Martin Luther

Martin Luther

Martin Luther, dem an Höhe und Energie des Geistes und Charakters keiner seiner Zeitgenossen gleich kam, war zu Eisleben 1483 geboren und in bürgerlicher Zucht und Thüringer Waldluft aufgewachsen. Tiefe deutsche Gemüthskraft, sittlicher Ernst und Lust zum energischen Handeln waren die hervorstechendsten Züge dieser mächtigen Natur.

Seine erste Bildung erhielt Luther in den Schulen zu Magdeburg und Eisenach, wo er sich grösstentheils selbst durchhelfen musste, denn sein Vater war ein armer Bergmann. Von der Eisenacher Schule ging er nach Erfurt, welches damals blühte als die glänzendste und lebhafteste Stätte der. Humanisten; nur Heidelberg durfte sich mit Erfurt messen. Luther’s Vater hätte aus ihm gern einen Juristen gehabt, ihn aber zogen die ernsten philosophischen Studien an, insbesondere die geiststählende Schule des wahren, nicht des mönchisch entstellten Aristoteles. Im zweiundzwanzigsten Jahre hielt er über dessen Philosophie als Magister Vorlesungen, und zahlreiche Freunde begrüssten in seiner jungen und originellen Kraft eine ragende Säule der Wissenschaft. Da wollte es Gott, dass auf einem Spaziergange im Gewitter plötzlich der Blitz den Freund an Luther’s Seite erschlug. Der Schlag hatte in seine Seele getroffen, bebend glaubte er nirgends mehr Rettung für sein ewiges Heil, als in der Busse und Stille der Klosterzelle. Hier rang er zwei Jahre hindurch in furchtbarer Geistesqual, in grimmigen Studien, in harten Kasteiungen und niedrigen Diensten, – doch wie er auch rang und litt und arbeitete, die dumpfe Angst wich nicht Von seiner Seele. Endlich in seiner trüben Nacht leuchtete ihm der Gedanke auf: ach Alles, Alles was der Mensch thut und wirkt, es hebt ja kaum ein sichtbar Stäubchen, es ist ein reines Nichts gegen die furchtbare Majestät, gegen die unergründliche Barmherzigkeit Gottes, der erschienen ist in Christus, – ach nur glauben an ihn! Der tiefe starke Glaube allein kann die Seligkeit verbürgen, nicht können es all die guten Werke. – Und in dieser seiner Erkenntniss richtete er sich wieder auf und wurde wieder ein heller thatkräftiger Mensch.

Sein Ordensvorsteher Staupitz, der dem jungen Mönch in seinen Seelenkämpfen öfter tröstend zugesprochen, empfahl ihn zu einer Professur auf der Hochschule zu Wittenberg, welche der regierende Kurfürst Friedrich der Weise gegründet hatte. Im Augustinerkloster, auf dem Katheder, auf der Kanzel und im Beichtstuhle, – denn er hatte inzwischen die Priesterweihe genommen, – entfaltete nun der fünfundzwanzigjährige Luther eine frische männliche Thätigkeit, die ihn ausfüllte. Im Jahre 1511 wurde er in Angelegenheiten seines Ordens auch nach Rom geschickt und kehrte zurück, wie fast alle Deutsche, voll Widerwillens gegen die frivole Weltlichkeit der römischen Curie. Im nächsten Jahre erhielt er die theologische Doktorwürde. Fünf Jahre später Hess ihm die Empörung über Tetzel’s Ablasshandel keine Buhe mehr, er schlug seine 95 Streitsätze an die Wittenberger Schlosskirche an, des Inhalts: nichts als wahre Busse erwirke Sündenvergebung. Das zündete in ganz Deutschland, denn überall waren die Gemüther erbittert über den Missbrauch des Heiligen. Eine Kette von Schriften und Disputationen folgte für und wider, alle Welt nahm Partei.

Luther fühlte sich anfangs durchaus als Priester seiner Kirche. Er war nach Rom vorgeladen, auf Verwendung des Kurfürsten aber kam er nur in’s Verhör vor dem Nuntius Cajetanus in Augsburg. Als dieser ihm nach kurzer Disputation zu widerrufen befahl, flüchtete Luther heimlich und hinterliess eine Appellationsschrift an den besser zu unterrichtenden Pabst. Als der zweite päbstliche Abgeordnete Miltiz. ihm freundlich zusprach, versprach er still zu schweigen, wenn seine Gegner still schwiegen, und erklärte öffentlich und in einem Briefe nach Rom, dass er niemals den päbstlichen Primat habe anfechten wollen. Hatte er es als Professor und Geistlicher schon vorher nicht ruhig hingenommen, als er von Tetzel und Andern auf das Bitterste angegriffen wurde, so wollte er auch nicht ausweichen, als der Tüchtigste seiner Feinde, sein College Eck von Ingolstadt, ihn zu einer öffentlichen Disputation herausforderte. Diese fand zu Leipzig statt unter grossem Aufsehen. Eck, ein höchst gewandter Kämpe, trieb Luther in die Enge: Luther leugnete zuletzt die göttliche Einsetzung des Pabstthums, ja sogar die Unfehlbarkeit der Concilien.

