Heinrich Müller - Portrait

Heinrich Müller

Heinrich Müller.

Auf dem dunklen Grunde des nationalen Elends, der sittlichen Verwilderung, der Zerrüttung des christlichen Gemeinde- und Familienlebens, die im Gefolge des dreißigjährigen Krieges sich zeigten, hebt sich doppelt tröstlich und versöhnend das Lichtbild der Arbeit ab, welche die lutherische Kirche während des 17. Jahrhunderts insbesondere auf dem Gebiete der Predigt und Seelsorge an dem armen geschlagenen und zertretenen Volke Deutschlands getan hat. Man ist gewöhnt, das 17. Jahrhundert, welches die Aufgabe hatte, das von der Reformation erzeugte Leben evangelischer Erkenntnis zum festen dogmatischen Ausdruck zu bringen, als das Zeitalter der toten Orthodoxie, der unfruchtbaren theologischen Scholastik und Polemik zu kennzeichnen und auf die doktrinäre Richtung der Predigten jener Zeit geringschätzig herab zu blicken; und in der Tat hat Valentin Andreä, der damals eine Rose unter Dornen blühte, recht, wenn er von der großen Menge jener zeitgenössischen Prediger sagt: „Sie wollen lieber die Dreieinigkeit definieren, als anbeten, die Gegenwart Christi beweisen, als verehren, die Reue und Buße beschreiben, als in sich fühlen, die Verdienstlichkeit der Werke widerlegen, als ein gutes Werk tun und lieber die heiligen Wissenschaften treiben, als mit der Praxis der christlichen Liebe sich beschäftigen.“1Veri Christianismi solidaque philosophiae libertas Argentora 1618 pag. 99. – Und doch bildete sich schon damals, geweckt und gefördert durch den Geist der Calixtinischen Schule, ein entschiedener Gegensatz gegen den trocknen Scholastizismus in der Predigt aus. Es ging eine tiefe Sehnsucht nach Geist und Leben, nach Saft und Kraft, nach einer gesunden lebenskräftigen Praxis in der Predigt durch das Jahrhundert, und nicht nur die Vertreter des damals wild wuchernden theosophischen Mystizismus eines Weigel, Schwenkfeld, Jakob Böhme, sondern auch die geisterfüllten Zeugen der lutherischen Kirche: ein Johann Arndt, Philipp Nicolai, Johann Gerhard, Christian Scriver kamen dem lebendigen Heilsverlangen erweckter Christen entgegen, führten das Volk zur Quelle evangelischer Heilserkenntnis in der Schrift und bezeugten in ihren Predigten, dass das Christentum nicht tote Doktrin, sondern Leben in der Gemeinschaft mit Christo und in seiner Nachfolge sei. Der Christus für uns sollte nach ihrem Zeugnis vor Allem der Christus in uns werden.

In der Reihe jener das 17. Jahrhundert mit dem lebendigen Zeugnis von Christo erfüllenden Prediger, welche nach Luthers Vorgang eine edle aus der Tiefe der heiligen Schrift und innersten Herzenserfahrung geschöpfte Mystik mit der Glaubenslehre der Kirche verbanden, finden wir auch den Mann, der durch seine reiche theologische Begabung sowie durch seinen innern und äußern Lebensgang insbesondere berufen war, die Wiedererneuerung des kirchlichen Lebens seiner Zeit mit herbeizuführen: Heinrich Müller aus Rostock.

Lassen wir zunächst die wichtigsten Züge und Momente aus seiner Lebensgeschichte an uns vorübergehen. Mitten unter den Drangsalen des 30 jährigen Krieges, da Wallenstein nach Vertreibung der Herzöge Adolf Friedrich und Albrecht von Mecklenburg sich der Stadt Rostock bemächtigt hatte, wurde Heinrich Müller am 18. Oktober 1631 in Lübeck geboren, wohin seine Eltern, Peter Müller, ein angesehener Kauf- und Handelsherr Rostocks, und Elisabeth geb. Stubben, für kurze Zeit sich geflüchtet hatten. Unter den günstigsten Verhältnissen konnten die bald darauf in ihre Heimat zurückgekehrten Eltern sich der Erziehung ihres Sohnes, den ihr frommer Sinn frühzeitig zum Dienste der Kirche (der Vater war selbst Vorsteher der Kirche zu St. Marien) bestimmt hatte, widmen. Wahrhaft bewundernswert war die rasche geistige und geistliche Entwicklung des körperlich schwachen Knaben, der nach Beendigung der klassischen Studien, lateinischer und griechischer Sprache, in denen er sich eine gründliche Kenntnis erworben, bereits im dreizehnten Lebensjahre die Universität Rostock beziehen konnte. Hier ward der fromme und gelehrte Joachim Lütkemann, ein ebenso scharfsinniger Denker als christlicher Theologe, der zu sagen pflegte: „Ich will lieber eine Seele selig, als hundert gelehrt machen,“ sein Lehrer in der Philosophie, aber zugleich sein Führer zur Gottseligkeit und Erzieher zu einem lebendigen Herzenschristentum. Auf Anraten eines väterlichen Freundes Johannes Quistorp widmete er sich hierauf dem theologischen Studium auf der Universität Greifswalde und erwarb, 1650 nach Rostock zurückgekehrt, im Alter von noch nicht zwanzig Jahren auf seiner heimatlichen Universität die Magisterwürde. Nach damaliger Sitte unternahm er zunächst eine wissenschaftliche Reise, um die Zustände auswärtiger Universitäten, insbesondere aber hervorragende Theologen seiner Zeit und ihre theologische Richtung kennen zu lernen. Sein Weg führte ihn über Danzig und Königsberg nach Helmstedt, Leipzig, Wittenberg und Braunschweig. Männer wie Georg Calixtus, Carpzov, Calov und Meißner zogen ihn vor Allen dahin. In Leipzig trat er insbesondere zu Carpzov, von dessen milderer auch das praktische Christentum betonender Richtung er sich sympathisch berührt fühlte, in ein innigeres Verhältnis und war sein täglicher Tischgenosse. Bald aber von seinen Eltern nach Rostock zurückgerufen, widmete er sich mit rastlosem Eifer der akademischen Tätigkeit, hielt philosophische und theologische Vorlesungen und gewann durch die Ursprünglichkeit, Frische und Tiefe seiner aus der heiligen Schrift geschöpften Predigten in dem Maße die Herzen der Gemeindeglieder, dass er ungeachtet seiner Jugend, kaum 21 Jahre alt, zu dem Archidiakonate an St. Marien gewählt wurde. Nur mit innerem Zagen übernahm er das heilige Amt. „Ich erinnere mich wohl,“ schreibt er selbst, „dass, da ich im 20. Jahre meines Alters das hochheilige Amt antrat, das ich jetzt in der Kraft des Herrn bediene, mir zu allen Füßen kalt war; denn ich noch unerfahren war und in göttlichen Dingen ungeübte Sinne hatte, wenig Muts, die Gottlosen getrost zu strafen. Was sollte ich tun? Vor meinem Gott kniete ich in meinem Kämmerlein und sprach mit Jeremia: Ach Herr, Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der Herr aber sprach zu mir: Sage nicht, ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende und predigen, was ich dich heiße. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.“

Im Jahre 1653 ernannte ihn die Universität Helmstedt zum Doktor der Theologie; später wurde er zum Professor der griechischen Sprache und 1662 zum ordentlichen Professor der Theologie in Rostock ernannt. Gleichzeitig wurde ihm das Pfarramt zu St. Marien übertragen. Mit welcher Hingebung und Treue er sein Predigt- und Seelsorgeramt verwaltete, davon gab die Liebe und das Vertrauen seiner Gemeinde ein helles Zeugnis. Keine noch so glänzenden Berufungen, die aus der Nähe und Ferne an ihn ergingen, konnten ihn von seinem Amt und der Gemeinde wieder trennen. Als von Hamburg aus ein Ruf an ihn erging, sagt er in seinem Antwortschreiben: „Ich habe in meiner Vaterstadt eine gute Gemeinde, die mich wie einen Engel Gottes wert hält, das Wort des Herrn, durch mich gepredigt, zur Erbauung annimmt und mich mit Wohltaten überschüttet. Was könnte mich bewegen, dieselbe zu verlassen. Reichtum habe ich nie gesucht, lass mir an meinem Groschen, an Nahrung und Kleidung sehr gern genügen; daran fehlt mir’s, Gott Lob, nicht. Auch suche ich keine größere Gemeinde; ich habe an der meinigen von etlichen Tausenden genug zu tun, es ist nicht damit abgetan, dass man eine lauliche Predigt hält und dann spricht: Dixi et salvavi animam meam2Ich sprach und habe meine Seele gerettet. Nein, fürwahr es gehört mehr zur treuen Haushaltung. Für eine jede Seele wird man Rechenschaft geben müssen, und wird einst heißen: Deine für seine Seele, wo man nicht bestehen kann.“ Er selbst war der Gemeinde ein leuchtendes Vorbild in der Übung christlicher Liebe und Barmherzigkeit, ein Freund und Wohltäter der Armen, unter die er oft nach dem Beichtsitzen die Beichtpfennige verteilte, ein Beschützer der Witwen, ein Vater der Waisen, seine Gemeinde, und vor Allem die Schwachen und Kranken auf betendem Herzen tragend, unermüdet in der Sorge für das Heil der ihm befohlenen Seelen, so dass sein Amtsbruder Barclay in der Gedächtnispredigt über seinem Sarge der Gemeinde zurufen konnte: „Was hat ihn so frühzeitig unter die Erde gebracht? Seine gar zu große Sorgfalt für eure Seelengesundheit; zu Tode hat er sich studiert und meditiert.“

Im Jahre 1671 wurde er vom Rat und der Geistlichkeit einstimmig zum Stadt-Superintendenten gewählt; bei seiner Einführung standen ihm die Tränen der Demut und Rührung im Auge, so dass der herzogliche Superintendent Sommerfeld, der ihn einführte, ausrief: „Was sehe ich? Tränen bei Ehren; das will ich merken.“

