Als es dem Herrn gefiel, seine Kirche im sechszehnten Jahrhundert aus den ertödtenden Banden, mit welchen man sie vermeintlich zu ihrer Zierde und Stütze umwunden hatte, zu lösen, und zu neuem Leben aufzurichten, da offenbarte er sich auch als den, der in den Himmel erhöhet ist (nach Eph. 4, 11) um den Menschen Gaben zu geben. Er erweckte sich aus allerlei Volke Diener und rüstete sie aus als Propheten, Hirten, Lehrer, durch seines Geistes Gaben, nicht durch Menschen-Klügelei und Einbildung dazu berufen, die Gemeinde, welche Er sich mit seinem Blute erworben hat, zu erbauen. So wurden in der Stadt, von welcher die Reformation der deutschen Kirche ausgehen sollte, aus der Mitte, dem Süden und dem Norden Deutschlands drei Männer zusammengeführt, der Eine begabt als Prophet, der Andere als Lehrer, der dritte als Hirt; Luther aus Sachsen, Melanthon aus Schwaben, Bugenhagen aus Pommern. Kommt der Letztere auch den beiden Ersteren an Geistes-Fülle und Tiefe nicht gleich, so ist er dennoch vor Anderen ihnen zur Seite zu stellen wegen der Eigenthümlichkeit der ihm gewordenen Gabe und Sendung, durch welche er ihr Wirken ergänzen und fördern sollte. Steht Luther einzig da als Prophet in der Kirche der Reformation, dem es gegeben ist mit ursprünglicher innerlicher Geisteskraft die göttlichen Heilsgedanken, von denen das neue Leben ausströmt, zu erfassen, und sie zu verkündigen mit der Gewalt des nach allen Seiten hin leuchtenden und zündenden Worts, deren die Herzen sich nicht erwehren können; ist es Melanthon dem Lehrer (als solchen hat ihn ja die deutsche Christenheit seiner und der folgenden Zeit vorzugsweise geehrt) verliehen die evangelische Heilswahrheit mit wissenschaftlicher Schärfe und Vollständigkeit und mit umfassender Gelehrsamkeit darzulegen und zu rechtfertigen und so die Erkenntniß derselben zu vermitteln und fester zu begründen; so ist dagegen Bugenhagen vorzugsweise der Hirt, der Pastor in der Kirche der Reformation. Er ist nicht nur der erste Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Wittenberg und hat als solcher ein Vorbild gegeben, wie im Geiste der evangelischen Lehre ein Hirt seine Heerde zu weiden habe und ist deshalb von Luther und Melanthon und dem ganzen Kreise der dort vereinten Männer als ihr „Herr Pfarrherr“ hochgeehrt worden; er war auch berufen, an vielen andern Orten Deutschlands und außerhalb Deutschlands in weiterem Umfange das Hirtenamt an evangelischen Gemeinden auszurichten. Jene einfache und tiefe Weisheit, welche auch das Geringste dem Höchsten dienstbar macht, um den höchsten Gütern und Gedanken ihre zeitliche Wirksamkeit zu sichern, große Menschenkenntniß, Lebenserfahrung und Gewandheit mit Hohen und Niedern umzugehen, umsichtige Liebe, die auch die kleinsten Bedürfnisse und Hülfsmittel nicht unbeachtet läßt, das Alles machte ihn vornemlich geschickt, die kirchlichen Ordnungen auszubilden und einzuführen, welche dienten die evangelischen Gemeinden zusammenzufassen, ihnen rechte Pflege und Leitung zu sichern und den Segen des evangelischen Lichts und Heils nachkommenden Geschlechtern zu erhalten. So lebt Bugenhagen zwar weniger in Schriften fort, aus denen jetzt noch die Gelehrten schöpfen und das Volk sich erbaut, wohl aber in den Ordnungen des kirchlichen Lebens, welche seine Zeit überdauert haben, aus deren Früchten noch jetzt ein gutes Theil evangelischer Gemeinden Segen empfängt und noch mehr empfangen würde, wenn sie immer mit derselben Weisheit und Treue gepflegt und fortgebildet worden wären, mit welcher sie von ihm und denen, die seinem Rathe folgten, gepflanzt worden sind.
