Noch zu Anfang des letzten Jahrhunderts sah man auf dem Kirchhofe zu Neuchatel einen Grabstein mit dem Sinnbilde eines Kreuzes oder – wie Andere wollen – eines Schwertes; wahrscheinlich war es Beides zugleich. Wahrer und treffender ließ sich in der That die Ruhestätte des Mannes nicht bezeichnen, der um des reiner n Glaubens willen aus Frankreich verbannt, sein ganzes Leben hindurch an der theuren Heimath Gränzen das Kreuz hoch und voran trug und mit dem Schwerte des Geistes wie mit der eigenen Brust unter tausend Leiden und Gefahren dem Evangelium überall eine Gasse zu machen suchte; – wir meinen Farel, welchen die westliche Schweiz, wenn nicht ihren größten, doch ihren ersten evangelischen Lehrer und Reformator nennt.
An den grünen Vorbergen der Dauphins in einem kleinen Dorfe zwischen Gap und Grenoble, das noch jetzt seinen Namen trägt, wurde Wilhelm Farel im Jahre 1489 geboren. In seiner Familie von gutem und altem Adel herrschte von jeher ein Geist eifriger Religiosität nach der Weise der Zeit, strenges Festhalten an den Lehren und Ueberlieferungen der Kirche, gewissenhafte Erfüllung der kirchlichen Vorschriften, Legenden- und Wunderglaube, Bilder- und Heiligenverehrung, und diesem Zuge folgte auch ohne Rückhalt der feurige Knabe, ein Sohn des Südens voll Phantasie und Gemüth, dessen dunkles Auge von Geist und innerem Leben strahlte und dessen kleiner aber zäher Körper Beweglichkeit und Energie verrieth. Mit wehmüthigem Rückblicke erzählt er uns, wie andächtig er schon früh mit seinen Eltern zu einem wunderthätigen Kreuze in der Nachbarschaft gewallfahrtet und wie so manches Zweideutige, was er da sah und hörte, ihm doch nicht die Augen geöffnet habe. Sein sinniger Ernst, seine Wahrheitsliebe, seine tiefe, wenn auch misleitete Religiosität gaben ihm den Wunsch ein zu studieren; durch Beharrlichkeit überwand er den Widerwillen seines Vaters, und da die Provinz ihm die Mittel zu. höherer Ausbildung nicht darbot, so bezog er um 1510 die weltberühmte Universität von Paris, wo ihm ungesucht und unerwartet ein neues Leben aufgehen sollte.
Unter den dortigen Gelehrten befand sich auch ein Doktor der Sorbonne, Jakob Lefevre d‘ Etaples, welcher dem katholischen Glauben, der Hierarchie, den kirchlichen Einrichtungen und Gebräuchen von Herzen zugethan, doch auch den Regungen des überall erwachenden freiern Geistes sich nicht zu verschließen vermochte, der die alte Scholastik durch höhere philosophische Klarheit, so wie durch Zurückgehen und Vertiefen in die Bibel neu zu beleben suchte. Es war zunächst nicht diese, sondern jene Seite seines Wesens, was Farel zu ihm hinzog; Beide fühlten sich durch die naive Innigkeit und Frömmigkeit, durch den Eifer und die Andacht verbunden, welche sie bei den Messen und Gebeten, in der Feier der Heiligenfeste, in der Ausschmückung der Kirchen und Altäre an den Tag legten. Allein wie bei Lefevre zuweilen der Blitz eines höhern Bewußtseins die Dämmerung durchdrang, so zündete er auch in Her Brust seines jungen Freundes und Schülers; es blieb diesem unvergeßlich, daß jener einmal zu ihm sagte: „Wilhelm, Gott hat mit der Welt ein Neues vor, und du wirst davon Zeuge sein.“ Immer mehr gerieth er in’s Schwanken, immer weniger konnte er sich genug thun, wie sehr auch er sich an die geheiligte Autorität der Kirche anzuklammern suchte. Er nahm wohl seine Zuflucht zur Schrift; doch ihr ganzer Inhalt schien ihm mit dem damaligen Zustande der Christenheit in so offenbarem Widerspruche, daß nur die Vorstellung ihn einigermaßen beruhigen konnte, er müsse das Gelesene aus Mangel an der nöthigen philosophischen Bildung nicht recht begriffen haben. „Ich war, so schreibt er von jener Zeit, der unglücklichste unter den Menschen, ich schloß die Augen, um nicht zu sehen.“ Erst als Lefevre durch göttliche Fügung von den Legenden zu den Briefen Pauli gewiesen wurde, als die große Grundlehre des Evangeliums, Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben, ihn ergriff und er dieselbe unter wachsendem Aufsehen zu lehren und zu vertheidigen anfieng, erst da wurde es auch für Farel klar: Nichts aus Verdienst, Alles aus Gnaden, – und so wie er es hörte, glaubte er’s. Ein Irrthum sank nach dem andern; der Dienst der Heiligen wich dem einigen Christus, das oberste Ansehn des Pabstes, diese von jetzt an in seinen Augen teuflische Erfindung, und überhaupt alle menschliche Autorität in Glaubenssachen der unbedingten Geltung des göttlichen Wortes; mit dem ganzen Ernst und Wahrheitsdurst seiner Seele warf er sich auf die Schrift, studierte Griechisch und Hebräisch; der kirchliche Cultus kam ihm je länger desto widersinniger und abgöttischer vor. Das geschah von 1512 an; mithin manches Jahr früher, als Luthers mächtige Stimme die Welt durchdrang.