Nun verfasste Eck ein Buch gegen Luther und eilte nach Rom. Luther aber studirte leidenschaftlich Alles, was jemals gegen die Hierarchie geschrieben war, Alles das sammelte sich jetzt in diesem einen gewaltigen und aufgebrachten Manne. Von einem Satze wurde er zum andern weiter getrieben. Eck kam zurück und verkündete des Pabstes Bulle, dass Luther’s irrgläubige Schriften zum Feuer verdammt, er selbst gebannt sei, wenn er nicht binnen sechzig Tagen widerrufe. Luther aber fühlte sich hochgetragen auf den Fluthen der öffentlichen Meinung: nur in wenigen Städten gehorchte man dem päbstlichen Befehl. Da erliess er die beiden Schriften: „An den christlichen Adel deutscher Nation“ und „Von der babylonischen Gefangenschaft und christlichen Freiheit.“ Er rief die ganze Nation zu seinem Beistande auf, die Naturkraft seiner Beredtsamkeit, sein lodernder Zorn ergriff die Menschen. Jetzt wagte er den entscheidenden Schritt. An der Spitze der Studenten warf er am 10. Dezember 1520 vor dem Elsterthor zu Wittenberg des Pabstes Bannbulle auf den Scheiterhaufen und wohlbedacht das canonische Recht ebenfalls. Damit war die Lossagung von Rom geschehen.

Es folgten nun die bekannten Ereignisse. Luther auf den Reichstag nach Worms vorgeladen, erklärt vor Kaiser und Reich: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ Er wird mit seinen Anhängern vom Kaiser geächtet. Sein Fürst lässt ihn zur Rettung auf die Wartburg bringen. Dort denkt er die praktische Einrichtung der neuen Gemeinden durch, schleudert neue Schriften gegen das Pabstthum in die empörte Welt, und arbeitet vor allem eifrig, dass er sein grosses Rüstzeug, die Bibel, dem deutschen Volke in dessen eigener Sprache in die Hände gebe. Um gegen Karlstadt und die Wiedertäufer zu predigen, kehrt er nach Wittenberg zurück. Er wüthet gegen die Erhebung der Bauern, welche allen Ernstes meinen, man müsse nicht bloss die evangelische Lehre herstellen, sondern auch die altgermanische Freiheit vom Schmutze der Jahrhunderte säubern. Im Verein mit dem hochgebildeten Melanchthon, mit Bugenhagen, Jonas und andern Freunden vollendet Luther seine Bibelübersetzung, verfasst seine Katechismen und prüft das Kirchenvisitationsbüchlein. Während damit die Lehre und Einrichtung der lutherischen Gemeinde ausgearbeitet wird, und die Deformation sich rasch über weite Landstriche ausbreitet, führt Luther seit seiner Heirath mit Katharina von Bora, einer früheren Nonne, ein einfaches glückliches Familienleben. Es folgt die Augsburger Confession, der Abendmahlsstreit, das Verweigern der Einigung mit Zwingli, das Hintertreiben der Einigung mit der alten Kirche und damit die gründliche Zerstörung des Friedens in Deutschland. Als der schmalkaldische Krieg im Anzüge, stirbt Luther, von körperlichen Leiden lange heimgesucht, am 13. Dezember 1545.

Durch seine Reden und Schriften, durch seine Kirchenlieder, vor allem durch seine Bibelübersetzung, – welche zwar nicht die erste in deutscher Sprache war, gewiss aber die schönste und kräftigste – ist Luther der grösste deutsche Sprachbildner geworden. Seit ihm giebt es eine allgemein verbreitete neuhochdeutsche Prosa, in welcher Etwas von Luther’s Geist und Natur fortlebt.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863
Martin Luther

