Zum Lobe unserer Zeit darf es gesagt werden, daß sie das Vergangne, Große aus dem Staube gehoben. Sie hat Händel und Bach aus der Vergessenheit gezogen, sie ist auch Albrecht Dürer gerecht geworden. Durch die neuere Geschichtsforschung lernen wir den Menschen im Künstler verstehen, ebenso sehr Kind als Bildner seiner Zeit; seine Werke nicht losgerissen, sondern im Zusammenhang mit seiner Person, nicht als Bruchstücke, sondern als Zeugnisse seines eigensten Lebens. Bei wenigen läßt sich dieser Zusammenhang so schlagend nachweisen als bei Albrecht Dürer. Seine Werke sind Bekenntnisse, die er als Christ und Mensch und Künstler ablegt. Darum soll ihm auch nicht der Ehrenplatz unter den Zeugen Christi fehlen. Wir schauen denn in sein Leben zunächst.
Im Jahre 1455 ist zu Nürnberg Hochzeitfeier. Philipp Pirkheimer, ein Patrizier, hält Hochzeit und Bankett im Hofe der alten Kaisersburg. Derweilen wandert zu den Thoren Nürnbergs ein schlichter Goldschmied aus Ungarn ein, nicht ahnend, daß sein und Pirkheimers Name einst eng verbunden, und der seine zu Nürnbergs besten zählen werde. Es ist der Vater Dürers „der von männiglich ein gut Lob gehabt, denn er hielt ein ehrbar christlich Leben, war ein geduldig Mann und sanftmüthig, gegen Jedermann friedlich und dankbar gegen Gott. Er hat sich auch nicht viel weltl. Freud gebraucht, war weniger Wort, hat nicht viel Gesellschaft und war ein gottesfürchtiger Mann.“ Bei Hieronymus Heller dem Goldschmied findet der zugewanderte Fremdling Arbeit und bald auch seine Heimath. Denn nachdem er zwölf Jahr dem Meister gedient, erhält er dessen 15jähriges Töchterlein Barbara zur Ehe. Achtzehn Kinder werden dem Paare im Hinterhause der Pirkheimerschen Petrizierwohnung geboren. Von den achtzehn aber bleiben nur drei übrig: Albrecht geb. 22. April 1471, Andreas und Hans. Im Vorderhause aber ward auch kurz vor Albrechts Geburt ein Sohn geboren. – Die Kinder spielen zusammen, die Knaben verkehren, und als Männer bleiben sie die innigsten Freunde: Albrecht Dürer und Willibald Pirkheimer.
Nachdem Albrecht vier Jahre lang die Schule besucht und mäßig schreiben und lesen gelernt nahm ihn der Vater in die Lehre, dessen „höchst Begehren war, daß er seine Kinder mit der Zucht wohl aufbrächt, daß sie Gott und Menschen angenehm würden.“ Goldschmiedskunst und Malerei, wie Handwerk und Kunst überhaupt lagen in jener Zeit nicht weit auseinander. Man war Beides: Künstler und Handwerker. So übte Albrecht sich schon im Modelliren, im richtigen Zeichnen – und bald schlug die tiefliegende Gabe zur Malerei durch. Als neunjähriger Knabe malt er sich selbst und schrieb darunter: „dz hab ich aws ein svigell nach mir selbst cunterfeit, da ich noch ein kint war“. So kindlich die Auffassung, so gelungen doch schon, was ihn durch seine ganze Kunst begleiten sollte: der Ausdruck des Innern. – Noch arbeitet er als Goldschmiedsgeselle ein Prachtstück: die sieben Fälle aus dem Leiden Christi – im Gehorsam gegen den Vater, der endlich dem Drängen des Knaben nachgibt und ihn zu dem Maler Michael Wohlgemut in die Lehre bringt. Drei Jahre sollt er da lernen. „In dieser Zeit gab mir Gott Fleiß, daz ich wohl lernte, aber Vill muste ich von Wohlgemuts Knechten leiden“. Waren eben dort nicht blos Kunstjünger, sondern auch Anstreicher und Farbenreibegesellen. Die Lehrzeit ging um, Wohlgemut entließ den jungen Dürer mit dem Zeugniß, daß der Schüler den Meister überwunden. Dann that ihn der Vater „vier Jahr aussen“ bis er ihn wieder „forderte“. Im Jahr 1494 um Pfingsten war’s daß Dürer heimkehrte, das Bild eines jungen Mannes von ausnehmender Kraft und Schönheit, wie ihn ein Gemälde aus jener Zeit darstellt. Das ist mit goetheschen Farben beschrieben „ein ernstes Jünglingsangesicht, keimende Barthaare um Mund und Kinn, das Ganze herrlich gezeichnet, reich und unschuldig harmonisch in seinen Theilen, vollkommen Dürers würdig.“