Indessen fieng die religiöse Bewegung an sich auszubreiten; es bildete sich ein Kreis von Männern mehr oder minder ausgeprägter, evangelischer Gesinnung, dessen Seele Lefevre war, und zu welchem außer Farel, dem Magister am Collegium Lemoine, und einigen Jüngern, auch der von seiner Gesandtschaft nach Rom zurückgekehrte Wilh. Brisonnet, Graf von Montbrun und Bischof v. Meaux gehörte. Selbst am Hofe zählte diese Geistesrichtung Gönner und Freunde; zu ihr neigte sich besonders die geist- und gemüthreiche Margarethe von Valois, und durch ihren Einfluß einigermaßen der König Franz I. selbst. Allein bald wurde er von seiner Mutter und dem Kanzler Duprat zu dem bekannten Concordate und zu enger politischer Verbindung mit dem Pabste bewogen, und die Universität, den unversöhnlichen Feind aller Neuerung, Nat. Beda, an der Spitze, suchte die veränderte Stimmung nach ihrem Sinne auszubeuten. Zwar setzte der König den gerichtlichen Verfolgungen immer noch ein entschiedenes Nein entgegen; dessenungeachtet wurde die Luft so schwül und die Lage in Paris so drückend, daß die Freunde froh waren, das ihnen von Brisonnet zu Meaux angebotene Asyl anzunehmen. Eine Reihe kirchlicher Reformen wurde nun in der Diöcese vorgenommen, die vielen untüchtigen und verweltlichten Seelsorger beseitigt, eine theologische Schule errichtet, an welcher auch Farel einen Wirkungskreis für seinen Eifer und seine Talente fand. Nach und nach ließ Lefevre seine treffliche Bibelübersetzung in französischer Sprache drucken; es erschienen belehrende und erbauliche Traktate; zahlreich versammelte sich das Volk zum Hören der evangelischen Predigten, die der Bischof zum Theil selbst hielt; es bildeten sich Vereine zum gemeinsamen Lesen und Besprechen des Wortes Gottes. – Alles dieß blieb jedoch nicht ohne Gegenwirkung von Seiten der in ihren Interessen bedrohten Welt- und Klostergeistlichkeit; man durfte es schon wagen, den zu früh und zu laut hoffenden Evangelischgesinnten mit einem Kreuzzuge und der Vertreibung des Königs zu drohen, wenn er ihre Predigt gestatte. Brisonnet, bei’m Parlamente denuncirt, konnte für seine Person sich leicht rechtfertigen; gleichwohl that er den ersten, folgenreichsten Schritt rückwärts, indem er 1523 seinen Freunden die Erlaubniß zu predigen wieder entzog; und obschon auch Lefevre von einer königlichen Commission freigesprochen wurde, so mußte doch der Kreis, seiner Stütze beraubt, sich auflösen. Farel gieng nach einem kurzen Aufenthalte zu Paris in seine Heimath, wo er seine evangelische Predigt fortsetzte und vier seiner Brüder für die Wahrheit zu gewinnen das Glück hatte. In Gap vor Gericht gestellt und unter Mißhandlungen aus der Stadt vertrieben, zog er missionirend auf dem Lande umher; allein der geringe Erfolg seiner Arbeit, der Wunsch, die Reformation in ihren Stammländern kennen zu lernen und wohl auch die Einladungen vorangegangener Freunde, bewogen ihn, sich nach Basel zu begeben, wo er Anfangs 1524 auf geheimen und beschwerlichen Wegen anlangte.
