Katharina Zell.

In Straßburg lebte um dieselbe Zeit eine Frau bürgerlichen Standes, die sich den Ehrennamen „Reformatorenmutter“ erworben hat. Es war dies Katharina Zell, geborene Schütz. Sie war die Tochter eines ehrsamen Schreinermeisters und erblickte das Licht der Welt im Jahre 1497. „Von Mutterleib an,“ schrieb sie selbst, „hat mich der Herr gezogen, und von Jugend auf gelehrt; darum habe ich mich auch seiner Kirche nach dem Maße meines Verstandes und der verliehenen Gaben zu jeder Zeit fleißig angenommen und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist. Daher mich auch von früher Jugend an alle Pfarrherren und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben.“

Wie sie zum Glauben gekommen, sagt sie selbst: „Und da wir in solcher Angst und Sorge der Gnade Gottes standen, aber in vielen Werken Übungen und Sakramenten der päpstlichen Kirche keine Ruhe finden mochten, erbarmte sich Gott unserer und vieler Menschen und sandte uns den lieben und jetzt seligen Dr. Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesu so lieblich fürschrieb, dass ich meinte, man zöge uns aus dem Erdreich hinauf, ja aus der grimmen, bitteren Hölle in das liebliche, süße Himmelreich.“ Im Jahre 1523 verheiratete sie sich mit dem wackeren Verteidiger der evangelischen Lehre, welchem der Stadtrat eine besondere Kanzel im Münster errichtet hatte, da ihm die katholische Geistlichkeit die daran befindliche Kanzel verschloss, Matthias Zell. Von nun an stand sie ihrem Gatten bei dessen Wirken für die Sache der Reformation mutig und treulich zur Seite. Der bekannte Martin Bucer, oder Bucer, der auch die Trauung dieses Ehepaares vollzogen hatte, schrieb über Katharina: „Sie ist gottesfürchtig, grundstudiert und mutvoll wie ein Held; aber es wybelt((flattert)) doch immer ein wenig um sie.“

Bald nach ihrer Verheiratung schrieb ihr Luther: „Dass Dir Gott seine Gnade so reichlich gegeben hat, dass Du nicht allein selber sein Reich siehst und kennst, so vielen Leuten verborgen, sondern auch solch einen Mann bescheret, von dem Du es täglich und ohne Unterlass besser kennen und immer hören magst, gönne ich Dir wohl; und wünsche Dir Gnade und Stärke dazu, dass Du solches behaltest bis auf jenen Tag, wo wir uns Alle sehen und freuen werden, wills Gott.“

Katharina wusste den Mariageist mit dem Marthasinn zu verbinden; sie besorgte die Geschäfte des Hauswesens und war bei der Hand, wo es galt, die vielen gelehrten Männer, die in ihrem gastlichen Hause einkehrten, in geistreicher Weise zu unterhalten. Dies war zum Beispiel der Fall, als Zwingli und Oekolampad im Jahre 1529 auf der Durchreise nach Marburg einige Tage bei ihr zur Herberge waren. Überhaupt besuchte in jenen Tagen nicht leicht ein Freund der Reformation die Reichsstadt Straßburg, ohne bei Magister Zell und dessen Frau einzusprechen. Besonders nahmen sich beide Ehegatten derjenigen an, die um ihres Glaubens willen ihre Heimat verlassen mussten. Katharina durfte von sich erzählen: „Ich habe schon im Anfang meiner Ehe viele herrliche gelehrte Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: Unterstütze und stärke die müden Knie.“

Als im Jahre 1524 in einer Nacht anderthalbhundert Bürger auf kaiserlichen Befehl als Anhänger des Evangeliums die Stadt Kenzingen verlassen mussten, nahm das Ehepaar Zell achtzig in sein Haus auf und speiste fünfzig bis sechzig vier Wochen lang, wozu allerdings fromme Leute ihre Beisteuer lieferten. Auch den vertriebenen Bauern, „viel elenden und erschrockenen Leuten“, bewies die Pfarrfrau ihre Samariterliebe; sie sorgte für deren Unterkunft und kollektierte((sammelte)) zu ihrer Unterstützung. Selbst den verfolgten Wiedertäufern entzog sie nicht ihre helfende Hand; sie stand fest im Glauben, aber ihre Menschenliebe erhob sie über dogmatische Engherzigkeit.

1538 unternahm sie mit ihrem 61jährigen Manne eine Reise durch die Schweiz und Deutschland, wobei sie auch bei Luther in Wittenberg einkehrten. Sie schrieb über diese Reise: „Ich bin nur eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Kummer und Sorge, Krankheit und Schmerz in meiner Ehe erlitten, aber meinen Mann habe ich so lieb, dass ich ihn durchaus nicht wollte allein wandeln lassen, da er unsern lieben Dr. Luther und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger sehen und genießen wollte. Meinen ehrwürdigen, alten, inniglieben Vater, den 85jährigen, meine Freunde und Alles, was mir lieb war, empfahl ich dem Schutze des Herrn, verließ Alles und zog mit meinem Manne dreihundert Meilen hin und her.“

Zell starb 1548. Katharina schrieb über ihr eheliches Leben: „Gar oft habe ich mich bei mir selbst verwundert und Gott gedankt, dass wir Beide, mein seliger Mann und ich, durchaus einerlei Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind, ein Herz und eine Seele.“

Auch nach dem Tode ihres Gatten setzte sie ihre Barmherzigkeit fort, wie ihr derselbe vor seinem Ende noch anempfohlen hatte; sie blieb noch zwei Jahre und elf Wochen im Pfarrhause und versäumte Nichts, dasselbe zu einer Herberge für ihre bedrängten Glaubensgenossen zu machen.

