XXV. Wilibrandis Rosenblatt, und andere Schweizer Frauen.
Die Gattin des Antistes Heinrich Bullinger, die oben schon genannte Anna Adlischweiler, eine gewesene Nonne am Detenbach, war in Zürich nur unter dem Titel „Frau Mutter“, im Auslande unter dem Namen „Zürich-Mutter“ bekannt. So nannten sie Engländer, Italiener, Niederländer, Pfälzer, welche bei Monaten und Jahren Obdach, Herberge, Hilfe und Trost in Zürich fanden, dass sie diese Stadt für ihr zweites Vaterland ansahen.
Von der Gattin des M. Leu, Pfarrers zu St. Peter in Zürich, Katharina Gmünder von St. Gallen, heißt es: „Sie trug allen armen Kranken und Kindbetterinnen in ihrer Gemeinde zu; sie teilte redlich mit ihnen. Weil aber die Pfründe klein und M. Leu arm war, und bösen Leumund fürchtete, so musste er stets entlehnen; und wiewohl er nicht große Schulden machte, konnte er doch auch nichts erübrigen. Katharina lag Tag und Nacht dem Weben ob im Pfarrhause; damit gewann sie viel Geld und daraus kaufte sie Tuch und Hausplunder. Sie hatte auch arme Knaben, deren etliche nicht über 12 fl. Tischgeld im Jahr gaben. Die Vertriebenen nahm sie auf, und hielt manchen einen Monat, zwei oder drei und mehr.“
Conrad Pellikanus, früher Franziskaner-Mönch in Tübingen, kam im Jahre 1526 als Lehrer des Hebräischen nach Zürich, legte die Kutte ab und ehelichte die Anna Fries, eine geborne Züricherin. Von ihr wird es gerühmt, wie sie sich besonders um verarmte stille Bürgerhaushaltungen, um sogenannte Hausarme verdient machte und namentlich dafür sorgte, dass die Kinder armer Eltern unentgeltlich Schulunterricht genießen konnten.
Um ähnlicher Verdienste willen lebt eine andere, etwas später geborene Züricherin noch heute im dankbaren Andenken ihrer Vaterstadt. Wenn es nämlich ein Großes für eine Mutter ist, wie die Hanna ihren Samuel dem Dienste seiner Kirche zu widmen, so ist es ein nicht minder Löbliches, wie jene Frau Cotta ihr kinderloses Haus und ihr Vermögen zur Erziehung und Ausbildung fremder Kinder in den Dienst der Kirche und Schule darzugeben. Und gewiss, je weniger zu aller Zeit und besonders heute der Dienst an der arm gewordenen Kirche gegenüber den ganz anders von der Welt geschätzten Ämtern etwas Lockendes hat, je weniger man hinfort das Wort gelten lassen will, dass die das Evangelium verkündigen, sich auch vom Evangelium nähren sollen, desto mehr verdient eine Frau erwähnt zu werden, wie die treffliche Züricherin Agnes Tomman. Sie war geboren den 22. Jan. 1524 und starb den 21. Dez. 1607. Ihr Bruder Caspar Tomman war Bürgermeister in Zürich von 1584 bis 1594 und galt mit einem Vermögen von 40.000 Gulden als der reichste Bürger seiner Zeit. Die ebenfalls vermögliche Agnes war mit Heinrich von Huben verheiratet, aber nur kurz und ohne Kinder. Als Zeitgenossin des Antistes Bullinger war sie Zeuge von der Entwicklung und Ausbildung der Reformation. Jene kräftige, aufopferungsreiche Zeit verfehlte ihren bedeutenden Einfluss nicht auf eine Frau, welche aus dem noch vorhandenen Bildnisse im dunkeln