Johann Bugenhagen (gewöhnlicher noch zu seiner Zeit nach seinem Vaterlande Dr. Pommer genannt) war am 24. Juni 1485 zu Wollin geboren, wo sein Vater Rathsherr war. Nachdem er die erste Bildung in der Schule seiner Vaterstadt und vielleicht zu Stettin empfangen, studirte er vom Jahre 1502 an in Greifswald. Hier war er wahrscheinlich ein Zuhörer des berühmten Philologen und Kämpfers gegen die Mönchs-Barbarei, Hermann Busch. Gewiß ist es, daß er eine gründliche Bildung in classischen Sprachen von da mitgenommen, wie er denn auch später von Melanthon als „Grammatikus“ besonders anerkannt wird. Durch solche Studien hatte er sich das Rüstzeug zu seinem späteren Dienst am Evangelium bereitet. Schon in seinem zwanzigsten Lebensjahre ward er von dem Abte des Klosters Velbuck als Rektor an der Schule zu Treptow an der Rega angestellt. Diese ward unter seiner Leitung, namentlich wegen des guten Unterrichts im Lateinischen so berühmt, daß sie weither von jungen Leuten aus Lievland und Westphalen besucht wurde. Der große Ruf von Bugenhagens Gelehrsamkeit und Tüchtigkeit bewog auch Herzog Bogislav X., demselben die Ausarbeitung einer Pommerschen Geschichte aufzutragen und die nöthigen Mittel dazu zur Verfügung zu stellen; so entstand seine noch erhaltene Pomerania. Vornemlich ließ B. sich angelegen sein, hier Liebe zur h. Schrift und Verständniß derselben zu verbreiten. Er hielt Vorträge über Bücher des A. u. N. T. nicht nur für seine Schüler, sondern auch für die Priester und Mönche im Kloster Velbuck, wo er Lector ward: denn der Abt Johann Boldewan, ein gelehrter Mann, „hielt wider gemeine Gewohnheit zu dieser Zeit seine Mönche zum Studium der h. Schrift und guten Künste an“; auch erhielt B. die Priesterweihe um predigen zu können.
Wohl ward B. unter solchen Arbeiten immer mehr von Erkenntniß der Schäden der Kirche und von Verlangen nach Besserung durchdrungen; allein den eigentlich entscheidenden Punkt, auf welchem das rechte Verständniß des Grundes derselben aufgehen und die Quelle zu ihrer Heilung sich öffnen mußte, hatte er noch nicht gefunden. Ueber den Unterschied gesetzlicher und evangelischer Frömmigkeit, über den Vorgang des innern Lebens, durch welchen die Seele allein ihre rechte Stellung zu Gott und der Welt erhält, über die Rechtfertigung allein durch den Glauben an Christum war ihm das helle Licht noch nicht gekommen. „Ich hatte“, so sagt er selbst, „die heilige Schrift lieb von Kindes Jugend auf, wiewohl ich unter „der antichristischen Finsterniß nicht wußte, wie ich der Schrift gebrauchen sollte, bis daß das liebe Evangelium so klar von Gottes „Gnaden wieder an den Tag kam.“ „Wir sind in des Pabsts „Lehre solche Grobianne gewest, daß wir es nicht haben gewußt, „dazu auch solche gottlose Menschen, daß wir es nicht haben wissen „wollen“. Inzwischen hatte Luther schon seine Stimme erhoben; sein Buch von der babylonischen Gefangenschaft kam im J. 1520 nach Treptow, mit ihm der zündende Funke, dessen dort grade die Gemüther bedurften. Als B. zuerst von dem Pfarrer Otto Slutow, dessen Tischgenosse er mit den andern Schul-Collegen war, die Schrift erhielt und flüchtig während der Mahlzeit durchblätterte, sagte er in der Eile: „Es seien zwar viele Ketzer seithero nach Christi Tode gewesen, aber kein schädlicherer Ketzer sei niemals entstanden als eben der dies Buch gemacht.“ Nach etlichen Tagen aber, als er das Buch zu Hause gelesen und wieder gelesen, wird er anderes Sinnes und da er mit seinen Tischgenossen wieder zusammenkommt, spricht er zu ihnen: „was soll ich euch wohl sagen; „die ganze Welt liegt in äußerster Blindheit, aber dieser Mann „allein stehet die Wahrheit!“ Indem er die Hauptstücke der Schrift mit seinen Freunden durchdisputirte, führte er auch sie, namentlich auch Christian Ketelhut und den Abt Boldewan selbst zu der gleichen Ueberzeugung, daß sie sich von den falschen Kirchen-Satzungen abwendeten und zu dem einigen seligmachenden Worte Gottes bekehrten.
