet:

Komm du, o Buch, du warst sein Hort,
Sein Trost in allem Uebel.
Ward er verfolgt durch That und Wort,
So griff er nach der Bibel,
Fand Hilf‘ bei ihr –
HErr, zeig‘ auch mir
Die Hilf‘ in Jesu Namen!
Gib Muth und Stärk‘
Zum schweren Werk‘
Dem schwachen Weibe! Amen.

Von dieser Zeit an lebte Anna noch eingezogener als zuvor. Sie widmete sich ganz ihren verwaisten Kleinen, und ihren Töchtern erster Ehe, sowie ihrer gleichfalls schwer geprüften verwitweten, von drei Waisen umgebenen Schwiegertochter. Gott erheiterte ihr indes noch die letzten Tage ihres Lebens. Bald nahm sie Zwingli’s würdiger Nachfolger, Heinrich Bullinger, als ein ehrwürdiges Andenken an seinen großen Vorgänger, mit ihren Waisen in seine Haushaltung auf, und behielt sie bis an das Ende ihrer Tage bei sich. Von nichts Anderem, als wie sie Gott diente, und ihren Nächsten liebte, sprechen die wenigen Nachrichten, die von dieser Zeit an über die fromme Dulderin auf uns gekommen sind. Aber ihr Leben eilte jetzt schnell seinem Ziele zu, und schon am 6. Dez. 1538 vollendete sie in einem Alter von 51 Jahren ihren Erdenlauf.

Huldrych Zwingli

Huldrych Zwingli

Ulrich Zwingli, geboren 1484 zu Wildenhausen im Toggenburger Schweizerländehen, wo sein Vater Amtmann war, ging von humanistischen Studien aus, durch welche er sich auf den Hochschulen zu Bern Wien und Basel eine hohe Bildung erwarb, und griff zur Bibel, als der Drang sich in ihm regte, in der Welt Etwas zu schaffen, das besser sei, als die verderbte Gegenwart. Er war ein praktischer Mensch mit klaren nüchternen Blicken, dessen Sinne auf das Wirkliche gingen. Vom innerlichen Leben hielt er nicht viel, wenn es sich nicht äusserlich verwerthete, und die ungemeine Thatkraft, welche seine Nerven spannte, liess ihn sofort die Mittel zu seinen Zielen ergreifen. Nicht den Glauben bloss, auch Staat Becht und Sitte wollte er reformiren. Die bürgerliche Gesellschaft, nach dem Vorbild der ersten Christengemeinden errichtet, auf demokratischer Grundlage in Liebesgemeinschaft, aber unter strenger Polizei und Regierung von frei gewählten Aeltesten, – das erschien ihm als das rechte Ideal eines werkthätigen Christen. Es verschmolz sich darin der republikanische Sinn seiner heimathlichen und der antiken Welt mit den christlichen Ideen.

Zwingli wurde in seinem zweiundzwanzigsten Jahre Pfarrer zu Glarus, machte sechs Jahre später als Feldprediger drei Feldzüge mit, für den Pabst und gegen die Franzosen, und erhielt dann die Predigerstelle an der berühmten Wallfahrtskirche zu Mariä Einsiedeln. Hier predigte er bereits gegen die Uebertreibung des Mariendienstes, trat aber im Uebrigen, während der Zeitgeist und Bibelstudien ihn mehr und mehr zu protestantischen Ansichten führten, so vorsichtig auf, dass er Ansehen und Vertrauen bei den Prälaten genoss und vom Pabste ausser einem Jahrgehalt die Ehrenstelle als Akoluthenkaplan erhielt. Als ausgezeichneter Prediger und fein gebildeter Mann wurde er zu Ende des Jahrs 1519 als Pfarrer an das grosse Münster in Zürich berufen. Seine erste Neujahrspredigt liess merken, dass er sich für die Reformation entschieden habe. Er predigte unter Anderm gegen das Reislaufen in fremden Söldnerdienst, und gegen die Jahrgelder, welche vornehme Familien dafür bezogen, dass sie diesen Handel begünstigten. In dem Ablasskrämer Samson nahm er sich seinen Tetzel aufs Korn, die Züricher mussten Samson die Thore verschliessen. Bald aber widerhallte Zwingli’s Kanzel von eindringlichen Predigten, worin er gründliche Erneuerung des öffentlichen wie des häuslichen Lebens nach einfach christlichen und republikanischen Grundsätzen forderte. In seinem Innern ergriffen rief das Volk: „Recht hat der Zwingli!“, und ein grosser Theil der Gebildeten stimmte ein. Da seine Collegen mit Klagen über ketzerische Ansichten gegen Zwingli auftraten, liess der Rath Befehl ausgehen, es solle im ganzen Kanton das Wort Gottes nach dem Evangelium gepredigt werden. Als die Dominikaner heftiger angriffen, ladete der Rath alle Theologen, welche Zwingli widerlegen könnten, zum feierlichen Religionsgespräch ein. Die Gebildeteren strömten zu Hunderten herbei, die Reden und Gegenreden zu hören. Zwingli vertheidigte seine 67 Artikel wider Cölibat, Messe, Beichte, Fegfeuer, Kirchenbuße und Bannstrahl so eindringlich, dass er von jetzt an gewonnen Spiel hatte. Vergebens suchte man von Rom aus auf ihn einzuwirken: er glaubte nicht, dass man dort ernstlich die Reformation wolle. In einem zweiten Religionsgespräch, dem fast tausend Menschen beiwohnten, trat er gegen Bilderdienst Messe und Klöster auf, und der Rath musste jetzt zustimmen, als Zwingli den ganzen Gottesdienst auf evangelischem Fusse einrichtete. Bilder und Altäre, Kreuze Lichter und Orgeln warf er aus den Kirchen, Alles sollte nackt und einfach sein, damit Nichts für Herz und Phantasie übrig bleibe, was in der Kirche den Verstand von seinem ernsten Denken abziehe. Er wurde jetzt auch Rektor des Gymnasiums, und legte sein fertiges Glaubenssystem in dem Buche De falsa et vera religione nieder.