Obwohl fest im Zentrum der lutherischen Lehre stehend, drang Heinrich Müller in seinen Predigten vor Allem auf die Erneuerung des inwendigen Menschen, auf rechtschaffene Früchte der Buße und ein praktisches tätiges Christentum. „Wir heilen Babel“, schrieb er mit den Worten des Jeremias3Diese Worte: Jeremias 51,9 wählte er selbst auch zu seinem Leichentexte. 1675 an den gottseligen D. Spener; „ach, dass sie sich nur wollte heilen lassen.“ Mit dem Schwerte des Geistes eiferte er gegen alles Heuchel- und Scheinchristentum, gegen eine tote Rechtgläubigkeit, die in äußerem Gottesdienste den Schein eines gottseligen Wesens an sich trägt, aber seine Kraft verleugnet. In einer Predigt über die Epistel am 10. Sonntag nach Trinitatis (1. Kor. 12,1-12) eifert er „wider die vier stummen Kirchengötzen, denen die Christenheit nachgeht“, und zwar in einer nur den böswilligen Gegnern missverständlichen Weise; denn er selbst erläutert seine Worte: „sie tröstet sich ihres äußerlichen Christentums, dass sie getauft ist, Gottes Wort hört, zur Beichte geht, das Abendmahl empfängt, aber die innere Kraft des Christentums verleugnet sie; sie verleugnet die Kraft der Taufe, weil sie nicht im neuen, sondern im alten Menschen wandelt, da doch die Taufe ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung ist; sie verleugnet die Kraft des göttlichen Wortes, weil sie das Wort Gottes widerlegt mit ihrem gottlosen Leben und macht’s zu Lügen; sie verleugnet die Kraft der Absolution, weil sie unverändert bleibt in ihrem Wesen nach wie vor; sie verleugnet die Kraft des heiligen Abendmahls, weil sie nicht lebt in Christo, mit welchem sie vereinigt ist, sondern wandelt nach den Lüsten ihres Fleisches und ergießt sich in allen Sünden. Wie stimmt Christus und Belial zusammen? Dies Alles ist Abgötterei. Denn Gott ist ein Geist und will, dass wir ihm im Geist und in der Wahrheit dienen. Was findest du denn bei der heutigen Christenheit anders als lauter heidnische Gräuel?“ Schon beim Anhören der Predigt hatten Viele an den obigen Ausführungen Müllers Anstoß genommen. Andere verdächtigten ihn auf Grund derselben der wiedertäuferischen Gesinnung; auch von auswärts wurden Schmähungen wider ihn laut. Ja, als man bald darauf ihn für die Katharinengemeinde zu Hamburg zu gewinnen suchte, erhob der dortige Pastor zu St. Petri, Johannes Müller, wider ihn die Anschuldigung irriger Lehre unter Bezugnahme darauf, dass er den „Taufstein, den Predigtstuhl, den Beichtstuhl und den Altar“ die vier stummen Kirchengötzen der heutigen Christenheit genannt habe. –

In den bald darauf von Heinrich Müller herausgegebenen: Geistlichen Erquickstunden, einem wahrhaft klassischen Erbauungsbuche für alle Zeiten, voll köstlicher, geistvoller, kernhafter Sentenzen aus der Tiefe der Schrift, der innersten Erfahrung, der Betrachtung der Welt geschöpft, und den daran gefügten: „Theologischen Bedenken von der Abgötterei der heutigen Maul-Christen und brüderlichen Bestrafung“ widerlegt er jene falschen Beschuldigungen und getröstet sich des Trostes, dass er um Christi Willen (Matth. 5,11) geschmäht würde und mit Paulo sprechen könne: „Mir ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde“ (1. Kor. 3). Nichtsdestoweniger fühlte er sich veranlasst, von ihm befreundeten verständigen und gottseligen Theologen ein Urteil darüber einzuholen, ob seine Worte schriftgemäße göttliche Wahrheit seien oder nicht. Die ihm gegebenen Gutachten zeugten übereinstimmend zu seinen Gunsten, u. a. schrieb Dr. Gossmann, Superintendent in Stralsund: „Von Herzen freue ich mich, dass die güldene apostolische Schlusskette, ein Buch, das ich hochhalte und liebe, ebenso wenig vorm Satan soll Frieden haben, als der Heiland selbst“ und schloss mit den Worten: Ich bitte meinen allerwertesten herzlich geliebten Bruder sich doch an solche Teufelspossen nicht zu kehren. Ride et vicisti4Lache, und Du hast gewonnen; Gott Lob ein Andrer kennt noch, was schwarz ist und was weiß.5Weiter heißt es: „Was gedruckt ist, soll gedruckt bleiben, so lange als das falsche Christentum von der Kraft Gottes nicht mehr versteht, als Kalk und Stein. – Von Herzen freue ich mich, dass die güldene Apostolische Schlusskette, ein Buch, so ich hoch halte und aus dem Grund liebe, eben so wenig vom Satan soll Fried haben, als der Heiland selbst.

So ließ sich Heinrich Müller als ein treuer Hirt und Seelsorger durch keine böswilligen Anfeindungen zurückhalten, mit johanneischem Bußernst und Feuereifer das pharisäische Scheinchristentum mit seinen Sünden und Lastern zu strafen und im treuen Dienste der Gemeinde seine Kräfte zu verzehren.

Nur zu frühe wurde er seiner Familie (22 Jahre lang hatte er mit seiner Gattin Margarethe Elisabeth Siebrand aus Rostock, die ihm fünf Söhne und eine Tochter schenkte, in glücklicher friedlicher Ehe gelebt) und seiner ihm ans Herz gewachsenen Gemeinde entrissen. Schon im Jahre 1669 heftig erkrankt, erhob er sich noch einmal zu frischer Tätigkeit. „Wie will ich noch reden“, gelobte er damals mit Hiskia (Jes. 38,15). Sein Dankaltar und seine evangelische Schlusskette waren die Lobopfer, die er nach seiner Genesung dem Herrn darbrachte; da erkrankte er 1675 aufs Neue, um nicht wieder aufzustehen, an einer skorbutischen Auflösung aller seiner Säfte6heroica adfectio wird diese Krankheit in dem lateinischen Berichte seines Arztes genannt. Mit christlicher Geduld und Freudigkeit sah er dem Tode entgegen. Mit tiefer Demut und Andacht feierte er das heilige Abendmahl und sang mit schwacher Stimme verschiedene geistliche Lieder: „Herr Jesu Christ, wahrer Mensch und Gott, O Lamm Gottes unschuldig.“ „Liebe Kinder“, sprach er sodann zu den um sein Bett Versammelten “betet, betet, dass Gottes Wille an mir vollbracht werde; denn was mein Gott will, gescheh‘ allzeit: sein Will, der ist der beste.“ Von seiner geliebten Gattin, von seinen Kindern und von seinem Beichtvater (dem Archidiaconus Barklay) nahm er Abschied unter vielen Tränen und herzbewegenden Worten des väterlichen Segens und Ermahnung zum Glauben und zur Gottesfurcht: „Nicht ich“, sprach er, „sondern mein Elend und Jammer wird sterben. Ich weiß nicht, dass ich in meinem ganzen Leben einen recht fröhlichen Tag in dieser Welt gehabt habe; nach diesem Leben wird meine Herzensfreude erst recht angehen. Ungehindert von dem Leib des Todes werde ich vor dem Stuhle des Lammes mit größerer Kraft für meine Söhne, für euch, mein lieber Beichtvater, für alle meine Schäflein, sonderlich auch für meine Wohltäter beten. Darum seid auch Alle getrost. Ich weiß, dass ich gar bald, ohne einige Verstellung und Gebärden und Herzensangst aus diesem Leben abscheiden werde.“ Und so geschah es auch. An demselben Tage, dem 23. September 1675, ging er, noch nicht 44 Jahre alt, den Namen Jesu im Herzen und auf den Lippen, in sanftem Frieden still und selig heim. Der Tag seines Todes war ein allgemeiner Trauertag, „dass eine solche Säule der Kirche, ehrwürdig im Ministerio und Consistorio sowie in der Akademie so früh gefallen war“. Das Symbolum, das er sich nach 2. Kor. 6-10 selbst erwählt: „Allezeit fröhlich“ fand als der Ausdruck seiner Siegesgewissheit im Glauben seine rechte Bewährung in seinem Leben und Sterben.