Bugenhagen aber zog es nun nach dem Orte und zu dem Manne, von welchem ihm das Licht gekommen war, welches Frieden in sein Leben, Klarheit in sein Streben gebracht hatte. Dazu lud ihn sein Freund und Landsmann Peter Suaven, der schon längere Zeit in Wittenberg verweilte, dringend ein und versprach ihm von Luther das Beste. Im Jahre 1521, ehe Luther noch zum Reichstage nach Worms reis’te, war B. schon in Wittenberg. Durch die Reife des Urtheils und der Lebenserfahrung, welche in ihm mit Gelehrsamkeit und Frömmigkeit verbunden war, gewann er hier bald Ansehn und Vertrauen bei Luther und Melanthon. An des letzteren Seite wirkte er, während Luther zu Worms und dann auf der Wartburg war, durch seine Festigkeit und Ruhe zur Abwendung des Unheils und Erhaltung des Friedens in der Gemeinde, die Carlstadts und anderer Schwärmer Ungestüm zu zerrütten drohte. In der Abwehr der Schwarmgeisterei und eines neuen Gesetzeswesens, welche sich zugleich eindrängen wollten, bewährte hier B. die Tiefe und Klarheit, mit welcher er das Wesen evangelischen Glaubens schon erfaßt hatte. Obwohl er, wie er bezeugt, nicht in der Absicht zu lehren sondern nur zu hören nach Wittenberg gekommen war und darin seine Lust fand, so ward er doch ohne seine Absicht von dem Hüter Israels bald in das Lehramt hineingeführt. Mit einigen seiner Pommern hatte er auf seiner Stube den Psalter zu treiben angefangen. Andere wünschten daran Theil zu nehmen; ehe er bis zum sechszehnten Psalm gekommen war, hatte die Zahl der Zuhörer so zugenommen, daß das Zimmer sie nicht mehr faßte. Deshalb wurde er, insonderheit auch von Melanthon, aufgefordert, seine Vorträge öffentlich zu halten. Er begann daher aufs neue vor zahlreichen Zuhörern, die sich auch angelegen sein ließen, durch Ehrengeschenke seinen Unterhalt zu sichern. Oft kam selbst Melanthon in sein Auditorium, wie B. dies bescheiden deutete, Ehren halber, um zu sehen was er treibe und ihn und die Zuhörer durch seine Gegenwart in pflichtmäßigem Eifer zu erhalten. Die Frucht dieser Vorlesungen war die Erklärung der Psalmen, welche im J. 1524 erschien. Die erste evangelische Schrift eines Pommern, die Wahrheit Gottes zu bestätigen, wie der Pommersche Kirchen-Chronist bemerkt. Luther begrüßte dieselbe mit Dank gegen Gott, als ein Zeichen der geistlichen Segnungen und himmlischen Güter, mit welchen er jetzt die Seinen durch die Sendung seines Worts sättige und Eis, Reif und Nebel, bei denen vordem Niemand habe bestehen können, vertreibe. Dieser Pommer, sagt er, sei der Erste in der Welt, der ein Ausleger der Psalmen Davids dürfe genannt werden. Er selbst habe die Psalmen auslegen wollen, aber der Kampf mit der Papisten Tyrannei habe ihn genöthigt seine Harfe an die Weiden zu hängen; nun habe Christus sein Loos herrlich gerächt; statt des einzigen, dessen Tröpflein der Satan nicht habe dulden wollen, sei er nun gezwungen weit mehrere und größere Donnerschläge und Wasserfälle auszuhalten“.
