Argula von Grumbach

In keinem Theile von Süddeutschland ist die Reformation des sechzehnten Jahrhunderts von der mit der Hierarchie verbündeten weltlichen Macht energischer bekämpft und unterdrückt worden, als in Bayern. Ueberzeugt, daß der Landesherr nicht allein berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, die hergebrachte Religion aufrecht zu erhalten, und entschlossen, alle entgegengesetzten Regungen im Keime zu ersticken, hatten die von ihrer Universität Ingolstadt geleiteten herzoglichen Brüder, Wilhelm IV. und dessen Mitregent Ludwig, am Aschermittwoch des J. 1522 jenes erste Mandat gegen Luther und seine Anhänger erlassen, in welchem sie allen ihren Unterthanen unter Androhung schwerer Pönen geboten, bei dem Glauben ihrer Vorältern zu verharren. Von da ab begann jenes unerbittlich strenge Verfahren, dessen consequenter, vor keinem Mittel zurückscheuender Durchführung Herzog Wilhelm den Beinamen des „Standhaften“ verdankt. Viele mußten damals, nachdem sie abgeschworen, als Verbannte „über die vier Wälder“ wandern; wer zu widerrufen sich weigerte, war der Censur und nach Umständen dem Henker verfallen. Der fromme Leonhard Käser, der in Schärding den Holzstoß hat besteigen müssen, ist nicht das einzige Opfer des Fanatismus gewesen; in München allein wurden 29, in Landsberg 9 Menschen gleichzeitig hingerichtet, weil sie die Lehre Luthers verbreitet hatten.

In diese Zeit der Verfolgung ist das Leben der Wahrheitszeugin gefallen, welche hier geschildert werden soll.

Argula von Grumbach, geb. Freiin von Stauffen, erblickte das Licht der Welt um das J. 1492. Ihr Vater, Bernhardin von Stauffen, Freiherr zu Ehrenfels, war der Sohn eines von den sogenannten „drei großen bayerischen Hansen“ und gehörte zu den ritterlichsten Männern seiner Zeit; denn er hat in vielen Turnieren geglänzt und manchen „Dank“ davon getragen; ihre Mutter Katharina war eine geborne von Törring. Die Anfänge ihres Lebens trafen mit Ereignissen zusammen, welche fast den völligen Ruin des Hauses zur Folge gehabt hätten; denn in den ersten Tagen des Jahres 1492 sah Bernhardin als eines von den Häuptern des von dem Kaiser begünstigten, von Herzog Albrecht befehdeten „Löwenbundes“ seine Burgen zerstört, seinen Wohlstand untergraben. Darauf bezieht sich, was Argula später an einen ihrer Verwandten geschrieben hat: „Ihr wisset, daß mein Vater unter den Heeren von Bayern verdorben, und seine Kinder zu Bettlern worden sind.“ Je weniger glänzend aber in Folge dessen die äußeren Verhältnisse waren, unter welchen sie aufwuchs, desto früher war sie bereits in den Besitz eines Schatzes gekommen, welchen sie seiner Zeit nach Gebühr zu würdigen gelernt hat. Sie hatte eben das zehnte Lebensjahr erreicht, als ihr würdiger Vater ihr eine von jenen Bibelübersetzungen, deren es schon vor Luther gab, zum Geschenke machte und ihr „hoch befahl, dieselbe fleißig zu lesen.“ Daß sie ihm leider nicht gefolgt, weil die Geistlichen, besonders die Bettelmönche, ihr eingeredet, „sie verführe sich,“ fiel ihr in der Folge schwer auf’s Herz. Der Herr hat sie aber früh genug in seine Schule genommen, damit die Anfechtung sie auf’s Wort merken lehre; denn ehe sie noch völlig herangereift war, wurden ihr in Zeit von fünf Tagen beide Aeltern durch den Tod entrissen. Und noch war das Maß ihres Unglücks nicht voll. Der einzige Blutsverwandte, welcher sich der älternlosen Waisen mit Rath und That hätte annehmen können, war ihr mächtiger Oheim Hieronymus von Stauffen. Als nun aber dieser zur Besiegelung der zwischen den herzoglichen Brüdern geschlossenen Versöhnung 1516 auf dem Blutgerüste hatte sterben müssen, würde sie mit ihren sechs Geschwistern ganz verlassen da gestanden sein, hätte nicht, vielleicht durch eine Gewissensregung dazu angetrieben, Herzog Wilhelm Argula an den Hof gezogen und für ihr weiteres Fortkommen gesorgt. „Es ist mir noch unvergessen,“ schreibt sie später an ihn, „daß ich nach Absterben Vater und Mutter Euer Fürstl. Gnaden als oberstem Vormünder befohlen und in meinem Elend von Denselben getröstet wurde, mit diesen Worten: Ich sollte nicht also weinen, Sie wollten nicht allein mein Landesfürst, sondern auch mein Vater sein.“ – So blieb sie nun im Frauen-Zimmer der Herzogin Mutter und lernte bei ihr „Zucht und göttliche Furcht.“ Nie hat sie sich daran erinnern können, ohne mit dem Gefühle der innigsten Dankbarkeit hinzuzusetzen: „Gott sei ihre Belohnung, hie in der Zeit, und dort in Ewigkeit!“