Martin Luther

Martin Luther geboren den 10. Nov. 1483 zu Eisleben, von Eltern, die geringern Standes, aber rechtschaffen und fromm waren. Sein Name bedeutsam: Martin an seinem Tauftag den 11. Nov. vom Bischof Martin benannt, bezeichnete ihn im voraus als einen Kriegsmann, einen Streiter Gottes: Luther, der Leute Herr oder Herrscher, weist hin auf den Geister beherrschenden Einfluß. Nach alter Sage, die Luther kannte, hat Johann Huß geweissagt: Ihr bratet jetzt eine Gans (Huß heißt Gans), nach hundert Jahren aber wird Gott einen Schwan erwecken, den werdet ihr nicht brennen noch braten; den werden sie singen hören, den sollen sie leiden, da soll’s auch bei bleiben, ob Gott will. Unter -strenger, oft fast harter Zucht, wuchs er auf, und es bewährte sich von hier an und später an ihm die Wahrheit des Ausspruchs (Klagl. Jeremiä 3, 27.): es ist ein köstlich Ding einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage. Das hat er erfahren, als er zu den Nullbrüdern oder Franziskanern in Magdeburg, und darauf auf die Schule nach Eisenach kam, wo sein andächtiges Singen als Currendaner das Herz der frommen Wittwe Cotta ihn zu unterstützen erweckte. Tüchtig vorbereitet bezog er 1501 die Universität Erfurt, anfangs um die Rechte zu studiren, ging aber nach Einem Jahre, durch schwere Schläge von außen und innere Anfechtungen aus Angst für seine Seligkeit erregt, zum Studium der Theologie über, und trat 1505 in den Augustiner Eremiten-Orden, und in dessen Kloster zu Erfurt, wohin ihn nicht Armuth, sondern der Eifer der Gottseligkeit trieb; wiewohl zum Mißfallen seines Vaters. Aber eben das Joch der klösterlichen Zucht, und die fortgehende innere Unruhe zogen ihn in den Ernst des innern Lebens, und ließen ihn den Weg zur Vergebung der Sünden als die wichtigste Aufgabe erkennen. Gott sandte ihm auch in einem alten erfahrenen Klosterbruder und in dem Provinzial Staupitz treuen Rath, und ließ ihn im Kloster eine lateinische Bibel finden, die er begierig las. Unverkennbare Leitungen Gottes, wodurch er ihn zu dem großen Berufe vorbereitete, der ihm bestimmt war. So ward er im J. 1508 auf die Universität Wittenberg berufen, wo er vornehmlich Vorlesungen über die Bibel hielt, auch 1512 die theologische Doctorwürde erhielt. Da „schwor er seiner allerliebsten heiligen Schrift, und gelobte ihr, sie treulich und lauter zu predigen und zu lehren.“ Da schon ging ihm das Licht auf über den Hauptartikel der christlichen Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, ohne Verdienst der Werke. Als ihm der Sinn der Worte Röm. 1, 17. „im Evangelio wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart“ klar ward, daß hier nicht von der Gerechtigkeit Gottes selbst, sondern von der Gerechtigkeit des Menschen vor Gott die Rede sei: „da (so schreibt er) fühlte ich alsbald, daß ich ganz und neu geboren wäre, und nun gleich eine weite aufgesperrte Thür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte: sehe mich auch die liebe heilige Schrift nunmals viel anders an, denn zuvor geschehen war; die ganze heilige Schrift und der Himmel selbst war mir geöffnet.“ Hier fing nun sein scharfer Geist unter den täglichen Vorlesungen und Predigten an, noch mehr hervorzuleuchten, und er hatte schon vor d. J. 1517 klare Erkenntniß über Buße, Glauben und Rechtfertigung; eine Predigt im Jahre 1516 in Dresden ward dem Herzog Georg höchst anstößig.

Wie konnte es anders sein als daß Luther, bei solchem Glauben, an dem Ablaßkram des Tetzel den höchsten Anstoß nehmen und in seinem Gewissen beunruhigt werden mußte? Zwar hatte er schon in der Schloßkirche dawider gepredigt, und bei Herzog Friedrich damit schlechte Gnade verdient. Aber die wachsende Frechheit und die verderblichen Folgen der Ablaßverbreitung drangen ihn, am 31. Oct. 1517 zum Behuf einer Disputation auf den 1. Nov., den Tag aller Heiligen, wo große Wallfahrten nach der Schloßkirche, der Kirche aller Heiligen, mit Ablaßertheilung geschahen, 95 Sätze anzuschlagen, und darin den evangelischen Weg der Vergebung der Sünden zu vertheidigen. Ohne daß Luther es ahndete, wurden diese Sätze Blitze, die in der Kirche ein Feuer anzündeten, und schnell sich verbreiteten, als wären die Engel selbst Botenläufer. Weder die ungestümen Drohungen des Cardinal Thomas Cajetanus, dem er auf die Frage: wo er denn bleiben wollte? (wenn er nirgends geduldet würde) antwortete: „unter dem weiten Himmel,“ noch die höfische Feinheit und Schlauheit des Carl von Miltiz konnten ihn zu einem Widerruf bewegen. Er legte vielmehr den 28. Nov. 1518 in der Frohnleichnamskapelle zu Wittenberg eine förmliche Appellation von dem Verfahren des Papst Leo X. gegen ihn an ein allgemeines Concilium nieder; ja am 10. December 1520 begab er sich, begleitet von den Studirenden, vor das Elsterthor und verbrannte das päpstliche Gesetzbuch und die wider ihn erlassene Bulle mit den Worten: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübet hast, so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer.“ Nicht Rachsucht war es, sondern ein heiliger Trieb, der Luther zu dieser kühnen That begeisterte; ein Signal gab er der Christenheit, den Papst nicht mehr zu fürchten, sondern seine Macht zu verachten, sein Joch abzuwerfen; er that’s zur Befestigung der Wahrheit und des gemeinen Haufens.