Noch ehe diese Schrift erschien, war Bugenhagen als ordentlicher Lehrer an der Universität und im Jahre 1523, auf Antrag der Universität und Bürgerschaft, als Pfarrer zu Wittenberg angestellt. Zwar hatte er Bedenken, hier mit seiner Niedersächsischen Sprache als Prediger aufzutreten, allein die Liebe und das Vertrauen der Rufenden beseitigte dieselben. In diesen Aemtern, zu welchen später noch (seit 1536) das eines General-Superintendenten des Chur-Kreises kam, ist er bis an sein Ende, 36 Jahre hin durch geblieben und weder Gefahr und Noth, noch die anziehendsten Berufungen zu glänzenden kirchlichen Aemtern (nach Danzig, Hamburg, zum Bischof von Schleswig oder in Dänemark, endlich die für ihn besonders reizende zum Bischofe seines Vaterlandes Pommern) haben ihn seinem Wittenberg untreu zu machen vermocht. „Er wollte, wie Melanthon erzählt, dies ärmliche Nestlein nicht verlassen und äußerte oft, er fühle zwar, daß die Akademie ihre große Bürde habe, weil hier Beurtheilung und Entscheidung der wichtigsten Streitfragen gesucht werde und jeder frei seine Meinung sagen könne, auch wenn sie dem Andern nicht angenehm sei; dennoch ziehe er sie anderen glänzenderen Stellungen, in welchen er mehr Ruhe und weniger Widerspruch zu erwarten haben würde, vor, denn er halte diesen Beruf, der nur den Mühen und Gefahren des Dienstes am Evangelium geweiht sei, für göttlich und liebe überhaupt weniger die Alleinherrschaft, als eine billige Aristokratie, in welcher eine Vergleichung der Urtheile guter und gelehrter Männer Statt finden könne“. In diesem Kreise guter und gelehrter Männer hat er auch mit Rath und That an allen den wichtigsten Arbeiten für die Reformation Theil genommen; an der Kirchen-Visitation in Sachsen 1528; an den Vorbereitungen zur Augsburgischen Confession, an der Wittenberger Concordie 1536, an den Conventen zu Schmalkalden 1537 und 1540, an der Ausarbeitung der Reformations-Formel 1545. Vorzüglich lieb und werth war es ihm aber mit Melanthon und Cruziger jenem „Sanhedrin“ anzugehören, welchen Luther regelmäßig um sich versammelte, um die Revision seiner Bibelübersetzung zu berathen. Die Vollendung dieses Werks (1541) war ihm so wichtig, daß er jährlich (am 21. September) mit seinen Kindern und Freunden ein Fest zum Danke für diesen theuren seligen Schatz der verdeutschten Bibel in seinem Hause feierte. Ueberdies hat er durch seine Bemühungen um die Fassische Bibel auch dafür gesorgt, daß dieser Schatz lauter und rein auch den Niedersächsisch Redenden zugeeignet würde. Als Pfarrherr hat er seine Wittenberger Gemeinde mit rechter Hirtentreue wahrgenommen. Als im J. 1527 daselbst die Pest wüthete und die Universität deshalb verlegt wurde, blieb er mit Luther zurück und versorgte die Kranken und Sterbenden, und setzte sein Lehramt für die wenigen Studenten, welche nicht geflohen waren, fort. Luther, dessen Ehe er auch eingesegnet hat, stand er wahrend seines ganzen Lebens als Beichtvater besonders in den Zeiten seiner schweren Anfechtung mit Trost zur Seite. Unablässig trug er im Gebet seine Gemeinde auf dem Herzen und suchte ihr Bestes; so daß es ihm wohl einmal begegnete, daß er, im Gebete vertieft, die rechte Zeit zum Anfange der Predigt versäumte, und als er zur Kanzel gerufen worden war, der Gemeinde sein Ausbleiben damit erklärte, daß er über Stadt und Gemeinde, Universität und Kirche so viel mit Gott zu reden gehabt. Obgleich sein Wesen vom Eifer für sein Amt und von pfarrherrlicher Würde durchdrungen war, so war er doch übrigens, um die Worte des schon erwähnten Chronisten zu