Dürer legt das Probestück seiner Wanderjahre ab und dem dreiundzwanzigjährigen werden Sitz und Stimme in der Zunftstube gegeben. „Da ich anheims kommen war, handelt Hans Frey mit meinem Vater und gab mir seine Tochter, Agnes und gab mir zu ihr 200 Gulden und hielt Hochzeit am Montag vor Margaretha 1494.“ – Ohne Zuneigung geschlossen, war die Ehe, wenn auch nicht eine unglückliche, da Dürer niemals klagte, so doch keine, die Dürer gehoben und getragen. – Der Stolz der ungebildeten, schönen Frau, die einen Mann wie Dürer nicht begriff, ihr Drängen nach Erwerb, womit sie ihn plagte, hat ihn wohl dann und wann erbittert, aber nicht gebrochen. Was er in der Ehe nicht fand, fand er im Verkehr mit seinem Gott, seinem Wort, gleichgesinnten Freunden und in seiner Kunst. –
Nach dem Tode seines Vaters, den er in herzbewegender Weise beschreibt, nahm er seine Mutter zu sich, die der Vater „allweg großlich lobett, wu sy so ein frum Fraw war, deßhalb ich mir fürnahm sy nymmermehr zu lassen“. – Nach langer Arbeit in Zeichnung und Kupferstich trat Dürer durch Pirkheimer unterstützt eine Reise nach Italien an. Das waren sonnige Tage für Dürer, seine Briefe von daher athmen nichts denn Ruhe und Friede und Freude. Der glänzende Empfang, die Bewunderung seiner Vielseitigkeit, die blinkenden Dukaten die man ihm zahlte – deß Alles freut er sich wie ein Kind, ebenso kindlich geht er vorüber an italienischem Neid und Eifersucht.
Die deutschen Kaufleute in Venedig bestellen ihm ein Bild für ihre Kirche. Da Kaiser Rudolf II. davon hört, kauft er es der Kirche ab und läßt es durch vier starke Männer über die Alpen tragen. Man bietet ihm ein Jahrgehalt von 200 Dukaten um ihn festzuhalten, aber Dürer, der nur hundert Gulden von seiner Vaterstadt hatte, und diese nur mit Noth, lehnt die verführerische Gabe ab, wohl wissend was zu Hause seiner warte. Von Venedig reist er nach Bologna „um Kunst willen in heimliche Perspectiva“. Rom und Florenz hat er nicht gesehen, wohl aber schriftlich Raphael gegrüßt und ihm sein Portrait gesandt. Raphael tauschte mit ihm das seinige und ein Heft herrlicher Zeichnungen „ihm sein Hand zu weisen.“ Raphael erkannte den ebenbürtigen Geist. „Dieser Deutsche würde uns alle übertreffen, wenn er die Vorbilder des Alterthums vor Augen gehabt“ sagte er. Verlieren Andere auf Reisen ihr Selbst, Dürer bringt sich zurück, obwohl er weiß was ihm Italien geboten, und was er zu Hause missen muß. „O wie wird mich nach der Sonnen frieren“, schreibt er, „hier bin ich Herr, daheim ein Schmarotzer“. – Was er in Italien gelernt, zeigt sein herrliches Gemälde „Adam und Eva“ von dem der kaiserliche Hofpoet Velius also begeistert war, daß er sich zu dem Verse verstieg:
Als sie der Engel erblicket – „Aus Eden“, rief er verwundert,
„Hätt‘ ich so schön Euch gesehn, wäret ihr nimmer verbannt.“
1520 zieht Dürer mit Frau und Magd nach den Niederlanden, die dortigen Meister kennen zu lernen. Das Tagebuch dieser Reise, wo Heller und Pfennig berechnet ist, zeigt den Meister in der ganzen Treuherzigkeit seines Wesens. Seine Reise ist ein Triumphzug von Stadt zu Stadt. „Da laden mich die Maler auf ihre Stuben und haben allerding mit Silbergeschirr köstlichem Gezier und überköstlich Essen. Da ich zu Tisch geführt ward, stand das Volk auf beiden Seiten, als führt man einen grossen Herren mit Neigen.“ Auch Erasmus von Rotterdam sucht Dürern auf und wird von ihm gemalt. Man bietet ihm auch hier in Antwerpen 300 Philippsgulden, so er bleiben wolle. Die bedeutendsten Maler werden seine Freunde und an ihrer Freundschaft ist ihm genug. Die Krönung Carl V. in Aachen feiert er mit, erhält vom Kaiser die Bestätigung seiner 100 Gulden und die Abgabenfreiheit, die beide der Rath der Stadt Nürnberg ihm geben soll. Der Rath aber prozessirt über der letzten so lange, bis Dürer von selbst verzichtet; wie denn der Rath der Stadt Nürnberg ihm nie eine Bestellung gemacht, sondern nur verspricht, „sein Ersparniß mit 1000 Gulden zu Fünf Prozent verzinsen zu wollen.“ Mit 100 Gulden Schulden, die er auf der Reise gemacht, kehrt Dürer heim.