Am herzoglichen Hofe war es auch, wo ihr späteres Lebensschicksal sich entschied. Angezogen durch ihre Schönheit und ihren Verstand, warb Friedrich von Grumbach, ein fränkischer Edelmann, welcher zugleich in Bayern begütert und herzoglicher Pfleger zu Altmannstein war, um ihre Hand und erhielt sie. Zwei Söhne und zwei Töchter waren die Frucht dieser Ehe; auch mit irdischen Gütern wäre die Familie reich gesegnet gewesen, hätte sie nicht mit der Zeit in Franken große Einbußen erlitten. Was Argula ihrem Gatten und seinem Hause war, darüber hat sie selbst sich einmal vernehmen lassen, als später ein Pasquillant sie beschuldigte, daß sie über ihrem Disputiren ihre Obliegenheiten als Gattin und Hausfrau vernachlässige. „Dieser Meister von hohen Sinnen,“ sagt sie, „will mich lehren haushalten und spinnen. Thu‘ doch täglich damit umgahn, daß ich nicht wohl vergessen kann.“ Was ihren Mann betreffe, so sei ihr Herz und Gemüth dazu geneigt, ihm gehorsamlich mit ganzer Freude zu dienen; sollte sie es nicht gethan haben, so wäre es ihr leid; sie glaube aber, es sei am Tag, daß er keine Klage über sie führe. „Hoff‘ , Gott werd‘ mich auch lehren wohl, wie ich mich gegen ihn halten soll.“

Während aber Argula im häuslichen Kreise als geschäftige Martha waltete, gab sie sich zugleich als eine den himmlischen Dingen zugewandte Maria mit allem Verlangen eines Wahrheit suchenden Gemüths dem Einen, was noth ist, hin. Luthers gewaltige Stimme war auch zu ihren Ohren gedrungen; das Leben an dem streng katholischen Hofe hatte ihre Sinne nicht verwirrt; sie griff jetzt wieder nach ihrer Bibel, verglich, was sie las, mit der aus seinen Schriften, diesen „Leitbächlein zum Worte Gottes,“ wie sie dieselben später genannt hat, geschöpften Lehre des Wittenberger Reformators, und bald war sie so fest von der Schriftmäßigkeit der letzteren überzeugt, daß sie das kühne Wort aussprechen konnte: „Und ob’s gleich dazu käme, daß Luther widerriefe, soll es mir nichts zu schaffen geben. Ich bau nicht auf seinen, meinen, oder irgend eines Menschen Verstand, sondern auf den wahren Felsen Christum selbst.“ Nachdem aber sie zur Erkenntniß der evangelischen Wahrheit gelangt war, fühlte sie sich in ihrem Gewissen gedrungen, dieselbe auch Andern mitzutheilen. Während ihr gleichgesinnter älterer Bruder Bernhardin seit dem J. 1520 zuerst auf seinem Gute Beratshausen einen von den Bewohnern der Umgegend fleißig besuchten evangelischen Gottesdienst eingerichtet hatte und späterhin auch in seinem Hause zu Regensburg einen eigenen lutherischen Prediger hielt, ließ Argula es sich nicht nehmen, in Dietfurt, wo ihr Mann jetzt Pfleger war, als Lehrerin aufzutreten, was in Bayern nicht geringes Aussehen erregte.