Natürlich war einer Natur, wie Zwingli, das Mystische im Abendmahl unverständlich, er setzte es zu einem blossen Liebes- und Gedächtnissmahl herab. Weil Luther aber an der Gegenwart Christi unter den Gestalten des Brodes und Weines festhielt, und beide Reformatoren auch auf der Marburger Disputation sich nicht einigen konnten, so gesellten sich die Schweizer Strassburger und andere oberdeutschen Städte nicht zu den Augsburger Confessionsverwandten. Damit trat der Zwiespalt zwischen der nieder- und oberdeutschen Kirchenreformation, der in ihrem sittlichen und staatlichen Wesen wurzelte, offen zu Tage.

Unterdessen griff die Reformation in Zwingli’s Geiste weiter in der Schweiz um sich. Er aber wollte zugleich eine politische Umgestaltung des Landes durchführen: die beiden Hauptkantone, Bern und Zürich, sollten gleichsam die Stelle der Aeltesten in der Gemeinde einnehmen. Es kam darüber zum Kriege mit den Urkantonen, welche auf ihrem eigenen Sinn bestanden und die alte Religion und das Reislaufen nicht fahren liessen. Zwingli, ehrlich und tapfer wie sein ganzes Wesen war, zog mit Wort und Schwert in’s Feld. In der Schlacht bei Kappel 1531 wurde er mit den Besten von Zürich erschlagen, und der Feind verbrannte seine Leiche und streute die Asche in alle Winde.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863

Huldrych Zwingli

Ulrich Zwingli ist geboren den 1. Jan. 1484 zu Wildhaus, einer Berggemeinde im Tockenburg zwischen den Kuhfirsten und dem Säntis. Er war von acht Kindern das dritte. Sein Vater war Amman der Gemeinde, dessen Bruder Pfarrer zuerst in Wildhaus, dann 1487 in Wesen, seiner Mutter Bruder Abt in dem von Wildhaus eine Tagereise entfernten Kloster Fischingen. So stammte Zwingli, wenn nicht aus einer reichen, doch aus einer wohlhabenden und angesehenen Familie. Den ersten Unterricht empfing er bei seinem Oheim, dem Pfarrer in Wesen, dann war er von seinem zehnten Jahre an in der Schule zu St. Theodor in Basel drei Jahre unter Georg Büchli, der ihn unter seine besten Schüler zählte. Von Basel kam er nach Bern in den Unterricht des Heinrich Wölfli; dieser war der Wissenschaften nicht unkundig, hatte eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht, las mit den Schülern die lateinischen Klassiker und trieb auch Musik mit ihnen. In beidem zeichnete sich der junge Zwingli aus und die Dominikaner suchten ihn für ihren Orden zu gewinnen; denn durch den Jetzerschen Handel in die tiefste Schmach gekommen, hatten sie nöthig auf Mittel zu denken, ihr Ansehen wieder zu heben. Allein Zwingli begab sich 1499 auf die Universität nach Wien, dort studierte er zwei Jahre, und befreundete sich besonders mit Joachim von Watt von St. Gallen, dem nachmaligen Bürgermeister Vadian und mit Glarean. 1501 kehrte er nach Wildhaus zurück; 1502 ward er, 18 Jahre alt, Lehrer an der Martinsschule, in Basel, studierte aber zugleich unter Thomas Wittenbach von Biel die heilige Schrift, befreundete sich mit Leo Judä, ward Magister und wurde 22 Jahr alt als Pfarrer nach Glarus berufen, einer damals den dritten Theil des Kantons umfassenden Pfarrei.

