Wer wieder und in immer neuen Formen hervortritt, muß einen tiefen Grund im Wesen des Menschen haben, der auch in ihren Zerrbildern noch wiederzuerkennen sein wird. So verhält es sich mit dem Einsiedlerleben und Mönchsthum. Wie ein edler Orangenbaum, wenn er eine Zeit lang von den äußern Einflüssen gesondert im Keller gestanden hat, nachher wenn er wieder dem Regen und Sonnenschein ausgesetzt wird, um so kräftiger Blüthen und dann Früchte treibt, so auch der Mensch: soll ein Jüngling, eine Jungfrau zu rechtem innern Leben erstarken, so bedürfen sie der Zurückgezogenheit, und namentlich das religiöse Leben verlangt, daß der Mensch eine Zeitlang mit seinem Gotte gleichsam allein sei, isoliert von den verwirrenden Einflüssen der Welt. Aber eine Verirrung ist es, wenn das, was zu einer heilsamen Zucht und geistlichen Diätetik gehört, zum Gesetz und Zweck des ganzen Lebens erhoben wird. Die Absonderung von der Welt für das ganze Leben, in welcher der Mensch ja wirken soll, ist etwas Verkehrtes, muß krankhafte Stimmungen und Bildungen erzeugen; doch würde das noch mehr der Fall sein, wenn nicht glücklicherweise die in Einsamkeit und durch Uebung erstarkte Kraft die willkürlich gesetzte Schranke meistens sprengte und in einer wenn auch aufgedrungenen, doch bedeutenden Wirksamkeit zuletzt Anwendung und Befriedigung fände. Für Ausbreitung der christlichen Religion und höherer Gesittung haben die Einsiedler und Mönche, oft wider Willen ans Licht gezogen, Großes gewirkt. Diese Betrachtungen müssen sich dem aufdringen, welcher das Leben und die Wirksamkeit des Paul von Theben, des Antonius und Bachomius unbefangen betrachtet; fast in gesteigertem Maße wiederholen sie sich, wenn wir auf die Lebensführung des Abts Hilarion hinschauen, welcher das Mönchs- und Klosterleben aus dessen Heimath, Aegypten, nach Palästina und Syrien verpflanzte. – Hilarion war, wohl 291, in dem Flecken Thabata, eine Meile südlich von Gaza, also an der südwestlichen Grenze von Palästina unweit des Mittelmeers von heidnischen Aeltern geboren, eine Rose aus Dornen aufblühend, wie sein Lebensbeschreiber Hieronymus sich ausdrückt. Er war früh zur Betreibung seiner Studien einem Grammatiker in Alexandrien, dem großen Sitze wissenschaftlicher und damals auch schon christlicher Bildung übergeben worden, wo er wahrscheinlich etwa 15 Jahre alt für das Christenthum gewonnen ward. Durch Sittenreinheit und feuriges Ringen nach christlicher Vollkommenheit, Lernbegierig, glänzende Anlagen und Beredtsamkeit zeichnete er sich hier aus und gewann allgemeine Liebe; Thierkämpfe, Theater, Schmäuse zogen ihn nicht an. Damals ward aber die Jugend zu Alexandrien eben von großer Bewunderung für den Einsiedler Antonius ergriffen, zu welchem viele Jünglinge in die Wüste hinausströmten, unter ihnen Hilarion. Er hielt sich mehrere Monate bei ihm auf, kehrte aber dann, gestört durch das Zusammenströmen so vieler Heilsbegieriger bei demselben, mit andern jungen Männern in sein Vaterland zurück, von Bewunderung für ihn durchglüht und entschlossen, seine Lebensweise nachzuahmen. Wie seine Vorbilder verschenkte er, da seine beiden Aeltern eben rasch nach einander verstorben waren, sein ihm durch Erbschaft zugefallenes Vermögen theils an seine Brüder, theils an die Armen und baute sich dann in der wilden, von Räubern, die er freilich nicht zu fürchten hatte, durchstreiften Wüste zwischen Gaza und Aegypten anfangs eine Zweighütte, dann eine Zelle, die so eng war, daß er darin nicht aufrecht stehen konnte, und die daher mehr einem Grabmal als einer menschlichen Wohnung glich, wo er fern von aller Gesellschaft, außer der Christi, ein sehr strenges, nur dem Gebet, der Lesung der heiligen Schrift und harter Arbeit geweihtes Leben führte. Diese Lebensart mußte ihm um so schwerer fallen, da sein zarter Körper den Einflüssen von Frost und Hitze sehr zugänglich war, um so auffallender erscheinen, als seine glatten Wangen und das Feuer in seinen Augen ihm ein sehr jugendliches Ansehen gaben.