Betrachten wir nun die Stellung Heinrich Müllers innerhalb der theologischen Entwicklung seiner Zeit, so kann er zwar als ein Vorläufer des Pietismus gelten, insofern er durch die sittlichen und kirchlichen Notstände seiner Zeit auf das Innerste ergriffen und bewegt, in seinen Predigten vor Allem auf eine Erneuerung des christlichen Lebens durch rechtschaffene Buße und lebendigen Glauben drang: aber doch wusste er, die Heilswahrheiten der Schrift und den ganzen Reichtum der lutherischen Lehre mit der ihm eignen Energie des Glaubens darzulegen und zu entfalten. Aus seinen Predigten spricht der tiefe Schmerz über das Verlorengehen so Vieler, die den Weg des Heils nicht finden, und das glühende Verlangen, die Sünder zu bekehren von dem Irrtum ihrer Wege. Dabei war ihm unter den Erfahrungen seiner Zeit eine Weltanschauung eigentümlich, die allerdings ihre Begründung in der Lehre der heiligen Schrift hat: nämlich der oft bis zum Widerspruch sich steigernde Gegensatz zwischen Gott und Welt. Gott ist der Heilige, die Welt ist sündhaft; Gott der Ewige, die Welt vergänglich; Gott der Selige, die Welt voll Jammer und Elend, das durch allen Trug und Schein weltlicher Ehrbarkeit und Glückseligkeit hindurchbricht; daher das Heimweh des Christen nach dem Himmel, und die Aufgabe des Christenlebens auf Erden, die Seligkeit in Christo zu schaffen mit Furcht und Zittern. Diese Anschauung tritt bei Heinrich Müller überall in den Vordergrund; er richtet Alles nach dem Worte der Wahrheit und betrachtet Alles vom Standpunkte der Ewigkeit (sub specie aeterni), daher auch sein mächtiges Zeugnis gegen alle eitle Weltlust und Weltseligkeit. Sein Kampf richtet sich insbesondere gegen alles Scheinchristentum der toten Werke, gegen den eitlen Götzendienst, den man auch in sogenannten kirchlichen Werken übt, sobald der Geist ernster Buße, die Wahrheit eines lebendigen Glaubens fehlt, der in Liebe tätig ist. Selbst ein rechter Beter und Streiter Gottes ruft er in allen Tonarten die Gläubigen auf zum Kampfe wider die Macht der Sünde, zur Wachsamkeit über sich selbst, zur Heiligung und zum Gebet. So gewinnen seine Predigten einen eminent praktischen Charakter; sie gehen darauf aus, die Lehre der Kirche sofort in das Leben zu übersetzen, in die Tat der Buße und des Glaubens an Christum. Wohl muss man auch aus seinen Predigten hier und da das Gold heraussuchen unter vielen Schlacken, wenn er der homiletischen Unsitte seiner Zeit einmal huldigend gelehrte theologische Exkurse (auch in lateinischen Zitaten) und Untersuchungen auf die Kanzel bringt (vgl. die oft 20-30 Folioseiten langen Festpredigten), aber seine besten Predigten und Reden sind frei von theologischer Schulweisheit; sie gehen vielmehr von dem Schriftwort, seinen Textgehalt und Gedankengang oft bis in das Einzelnste und Kleinste verfolgend und entfaltend, aus und mit schlagender Kürze auf das Leben der Gemeinde, die herrschenden Irrtümer, Übelstände und Missbräuche der Zeit ein.

Wollen wir einen Meister der populären Predigt suchen, in Heinrich Müller ist er uns gegeben. Wie selten Einer versteht er es, die tiefsten Saiten des menschlichen Herzens, wie sie im Volks- und Familienleben sich äußern, anzuschlagen und so den Weg zum Herzen und innern Leben seiner Hörer sich zu bahnen. Mit klarem Blick, mit tiefem Scharfsinn beobachtet er das Volk in seiner Denk- und Anschauungsweise, in seinen Reden und Sitten, und straft die Sünde nicht im Allgemeinen, sondern individualisierend auf alle Stände, Lebensalter, Geschlechter, in ihren konkreten Gestalten und Erscheinungen, ja er verfolgt sie bis in ihre äußersten Schlupfwinkel des Herzens und Lebens. Als er einst in Gegenwart einer fürstlichen Person hatte gelehrt predigen wollen, blieb er stecken. In der nächsten Predigt erklärte er: „Vor acht Tagen hat Doktor Müller predigen wollen; jetzt aber soll der heilige Geist predigen.“

Dabei ist er aber keineswegs exklusiv ein Bußprediger, sondern weiß mit der Lieblichkeit des Evangeliums, mit der herzandringenden Sprache mitleidender, erbarmender Liebe die Sünder zu locken und zu Christo einzuladen. Das Geheimnis der Macht seiner Predigt aber ruht in seiner von Christo ergriffenen und durchdrungenen Persönlichkeit; er selbst lebt so in der Schrift, dass sie sich überall lebensvoll ihm gestaltet; er predigt biblisch, ohne in seinen Predigten Bibelzitate zu häufen; denn Alles, was er predigt, ist aus den Tiefen der heiligen Schrift geschöpft; sein Leben in der biblischen Wahrheit lässt ihn auch frei und ungezwungen des Bibelwortes sich bedienen, bald verkürzt, bald unverkürzt, bald wörtlich nach Luther, öfter aber nach eigner Übersetzung.

Auch seine Themata sind leicht und ungezwungen dem als Text vorliegenden Schriftwort entnommen, er stellt darin den Grundgedanken des Textes, freilich oft in zu allgemeiner Fassung, hin, und verfolgt dann den Text Vers für Vers, Wort für Wort, nur hie und da Abschweifungen aus praktischen Rücksichten auf das Bedürfnis der Gemeinde sich gestattend. Ohne immer streng zu disponieren, hält er in der Ausführung der Grundgedanken eine logische Ordnung fest, die sich organisch gliedernd durch die ganze Predigt zieht. Dabei fehlt es freilich in der Ausführung an Wiederholungen nicht, die aber, getragen von der Beweglichkeit seines Geistes und der Frische seiner Darstellung, nur selten ermüdend wirken.

Die Volkstümlichkeit der Predigten Müllers tritt aber besonders hervor in der Weise, wie er die Schriftwahrheiten an das Herz der Gemeinde und des Volkes bringt. Es ist eine originelle Geistesfrische voll jugendlicher Anmut und Lieblichkeit, die seinen Stil belebt und beherrscht; seine Diktion ist eine so reine, edle, natürliche, dem Genius der deutschen Sprache entsprechende, dass sie abgesehen von einzelnen Worten und Wendungen für unsere Zeit als eine klassische mustergültige gelten kann; sie erinnert bezüglich ihrer biblischen, volkstümlichen Kraft an Luther und Arndt, zeichnet sich aber vor diesen noch durch ihre gedrungene Kürze im Ausdruck und ihren sententiösen Stil aus. In kurzen, prägnanten, oft änigmatisch7nicht zu durchschauen oder zu erklären klingenden Sätzen entfaltet er in Trost und Mahnung der Schrift einen überraschenden Reichtum der Gedanken und geht in Thesen und Antithesen, in Sprichwort und Sentenzen, Schlag auf Schlag auf das Herz und Gewissen der Hörer los. Er selbst spricht in der Vorrede zur apostolischen Schlusskette zu den Sonn- und Festtagsevangelien: „Aufs Kürzeste habe ich Alles gefasst, ist’s doch besser mit wenigen Worten Viel, als mit vielen Worten Nichts auszusprechen.“

Seine Sprache ist reich an Bildern und Gleichnissen, die seinem dichterischen Sinne meistens ungesucht in der Natur und dem Leben des Hauses und Volkes sich bieten, zuweilen aber doch auch an die Spielerei der schon auftauchenden emblematischen8gehobenen Predigtweise erinnern (z. B. in Themata wie der geistliche Fuchsfang: Matth. 7,14; die geistliche Schäferei: Joh. 10,19; Honigblümlein der armen Sünder: Luk. 10,41). In der obengenannten Vorrede bekennt er selbst: „Geblümelt habe ich auch zuweilen, nicht, dass ich im Predigen des Blümelns gewohnt bin, sondern dem Leser eine Anmut zu machen und den Liebhaber der Allegorien an solche Allegorien zu führen, die nicht nur der Schrift keine Gewalt antun, sondern auch zugleich trösten und besserlich sind.“ Im Allgemeinen macht H. Müller von der Allegorie nur einen beschränkten Gebrauch; wo er sie aber anwendet, z. B. bei den Erzählungen der evangelischen Geschichte, deren Inhalt eine symbolische Auffassung zulässt, da weiß er auch die ganze Fülle seiner poetischen Anschauungen hineinzulegen und bis in die kleinsten Züge zur Darstellung zu bringen. Seine dichterische Begabung hat er nicht nur als Prediger, sondern auch als Verfasser mehrerer geistlicher Lieder bekundet, die in mehreren Gesangbüchern Aufnahme gefunden.

Die Frauen von Löwenberg.

In Schlesien verbreiteten 1629 die Liechtensteiner Dragoner Schrecken und Verwirrung. So wurde auch die Stadt Löwenberg gezwungen, ihre evangelischen Prediger zu entlassen. Es wurde den Bewohnern Himmel und Hölle vorgehalten, um sie ihrem Glauben untreu zu machen. Man verhieß ihnen die kaiserliche Gnade, Privilegien nach Wunsch und Begehren, wenn sie in den Schoß der römischen Kirche zurückkehren wollten; dagegen drohte man die Widerspenstigen mit den härtesten Strafen zu belegen. Ein großer Teil der Männer ließ sich zum Abfall verleiten; die Ungehorsamen mussten Herd und Heimat verlassen.

Kaum aber waren die Soldaten wieder abgezogen, so besannen sich die Abtrünnigen eines Andern. Sie ließen ihre Kinder in der Nachbarschaft nach evangelischer Weise taufen; die Kirchen der katholischen Geistlichen standen leer. Da kamen die Liechtensteiner zurück, um das Bekehrungswerk mit Waffengewalt zu vollenden. Wer irgend konnte, entfloh aus der Stadt; ganze Familien zogen das Exil dem furchtbaren Glaubenszwange vor. Es wurde ein neuer Stadtrat eingesetzt, an dessen Spitze als Königsrichter ein Advokat stand. Auf Anraten der Geistlichen fasste man den Beschluss, vor Allem die Frauen, welche bis jetzt am standhaftesten dem evangelischen Glauben treu geblieben waren, zur Verleugnung desselben zu bewegen. Man lud dieselben aufs Rathaus vor und es erschien eine große Anzahl, die Frau Königsrichterin und die Frau Bürgermeisterin an der Spitze. Die Herren am grünen Tische erschraken vor der Menge der mutig auftretenden Weiber; sie erklärten, dieselben in kleinen Abteilungen vernehmen zu wollen. Aber alle hielten fest zusammen; die Frau Königsrichterin antwortete im Namen Aller: „Meint ihr, dass wir so einfältig sind und eure Possen nicht merken, wie man uns arme Weiber drängen will, von dem Evangelium zu weichen. Wo ich bleibe, bleiben die Andern auch.“ Diese riefen einstimmig: Ja. Die Ratsherren erschraken, um so mehr, da sie merkten, wie jede Frau mit einem großen Bunde Schlüssel (der eigentümlichen Waffe der Weiber) versehen war. Die Herren nahmen zu einer List ihre Zuflucht. Die Türen wurden unvermerkt verschlossen, so dass die Frauen gefangen waren. Die meisten Ratsherren hatten sich teilweise ohne Hut und Stock – davon gemacht. Aufs Neue versammelten sich die Herren im Hause des Königsrichters, wo sie den Beschluss fassten, die Frauen zum fleißigen Kirchenbesuch zu ermahnen und wieder frei zu lassen.