Neben den vielen Amtsgeschäften stiftete er hier die erste Schule, bildete besonders durch die Klassiker studierende Jünglinge, u. a. den Valentin Tschudi, studierte selbst außerordentlich fleißig namentlich den Picus und Erasmus, vor allem aber die heilige Schrift; die Briefe Pauli schrieb er in kleinem Format ab mit den Erklärungen der besten Ausleger am Rand, und wußte das griechische Testament wörtlich fast ganz auswendig. Daneben verfolgte er mit scharfem Blick den Gang der schweizerischen Politik und schrieb darüber 1510 und 1511 zwei Lehrgedichte „den Labyrinth“ und „das fabelisch Gedicht von einem Ochsen und etlichen Thieren“. In den Jahren 1512 und 1515 begleitete er als Feldprediger das glarner Banner in die mailändischen Feldzüge. Aus dem ersten Feldzug 1512 haben wir von ihm einen Bericht in lateinischer Sprache, der von allgemeiner und ungewöhnlicher Bildung zeugt, so wie von seiner Selbstständigkeit und seinem auch in politischen Dingen gesunden Urtheil. Als Knabe verwilderte er nicht unter den fahrenden Schülern oder Bachanten, wie sie hießen, er wurde auch nicht verdüstert oder heuchlerisch und verderbt unter Mönchen, er blieb ein freier Sohn der Berge, und seine Studien und Erfahrungen, sein Geist und seine seltne Willenskraft, mit Einem Wort: Gott machte ihn wie zum kirchlichen, so zum politischen Reformator. Und zwar als politischer Reformator, als ein Prediger republikanischer Tugenden trat er zuerst auf. Er hatte als das Verderben der damaligen Reisläuferei, den Menschenkauf, das Pensionenwesen in den mailändischen Feldzügen in den schrecklichsten Erscheinungen mit erlebt, mit eigenen Augen gesehen; er war selber in der für die Schweizer so unglücklichen, wenn gleich ruhmvollen Schlacht zu Marignano gestanden. Zurückgekehrt nach Glarus predigte er um so schärfer gegen die Reisläufer und wurde deßwegen von diesen um so mehr gehaßt, je größer die Macht seiner Beredtsamkeit war und damals schon sein Ansehen. Schon war der päpstliche Stuhl auf ihn aufmerksam geworden, und gab ihm, wohl ihn zu gewinnen, eine jährliche Pension von 50 Gulden; er nahm sie an, wie er sich erklärte, einzig als eine Förderung seiner Studien zum Ankauf von Büchern, also um sich gerade gegen das dazumal so verdorbene Papstthum noch besser zu rüsten und zu waffnen.

Im Jahre 1516 berief ihn der nichts weniger als mönchisch gesinnte Fürstabt von Einsiedeln, Conrad von Hohen-Rechberg, als Prediger an diesen von aller Welt besuchten Wallfahrtsort. Zwingli folgte dem Rufe. Die Mehrheit der Glarner sahen ihn ungern scheiden und behielten ihm noch eine Zeit lang, daß er wieder zu ihnen zurückkehre, seine Pfarrstelle bei ihnen offen. In Einsiedeln wirkte er als Prediger mächtig. An der Engelweihe 1517 vermochte er durch die Macht des evangelischen Wortes, daß Viele das Geld, mit dem sie sich Ablaß erkaufen wollten, den Armen gaben. Unterstützt wurde er wie vom ritterlichen Abt, so von dem Verwalter des Stifts, dem Freiherrn Theobald von Geroldseck und seinem Freunde Leo Judä, der nun hier sein Diakon war. Immer mehr sah er ein das Eine, was Noth thue, nehmlich die freie Verkündigung des Evangeliums und sprach und verkehrte darüber mit den einflußreichsten Männern seines Landes, die er in Einsiedeln öfter Gelegenheit hatte, zu sehen. Schon von Glarus aus hatte er den Erasmus in Basel besucht. Mit dem Erzbischof Schinner war er vertraut. Der päpstliche Legat Pucci zeigte ihm am 14. August 1518 an, daß ihn der Papst Leo X. zum Kaplan ernannt habe. Im nämlichen Jahre folgte er einem neuen Rufe des Chorherrn-Stifts am Großen Münster in Zürich, das ihn fast einmüthig zum Leutpriester erwählte. Er hatte als solcher noch zwei Helfer zu besolden, und hätte von der Stelle nicht leben können, da trat ihm sein Freund der Canonicus Engelhard seine Chorherrn-Stelle ab.