Ihr Bekenntnißtrieb sollte aber bald Gelegenheit finden, sich in noch weiteren Kreisen zu bethätigen. Am 7. Sept. 1523 stand ein junger Geselle, M. Arsatius Seehofer, eines Münchner Bürgers Sohn, des Lutherthums angeklagt, vor dem Ketzergerichte der Universität Ingolstadt. Von Wittenberg zurückgekehrt, wo er Luther und Melanchthon gehört, hatte er durch Collegien, welche er über die Episteln des h. Paulus las, das reine Wort Gottes zu verbreiten gesucht, war aber bald darauf verhaftet worden und so lange eingekerkert gewesen, bis des Herzogs Befehl ihn befreite. In der Zwischenzeit hatte die theologische Facultät „mit inbrünstigem, ernstlichem Fleiß“ aus den Papieren des Angeklagten 17 meist paulinische Sätze gezogen und dieselben als ketzerisch verdammt. Seehofer, noch zu jung und unreif, als daß er durch die drohenden Geberden der Inquisitoren nicht hätte eingeschüchtert werden sollen, ließ sich bei dem mit ihm angestellten Verhöre zum Widerruf drängen und sprach die ihm vorgeschriebenen Worte nach, daß Alles, was er geredet und geschrieben, „eine rechte Erzketzerei und Büberei“ sei; aber nachdem es geschehen war, stürzten ihm die Thränen aus den Augen, so daß schon damals ein Jurist meinte: es scheine, daß er doch noch ein Ketzer sei. Von einer Disputation oder Widerlegung war natürlich keine Rede gewesen. Im Kloster Ettal, wo er „Andern zum Ebenbild mit seinem Selbstleib“ sich stellen mußte, sollte nun die letzte Hand an das gewalttätige Werk seiner Bekehrung gelegt werden.