Auch jetzt gaben dieselben die bestimmte Erklärung ab, dass sie am evangelischen Glauben festhalten wollten.

In den nächsten Tagen beschied der Pfarrer einige Frauen zu sich, namentlich die Frau Bürgermeisterin. Die Frau Königsrichterin, die nicht mit geladen war, begleitete dieselbe. Der Pfarrer redete ihnen freundlich zu, sie sollten doch nachgeben und die allein seligmachende Religion annehmen; sie würden sich bald überzeugen, dass sie sich wohl dabei befinden würden. Es erfolgte alsbald die Antwort: Wir sind von unseren Eltern und vorigen Predigern anders unterrichtet worden und bei dieser Lehre haben wir Ruhe und Frieden gefunden. In Eure Religion können wir uns nicht schicken. Der Pfarrer bat sie, sie möchten doch nur zur Kirche kommen; und wenn sie Bedenken hätten, sollten sie es ihm offen sagen. Alle seine Mühe war umsonst. Auch das half nichts, dass der Pfarrer ihnen vorstellte, wenn sie nachgäben, würden die Männer, wie sie selbst erklärt hätten, alle Folge leisten. Die Standhaftigkeit der Frauen bewirkte, dass die katholischen Geistlichen im folgenden Jahre die Stadt verlassen mussten. Doch hatte dieselbe noch viel zu leiden im Laufe des Krieges; beim Friedensschlusse war sie beinahe ganz verödet.

Isabella von Dänemark.

Eine andere Schwester Karls V. war Isabella, die Gemahlin des Königs Christian von Dänemark. Dieser wurde wegen seiner Grausamkeit vertrieben. Isabella floh mit ihm und erklärte, da die Dänen sie zurückriefen und versprachen, sie als rechtmäßige Königin anzuerkennen, sie werde ihr Schicksal von dem ihres Gemahls nicht trennen. Wie sie ihrem Gatten ein liebendes Herz auch im Unglück bewies, so hing sie auch ihrem Herrn und Heiland mit ganzer Seele an. So viel sie auch von ihrem Bruder und den Großen des Reichs bestürmt wurde, wieder zur katholischen Kirche zurück zu kehren, so große Vorteile sie sich auch von einem solchen Schritte versprechen konnte, so beharrte sie doch im Bekenntnis der evangelischen Wahrheit bis an ihren 1526 erfolgten Tod.

Maria von Ungarn

Selbst unter den Frauen der kaiserlichen Familie finden sich solche, die Luthers Lehre zugetan waren. Wir nennen zuerst Maria, die Schwester Karls V., die als fünfzehnjähriges Mädchen mit Ludwig II., König von Ungarn, vermählt wurde, aber schon nach fünfjähriger Ehe ihren Gemahl durch den Tod verlor. Luther wechselte bisweilen Briefe mit derselben. In einem solchen von 1525 drückte er seine Freude darüber aus, dass sie Interesse am Evangelio nehme; er empfahl die Bekenner desselben ihrem Schutze gegen die mächtigen Bischöfe. Sie duldete in ihrer Umgebung evangelische Prediger und zeigte eine solche Bibelkenntnis, dass sie die Geistlichen verbesserte, wenn dieselben eine Bibelstelle unrichtig zitierten. Weiter durfte sie nicht gehen, da ihr Bruder sie öfters warnen ließ: sie möchte sich nicht von den ketzerischen Pfaffen verführen lassen; er entfernte sogar die evangelischen Prediger aus ihrer Nähe. Um sie noch mehr dem Einflusse derselben zu entziehen, nahm er sie mit nach Spanien und machte sie später zur Statthalterin der Niederlande, so dass sie für Deutschland ganz verschwand. Man schreibt ihr ein Lied zu, welches 1598 in dem Leipziger Gesangbuch unter ihrem Namen Aufnahme gefunden hat und dessen erster Vers also lautet:

Mag ich dem Unglück nicht widerstahn,
Muss Ungnad han
Der Welt für mein recht Glauben,
So weiß ich doch, s‘ ist all mein Kunst,
Gotts Huld und Gunst,
Die muss man mir erlauben.
Gott ist nicht weit,
Eine kleine Zeit,
Er sich verbirgt,
Bis er erwürgt,
Die mich sein’s Wort berauben.

Katharina von Sachsen

Um die Einführung und Verbreitung der Reformation im Herzogtum Sachsen machte sich Katharina, die Gemahlin des Herzogs Heinrich von Freiberg, verdient. Sie war frühe für die Ansichten Luthers gewonnen worden während ihr Gemahl noch wankte und schwankte, wenigstens nicht stark genug war, den anti-reformatorischen Bestrebungen seines Bruders, des Herzogs Georg, Widerstand zu leisten. Katharina verhinderte wenigstens, dass derselbe ganz für die kaiserliche Partei gewonnen wurde. In ihrer Umgebung verbreitete sich die evangelische Gesinnung immer mehr, wiewohl das offene Hervortreten derselben nicht unbedenklich war. Drei ihrer Hofdamen, Hanna von Dreschwitz, Ursula von Feilizsch und Milia von Olsnig, wurden, weil sie Luthers Schriften gelesen hatten, aus Freiberg vertrieben. Man hat noch einen Brief Luthers an die Herzogin, worin er sie zu trösten suchte. Katharina soll ihrem Gemahl den Stuhl in der Kirche näher an die Kanzel gerückt haben, damit er die Predigt besser hören möge. Nach dem Tode des Herzogs Georg fiel dessen Herrschaft seinem Bruder Heinrich zu, und wenn nun die Reformation in dem ganzen Herzogtum eingeführt wurde, und wenn sich die späteren Kurfürsten Moritz und August als Beschützer der evangelischen Kirche bewiesen, so verdanken wir dieses großenteils dem Einflusse Katharinens auf ihren Gemahl und ihre Söhne.

Elisabeth von Braunschweig

Noch mehr und unmittelbarer als sie selbst wirkte ihre gleichnamige Tochter für die Verbreitung der Reformation. Sie war geboren 1510, und verheiratete sich 1525 mit dem fünfundfünfzigjährigen Herzog Erich von Braunschweig, einem Witwer. Derselbe war noch immer ein kräftiger, lebensfroher Mann, der auch jetzt noch lieber am Kaiserhofe, auf Reisen und bei Fehden verweilte als in seinem kleinen Herzogtume. Er hatte zwar Luthern in Worms einen Trunk Einbecker Bier überreichen lassen, war aber sonst kein Freund der kirchlichen Neuerung; wir glauben allerdings mehr aus religiösem Indifferentismus, als aus einer, auf innerer Überzeugung ruhenden Antipathie. Den sich auch in seinem Lande regenden reformatorischen Bewegungen wirkte er hartnäckig und teilweise mit Strenge entgegen, konnte aber derselben nicht Meister werden. So musste er der Stadt Göttingen gegen Bezahlung von 6000 Talern die Einführung der Reformation gestatten. Selbst seine Gemahlin neigte sich der neuen Lehre zu, wahrscheinlich durch das erbauliche Vorbild ihrer Mutter gewonnen. Als nun gar ihre Brüder in dem alten Glauben wankend wurden, als ihr der jüngere, Johann von Küstrin, die Vortrefflichkeit der Lutherischen Lehre auseinandersetzte, nahm auch sie in ihrer Residenz zu Münden das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Erich erhielt nach seiner Rückkehr Kunde davon, handelte aber minder strenge als weiland sein Schwiegervater. Er drückte sogar seine Augen zu, als seine Gemahlin den hessischen Geistlichen Anton Corvin herbeikommen ließ. „Meine Else,“ sagte er, „lässt mich in meinem Glauben ungestört; darum will ich sie auch in dem ihrigen nicht stören.“ 1540 ereilte den siebzigjährigen Fürsten der Tod zu Hagenau; sein Leichnam konnte erst nach einiger Zeit in die Heimat gebracht werden, da derselbe vorher durch Bezahlung einer Schuld eingelöst werden musste. Überhaupt hatte sich der alte Herzog als ein schlechter Haushalter bewiesen und seinem Lande eine übergroße Schuldenlast aufgeladen. Elisabeth übernahm unter dem Beistand des Landgrafen Philipp des Großmütigen die Vormundschaft über ihren Sohn Erich II. Sie musste alle ihre Kraft aufbieten, um die ungestümen Forderungen der ungeduldigen Gläubiger einigermaßen zu befriedigen. Am meisten hatte sie den Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, einen leidenschaftlichen Gegner Luthers, zu fürchten, da dieser die Regentschaft beanspruchte und ein günstiges Urteil vom König Ferdinand erhielt. Heinrich wurde 1542 von den Mitgliedern des Schmalkalder Bundes überfallen und gefangen gesetzt. Jetzt konnte Elisabeth ungehindert daran denken, ihren Lieblingsplan zu verwirklichen, die Reformation in ihrer Herrschaft einzuführen. Schon 1541 hatte sich ein Landtag zu Pattensen dafür ausgesprochen. Corvinus wurde als Generalsuperintendent angestellt. Er verfasste eine Kirchenagende, welche den Geist der Milde und der Besonnenheit atmete. Elisabeth erkundigte sich bei ihren häufigen Reisen durchs Land nach den kirchlichen Verhältnissen und suchte die wahrgenommenen Mängel möglichst zu verbessern. Die Erziehung ihres Sohnes ließ sie sich besonders angelegen sein; sie schrieb für denselben christliche Lebensregeln nieder. In der Einleitung sagte sie: „Ich schreibe dies, um Dich zu erinnern, Dein Vertrauen nicht auf Menschen zu sehen, sondern allein auf Gott, und seine Gebote zu halten. Wenn Du Gott fürchtest, wird er Dir gnädig beistehen. Solches merke mit Fleiß und bedenke, dass ich es Dir, als meinem Kinde, sage, das ich vor zeitlichem und ewigem. Verderben behütet sehen möchte.“

In diesem Tone ist die ganze Schrift abgefasst; sie enthält die weisesten Ratschläge in Beziehung auf die Landesregierung, dass man sich gedrungen fühlt, eine Frau zu achten und zu bewundern, welche die Staatsklugheit so ganz in sich aufgenommen hatte, und zwar zu einer Zeit, wo es schwer war, das Rechte zu treffen.