pelzbesetzten, vorn offenen Kleide, aufrechtstehendem geringeltem Hemdkragen, feinem, das ganze Haar bedeckendem und über die Stirne hereinfallendem weißem Schleiertuche rund, stark, fest und klar als eine rechte verständige Biederfrau herausschaut. Eine Base von ihr, Regula Tomman war (4. April 1597) mit Antistes Breitinger verheiratet und auf seinen Antrieb hin geschah es, dass unsere Frau Agnes ein Vermächtnis von 400 Pfund machte „Gott dem Allmächtigen und unserm lieben einigen Heiland, dem Herrn Jesu Christo zu Lob und Ehren, darnach zu Beförderung ihrer und ihrer lieben Nachkommenschaft ewigem Heil, aus christlichem Eifer und freiwilliger Gemüt angesächen ein Gotts-Gaab und Stiftung, mit der Bedingung dass von diesem Geld, als welches ein wahres Almosen und Gottesgaab, niemanden überall nichts gegeben werde, als allein und einzig denjenigen, so da wissenthaft gewiedmet sind und eigentlich erzogen werden zum Dienst der Kirchen und heiligen Predigtamt, jedoch soll fürnehmlich gesehen werden, welche unter den Armen die tugentlichsten, fleißigsten, und der besten Hoffnung, damit durch dieser Gottes gaben Fleiß und Frommkeit belohnet und die Eltern veranlasset werden, ihren Kindern desto mehr zuzusprechen und zu vermahnen. Alle die Knaben sollen das ihnen bestimmte dann nach der jährlichen Prüfung empfangen von eines Schulherrn Hand und ein Pfarrer soll ihnen einbilden, aus was Ursachen ihnen ein sömmlichs gegeben werde, mit gebührender Vermahnung Gott und der frommen Leuten dankbar, auch fromm und geflissen zu sein.“
Zu dieser „Tommanischen“ Stiftung trugen bis in unsere Zeit 229 Personen nach und nach 34.890 Gulden bei und der Grundstock hat sich bis auf 80.000 Gulden vermehrt. Seit 1834 werden die Zinsen auch auf die Stadtschulen, doch der weitaus größere Teil auf die Unterstützung Theologie studierender Bürgerssöhne verwendet. Auch Preise für vorzügliche theologische Ausarbeitungen wurden ausgesetzt, um den Eifer der Studierenden zu beleben.
Unter diesen edlen Schweizerfrauen, welche das Zeitalter der Reformation mit einem, durch ausharrende Liebe tätigen Glauben schmückten, zeichnet sich ganz besonders Wilibrandis Rosenblatt durch ihr Schicksal und ihre Geschicklichkeit als Gehilfin dreier reformatorischen Männer, als eine treueste Mutter auch fremder Kinder und als würdige Kirchen- und Armenvorsteherin aus. Ihr Vater war Ritter und Feldoberster Kaisers Maximilian I. Als eine zwar arme, aber sittsame und schöne Person verehelichte sie sich sehr jung mit M. Ludwig Keller, der aber bald an einer heftigen Krankheit starb. Ökolampad, der um diese Zeit seine um das Hauswesen treubesorgte Mutter durch den Tod verloren hatte, lernte die bescheidene Witwe kennen, die in stiller Verborgenheit Gott. diente. Oftmals hatte er gesagt, entweder wolle er eine Monika heiraten oder ledig bleiben. Nun hatte sich eine Monika gefunden, und er verband sich ehelich mit ihr im Jahr 1526, nach dem Beispiele seines Freundes Zwingli in Zürich und Capito in Straßburg.
