Brunn, Martin von – Einige Züge aus der Lebensbeschreibung der Frau Wibrandis Rosenblatt, Ehegattin des Dr. Oecolampadius
Unter die Merkwürdigkeiten aus den Zeiten der Reformation, im XVI. Jahrhundert, gehören auch die Schicksale der Wibrandis Rosenblatt, welche nicht nur mit dem Baslerischen Reformator, Dr. Joh. Oecolampadius (Hausschein) sich ehelich verbunden, und als eine verständige und fromme Person das Leben dieses christlich-thätigen Verfechters der evangelischen Wahrheit durch ihre Tugenden verschönert, sondern auch mit Dr. Wolfgang Capito, und Dr. Martin Bucer die äusserst denkwürdigen Schicksale getheilt hatte, welche durch die rastlose Thätigkeit dieser achtungswürdigen Reformatoren veranlaßt, unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.
Diese Frau Wibrandis Rosenblatt wurde wahrscheinlich in Basel geboren, im Anfange des XVI. Jahrhunderts. Ihr Vater war Johannes Rosenblatt, Ritter und Feldoberst Kaiser Maximilians I. Als eine zwar arme, aber sittsame und schöne Person, verehelichte sie sich noch sehr jung mit M. Ludwig Cellarius (Keller); konnte sich aber, wegen des frühzeitigen Hinscheids desselben, dieser glücklichen Ehe nicht lange erfreuen.
Dr. Johannes Oecolampadius (Hausschein) der nicht lange hernach zu Basel seine gute, um sein Hauswesen treu besorgte, Mutter durch den Tod verloren hatte, lernte diese bescheidene junge Witwe kennen, folgte im 44sten Jahre seines segensvollen Lebens dem Beyspiele seiner Freunde Zwingli und Capito, und trat im Jahr 1526. mit ihr in den heiligen Ehestand.
Ueber diese Veränderung seiner Lebensart, welche damals großes Aufleben erregte, schrieb er seinem Freunde, dem Reformator Farel, folgende Erklärung:
„Wenn du es noch nicht erfahren hast, so wisse, daß mir der HErr an die Stelle meiner gestorbenen Mutter eine recht christliche Schwester zur Gattin gegeben hat. Sie ist zwar arm, aber von ehrbarer Familie, ist Witwe, und seit einigen Jahren im Kreuztragen geübt. Ich wünschte zwar, sie wäre etwas älter; doch habe ich bis dahin noch keine jugendliche Ausgelassenheit an ihr wahrgenommen.
Bitte auch du den HErrn, daß unser Ehestand glücklich und dauerhaft seyn möge!“
Diese zufriedene Ehe wurde mit drei Kindern gesegnet, und Oecolampad folgte der ehrwürdigen Sitte frommer Patriarchen im alten Testamente, welche den Kindern bedeutungsvolle Namen gaben, ohne bloß der Eitelkeit ihrer Zeitgenossen zu schmeicheln, indem er den Sohn Eusebius (Frömmigkeit), die erste Tochter Irene (Friede), und die zweyte Alithea (Wahrheit) nannte. Frömmigkeit, Friede und Wahrheit waren ihm ja so theuer, daß er sie seinen Kindern nicht nur durch den Namen in Erinnerung bringen, sondern noch viel lieber ihrem Geiste und Herzen einprägen mochte.
Nicht lange aber freute sich der fromme Vater dieser liebenswürdigen Kinder, denn bereits in der Mitte des Wintermonats 1531 wurde er von einer tödtlichen Krankheit befallen. Am 22ten des genannten Monats, dem 15ten Tage seines Krankenlagers, berief er seine drey Kinder, von welchen das älteste erst drei Jahre zählte, und daher noch keines den Sinn seiner Worte verstehen konnte, legte ihnen die Hände auf’s Haupt, und sprach zu ihnen: „Mein Eusebi, meine Irene und Alithea, meine geliebten Kinder, liebet Gott euern Vater.“ – Die unmündigen Kindlein konnten dem sterbenden Vater zwar die Zusicherung noch nicht geben, dass sie seinem Wunsche entsprechen, und liebend dem ewigen Vater sich widmen wollten. An ihrem Platze aber versprach es die fromme Mutter Wibrandis, welche mit treuer Sorgfalt den sterbenden Vater Oecolampadius pflegte. Er wandte sich daher nochmals an diese seine treue Gefährtin des Lebens, und empfahl die nemliche, ihm so äusserst wichtige Sorge seiner geachteten Schwiegermutter, indem er an beide mit folgenden Worten sich wandte: „Ich will euch hiermit ermahnt haben, allen Fleiß anzuwenden, daß diese, meine Kinder, nach Anweisung ihrer Namen fromm, friedsam und wahrhaft werden.“ Als ihm dann die treue Beobachtung dieser Ermahnung versprochen worden war, so entließ er diese seine Lieben, um sich die letzte Nacht seines Lebens in feyerlicher Stille dem HErrn zu widmen. So verlor Frau Wibrandis den 23. Wintermonat 1531 durch den zeitlichen Tod den besten Gatten, und ihre Kinder den wohlmeinendsten Vater, den gelehrten und frommen Oecolampad.