Der junge Erich wurde in seinem achtzehnten Jahre für mündig erklärt. Noch war er gewillt, dem Evangelio treu zu bleiben, aber es zeigte sich bald, dass er mehr von den Eigenschaften seines Vaters, als von denen seiner Mutter geerbt hatte. Er ließ sich an den kaiserlichen Hof verlocken, gelobte aber vorher, Alles, was er zwischen Wams und Busen habe, für die Wahrheit der evangelischen Lehre zu opfern. Nur allzubald war das Versprechen vergessen. Er diente in dem Schmalkalder Kriege dem Kaiser gegen seine Glaubensgenossen, und ließ alsbald eine völlige Reaktion in Beziehung auf das Kirchenwesen eintreten. Er vertrieb alle evangelischen Prediger, die das Interim nicht annehmen wollten, und setzte katholische dafür ein. Corvin und der Superintendent Hoyser von Pattensen, welche gegen das Interim geschrieben hatten, kamen in engen Gewahrsam. Elisabeth hatte vollauf zu tun, um den Bedrängten und Vertriebenen Hilfe zu leisten und, wo sie nicht helfen konnte, wenigstens Trost zu gewähren. Erich ging noch weiter und verband sich mit dem größten Feinde seiner Mutter, dem Herzog Heinrich. Vergebens richtete Elisabeth ein eindringliches Schreiben an ihren Sohn, worin es unter Anderm heißt: „Die erkannte Wahrheit zu verleugnen ist Sünde, die weder im Leben, noch darüber hinaus Vergebung findet; und die Diener Christi schänden und beleidigen, heißt nichts Anderes, denn unseren Heiland kränken, der unsere Sünden getragen hat. In mütterlicher Liebe beschwöre ich Dich, jage Christum nicht aus dem Lande, betrübe den heiligen Geist nicht, damit er nicht von Dir weiche, und meine Tränen Dir zum ewigen Unheil gereichen.“

An die Landstände schrieb Elisabeth: „Ist ein einziger Blutstropfen in Euch, der den Gekreuzigten liebt und bekennt, so ermahne ich Euch: Gedenkt Euer Eide und Pflichten, verstummt nicht in Feigheit, sondern besprecht Euch mit Adel und Städten, die armen unschuldigen Gefangenen zu vertreten und frei zu bitten. Uns hat der Sohn mit diesem bösen Spiel ins Bett gebracht, und steht er nicht ab, so wird er uns unter die Erde bringen.“

Die Gefangenen suchte sie zu trösten und zu ermutigen; sie schrieb an dieselben: „Wir ermahnen Euch, nach dem Beispiele Christi Euer Leid zu tragen, und als die Berufenen dessen auszuharren, für den ihr Verfolgung leidet. Seid beherzt und streitet ritterlich in dem Bekenntnis des reinen Glaubens, haltet an am Gebet, hofft auf den starken Retter und seid versichert, dass wir alle christlichen Mittel und Wege für Eure Erlösung suchen werden.“

Die Herzogin erfüllte, was sie versprochen hatte, aber Alles umsonst. Sie schrieb wiederholt an ihren Sohn in einer Weise, dass man hätte meinen sollen, für ein wahrhaft kindliches Herz wäre Widerstand unmöglich gewesen. In der Nachschrift zu einem Briefe sagte sie: „Wehe und immer wehe! über Dich, wenn Du Dich nicht besserst. Wie hast Du uns so hart betrübt, dass wir darnieder liegen in Ohnmacht und Schmerzen. Doch mussten wir schreiben, wenn unser Herz nicht brechen sollte; denn so wir nicht riefen, so würden die Steine sprechen müssen.“

Erich kümmerte sich um die Bitten und Klagen seiner Mutter so wenig, wie um die Seufzer seiner Untertanen. Er verzehrte in der Fremde das Mark der letzteren und machte neue Schulden, statt die alten zu bezahlen. Auch seine Gemahlin Sidonie, die Tochter des Herzogs Heinrich von Sachsen, eine Schwester des Kurfürsten Moritz, suchte er zu überreden und durch Lockungen zu bestimmen, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Diese aber erklärte, sie werde im evangelischen Glauben Leben und sterben.

Elisabeth hatte Unsägliches zu leiden; auch Herzog Heinrich ließ es an Schikanen nicht fehlen und beeinträchtigte auf mancherlei Weise ihr spärliches Einkommen. Endlich kam Versöhnung mit ihrem Sohne zu Stande, da dieser sich gleichfalls von seinem Vetter Heinrich beleidigt glaubte. Beide verbanden sich mit dem unruhigen Markgrafen von Brandenburg-Culmbach, einem Vetter Elisabeths. Der junge Herzog gestattete die Wiedereinführung der evangelischen Lehre und es zeigte sich alsbald, wie tief dieselbe im Volke Wurzel geschlagen hatte. Die Stände knüpften jede Geldbewilligung an die Bestätigung der Lehr- and Bekenntnisfreiheit für die Anhänger der Augsburger Konfession.

Die Schlacht bei Sievershausen am 4. Juli 1553 vernichtete alle Hoffnung der Herzogin, indem der Markgraf völlig geschlagen wurde. Heinrich gab seinem Hass gegen Elisabeth um so mehr freien Lauf, da seine beiden Lieblingssöhne in der Schlacht gefallen waren. Dieselbe hatte keinen Vorteil davon, dass zwischen ihrem Sohne und dem Herzog Heinrich der Friede zu Stande kam. Ihre Lage war längere Zeit hindurch eine verzweifelte. Von Mangel und Not gedrückt, lebte sie wie eine Gefangene zu Hannover; 1554 klagte sie, dass sie seit drei Wochen kein Fleisch in der Küche gehabt habe und selbst des nötigen Holzes entbehre. Wiederholte Vorstellungen bei dem Kaiser verschafften ihr endlich einige Erleichterung, da ihr Sohn und ihr feindlicher Vetter bewogen wurden, ihr wenigstens einen Teil ihres Wittums zurück zu geben. Sie konnte nun ihre Schulden bezahlen und zog sich mit ihrem zweiten Gemahle, dem Grafen Poppo von Henneberg, nach Schleusingen zurück, wo sie am 19. August 1566 selig verschied.

In der Hennebergischen Chronik heißt es von ihr: „Diese Fürstin war eine rechte Liebhaberin des göttlichen Wortes, eine mitleidige Mutter der Armen, und hat mit ihrem Herrn in friedlicher Ehe gesessen zwanzig Jahre.“

Ihr Sohn setzte sein unstetes Leben unverändert fort, so dass das Land immer mehr verarmte; als er 1584 kinderlos starb, trug Julius, ein Sohn des Herzogs Heinrich, Bedenken, ob er die Erbs

Elisabeth von Brandenburg.

Alle die genannten Frauen konnten nur in beschränktem Kreise für die Reformation tätig sein; dagegen haben wir noch einiger Fürstinnen zu gedenken, welche in einzelnen deutschen Staaten die Einführung der Reformation entweder ganz oder großenteils veranlasst haben. Wir nennen zunächst Elisabeth, die Gemahlin des Kurfürsten Joachim Nestor von Brandenburg, eine geborene Prinzessin von Dänemark. Ihr Gemahl war ein eifriger Verteidiger der bestehenden Kirchenlehre und Verfassung, und bei verschiedenen Gelegenheiten, wie auf den Reichstagen zu Worms und zu Augsburg, sprach er sich für die strengsten Maßregele zur Unterdrückung der auftauchenden Ketzerei aus. Und doch konnte er es nicht hindern, dass sich das Gift derselben in seinem Lande verbreitete und zu wirken begann. Selbst seine Gemahlin Elisabeth wurde von demselben angesteckt. Das Verhältnis beider fürstlichen Gatten war schon seit einiger Zeit ein getrübtes und ihre Stimmung war eine gedrückte, namentlich da ihr Bruder Christian aus Dänemark vertrieben wurde. Sie suchte Trost und Beruhigung in der heiligen Schrift und fühlte sich durch das Lesen derselben immer mehr zu Luther hingezogen, dessen mutiges und entschlossenes Auftreten einen tiefen Eindruck auf ihr leicht erregbares Gemüt gemacht hatte. Eine Reise nach Sachsen in Begleitung ihres Gemahls und ihres Bruders trug noch weiter dazu bei, sie auf die Seite der Evangelischen hinüber zu ziehen. Doch musste sie ihre religiösen Ansichten verheimlichen, und nur in stiller Zurückgezogenheit konnte sie durch die Schriften Luthers ihren Glauben stärken. Immer größer wurde ihr Verlangen, das Abendmahl der Einsetzung gemäß zu genießen. Deshalb benutzte sie 1528 die Abwesenheit ihres Gemahls, um sich dasselbe von einem aus Wittenberg berufenen Geistlichen reichen zu lassen.

Joachim war außer sich vor Zorn, als er das Geschehene erfuhr. Er überhäufte sein treues Weib mit den heftigsten Vorwürfen und drohte derselben mit Einsperrung, ja Einmauerung, wie man sagt. Elisabeth musste heimlich entweichen; sie nahm ihre Zuflucht zu ihrem Oheim, dem Kurfürsten Johann dem Beständigen von Sachsen, bei dem sich auch ihr vertriebener Bruder, Christian von Dänemark, aufhielt. Sie fand die gewünschte Aufnahme und in dem ihr angewiesenen Schlosse Lichtenburg einen ruhigen und sicheren Aufenthalt. Ihr Gemahl tat keine weiteren Schritte, sie zur Rückkehr zu nötigen. Mit Luther stand sie in schriftlichem und persönlichem Verkehr. Sie zog denselben öfters an ihre Tafel und kehrte, selbst bisweilen Trost und Stärkung ihres Glaubens suchend, bei ihm ein.

