Beata Sturm

Beata Sturm, gewöhnlich die württembergische Tabea (Apostelg. 9,36) genannt, ist geboren am 17. Dezember 1682 zu Stuttgart. Schon in ihrem zehnten Jahre bekam sie an beiden Augen den Star und erlangte durch eine fünfmalige Operation nur ein notdürftiges Augenlicht. Ihr Vater, Joh. Heinr. Sturm, Oberjustizrat, war ein äußerst frommer Mann; er wurde Jahre lang als Geisel in französischer Gefangenschaft festgehalten. Ihre Mutter starb während seiner Abwesenheit, so dass eine alte herrschsüchtige, lieblose Magd dem jungen Mädchen das Leben verbittern konnte. Als ihr Vater 1709 gestorben war, führte Beata mit ihrem jüngeren Bruder die Haushaltung fort; hierauf fand sie bei einem Herzensfreunde ihres Vaters, dem Prälaten Esenwein zu Blaubeuren, ebenfalls zwei Jahre lang eine gastliche Aufnahme. Von 1713 bis zu ihrem Ende blieb sie bei ihrem älteren Bruder, Advokat und Sekretär der Landschaft in Stuttgart. Von Zeit zu Zeit musste sie zur Stärkung ihrer schwachen Augen eine Badekur brauchen. In ihrem, von ihr selbst verfassten kurzen Lebensabrisse sagte sie, wie ihr Taufname Beata, d. h. die Selige, ihr stets eine Aufmunterung zu einem frommen Wandel gewesen sei. Sie habe, obwohl von vortrefflichen Eltern geboren und erzogen, doch von Natur ein trotziges und verzagtes Herz gehabt, aber erst nach und nach durch die Gnade Gottes solches erkannt. Ihr Vater war ein Verehrer der heiligen Schrift, der sich sein hebräisches altes und sein griechisches neues Testament in bestimmte Abschnitte eingeteilt hatte, dass er die ganze Bibel in einem festgesetzten Zeitraume durchlas. Auch Beata befolgte diese Ordnung, so dass sie etliche dreißig Mal diese erbauliche Lektüre vollendete. Sie wurde auf diese Weise mit der ganzen Bibel so bekannt, dass sie nur den Anfang eines Abschnittes zu hören brauchte, und dann auswendig fortfahren konnte. Auch fehlte ihr nie ein passender Bibelspruch, wenn sie eines solchen zu ihrem Troste, zur Stärkung ihres Glaubens oder zum Kampfe wider die Versuchung bedurfte. Außer der Bibel las sie kein einziges Buch; sie meinte, bei ihren schwachen Augen, die sie nicht anstrengen dürfte, müsse sie ihre Lektüre auf das Notwendigste und Nützlichste beschränken. Nur später, als ihr Luthers Schriften geschenkt wurden, beschäftigte sie sich auch mit diesen und bekannte öfters, welche köstliche und kräftige Geistesnahrung sie aus denselben geschöpft habe. Dass sie eine eifrige Beterin war, versteht sich wohl nach dem Erwähnten von selbst. Das Abendmahl genoss sie, so oft ihr Herz Verlangen danach hatte, bisweilen alle Vierteljahr. Bei ihrer ängstlichen Gewissenhaftigkeit und bei ihrem ernsten Ringen nach Heiligung hatte sie oft innere Anfechtungen, dass sie sich einmal sogar für unwürdig hielt, das heilige Abendmahl zu genießen. Da fielen ihr die Worte ein aus Spr. Sal. 9,4.5: „Kommt, ihr Albernen, und esst von meinem Bissen“ und Joh. 6,37: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus stoßen.“ So gewann sie wieder die verlorene Freudigkeit. Einige Male hatte sie selbst Anfechtungen zum Selbstmord, aber auch in solchen bösen Stunden gedachte sie an das Wort des Herrn: „Du sollst nicht töten“ und so wurde sie vor einer so schweren Sünde bewahrt.

Dass ihre Frömmigkeit nicht in einer kraftlosen Gefühlsschwelgerei und Schwärmerei bestand, zeigte ihr rastloser Wandel in der Liebe. Wir haben schon gehört, wie sie durch eine Magd ihres Vaters in ihrer Kindheit Viel zu leiden hatte. Niemals beklagte sie sich hierüber bei ihrem Vater, weil jene Magd diesem diente, was sie bei ihren blöden Augen nicht konnte. Nach ihres Vaters Tode kam die Person in ein anderes Haus. Beata machte sich Vorwürfe, dass sie die Kränkungen von Seiten derselben nicht mit mehr Liebe und Sanftmut ertragen habe. Sie fühlte sich durch ihr Herz getrieben, die Magd deshalb um Verzeihung zu bitten. Anfangs lachte diese über die vermeintliche Einfalt; denn sie musste sich sagen, dass sie nicht die Beleidigte, sondern die Beleidigerin gewesen sei. Doch bald darauf wurde auch ihr Herz von solcher Sanftmut und Demut ergriffen und sie tat alles Mögliche, um Beaten ihre Liebe zu beweisen. Als sie von einer ekelhaften Krankheit befallen wurde, dass Niemand um sie bleiben mochte, stand ihr Beata tröstend und helfend zur Seite, besuchte sie fleißig und vollendete ihre Bekehrung.