Von Oekolampad herzlich und gastfreundlich aufgenommen, schloß sich der Flüchtling auf’s Innigste an diesen an, während die natürliche Charakterverschiedenheit zwischen Erasmus und ihm gegenseitige Abneigung und sogar Feindschaft zur Folge hatte. Oekolampad war keineswegs blind gegen die Fehler seines Freundes, indem er besonders seine Hitze und Heftigkeit zu mäßigen suchte. Um nicht unthätig zu sein, bewarb sich Farel um die Erlaubniß, dreizehn Sätze in öffentlicher Disputation vertheidigen zu dürfen; es wurde ihm von der Universität verweigert, vom Rathe hingegen gestattet; allein es fanden sich keine Gegner, was ihn nicht hinderte, seine Sätze mit Oekolampads Hülfe vor dem Publikum vorzutragen und zu erläutern. Von einer Reise in die östliche Schweiz, auf welcher er auch Zwingli kennen lernte, nach Basel zurückgekehrt, fand er die Stimmung des Rathes so sehr verändert, daß er auf dessen Befehl die Stadt verlassen mußte. Oekolampad konnte nichts für ihn thun, als seine Entrüstung über dieses Verfahren öffentlich aussprechen und ihn an Capito und Luther empfehlen. Zu Straßburg trat Farel in genaue Verbindung mit den dortigen Predigern, während die Reise nach Wittenberg unterblieb, weil ein nahegelegenes Feld seine Kräfte in Anspruch nahm. Mömpelgart, damals die Residenz des vertriebenen Herzogs Ulrich von Würtemberg, verlangte mit dessen Zustimmung einen evangelischen Prediger, und Farel ließ sich nach vielen Bedenken durch Oekolampad bestimmen, im Sommer 1524 dahin zu gehen. Die Lage des Ortes machte ihn zu einem sehr geeigneten Vorposten, um durch Wort und Schrift, so wie durch das bereits übliche Colportiren evangelischer Bücher und Bibeln auf Burgund, Lothringen und Südfrankreich zu wirken: Farel fand mit seiner Predigt eben so freudiges Gehör beim Volke, als entschiedenen Widerspruch bei Adel und Geistlichkeit. Ein Mönch von Besancon, der ihn öffentlich angriff, mußte widerrufen, weil er seine Behauptungen nicht erweisen konnte, und Farels Feuer wurde durch den Vorfall nur noch gesteigert, obschon man ihn von Basel aus zur Mäßigung ermahnte. Einst, wird erzählt, begegnete er auf schmaler Brücke einer Prozession zu Ehren des h. Antonius. In rasch aufloderndem Eifer entriß er dem Priester das Bild und warf es mit den Worten in den Strom: „Arme Götzendiener! Wollet ihr nie von eurer Abgötterei lassen?“ Zwar entkam er glücklich dem Getümmel; aber seines Bleibens war natürlich in Mömpelgart nicht mehr. Ueber Basel gelangte er wiederum nach Straßburg, wo er unter andern flüchtigen Landsleuten auch seinen alten Lehrer Lefevre antraf.