gebrauchen, „im gemeinen Wandel eines liberalischen, fröhlichen und fertigen Gemüths“, dem auch ein Scherz und treffendes Witzwort wohl anstand. Als die Herren von Lübeck, nachdem er die Kirchenvisitation daselbst vollbracht, ihn in verdecktem Wagen und unter Begleitung ehrenvoll nach Hause führen ließen, kam einem seiner Begleiter die Lust an, an Doctor Pommer zum Ritter zu werden; er sagte mit bescheidener Miene: „Herr Doctor ich hätte wohl eine Frage: pflog auch der h. Apostel Petrus wohl auf solchen behangenen Wagen mit Vorreutern einher zu fahren in seinem Apostelamt?“ Der Doctor erwiederte dem Schalk: „Mein Sohn laß dir sagen, wann der Apostel Petrus zu solchen frommen, gütigen Leuten kam, wie deine Herren von Lübeck sind, so ließen ihn dieselben auch dergestalt wieder gen Hause führen, wie jetzo deine Herren an mir thun: wann er aber bei böse Buben kam, wie du bist, so mußte er wohl zu Fuße wiederum nach Hause gehen.“
Obgleich er also das Band, welches ihn an die Universität und Gemeinde zu Wittenberg knüpfte, nie gelöst hat, so hinderte ihn dies doch nicht, auch anderen Städten und Ländern mit seinen Gaben zu dienen. Wo es galt, die ersten Triebe und Regungen des erwachten evangelischen Lebens in eine feste und klare Richtung zu leiten, sie in eine bestimmte der ewigen Wahrheit und dem zeitlichen Bedürfnisse entsprechende Verfassung zu bringen, die Jährenden und streitenden Elemente zu beruhigen und zu versöhnen, die unvereinbaren schonend auszuscheiden, da begehrte man vornemlich des Dr. Pommer Hülfe, da sandte man von Wittenberg aus am liebsten Ihn. Er befestigte dann durch seine Predigt die Erkenntniß des reinen evangelischen Glaubens, wehrte Irrlehren und Schwärmerei ab, sorgte für Bestellung geschickter Superintendenten und Pfarrer, für Einrichtung hoher und niederer Schulen, verhandelte mit Fürsten, Patronen, Rathsherrn, Alterleuten u. s. w. über die Ermittelung, Sicherung, Verwaltung des Kirchen-Vermögens, arbeitete die Kirchen-Ordnung, welche alle diese Einrichtungen „zum Dienste dem h. Evangelium, christlicher Liebe, Zucht, Friede und Einigkeit“ feststellte, aus. Diese seine Kirchenordnungen sind herrliche Zeugnisse nicht nur von Bugenhagens Geist und Gesinnung, sondern von dem Geist und Wesen der Reformation überhaupt. In diesen Anordnungen über Universitäten, Gymnasien, Knaben- und Mädchenschulen, über Taufe und Ehe, Gemeinde-Kasten, Versorgung der Armen und Kranken u. s. w., die überall aus evangelischen Grundsätzen abgeleitet und auf Pflege christlichen Lebens angelegt sind, da bewährt sich fürwahr das Evangelium, welches die Reformation den Völkern brachte, in aller Einfalt und Ungezwungenheit, als eine Kraft zur Erneuerung und Veredelung des Volkslebens in allen seinen Verhältnissen, als eine Quelle, aus welcher Licht und Segen über alle Alter und Stände kommen soll, durch welche nicht nur Geistliche und Patrone, sondern Hohe und Niedere, Obrigkeiten, Bürger, Wittwen, Hebammen Anregung und Beruf empfangen recht als ein geistliches Priesterthum zum Bau des Reichs Gottes in der kirchlichen Gemeinde mitzuwirken. –