Da aber auch ihm, wie den meisten Einsiedlern, die Angriffe böser Geister in der Gestalt sinnlicher Reizungen in die Wüste gefolgt waren, so suchte er dieselben durch anhaltendes Gebet und dadurch zu überwinden, daß er seinem Körper „dem Esel“, wie er sich ausdrückte „nicht mehr Gerste, sondern Spreu vorwarf,“ d. h. ihn durch Hunger und Durst und Abhärtung aller Art zu unterjochen suchte. Dabei arbeitete er schwer, zog den Pflug, und flocht zur Abwechselung, wie die ägyptischen Mönche, Binsenkörbe, wodurch er seinen Unterhalt gewann. Bei dieser Lebensweise ward sein Körper so abgemagert, daß die Haut fast über den Knochen hing. Nichts desto weniger blieb seine erregte Phantasie den Angriffen vielfacher Teufelsgaukeleien ausgelegt, bis dieselben zuletzt seinem unausgesetzten Gebete wichen, wobei er, mit der Bibel sehr vertraut, oft Psalmen und Sprüche der Heiligen Schrift auswendig hersagte. Auch selbst bei den heftigsten Krankheiten, die ihn befielen, blieb er seiner Fastendiät getreu, welche er zwar nach den verschiedenen Lebensaltern etwas änderte, immer aber auf das Nothdürftigste beschränkte; namentlich genoß er nie etwas vor Sonnenuntergang, was als das volle Fasten betrachtet ward.
Daß ein solcher Mann in den Ruf der Wunderthätigkeit kam, und daß immer mehrere Bewunderer zu ihm in die Wüste hinausströmten, versteht sich in der Zeit seines Auftretens fast von selbst Zuerst soll er für eine seit 15 Jahren unfruchtbare Ehefrau ein Kind erbetet, dann viele andere Wunderdinge gethan haben, von denen Hieronymus Abenteuerliches erzählt. Viele widmeten sich durch ihn veranlaßt und neben ihm dem Mönchsstande, wodurch er der Stifter desselben in Vorderasien ward. Als er 63 Jahre alt war, wurde ihm die Unruhe von den Hülfesuchenden und Mönchen, welche sich um ihn gesammelt hatten, so lästig, daß er sich innig nach der alten Stille zurücksehnte; auch klagte er, daß durch die Bequemlichkeiten, welche ihm seine Mönche, vor Allem sein treuer Jünger Hesychius, bereiteten, seine Lebensweise ihren alten Charakter der Strenge verloren habe. Am bewundernswürdigsten findet dabei sein Lebensbeschreiber, daß ihn die Ehre gar nicht anzog, er ihr vielmehr demüthig auswich, wo er konnte. Mit Schwierigkeit riß er sich in seinem 65. Lebensjahre von seinem bisherigen Aufenthaltsorte los und besuchte zunächst die Stelle, wo sein Vorbild, der h. Antonius eben gestorben war und freute sich an den Erinnerungen, die derselbe zurückgelassen.