Eine neue Thüre that sich ihm auf, als Bern nach dem Gespräche zu Baden mehr und mehr zur Reformation hinneigte. Durch Vermittelung der Basler wurde er im Herbste 1526 nach dem französisch redenden, in einem Gebirgswinkel zwischen der Waadt und Wallis gelegenen Gouvernement Aigle gesendet, erst nur unter dem Titel eines Schullehrers und dem angenommenen Namen Ursinus, ohne Besoldung, – dann als förmlich bestellter Prediger und Lehrer zugleich. Es war ein harter Stand, den er hier durchzufechten hatte: nicht nur das unwissende, von Welt- und Klostergeistlichen bearbeitete Volk widersetzte sich seiner Predigt; auch der bernische Gouverneur und andere Beamte wirkten ihm eher entgegen. Unentmuthigt und von Bern geschützt, hielt er aus; auch hier hatte er mit einem Mönche, der ihn von der Kanzel Verführer und Teufel gescholten, einen gerichtlichen Streit zu bestehen; dem besiegten und demüthig abbittenden Gegner aber reichte er eben so edelmüthig als herzlich die Hand. Selbst an dem benachbarten Bischofssitze Lausanne suchte er Einzelne, wiewohl vergeblich, durch Briefwechsel zu gewinnen. An dem Gespräche zu Bern (1528) nahm er wesentlichen Antheil; die Reformation wurde angenommen, aber nirgends fast kostete es größere Mühe sie durchzuführen als in Aigle. Farel sollte nun überall predigen dürfen; er that es trotz aller Drohungen und Gefahren‘; die ärgsten Verläumdungen trafen ihn, die Berner und die evangelische Lehre; in Ollon wurde er von Männern und Weibern thätlich mißhandelt. Erst die Ankunft eines neuen Gouverneurs und einer ansehnlichen Botschaft, verbunden mit einer kräftigeren Justizpflege, brachte endlich Ruhe und Ordnung, und es gelang Farel, mehrere Mitarbeiter zu finden und anzustellen.
Auch anderwärts wußte man den unerschrockenen Streiter Christi bestens zu verwenden; so in Murten, einer bernisch-freiburgischen Herrschaft, welches bald die Reformation annahm und welches ihm zu einem Stütz- und Ausgangspunkt für seine Feldzüge diente. Erfolglos blieb zwar sein persönliches Auftreten in Lausanne trotz des Patentes der Berner; dagegen konnte weder der Bischof von Basel noch der Abt von Bellelay verhindern, daß Neuenstadt am Bielersee sich durch Farels Bemühungen zum Evangelium bekannte, und im Münsterthale predigte er mit solcher Kraft, daß das Volk Bilder und Altäre zerstörte und der Priester aus der Kirche floh. Vor Allem wichtig und folgenreich war Farels Erscheinen zu Neuchatel, damals der Herzogin von Longueville-Hochberg zugehörig, aber mit Bern verbündet. Nachbarliche Einflüsse, das fast nirgends so große Sittenverderben des Clerus, die grellen Mißbräuche der Kirche hatten der Reformation daselbst vorgearbeitet. Farel predigte zuerst zu Serriores auf einem Steine, dann durch die Bürger eingeladen auch in der Stadt auf Straßen und Plätzen. Im Sommer 1530 setzte er seine Arbeit unter allen Hindernissen fort; man räumte ihm die Kapelle des Spitals ein; als er jedoch am 23. October wie es scheint, nach einem schon gefaßten Beschlusse des Magistrats, die Bemerkung äußerte: es gebühre dem Evangelium nicht weniger als der Messe die Ehre, in der Stiftskirche gehört zu werden, – da erhob sich die ganze Menge, um ihn dorthin zu führen. Die versuchte Abhaltung steigerte nur den Eifer; man erzwang den Zutritt zur Kanzel und Farels allgewaltige Rede hatte eine solche Wirkung, daß gegen die Bilder und Zeichen des Aberglaubens ein Sturm entstand, der am folgenden Tage fortdauerte. Der Gouverneur G. de Rive, in der Meinung, die große Mehrheit stehe dennoch zum alten Glauben und nur ein aufrührerischer Haufe dagegen, wollte sofort eine Abstimmung vornehmen lassen; allein man verlangte die Anwesenheit bernischer Boten. Und als diese gekommen, als die Parteien gehört, die Anklagen auf Gewalt und Empörung durch Gegenklagen und Versicherung der Treue gegen die Landesfürstin außer in Sachen des Glaubens beantwortet worden waren, entschied am 4. Nov. eine zwar geringe Mehrheit zu Gunsten der reinern Lehre. Alle gemachten Anschläge, diesen Schluß durch List oder Gewalt wieder zu stürzen, scheiterten an der Festigkeit der Berner; die Rechte der Fürstin wurden gewahrt und festgestellt; aber ebenso auch die religiöse Freiheit der Stadtgemeinde und aller andern, welche ihrem Beispiele folgen würden.