Dem Rathe zu Nürnberg, der es wahrlich nicht um ihn verdient hatte, schenkt Dürer im Jahre 1526 gleichsam als sein letztes Vermächtniß, zwei überlebensgroße Bilder – die sog. „Kirchenstützen“. Aber auch dies Geschenk weiß der Rath nicht zu schätzen, es fällt dies größte protestantische Kunstwerk in die Hände des erbittertsten Feindes der evangelischen Kirche, des Kurfürsten von Baiern.
Bald nach der Vollendung dieses größten Werkes brach die Krankheit, deren leichte Anfänge schon in die niederländische Reise fallen, als Zehrfieber hervor. Ohne Ruhe, und gequält, wenn wir Willibald Pirkheimer Glauben schenken, von „seinem Rechenmeister“ – seinem auf Erwerb erpichten Weibe – sinkt seine Kraft von Tag zu Tage; am Osterfeste des Jahres 1528 – erst 57 Jahre alt – stirbt der herrliche Mann, und wird auf dem St. Johanniskirchhof begraben.
Er wurde in das Grab seiner Schwiegereltern gelegt. Ein Stein bezeichnete seine Ruhestätte mit der Inschrift:
Dem Andenken Albrecht Dürers.
Was sterblich an Dürer war, liegt unter diesem Hügel.
Er wanderte aus am 6. April 1528.
So steht sein Leben vor uns; außer den beiden Reisen, ein Stillleben, ohne große Zwischenfälle, und doch was für ein Leben! Sein Reichthum liegt in der Fülle, in der Tiefe, nicht in der Länge und Breite. Ein sprudelnder segensreicher Quell ist mehr werth, als eine weite Fläche stehenden oder wildtobenden Wassers. In Dürer rauscht diese Quelle, sie will empor „ob sie in ein Marmorbecken fällt, oder in einen Viehtrog geleitet werden soll“ wie ein geistvoller Kritiker sagt. – Das ist das erste, das was ihn zum wahren Künstler macht. Für Dürer sind keine reichen Medicäer da, nur ein armer Kaiser, der „selbst auf dürrem Ast, wie ein Adler sitzend, um tägliche Atzung besorgt“, Dürern höchstens eine Anweisung auf den Geldbeutel der Stadt geben kann. Dürer schafft nicht unter solchen Sonnen – will man eine nennen, ist’s Pirkheimer -aber inwendig flammt’s; hat Niemand Freude an seinen Schöpfungen, hat er sie doch selbst im Herzen. Weder Venedig noch Antwerpen können ihn halten, er bedarf sie nicht; in seiner Heimath ist er zu Hause. Diesem innern Schaffenstrieb, dieser süßen Lust an der Arbeit verdanken wir die reiche Fülle seiner Werke. So war er ein Künstler von Gottes Gnaden, ohne nur entfernt deßhalb von sich zu denken, daß er Einer sein wolle, oder sich gar so nannte. Er ist „Bürger und Meister“. In seiner Kunst liegt sein Herz, und mit dem Herzen der ganze Mensch. Wir sehen in seinen Vorstellungen, Porträten nicht die und jene „wohlgetroffenen“ Leute, sondern ihn selbst herausleuchten, mit seinem großen verständnißvollen Auge und reichem Herzen. Malen blos um zu malen ist ihm nie eingekommen. „Gewöhnliche Gemälde will ich in einem Jahr einen Haufen zu Stande bringen, daß Niemand für möglich hielte, daß ein Mann so viel thun möchte“ – aber das ist seine Sache nicht. Die geistige Individualität der Dinge