Am 1. Jan. 1519 begann er in Zürich sein Predigtamt mit der Erklärung des Ev. Matthäus, indem er voraus lehrte, daß dieß die älteste von den Kirchenvätern geübte, die nothwendigste und wohl auch fruchtreichste Predigtweise sei. Bald hatte er außerordentlichen Einfluß gewonnen. Er verwehrte dem Samson, dem schweizerischen Tetzel, seinen abscheulichen Ablaßkram und, was fast noch mehr ist, er bewirkte, daß Zürich im Mai 1519 dem neuen Bündniß, das die übrigen 12 Stände (Orte oder Kantone) mit Franz I., König von Frankreich schlossen, nicht beitrat. Recht republikanisch war aber darüber das ganze Züricher Volk vorher von der Regierung um seinen Willen angefragt worden. Der Haß der Franzosen-Freunde warf sich auf Zwingli und seine Predigten. Diese wirkten fort. Die Fasttage wurden nicht mehr streng gehalten. Am Gottesdienst wurde bis 1522 nichts geändert. Aber nunmehr forderte Zwingli sammt zehn Amtsgenossen vom Bischof und den sämtlichen Regierungen der Eidgenossenschaft die Priesterehe. Der Bischof von Constanz aber gab darauf eine Klagschrift von 69 Punkten gegen den Convent am Großen Münster ein. Zwingli vertheidigt sich in seinem Archeteles so freimüthig, daß selbst Erasmus ihn warnte; denn bekanntlich wollte dieser Gelehrte es mit keiner Partei verderben. Den nun durch die Eidgenossenschaft wachsenden Streitigkeiten ein Ende zu machen, lud die Regierung von Zürich auf Donnerstag den 29. Jan. 1523 alles Volk zu einer offenen Disputation ein. Auf derselben vertheidigte Zwingli das Evangelium siegreich, besonders gegen des Bischofs von Constanz Generalvikar Faber. Der Rath beschloß nun: die Prediger sollen muthig fortfahren, das Wort Gottes zu verkündigen. Nach der Disputation schrieb Zwingli seine Schlußreden, 300 enggedruckte Seiten, sie sind sein Glaubensbekenntniß. Nun gab auch die Regierung des mächtigen Kantons Bern die Predigt frei und dort wie in Zürich wurden die Nonnenklöster geöffnet; einzelne Klosterfrauen heiratheten, dieß that auch in Zürich der Pfarrer zu Witikon Räubli als der erste im April 1523. Solches, die Ungeduld und die Wühlereien der Bilderstürmer, der beginnende Communismus der Wiedertäufer machte eine zweite Disputation zu Zürich nöthig, die den 26. Oct. 1523 gehalten wurde. Zwingli erwies mit der Schrift das Unchristliche der Messe und der Bilder, und drang auf die Abschaffung von beidem. Man versteht aber weder seinen Geist noch sein Gemüth, wenn man meint, er habe im Abendmahl bloß eine Gedächtnißfeierlichkeit begehen wollen, bloß eine symbolische Handlung. Nur die leibliche Gegenwart Christi wollte und konnte er nicht zugeben, von der geistigen Gegenwart des Versöhners und von der geistigen Kraft des gläubig genossenen Sakraments hatte er die höchsten Vorstellungen und war weit davon entfernt, das Göttliche der Stiftung zu mindern und sie zu einer bloßen Redefigur zu machen. „Wer denkt an solches?“ sagte er an dieser Disputation unter Thränen. Ebenso wenig war er ein Verächter der Kunst, er selbst dichtete und komponierte, er spielte mehrere Instrumente. Aber auch die Kunst muß damals in Zürich und anderwärts so verweltlicht gewesen sein, daß es für einmal nothwendig war das Volk ausschließlich zu lehren und zu lehren. Kunstwerke wollte er nicht zerstören, sondern im Gegentheil, wenn auch aus den Kirchen für einmal entfernen, doch erhalten; an der gleichwohl einbrechenden Bilderstürmerei trägt er keine Schuld, so wenig als an der Wiedertäuferei. Diese stand in Verbindung mit dem deutschen Bauernkrieg. Münzer war im Frickthal und in Waldshut, hier sein Anhänger der Pfarrer Hubmeier, der predigte, wie 1848 Ronge in den Kellern zu Frankfurt, auch unter dem Schalle weltlicher Musik und feierte auch so das Abendmahl; seinen Rotten liefen auch Freischaaren aus der Schweiz zu. Diese Communisten verbreiteten sich besonders in der östlichen Schweiz und plünderten das Kloster Rüti. Auf zwei Gesprächen suchte Zwingli diese Wiedertäufer, die keine Obrigkeit mehr anerkennen wollten, zu belehren, im Januar und November 1525. Umsonst; es wurden dann als Empörer einige Häupter derselben 1527 ertränkt.

Inzwischen hatte sich auch Zwingli mit einer Witwe, Anna Reinhardt, verheirathet, den 2. April 1524, und waren in Zürich die Klöster aufgehoben worden, 3. Nov. 1524. Er hatte davon keinen Privat-Vortheil. Er war uneigennützig und überaus wohlthätig. Die Kloster-Güter blieben kirchlichen und wohlthätigen Zwecken geheiligt, doch flossen auch Kirchen-Zierden wie die Meßkelche des Großen Münsters in den Staatsschatz. Das Große Münster-Stift trat auch seine Gerichtsbarkeit dem Staat ab. Die Regierung wurde der Bischof. Zwingli wie andere Reformatoren täuschten sich darin, daß sie meinten, die Regierungen würden in allen Zeiten kirchlich sein, sonst hätten sie durch die Kirche ein Presbyterium an die Stelle des Bischofs einsetzen lassen. Später ließ freilich Zwingli die Regierung zum Evangelium schwören. Alle diese Aenderungen und Neuerungen erbitterten die am alten Glauben und Gottesdienst hängenden Orte. Zwar wollten auch sie Unordnungen abthun, und zwar ohne, und theilweise auch wider den Papst, und waren hierin ganz im Geist der Reform. Ja auch sie schrieben eine Disputation nach Baden im Aargau aus, in ein sogenanntes Unterthanenland oder eine Gemeine-Herrschaft, wo auch sie Mitregenten waren und beriefen den Wortfechter Eck von Ingolstadt; sie handelten auch hierin im Sinn der Reform, denn bisher hatten sie behauptet, über Lehre und Ordnung der Kirche habe bloß ein Concilium zu bestimmen. Zwingli ging nicht nach Baden. Er wußte, daß ihm als einem Ketzer das Geleit nicht gehalten würde. Er unterstützte aber den für ihn dort kämpfenden Oekolampad mit rastloser Thätigkeit. Thomas Plater war ihr Briefbote. Die katholischen Orte schrieben sich den Sieg zu. Das war im Oct. 1526. Dagegen zog Zwingli mit hundert Predigern und Gelehrten im Januar 1528 auf die Disputation nach Bern und wirkte mächtig zur Reformation dieses großen Kantons. Auch hier trat die Regierung an die Stelle des Bischofs und ließ die Priester sich schwören. Die Klöster wurden aufgehoben. Die Gotthausleute aber des reichen Stiftes Interlaken wollten ganz frei werden, und mit Hülfe der Obwaldner empörten sie sich, 800 Obwaldner waren den Haslithalern zu Hülfe gezogen; mit Waffengewalt wurden diese aber von Bern bezwungen und bestraft, die Rädelsführer enthauptet, einer sogar geviertheilt.