Ein gleicher Muth führte ihn 1521 nach Worms. Davor gewarnt mit Huß’s Schicksal, erwiederte er: Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis gen Himmel reichte, weil er aber gefordert wäre, so wollte er im Namen des Herrn erscheinen, und dem Behemoth in sein Maul zwischen seine großen Zähne treten und Christum bekennen, und denselben walten lassen. Und wiederum, da ihm nicht weit mehr von Worms selbst Spalatin warnen ließ, hineinzukommen, antwortete er: „Wenn soviel Teufel zu Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, dennoch wollt ich hinein.“ Wie bewegt sein Herz, aber auch wie getrost zu Gott in dieser Zeit war, sieht man aus seinem Gebete in Worms: „Ach Gott, ach Gott; o du mein Gott! Du mein Gott stehe du mir bei, wider aller Welt Vernunft und Weisheit. Thue du es; du mußt es thun, du allein. Ist es doch nicht meine, sondern deine Sache. Habe ich doch für meine Person allhier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herrn der Welt zu thun. Wollte ich doch auch wohl gute geruhige Tage haben und unverworren seyn. Aber dein ist die Sache, Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe mir bei, du treuer ewiger Gott! ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist, und nach Fleisch schmeckt. O Gott, o Gott! Hörst du nicht, mein Gott? Bist du todt? Nein, du kannst nicht sterben, du verbirgst dich allein. Hast du mich dazu erwählt? ich frage dich; wäre ich es denn gewiß; ey so walt es Gott! denn ich mein Lebelang nie gedacht, wider solche große Herrn zu seyn, hab mir es auch nicht vorgenommen. Ey Gott, so stehe mir bei in dem Namen deines lieben Sohns Jesu Christi, der mein Schutz und Schirm seyn soll, ja meine veste Burg, durch Kraft und Stärkung deines heiligen Geistes. Herr, wo bleibest du? Du mein Gott, wo bist du? Komm, komm, ich bin bereit, auch mein Leben darum zu lassen, geduldig wie ein Lämmlein. Denn gerecht ist die Sache und dein; so will ich mir von dir nicht absondern ewiglich. Das sey beschlossen in deinem Namen. Die Welt muß mich über mein Gewissen wohl ungezwungen lassen; und wenn sie noch voller Teufel wäre, und sollte mein Leib, der doch zuvor deiner Hände Werk und Geschöpf ist, darüber zu Grund und Boden, ja zu Trümmern gehen; dafür aber dein Wort und Geist mir gut ist. Und ist auch nur um den Leib zu thun: die Seele ist dein und gehört dir zu, und bleibt auch bei dir ewig, Amen. Gott helfe mir, Amen.“