und Personen zu fassen, liebend ihr nachzugehen, nicht ruhen bis er ihr in Strich und Pinsel gerecht geworden, das bezeichnet alle seine Bilder, vor Allem seine Bildnisse. Sie sind Geschichten; im einzelnen Menschen sind ganze Klassen gekennzeichnet. Man nehme einen Kopf wie den des Rathsherren Holzschuher, oder Willibald Pirkheimers, oder der schönen Fürlegerin, dort die Bildnisse von ihm selbst, wie er in rührender Kindlichkeit jedes Härlein an sich mit Freuden malt – welch‘ eine Treue der Charakteristik. Und wenn er einen Menschen malt, den er nie gesehen – wie Carl den Großen – ja, das ist der Carl wie ihn das Volk liebt und wie er im Volke lebt, der Inbegriff seines besten Lebens, seiner herrlichsten Tugend, kühn und stark und milde zugleich, der heilige Carl, deß Auge nicht dunkel geworden, da er hinab stieg in die Gruft zu Aachen.
Diese selbstlose Hingebung an den Gegenstand, das in seinen Bildern pulsirende Herz und die daraus entgegenwehende Liebe, sie ergreifen unwillkürlich den Beschauer und lehren im Künstler den Menschen lieben.
Aber höher noch steigt uns Dürer. Seiner Zeit ist’s eigen durch vollendete Form, durch Sinnenreiz und Farbenpracht gefangen zu nehmen. Dürer weiß was Schönheit ist; hat sie ihn auch nicht angeweht von Kindheit auf wie Raphael, fehlt ihm das Studium der Wen – er weiß Schönheit zu schätzen und zu bewundern, und geltend zu machen. Wer seinen Meister Wohlgemut und Dürer vergleicht, wird den ungeheuren Abstand merken; da ist keine Verzerrung, kein Zustutzen der Natur, wenn auch nicht die raphaelische Freiheit der Bewegung. Aber für Dürer liegt die Schönheit weit mehr in der Wahrheit, als in der Form und der Farbe. Darum ist ihm Kupferstichel und Kohle lieber, als der Pinsel, wie wohl er zu malen versteht wie wenige und seine Farben heute noch leuchten als wären sie gestern gemalt. Aber er bedarf der Farbe nicht um das zu sagen, was er sagen will. Dafür genügt ihm die Linie, in der Zeichnung ist er der unübertroffene Meister. Hier geht uns die Welt Dürers auf. Wie das Leben ihm entgegen kommt, so greift er es auf, belauscht es in seinen geheimsten Lauten und gibt’s wieder so frei und freudig, so ohne Prätension als hätte er in guter Stunde nur einmal nach dem Stifte verlangt etwas zu entwerfen. Aber jeder Strich hat seine Aufgabe, keiner ist bedeutungslos, keiner zu viel. Dürer hört auf, wenn er fertig ist. Da ist keine Nachrede mehr. Diese Wahrheit, die manchmal in’s Kleinliche geht, und der er die Schönheit opfert, gibt Dürern die sittliche Größe, die Würde die durch alle Werke zieht. Tief bezeichnend ist es, wenn er Melanchthon gesteht, daß er in der Jugend auffallende Gestalten geliebt und ein Bewunderer seiner eignen Werke gewesen sei, daß er im Alter angefangen habe die Natur und ihr angebornes Aussehen zu betrachten und zu der Ueberzeugung gekommen sei, daß ihre Einfachheit der höchste Schmuck der Kunst sei.