Die erste Kunde von diesem Vorgang erhielt Argula durch einen Bürger der Stadt Nürnberg, welcher bei diesem Anlaß sich zugleich ziemlich spöttisch über den Herzog von Bayern und seine Universität ausließ. Es ist ein Zeichen ihrer treuen Gesinnung, daß sie sich vor Allem ihres Landesfürsten annahm und, so weit es möglich war, denselben zu entschuldigen suchte. Er sei es ja gewesen, erwiederte sie, welcher den Gefangenen aus der Haft befreit habe, und wenn nicht treulose Rathgeber ihn irre geleitet hätten, so würde er bei seinem christlichen Gemüth gewiß nicht in das grausame und gottlose Verfahren der hohen Schule gewilligt haben. Was Seehofer betrifft, so hofft sie „daß noch viel Gutes aus diesem Jüngling kommen, und daß Gott, welcher nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehre und lebe, ihn noch ansehen werde mit den Augen seiner Barmherzigkeit, als Petrum, der den Herrn zu dreien Malen verläugnet:“ eine Ahnung, welche, beiläufig gesagt, in Erfüllung gegangen ist, als er glücklich aus dem Kloster entkam und, von Luther absolvirt, zuerst in Preußen das Evangelium predigte, zuletzt als Pfarrer zu Winnenden in Württemberg starb. Nichtsdestoweniger befand sich Argula in großer Unruhe; denn ihr Herz war entbrannt über die „verstockten und erblindeten Herzen“ derjenigen, durch welche „das achtzehnjährige Kind“ zur Verläugnung gezwungen worden war, und sie würde unverzüglich die Feder ergriffen haben, um öffentliche Rechenschaft von ihnen zu fordern, hätte nicht das apostolische Wort: „Eure Weiber lasset schweigen unter der Gemeine!“ sie davon abgehalten. Später warf sie wohl mit glücklichem Humor den Vers hin: „Ihr seid dermaßen von Gott geschlagen, daß euch nur müssen Weiber plagen;“ aber jetzt war sie über ihren inneren Beruf zu einem so ungewöhnlichen Schritte noch nicht in’s Klare gekommen. „Niedergedrückten Geistes und in Schwermuth“ brachte sie eine Woche hin; als sie aber auch jetzt noch keinen Mann sah, „der -reden wollte oder durfte,“ (denn Luthers vernichtende Schrift „wider das blind und toll Verdammniß der 17 Artikel, von der elenden, schändlichen Universität zu Ingolstadt ausgangen,“ erschien erst ein Jahr später,) faßte sie sich ein Herz und schrieb unter feierlicher Berufung auf die Sprüche heiliger Schrift, in welchen alle Gläubigen ohne Unterschied des Geschlechts vermahnt werden, Jesum Christum vor den Menschen zu bekennen, am 14. Sept. 1523 ihre berühmte Strafepistel an die hohe Schule zu Ingolstadt nieder. Dieses wie alle ihre Schriftstücke sind merkwürdige Zeugnisse der Bibelfestigkeit und eines fast männlichen Glaubensmuths. „Nie werdet ihr,“ redet sie die Gegner an, „bestehen mit eurer hohen Schul, daß ihr so thöricht und gewaltiglich handelt wider das Wort Gottes und mit Gewalt zwinget, das heilig Evangelium in der Hand zu halten, dasselbige dazu zu verläugnen, als ihr denn mit Arsatio Seehofer gethan habt, und ihm einen solchen Eid und Verschreibung fürgehalten, mit Gefängniß und Dräuung des Feuers dazu gezwungen, Christum und sein Wort zu verläugnen? Ja so ich’s also betrachte, so erzittert mein Herz und alle meine Glieder. Was lehret dich Luther und Melanchthon anders, denn das Wort Gottes? Ihr verdammet sie unüberwunden; hat euch das Christus gelehret, oder seine Apostel, Propheten, oder Evangelisten? Zeiget mir, wo es stehet? Ihr hohen Meister, ich finde es an keinem Ort der Bibel, daß Christus, noch seine Apostel oder Propheten gekerkert, gebrennet noch gemordet haben.“ In diesem Tone fährt sie fort. „Um eine Hand voll Gerste und Stück Brod erschlagen sie die Seelen, die da nicht sterben, und sagen lebendig die Seelen, die da nicht leben.“ Aber man solle nur ja nicht denken, als ob das Evangelium ihnen weichen werde. „Weder des Papstes Decretal, noch Aristoteles, der nie kein Christ worden ist, vermögen mit sammt euch nicht, Gott, seine Propheten und Apostel vom Himmel zu stoßen und aus der Welt zu treiben; es geschieht nicht. Bitt euch, meine liebe Herrn, ihn länger bleiben zu lassen.“ Nach solchen ironischen Wendungen immer wieder in den ernstesten Ton übergehend, redet sie die Widersacher an: „Ihr Heuchler! ihr habt zu nichte gemacht das Gebot Gottes von wegen eurer Aufsätze; es heißt aber vergeblich geehret, wenn man ihn verehret mit Menschengeboten!“ Sie klagt nicht ihre Landesherrn an, sondern deren blinde Leiter. „Mich erbarmen unsre Fürsten, daß ihr sie so jämmerlich verführet und betrüget.“ Sie zürnt über die große Untreue, daß man sie und ihre löbliche Universität zur Nachrede der ganzen Welt mache, daß sie niemand Getreues haben, welches sie der Wahrheit berichte, und daß ihre Pfenninge, so man täglich von ihnen abreißt, viel mehr denn sie geliebt werden: „ich bin Willens,“ setzt sie hinzu, „ihnen solches zu schreiben; denn sie vor andern Geschäften nicht über dem Lesen sitzen mögen, wiewohl ja das Wort Gottes das nöthigste wäre; aber sie verlassen sich auf euch als die Schriftweisen“ . .. Zuletzt fordert sie „durch das Urtheil und bei der Gerechtigkeit Gottes“ die Universität auf, ihr diejenigen Artikel Luthers oder Melanchthons, welche ketzerisch sein sollten, schriftlich anzuzeigen; Hieronymus habe sich auch nicht geschämt, an Frauen zu schreiben, ja unser Herr Christus selbst habe Mariä Magdalenä und dem Fräulein bei dem Brunnen gepredigt. Sie erbietet sich aber auch zugleich, persönlich, und zwar am liebsten in Gegenwart ihrer drei Fürsten und der ganzen Gemeinde, Rechenschaft von ihrem Glauben zu geben; denn sie schäme sich des Evangeliums von Christo nicht, fürchte sich auch nicht vor den hohen Meistern, wenn anders dieselben nicht gewaltiglich mit Gefängniß oder dem Feuer unterweisen wollten. „Ich kann zwar,“ bemerkt sie gelegentlich, „kein Latein, aber ihr könnt teutsch, in dieser Zung geboren und erzogen.“ Der prophetische Zuruf: „Kehrt wieder, kehret wieder zu dem Herrn; denn er ist gütig und barmherzig!“ bildet einen der letzten Gedanken des muthigen Schreibens.

