Johannes Brenz

Johannes Brenz

Johann Brenz, der ehrwürdige Zeuge der evangelischen Wahrheit im Reformationszeitalter, war den 24. Juni 1499 geboren zu Weil, einer Reichsstadt in Schwaben, jetzt württembergischen Landstadt am südöstlichen Fuß des Schwarzwalds. Sein Vater, Schultheiß der Stadt, und seine Mutter, eine geborne Hennig, waren, wie Brenz noch in seinem Testament rühmt, auf die sorgfältigste, namentlich religiöse Erziehung ihrer Kinder bedacht; mußten aber ihre eigene Treue gegen das evangelische Bekenntniß, für das sie durch ihren Sohn später gewonnen wurden, noch nach ihrem Tode büßen, indem ihnen das Begräbniß auf dem Kirchhof verweigert und sie außerhalb der Stadt in ungeweihter Erde begraben wurden.

Nachdem er den niedern Schulunterricht in Vaihingen und Heidelberg genossen, bezog er 1512 die letztgenannte hohe Schule, wo ihn ein Kreis von wißbegierigen Jünglingen aufnahm, die wie Melanchthon, Oekolampadius, Bucer, Lachmann, Schnepf, ein Jahrzehend nachher sich mit ihm in das große Werk der Kirchenverbesserung theilten. Als Luther im Jahre 1518, nachdem die 95 Sätze bereits ganz Deutschland durchlaufen hatten, nach Heidelberg kam, freute er sich von diesen Studirenden die Hoffnung aussprechen zu können, sie würden einst, im Gegensatz gegen die in Vorurtheilen gefangenen Alten, die Träger der wahren Gotteslehre werden. In Heidelberg trat Brenz mit Beifall als Lehrer und Prediger auf, obwohl ihn die Anhänger der alten Lehre bald verdächtigten. Er folgte daher gern 1522 dem Rufe als Prediger nach Schwäbisch-Hall, wo er sich, kaum 23 Jahre alt, schon bei seiner Probepredigt durch den würdevollen Anstand und den gediegenen Inhalt seines Vortrages empfahl. Ebenso mild, als entschieden trat er den Misbräuchen der alten Kirche in Lehre und Gottesdienst entgegen und richtete das Kirchen- und Schulwesen auf evangelische Weise ein. Hinsichtlich der Heiligen lehrte er: man dürfe an ihnen nicht suchen was sie selbst nicht begehrt, dürfe sie, die in eingeleibter Einigkeit Gottes seien, nicht wider Gott richten und ein zerspalten Gebet machen.

Als die Bauern 1525 sich empörten, hielt ihnen Brenz entgegen, wie das Evangelium lehre, daß man dem Uebel nicht widerstreben, sondern der Obrigkeit gehorchen soll; ihr Fürnehmen sei kein recht Mittel, evangelische Liebe und Brüderschaft zu erobern. Sie sollten Gott fleißig mit Bitten anliegen und auch die Obrigkeit bitten, wo sie überlegt seien, daß sie es ihnen gütlich nachlasse rc. Der Stadt rieth er, sie solle sich aufs Schärfste wehren, denn wenn sie den Bauern willfahre, würden sie nur mehr haben wollen. Als seine gedoppelte Aufgabe sah er es an, wie dem Volk, so den Fürsten zum rechten Verständniß des Worts Gottes zu verhelfen, daß sie das Volk nach Gottes Willen regieren. Gleich Luther wandte er sein Augenmerk vornehmlich der christlichen Erziehung der Jugend zu; er verfaßte noch ein Jahr vor Luther den ersten evangelischen Katechismus, „Fragstücke des christlichen Glaubens für die Jugend zu Schw.-Hall“ 1528. Vom Jahre 1525 an sah er sich in den Abendmahlsstreit hineingezogen, in welchem er den Schweizern gegenüber entschieden die von Luther geltend gemachte Ansicht von der wirklichen Gegenwart Christi im Abendmahl behauptete und aus der Schrift und den Kirchenlehrern begründete. Beim Gespräch zu Marburg 1529 sah er Luther wieder und lernte den vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg kennen. Nicht bloß in Hall führte er eine treffliche Kirchenordnung ein; sein Rath wurde bald weithin eingeholt, so von den Edelleuten im Kraichgau, im Hohenloheschen, am untern Neckar, in den schwäbischen Reichsstädten, in Franken, besonders in Nürnberg und Anspach. Markgraf Georg von Brandenburg nahm ihn 1530 auf den Reichstag nach Augsburg mit, wo Brenz in den zu den Vergleichsverhandlungen niedergesetzten Ausschuß gewählt wurde. Nach seiner Rückkehr verehelichte er sich mit Margaretha Gräter, einer ehrsamen Wittwe, die ihm sechs Kinder gebar, von denen ihn drei überlebten. 1536-37 reformirte er auf Ansuchen des wieder in sein Fürstenthum eingesetzten Herzogs Ulrich die Universität Tübingen. Den verschiedenen Religionsgesprächen der Protestanten zu Schmalkalden, Worms u. s. w. wohnte Brenz thätig an.

