Christoffel, Raget – Martin du Voisin, ein französischer Emigrant, erleidet den Märtyrertod in Sursee den 3. October 1608.
Unter den Tausenden, welche zur Wahrung des Kleinodes ihres evangelischen Glaubens und ihres Lebens mit Aufopferung ihres Vermögens im sechszehnten Jahrhundert ihr blutgetränktes französisches Vaterland verlassen mußten, lenkten viele ihre Schritte nach Basel, wo mehrere unter ihnen, nicht nur sich einer gastfreundlichen Aufnahme erfreuten, sondern auch in der Folge mit dem Bürgerrechte beschenkt wurden. Mit dem Segen ihres freudigen Glaubens- und Leidensmuthes verpflanzten diese evangelischen Neubürger auch die Wohlthat ihrer industriellen Kenntnisse und ihres industriellen Fleißes nach der neuen Heimath. Zu den französischen Flüchtlingen, welche sich bleibend in Basel niederließen, gehörte auch Martin du Voisin, aus einem Dorfe zwischen Chaumont und Sangres an der Maine gebürtig. Er war ein Seidenbandweber oder ein Posamentier und wurde in der neuen Heimath ein Mitbegründer dieses in Basel und in seiner Umgebung jetzt so blühenden Industriezweiges, der für viele Familien die Quelle des Wohlstandes, ja des Reichthums geworden ist. Martin du Voisin wurde in der Folge vom Rathe zu Basel mit dem Bürgerrechte beschenkt, „denn er war wie ein Zeitgenosse schreibt, fromm und gottesfürchtig, besuchte fleißig die Predigt des göttlichen Wortes und übte auch stets zu Hause sich und sein Hausvolk mit Lesen und Betrachten desselben, fügte daneben Niemanden ein Leid zu, so daß er nicht allein den Reformirten, sondern auch andern Religionsgenossen lieb und werth geworden war“. Mit den Erzeugnissen seines Gewerbfleißes pflegte er auch die Luzerner Märkte zu besuchen.
So begab er sich den 30. September 1608 auf den Weg nach Luzern zum St. Leodegar’s Markt, der am 2. October stattfindet. In der Gegend von Liestal traf er mit Pilgern aus den Niederlanden zusammen, die auf einer Wallfahrt nach Rom begriffen waren. Bald entspann sich zwischen du Voisin und diesen ein Religions-Gespräch namentlich über Wallfahrten und Marienverehrung. Unter Anderm wies unser eifriger Reformirter mit der heiligen Schrift nach, daß die Zeit erschienen sei, da die wahren Anbeter unter den Christen nicht gebunden seien, nach Einsiedeln, Rom, Loretto und anderen Wallfahrtsorten zu reisen, um da ihren Gottesdienst zu verrichten; denn die allein verehrten Gott auf rechte Weise, die ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten. Daher seien Mühe, Arbeit und Kosten eitel und vergebens verschwendet, nach so weit gelegenen Orten unter so viel Gefahren zu reisen, da die Gläubigen, wie Paulus (1. Tim. 2,8.) lehre, an allen Orten beten und heilige Hände zu Gott erheben können und sollen.„ In Betreff Marias äußerte er sich: „daß die heilige und hochgelobte Jungfrau freilich von Jedermann geehrt werden solle auf die Weise, wie das Wort Gottes davon rede. Durch die Erdichtungen und Fabeln, daß sie ohne Sünde geboren, für uns eine Fürbitterin sei, werde sie hingegen mehr geschmäht und entehrt als geehrt. -„Abends traf Martin du Voisin mit den gleichen Pilgern in Sursee, im Wirthshause zur Sonne, wo er übernachten wollte, zusammen. Bald verwickelte er sich auch hier in einen Streit über Wallfahrten und Marienverehrung, indem er sich darüber in gleicher Weise äußerte wie am Morgen in Liestal. Seine diesfallsigen Aeußerungen wurden sofort dem Schultheißen Schauffelbühl hinterbracht, der ihn noch am gleichen Abende, wegen abscheulicher Lästerungen