Zu gegenseitiger Befestigung der Reform schloß zuerst Zürich mit Constanz ein Bündniß, Bürgerrecht hieß es, dem trat auch Bern bei, dann das sich dem Abte zum Trotz reformierende St. Gallen, auch Basel, wo die Reform mit Gewalt eingeführt wurde.

Die Seele dieser von Zürich aus geführten Unterhandlungen und Verbündungen war Zwingli, der in Zürich an den Rathssitzungen Theil nahm und schon vor der Berner Disputation einen Vertheidigungsplan gegen die katholischen Orte gezeichnet hatte, wie er denn nicht ohne Kriegserfahrung war. Denn bereits hatten die fünf Orte Gewalt geübt, den Bilderstürmer Hottinger aus Zürich in Luzern hingerichtet, eben so die drei Zürich Angehörigen, Wirth von Stammheim, Vater und zwei Söhne auf eine empörende Weise trotz ihrer Unschuld zu Baden enthauptet, und den Züricher Pfarrer Kaiser in Schwyz verbrannt, auch im Februar 1529 ein Bündniß mit dem östreichischen Erzherzog Ferdinand, König von Ungarn und Böhmen geschlossen.

Zürich erklärte den 9. Jan. 1529 den fünf Orten Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug den Krieg; freiwillig zog Zwingli mit, eine Hallbarde auf der Achsel. Bern erklärte: es werde dem angreifenden Theile entgegentreten. Der Glarner Landamman Aebli vermittelte wider Zwinglis Willen, der schrieb und sagte: „Gebet nichts um ihr Flennen.“ Es wurde Friede gemacht. „Ihr werdet über diesen Frieden,“ sagte Zwingli, „noch die Hände über dem Kopf zusammen schlagen.“ Die fünf Orte mußten den Bundesbrief mit Oestreich herausgeben; über die Annahme der Reform in den Gemeinen-Herrschaften sollte überall die Mehrheit der Stimmen in den Gemeinden entscheiden. Das war der erste Kappeler Krieg und Friede, der, wie Zwingli richtig sah, eben kein Friede war.

Denn nun nahm die Reform in den Gemeinen-Herrschaften zu; Zürich begünstigte hauptsächlich die Gotthausleute von St. Gallen; wie Zürich und das mit ihm gehende Glarus waren auch Luzern und Schwyz Schutzherrn des Abtes von St. Gallen. Zürich aber schaltete im Gebiete des Abts von St. Gallen willkürlich und Zwingli lehrte rücksichtslos und wider uralte Rechte und Verträge: alle geistliche Herrschaft sei schriftwidrig. „Wenn das so ist, sagten die Gotthausleute, so wollen wir uns selbst regieren.“ Was Zürich auch nicht recht war, denn es strebte offenbar in Thurgau, St. Gallen, Tockenburg, Rheinthal nach Oberherrschaft; in diesen Landestheilen verschaffte es auch der Reform den Sieg; es wurden in denselben Synoden eingerichtet, von Zwingli besucht, geordnet und gestärkt. Ja selber ein Luzerner, welcher, wie ihn die Reihe traf, als Landeshauptmann der St. Gallischen Stiftlande aufzog, sollte schwören, die Reform zu schützen, und ein der Reform feindseliger Landweibel eines Landvogts aus Unterwalden wurde in Zürich gefangen und enthauptet.

Solches geschah zum Theil während Zwingli im Sept. und Oct. 1529 mit Luther zu dem Religionsgespräch in Marburg zusammen kam. Der für das Evangelium und die Reform begeisterte, damals 25 Jahr alte Philipp von Hessen wünschte, Luther und Zwingli möchten sich besonders in der Abendmahlslehre verstehen. Es sollte nicht sein; – und waren doch beide Reformatoren in der göttlichen Verehrung des Erlösers und seiner Stiftung durchaus einig. Zwingli hatte sich von je unabhängig von Luther gehalten, die Reform auch vor Luther begonnen, zwar dessen Schriften verbreitet, aber selbstständig die Schrift und Geschichte erforscht; an Sprachen- und Schrift-Verständniß stand er wohl dem Luther nicht nach, an Kraft der Beredtsamkeit auch nicht, ebenso wenig an unermüdlicher Thätigkeit, an Eifer und Geschick auch das Studium echter Theologie zu fördern; aber ihr Lebensgang war ganz ein andrer und auch in der Frage: Wie gegen den der Reform feindseligen Kaiser Karl V. zu handeln sei, konnten sich Luther, der Freund und Diener seines Churfürsten, und Zwingli der Republikaner nicht verstehen. Luther predigt mit Paulus unbedingten Gehorsam unter die Obrigkeit und ein neues Märtyrerthum, Zwingli lehrte ebenfalls mit Paulus: Kannst du frei werden, so brauche deß um so mehr, 1 Cor. 7, 21. und spricht in seinem dem Augsburger Reichstag 1530 eingegebenen Glaubensbekenntniß sogar von der Absetzbarkeit schlimmer Regenten. Doch waren beide, Luther und Zwingli, gleich entschiedene Bekämpfer der rebellischen Wiedertäufer und andrer Rotten damaliger Communisten. Gegen Luther sprach er die aufrichtigste Verehrung aus und reichte ihm zur Verbrüderung die Hand. Allein Luther, sprach: „es braucht des Brüderns und Gliederns nicht, Ihr habet nicht den rechten Geist;“ Zwingli schied mit Schmerzen und Thränen; Luther blieb bis zum Tode gegen ihn unversöhnt.