In den Jahren 1528 bis 1544 war Bugenhagens Thätigkeit getheilt zwischen solchen Arbeiten zur Einführung und Befestigung der Reformation im Norden von Deutschland und seinem Berufe in Wittenberg. Hier pflegte ihn, wenn er abwesend war, Luther, „als Dr. Pommers Lückenbüßer und Unterpfarrer“ wie er sich scherzhaft nannte, im Predigen zu vertreten. Im J. 1528 wurde B. nach Braunschweig gerufen, wo die ev. K. O. im September eingeführt wurde; im Herbste desselben Jahres nach Hamburg, wo die K. O. im Frühling des J. 1529 zu Stande kam; 1530 nach Lübeck, wo es jedoch wiederholter Anstrengungen bedurfte, ehe das neu erwachte evangelische Leben zu festem und ruhigem Bestande gelangte. In Pommern hatte unter manchem Widerstand, namentlich des Bischofs Erasmus Manteuffel, der ein kluger Mann war, nur nicht klug genug, um sich in Gottes Gedanken zu schicken, das Licht des evangelischen Glaubens, welches zuerst in Bugenhagens Kreise zu Treptow aufgegangen, und dann durch regen Verkehr der Pommern mit Wittenberg genährt worden war, allmählig so viel Macht gewonnen, daß die Herzöge Philipp J. und Barnim IX. den Beschluß faßten, im J. 1534, den 13. Dezember auf einem Landtage zu Treptow an der Rega die Städte mit ihren Predigern, die Aebte und die vornehmsten Stände zu versammeln, um die Reformation der Pommerschen Kirche nach dem Vorbilde der Sächsischen zu Stande zu bringen. Bugenhagen kam auf ihre Einladung auch zum Landtage. Er arbeitete die Pommersche K. O. aus, und führte dieselbe mittels einer allgemeinen Kirchenvisitation (1535) in den Pommerschen Gemeinden, mit Ausnahme Stralsunds und einiger andern, ein. Im J. 1537 wurde er nach Dänemark gerufen, welches, obwohl die evangelische Lehre dort schon 1536 angenommen war, doch vorzugsweise Bugenhagen als seinen Reformator immer in hohen Ehren gehalten hat. Er verweilte hier, mit einiger Unterbrechung, fast fünf Jahre; neben der Einrichtung der neuen kirchlichen Ordnung beschäftigte ihn besonders die Wiederaufrichtung der Universität, an welcher er auch selbst lehrte und eine Zeit lang Rector war. Nach seiner Rückkehr aus Dänemark befestigte er noch das evangelische Kirchenwesen in den braunschweig’schen Landen durch eine allgemeine Kirchenvisitation 1542 und führte die Reformation in Hildesheim 1543 ein. Ueberdies sind noch an manchen anderen Orten, wo B. nicht persönlich wirkte, Kirchenordnungen nach den Grundsätzen der seinigen und mit seinem Rathe und Beistand eingeführt worden.
In den letzten zwölf Jahren seines Lebens war es Bugenhagen beschieden, seinem Herrn unter vielem Leiden zu dienen und das echte Gold seines evangelischen Glaubens im Feuer der Trübsal zu bewähren. Zuerst ward er durch den Tod Luthers schwer betroffen. Es war dies ein Verlust, der freilich bei allen seinen Mitarbeitern und in der ganzen evangelischen Christenheit großes Leid verursachte, von Niemand aber wohl schmerzlicher empfunden wurde, als von B. bei der innigen Gemeinschaft, welche sich zwischen Luther und ihm wie durch ihren Glauben, so vermöge der Eigentümlichkeit ihrer Charactere und Gaben gebildet hatte. Als D. Jonas über Luthers Ende nach Hofe berichtete, bat er den Churfürsten, derselbe möge geruhen, an Herrn Pomeranum einen Trostbrief zu schreiben, weil dem der Tod Luthers am Meisten zu Herzen gehen werde. „Ich soll jetzt und will gern, so hebt B. seine Leichenpredigt an, bei dem Begräbniß unseres herzlieben Vaters, D. Martini seligen, eine Predigt thun. Was aber oder wie soll ich reden, so ich vor Weinen nicht kann ein Wort machen.“ Er sucht sich und die Gemeinde dann zu trösten mit dem Gedanken: wenn auch die Person in Christo verschieden sei, so lebe doch die gewaltige, selige, göttliche Lehre des theuren Mannes noch aufs stärkste fort, denn er sei ohne Zweifel der Engel mit dem ewigen Evangelium, von dem Apocal. 14 geschrieben steht; sodann erinnert er, daß Luther nun erlangt habe, was er oft begehrt, und „sollte er jetzt wieder zu uns kommen, so würde er unsere Trauer und Zagen strafen mit den Worten Christi: „so ihr mich lieb hättet, so würdet ihr euch freuen, denn ich gehe zum Vater, und würdet mir gönnen die ewige Ruhe und Frieden.