Joachim starb 1535, ohne dass an eine Versöhnung mit demselben zu denken gewesen wäre. Vor seinem Tode hatte er sich noch von seinen Söhnen das Versprechen geben lassen, dass sie den bisherigen Religionszustand beibehalten wollten. Das aber konnten diese nicht über sich gewinnen, dass ihre Mutter als eine Verbannte außer Landes leben sollte; sie holten dieselbe zurück und brachten sie auf ihren Witwensitz zu Spandau. Hier lebte sie abgeschieden von der Welt, aber beschäftigt mit der Fürsorge für Arme und Notleidende. Täglich wurde in ihrer Wohnung Gottesdienst gehalten, an welchem alle ihre Hausgenossen teilnehmen mussten. Auch die Bewohner der Stadt hatten Zutritt zu demselben. Öfters las sie selbst aus Luthers Hauspostille oder aus der Bibel vor. Mit der größten Zärtlichkeit hing sie an ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln, deren sie im Ganzen 70 erlebte. Als bestes Erbteil suchte sie denselben ihren frommen Sinn zu hinterlassen. 1555 erreichte sie das Ziel ihres irdischen Lebens. Kurz vor ihrem Tode trat eine Mondfinsternis ein. Der Arzt suchte ihr solches zu verbergen. Sie aber bemerkte: „Vor einer solchen Finsternis fürchte ich mich nicht; ich traue dem, der Sonne, Mond und Sterne erschaffen hat. Wenn er nur bald käme und holte mich zu sich.“

Als ihr des Heilands letzte Worte: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ vorgesprochen wurden, bewegten sich noch einmal betend ihre Lippen. Sie schied mit dem seligen Bewusstsein, dass der von ihr ausgestreute Same nicht ganz verloren gegangen wäre. Ihre Söhne, Joachim II. und Georg, hatten schon dem Drange der Zeit nachgegeben und die Reformation in Brandenburg einführen lassen.

Margaretha Blaarer

Nicht in gleicher Weise mit der Feder, aber durch gleiche Liebestätigkeit diente Margaretha Blaarer der Reformation; sie war die Schwester des Bürgermeisters Thomas Blaarer zu Konstanz und des Ambrosius Blaarer, eines Geistlichen, der in der Reformationsgeschichte Oberdeutschlands eine ehrenvolle Stelle einnimmt. Ganz Konstanz hatte die Kirchenverbesserung angenommen; auch die Klosterpforten wurden geöffnet; seit 1528 verkündigten 23 Prediger das Wort Gottes nach evangelischer Weise. Sie alle hatten Arbeit in Menge, denn durch Missernte und Krankheiten kamen schwere Zeiten über die Stadt und die Umgegend. Vielleicht hätten Manche diese Heimsuchungen für ein Strafgericht Gottes angesehen und darin Veranlassung gefunden, wieder zur katholischen Kirche zurückzukehren, wenn nicht, so weit es durch Menschen geschehen konnte, Hilfe in der Not gekommen wäre. Es fanden sich aber christlich gesinnte Jungfrauen zusammen, welche einen Verein bildeten, um Armen und Kranken Beistand zu leisten. Margaretha Blaarer, die früher einer geistlichen Ordensschwesterschaft zur Übung barmherziger Liebe angehört hatte, stand an der Spitze dieses evangelischen Diakonissenbundes. 1541 schrieb Ambrosius an seine Schwester: „Höre nicht auf, ich bitte Dich herzlich, das Anliegen der Kirche auf Erden, der echt evangelischen, dem himmlischen Vater in heißer Fürbitte zu empfehlen! Du weißt, sie leidet übel Not von allen Seiten und wird angefochten von Gewalttätigen, geistlichen und weltlichen Standes; bitte doch mit dem stillen Hausvölklein, ich meine Deine Hauskirche, dass die Bedrängten und Verfolgten wieder zur Ruhe kommen. Grüße mir doch Deinen ganzen Haushalt, all‘ Deine Armen, Kranken, Presshaften, nach Erlösung Seufzenden, welche in Dir eine liebende Mutter finden. – O, wie freut es mich, zu sehen, wie schön Dich der Herr mit höherer Kraft stärkt, dass Du nicht unterliegst unter den Sorgen allen. Möge er Dir zeitlebens den schönsten Segen gönnen, Hungrige zu speisen, Durstige zu tränken, Nackende zu kleiden, Fremde zu beherbergen, Kranke zu laben“ usw.

Nicht lange sollte diese Jüngerin des Herrn in ihrem gesegneten Wirken fortfahren. Als sie 1541 eine Menge Pestkranke besuchte, erkrankte sie selbst und unterlag der verderblichen Krankheit.

Über ihr Ende berichtet ihr Bruder Ambrosius: „Sie gab sanft und mit heiligen Reden unter vollem Vertrauen auf Christum ihren Geist auf, dass man wohl sagen kann: Sie ist nicht gestorben, sondern zu dem Herrn heimgegangen.“ Der schon mehrmals erwähnte Bucer schrieb über sie: „O, unvergessliche Zierde, Schmuck und Segen des wiedergeschenkten Evangeliums, die mit den größten Zierden der glücklichsten Zeiten der Kirche in eine Linie gesetzt werden kann!“

Der gleichfalls erwähnte Bullinger richtete einen Trostbrief an ihren Bruder, darin lesen wir: „Von Herzen bin ich betrübt, dass der unerbittliche Tod Deine Schwester, die Hoffnung so vieler Dürftigen hienieden, und ein Edelstein vom reinsten Wasser, Margaretha, diese Perle der Jungfrauen, Dir entrissen hat.“

Solche Frauen, welche dem Evangelium nützten, indem sie Liebe in der Tat und Wahrheit bewiesen, waren gerade keine Seltenheit. Von der Gattin des Magisters Leu, Pfarrers zu St. Peter in Zürich, heißt es: „Sie trug allen Kranken und Kindbetterinnen ihrer Gemeinde zu, was sie bedurften, und teilte redlich mit ihnen. Weil aber ihre Pfründe klein und der Magister ein armer Mann war, so musste er stets anflehen, und wiewohl er keine großen Schulden machte, konnte er doch Nichts erübrigen.

Die Mutter lag Tag und Nacht dem Weben ob; damit verdiente sie viel Geld; das ließ ihr der Vater und daraus kaufte sie Bücher und Hausplunder. Sie hatte auch arme Knaben, deren etliche ihr nicht zwölf Gulden Tischgeld im Jahre gaben. Die Vertriebenen nahm sie auf und hielt manchen einen Monat, zwei oder drei und mehr. Sie hatte ein ehrliches Hausplunder, besonders on Bettgewand, aber da war nichts Köstliches, wie man jetzt hat.

Von der Frau des Oswald Myconius, früher Lehrer in Zürich, später Antistes in Basel, wird gleichfalls gerühmt, dass sie sich der Vertriebenen liebevoll angenommen und dieselben Monate lang beherbergt habe.

Anna Adlischweiler, die Gattin von Bullinger in Zürich, eine gewesene Nonne von Ortenbach, war in Zürich unter dem Titel „Frau Mutter“ und im Auslande unter dem Namen „Züricher Mutter“ bekannt.

Mitunter ermunterten Frauen zur Zeit der Verfolgung ihre Männer zur Standhaftigkeit; so die Gattin des Bartholomäus Bertlin, der, weil er das von Karl V. befohlene Augsburger Interim nicht annehmen wollte, seine Pfarrei verlassen und drei Jahre mit der bittersten Armut kämpfen musste. Als der Kaiser 1551 nach Augsburg kam, beschied er die Geistlichen der Umgegend zu sich, um sie zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Wer sich nicht fügen wollte, hatte das Schlimmste zu fürchten. Bertlins Gattin sagte beim Abschied zu demselben: „Hüte Dich, dass Du nicht um meinet- und unserer Kinder willen die Wahrheit, für welche Du zu zeugen bereit bist, verleugnest.“ Bertlin blieb standhaft und musste ein weiteres Jahr unstet und flüchtig umherirren, bis er eine Anstellung in einem Spital zu Augsburg erhielt. Nach einiger Zeit durfte er in sein früheres Amt nach Memmingen zurückkehren.

Katharina Zell.

In Straßburg lebte um dieselbe Zeit eine Frau bürgerlichen Standes, die sich den Ehrennamen „Reformatorenmutter“ erworben hat. Es war dies Katharina Zell, geborene Schütz. Sie war die Tochter eines ehrsamen Schreinermeisters und erblickte das Licht der Welt im Jahre 1497. „Von Mutterleib an,“ schrieb sie selbst, „hat mich der Herr gezogen, und von Jugend auf gelehrt; darum habe ich mich auch seiner Kirche nach dem Maße meines Verstandes und der verliehenen Gaben zu jeder Zeit fleißig angenommen und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist. Daher mich auch von früher Jugend an alle Pfarrherren und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben.“

Wie sie zum Glauben gekommen, sagt sie selbst: „Und da wir in solcher Angst und Sorge der Gnade Gottes standen, aber in vielen Werken Übungen und Sakramenten der päpstlichen Kirche keine Ruhe finden mochten, erbarmte sich Gott unserer und vieler Menschen und sandte uns den lieben und jetzt seligen Dr. Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesu so lieblich fürschrieb, dass ich meinte, man zöge uns aus dem Erdreich hinauf, ja aus der grimmen, bitteren Hölle in das liebliche, süße Himmelreich.“ Im Jahre 1523 verheiratete sie sich mit dem wackeren Verteidiger der evangelischen Lehre, welchem der Stadtrat eine besondere Kanzel im Münster errichtet hatte, da ihm die katholische Geistlichkeit die daran befindliche Kanzel verschloss, Matthias Zell. Von nun an stand sie ihrem Gatten bei dessen Wirken für die Sache der Reformation mutig und treulich zur Seite. Der bekannte Martin Bucer, oder Bucer, der auch die Trauung dieses Ehepaares vollzogen hatte, schrieb über Katharina: „Sie ist gottesfürchtig, grundstudiert und mutvoll wie ein Held; aber es wybelt((flattert)) doch immer ein wenig um sie.“