Daß dieß wirklich auch von den Landgemeinden geschehe, war nun Farels eifrigstes Bemühen, worin nichts ihn wankend oder muthlos machen konnte. Eines Abends, nachdem er gepredigt und sein Gefährte in unklugem Eifer dem Priester die angebetete Hostie aus der Hand gerissen, wurden sie bei Valangin von einer Rotte überfallen, geschlagen, nach dem Schlosse geschleppt; man wollte sie zwingen, ein Marienbild zu verehren; – umsonst; darauf neue Mißhandlungen durch die Priester; blutend warf man sie in’s Gefängniß, aus welchem zwar Freunde von Neuchatel sie befreiten; Genugthuung aber, wie die Berner für sie verlangten, erhielten sie nicht; war doch Alles mit der Fürstin Wissen und Beifall geschehen. Aehnliches widerfuhr ihm auch anderwärts, auch unter bernischer Mitherrschaft, wie zu Orbe und Granson. Dort suchte man ihm sogar im Beisein bernischer Rathsboten das Predigen regelmäßig durch Lärm und Geschrei unmöglich zu machen; nichtsdestoweniger predigte er sechs Tage lang zweimal täglich fort und nicht ohne Frucht, selbst bei entschiedenen Anhängern des alten Glaubens, wie er denn auch den jungen schüchternen P. Viret für den Dienst des Evangeliums und zugleich zum Herzensfreunde gewann. So ganz gab er sich seinem Reformatorberufe hin, daß ihm für seine persönlichen Angelegenheiten, seine Correspondenz schlechterdings keine Zeit übrig blieb: wohl aber fand er noch Zeit, durch Kreisschreiben seine Brüder im Herrn überall zum Ausharren und Vertrauen im Kampfe für Gott gegen den seelenverderblichen Antichrist zu ermuntern.
Eine Reise zu den Waldensern nach Piemont, um ihnen auf ihre Bitte ihr Kirchenwesen besser ordnen zu helfen, brachte ihn im October 1532 zum ersten Male nach Genf. Sein Name war auch hier nicht unbekannt; Manche besuchten ihn in der Herberge. Der Rath, von der Gegenpartei gedrängt und die verbündeten Freiburger fürchtend, wollte ihn mit seinem Begleiter Ant. Saunier ausweisen; als sie jedoch mit dem bernischen Schirmbriefe in der Hand sich vertheidigten, entließ man sie unbelästigt. Unter dem Vorwande einer Unterredung berief man sie nun vor das Domcapitel; der Rath gab ihnen zwei seiner Syndices zur Sicherheit mit. Es war keineswegs überflüssig: vom Official in einer Art von Verhör wie Landstreicher und Verführer empfangen, wurden sie von der geistlichen Versammlung, in welcher Mehrere heimliche Waffen trugen, sogleich mit den gröbsten Schimpfwörtern überhäuft. Ruhig setzte Farel seinen Zweck und Beruf auseinander, das Wort Gottes allen denen zu verkündigen, die es hören wollten; nicht er, sie seien es, welche Israel verwirrten. Während der geheimen Berathung fiel draußen ein Schuß auf Farel, allein das Gewehr zersprang, ohne ihm zu schaden. Man befahl ihnen, die Stadt binnen drei Stunden zu verlassen bei Lebensstrafe, und dieß aus Gnaden und Rücksicht für die Berner. Auf Farels Einrede, daß man ihn ja ungehört verdamme, fiel Alles mit Geschrei und Schmähreden über ihn her. „Was bedürfen wir weiter Zeugniß, er ist des Todes schuldig!“ – hieß es, und: „Es ist besser, der Ketzer sterbe, als daß er das ganze Volk verderbe!“ Umsonst rief Farel: „Redet doch mit Gott, und nicht mit Kajaphas!“ man drang auf ihn ein, trat ihn mit Füßen, schlug ihn in’s Gesicht, Dolche wurden gezückt; nur die Dazwischenkunft des einen Syndices rettete sie. Früh Morgens geleiteten die Freunde sie über den See, und zum Ersatz wurde Farels eben angekommener Landsmann, Ant. Froment von ihm nach Genf gesandt.