Da brach 1546, kurz nach Luthers Tod, der verderbliche schmalkaldische Krieg aus. Die Kaiserlichen zogen Anfangs 1547 in Hall ein; kaum konnte Brenz, auf den sie fahndeten, seine wichtigsten Papiere und seine Familie flüchten. Besonders gefährlich für Brenz war es, daß Briefe, in welchen er, der so lang gegen den Widerstand und für den Frieden mit dem Kaiser geeifert, nun behauptete: die Vertheidigung der angegriffenen Protestanten sei nicht ungerecht, und keine Verletzung des christlichen Gehorsams, aufgefunden und dem Kaiser überbracht wurden. Brenz mußte vom Thomastag an die kalten Wintertage in den Wäldern zubringen, bis er nach Abzug der kaiserlichen Truppen in seine ausgeplünderte Wohnung zurückkehren konnte. Nicht lang dauerte seine Ruhe. Das Interim, welches vom Kaiser als ein Mittel der Vereinigung der Katholiken und Protestanten in Lehre und Gottesdienst gewaltsam eingeführt wurde, konnte Brenz unmöglich billigen. Man könne unmöglich, sagte er, zweien unter sich uneinigen Herren dienen. Man irre, wenn man glaube, die Interimisten werden die evangelische Lehre gelten lassen, wenn man nur ihre Ceremonien annehme. Sie verlangen ja, daß man den Primat des Papsts anerkenne, während die h. Schrift Nichts für einen Vorzug des Petrus und seiner Nachfolger beweise. Auch gegen die Erzählung der einzelnen Sünden bei der Beichte, gegen die Messe und die Verwandlung im Abendmahl, gegen die Fürbitte für die im Fegfeuer u. A. erklärte er sich aufs Kräftigste. Seine entschiedene Verwerfung des Interim zog ihm neuen Haß und den Befehl Granvella’s zu, Brenz lebendig oder todt in seine Hände zu liefern. Dießmal fand er eine Zufluchtstätte zuerst im Württembergischen, auf der Burg Hohenwittlingen bei Urach, und als er hier nicht mehr sicher war, in Basel. Von hier aus schrieb er Calvin über den trostlosen Zustand in Deutschland, und erhielt von diesem ein schönes Trost- und Vermahnungsschreiben mit der Versicherung, wie er seiner unablässig in seinem Gebet gedenke. In Basel, wo er den damaligen Statthalter von Mömpelgard, Herzog Christoph von Württemberg kennen lernte, erhielt er die Nachricht vom Tod seiner Gattin. Die verwaiste Lage seiner Kinder ließ ihm keine Ruhe mehr; er eilte nach Stuttgart. Indessen hörte Herzog Ulrich von neuen Verfolgungsplänen und forderte ihn auf, sich zu retten, wie es ihm am besten dünke, ohne ihm jedoch seinen Zufluchtsort zu nennen. Da ging Brenz, nach einer unter dem Volk gehenden Sage, mit einem Laib Brot unter dem Arm in ein im oberen Theil der Stadt gelegenes Haus und verbarg sich hier zwischen einem Holzstoß und dem Dach. Vierzehn Tage lang wurden die Häuser seinetwegen durchsucht. Während dieser ganzen Zeit kam jeden Mittag eine Henne die Treppe hinauf und legte in seiner Nähe ein Ei, mit dem er sein Leben fristete, bis die Spanier abzogen und er seinen Schlupfwinkel verlassen konnte. Zunächst wohnte er nun in Hornberg auf dem Schwarzwald, unter dem Namen eines Vogts. Als er einst einen benachbarten Pfarrer erinnerte, nicht so lang zu predigen, erwiederte dieser: euch Vögten wird die Zeit in der Kirche gleich zu lang! Doch meinten Manche, einen solchen Vogt habe man noch nicht gesehen, da er nicht fluche und trinke, wie die andern; und als jener Pfarrer krank wurde und Brenz ihn aus Gottes Wort und seinen eigenen Predigten tröstete, da rief der Pfarrer endlich aus: O Herr, ihr seid fürwahr kein Vogt, mögt ihr auch sein wer ihr wollt!