wider die wahre Religion und die reine Gottesgebärerin gefangen nehmen und in den Thurm werfen ließ. Des folgenden Morgens frühe versammelte sich der Rath von Sursee und ließ durch Abgeordnete aus seiner Mitte den Gefangenen fragen, ob er die ausgestoßenen Worte zurücknehmen wolle oder ob er noch bei denselben verharre. Martin du Voisin wiederholte seine früher ausgesprochenen Ansichten über Wallfahrten und Marienverehrung und schloß sein diesfallsiges Bekenntniß mit den Worten: „Dieweil er nichts anders geredet habe als was er hoffe mit dem Worte Gottes und mit guten Gründen beweisen zu können, so sei er guter Hoffnung, daß er wieder freigelassen werde oder doch wenigstens nicht am Leben bestraft werde.“ Der Rath von Sursee aber meinte, er dürfe ohne Weisung der hohen Regierung von Luzern den Gefangenen weder freilassen noch ihn bestrafen. Daher ersuchten Schultheiß und Rath von Sursee die Obrigkeit von Luzern um Anleitung, wie sie sich in dieser Angelegenheit zu benehmen haben und zugleich um Zusendung eines Rathsbeistandes, welcher der französischen Sprache kundig wäre, damit man den Gefangenen verhören könnte. Die Obrigkeit von Luzern willfahrte sogleich dem Gesuche. Martin du Voisin beharrte auch in diesem neuen Verhöre bei seinen früher geäußerten Ansichten und wollte weder dieselben wiederrufen, noch bekennen, daß er sich geirrt, indem er behauptet habe, die Lehre vom Verdienste sei eine Menschenerfindung und Maria sei wie andere Menschen in Sünden empfangen und geboren worden, obschon er sie auch für ein Gefäß zur Ehre Gottes halte, da sie den Heiland der Welt in ihrem Leibe getragen und geboren habe. Auch die Geistlichen von Luzern bemühten sich umsonst den Gefangenen zu einer anderen Ansicht zu bekehren.
Den 3. October 1608 wurde früh Morgens im Beisein des Rathsbeistandes von Luzern in Sursee über Martin du Voisin Gericht gehalten und derselbe zum Tode verurtheilt, den er noch am gleichen Tage erleiden sollte. Das Urtheil wurde aber dem Betreffenden erst unmittelbar vor dessen Vollzug verkündet, denn Schultheiß und Rath, die Zwanzig der Stadt Sursee setzten sich nach gefälltem Todes-Urtheile im Wirthshause zur Sonne um zehn Uhr zum Imbisse. Daselbst kehrten auch indessen zwei Schullehrer von Bern ein, nämlich Gabriel Hermann1) und Jacob Weber, die auf einer Ferienreise soeben das Schlachtfeld von Sempach besucht hatten und nun den Bruder des Ersteren, Joseph Hermann, Pfarrer in Rued, Canton Argau besuchen wollten. Zu ihnen setzte sich auch der Stadtreuter von Sursee, welcher den Schultheiß Schnyder2) nach Vollzug des Todes-Urtheiles nach Muri begleiten sollte. Von diesem Stadtreuter vernahmen nun die Berner Schullehrer, daß heute ein Baseler wegen grober Lästerungen wider die Religion hingerichtet werde. Um 11 Uhr erhoben sich die drei Rathsherren in der Hauptstube und kamen in die Nebenstube, nahmen daselbst ihre Mäntel und gingen wieder hinaus. „Diese gehen nun in den Thurm zu dem Gefangenen, um ihm sein Todes-Urtheil anzukündigen“ sagte der Stadtreuter zu seinen Tischgenossen. „Weiß er denn nichts davon, daß er zum Tode verurtheilt ist und heute schon sterben muß?