Nun zog er sich wieder in die tiefste Einöde zurück und führte hier „sein Einsiedlerleben mit einer Strenge der Enthaltsamkeit und des Schweigens, als begönne er jetzt erst Christo recht zu dienen.“ Da aber auch hierher die Verehrung ihm folgte, zumal da er nach dreijähriger Dürre einen Regen herabgebetet, begab er sich nach Alexandrien, von wo er zugleich einer Verfolgung unter Kaiser Julian ausweichend – die westliche Oase zur Wohnstätte wählte, von wo er, um doch irgendwo verborgen zu bleiben nach Sicilien, dann nach Dalmatien ging. Da ihm das aber auch in diesem barbarischen Lande nicht gelang, das er von einem gefährlichen Drachen befreite und wo er eine furchtbare Sturmfluth beruhigte, da die Wunder, die durch ihn geschahen, überall die Aufmerksamkeit auf ihn hinlenkten, die Dämonen seinen Namen verriethen, mußte er immer wieder weiter wandern. Er fand seine letzte Ruhestätte auf der Insel Cypern, wo er mit dem berühmten Bischof Epiphanius zu Salamis (starb 403 hochbetagt) durch Freundschaft verbunden war. Hier gelang es ihm eine Zeitlang sich an einem sehr rauhen und steilen Orte einigermaßen dem Zudrange der Menge zu entziehen. Er starb am 21. October 371 gerade 80 Jahre alt seinem Freunde Hesychius alle seine Schätze hinterlassend d. i. sein von ihm selbst geschriebenes Evangelienbuch und seinen groben Mantel, während er im Untergewande höchst einfach begraben ward. Aus seinem Grabe auf Cypern entführte derselbe seinen Leichnam nach dem von ihm gegründeten Kloster in Palästina, wohin, wie zu seinem ursprünglichen Grabe, bald zahlreiche Schaaren wallfahrteten, wo Kranke, Gebrechliche, Dämonische Heilung fanden. Die Cyprier behaupteten seinen Geist behalten zu haben, wenn die Palästinenser auch seinen Leib besäßen.
Hilarion wird mit Pachomius, Paphnutius u. A. unter die Altväter der Mönche gerechnet und vielleicht hat keiner für die Ausbreitung des Mönchthums mehr gewirkt als er, um den früh ein Sagenkreis sich bildete, dem wir bei seinem jüngern Zeitgenossen Hieronymus (geboren um 340) bereits begegnen. Seine angeblichen Wunder haben oft etwas Magisches, So soll er Teufel vom Vieh ausgetrieben, die Gegenwart von Dämonen am Geruch erkannt haben, u. dgl. m. Er selbst hat wohl dem Aberglauben nicht so Vorschub geleistet, wie man nach manchen erzählten Zügen meinen könnte. Wenigstens zeigte er sich, wenn er in Ueberschätzung des ascetischen Lebens die Vorurtheile seiner Zeit hegte, in andrer Hinsicht darüber erhaben: sein Lebensbeschreiber erzählt uns z. B., daß er nur einmal in seinem Leben die heiligen Stätten, welche jedem Christen so theuer sein müssen, besucht habe, obwohl er lange in deren Nachbarschaft wohnte, weil er nämlich die übertriebene Verehrung derselben nicht steigern helfen, auf der andern Seite aber auch nicht den Schein erregen wollte, als wenn er sie verachte. Ortsveränderung, sagt sein Zeitgenosse, der geistvolle Gregor von Nysia, bringe Gotte nicht näher, und führt als Beweis dafür das Sittenverderben an, welches eben in der Nähe der heiligen Oerter herrschte. Möge in dieser Hinsicht die Kirche des Herrn immer mehr den richtigen Weg finden: äußere Uebung und Anregung nicht geringschätzen, aber ihnen auch nicht mehr Werth beilegen, wie ihnen als Mitteln zukommt, ihnen nie Werth an sich, insbesondre nicht Verdienstlichkeit zuschreiben!
L. Pelt