““ Nach dem Tode Luthers brach dann der Schmalkaldische Krieg aus. Johann Friedrich der „großmüthige“ Bekenner und Schützer des Evangeliums gerieth in des Kaisers Gefangenschaft, verlor seine Churwürde, sein Land wurde verwüstet, die Universität zerstreut, die Stadt Wittenberg gerieth in große Angst und Gefahr. Bugenhagen ward vielfach versucht, die Stadt zu verlassen; durch böse Briefe, in welchen angekündigt wurde, daß man die Stadt werde schleifen und Dr. Pommern zerhacken; dann wieder durch die Vorstellung, daß er der Kirche wohl besser dienen könne, wenn er sich eine Zeit lang entferne. Er wies dies aber zurück als eine Verlockung des Teufels, ein Aergerniß anzurichten, damit die Widersacher über die evangelischen Prediger schreien könnten: sie verlassen in der Noth ihre Kirchen. In der ganzen Zeit des Kriegs war er in der Angst vor Gott mit seinem Anrufen und konnte auch in der Nacht oft nicht aufhören zu beten, nie aber war es ihm besser, als wenn er predigte, zum Gebete ermahnte und mit der Gemeinde das h. Nachtmahl feierte; in solchem Gebete mit der Gemeinde ward er des Trostes der Gnade gewiß. Am Himmelfahrtstage 1547 ließ der gefangene Churfürst die Bürger von Wittenberg auffordern, die Stadt dem Kaiser zu übergeben; dieser selbst versprach, er wolle sie schützen und bei ihrer Religion wie bisher lassen. Es entstand Zweifel, was zu thun sei, ob man dem kaiserlichen Versprechen trauen dürfe. Die Bürger wandten sich an B. Dieser erklärte, daß er nicht rathen könne; er ließ aber durch Glockenläuten das Volk zur Kirche rufen und sprach: „Weil wir in dieser unserer Noth nicht wissen, was wir thun sollen, so haben wir allein das noch übrig, lieber himmlischer Vater, daß wir unsere Augen aufschlagen zu Dir. Alles, darauf sich Menschen verlassen, haben wir reichlich gehabt, wir sind aber dadurch verdorben, und daß wir gar keinen Trost in keiner Creatur oder Menschenwerk sollten haben, so hast du uns auch genommen unseren lieben Herrn und Churfürsten. So danken wir nun, lieber Vater, deiner Gnade, daß du uns mit dieser väterlichen Strafe dahin gedrungen hast, daß wir uns allein verlassen auf deine Barmherzigkeit in Christo Jesu, wie du von uns forderst im ersten Gebote. Da hast du nun was du von uns haben willst; halte nun mit Gnaden Haus gegen deine armen Kinder und sei mit deinem heiligen Geiste bei unserem Churfürsten und bei uns, daß du guten Rath gebest, damit wir errettet werden.“ Alles Volk, alt und jung fiel auf die Kniee und betete mit ihm. Da fühlte man im Geiste, daß Gott solches Gebet annehme; und etliche, auch gelehrte Leute, da sie aus der Kirche gingen, sprachen: nun kann unsre Sache nicht böse werden, denn wir haben es Gott allein gar in die Hände gegeben. Auf wiederholten Rath des Churfürsten übergab man die Stadt dem Kaiser und dieser hielt was er versprochen. Da das kaiserliche Kriegsvolk in der Stadt lag und Soldaten und Diener des Kaisers den Gottesdienst besuchten, so predigte Bugenhagen in dieser Zeit täglich über den Unterschied zwischen dem protestantischen und päpstischen Glauben, damit sie recht erfahren und treulich nachsagen möchten, was die Lehre der Evangelischen sei. Der Herzog Moritz, welcher die Churwürde erhielt, ehrte die Wittenberger wegen ihrer Tapferkeit und Treue, die sie gegen ihren alten Churfürsten bewiesen; er richtete die Universität wieder auf und erwies den Lehrern, namentlich Bugenhagen und Melanthon viele Güte.