Und dieser Gott war mit ihm, und gab ihm Muth, der Wahrheit getreu zu bleiben, und vor Kaiser und Reich ein Bekenntniß abzulegen, das Heldenthaten aufwiegt, „es sey denn, daß ich durch Zeugnisse der heiligen Schrift überführt, oder auf eine einleuchtende Weise durch die von mir angeführten Schriftstellen überwunden bin, und mein Gewissen im Worte Gottes gefangen ist; so will ich weder noch kann ich etwas widerrufen. Hier stehe ich, ich kann nichts andres; Gott helfe mir! Amen!“ Dennoch war er offen genug, in einem Schreiben an Hartmuth von Cronberg, Febr. 1522, zu bekennen: „Das seine Spiel, das der Satan zu Wittenberg angericht (die Bilderstürmer), ist auch mir zur Strafe geschehen, darum, daß ich zu Worms, guten Freunden zu Dienst, auf daß ich nicht zu steifsinnig gesehen würde, meinen Geist dämpfte, und nicht harter und strenger meine Bekenntniß vor den Tyrannen thät; weßhalben ich nach der Zeit öfters von den Treu- und Gottlosen böse Nachreden habe erdulden müssen. Mich hat meine, dieselbe Demuth und Ehrerbietung vielmal gereuet.“ Doch fühlte er mit Schmerz, wie das deutsche Volk sich herabwürdigte, indem es dem Papst zu gefallen, die evangelische Wahrheit und Freiheit von sich stieß. Luther selbst, darauf in die Acht erklärt, ward von dem Churfürsten Friedrich dem Weisen, welcher ihn in Worms zum ersten und einzigen Male gesehen hatte, nach der Wartburg in ein sicheres Asyl gebracht. Hier, in seinem Pathmos, begann er das Werk der Bibelübersetzung, das mit Gott angefangen, mit treuem unermüdlichem Fleiße fortgesetzt im J. 1534 vollendet wurde. Diese deutsche Bibel ist durchweht von göttlichem Geiste, weil Luther selbst den Bibelgeist ganz in sich aufgenommen hatte, und hat eine Kraft gleich dem Original selbst. Doch fühlte sich Luther im März 1522 gedrungen, zur Rettung der Gemeinde vor fanatischen Störungen nach Wittenberg zurückzueilen, wenn auch ohne, ja wider den Willen des Churfürsten. Er theilte dessen Besorgnisse nicht und schrieb kühn an ihn: „Ich komme gen Wittenberg in gar viel einem höhern Schutz, denn des Churfürsten. Ich habe auch nicht im Sinne, von Ew. Churf. Gn. Schutz zu begehren. Ja ich halte, ich wolle Ew. rc. mehr schützen, denn sie mich schützen könnte. Dazu wenn ich wüßte, daß mich Ew. rc. könnte und wollte schützen, so wollte ich nicht kommen. Diesen Sachen soll noch kann kein Schwerdt rathen oder helfen; Gott muß sie allein schaffen, ohne alles menschliche Sorgen und Zuthun. Darum wer am meisten gläubt, der wird hier am meisten schützen. Dieweil ich denn nun spüre, daß Ew. rc. noch gar schwach ist im Glauben, kann ich keinerleiwege Ew. rc. für den Mann ansehen, der mich schützen oder retten könnte.“ Mit Ernst und Liebe wußte Luther bald die unruhigen Bewegungen in Wittenberg zu dämpfen. Mit gleicher Kraft legte er zur Stillung des Bauernaufruhrs Zeugniß ab von der Pflicht des Christen, der Obrigkeit unterthan zu sein, und gegen den Frevel der Empörung: drang auf Stiftung von Schulen, förderte die Kirchenvisitation, und gab Lehrern und dem Volke den Katechismus, dieses Kleinod, das den lautern evangelischen Glauben in ebenso frischer Glaubenszuversicht als kindlicher Herzinnigkeit ausspricht. Warum er sich 1525 in den Ehestand begab, bezeugte er selbst: „Ich habe nicht darum ein Weib genommen, als gedächte ich lange zu leben, sondern daß ich meine Lehre mit meinem eignen Exempel bestätigt, den schwachen Gewissen zum Trost hinter mir ließe: und nichts von meinem vorigen papistischen Leben an mir behielte.“ Er thats auch auf Begehren seines Vaters, und erkannte klar die Heiligkeit des Ehestandes; auch kam ihm die Katharina von Bora mit ihrer Liebe entgegen. Während des Reichstags in Augsburg 1530 war er in Coburg, und half durch Rath und Trost, besonders dem verzagten Melanchthon, und durch eine kräftige Fürbitte, wie einst Moses durch seine ausgebreiteten Arme. Die spätern Jahre seines Lebens gingen unter Arbeiten und Kämpfen, auch unter Kümmernissen, wie er deshalb 1545 Wittenberg verließ, und an seine zurückgelassene Ehegattin schrieb: „Ich wollt es gern so machen, Haß ich nicht dürfte wieder nach Wittenberg kommen. Mein Herz ist erkaltet, daß ich nicht gern mehr da bin, wollt auch, daß du verkauftest Garten und Huf, Haus und Hof. Nach meinem Tode werden dich die vier Elemente zu Wittenberg doch nicht wohl leiden, darum wäre es besser bei meinem Leben gethan, was denn zu thun seyn will.“ Jedoch ward er bewogen, wieder zurückzukehren. Aber sein Lebensziel nahte. Im J. 1546 reiste er, auf Verlangen der Grafen von Mansfeld, nachdem er noch den 17. Jan. am zweiten Sonntag nach Epiphanias in Wittenberg gepredigt, und die Gemeinde mit Vorahnungen seines Endes zur Treue im Glauben ermahnt und vor Abfall gewarnt, am 23. Jan. nach Eisleben ab. „Wenn ich meine lieben Landesherren, die Grafen zu Mansfeld vertragen habe, hie zu Eisleben, so will ich heimziehen, und mich in meinen Sarg legen, und den Würmern meinen Leib zu essen geben.“ Er predigte in Eisleben noch viermal, den 31. Jan. 4. Epiph., den 2. Febr. Maria Reinigung, den 7. Febr. 5. Epiph. und den 12. Febr. am Tage Matthiä. Er hatte oft erfleht, und bestimmt gehofft: „ich habe mit großem Ernst Gott gebeten und bitte noch täglich, er wolle der Feinde Rath steuern und keinen Krieg in Deutschland kommen lassen bei meinem Leben; und bin gewiß, daß Gott solch mein Gebet fürwahr erhört; und weiß, daß, weil ich lebe, kein Krieg in Deutschland seyn wird.“ Es wurde ihm gewährt, und ging an ihm in Erfüllung: „Die Gerechten werden weggerafft vor dem Unglück,“ Jes. 57, 1. Am 17. Febr. erkrankte er, und fühlte seine nahe Auflösung. Er betete: „O mein Vater, ein Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen lieben Sohn, Jesum Christum offenbart hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt habe, den ich geliebt und gelobt habe, welchen der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern. Ich bitte dich, mein Herr Jesu Christe, laß dir mein Seelchen befohlen seyn. O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib verlassen und aus diesem Leben hinweggerissen werden muß, so weiß ich doch gewiß, daß ich bei dir ewig bleiben, und aus deiner Hand mich Niemand reißen kann.“ Weiter fuhr er fort: Also hat Gott die Welt geliebt rc. wir haben einen Gott, der da hilft und den Herrn Herrn, der vom Tode errettet, Ps. 68, 21. – Darauf setzte er dreimal hinzu: In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Herr du treuer Gott, Ps. 31, 6. Und als ihm Justus Jonas zurief: Wollt ihr auf Christum und die Lehre, die ihr beständig gepredigt, beständig sterben? antwortete er deutlich Ja: bald darauf entschlief er, am Morgen des 18. Febr. Meine Seele müsse sterben des Todes dieses Gerechten, und mein Ende werde wie dieses Ende!