Bald nach ihrer Verheiratung schrieb ihr Luther: „Dass Dir Gott seine Gnade so reichlich gegeben hat, dass Du nicht allein selber sein Reich siehst und kennst, so vielen Leuten verborgen, sondern auch solch einen Mann bescheret, von dem Du es täglich und ohne Unterlass besser kennen und immer hören magst, gönne ich Dir wohl; und wünsche Dir Gnade und Stärke dazu, dass Du solches behaltest bis auf jenen Tag, wo wir uns Alle sehen und freuen werden, wills Gott.“

Katharina wusste den Mariageist mit dem Marthasinn zu verbinden; sie besorgte die Geschäfte des Hauswesens und war bei der Hand, wo es galt, die vielen gelehrten Männer, die in ihrem gastlichen Hause einkehrten, in geistreicher Weise zu unterhalten. Dies war zum Beispiel der Fall, als Zwingli und Oekolampad im Jahre 1529 auf der Durchreise nach Marburg einige Tage bei ihr zur Herberge waren. Überhaupt besuchte in jenen Tagen nicht leicht ein Freund der Reformation die Reichsstadt Straßburg, ohne bei Magister Zell und dessen Frau einzusprechen. Besonders nahmen sich beide Ehegatten derjenigen an, die um ihres Glaubens willen ihre Heimat verlassen mussten. Katharina durfte von sich erzählen: „Ich habe schon im Anfang meiner Ehe viele herrliche gelehrte Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: Unterstütze und stärke die müden Knie.“

Als im Jahre 1524 in einer Nacht anderthalbhundert Bürger auf kaiserlichen Befehl als Anhänger des Evangeliums die Stadt Kenzingen verlassen mussten, nahm das Ehepaar Zell achtzig in sein Haus auf und speiste fünfzig bis sechzig vier Wochen lang, wozu allerdings fromme Leute ihre Beisteuer lieferten. Auch den vertriebenen Bauern, „viel elenden und erschrockenen Leuten“, bewies die Pfarrfrau ihre Samariterliebe; sie sorgte für deren Unterkunft und kollektierte((sammelte)) zu ihrer Unterstützung. Selbst den verfolgten Wiedertäufern entzog sie nicht ihre helfende Hand; sie stand fest im Glauben, aber ihre Menschenliebe erhob sie über dogmatische Engherzigkeit.

1538 unternahm sie mit ihrem 61jährigen Manne eine Reise durch die Schweiz und Deutschland, wobei sie auch bei Luther in Wittenberg einkehrten. Sie schrieb über diese Reise: „Ich bin nur eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Kummer und Sorge, Krankheit und Schmerz in meiner Ehe erlitten, aber meinen Mann habe ich so lieb, dass ich ihn durchaus nicht wollte allein wandeln lassen, da er unsern lieben Dr. Luther und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger sehen und genießen wollte. Meinen ehrwürdigen, alten, inniglieben Vater, den 85jährigen, meine Freunde und Alles, was mir lieb war, empfahl ich dem Schutze des Herrn, verließ Alles und zog mit meinem Manne dreihundert Meilen hin und her.“

Zell starb 1548. Katharina schrieb über ihr eheliches Leben: „Gar oft habe ich mich bei mir selbst verwundert und Gott gedankt, dass wir Beide, mein seliger Mann und ich, durchaus einerlei Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind, ein Herz und eine Seele.“

Auch nach dem Tode ihres Gatten setzte sie ihre Barmherzigkeit fort, wie ihr derselbe vor seinem Ende noch anempfohlen hatte; sie blieb noch zwei Jahre und elf Wochen im Pfarrhause und versäumte Nichts, dasselbe zu einer Herberge für ihre bedrängten Glaubensgenossen zu machen.

1549 mussten die Straßburger Prediger Bucer und Paul Fagius ihr Amt niederlegen, Straßburg verlassen und nach England fliehen. Sie hinterließen der Witwe Zell ohne deren Wissen mehrere Geldstücke, damit sie nicht Not leide. Katharina aber schrieb an die Flüchtlinge: „Ihr habt mich mit dem Gelde, so Ihr mir heimlich in dem Briefe zurückgelassen, auf das äußerste betrübt. Auf dass aber meine Schamröte einesteils hingelegt werde, habe ich zwei Stücke Geldes wieder in den Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern und eines Prädikanten Frau, deren Mann getötet worden ist. Die habe ich zehn Tage lang bei mir gehabt, und habe das eine Stück Geld diesen beiden zur Zehrung geschenkt, nicht meinet-, sondern euretwegen.“

Katharina war also eine rührige Kämpferin für das Evangelium, hatte aber dabei, wie ihr Mann, ein weites Herz und konnte sich in die dogmatischen Streitigkeiten der Evangelischen selbst nicht finden. Darum wagte sie es sogar, an Luther zu schreiben und ihn zu bitten, er möge in dem Abendmahlstreite wider die Schweizer und Oberländer milder verfahren. Luther scheint diese Zumutung nicht ungünstig aufgenommen zu haben, er versprach, seine Schärfe ein wenig zu mildern. Nur möge Katharina auch ihren Mann und andere Freunde anhalten, dass sie Friede und Einigkeit bewahren möchten. „Die Liebe solle über Alles gehen, und den Vorgang haben, ausgenommen Gott, der über Alles, auch über die Liebe sei.“

Für die Wiedertäufer legte Katharina bei verschiedenen Gelegenheiten Fürsprache ein; sie nannte dieselben die „armen Täufer, die gehetzt würden, wie der Jäger die Hunde auf die wilden Schweine und Hasen hetze. Wer Böses tue, den solle die Obrigkeit strafen, den Glauben aber nicht zwingen, der gehöre dem Herzen und Gewissen an, nicht dem äußeren Menschen.“

Auch der schlesische Edelmann Kaspar Schwenkfeld, der nicht frei war von mystischen Verirrungen, und aus Furcht, es möchte unter den Protestanten ein neues Papsttum entstehen, das geistliche Amt und die Einrichtungen der Kirche, so wie die Sakramente verachtete, wurde in der Familie Zell gastlich aufgenommen. Von anderer Seite war man unwillig über diese Weitherzigkeit; doch schwieg man, so lange Zell am Leben war. Aber nach seinem Tode wurde Katharina heftig angegriffen, als ob sie selber Schwenkfeld’sche Ansichten hege. Sie verteidigte sich in einer zwölf Folioseiten umfassenden Schrift.

Am heftigsten eiferte gegen sie der Nachfolger ihres Mannes, Dr. Rabus, der als Superintendent nach Ulm versetzt worden war, und der in früherer Zeit von der Familie Zell viele Wohltaten empfangen hatte. Das Schreiben dieses Mannes ist so gemein und grob, dass wir Bedenken tragen, mehr als die Anfangsworte davon anzuführen. Es heißt: „Dein heidnisch-unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zugekommen“ usw. Katharina wusste zu antworten, mitunter, das ist nicht zu leugnen, auch in scharfen Worten. Auf die Beschuldigung, dass sie in Straßburg Unruhe verursacht habe, erwiderte sie: „Du liebes Straßburg, denn du mich länger als Herr Ludwig (Rabus) gekannt hast, sage, was ich getan habe. Ja, mir selbst und nicht der Kirche habe ich viel Unruhe gemacht, und angefangen, das vorher bei den Weibern nicht gewöhnlich gewesen, auch mir nicht viel Nachfolge getan ist worden, da ich Arme, Verjagte und Elende hab‘ aufgenommen, für sie geredt und geschrieben, weder Nachrede, Hass, noch Gunst angesehen, der Kirche kein Leid getan, noch Unruhe angefangen, sondern alle Zeit freundlich mit allen Parteien, und habe gerne gesehen, dass nicht ein Bruder dem anderen zum Tode geholfen hätte.“ „Ist das die Sünd‘ und Unruhe, die ich in der Kirche gemacht habe, dass ich, da andere Weiber ihrer Hoffart geluget und zu Hochzeiten, Freuden und Tanz gegangen, mit aller Lieb, Treue und Mitleid, Pestilenz und Tote getragen?“ usw.

Über ihr Lebensende fehlen genauere Nachrichten, nur so viel ist bekannt, dass der damalige Superintendent seinen Geistlichen befahl, ihr zu Ehren keine Leichenpredigt zu halten; es wäre denn, dass sie beifügen wollten: allerdings habe sich Frau Katharina als Wohltäterin verdient gemacht, zuletzt sei sie aber der lutherischen Lehre abtrünnig. geworden und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.

Die Geistlichen achteten wenig auf diesen Befehl und noch weniger die Straßburger Bürger. Allgemein betrauerte man den Verlust der merkwürdigen Frau.

Argula von Grumbach

Unmittelbarer als die beiden Reformatorenfrauen griff in das Triebwerk der Reformation eine Frau aus dem Bayernland ein, Argula von Grumbach, geborene von Stauff; geboren um das Jahr 1492. Ihr Vater, Bernhardin von Stauff, zeichnete sich dadurch vor den meisten seiner Standesgenossen aus, dass er schon vor dem Erscheinen der Lutherischen Übersetzung fleißig in der Bibel las und seiner zwanzigjährigen Tochter eine deutsche Bibel schenkte, mit der Aufforderung, in derselben, dem Gebote des Herrn gemäß, zu suchen. Kein Wunder also, dass die Grundsätze der Reformation in dieser Familie frühe Eingang fanden. Argula verlor ihre Eltern fünf Tage nach einander. Ein Bruder ihres Vetters nahm sich der verlassenen, vermögenslosen Jungfrau an. Auch der Herzog Wilhelm von Bayern tröstete sie und versprach ihr, nicht bloß ihr wohlwollender Landesfürst, sondern auch ihr Vater zu sein. Sie wurde Hoffräulein und verheiratete sich 1516 mit einem fränkischen Edelmanne, Freiherrn von Grumbach. Mit inniger Freude hörte sie von Luthers Auftreten gegen die Missbräuche in der Kirche. Sie las mit Begeisterung die Schriften des kühnen Mannes und wurde in Folge davon eine entschiedene Anhängerin desselben. Auch verhehlte sie ihre religiösen Ansichten vor keinem Menschen. Ja, sie fand bald Veranlassung, offen mit denselben hervorzutreten.