Von seinen drey Kindern ist uns bloß soviel bekannt, daß Eusebius, welcher von Jugend auf kränklich war, im Jahr 1541 in Straßburg bey Capito sein jugendliches Leben endigte: Alithea verheirathete sich im Fahr 1548 mit Christ. Solius, einem Prediger zu Straßburg; und Irene soll sich im Jahr 1569 an Joh. Lukas Iselin, von Basel, verheirathet haben. Es ist aber wahrscheinlicher, daß sie hier mit der Irene Capito verwechselt wird, indem genannter Joh. Lukas Iselin erst im Jahr 1549 geboren ist.
Schmerzlich war Oecolampads Hinscheid für die nun zum zweiten Male verwitwete Wibrandis; aber Gott, dem der Sterbende seine Theuern empfohlen hatte, und der fromme Witwen und Waisen nie verläßt, sorgte wieder auf’s väterlichste für Oecolampad’s arme Hinterlassene, indem Er es so lenkte, daß Dr. Wolfgang Capito (Köpflin) der vertrauteste Freund des Verstorbenen, ebenfalls ein Reformator und Prediger zu Straßburg, die Frau Wibrandis Rosenblatt zur Gattin wählte.
Doch auch diesen unvergleichlichen Mann sollte sie nicht lange besitzen; denn in eben dem Jahre, da ihr lieber Eusebius gestorben war (1541), ging auch Capito, als er kaum vom Reichstage zu Regensburg zurückgekommen, und von der leidigen Pest befallen worden war, in die ewige Ruhe ein.
Nun bewarb sich der berühmte Dr. Martin Bucer um ihre Hand, welcher ein vertrauter Freund ihrer beyden letztgestorbenen Gatten, Capito’s treuer Amtsgehülfe und einer der thätigsten Beförderer der Reformation war.
Mit ihm zog sie im Jahr 1549 nach England, als Dr. Bucer Professor der Gottesgelehrtheit auf der Universität zu Cambridge wurde, wo er schon im Fahr 1551 in das bessere Leben einging, und des ewigen Friedens theilhaftig wurde, den er unter den Evangelischen herzustellen sich vergebens bemüht hatte. Durch diese Abrufung Gottes in die stillen Wohnungen des ewigen Friedens wurde er auch gesichert vor den Nachstellungen seiner Feinde, die unter der Königin Maria (1556) seine Gebeine aus der Grabesruhe hervor rissen, und verbrannten.
So wehe dies der zum vierten Male verwitweten Frau Wibrandis thun mußte, so hatte sie doch Ursache, Gott zu danken, daß sie in Basel, wohin sie sich nach Bucer’s Tod begeben hatte, einen sichern Zufluchtsort finden konnte.
Nachdem sie durch ihre merkwürdigen Schicksale die Wahrheit des Wortes: Wir haben hienieden keine bleibende Stätte, sondern die Zukünftige suchen wir, vielfältig zu erkennen Gelegenheit hatte, wurde auch sie den 1. Nov. 1564 aus dieser Prüfungszeit abgerufen, und von ihren hinterlassenen im Kreuzgange des Münsters zu Basel in dem Grabe ihres 33 Jahre früher vollendeten Oekolampadius feyerlich zur Erde bestattet.
Auf ihren Leichenstein ward folgende Inschrift gesetzt:
Fraw Wiprand Rosenblatt, etwann M. Ludovici Kellers, Dr. Johannis Oecolampadii, D. Wolfgangi Capitonis, D. Martini Buceri seligen Herren, verlassene Wittfraw, ist verschieden im HErrn den 1. Nov. 1564.
Schön ist ein Leben dem Ew’gen geweiht!
Fordert’s der Kämpfe auch viele,
Führts doch im eilenden Strome der Zeit
Hin zu dein herrlichsten Ziele.
Wahrheit und Tugend war, Oecolampad!
Heilig im Thun dir und Streben,
und als Gefährtin auf glorreichem Pfad
Ward dir Wibrandis gegeben.
Gott! der dich frühe zur Heimath abruft,
Prüft sie auf angstvollen Wegen
Und weiht, vereint in friedlicher Gruft;
Euch seinen göttlichen Segen.