1549 mussten die Straßburger Prediger Bucer und Paul Fagius ihr Amt niederlegen, Straßburg verlassen und nach England fliehen. Sie hinterließen der Witwe Zell ohne deren Wissen mehrere Geldstücke, damit sie nicht Not leide. Katharina aber schrieb an die Flüchtlinge: „Ihr habt mich mit dem Gelde, so Ihr mir heimlich in dem Briefe zurückgelassen, auf das äußerste betrübt. Auf dass aber meine Schamröte einesteils hingelegt werde, habe ich zwei Stücke Geldes wieder in den Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern und eines Prädikanten Frau, deren Mann getötet worden ist. Die habe ich zehn Tage lang bei mir gehabt, und habe das eine Stück Geld diesen beiden zur Zehrung geschenkt, nicht meinet-, sondern euretwegen.“

Katharina war also eine rührige Kämpferin für das Evangelium, hatte aber dabei, wie ihr Mann, ein weites Herz und konnte sich in die dogmatischen Streitigkeiten der Evangelischen selbst nicht finden. Darum wagte sie es sogar, an Luther zu schreiben und ihn zu bitten, er möge in dem Abendmahlstreite wider die Schweizer und Oberländer milder verfahren. Luther scheint diese Zumutung nicht ungünstig aufgenommen zu haben, er versprach, seine Schärfe ein wenig zu mildern. Nur möge Katharina auch ihren Mann und andere Freunde anhalten, dass sie Friede und Einigkeit bewahren möchten. „Die Liebe solle über Alles gehen, und den Vorgang haben, ausgenommen Gott, der über Alles, auch über die Liebe sei.“

Für die Wiedertäufer legte Katharina bei verschiedenen Gelegenheiten Fürsprache ein; sie nannte dieselben die „armen Täufer, die gehetzt würden, wie der Jäger die Hunde auf die wilden Schweine und Hasen hetze. Wer Böses tue, den solle die Obrigkeit strafen, den Glauben aber nicht zwingen, der gehöre dem Herzen und Gewissen an, nicht dem äußeren Menschen.“

Auch der schlesische Edelmann Kaspar Schwenkfeld, der nicht frei war von mystischen Verirrungen, und aus Furcht, es möchte unter den Protestanten ein neues Papsttum entstehen, das geistliche Amt und die Einrichtungen der Kirche, so wie die Sakramente verachtete, wurde in der Familie Zell gastlich aufgenommen. Von anderer Seite war man unwillig über diese Weitherzigkeit; doch schwieg man, so lange Zell am Leben war. Aber nach seinem Tode wurde Katharina heftig angegriffen, als ob sie selber Schwenkfeld’sche Ansichten hege. Sie verteidigte sich in einer zwölf Folioseiten umfassenden Schrift.

Am heftigsten eiferte gegen sie der Nachfolger ihres Mannes, Dr. Rabus, der als Superintendent nach Ulm versetzt worden war, und der in früherer Zeit von der Familie Zell viele Wohltaten empfangen hatte. Das Schreiben dieses Mannes ist so gemein und grob, dass wir Bedenken tragen, mehr als die Anfangsworte davon anzuführen. Es heißt: „Dein heidnisch-unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zugekommen“ usw. Katharina wusste zu antworten, mitunter, das ist nicht zu leugnen, auch in scharfen Worten. Auf die Beschuldigung, dass sie in Straßburg Unruhe verursacht habe, erwiderte sie: „Du liebes Straßburg, denn du mich länger als Herr Ludwig (Rabus) gekannt hast, sage, was ich getan habe. Ja, mir selbst und nicht der Kirche habe ich viel Unruhe gemacht, und angefangen, das vorher bei den Weibern nicht gewöhnlich gewesen, auch mir nicht viel Nachfolge getan ist worden, da ich Arme, Verjagte und Elende hab‘ aufgenommen, für sie geredt und geschrieben, weder Nachrede, Hass, noch Gunst angesehen, der Kirche kein Leid getan, noch Unruhe angefangen, sondern alle Zeit freundlich mit allen Parteien, und habe gerne gesehen, dass nicht ein Bruder dem anderen zum Tode geholfen hätte.“ „Ist das die Sünd‘ und Unruhe, die ich in der Kirche gemacht habe, dass ich, da andere Weiber ihrer Hoffart geluget und zu Hochzeiten, Freuden und Tanz gegangen, mit aller Lieb, Treue und Mitleid, Pestilenz und Tote getragen?“ usw.

Über ihr Lebensende fehlen genauere Nachrichten, nur so viel ist bekannt, dass der damalige Superintendent seinen Geistlichen befahl, ihr zu Ehren keine Leichenpredigt zu halten; es wäre denn, dass sie beifügen wollten: allerdings habe sich Frau Katharina als Wohltäterin verdient gemacht, zuletzt sei sie aber der lutherischen Lehre abtrünnig. geworden und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.

Die Geistlichen achteten wenig auf diesen Befehl und noch weniger die Straßburger Bürger. Allgemein betrauerte man den Verlust der merkwürdigen Frau.