1550 trat er in die zweite Ehe mit Katharina, der Tochter seines Freundes Isenmann, von der er auch 10 Kinder erhielt. Kaum hatte in demselben Jahr Herzog Christoph die Regierung angetreten, so berief er Brenz in seine Nähe, erst auf das Schloß Ehningen, bald als Propst nach Stuttgart. Hier war es nicht bloß das Predigtamt, das ihn in Anspruch nahm; er war der treue Rathgeber des Herzogs in allen kirchlichen Angelegenheiten. Vor allem arbeitete er das württembergische Glaubensbekenntnis; aus, das Christoph 1552 der Kirchenversammlung zu Trient vorlegte und später durch Brenz selbst dort vertheidigen lassen wollte. Allein trotz aller Höflichkeit, die Brenz erwiesen ward, wurde er nicht öffentlich vorgelassen, da es „den versammelten Vätern nicht gebühre, von denen Unterricht anzunehmen, die ihnen Gehorsam schuldig seien.“ Auch die wüttembergische Kirchenordnung von 1559, das Vorbild der chursächsischen von 1580 und so vieler andrer, ist wesentlich sein Werk. Seit Luthers Tod galt er nebst Melanchthon für das Haupt der deutschen evangelischen Kirche, und so ward er häufig berufen, um die vielfachen Lehrstreitigkeiten, besonders über die Abendmahls- und Rechtfertigungslehre, zu entscheiden. Daß er in den verschiedenen Zweigen seines Berufs auch traurige Erfahrungen zu machen, vielfachen Undank zu ernten hatte, kann nicht auffallen. Als einst ein fremder Prediger nach Stuttgart kam und Brenz predigen hörte, fand er die Kirche zu seinem Erstaunen leer, und theilte ihm nach dem Gottesdienst sein Befremden mit. Brenz führte ihn im Nachhausegehen an einen Brunnen und fragte seinen Begleiter: welches die schönste Tugend dieses Brunnens sei? und da dieser sie nicht anzugeben vermochte, erwiederte er: daß er stets Wasser gebe, es mögen Viele oder Wenige aus ihm schöpfen. Also müsse es der Prediger des göttlichen Wortes auch machen. In seinen letzten Jahren sehen wir ihn besonders thätig bei den Religionsverhandlungen in Frankreich, die Anfangs hoffen ließen, die evangelische Lehre werde Eingang im großen Nachbarreich erhalten. Allein bald sah Herzog Christoph, den der König von Navarra zum Vermittler angerufen, ein, daß er von den französischen Machthabern betrogen und die Sache des Evangeliums in Frankreich aufs Schnödeste preisgegeben sei.

Der Tod seines geliebten Landesherrn, 28. December 1568, mahnte den greisen Reformator an sein eignes nahes Ende. Schon 1566 hatte er beim Ausbruch der Pest sein Testament gemacht, in welchem er seine feste Ueberzeugung von dem göttlichen Inhalt der Bücher A. und N. T. ausgesprochen und der Lehre der Kirche nur soweit Werth beigelegt hatte, als sie mit jenen in Einklang stehe. Er dankte der göttlichen Gnade, daß sie durch Luther das rechte Licht wieder hatte hervorbrechen lassen. Insbesondere dankte er dem fürstlichen Hause Württemberg, das sich seiner in seinem Elend angenommen und bis an sein Lebensende ihn und seine Familie mit zahllosen Gutthaten bedacht habe, wofür Gott dasselbe in seinen Schutz nehmen und in rechter christlicher Erkenntniß erhalten wolle. Gegen das Ende des Jahres 1569 rührte ihn unter der Arbeit der Schlag. Zwar erholte er sich wieder etwas, aber im August 1570 kam ein heftiger Fieberanfall. Am 31. August genoß er mit seiner Familie und seinen Stuttgarter Amtsbrüdern das heilige Abendmahl, ermahnte diese zu christlicher Beständigkeit und Einigkeit, gedachte besonders des Abschieds des Ap. Paulus von den Ephesern und schloß mit den Worten des Ps. 133. Unter inbrünstigem Gebet zum Herrn entschlief er Montag den 11. September und ward am 12. in der Stifts-Kirche in der Nähe der Canzel beigesetzt. Diesen Ort hatte er kurz vor seinem Tod gewählt, damit, wenn etwa nach der Zeit jemand von dieser Canzel eine andre Lehre verkündigen wollte, er sein Haupt aus dem Grab erheben und ihm zurufen könnte: du lügst!

Brenzs Schriften wurden allenthalben geschätzt, theilweise selbst in fremde Sprachen übersetzt. Luther schätzte sie so hoch, daß er Brenz das Zeugniß giebt: keiner unter den Theologen habe die heilige Schrift so trefflich erklärt, als Brentius, also daß er sich oft verwundert über seinen Geist und an seinem eignen Vermögen verzweifle. Mit Beziehung auf den vierfachen Geist des Elias (1 Kön. 19.) hatte Luther geäußert, ihm sei der Sturmwind zu Theil geworden, der Berge zerreiße und Felsen zerschmettre, während Brenzs Geist dem sanften Säuseln der Luft gleiche. Zwanzig Jahre nach seinem Tod schloß der katholische Pfarrer zu Oettingen dem Diakonus Wolfart von Cannstatt, als von den Reichthümern der Mönche die Rede war, eine große Kiste auf und zeigte ihm die Werke von Brenz mit den Worten: das sind meine Schätze, die ich höher schätze, als alles Gold!

I. Hartmann in Tuttlingen.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874