Jacob Heerbrand wurde zu Giengen im Würtembergischen am 12. August 1521 geboren. Sein Vater, Andreas Heerbrand, war in den Wissenschaften, vorzüglich in der Arithmetik und im Lateinischen, sehr bewandert. Dazu trieb er die Musik so leidenschaftlich, dass er sich später mit dem bitteren Vorwurfe quälte, eine Kunst, die für Studirende nur zur Erholung bestimmt und ein Nebenwerk sei, als Hauptwerk behandelt zu haben. Endlich gab er alle drei Lieblingsstudien auf, um sich ganz der Theologie zu widmen, von der er jedoch nie einen kirchlich praktischen Gebrauch gemacht hat, obwohl er im Stande war, über die aufkommende lutherische Lehre auf Grund der Schrift mit Einsicht und Erfolg zu disputiren. Jacob Heerbrand genoss eine sorgfältige Erziehung, die auch bei der Begabung, Wissbegierde und Arbeitslust des Knaben erfreulich wirkte. Die Anfangsgründe der Grammatik lernte er in der Schule zu Giengen, und seit seinem zwölften Jahre las er die zu Lyon 1519 gedruckte Bibel. Die Kirche besuchte er von Kindheit auf regelmässig, und der Inhalt der gehörten Predigten wurde ihm zu Hause abgefragt. Von der Musik hielt ihn jedoch der Vater fern, damit nicht gleich ihm der Sohn von seinen Hauptstudien abgezogen würde. 1536 sandte er ihn auf das Gymnasium zu Ulm. Hier wurden sofort nach ihrem Erscheinen die Gespräche des Erasmus mit grossem Vergnügen und Eifer der Schüler gelesen. Bald mussten sie jedoch auf Befehl des Papstes Paul III. aus den Schulen entfernt werden. Desto begieriger wurden sie von den Schülern privatim ergriffen. Auch Jacob mochte sich von ihnen nicht trennen und verdankte ihnen einen grossen Reichthum von Sach- und Sprachkenntniss. Nach anderthalbjährigem Aufenthalte in Ulm ging er 1538 nach Wittenberg. Bei Melanchthon hörte er täglich zwei Vorlesungen, und zwar über Theologie, Dialectik, Rhetorik, Ethik, Mathematik, einen griechischen Schriftsteller und die Reden des Cicero; bei Luther und Major die Erklärung der Genesis, bei Bugenhagen das Deuteronomium, bei Kreutziger den Evangelisten Johannes. Auch besuchte er mit Eifer regelmässig den öffentlichen Gottesdienst und arbeitete die Predigten der grossen Wittenbergischen Redner für sich gründlich durch. Sein Fleiss war so ausserordentlich, dass er fünf Jahre lang, einige kirchliche Excursionen ausgenommen, die Mauern der Stadt nicht verliess und von seinen Commilitionen den Spottnamen der schwäbischen Eule erhielt. Nachdem er 1540 Magister geworden war, hörte er nicht nur ferner Vorlesungen, sondern gab auch mit grossem Erfolge den Studirenden Privatunterricht, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, sich volle fünf Jahre in Wittenberg aufzuhalten. Durch wiederholtes Predigen in den benachbarten Dörfern wurde er bald so geschickt und berühmt, dass ihm Melanchthon eine städtische Pfarrstelle anbot, die er jedoch um seiner Studien willen ausschlug.
Nach Ablauf von fünf Jahren reiste er zum Besuch in seine Heimath. Vom Pfarrer zu Giengen aufgefordert hielt er dort am Ostertage eine Predigt, die alle Zuhörer ausserordentlich erbauete. Seine darüber im hohen Grade erfreuten Ältern wollten ihn nun nicht wieder nach Wittenberg zurückkehren lassen, sondern forderten von ihm, dem Vaterlande seine Dienste zu widmen. Er gehorchte und ging am 4. August 1544 nach Stuttgart, wo der Generalsuperintendent Erhard Schnepf, nachdem er ihn kurze Zeit examinirt hatte, in die Worte ausbrach: Gott hat dich mir gesandt! und ihm sofort die Superintendentur in Göppingen antrug. Heerbrand aber erbat sich das unscheinbarere Amt eines Diaconus zu Tübingen, wiederum im Interesse seiner Studien, die er dort vollenden wollte. Sein Wunsch wurde erfüllt, und er konnte nach Herzenslust gelehrte und praktische Thätigkeit verbinden. Er hörte Vorlesungen, hielt Vorträge über Mathematik und predigte eifrig. Oft wurde er auch zur Abhaltung des Gottesdienstes auf das Schloss von Herzog Ulrich erfordert, der ihn hochschätzte und einst nach beendigter Predigt zu seinen Räthen sagte, Heerbrand werde einmal ein grosser Theologe werden.
Seinen Studien und seinem Amte ganz zu leben, blieb H. einige Jahre unverehelicht. Erst im Februar 1547 verheirathete er sich mit Margaretha, einer Tochter des Consistorialassessors Stamler. Die Ehe war glücklich und mit eilf Kindern, acht Töchtern und drei Söhnen, gesegnet.