Der Inhalt desselben war bald in die Oeffentlichkeit gedrungen. Weil man aber manchen ihrer Aeußerungen eine falsche Deutung unterlegte, so glaubte Argula, „nicht um sich zu verantworten, wohl aber um Aergerniß zu verhüten,“ auch dem Rathe von Ingolstadt eine Copie ihres Fehdebriefs mittheilen zu sollen. Begleitet war dieselbe von einem Schreiben, in welchem sie erklärte, daß sie als eine getaufte Christin, welche dem Teufel, so wie all‘ seinem Pomp und Gespenst, widersagt, und als eine von den Töchtern, von welchen Gott durch Joel vorher verkündigt, daß sie aus Antrieb des heil. Geistes weissagen würden, nur gethan habe, was sie nicht hätte unterlassen dürfen. Freilich seien darob Etliche so sehr erzürnt, daß sie nicht wüßten, wie sie es nur schickten, daß sie vom Leben zum Tod käme; aber sie furchte sich nicht vor tausend; denn sie sei in Gottes Händen, und wie gewaltsam auch ihre Fürsten handeln müßten, wollten sie anders vor dem Laufen ihrer Widersacher Ruhe haben: man würde ja, wenn sie die Gnade hätte, um des Namens Christi willen den Tod zu leiden, nicht einmal einen Gewinn davon haben, sondern nur bewirken, daß desto mehr Herzen erweckt, und tausend andre Weiber, welche belesener und geschickter seien, wider sie schreiben würden. Ihren Verfolgern, welche nicht wüßten, was sie thun, wolle Gott verzeihen und sie erleuchten; die Herren des Raths aber möchten sich wohl vorsehen, daß sie nicht sammt ihnen verderben!

Antwort erhielt Argula weder von dem Rath, noch von der Universität. Ob Dr. Eck sich für ihr unbequemes Schreiben durch Uebersendung eines Rockens mit Spindel an ihr zu rächen gesucht, muß als nicht beglaubigt dahingestellt bleiben. Ein kümmerliches, mit unwürdigen Schmähungen angefülltes Product in Knittelversen („ein Spruch von der Staufferin ihres Disputirens halber“), in welchem sie zum Spinnen, Haubenstricken und Bortenwirken aufgefordert wird, war das einzige unmittelbare Lebenszeichen der Gegner. Der Verfasser hatte nicht gewagt, sich zu nennen, sondern unter dem fingirten Namen Hr. Johann von Landshut geschrieben. Argula antwortete, den Rath Salomo’s befolgend, „dem Narren nach seiner Narrheit,“ und zwar in demselben Versmaß, worauf er verstummte.

Dem Herzog Wilhelm hatte sie schon bald nach ihrem ersten öffentlichen Auftreten ihr Herz ausgeschüttet und ihn „um Gottes willen“ gebeten, dem Evangelium freien Lauf zu lassen: so werde Glück und Heil über Land und Leute kommen; wo nicht, so werde Gott es nicht ungerochen lassen. Gestützt auf den Grundsatz, „daß nicht den weltlichen Herren das Wort Gottes unterworfen sein soll, sondern sie demselben getreuen und gewissen Wort Gottes,“ ruft sie mit unerschrockenem Freimuth aus: „O ihr Fürsten, wollte Gott, daß eure Augen aufgethan würden!“ Sie giebt dem Herzog die feierliche Versicherung, daß sie schon aus Dankbarkeit für die empfangene Gutthat ihm als ihrem Bruder in Christo die Wahrheit nicht habe vorenthalten dürfen und bittet ihn, zu Herzen zu nehmen, daß Gott fürwahr die Seelen seiner. Unterthanen aus seiner Hand fordern werde. – Vor Gott demüthig wie ein Kind und auf das tiefste davon durchdrungen, „daß sie aus sich selbst nichts Gutes zu thun vermöge, denn sündigen,“ hat sie in dem Bewußtsein, daß sie die Sache Christi zu vertreten gewürdigt sei, selbst einem Mächtigen der Erde gegenüber sich zu dem kühnsten Vertrauen erhoben.