“ fragten ihn die beiden Schullehrer. Der Stadtreuter erwiderte: „Nein, bis zum Augenblicke, da die Herren es ihm anzeigen, weiß er nichts davon; und wenn er jetzt noch, bevor die Thurmglocke geläutet wird, sich zu einem Widerruf verstehen würde, so würde ihm noch das Leben geschenkt“. Während sie noch redeten ertönte die Thurmglocke und die übrigen Rathsherren erhoben sich nun vom Tische, nahmen ihre Mäntel und mit Ausnahme des Schultheißen Schauffelbühl jeder auch ein Schlachtschwert oder eine Hellebarde auf die Achsel und gingen auf das Rathhaus. Auch die beiden Berner Schullehrer standen nun auf und folgten ihnen, indem sie gerne das Urtheil in der Nähe vernehmen wollten. Dasselbe lautet wörtlich also: „Kund und zu wissen sei hiemit männiglich, daß gegenwärtiger Martin du Voisin, Bürger zu Basel, sonst aus Frankreich gebürtig, folgende grausame, grobe und schwere Gotteslästerung ohne alle Marter bekannt und eingestanden hat, auch sonst derselbe durch sieben glaubwürdige Personen ist überwiesen worden. Als er nämlich von Basel nach Luzern reisen wollte, hat er auf dem Wege bei Liestal etliche Niederländer angetroffen, die nach Rom wallfahrten und zu denselben gesagt, was sie da Mühe, Arbeit und Kosten umsonst haben wollten; die katholische Religion und das Götzenwerk seien doch nichts anders als lauter Narrenwerk. Er sei früher auch ihres Glaubens gewesen, aber nachdem er der Wahrheit berichtet worden sei, habe er erkannt, daß dieses Alles Narrenwerk sei. Und als sie ihn gefragt haben, was er denn von unserer lieben Frauen halte? Ob er nicht glaube, daß sie unsere Fürbitterin sei? habe er geantwortet: Unsere Frau sei wie eine andere Frau in Sünden empfangen und geboren. Auf solche seine des gemeldeten Martin du Voisin hohe, grausam, grobe und schwere ausgestoßene Gotteslästerung wider unseren wahren, uralten, christlichen und alleinseligmachenden katholischen Glauben und wider die heilige Jungfrau Maria, die würdige Mutter Gottes und hiemit auch wider Christum selbst, haben meine gnädige Herren, Schultheiß und Rath die Zwanzig der Stadt Sursee, bei ihren geschworenen Eiden zu Recht erkannt und geurtheilt, daß Herr Schultheiß ihn dem Scharfrichter übergeben, der ihn hinaus auf den gewöhnlichen Richtplatz führen, ihm da aus Gnade und Barmherzigkeit sein Haupt mit dem Schwerte abschlagen und so weit vom Rumpfe trennen, daß ein Straßenrad dazwischen durchfahren möge; hierauf seinen Leib in ein brennendes Feuer werfen und ihn zu Staub und Asche verbrennen und die Asche in eine Grube werfen, – und also schändliche Ketzerei auszureiten mit Schwert und Feuer vom Leben zum Tode nach kaiserlichen Rechten und der Stadt Freiheiten richten solle. Und so Jemand sich unterstünde, solchem zu widersprechen oder es zu betadeln oder zu rächen, der soll in gleicher Strafe stehen, wonach sich jedermann zu richten habe“. Nachdem dieses Urtheil verlesen war, befahl der Schultheiß Schauffelbühl vom Rathhause herab, den Verurtheilten dem Scharfrichter zu übergeben. Als Martin du Voisin hierauf zu reden begann, drängten sich auch die beiden Schullehrer hinzu, um ihn besser verstehen zu können. Aber die Rathsherren, welche im Wirthshause schon vernommen hatten, daß sie Berner und also Reformirte wären, befahlen ihnen, sich zu entfernen, „dieweil sie hier nichts zu schaffen hätten!“ Hierauf eilten sie mit dem armen Verurtheilten durch ein enges Seitengäßchen, durch das nur ein Mann nach dem andern gehen konnte, gegen den Richtplatz hinaus. Auf dem Wege begegnete ihnen der Rathsbote von Basel Lienhard Gebhard mit einem Bittschreiben seiner Obrigkeit für Martin du Voisin an Schultheiß und Rath von Sursee. Als der Verurtheilte denselben heran kommen sah, rief er seufzend aus: „Ach mein lieber Nachbar Lienhard, wie geht es mir so rauh!