Vier Jahre hatt H. sein Amt getreu verwaltet, als das Augsburger Interim erschien. Er nahm es nicht an und wurde am Martinitage 1548 abgesetzt. Aber er wusste die unfreiwillige Musse auszunutzen, indem er unter der Anleitung von Oswald Schreckenfuchs mit aller Kraft dem Studium der hebräischen Sprache sich hingab. 1550 starb Ulrich und sein Nachfolger Christoph berief H. zum Decan von Herrenberg. Hier besuchte ihn häufig Johannes Brentz, der ihn innig liebte und einst ausrief: Ich freue mich, so oft ich dich sehe. Als Heerbrand nach dem Grunde fragte, erwiderte Brentz: Du wirst der Kirche durch deinen Unterricht aufhelfen, weithin die reine Lehre ausstreuen und verbreiten und der Kirche zur Schutzwehr und Zierde gereichen! Noch in demselben Jahre wurde H. zum Doctor der Theologie ernannt und seine Freude dadurch erhöhet, dass sein alter Vater bei der Promotion zugegen war. 1551 übergab er mit Brentz, Beuerlin und Vannius die würtembergische Confession auf dem Concilium zu Trident, 1556 wurde er mit Jacob Andreä und Simon Sultzer vom Markgrafen Karl zur badenschen Reformation berufen und zum zeitweiligen Generalsuperintendenten in Pforzheim ernannt. Nach Ablauf des bewilligten einjährigen Urlaubs und nach Ablehnung eines Rufes an die Universität zu Heidelberg übernahm er eine Professur und ein Predigtamt in Tübingen. Seine Hauptvorlesung war hier die über den Pentateuch, den er während seiner vierzigjährigen akademischen Amtsführung viermal durcherklärte. Auch seinen Predigten legte er ihn zum Grunde. 1559 war er Rector der Universität und 1561 wurde er zum Decan in Tübingen und Superintendenten des dortigen theologischen Stiftes. 1562 erhielt er unter Zusicherung eines Gehaltes von 1000 Gulden einen Ruf nach Jena, aber der Herzog Christoph verweigerte ihm, ganz Heerbrand’s Wünschen gemäss, die Entlassung. Letzterer betrachtete von nun an Tübingen als seine bleibende Stätte auf Erden und bauete sich vor der Stadt auf einem vom Herzoge ihm geschenkten Platze ein freundliches Haus. Sein Schwiegervater kaufte die umliegenden Weinberge, Äcker und Wiesen an und machte sie ihm zum Geschenk. Margaretha, eine tüchtige Hausfrau, übernahm die Besorgung, und Heerbrand sammelte dort oft die in unermüdlicher, selbst nächtlicher Arbeit verzehrten Kräfte in patriarchalischer Ruhe und Thätigkeit wieder ein.
Durch seine Schriften und die ausgedehntesten Correspondenzen mit den entferntesten Behörden und Personen, die seinen Rath begehrten und erhielten, wuchs sein Ruf von Jahr zu Jahr. Noch 1576 versuchten die Landgrafen von Hessen, ihn für Marburg zu gewinnen. Sie wandten sich desshalb schriftlich an den Herzog; allein Heerbrand weigerte sich auf Grund seiner vorgerückten Lebensjahre und brachte Ägidius Hunnius in Vorschlag. 1590 wurde er, in noch ungeschwächter Kraft, zum Consistorialrathe, Kanzler der Universität und Inspector des Collegium illustre ernannt. Der Tod seiner Gattinn, die ihn fünfzig Jahr durch’s Leben begleitet hatte, beugte ihn tief (1597). Seine Kräfte nahmen bald so sehr ab, dass er, auch mit Hilfe eines Enkels, der ihn zuletzt geführt hatte, nicht mehr ausgehen konnte; und er liess sich 1598 in den Ruhestand versetzen. Bis zu den Leiden der Altersschwäche war er nie krank gewesen. Zuletzt verfiel er in Schlafsucht, aus der ihn heftige Gichtschmerzen weckten, die er mit heiligen Sprüchen erleichterte. Am meisten wiederholte er die Worte: Die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheissung dieses und des zukünftigen Lebens. Sein Ende war das Erlöschen eines milden Sternes. Es erfolgte am 22. Mai 1600.
Bezeichnend für die hohe kirchliche Bedeutung Heerbrand’s ist das Familienwappen, welches ihm der Graf von Pfalz-Neuburg verehrte. Es stellt einen Mann dar, der eine brennende Fackel in der Rechten trägt. Doch leuchtete H. nicht bloss mit seiner Lehre, sondern auch mit seinem leben. Von seiner Liebe zeugten viele Werke der Barmherzigkeit an Armen und Verbannten, und in den höchsten Ehren bewahrte er die tiefste Demuth.
H.’s Predigten sind gediegene Zeugnisse eines im Heile Christi festgewordenen Sinnes, immer grundevangelisch, auch wo sie, was öfter geschieht, Gegenstände der Moral behandeln. Sie sind ruhig und doch frisch. Die Methode ist vorzugsweise die synthetische. Beispiel: Von der Keuschheit: 1. Was Keuschheit sei, 2. Wie viel und mancherlei dieselbige, 3. Ursachen, die männiglich zur Keuschheit reizen und treiben sollen. Die Benutzung des gewählten Textes ist allerdings spärlich; doch greift er mit grosser Sachkenntniss und Vertrautheit in den Reichthum der ganzen Schrift und citirt viele Sprüche.
Von H.’s Schriften ist die berühmteste sein compendium theologicum. Tubing. 1573. 8. Auf Bitten des Patriarchen Jeremias von Constantinopel wurde es durch Martin Crusius in’s Griechische übersetzt und fand in Ägypten, Turkestan und der Tatarei Verbreitung. Ausserdem verfasste H. viele Disputationen und Streitschriften, z.B. gegen Petrus von Soto (1558), viele einzelne Predigten (zusammengedruckt unter dem Titel: Achtzehn christliche Predigten von mancherlei gottseligen Materien, zu Tübingen nach und nach zu unterschiedlichen Zeiten gehalten durch Jacobum Heerbrandum. Tübingen 1586. 4.) Leichenpredigten, z.B. auf Herzog Christoph, und lateinische Leichenreden, z.B. auf Melanchthon, Brentz und Jacob Andreä.
Oratio funebris de vita, studiis, la
Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856