So entfaltet sich denn in Dürers Stichen und Zeichnungen die Mannichfaltigkeit, der Reichthum, die Innigkeit und Herzigkeit deutschen – und wir sagen auch – nürnbergischen Lebens. Was Luther schreibt und singt, das zeichnet Dürer. Dürers Zeichnungen sind großartige Tischreden, wie im Vorübergehen gesprochen, aber bleibenden Werthes. Wir schauen in die Nürnberger Häuser mit den getäfelten Wänden, dem Hausrathe, aller sonntäglichen Stimmung (man erinnere sich nur an das Bild des heil. Hieronymus). – So ziehen an uns vorüber Kaiser und Bettler, Bürger und Landsknecht, Städte, Burgen und Dörfer. Die graue Vergangenheit ist in die lebendigste Gegenwart verpflanzt, Nürnberg. Aber das Herz geht einem auf, sieht man des kinderlosen Mannes Kinder spielen. Seine Engel sind Kinder mit Häschen liebkosend; Himmel und Erde sind im Kinde und Engel verbunden – nur ein Meister hat die Kinder wieder nach ihm so verstanden: Ludwig Richter. Aber es pulsirt in Dürer noch ein anderes Leben.
Es läßt sich in Dürers Werken der Fortschritt des innern Lebens ungezwungen verfolgen; der treue Sohn der Kirche wird je heller das Licht ihm einstrahlt, ein treuer Verkündiger des Wortes und Reiches Gottes. Die damals beliebte „antikische Art“ die heidnische Götterwelt und Göttersage darzustellen, mißglückt ihm; es ist als ob der Geist ihm gewehrt und die Feder aus der Hand genommen. – Schon in seinem 27ten Jahre hält er mit seinen Bildern aus der Offenbarung eine erschütternde Predigt über das wahre Haupt der Kirche, über den Weltenrichter, über den Sieg über das Antichristenthum in sechszehn großartigen Compositionen. Das war im Jahre 1498, wo Luther noch zu Eisenach vor den Thüren sang, als dieser Reformator vor der Reformation an das ewige himmlische Haupt appellirte. – Predigen hörte das Volk nicht, aber Bilder sah es, und als stille vorbereitende Prediger gingen seine Bilder von Hand zu Hand.
Es war eine Zeit da man, wie bei Frühlingsschauern, Tod und Ewigkeit ahnte, aber blos im Schrecken des geängsteten Gewissens. Daher stammen jene beliebten Todtentänze, – auch Dürer greift die Idee seiner Zeit auf, aber bald tritt sie in anderer Gestalt auf. Nicht mehr wehrlos als Einer, den der Tod als herbes unvermeidliches Schicksal erreicht, sondern als tapferer Kriegsmann, steht der Christ, den der Tod nicht blos, sondern auch der, der des Todes Gewalt hat, der Teufel, mit der Hölle umgibt, der aber ruhig und eisenfest seinen Gang auf strammem Pferde reitet, die Wehr bereit jeden niederzuschlagen, der ihm zu nahe kömmt. So in dem berühmten Bilde: Ritter, Tod und Teufel. Hier liegt eine evangelische Siegerkraft über den Tod. – Aber auch die Todesgedanken erblassen vor den aufgehenden Lebensgedanken. Seit 1512, kurz vor der Reformation, wendet er sich mit steigender Klarheit den neutestamentlichen Gedanken zu. Das kostbare Bild Hieronymus, der Uebersetzer der Bibel, der Verkündiger der reinen Lehre Christi, nicht der Pabst und sein Conzil, ist eine lebendige Predigt über das Wort „Suchet in der Schrift, denn Ihr meint, ihr habt das ewige Leben darinnen, und sie ist’s die von mir zeuget.“ Seine Passionen, mit denen er bereits als Knabe begonnen in den sieben Fällen Christi, die in ergreifender Weise den HErrn schildern; sein Leben der Maria (weit mehr das Leben der heiligen Mutter des Herrn, denn der „allerseligsten Jungfrau“, keine Heilige im römischen Sinn, sondern die Magd des Herrn, das treuste deutsche Weib und die liebendste Mutter) auch sie schwinden vor der Größe und Herrlichkeit des Auferstandenen und Ewiglebenden und seiner Zeugen. Sein Christophorusbild, der durch den Strom der Zeiten getragene lebendige Christus, die Aufnahme der Maria Magdalena, der reuigen bußfertigen auf Gnade hoffenden Sünderin in den Himmel, sein großer Christuskopf sind persönliche Bekenntnisse zu Christo und Zeugnisse an die Welt. Merkwürdig, daß sein zu seiner Zeit berühmtestes Bild „die Himmelfahrt Maria“ bei dem Brande des kurfürstlichen Schlosses untergegangen ist, als sollte sein evangelischer Charakter uns nur bewahrt bleiben.
