Erdmute Dorothea von Zinzendorf.

Schließlich geben wir noch ein Beispiel weiblicher Frömmigkeit aus dem Kreise der Herrnhuter und wählen hierzu die Gemahlin Zinzendorfs selbst, deren wir schon unter den geistlichen Liederdichterinnen gedacht haben. Erdmute Dorothea war geboren zu Ebersdorf am 7. November 1700; sie war eine Enkelin der vorher erwähnten Gräfin Benigna von Solms-Laubach, und wurde am 7. September 1722 mit dem Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf vermählt. Ausdrücklich erklärte der Graf, als er sich um die Hand der Auserkorenen bewarb, er erwähle vor Allem dazu eine Gemahlin, damit sie ihm, seinen Untertanen und Anstalten eine Hausmutter sei, während er für seine Person das Zeugnis Jesu, dem er bereits mit Wort und Werk diene, ungehinderter durch die Welt tragen und auf des Herrn Wink alle Stunden den Pilgerstab in die Hand nehmen und zu den Heiden gehen könne, um denselben den Heiland zu predigen. Würde ihm der Ehestand solches, statt möglich, unmöglich machen, so würde er lieber gar nicht heiraten. Wiewohl die Familie einige Bedenklichkeiten über diese Bedingungen hatte, willigte Erdmute mit Übereinstimmung ihrer Eltern ein, und sie hat treulich gehalten, was sie versprochen. Sie besorgte nicht nur die schwierigen ökonomischen Geschäfte des ausgedehnten und verwickelten Haushaltes mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Sorgfalt, sondern sie war auch ihrem Gemahl eine Gehilfin in der Seelenpflege der weiblichen Glieder der Gemeinde. Dabei wurde sie Mutter von zwölf Kindern, die freilich meistens frühe wieder starben.

Besonders nahm sie sich der Armen und Hilfsbedürftigen an; sie war eine Almosenpflegerin, welche die dargebotenen Gaben mit freundlichen Worten und gutem Rat begleitete. Wer zu ihr seine Zuflucht nehmen wollte, um Trost oder Hilfe zu suchen, wurde liebevoll aufgenommen und gar Manchem ist sie eine wirksame Fürsprecherin gewesen. Spangenberg, Bischof der Brüdergemeinde und Biograph Zinzendorfs, sagt von ihr: „Sie hatte an Gnade und Gabe etwas Ungemeines und ihre lobenswerten Eigenschaften blieben bei Allen, die sie kennen gelernt hatten, unvergessen. Sic stammte aus einer Familie, die Gottes Wort in Ehren hielt, und bei der die Kinder Gottes und Diener Jesu, ob sie auch sonst mit Schmach bedeckt waren, lieb und wert gehalten wurden. Sie war in der heiligen Schrift sehr geübt und hatte die Gotteswahrheiten, worauf sich unser Glaube und Wandel gründet, in trefflichem Zusammenhange inne. Auch in anderen Wissenschaften war sie nicht unbekannt. Im Ratgeben war sie besonders glücklich. In kleinen Ausgaben sparsam und wirtschaftlich, war sie, wenn es die Sache des Herrn erforderte, willig und bereit, selbst über Vermögen zu tun. Ihre Gesichtsbildung zeigte vom klarsten Verstande; sie war eine durch und durch „gescheite“ Frau. So war sie eine Fürstin Gottes unter ihrem Volke, indem sie eine gesegnete Dienerin desselben war, namentlich gegen die Elenden und Notleidenden mitleidig und mütterlich, und um das Kleinste und Größte besorgt; daher man sie auch nur „Mama“ nannte. Das Köstlichste von Allem aber war immer, dass ihr Herz mit einer innigen Liebe an Jesu hing und ihre liebsten Stunden in einem kindlich vertrauten Umgange mit ihm zubrachte.“

Hiermit verbinden wir das Urteil Zinzendorfs selbst. „Ich habe,“ so sagt er, „fünf und zwanzig Jahre aus Erfahrung gelernt, dass die Gehilfin, die ich habe, die Einzige gewesen, die von allen Enden und Ecken her in meinen Ruf passt. Wer hätte sich in meiner Familie so durchgebracht? Wer hätte vor der Welt so unanstößig gelebt? Wer hätte den Pharisäismus so gründlich gekannt? Wer hätte die Irrgeister der Zeit so tief eingesehen? Wer hätte. meinen ganzen Haushalt so viele Jahre so wirtschaftlich und so reichlich geführt, wie es die Umstände erfordert? Wer hätte mir das Kleinwesen im Hause so ganz abgenommen? Wer hätte so sparsam und doch so anständig gelebt? Wer hätte so rechtzeitig immer niedrig und hoch sein, die Welt ehren und verachten können? Wer hätte bald eine Dienerin, bald eine Herrin dargestellt, ohne in vornehme Geistlichkeit oder Weltlichkeit zu verfallen? Wer hätte einem Ehegatten solche Reisen und Proben hingehen lassen? Wer hätte unter so mancherlei fast erdrückenden Verhältnissen des Brüdergemeinwesens das Haupt immer empor gehalten und den Stifter der Gemeinde trog aller Anfechtungen unterstützt?“

Man muss bedenken, dass der Graf die meiste Zeit auf Reisen war und dass in dessen Abwesenheit seine Gemahlin doppelt in Anspruch genommen wurde. Auch war sie öfters vom Hause entfernt. Sie machte im Interesse ihres Gemahls und der Brüdergemeinde Reisen nach Berlin, Petersburg, öfters nach England und Holland.

1738 musste sie es geschehen lassen, dass ihr Gemahl selbst einige Brüder als Missionare nach Thomas in Westindien begleitete. Die Gräfin sollte einstweilen in Marienborn bei Büdingen, wo damals der Hauptsitz der Herrn-Huter war, bleiben. Die Reise nach Thomas wurde wegen des ungesunden Klimas damals für überaus gefährlich gehalten, indem man behauptete, dass von hundert Europäern, die dorthin reisten, kaum zehn zurückkehrten. So nahmen denn die beiden Gatten von einander Abschied, als ob Zinzendorf nie wieder zurückkehren werde. Die Gräfin fügte sich mit christlicher Geduld und Ergebung in das Unvermeidliche; sie übergab dem Grafen beim Abschied ein Gedicht, in welchem sie unter Anderem sagte:

Willst du nun Botschaft gehen?
Ist’s nun des Herren Wille,
So will ich in der Stille
Derweilen zu ihm flehen,
Dass, weil er dich geheißen
Nach Indien zu reisen,
Er Alles lass geschehen,
Was er dadurch ersehen.

Ich bleibe dann zurück,
Und seh‘ dir nach mit Beugung,
Doch auch mit Überzeugung
Von deinem Zeugenglück.
Hier soll Natur ersterben,
Und gehen ins Verderben,
Weil ich in diesem Stück
Nur auf die Sache blick‘.

Ich gebe dir die Hand,
Ich will des Heilands bleiben
Und seine Sache treiben
In meinem schwachen Stand,
Du gehest dann schon weiter
Und bist sein Wegbereiter
Durch Wasser und zu Land;
Sein Will‘ ist dir bekannt.

Während ihrer letzten Lebensjahre nahmen ihre Kräfte sichtbarlich ab. Ihre Gesundheit war durch viele Sorge, Mühe und Arbeit zerrüttet. Der Tod ihres einzigen noch lebenden Sohnes Renatus trug das Seine dazu bei, ihre Gesundheit vollends zu untergraben. Am 19. Juni 1756 erlöste sie der Tod von ferneren Leiden; sie war noch nicht 56 Jahre alt.