Wagen wir einen Blick in das Innere dieses Gottesmannes zu thun. Der Grundzug seines Charakters war Wahrheit, Treue, Glaube. Er war eine Nathanaelsseele, frei von Falschheit, von Heuchelei und Zweizüngelei; sein Herz lag offen vor Allen da, seine Sprache ist der volle Ausdruck seiner Seele: wer nur einigen Zinn hat für Einfalt und Treue, muß aus allen seinen Reden diesen Eindruck bekommen. Wenn Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit ein Zug im Charakter des deutschen Volkes seyn soll: welcher deutsche Mann hat darin Luther übertroffen? Es war aber sein deutsches Wesen ganz verschmolzen mit seinen, christlichen: er war treu und herzinnig in seinem Glauben. Seinem wahren Gemüthe drang sich die Wahrheit des Wortes Gottes, vor allem die Wahrheit Jesu Christi, die heilige Klarheit in dessen Bilde mit unwiderstehlicher Kraft auf. Dieß Glauben war ihm zur Natur geworden: es war die Quelle seines ganzen Denkens und Lebens. In der Schrift, in Christo irgend eine Unwahrheit, eine Täuschung zu finden, wäre ihm der entsetzlichste Greuel gewesen, gegen den sich seine ganze Natur empört hätte. Daher sein festes unbewegliches Stehen auf dem Worte Gottes, als auf dem ewigen Felsen. Und in diesem Worte war ihm der Mittelpunkt die Versöhnung des Sünders durch Christum, die Vergebung der Sünden, die Rechtfertigung vor Gott durch den Glauben ohne Verdienst der Werke. Dieser Glaube war ihm ein kräftiges lebendiges Ding, ja die Quelle alles Lebens und aller Kraft; und die Verdächtigung dieses Glaubens nimmt sich seltsam aus, wenn man dagegen hält, was dieser Glaube in Luthern und durch ihn wirkte. Nie hat er die guten Werke bestritten, sondern nur den Stolz, den Dünkel, die Selbstbespiegelung dabei. Dieser Glaube ging hervor aus tiefer gründlicher Erkenntniß der Sündigkeit und Ohnmacht des Menschen. „Gottes Natur ist, daß er aus nichts etwas macht. Darum wer noch nicht nichts ist, aus dem kann Gott auch nichts machen. Die Menschen aber machen alles was etwas: das ist aber lauter unnütz Werk. Darum nimmt Gott nicht auf, denn die Verlassenen; macht nicht gesund, denn die Kranken; macht nicht sehend, denn die Blinden; macht nicht lebendig, denn die Todten; macht nicht fromm, denn die Sünder; macht nicht weise, denn die Unweisen.“ Darum war es der Glaube, der ihm seine Kraft und Haltung gab. Aus dem Glauben ging sein ganzes Werk und das Bewußtsein seines göttlichen Berufs hervor. „Zu einem guten Werk gehört ein gewisser göttlicher Beruf, und nicht eigne Andacht, welches man heißt eigne Anschläge.“ Nichts ist gewisser, als daß er die Reformation nicht aus eignem Einfall unternahm. „Ich bin unversehens und ohne all mein Gedanken und Willen in diesen Zank und Hader kommen, daß ich Gott selbst zum Zeugen anrufe.“ Und wenn man von der Lauterkeit irgend eines Werkes Gewißheit haben kann, so hat man sie bei Luther. Wer so wenig aus seinem Namen gemacht wissen, so wenig „als Oberhaupt“ gelten will; wer da erklärt: „meine Person taste an, wer da will und wie er will, ich gebe mich für keinen Engel aus; aber meine Lehre, dieweil ich weiß, daß sie nicht mein, sondern Gottes ist, will ich Niemanden unverantwortet lassen antasten;“ ja wer frei bezeugt: „ich kenne selbst nicht den Luther, will ihn auch nicht kennen, ich predige auch nicht von ihm, sondern von Christo; der Teufel mag ihn hohlen, wenn er kann, er lasse aber Christum mit Frieden;“ wer so seine Persönlichkeit, sein Ich vergißt, für dessen Lauterkeit und Redlichkeit haben wir die vollste Bürgschaft.

Aus diesem Glauben und der Zuversicht seines göttlichen Berufs ging aber auch der Heldenmuth Luthers hervor. Sein Werk führte ihn in die schwersten Kämpfe. Er redet seine Feinde an: „Wohlan alle zusammen, wie ihr zusammen seyd und zusammengehört, Teufel, Papisten und Schwärmer auf Einem Haufen, nur frisch an den Luther, ihr Papisten von vorne her, ihr Schwärmer von hinten zu, ihr Teufel von allen Enden dran. Hetzt, jagt, treibet getrost, ihr habt das rechte Wild vor euch. Wenn der Luther liegt, so seyd ihr genesen und gewonnen. Ich sehe doch wohl, daß alles verloren ist, es hilft kein Schelten, kein Lehren, kein Vermahnen, kein Dräuen, kein Verheißen, kein Bitten, kein Flehen, keine Geduld, keine Demuth, kein Heucheln, kein Locken, wie ichs versuche, wende und kehre, so gilts nicht.“ Das war ihm eben ein gutes Zeichen: „Wenn sich die Welt nicht an mir ärgerte, so müßte ich mich an ihr ärgern, und in Sorgen stehen, daß was ich vorhabe, nicht aus Gott wäre. Nun sie sich an mir ärgert, werde ich dadurch gestärkt, getröstet und gewiß gemacht, daß mein Vornehmen recht und göttlich ist.“ Ja er hatte auch mit innern Anfechtungen zu kämpfen, und ahndete als erleuchteter Christ, dem die Macht des Fürsten der Finsterniß keine Dichtung ist, daß dieser sich seiner Werkzeuge wider ihn bediente, und feurige Pfeile des Bösewichts in seine Seele schleuderte. Er bekennt: „O wollte Gott! und aber wollte Gott, daß meine Feinde nur Eine Viertelstunde meines Herzens Jammer erfahren könnten, wie sicher wollte ich von ihnen sagen, daß sie wohl bekehrt und geheilet würden. Doch genug hiervon, daß ich nicht wider Gottes Ruthe ungeduldig werde, welche schläget und heilet, tödtet und lebendig macht. Gelobet sey er in seinem heiligen Wohlgefallen und vollkommnen Willen. Es kann nicht fehlen, daß wen die Welt und ihr Fürst so hasset, derselbe Christo gefallen müsse. Wären wir von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb.“ – Aber er schmeckte auch ebenso reichlich den Trost des heiligen Geistes. „Was liegt mir daran, wenn mich die Welt einen Teufel heißt, wenn ich weiß, daß Gott mich seinen Engel heißt? Die Welt heiße mich einen Verführer, wie lange sie will, indeß heißt mich Gott seinen treuen Diener und Hausknecht, die Engel heißen mich ihren Gesellen, die Heiligen heißen mich ihren Bruder, die Gläubigen heißen mich ihren Vater, die elenden Seelen heißen mich ihren Heiland, die Unwissenden heißen mich ihr Licht, und Gott spricht Ja dazu, es sey also, die Engel auch sammt allen Creaturen; ey, was hat die Welt an mir gewonnen? wie großen Schaden hat sie mir gethan?“ Das waren heitere Sonnenblicke in dem innern Leben Luthers, die den tiefen Grund seines Herzens, die Gewißheit seines Gnadenstandes aufdecken. Daher der kühne Muth, der ihn sagen ließ: „Ich will in Gottes Namen und Beruf auf den Löwen und Ottern gehen und die jungen Löwen und Drachen mit Füßen treten, und das soll bei meinem Leben angefangen und nach meinem Tode ausgerichtet sehn,“ der Muth, dessen ganze Fülle sich in sein Heldenlied ergossen hat: Eine feste Burg ist unser Gott.