Argula’s Lage fing jetzt an bedenklich zu werden. Der mächtige Kanzler von Eck stellte dem Herzog vor, daß im Interesse der obrigkeitlichen Autorität das Religionsmandat, obgleich sie ein Weib sei, auch auf sie angewendet werden müsse, und letzterer, um so entrüsteter über „das ungeschickte Schreiben der Grumbacherin,“ da sie einst seine Schutzbefohlene gewesen, suchte sofort seinen Bruder Ludwig dahin zu bestimmen, daß er ihren Mann vorfordre, ihn befrage, warum er solches seinem Weibe gestatte? und denselben „von Stund an seines Amtes entsetze, ihre Bestrafung aber vorbehalte.“ An ihrem Manne hatte Argula keine Stütze. Er ließ sie zwar nicht einmauern, wie man ihm freundschaftlich gerathen haben soll; aber „er that,“ wie sie einmal ihrem Vetter Adam von Törring klagte, „leider sehr viel dazu, daß er Christum in ihr verfolgte.“ Letzterer, pfalzneuburgischer Statthalter, war „als eingesippter Freund“ sehr ungehalten darüber, daß sie sich so vieler Schmach aussetze; sie dankt ihm für seine Theilnahme, giebt ihm aber zugleich die beruhigende Versicherung, daß sie bereit sei, um ihres Bekenntnisses willen Alles über sich ergehen zu lassen. „Und ob es gleich dazu käme, daß ich darob müßte zu Grunde gehen: hätte ich die Gnade, wie ein Edel-Kleinod müßte meine Seele Gott dem Herrn sein!“ Auch ihre Kinder machen ihr, obwohl nunmehr „die Pfaffen zu Würzburg“ ihres jungen Herrn Gut auch verzehrt haben, keine Unruhe. „Meine Kindlein wird der Herr schon versorgen und die speisen mit den Vögeln in der Luft, auch die bekleiden mit den Blümlein des Feldes; er hat’s gesagt, er kann nicht lügen.“ Schließlich giebt sie ihrem „herzlieben Vetter“ noch zu erkennen, was sie von ihm erwarte. Für sie möge er Gott ernstlich bitten, daß er ihr den Glauben mehre; er selbst aber solle doch ja nicht unterlassen, vor seinem Ende die Bibel, oder wenigstens die vier Evangelisten noch hinauszulesen: er habe lange genug den Fürsten berathschlagt, er solle nun anfangen, seine unsterbliche Seele zu berathen: dadurch werde er zugleich in seinem Regiment viel Nutzen schaffen. Daß diese außergewöhnliche Frau auch die allgemeinen Angelegenheiten nicht aus den Augen ließ, beweisen u. A. die zwei vertrauensvollen Schreiben, welche sie im J. 1523 an den Kurfürsten Friedrich und den Pfalzgrafen Johannes gerichtet hat. Wie sie anderswo gesagt, es sei zu wünschen, daß der Reichstag nicht vergeblich seinen Namen habe, sondern uns reich mache an Seele und Leib, so sieht sie nun zu beiden Reichsfürsten mit der gewissen Zuversicht auf, daß sie fröhlich und ohne Zittern vor alle gewaltigen Angesichter treten werden. Ein öffentliches Sendschreiben andrer Art hat sie ein Jahr später „an die von Regensburg“ ergehen lassen, weil „aus Anrichtung des Satans“ diese Reichsstadt allein unter allen übrigen den Lauf des heil. Evangelii verhinderte. Die meisten Briefe aber hat sie wohl mit den Wittenbergern gewechselt. Mit dem Manne, von welchem sie einmal sagt: „er hat mich durch Gottes Wort wiedergeboren,“ mit Luther, „dem getreuen Arbeiter des Evangelii,“ welchem sie für seine gerechte Bibelverdeutschung und Alles, was Gott durch ihn gewirkt, Gottes Lohn in Zeit und Ewigkeit wünscht, war sie schon seit 1522 in brieflichen Verkehr getreten. Damals hatte sie ihm fröhlichen Herzens melden können, „daß das Evangelium fruchtbar im Lande sei;“ später holte sie sich Trost bei ihm. Luther