Die Funken von der wittenberger Esse schlugen auch hinein in das Maleratelier Dürers. Ein Mann wie Dürer, allem dem aufgethan was seine Zeit bewegte, mußte der Reformation zufallen. Dürer hatte in Luther den Text zu seinen Zeichnungen gefunden. Was er von Luthern hielt, das zeigen die Worte, die er bei der Botschaft vom Verschwinden Luthers schreibt. Vor ihnen steht ein Gebet Dürers, ein Kirchengebet sonder Gleichen, würdig eines Bischofs, darin er der Kirchen Noth dem HErrn in rührenden Worten vorträgt. – Dann wendet er sich zu Luthers Tode (denn er meint ihn todt): „O Gott ist Luther todt, wer wird uns hinfürt das Evangelium so klar vortragen. Ach Gott was hätt‘ er uns noch in 10 oder 20 Jahren schreiben mögen. O ihr frommen Christenmenschen helfft mir fleißig beweinen diesen Gott Geistigen Menschen und ihn bitten, daß Er uns einen andern erlauchten Mann send. O Erasme Rotterdame, wo willst du bleiben, hörst du, reith hervor neben den Herrn, beschütz die Wahrheit, erlang die Märtyrkron, du bist doch schon ein alt Männiken!“
Darauf ermahnt er ihn noch des mehreren und schließt mit dem Aufrufe doch zu beten, daß die Zahl derer, die unter dem Alter sind, der unschuldig Getödteten voll werde, damit der HErr komme.
Als Melanchthon nach Nürnberg kommt, schließt er mit ihm Freundschaft, malt sein Bildniß. Als Luther von Dürers Tode hört, sieht er denselben als ein Heimholen vor dem Elend an, als sonderliche Gnade Gottes gegen einen seiner Lieblinge. So steht Dürer lebendigen Geistes inmitten des Frühlings jener Tage, und stirbt ehe er ihn verblühen sieht. Aber als Zeugnisse dieses Geistes ist nicht blos jener „Reformationsritter“, der unbeirrt um Tod und Teufel der festen Burg zureitet – ein Bild das man auf Franz von Sickingen auszudeuten dachte – sondern vornemlich seine „Dreifaltigkeit“ und seine „Kirchenstützen“. Das sind die Zeugen im Himmel und die Zeugen auf Erden.‘ Der Raum dieser Zeilen erlaubt nur auf die letzteren einzugehn. Wie oben berichtet, ein Geschenk an seine Vaterstadt, die es nicht zu würdigen wußte und an den Kurfürsten gab. Es sind die vier Zeugen: Johannes, Petrus, Paulus und Marcus auf zwei Tafeln gemalt. Johannes und Paulus stehen im Vordergrunde, Petrus und Marcus im Hintergrunde. Nicht ohne Absicht steht Johannes vor Petrus, der nur eben wie lernend neben Johannes verschwindet und in der Ferne nur seine Schlüssel zeigt. Aber Johannes hoheitlich lesend in der Schrift, als liege er an des HErrn Herz und Lippe, als sauge er die Worte ein, die Sanct Peter mühsam nur versteht – und in der andern Tafel Paulus, welch‘ ein reisiger Kriegsheld, mit dem Schwerte des Märtyrerthums, ein Ritter trotz Tod und Teufel, nicht in die Welt schauend wie Marcus, aber sinnenden Geistes, voll Entschlossenheit, der Lehrer der Heiden, der ganze volle Mann. -Dies Bild ist das edelste protestantische Bekenntniß; abgelegt kurz ehe vor Kaiser und Reich das gute Bekenntniß zu Augsburg erscholl. Die früheren Unterschriften unter diesen Bildern mahnten zum Halten ob Gottes Wort, warnten vor Abfall und vor falschen Propheten. Die Unterschriften sind getilgt. Diese Männer reden ohne Wort. Aber durch sie und in ihnen wie in allen seinen Werken, redet Albrecht Dürer heute noch zum evangelischen Christenvolke. Dieselbe Hand die so herrliches schuf, faltete sich zum kindlichen Gebet am Sterbebette der Mutter und schrieb sich selbst die Sterbebitte: „Gott der HErr verleihe mir, daß ich auch ein selig Ende nehme und Gott der HErr zu meinem Ende woll kommen und das ewig Leben geben.“ Gott lasse es seiner Kirche an solchen Zeugen nicht fehlen.
Frommel in Berlin.
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862