Wäre es ein Wunder gewesen, wenn dieser Muth zum Uebermuth verleitet hätte? Luther ist noch größer in seiner kindlichen Einfalt und Demuth. Zwar hatte er nicht die falsche Demuth, die die Gaben, die ihm verliehen waren, verleugnen wollte. Aber die wahre Demuth und Einfalt leuchtet klar aus ihm hervor. Nie hat er sich göttlicher Eingebungen gerühmt, aus dem Worte schöpfte er allein: er hielt sich nicht für befugt, an andern Orten zu predigen, wo er nicht ausdrücklich dazu gerufen wurde. Er war fast wider seinen Willen genöthigt worden, viel zu schreiben; und welch ein Schatz von christlicher Wahrheit ist in seinen Schriften niedergelegt, und doch wünschte er, daß alle seine Bücher möchten untergehen, wenn sie irgend etwa dem Lesen der heil. Schrift Abbruch thun sollten, er urtheilt, es sei nicht neutestamentisch, viel Bücher schreiben, wie denn auch die Apostel wenig geschrieben, und ehe sie schrieben, die Leute zuvor mit leiblicher Stimme beprediget und bekehrt hätten: ja „er wollte, wenn er Einem Laien sein Lebenlang mit all seinem Vermögen zu der Besserung gedient, sich gnügen lassen, Gott danken und gar willig darnach lassen alle seine Bücher umkommen.“ Wie leutselig und freundlich er gegen Jedermann gewesen, bezeugen Alle, die ihn kannten. Ja er thut das merkwürdige Bekenntniß: „ich werde täglich nicht allein von meinen Beiwohnern, sondern auch aus vielen Landen schriftlich verwarnt; ich soll mich nicht so gemein jedermann machen, und schelten meinen allzu niedergelassenen Geist: ich habe mir auch oft vorgenommen, ich wollte der Welt zu Dienst mich etwas ernstlicher und heiliger, (weiß nicht, wie ichs nennen soll) stellen, aber Gott hat mir, solches zu thun, nicht gegeben.“ Das Wort des Herrn: es sey denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen, war bei ihm Wahrheit geworden: er war und blieb eine kindliche Seele; er ermahnte einst die Gemeine: „Schäme sich Keiner des Vater Unsers, der zehn Gebote und des Glaubens. Lasset uns bei den Kindern bleiben, so werden wir gewiß nicht verloren. Da helfe uns Gott zu! Amen.“

Konnte einer solchen Seele die Liebe fehlen? Er hat sie bewiesen in seinem Leben. Die Reformation war nicht bloß ein Werk des Glaubens, sie war auch ein Werk der Liebe. Aus Liebe zu dem armen irregeführten Christenvolke unterzog er sich seinem schweren Berufe: er fühlte etwas von dem Jammer, den Christus über die verschmachtete und zerstreute Heerde empfand. Er diente gern Allen, theilte mit, obgleich selbst nicht reich, er liebte seine Freunde, er liebte sein Weib und seine Kinder. Zeuge ist der liebliche Brief, den er von Coburg an seinen kleinen Johannes schrieb. Diejenigen, die ihm die zarten Tugenden der Liebe abgesprochen haben, möchten nur hören, was er schreibt über das Wort Liebe, „wer deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich sein Wort das ist, die liebe Maria, der liebe Gott, der liebe Fürst, der liebe Mann, das liebe Kind; und ich weiß nicht, ob man das Wort „Liebe“ auch so herzlich und genugsam in lateinischer oder andrer Sprache reden möchte, daß es also dränge und klänge in das Herz, durch alle Sinne, wie es thut in unsrer Sprache.“ – Wer so fühlt, der weiß, was Liebe ist.