“ Hierauf bat Gebhard den Scharfrichter, ein wenig still zu stehn, bis er den Brief seiner Obrigkeit dem Schultheißen übergebe, weil derselbe den gefangenen Mann beträfe. Aber Schauffelbühl wollte anfangs das Schreiben nicht einmal annehmen, denn er habe jetzt keine Zeit Briefe zu lesen, und dem Scharfrichter rief er zu: „Jörg, fahr du nur fort mit ihm!“ Auf die dringenden Bitten des Rathsboten nahm endlich der Schultheiß den Brief, steckte ihn aber gleich unerbrochen in die Tasche, indem er sagte: „Wenn ich zurückkomme, will ich ihn lesen, jetzt habe ich keine Zeit dazu“. Auf dem ganzen Wege bis zum Richtplatze drangen die Kapuziner, die ihn begleiteten, in den Verurtheilten, daß er doch seine Aeußerungen über die Jungfrau Maria und über die Wallfahrten widerrufen solle, damit er selig sterben könne, ja noch auf dem Richtplatze rief einer von ihnen ihm zu: „Wohlan Martin, es wäre noch früh genug, wenn Du noch widerrufen wolltest, und unserer lieben Frau wieder die Ehre geben, so wollte ich Dir dann Deine Sünden verzeihen und du würdest seliglich von hinnen scheiden“. Aber der Verurtheilte beharrte standhaft bei dem Bekenntnisse der evangelischen Wahrheit und begann zum Volke zu sprechen. Da drängten sich auch die beiden Schullehrer sowie der Rathsbote von Basel hinzu, um ihn besser verstehen zu können; ein Rathsherr jedoch, der sie bemerkte, sprach: „Ich habe geglaubt, man habe Euch schon geheißen, Euch zu entfernen. Machet nun, daß Ihr fortkommt; Ihr habt die höchste Zeit dazu!“ Dem Martin du Voisin schrie der Kapuziner zu: „Du bist des Teufels, wie Du gehst und stehst, der wird Dich nun holen und alle bösen Geister werden zu Dir kommen und bei Dir wohnen“. Martin aber faltete seine Hände zum Gebete, blickte zum Himmel empor und empfahl seine Seele dem dreieinigen Gotte. Hierauf wurde er entblößt, und als sein Hemd nicht gleich lassen wollte, schrie der blutdürstige Kapuziner: „Zerreiß es nur, damit Du einmal fertig wirst!“ Der Verurtheilte empfing geduldig und ergeben den Todesstreich und sein Leichnam wurde sodann nach Urtheilsspruch auf einen brennenden Holzstoß geworfen und zu Asche verbrannt. So wiederhallte die grauenvolle Losung, welche in der Bartholomäusnacht vom Thurme von St. Germain l’Auxerrois ertönte, auch vom Thürmlein des Rathhauses von Sursee, und der arme du Voisin fiel mitten in der freien Schweiz als ein Opfer des nämlichen finsteren Geistes, der sein früheres Vaterland in ein Leichenfeld und in eine Wüste zu verwandeln drohte. – Der Hingerichtete, der ungefähr im sechszigsten Jahre den Märtyrertod erduldete, hinterließ eine tiefbetrübte Witwe, die gerade damals in den Wochen darniederlag, und sieben unerzogene Kinder! Die Seidenbänder, die er mit sich führte und die einen großen Theil seines Vermögens ausmachten, wurden zur Deckung der Kosten amtlich veräußert. Als der Rathsbote von Basel den Schultheißen Schauffelbühl bei seiner Rückkehr vom Richtplatze fragte, was für eine Antwort er seiner Obrigkeit zurückbringen solle, wies dieser auf den brennenden Scheiterhaufen hin und sagte: „Das ist die Antwort!“ Natürlich rief dieser Bescheid, sowie das ganze Verfahren in dieser Angelegenheit nicht nur in Basel, sondern auch in den übrigen Kantonen große Entrüstung wach, die auch auf Tagsatzungen gegen Luzern und die katholischen Kantone sich äußerte und endlich den Beschluß veranlaßte, daß kein Kriminalurtheil an einem Bürger eines anderen Kantones dürfe vollzogen werden, bevor die Obrigkeit des Heimathkantones über das Verbrechen in Kenntniß gesetzt worden sei!