Desto besser verstanden sich aber der Landgraf Philipp und Zwingli und wurden unter ihnen zum Schutze und zur Verbreitung der Reform und zur Vereinigung aller Protestanten, wie sie seit dem Reichstag zu Speier 1529 hießen, größere Pläne besprochen. Und hier ist es nun, wo Zwingli den Acker, auf dem er bisher so ernstlich wie nur ein Luther gereutet und gepflügt, gesäet und gewässert, verließ, und sich in ein fremdes Gebiet begab und mit sich selber sogar in Widerspruch kam.

Von ihm sagt sein Geschichtschreiber und Herausgeber seiner Werke Melchior Schuler in seiner vortrefflichen und wahrhaften Schweizergeschichte (II. S. 59): „Edelmüthig war sein Betragen gegen Luther, der ihn aus Rechthaberei und Eifersucht so unwürdig schmähte und seine und seiner Freunde Schriften in Sachsen verbrennen ließ. Zwingli pries dagegen Luthers Verdienste, ließ selbst dessen schmähende Streitschriften wider ihn frei in Zürich feil bieten (es war seit 1522 in Zürich Censur) und widerlegte sie mit Ruhe und Würde. Wahr ist es aber auch, daß er sich bei der Begeisterung für seine Ueberzeugung durch die Heftigkeit seines Charakters, durch Unbill und Widerstand seiner Gegner und die Gewalt der Umstände auf Irrwege hinreißen ließ, die ihn über die Grenze des Rechts hinausführten; dadurch ward der Fortschritt der Reformation selbst gehindert und er selbst in einen Kampf geführt, worin er sich endlich mit Heldenmuth opferte.“

Dieser neue Kampf und Krieg wurde nun beschleunigt durch die gewaltsame Weise, mit der Zürich in den Gemeinen-Herrschaften und den St. Gallischen Stiftsländern die Reform förderte und die katholischen Orte es hinderten. Zwingli, der bisher so kräftig wider das Reislaufen gepredigt und gewirkt, suchte jetzt selber Verbindungen mit Venedig und Frankreich zu Gunsten der Reform, sein Freund Collin reiste nach Venedig und zur franz. Botschaft. Zwingli rieth Zürich zu einem Bund mit Frankreich. Franz dem Ersten war es aber nicht um die Reform, sondern um die Lombardei zu thun. An ihn schrieb Zwingli im Jun. 1531 selber und schickte ihm seine, noch in Paris aufbewahrte, Confession. Dagegen suchten die katholischen Orte wieder des Kaisers und östreichische Hülfe. Hinwieder trat Straßburg in der Reformirten Bürgerrecht, auch Hessen sollte darin aufgenommen werden, Bern aber weigerte sich. Es war nicht ohne Eifersucht auf das sich im Osten verstärkende Zürich. Die Tagsatzungen, die nun gehalten wurden, erfachten das Feuer der Zwietracht noch mehr. Endlich kündete Bern den fünf Orten die angedrohete Sperre 21. Mai 1531. Zwingli war entschieden gegen diese nur reizende und nicht entscheidende Maßnahme. Sie vermehrte und stachelte seine Feinde. Am 26. Jul. gab er sogar sein Amt in die Hände der Regierung zurück und wollte Zürich verlassen. Der Landgraf von Hessen hatte ihm einen Zufluchtsort angeboten. Dringend vom Rathe gebeten erklärte er sich am 29. Juli wieder zu bleiben und auszuharren bis in den Tod. Am Laurentiustag 1531 war er noch in Bremgarten, um die Berner Gesandten zu einem entscheidenden Schritte zu vermögen; umsonst; mit Todesvorgefühlen nahm er von seinem Freunde, seinem Nachfolger, Heinrich Bullinger Abschied und empfahl ihm die Kirche. Indeß Bern zögerte, Zürich unschlüssig war, hatten sich die 5 Orte gerüstet und kündeten am 9. Oct. 1531 den Krieg. In Zürich war Verwirrung und Verrath. Nur in geringer Zahl zog seine Mannschaft aus und nahm den Kampf an, ohne die von allen Seiten anrückende Verstärkung abzuwarten. Zwingli war mitgezogen, focht, die Streiter ermunternd, tapfer und in der vordersten Reihe und fiel unter Steinwürfen und Lanzenstichen.

