Thomas Cranmer war geboren 1489 zu Aslacton in der Grafschaft Northhampton. In seinem besten Mannesalter glänzte er als Professor zu Cambridge, und hatte grosse Lust, noch mehr zu werden. Es war die Zeit, als Luther’s Worte auch nach England herüberhallten, und Heinrich VIII. gern von seiner Gemahlin los wollte, um die schöne Anna Boleyn zu heirathen. Des Königs Hofleute sprachen darüber, wie man ihm anständiger Weise helfen könne, und da äusserte Cranmer in einem Gespräch mit Gardiner und dem Hofkaplan, man müsse die Sache bloss nach der Schrift entscheiden und brauche kein Urtheil vom Pabste. Als der König das hörte, rief er voll Jubel: „Bei der Mutter Gottes! der Mann hat die Sau beim rechten Ohr!“ und machte ihn zu seinem Hofgeistlichen. Cranmer wurde jetzt der Publizist und Agent für die königliche Ehescheidung und musste nach Deutschland, um den Kaiser dafür zu gewinnen. Hier wurde er nun in die Grundsätze und Praxis der Reformation eingeweiht, heirathete auch flugs des Nürnberger Pfarrers Osiander Nichte, jedoch heimlich, weil er ein vorsichtiger Mann war.
Nach seiner Rückkehr erhob ihn der König zum Erzbischof von Canterbury. Die Beiden waren jetzt einig, was schlimmsten Falls folgen sollte. Cranmer leistete an den Pabst den Eid in dem Sinne, dass .er nicht mit dem göttlichen Gesetze, dem Königsrecht, und den Landesgesetzen im Widerspruch stehe. Als Primas von England sprach er des Königs Ehescheidung aus. Aber von Rom drohte der Bannstrahl! Sofort stürzte sich Cranmer kopfüber in die Reformation, schickte jedoch seine Frau nach Deutschland zurück, denn mit dem König war nicht zu spassen. Dieser erklärte sich selbst zum Oberhaupte der Religion und machte sie den Unterthanen nach seiner Willkühr. Pabstthum, Klöster, Gnadenbilder schaffte er ab, aber seine Blutartikel geboten katholisches Abendmahl, Messe, Ohrenbeichte und Cölibat. Die Köpfe der Katholiken und Lutherischen, welche anders dachten, flogen vom Rumpfe, wie die Köpfe der königlichen Frauen, die ihrem Inhaber nicht mehr gefielen. Es ist entsetzlich, wie ein Mensch so wüthen konnte, noch entsetzlicher, dass er in England in und ausser dem Parlamente so viel Feiglinge und Schurken fand, die ihm halfen. Cranmer war einer der Obersten.
Als der Wütherich gestorben, war sein Nachfolger ein schwächliches Kind. Cranmer und sein Freund, der Herzog von Somerset, wurden die Häupter des Regentschaftsrathes. Jetzt hatte der Primas Zeit und Raum, die Reformation bedachtsam und nach seinem Geschmack durchzuführen. Cranmer schrieb ein Predigtbuch, und unter seiner Leitung wurde die Bibel in’s Englische übersetzt, ein Katechismus dem lutherischen nachgebildet, eine allgemeine Liturgie in der Volkssprache verfasst, endlich wurden die 39 Religionsartikel festgestellt. Somit erhielt das Volk die Bibel und den Kelch bei dem Abendmahl und in der Kirche die Volkssprache, der König bekam den Supremat, der Adel die reichen Klostergüter, die Priester die Ehe, die Bischöfe aber behielten mit dem Dogma der apostolischen Bischofsfolge die Hierarchie. So richtete Cranmer die anglikanische Kirche ein. Den Widerstand schlug er nieder, und verfolgte mit grimmiger Wuth die armen Wiedertäufer, die in ihrer Logik doch nur etwas weiter gingen. Denn, sagten sie, wenn der Gerechte nur seines Glaubens leben soll, so muss man doch erst mündig sein, um selbst zu bestimmen, ob man Glauben und Taufe haben will.
Worauf Cranmer nicht mehr gerechnet hatte, geschah. Die katholische Maria kam auf den Thron und er in’s Gefängniss. Um sein Leben zu retten, schwor der Erzbischof der englischen Reformation alles Wesentliche ihres Glaubens ab. Nun sollte er auch öffentlich Reue und Leid bekennen, erfuhr aber, dass er dennoch sterben müsse. Da widerrief er seinen Widerruf und starb gefassten Muthes auf dem Scheiterhaufen im Jahre 1556, nahe siebzig Jahre alt. Als er sich dem Holzstoss näherte, streckte er wohlbedacht die Hand, welche den Widerruf unterzeichnete, in’s Feuer und sprach: „die unwürdige Hand!“
Historische und biographische Erläuterungen zu Wilhelm von Kaulbach's Zeitalter der Reformation von Franz Löher Stuttgart Verlag von Friedrich Bruckmann 1863