Seine Gesinnung ergibt sich aus einem Schreiben an den Reformator Farel: „– vielleicht hast du es schon durch das Gerücht vernommen, ich melde es dir aber selbst, dass mir der Herr, statt meiner teuren, jüngst verstorbenen Mutter, eine echt christliche Schwester zur Gattin gegeben hat. Sie ist zwar arm, aber von guter Familie, ist Witwe, und weiß seit Jahren was Kreuztragen ist. Ich wünschte zwar, sie wäre etwas älter, doch habe ich bis dahin noch keine Spur von jugendlichem Leichtsinn oder flüchtigem Weltsinn an ihr wahrgenommen. Sie lebt ihrem Gott und mir. Bitte den Herrn, dass unser Ehestand glücklich und dauerhaft sein möge.“
Das Ehepaar ward mit Kindern gesegnet. Nach der heiligen Sitte der Patriarchen wurden den Kindern bedeutungsvolle Namen gegeben, Eusebius, Irene, Alithea. Denn, sagten die Eltern, die Taufnamen sollen unsre Kinder zeitlebens an ihre Christenbestimmung und Würde erinnern. Eusebius soll sich der Frömmigkeit befleißen, Irene eine Freundin und Stifterin des Friedens und des stillen häuslichen Glückes werden, Alithea soll die Wahrheit, welche von Gott kommt, wie Gott selbst lieben. „Und schenkt uns der Herr noch ein Paar Knaben,“ sagte Ökolampad, „so soll der eine Timotheus, der andere Natanael heißen.“
Ökolampad hing mit ganzer Seele an Zwingli. Kaum hatte er dessen trauriges Lebensende vernommen, so ward er von einer heftigen Krankheit ergriffen und auf das Sterbelager geworfen. Jetzt rief er: „Geliebter meiner Seele, ich folge Dir nach!“ Die treue Mutter musste die Kinder auf sein Bette tragen; hier legte er ihnen die Hände auf das Haupt und segnete sie vor seinem Scheiden. „Geliebte Kinder,“ sprach er, „liebt Gott, euren Vater! und du, liebe Mutter, lehre du sie statt meiner, du kannst es am besten, Gott den Vater lieben, der sie erschaffen, den Sohn, der sie erlöset hat, und den heiligen Geist, der uns heiligt. Sie sollen dein Trost sein ihr und dein Leben lang, und ihre Bestimmung erfüllen, fromm, friedsam, wahrhaft.“
Der vertrauteste Freund des Entschlafenen, Dr. Wolfgang Capito, Reformator und Prediger zu Straßburg, trat in seine Fußstapfen und wählte sich die Witwe zur Gattin. Auch dies Eheband dauerte nur kurze Zeit. Als Capito 1541 vom Reichstag zu Regensburg zurückgekehrt war, befiel ihn die Pest und er ging bald in die ewige Ruhe ein. Merkwürdig war indes, dass er noch eine Viertelstunde vor seinem Ende seinen Herzensfreund Martin Bucer (Bucer) den berühmten Theologen, mit einer kurzen Zeile ersuchen konnte, die „hinterlassene Gattin aus seiner Hand anzunehmen, damit sie und die Kinder wieder einen Vater fänden.“ Die Herzlichkeit, mit welcher Bucer entsprach, ergibt sich aus seinem Schreiben an Ambrosius Blarer vom April 1542. „Wie konnte ich anders, als des sterbenden Freundes Stimme ehren? – Nachdem ich meine Verhältnisse und meinen Beruf überlegt hatte, fasste ich den Entschluss, mich mit der Witwe zu verbinden, ungeachtet ich in Jahren bin, die zum Heiraten nicht mehr ganz geeignet scheinen. Sie hat noch vier Kinder: eine Tochter, welche sie dem Ökolampad geboren hat, ein Söhnlein und zwei Töchter von Capito. Seinen Kindern hat er wenig hinterlassen, weil er durch Bürgschaft in Unglück geraten war. Doch ist ihnen noch etwas übrig geblieben, womit man ihnen behilflich sein kann. Und dieses wollen wir auch, so wie es ist, den Waisen aufbehalten, so lange mir Gott das Leben fristet und meine Einkünfte erhält. Inzwischen werde ich die Kinder neben meinen drei eigenen und wie dieselben ernähren. Die vornehmste Ursache also, warum ich mich in eheliche Verbindung eingelassen habe, ist, teils weil ich der Einsamkeit nicht gewohnt war und solche nicht vertragen konnte; teils die Gefahr, die Besorgung des Hauswesens fremden Leuten anzuvertrauen; über dieses die Tugend der Witwe und die herzigen Waisen eines heiligen Mannes, welcher sich seit vielen Jahren so unvergesslich um mich verdient gemacht hatte.“
Als Bucer 1549 nach England berufen wurde und den Lehrstuhl der Gottesgelehrsamkeit zu Cambridge erhalten hatte, begleitete ihn seine Gattin dahin. Im Jahr 1551 ging er in das Land des ewigen Friedens über, welchen er unter den Evangelischen herzustellen vergeblich bemüht war. Unter der Königin Maria wurden 1556 seine Gebeine aus dem Grabe gerissen und verbrannt. Wilibrandis reiste nach Basel zurück, wo sie den 1. November 1564 im Herrn entschlief. Sie ward im Kreuzgange des Münsters daselbst beigesetzt, in dem Grabe ihres 33 Jahre früher vollendeten Ökolampadius.