Die altgläubige Partei war offenbar noch die stärkere; um auch Predigt durch Predigt zu bekämpfen, berief sie einen Dominikaner, Guy Fürbity, der in der Kathedrale mit hohen Worten wider die „Deutschen und andere Ketzer“ loszog. Die Berner nahmen dieß für eine gegen sie gerichtete Beleidigung und schickten deßhalb eine Botschaft, unter deren Schutze auch Farel mit Viret nach Genf zurückkehrte. Bei der drohenden Haltung der Päbstlichgesinnten ergriff der Rath nur halbe und illusorische Maaßregeln; aber neue Boten der Berner drohten ihrerseits mit Absage des Bundes, und obschon die Freiburger dasselbe thaten, so überwog doch zuletzt das Ansehen, das gebieterische „Entweder-oder“ der Erstern. Nach vielen Windungen und Berufungen auf die geistlichen Gerichte und die Sorbonne, deren Doktor er war, mußte sich Fürbity zu einem Gespräche herbeilassen, welches auf dem Rathhause (29. Jan. – 11. Febr. 1534) gehalten und von Farel im versöhnlichsten Geiste mit den Worten eröffnet wurde: „Der schönste Sieg ist Erhaltung der Wahrheit, und gern gäbe ich mein Leben drum, daß sie von Allen erkannt würde.“ Fürbity konnte die Fastengebote nicht durch die Schrift rechtfertigen, und wurde, da er dem zu leistenden öffentlichen Widerrufe auswich, gefangen gesetzt. Ein neuer Prediger, gemäßigter als er, trat an seine Stelle; allein nun verlangten auch die Berner das Recht der öffentlichen Predigt für die ihrigen. Der Rath war wie immer unschlüssig; das Volk jedoch führte Farel in die Baarfüßerkirche, wo am 1. März der Glockenklang zum ersten Male zur evangelischen Predigt einlud. Immer mehr machte dieselbe Fortschritte; die Freiburger kündigten den Bund auf; das Abendmahl wurde zu Pfingsten nach der Einsetzung des Herrn gehalten; Priester verließen ihre Altäre; vereitelte Gewaltstreiche, Vergiftungsversuche gegen die Prediger, der über die Stadt vom Bischof und Pabst verhängte Bann, mehrten nur den Haß gegen die Urheber; eine Kirche nach der andern ward dem Evangelium erobert und ein neues Gespräch im Baarfüßerkloster, durch welches der von Farel bekehrte Ordensbruder Joh. Bernard seinen Aus- und Uebertritt rechtfertigte, setzte die Wahrheit in ein neues und helles Licht. Die Entscheidung war nicht mehr aufzuhalten; vor dem Rathe der Zweihundert sprach Farel den 12. Juli so überzeugend und hinreißend, daß nach einer nochmaligen, vergeblichen Anfrage an die Priesterschaft, ob sie etwas Mehreres und Besseres für ihre Sache anzubringen habe, die Reformation am 27. August beschlossen und in aller Ordnung eingeführt wurde.
Die Anfeindungen der entflohenen Gegner und ihrer Freunde von außen hielten das Werk nicht auf; die Bürgerschaft verband sich feierlich zum Frieden und zur evangelischen Lehre. Farel wollte nicht nur den Glauben, sondern auch das Leben erneuern, die Sitte reinigen, christliche Bildung und Unterricht befördern; er war unermüdlich, aber er sollte überall sein, zu Genf, auf der Landschaft, in der mittlerweile von Bern eroberten Waadt, und es fehlte ihm am rechten, tüchtigen Gehülfen. Da sandte ihm Gott den Mann, den er suchte. Eines Tages im Jahre 1536 kam der 27jährige, aber der Welt schon bekannte Calvin flüchtig nach Genf; nur die Nacht wollte er dort zubringen und seine Reise nach Basel und Straßburg am andern Morgen fortsetzen. Farel, davon benachrichtigt, eilt sogleich zu ihm und fordert ihn auf zu bleiben, um in den Dienst des Herrn und seiner Gemeinde zu treten. Calvin äußert Bedenken, will sich weigern, läßt seine Vorliebe für eine literarische Laufbahn und Thätigkeit durchblicken.
Doch sieh‘ , vom heil‘ gen Zorn entglommen,
Vom Geist Eliä hingenommen.
Hebt Farel an ihn zu bedroh’n:
„Du hast den Ruf des Herrn vernommen,
Und weh‘ dir, sprächest du ihm Hohn!“
Bei dem Worte des Mannes Gottes besonders: „Verflucht seien fortan deine Studien, wenn du dich um ihrer willen dem Werke des Herrn entziehst,“ –
Bei diesem Donnerwort erblaßte
Calvin, als ob ihn plötzlich faßte
Die Hand, die eigne Hand des Herrn.
Wie schwer das Amt auch auf ihm laste –
Der Herr gebeut’s, ihm folgt er gern.