Dreimal raffte er sich wieder auf. „Welch‘ ein Unglück, rief er, ist denn das? Den Leib können sie wohl tödten, die Seele aber nicht.“ Die Feinde, die ihn fanden, wie er auf dem Rücken lag und in den Himmel blickte, mutheten ihm zu, zu beichten und die Heiligen anzurufen; er winkte „Nein.“ Da durchstach ihn ein Reisläufer. Der Dekan Schönbrunner aber von Zug sagte, die Leiche des Helden betrachtend: „Was immer war dein Glaube, du warst ein rechter Eidgenoß.“ Mit ihm waren gefallen 25 seiner Amtsbrüder, 26 Regierungsglieder, 64 andre Stadtbürger, im Ganzen 512 Mann. Das war die für Zürich unglückliche Schlacht bei Kappel den 11. Oct. 1531, in der Zwingli starb 48 Jahr alt, ein treuer Hirte mit und unter seiner Heerde. Sein Leichnam wurde schändlich mißhandelt, geviertheilt und verbrannt; die Asche in die Winde zerstreut. Aber sein Geist lebt fort im wissenschaftlichen Leben Zürichs, das er erweckt, in der freien Verkündigung des Worts, die er angehoben und mächtig gefördert, in uneigennütziger Vaterlandsliebe, wie sie auch nach seinem Vorbilde je die Edelsten geübt. Die hundertjährige Wiederkehr des Tages seines Amtsantrittes, der erste Januar 1519 wurde schon in drei Jahrhunderten mit hoher Verehrung des Helden und Märtyrers gefeiert und wird in ferneren Jahrhunderten gefeiert werden. Ein Birnbaum, wo Er auf Kappels Schlachtfeld im Angesicht der Alpen gefallen, bezeichnete den Ort, da sein Blut geflossen und da er hingeschieden. Der Baum ist gesunken, frisch aber steht der edle Stamm, den er als ein Reis vom Lebensbaum in Zürichs Erde gesenkt, behütet, groß gezogen, mit seinem Blute befruchtet hat. An der Stelle jenes Birnbaums steht nun ein Granit, erinnernd an den Fels, auf den Er sich stellte und auf den die Kirche gegründet ist, und von dem Er nie gewichen ist.

  1. E. Fröhlich in Aarau

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874

 

Huldrych Zwingli#

Huldrych Zwingli

Den 1. Jan. 1484 wurde in Wildenhaus in der Grafschaft Toggenburg in der Schweiz, wo sein Vater Amman (Schultheiß) war, geboren: Ulrich Zwingli. Da er schon als Knabe einen fähigen Kopf verrieth, so wurde er dem geistlichen Stande gewidmet, und von seines Vaters Bruder, welcher Dekan in Wesen war, in den Anfangsgründen der Wissenschaften unterrichtet, hierauf aber 1494 auf die Schule zu Basel und von hier nach Bern gesandt. Weil ihn in letzterer Stadt Mönche, um seiner musikalischen Anlagen willen, in einen Orden ziehen wollten, so nahmen ihn seine Verwandten wieder weg, und schickten ihn nach Wien, wo er in der Philosophie sehr gute Fortschritte machte. Hierauf als Lehrer an die Martinsschule in Basel berufen, setzte er neben dem, daß er Andere unterrichtete, seine Studien eifrig fort, und wurde 1506 Magister. Auf Anrathen seines Lehrers Wittebach studierte er die Kirchenväter und das Neue Testament sehr fleißig, und wurde bald darauf Prediger zu Glarus; auch hier setzte er die Schriftforschung fleißig fort, und fing an, Anmerkungen über die Briefe Pauli abzufassen, welche er im Grundtexte auswendig lernte. 1512 zog er als Glarus’scher Feldprediger in den Mailändischen Krieg, und wohnte mehreren Treffen bey. Schon im J. 1516 lehrte er zu Glarus, daß Christi Tod das einzige Opfer für unsere Sünden sey, und rügte, jedoch mit großer Vorsicht und Mäßigung, die Irrthümer der verdorbenen Kirche. Es streiten daher seine Anhänger mit den Lutheranern darüber, ob Zwingli oder Luther zuerst das Reformationswerk begonnen habe? Das Wahre ist, daß weder der Eine noch der Andere von ihnen der Erste war, der auf die Nothwendigkeit der Reformation aufmerksam machte, daß Keiner von ihnen den Plan zu diesem Werke machte, sondern Luther, fast gegen seinen Willen, von Gott dazu gedrungen wurde, das größere Stück Arbeit dabey zu übernehmen, und in der ihm von Oben herab gegebenen Kraft auszuführen.