nennt sie „die Jüngerin Christi, Argula,“ und fordert Spalatin auf, sich mit den Engeln über sie zu freuen als über eine fündige Tochter Adams, welche eine Tochter Gottes geworden sei, sie selbst aber, wenn er sie erreichen könne, von seinetwegen zu grüßen und in Christi Namen zu trösten. Daß sie sehr bekannt mit ihm gewesen sein muß, darf man auch aus dem Umstand schließen, daß sie als eine abgesagte Feindin der „Teufelslehre“ vom Cölibat (1. Tim. 4, 1 ff.) ihn zu einer Zeit, wo er selbst noch nicht daran dachte, aufforderte, in den heiligen Ehestand zu treten. Persönlich scheint sie ihn kennen gelernt zu haben, als sie während des Augsburger Reichstags ihn in Coburg besuchte. Schon zwei Jahre früher hatte Luther an Spalatin geschrieben: „Aus dem beiliegenden Briefe unsrer Argula wirst Du ersehen, was das gottselige Weib zu ertragen und zu erdulden hat,“ jetzt hatten ihre Anfechtungen den höchsten Grad erreicht. Von allen Seiten angefeindet, vom Klerus verunglimpft und von der weltlichen Gewalt mit Argusaugen überwacht, bedurfte sie mehr als je des Trostes der Gemeinschaft; aber sie stand, von Gleichgesinnten verlassen, wie in einer Wüste da. „Daß ich doch,“ hört man sie einmal ausrufen, „Einen erführe, der sich annehme die Bibel zu lesen, auch sich gewißlich erkundigte, was der Befehl Gottes wäre!“ Von, allen Seiten her vernimmt sie nichts, als die gemeine Rede: „ich glaub‘ , was meine Aeltern geglaubt haben;“ darin stimmten die Fürsten und der meiste Adel überein: darum seien auch alle Stände so voll von Buben und Bübinnen. Ohne Zweifel gebe es zwar auch viele „heimliche Jünger des Herrn;“ aber diesen unmännlichen Männern sei ein Schloß vor den Mund gelegt; „Gott schicke ihnen einen herzhaftigen Geist!“ Die inneren Zustände des Landes mißfielen ihr auf das äußerste; dennoch blieb ihr Muth ungebrochen. Was sie während des Augsburger Reichstags an Spalatin geschrieben: „Fürchtet euch nicht, die Sache ist Gottes, der sie in uns ohne uns angefangen hat, der weiß und wird uns wohl beschützen; er schläft nicht, der da behütet Israel, die Sache ist sein; er wird den Streit wohl stillen und hinausführen,“ das stand ihr auch unter den mißlichsten Umständen fest. Weil sie nun aber eben deshalb sich weder durch Warnungen noch durch Drohungen abhalten ließ, die Lehre Luthers zu bekennen und zu verbreiten, so wurde sie endlich (man weiß nicht, in welchem Jahre) des Landes verwiesen und ihr Sohn Hans Georg aus dem herzoglichen Dienste entlassen. Daß es so kommen würde, hatte sie längst vorhergesehen. „Wir müssen ja“, sprach sie schon vor Jahren, „Alles verlassen, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Kinder, Gut, Leib, Leben.“ Von ihren letzten Schicksalen ist nichts bekannt, als daß sie sich nach Franken gewendet und, nachdem sie noch den Passauer Vertrag und den Regierungsantritt des milderen Albrecht erlebt, auf evangelischem Grund und Boden ihren unruhvollen Erdenlauf beschlossen hat. Ihr Mann war ihr, man sagt, um 1530, bereits vorangegangen; sie selbst starb 1554 in Zeilitzheim unweit Schweinfurt, wo sie auch begraben liegt. Der Jesuit Gretser hat sie noch nach ihrem seligen Hingang „eine lutherische Medea oder Furie“ genannt; wir segnen ihr Andenken als das einer auserwählten Frau und guten Streiterin Christi.

Ch. H. Sixt in Nürnberg, später in Anspach

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874