Es war in dem thatenreichen Leben Farels die folgenreichste That, ein Moment von weltgeschichtlicher Bedeutung.
Innig vereint mit dem neugewonnenen Bruder arbeitete er daran, Genf zu einer Gottesstadt und Felsenburg des Evangeliums zu machen; es kümmerte ihn nicht, daß neben dem hell aufgehenden Sterne Calvins der seinige in blasserem Lichte strahlte; Neid war immer seiner großen Seele fremd. Er verfaßte das Genfer Glaubensbekenntniß, widerlegte in einem Gespräche die Wiedertäufer, nahm vorzüglichen Antheil an der Disputation zu Lausanne, welche über die Zukunft der Waadt entschied. Als aber Calvin dem natürlichen, wider Christi Joch und Geist reagirenden Freiheitsgeiste für den Augenblick weichen mußte, traf auch ihn das Schicksal der Verbannung. Mit dem Freunde reiste er von Genf nach Basel und Straßburg, der alten Zuflucht derer, die um des Glaubens willen heimathlos geworden.
Doch in Neuchatel hatte man seiner nicht vergessen. Einstimmig wurde er von Rath, Bürgerschaft und Geistlichkeit durch eine Abordnung dahin zurückberufen. Ungern ließ er sich wieder in ein Joch spannen, dessen ganze Schwere er so eben nur zu wohl empfunden; aber durfte er anders, nach dem, was er Calvin gesagt und was man nun auch ihm von allen Seiten wiederholte? Im Juli 1538 kam er nach Neuchatel, welches von nun an der Hauptschauplatz seines Wirkens blieb. Das Evangelium war fast überall im Lande angenommen, das Kirchenwesen theilweise geordnet: dennoch gab es für ihn viel wegzuräumen, einzurichten, durchzusetzen. Vor Allem lag ihm eine strengere Sittenzucht am Herzen, – hatten doch auch die Berner dringend dazu gerathen; aber er fand dabei ähnlichen Widerstand wie in Genf, der auch hier besonders von den höhern Ständen ausging. Eine vornehme Dame lebt ohne Grund getrennt von ihrem Gatten und setzte der Mahnung sowie der öffentlichen Rüge nur Trotz und Verachtung entgegen. Als nun der eifrige Prediger auf der Kanzel über die Duldung solcher Aergernisse und den Haß aller Zucht klagte, ergriff man begierig den Anlaß und brachte es dahin, daß er in einer stürmischen Gemeindeversammlung seines Amtes entlassen wurde; doch sollte dieser Schluß erst nach zwei Monaten in Kraft treten. Farel war fest entschieden, „dem Satan nicht zu weichen; Gott habe ihm die Gemeinde anvertraut und werde sie von seiner Hand fordern.“ Von allen Seiten suchte man zu vermitteln; Calvin, Viret und andere Freunde eilten herbei; auch von Bern kamen Boten, aber diese, theils persönlich, theils aus Politik Farel abgeneigt, traten eher auf Seite seiner Gegner. Die Klasse von Neuchatel bat die auswärtigen Kirchen um ihre Verwendung. Während Farel mit Ruhe und Gottvertrauen und wo möglich mit noch größerer Treue bei herrschender Pest seinem Amte nachgieng, gelangten von Basel, Straßburg, Constanz und Zürich die dringendsten Vorstellungen zu seinen Gunsten an Neuchatel und Bern; selbst die Berner, nachdem sie Farel umsonst zum freiwilligen Rücktritte gerathen, lenkten ein, und so kam es, daß nach Verlauf der zwei Monate eine große Mehrheit den Entlassungsbeschluß wieder aufhob, und Farels Ansehen und Stellung nun für immer gesichert blieb. Seine Sorge und Thätigkeit beschränkte sich jedoch keineswegs auf Neuchatel, sondern wo es irgend galt, für das Wort Gottes oder die Bekenner desselben einzustehen, da sieht man ihn handelnd auftreten. Genf besonders, wo er lieber der Letzte zu sein wünschte, als an jedem andern Orte der Erste, war der Gegenstand seiner steten Aufmerksamkeit und Bemühung; durch seine kräftige Fürsprache bei Calvin wurde dieser zum zweiten Male für dasselbe gewonnen, und in allen kritischen Augenblicken trat er ungesäumt vor den Riß der Kirche und dem