1523 wurde ein junger Magister, Arsacius Seehofer, zu Ingolstadt in den Kerker geworfen und durch Drohungen – man stellte ihm den Feuertod in Aussicht – zum Widerruf genötigt, worauf man ihn in ein Kloster steckte. Er entkam und nahm zu Luther seine Zuflucht. Vor ihm bekannte er seine Schwachheit mit dem Ausdrucke tiefer Reue.

Als Argula von dem Verfahren gegen den jungen Mann hörte, war sie bald entschlossen, ein Wort zu Gunsten desselben zu sprechen: Sie schrieb an die Universität Ingolstadt in einer Weise, dass man ihren Mut und ihre religiöse Einsicht bewundern muss. Einige Stellen aus diesem Schreiben mögen das Gesagte erläutern und bestätigen: „Ich finde einen Spruch, Matth. am 10., der also lautet: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater“, und Luk. 10: Wer sich meiner schämet und meiner Worte, dessen werde ich mich wieder schämen.“ Solche Worte, von Gott selbst geredet, sind mir allezeit vor Augen; denn es wird weder Mann noch Frau darinnen ausgeschlossen. Aus diesem werde ich gedrungen Euch zu schreiben. Denn Ezechiel sagt am 33.: Siehst du sündigen deinen Bruder, so strafe ihn, oder ich will sein Blut fordern von deinen Händen. Ach Gott! wie werdet Ihr bestehen mit Eurer hohen Schule, dass Ihr so töricht und gewaltig handelt wider Gottes Wort und mit Gewalt zwingt, das heilige Evangelium zu verleugnen, wie Ihr dem Arsacius Seehofer getan habt! usw.“ Weiter heißt es: Ich bitte Euch und begehre Antwort, ob Ihr meint, dass ich irre. Denn Hieronymus hat sich nicht geschämt und zu den Weibern geschrieben gar viel, als zu Paula, Eustachia usw. Ja, Christus selbst hat sich nicht geschämt, sondern gepredigt Maria Magdalena, der Frau an dem Brunnen. Ich scheue mich nicht, vor Euch zu kommen und Euch zu hören, auch mit Euch zu reden. Und ob es gleich dazukäme, davor Gott sei! dass Luther widerriefe, soll es mir nichts zu schaffen geben. Ich baue nicht auf sein, noch eines Menschen Wort, sondern auf Christum selbst, welchen die Bauleute haben verworfen und der zum Eckstein geworden ist.“

Eine Abschrift dieses Briefes schickte sie zwei Monate später mit einem besonderen Sendschreiben an den Rat von Ingolstadt. In diesem Schreiben heißt es: „Und wenn sie mich gleich mordeten, so geschehe, wie Gott will. So ich gestorben bin, so ist doch Gottes Wort nicht vertilgt. Ich achte auch dafür, so ich die Gnade hätte, den Tod um seines Namens willen zu leiden, würden viele Herzen dadurch erweckt; ja, wenn ich allein stürbe, würden tausend Weiber wider sie schreiben; denn ihrer sind viele, die belesener und geschickter sind, denn ich.“

Selbst an den Herzog Wilhelm wendet sie sich, ihn zu ermahnen, dass eine christliche Obrigkeit bei dem Worte Gottes bleiben und solches aus christlicher Pflicht zur Hand haben solle. „Denn kein Mensch Gewalt hat, das Wort Gottes zu verbieten, allein das Wort Gottes soll und muss alle Dinge regieren. Ich bitte Euch um Gottes willen, nicht allein der Ingolstädter Wort zu glauben, sondern vorher die Geister nach göttlicher Schrift zu prüfen. Es ist nicht genug, zu sagen: Ich glaube, was meine Eltern geglaubt haben,“ wir müssen an Gott und nicht an unsere Eltern glauben.“

Der Kanzler Eck wurde über dieses Alles um so mehr erbittert, da er erfahren hatte, dass Argula die Einwohner von Dietfurt durch öffentliche Reden für den evangelischen Glauben zu gewinnen suche. Er forderte deshalb den Herzog auf, den Mann Argulas seines Dienstes zu entlassen, und ihm unter Androhung schwerer Strafen zu befehlen, dass er seiner Frau solches Schreiben nicht mehr gestatte.

Ein Magister, Johannes von Landshut genannt, verfasste ein Spottgedicht auf die Frau Argula, die so sehr aller weiblichen Zucht vergessen, dass sie ihren Herrn und Fürsten zu einem neuen Glauben hat verführen wollen, und sich zu unterstehen, eine ganze hohe Schule zu bestrafen und zu beschimpfen. Es heißt am Schlusse:

Willt du aber mit Ehren bestehen,
So stell ab dein Mut und Gutdunkel,
Und spinn davor an der Kunkel,
Oder strick Hauben und wirke Borten;
Ein Weib soll nicht mit Gottes Worten
Stolzieren und die Männer lehren,
Sondern mit Magdalenen zuhören.

Argula antwortete dem Magister in einem längeren Gedichte; sie forderte denselben auf, öffentlich mit ihr in Ingolstadt zu streiten; sie wolle sich fröhlich stellen. Hierauf verteidigte sie das Recht der Ungelehrten, das durch die Apostel verkündigte Evangelium zu treiben und zu verfechten. Das Beispiel einer Judith, Deborah und Jael sei ein Beweis, dass auch Weiber für Gott streiten dürften.

Darum zürnet nicht so hart,
Ob Gott jetzt auch wieder Weiber schaffen,
Die Eure Hoffart müssen strafen.
Macht, dass Ihr gar nicht würdig seid,
Dass ein Gelehrter mit Euch streit.

Am Schlusse heißt es:

Weh Euch, die Ihr jetzt sonder lacht,
Ihr werdet klagend und weinend gemacht,
Ihr Lästerer Gottes, wie wird euer Leben,
So ganz und gar vor Gott zu nichte,
Wenn ihr kommt vor das streng Gerichte
Am sechsten Lukas da bestimmt,
Darum lasst ab und seid besinnt;
Auf diesmal nehmt genug daran,
Bis er hervortritt auf den Plan.
Von Bileams Eselin nimm zu gut
Mein lieber Johannes von Landshut!

Dr. Eck schickte ihr auf die Aufforderung, mit ihr zu streiten, einen Spinnrocken und eine Spindel.

Der Herzog Wilhelm war über die kühne Frau erzürnt und folgte darum der an ihn gerichteten Aufforderung um so bereitwilliger. Argulas Gatte erhielt seinen Abschied. Sie selbst aber wurde in ihrem Glauben nicht wankend gemacht, auch, da ihre Verwandten ihren Unwillen gegen sie äußerten. Sie schrieb an ihren Vetter, den Statthalter Adam von Torring zu Neuburg: „Man hat mir gesagt, man wolle meinem jungen Herrn das Amt nehmen; kann ich ja nicht dafür; denn ich habe vorher Alles wohl bedacht; habe mich daran gesetzt, Alles zu verlieren, ja Leib und Leben; Gott steht mir bei.“

Sie ging noch weiter in ihrem Eifer für die Reformation. Sie schrieb an den Kurfürsten von Sachsen und an andere Fürsten: sie möchten sich des Evangelii treulich annehmen. Auch mit Luther trat sie 1524 in einen Briefwechsel, und dieser gedenkt ihrer öfters in ehrenvoller Weise; er nennt sie die „sehr gottselige Frau“ und schrieb 1524 an Spalatin: „Ich schicke Dir hiermit das Schreiben der Argula, der Jüngerin Christi, damit Du es sehen und Dich freuen mögest über eine sündige Tochter Adams, welche umkehrt und sein Kind wird.“

1530, während des Augsburger Reichstags, besuchte Argula Luther auf dem Schlosse Coburg. Auch an Spalatin schrieb sie: „Fürchtet Euch nicht, die Sache ist Gottes, der sie in uns, ohne uns angefangen hat, der wird sie auch wohl beschützen. Er schläft nicht, der Israel behütet; die Sache ist sein.“ Und dieses schrieb sie, da sie schon Witwe geworden und ihr Gottvertrauen durch mancherlei Prüfungen auf die Probe gestellt worden war. Dasselbe wurde nicht erschüttert. „Meine Kindlein,“ schrieb sie, „wird der Herr schon versorgen und speisen mit den Vögeln in der Luft, auch bekleiden mit den Lilien auf dem Felde. Er hat es gesagt; Er kann nicht lügen.“

Über ihre letzten Schicksale ist wenig bekannt. Nur so viel wissen wir, dass sie, als in Bayern die Verfolgung immer heftiger wurde und Mancher wegen seines evangelischen Glaubens den Scheiterhaufen besteigen musste, aus ihrem Vaterland verwiesen wurde. Sie starb 1554 zu Zeyligheim in Franken mit der Gesinnung, die sie in folgenden Worten ausgesprochen hat: „Man heißt mich Lutherisch; ich bin es nicht; ich bin im Namen Christi getauft, den bekenne ich; aber ich bekenne, dass ihn Martinus auch als ein treuer Christ bekennt.“

Auch andere Frauen zeigten sich bereit, das Evangelium mit biblischen und anderen Gründen zu verteidigen, z. B. Maria von Heringen und ihre Schwester Engel von Hagen, von denen Spangenberg in seinem „Adelsspiegel“, und Lobwasser in seiner „Hochwürdigen Gesellschaft gelehrter Frauenzimmer“ berichtet, wie sie mit den gelehrtesten Theologen über Luthers Lehre gestritten und dieselben mit ihren eigenen Worten gefangen hatte. Zu Eger forderte Katharina Junker die Theologen zu einer öffentlichen Disputation heraus; sie verteidigte ihre Ansichten mit Einsicht und Mut.