Als aber die Kriegsnoth aufgehört hatte, mußte Bugenhagen, sowie Melanthon durch die Streitlust und Verläumdungssucht theologischer Eiferer Vieles leiden. Eine Parthei von Männern, welche ausschließlich als die Erben des echten lutherischen Geistes und als die Treuen in der evangelischen Kirche gelten wollten, Flacius, Amsdorf u. A. beschuldigten Bugenhagen, er sei undankbar gegen seinen alten Churfürsten und habe mit den anderen Wittenberger Theologen die Wahrheit verrathen durch das Interim. Was das Erstere betrifft, so antwortete B. kurz: „das leugst du, Teufel, Gott weiß es, daß du leugst; übrigens will ich mich halten nach Psalm 39 V. 2.“ Mit dem anderen aber verhielt es sich so: der Kaiser hatte einen neuen Religions-Vergleich zwischen Protestanten und Papisten aufsetzen lassen, nach welchem beide Theile bis zur Entscheidung des Allgemeinen Concils sich halten sollten, das Augsburger Interim; dies beeinträchtigte wesentlich den evangelischen Glauben und die Wittenberger Theologen wiesen es entschieden zurück. Churfürst Moriz forderte sie nun auf: damit der Kaiser ihnen nicht den Vorwurf machen könne, daß sie sich muthwillig und halsstarrig jedem Vergleich widersetzten, möchten sie doch die Punkte bezeichnen, in welchen man sich vergleichen könne. Hierauf kam es nun nach manchen Verhandlungen zu dem Beschlusse, daß in den Glaubens-Artikeln von der Rechtfertigung, Gnade, den Sakramenten u. s. w. keine Veränderung zulässig sei, daß aber in Cäremonien, Kleidung, Festen wohl dem Kaiser etwas nachgegeben werden könne, um zu zeigen, daß man nicht aus Eigensinn, sondern um des göttlichen Wortes und Gewissens willen bei dem, worin man nicht nachgebe, bleibe. Demzufolge war nun das sogenannte Leipziger Interim beim churfürstlichen Hofe aufgesetzt und herausgegeben worden, welches jedoch die Theologen nicht als ihr Werk anerkannten. Gegen dieses erhoben nun wohl viele, weil mehr als recht nachgegeben schien, Bedenken, Flacius aber und seine Freunde die leidenschaftlichsten Beschuldigungen. Das Interim wurde ohne daß es durchgeführt worden wäre durch den Passauer Vertrag beseitigt. Bugenhagen hatte weder seine Lehre noch die kirchlichen Gebräuche in Wittenberg je geändert; obwohl das Land einen anderen Herrn erhalten, so hielt er doch darauf, daß die Kirche dieselbe bleibe und wies deshalb oft auf den Spruch hin: Gebt Gott was Gottes und dem Kaiser was des Kaisers ist; nur die Chorröcke hatten die Wittenberger Theologen und Prediger auf churfürstlichen Befehl wieder angelegt; darüber erhob nun Flacius und sein Anhang Geschrei: wer den Chorrock anlege, nehme die ganze papistische Religion wieder an. Bugenhagen war in seinem Herzen betrübt darüber, daß die Kirche durch solchen Hader zerrissen werde, während es der Vereinigung gegen die gemeinsamen Feinde am Meisten bedürfe, ließ sich jedoch in dem Gange seiner Thätigkeit durch alle jene Anfeindungen nicht hindern, und tröstete sich oft mit seinem Lieblingsspruche: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen, des Streitens aber war er satt. Hatte er doch schon früher erklärt: „Verschone man doch den alten Mann und müden Bischof Christi, der schon ausgedient hat und nach der Entlassung und ewigen Ruhe sich sehnet.“ Er begnügte sich allen diesen Verläumdungen gegenüber, sich auf das Zeugniß seines Gewissens und auf seinen Wandel, wie er vor der Welt offenkundig sei, zu berufen, und ließ sich auf diese Kämpfe nicht weiter ein. –
Gegen das Ende seines Lebens ward er mit Krankheit und großer Entkräftung heimgesucht, so daß seine Gestalt kaum noch ein Schatten des sonst so rüstigen Dr. Pommer war. Als er nicht mehr predigen konnte ging er dennoch täglich zum Gotteshause und betete für seine wie für die allgemeine Kirche; als er auch dies aufgeben und das Bett hüten mußte, brachte er seine letzten Tage doch noch in ungestörter Geisteskraft, in freundlichen Gesprächen über das ewige Leben und über die Zukunft zu, vornemlich aber im Gebet. Aus seinem Danke für die Wohlthaten Gottes, die ihm in Christo widerfahren, leuchtete schon das Vorgefühl der ewigen „Freude auf; oft hielt er sich besonders den Spruch vor: das ist das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist und den du gesandt hast Jesum Christum erkennen. So entschlief er sanft, umgeben von seinen Amtsbrüdern, den 20. April 1558 um 12 Uhr Nachts. Seine Leiche ist in dem Chor der Kirche, deren Pfarrer er 35 Jahre gewesen, beigesetzt.
Vogt in Greifswald
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 186