Freunde zur Seite. An den Schicksalen der Waldenser und seiner verfolgten Glaubensgenossen in Frankreich nahm er den lebendigsten Antheil; nicht nur die Schweizer Regierungen, sondern auch die deutschen Fürsten suchte er zur Intercession für dieselben zu bewegen; zweimal reiste er deßhalb 1557 mit Beza nach Deutschland, zugleich eine Union mit den Lutheranern anstrebend, was ihm, dem eigentlichen Stifter der Vereinbarung zwischen Calvin und Bullinger, wegen bewiesener allzugroßer Nachgiebigkeit, wie man meinte, in der Schweiz wenig Dank einbrachte. Noch als Greis bewies er sich, obwohl kränkelnd, immer rüstig, neue Posten zu gründen, verlorne wiedereinzunehmen. In Pruntrut, der Residenz des Fürstbischofs von Basel, wurden seine vielversprechenden Anfänge im J. 1557 durch die Anstrengungen und Mittel des Clerus wieder vereitelt. Einer Einladung nach seiner Heimath folgte er 1561 ohne Zaudern; es schien ihm ein neues Leben aufzugehen, als er zu Gap und Grenoble das Wort der Gnade bei nur schwachem Widerstande predigen durfte; voll Hoffnung kehrte er zurück, nachdem er zwei Andere Collegen in jener Gegend zurückgelassen. Noch einmal, im Jahre 1565 nahm er seinen Flug nach Metz; dort hatte er 1542 beim ersten Versuche die Obrigkeit lau und furchtsam, die Mehrheit des Volkes abgeneigt gefunden, trotz seiner Mahnung, noch nie habe Gott eine Obrigkeit verlassen, welche für das christliche Wohl der Ihrigen treu gesorgt habe; in der Nähe, auf einem Gute des Grafen von Fürstenberg war er bei zahlreicher Feier des Abendmahls von einer Schaar lothringischer Söldner gewaltthätig überfallen, mit vielen Andern schwer verwundet und mit genauer Noth nach Straßburg gerettet worden. Jetzt schienen die Umstände günstiger; es bestand zu Metz eine evangelische Gemeinde, der Adel hielt sich großentheils zu ihr und suchte Schutz bei den evangelischen Fürsten und Ständen. Von einem Rathsgliede von Neuchatel begleitet, machte Farel sich auf; beim Einzuge freudig bewillkommt, predigte er gleich Tags darauf mit alter Kraft zu großer Erbauung. Aber es war das letzte Aufflammen des gewaltigen Geistes; krank kehrte er heim nach Neuchatel; gepflegt von seiner Gattin, der Tochter einer aus Frankreich geflüchteten Wittwe, die er erst in späteren Jahren geehlicht, lebte er noch mehrere Wochen; Alle die ihn besuchten, besonders aber seine Brüder im Amte ermahnend und den Glauben freudig bekennend, den er gelehrt und für den er gekämpft hatte. Den 13. September 1565 schied er sanft im Alter von 76 Jahren, fünfzehn Monate nach dem Hinscheiden seines tiefbetrauerten Calvin.
Man hat Farel nicht immer richtig und billig beurtheilt. Er war allerdings kein sanfter Oekolampad, kein milder Melanchthon, sondern eher eine mit Luther verwandte Natur, ein kühner ritterlicher Geist, aber eben ganz so, wie der Herr ihn brauchte an seinem Orte, um Burgen zu stürmen und seiner Sache Bahn zu brechen. Dieser heiligen Sache, nie der Person galt auch Farels viel besprochene Heftigkeit: Kein Mensch, bemerkt sein Biograph, hat ihn persönlich so viel und bitter gekränkt, wie der charakterlose, mehrfach abtrünnige Pet. Caroli; und Keinen hat er so treu auf dem Herzen getragen, an Keinem so viel gearbeitet, für Keinen so lange gehofft, bis gar nichts mehr zu hoffen war. Innerhalb der gewohnten, zahmen Gränzen blieb freilich sein Eifer und seine Treue nicht stehen; das Evangelium war seine Leidenschaft; wer nun aber sich rühmen darf, das rechte volle Maaß besser als er getroffen, es nur annähernd erfüllt zu haben, – dem sei es unverwehrt, auf sein Uebermaaß den Stein zu werfen.
Trechsel in Vechingen, jetzt in Bern.
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862