Aber die Heftigkeit seiner Sprache gegen seine Feinde? die Unnachgiebigkeit gegen Andersdenkende? was hätte denn eine Milde, eine Glimpflichkeit, eine Aengstlichkeit, wie die des Melanchthon, gegen den Feind ausgerichtet? Das Papstthier konnte nur mit einer Keule, wie Luther sie führte, geschlagen werden. Erasmus selbst gesteht: „Gott habe der Welt zu dieser letzten Zeit, darinnen große und schwere Seuchen und Gebrechen überhand genommen, auch einen harten und scharfen Arzt gegeben.“ Seinen Glauben hielt er fest, weil es ihm Gewissenssache war. Er schrieb an Capito: „Meine Liebe ist bereit für euch zu sterben: wer aber den Glauben rühret, der tastet unsern Augapfel an. Zu unsrer Liebe versehet euch alles, was ihr wollet: unsern Glauben aber fürchtet in allen Dingen,“ und an Bucer: „Ihr werdet es nicht meiner Hartnäckigkeit, sondern meinem wahrhaften Gewissen und der Nothwendigkeit meines Glaubens zuschreiben, wo ihr anders rechtschaffen handeln wollt, daß ich diese Eintracht verweigre.“ Und 1538 schrieb er: „So sehr unsre Gegner auf die Einigkeit des Lebens dringen, so sehr dringen wir auf die Einigkeit der Lehre und des Glaubens. Wenn sie uns dieselbe unverletzt bleiben lassen, wollen wir dann die Einigkeit der Liebe ja so hoch preisen als sie: doch allezeit ohne Schaden der Einigkeit des Glaubens und Geistes. Denn wenn du die verlierst, so hast du Christum verloren. Wenn aber der dahin ist, so wird dir freilich der Liebe Einigkeit nichts nütze seyn. Dagegen wenn du die Einigkeit des Geistes und Christum erhältst, schadet dir’s nicht, ob du gleich mit denen nicht Eins bist, so das Wort verkehren und verfälschen, und dadurch die Einigkeit des Geistes zertrennen. Darum will ich lieber, daß nicht allein sie, sondern auch die ganze Welt von mir abfalle, und meine Feinde werden, denn daß ich von Christo abfallen, und ihn zum Feinde haben sollte; welches aber dann geschähe, wenn ich sein klar öffentlich Wort fahren ließe, und hienge ihren losen Träumen an, dadurch sie die Worte Christi auf ihre Meinung zwingen wollen. Mir ist der einige Christus viel größer und mehr, denn unzählig viel Einigkeiten der Liebe.“

So ist Luther ein auserkorenes Werkzeug Gottes geworden dergleichen seit der Apostel Zeit die christliche Kirche keines gesehen; ein andrer Paulus. Er war der Hauptstreiter und Vorkämpfer gegen die Macht, die die Christenheit gefangen hielt, auf den sie daher auch ihren ganzen Haß warf. Er war der Wiederhersteller der reinevangelischen Lehre, deren Quelle er allem Volke in der Bibel eröffnete, und seine deutsche Bibel wurde auch für die katholische Kirche nicht bloß Anlaß, sondern auch Quelle der Uebersetzung. Er wurde der Apostel des deutschen Volkes. Er rühmt dasselbe: „Uns Deutsche hat keine Tugend so hoch gerühmt, und wie ich glaube bisher so hoch erhoben und erhalten, als daß man uns für treue wahrhafte und beständige Leute gehalten hat, die da haben Ja ja, Nein nein lassen seyn. Wir haben noch ein Fünklein (Gott wolle es erhalten und aufblasen) von derselben alten Tugend, nehmlich, daß wir uns dennoch ein wenig schämen und nicht gern Lügner heißen, obwol die Welsche und Griechische Unart einreißt.“ Er nennt darum die Deutschen fast aller Nationen Affen; sagt: „Wir Deutsche sind solche Gesellen: was neu ist, da fallen wir drauf und hangen dran, wie die‘ Narren, und wer uns wehret, der macht uns nur noch toller darauf.“ Hatte doch schon 500 Jahre vor Luther der Abt Siegfried von Görz in einem Schreiben an den Klosterreformator Poppo über die deutsche Nachäfferei der Franzosen Klage geführt. Aber welcher Mann sollte das deutsche Volk so von dieser Thorheit zurückbringen, als Luther, in dem sich die reine deutsche Natur ausgeprägt? Dem deutschen Volke hat Luther die Quelle des Wortes aufgeschlossen und dem deutschen Volke das Evangelium in gewaltiger Predigt verkündigt: in die deutschen Herzen hat er die himmlische Wahrheit in Liedern hineingesungen; die Musik war ihm eine heilige Kunst, die andre Theologie; und wie er einmal die Saite angeschlagen, da klang es nach in tausend Liedern. Welche Kirche hat einen solchen Schatz von heiligen Gesängen, wie die von Luther gestiftete? sie ist die gesangreiche geworden. O wenn auf Luthers Wort wieder gehört würde, wenn deutscher Sinn und christlicher Geist so in unserm Volke verschmolzen würde, wie es in Luther war, es würde eine Wiedergeburt Deutschlands werden: wenn aber sein Wort verhallte, dann würde auch Deutschlands Ruhm dahin sinken. O daß das deutsche Volk wieder lernte, was Gott in Luther ihm gegeben hat!

  1. Heubner in Wittenberg