Auch als Prediger zu Marien-Einsiedel, wohin Zwingli gegen das Ende des Jahrs 1516 berufen wurde, verkündigte er unumwunden, daß alle päbstlichen Indulgenzen (Freisprechungen von Sünden) nichts als eine Erdichtung seyen; hiedurch erwarb er sich bald einen solchen Rum, daß er 1518 an’s Münster nach Zürich berufen wurde, wo er sogleich über das Evangelium Matthäi der Reihe nach zu predigen anfing, und die gewöhnlichen Sonntags-Evangelien aufgab. Auch setzte er noch immer seine Studien eifrig fort, und trug viel zur Emporbringung der Künste und Wissenschaften in Zürich bey. Als 1519 der Ablaßkrämer Bernhard Samson sein gottloses Gewerbe ich der Schweiz ebenso unverschämt trieb, wie Tetzel zwey Jahre zuvor in Sachsen, so widersetzte sich ihm Zwingli mit so glücklichem Erfolge, daß er Zürich mit leerer Hand verlassen mußte, und schon 1525 brachte er es dahin, daß von dem Magistrat zu Zürich der dortigen Geistlichkeit befohlen wurde, Nichts zu lehren, als was aus Gottes Wort sich erweisen lasse. Muthig und ohne im Geringsten die Gefahren zu scheuen, denen er sich damit aussetzte, fuhr er sodann mit dem Reformationswerke fort, und gerieth darüber 1522 mit dem Bischof von Konstanz und seinem Vicar Johannes Faber in einen heftigen Streit über das Speise-Verbot, der ihn veranlaßte, zum ersten Mal auch in Druckschriften sich hören zu lassen. Mit sehr glücklichem Erfolge bestritt er auch gegen den Barfüßer-Mönch Lambertus die Lehren von der Anrufung der Heiligen und der Messe; entging aber kaum dem Gift und Dolch seiner Gegner. 1523 sandte Pabst Adrian eine eigene Gesandtschaft nach Zürich, um die Reformation zu hintertreiben, und Zwingli erhielt ein eigenes, sehr schmeichlerisches Schreiben; nichtsdestoweniger vertheidigte er in der angestellten Disputation den Satz, „daß in Glaubenssachen allein die H. Schrift entscheidt“, mit standhaftem Muthe, und brachte es noch in diesem Jahre dahin, daß die Kaplane sich weigerten, fernerhin Messe zu lesen; er schaffte 1524 die Prozessionen nach Einsiedel, das Fronleichnamsfest und andere römische Gebräuche ab, und verheirathete sich mit einer adeligen Witwe: Anna Reichart. Was Luther um diese Zeit in Sachsen zur Reinigung der Kirche that, das that Zwingli in der Schweiz, er wollte es aber – und zwar mit Recht – nicht leiden, daß man ihn einen Lutheraner nannte, weil er, wie er sagte, die Lehre Christi aus der H. Schrift, und nicht von Luther gelernt habe. „Wenn Luther Christum predigt, so thue ich es auch, und obgleich durch seinen Dienst, Gott sey Dank! ungleich mehr Menschen Christo zugeführt werden als durch den meinigen, so will ich doch nach Niemand sonst genannt werden als nach Christo; denn Er ist mein einziger Herzog und ich bin Sein Streiter.“ Die Punkte, in welchen sie hauptsächlich von einander abgingen, waren folgende: Luther wollte nur diejenige Zierrathe und Bilder aus der Kirche entfernt wissen, welche zu abergläubischer Verehrung und irrigen Vorstellungen Anlaß geben, Zwingli dagegen eiferte mit unerbittlicher Strenge gegen Alles, was an das Pabstthum erinnerte, und wollte Anfangs sogar das Singen abgeschafft wissen; Luther empfahl dringend den Gehorsam gegen die Obrigkeit, und warnte vor aller bewaffneten Widersetzlichkeit gegen Gewaltthätigkeit; Zwingli redete mehr der Volks-Freiheit das Wort, dagegen lehrte er über die Erbsünde minder strenge als Luther, und hatte auch dessen tiefe, erfahrungsmäßige Einsicht in die Rechtfertigung durch den Glauben nicht; vornehmlich aber wichen sie in der Lehre von den Sakramenten, Taufe und Abendmahl, von einander ab, welche Zwingli als bloße Kennzeichen der christlichen Gemeinschaft betrachtete, und vergeblich war der Versuch, sie bey dem Religions-Gespräch zu Marburg 1529 zusammenzubringen, so wie auch spätere Versuche des wohlmeinenden Bucer fehlschlugen.

Zwingli starb schon im J. 1531 (11. Okt.). Er war seinen Zürichern als Feldprediger in einen Religionskrieg gefolgt, wurde, wie ihm vierzehn Tage zuvor geahnt hatte, in der Schlacht bey Kappel durch einen Spieß am Kinn verwundet, und durch einen Unterwaldener Offizier mit dem Schwerte getödtet. Seine letzten Worte waren: „Ob sie gleich den Leib tödten, können sie doch die Seele nicht tödten.“ Sein Leichnam kam den Feinden in die Hände, die ihn viertheilten und verbrannten. Sein Herz soll drey Tage darauf unversehrt in der Asche gefunden worden seyn; man brachte es dem Oekolampadius; dieser aber, nachdem er sich bestimmt erkundigt hatte, ob das Zwingli’s Herz sey, warf es in den Rhein, der Abgötterey zu wehren. Zwingli war ein eifriger, muthiger und kluger Mann, predigte scharf wider Sünden und Laster, war mitleidig gegen Arme, ein großer Freund des Vaterlandes, ein unterhaltender Gesellschafter und nicht allein in der Theologie, sondern auch in der Kriegswissenschaft und Taktik wohl bewandert.

Der Christen-Bote.
Herausgegeben von
M. Johann Christian Friedrich Burk,
Pfarrer in Thailsingen und Nebringen bey Herrenberg.
Jahrgang 1833
Stuttgart,
bey Johann Friedrich Steinkopf