Überhaupt widmete Beata, so weit sie konnte, ihr ganzes Leben dem Dienste christlicher Samariterliebe. Sie ging umher, die Mühseligen und Beladenen aufzusuchen und zu erquicken. Sie besuchte die Hütten der Armen, das Lager der Kranken, insbesondere die Spitäler, um Trost und Hilfe zu bringen, geistliche und leibliche Speise, je nachdem die Leute derselben bedurften. Ihr väterliches Erbe an Kleidern und Schmuck verkaufte sie, damit sie Mittel erlange, Gutes zu tun. Sie selbst kleidete sich unter ihrem Stande, um desto besser Nackende kleiden zu können. Als sie einstens einer armen Frau Essen brachte und diese äußerte, wenn sie jetzt nur Jemand wüsste, der ihr ein altes Kleid zukommen ließe, in welchem sie sich auch nach einem Stück Brot umsehen könne, zog Beata alsbald ihr Oberkleid aus und schämte sich nicht, in dem Untergewand nach Hause zu gehen. Es war ihr vom Arzte verordnet worden, bei Tisch ein Glas Wein zu trinken; sie meinte, an einem halben habe sie auch genug, die andere Hälfte könne sie zur Labung von Kranken verwenden. Einstens wurden ihr so viele Unterstützungsbedürftige bekannt, dass ihr geringes Einkommen nicht hinreichte, Allen zu geben, wie sie wünschte; da ruhte sie nicht eher, bis ihr gestattet wurde, einige hundert Gulden ihres eben nicht großen Vermögens aufzukündigen und das Geld für die Armen zu verwenden. Wollten Leute Geld von ihr leihen, so schenkte sie ihnen lieber Etwas, weil sie wusste, dass die Schuldner leicht ihr Herz gegen die Gläubiger verschließen. An sich selbst dachte sie so wenig, dass sie öfters aus Mangel an Geld die Badekur für ihre Augen unterlassen musste; sie behauptete in solchem Falle, ihre Augen wären den Winter über so gestärkt worden, als wenn sie im Bade gewesen wäre. Wo sie nicht selbst helfen und geben konnte, da wusste sie die Herzen Anderer zu erwärmen.

Sie wollte ihren Mitmenschen dienen, aber Niemandem lästig werden; darum nahm sie für sich selbst, auch wenn sie in Not war, keine Geschenke an. Um nicht besser zu leben als so viele Tausende ihrer armen Mitmenschen, entzog sie sich dem Tische ihres Bruders und kochte für sich ganz einfach. Wurde ihr von irgend einer Seite besseres Essen geschickt, so brachte sie es den Armen und Kranken. Einmal kam sie selbst so in Not, dass sie zwei Tage lang Nichts zu essen hatte; sie klagte nicht, sondern freute sich, dass sie an sich selber erfahren habe, wie entsetzlich es sei, Hunger leiden zu müssen.

Erst nach und nach lernte sie, dass auch bei der Mildtätigkeit Vorsicht notwendig sei, um nicht selbst in Not zu geraten und um nicht durch die Freigiebigkeit an unwürdige und schlechte Personen mehr zu schaden als zu nützen. Manche schmerzliche Erfahrung diente dazu, ihr die Augen zu öffnen. Doch ihr Sinnen und Streben wurde dadurch nicht geändert. Von Herzen freute sie sich, wenn sich durch ihre Hilfe das Sprichwort bewährte: „Wo die Not am größten, da ist Gott am nächsten.“ Als ihr einstens Geld in die Hände kam, übergab sie einem Bekannten 25 Gulden, damit er solche einem frommen, aber in Armut lebenden Pfarrer einhändigen möge. Dem Pfarrer war gerade ein Kind gestorben und er war in der größten Verlegenheit, da er kein Geld hatte, dasselbe anständig beerdigen zu können. Während der Pfarrer also in doppelter Traurigkeit betete, kam der Bote und überbrachte das Geschenk. Das Jahr 1720 endete ihr gesegnetes, gottseliges Leben.