Sowohl durch die Fülle lebendiger, für die Gegenwart wichtiger Kräfte als durch den Reichthum geschichtlichen Lebens nimmt Schlesien unter den Ländern, die heut um den Thron von Hohenzollern versammelt sind, eine bedeutende Stelle ein: es ist ein Kleinod von weithin leuchtendem Glanze in jenem durch lange kunstvolle und gottgesegnete Arbeit zusammengefügten Diadem unseres Herrscherhauses. – In zwei Zeitaltern vornehmlich ist die Geschichte dieses Landes von hohem Interesse: das eine liegt uns näher und steht in seinen Wirkungen noch unmittelbar vor unseren Augen: wir meinen den langen Waffengang zwischen den beiden Confessionen – da der Protestantismus eine Weile die Aussicht hatte, sich das ganze Land zu eigen zu machen, darauf ihm der Katholicismus zuerst mit Abwehr, dann mit siegreichem Angriff und mit dem Unternehmen völliger Ausrottung des überwältigten Gegners antwortete, bis zuletzt mit der preußischen Herrschaft ein fruchtbarer Wettstreit ebenbürtiger, einander einschränkender Mächte der Inhalt des kirchlichen Lebens der Provinz geworden ist. Durch den evangelischen Kalender sollte man erwarten zunächst auf diese Kampfesbahnen geführt zu werden, und wohl wäre es eine belohnende Aufgabe, von der Kraft des Bekenntnisses und des Märtyrerthums, welche die lutherische Kirche auf diesem schlesischen Boden bewährt hat, einmal lebendiges Andenken unter den Zeitgenossen zu wecken. Wir aber wollen uns heut zu Schlesiens ersten! großen Geschichtstag zurückwenden, da das Land für eine der merkwürdigsten und folgenreichsten Entwickelungen, von denen dies christliche Europa weiß, für die koloniale Ausbreitung der deutschen Nation so recht Beispiel und Muster sein kann, da es aus einem polnischen ein deutsches Land geworden. Nur in diesem Zusammenhang wird das edle und bedeutende Bild verständlich, das unserer Betrachtung heute Namen und Mittelpunkt geben soll, und dessen Anziehungskraft freilich – unabhängig von jeder örtlichen und nationalen Schranke – in den Geheimnissen Gottes mit den Seelen Seiner Erwählung und mit den Stufenaltern Seines Reiches wurzelt.
Die Polen haben in ihrer Geschichte einen leeren Raum von zwei Jahrhunderten: es sind die Zeiten, seit Boleslav III. ein ausgezeichneter, von dem geistlichen und kriegerischen Schwung, der das Abendland mit dem Beginn der Kreuzzüge ergriff, auch an seinem Theile zeugender Fürst, seine von dem großen Gedanken, den Polen den Weg an die baltische Küste zu eröffnen und ihnen dadurch das Recht einer gebietenden Stellung zu geben, beseelte Regierung im Jahr 1139 mit dem unheilvollen Entschluß der Theilung des Reichs unter vier Söhne beendete, bis dahin, daß Wladislav Lokietek, in den ersten Decennien des 14ten Jahrhunderts, den größten Theil der altpolnischen Lande wieder in seiner Hand vereinigte und seine Krone in völliger Unabhängigkeit in die Gemeinschaft der christlichen Monarchien einführte. Aber was man in der Zeit, die zwischen jener Zersplitterung und dieser Wiederherstellung liegt, über den entsetzlichen, niemals ruhenden Kämpfen zwischen den piastischen Brüdern und Vettern versäumt hatte, ließ sich in keiner folgenden Zeit wieder einbringen. Gerade die Menschenalter, da Polen sich selbst vergaß, waren für die Deutschen die größten und fruchtbarsten. Der große, eben durch das unvergleichliche Geschlecht der Staufer vertretene Name des heiligen Römischen Reichs gab dem deutschen Volke Einheit und Zuversicht: das Andere, was zu kolonialen Gründungen im Großen gehört, Mannigfaltigkeit des politischen Triebes und die Fähigkeit der Selbstregierung war ihm nicht minder beschieden: wie wuchsen das geistliche, das furstlich-adelige Territorium, die bürgerliche Communität, jedes in einer Reihe individueller Ausprägungen so eben empor! Von der Fülle schöpferischen Lebens, das in der Nation ruhte, geben uns die aus jener Zeit überbliebenen Werke der Baukunst und Dichtkunst Zeugniß: wie oft fordern sie Maaße der Anschauung von uns, denen wir nicht mehr gewachsen sind! Damals war es, daß die Deutschen den unteren Lauf und das Mündungsgebiet der Weichsel, des Pregel, des Niemen, der Düna den Polen wie vorwegnahmen, diese Nation auf eine bloß binnenländische Existenz verwiesen und damit ihr künftiges Geschick vorbereiteten. Damals ist auch das schlesische Land ganz umgewandelt und Deutschland angeschlossen worden: keine Spur deutschen Wesens läßt sich vor der Mitte des 12ten Jahrhunderts darin entdecken: dann weiß man das 13te hindurch von mehr als 60 Städten, die entweder ganz von deutschen Ansiedlern gegründet, oder wenn es schon feste, des städtischen Namens werthe Niederlassungen hier gegeben, doch mit deutschem Recht bewidmet und in freie Gemeinwesen verwandelt worden sind; der Catalog der nach der Weise des deutschen Ackerbau’s eingerichteten, in deutsche Rechtsformen gekleideten Dörfer winde, wollte man ihn aufstellen, begreiflich noch viel zahlreicher ausfallen. Die Ortsnamen verändern sich, aus Medzibor wird Mittelwalde, aus Szroda Neumarkt, aus Psepole Hundsfeld, aus Kaminice Steinau. Die Kriege der Fürsten gegen einander ziehen viel deutsche Adlige nach Schlesien: auch der eingeborne Adel läßt die heimischen Gerichtsstätten veröden und schließt sich den aus der Fremde eingewanderten Institutionen an. Wie es zu dem Jahrhundert unseres Verfalls gehört, daß die deutschen Höfe sich nach dem Muster von Versailles einrichten, die deutsche Sprache aus dem Munde der Vornehmen verschwindet, so ist es umgekehrt ein Zeichen jener alten deutschen Größe, daß diese Fürsten slavischer Geburt deutsche Sitte und Art in ihrer Nähe pflegen; ihre Urkunden bezeugen, daß ohne deutsches Gewerbe einer Stadt Wohlfahrt nicht gesichert sei: ihre Freibriefe entbinden die Bürger von der Verpflichtung, in polnischer Zunge Recht zu nehmen: einem dieser schleichen Plasten begegnen wir unter den Minnesingern. Kein Wunder dann, daß es für Wladislav Lokietek und seinen großen Sohn Casimir, da sie endlich das Reich wieder sammeln, wie eine Vorbedingung ist, Schlesien ganz von dannen zu lassen: bald ist es in rechtlicher Form vom polnischen Staatskörper gesondert, und als Kaiser Carl IV, der neue Oberherr, die statistische Aufnahme des reichen Fürstenthums Breslau, des eigentlichen Herzgebiets des Landes, bewirken läßt, finden sich nur noch zwei Dörfer polnischen Rechtes darin.
Wie es damit im Einzelnen gegangen? Schon Wladislav II, derjenige unter den Söhnen Boleslavs III, zu dessen Antheil auch Schlesien gehörte, sah sich bei dem Kriege mit den Brüdern auf deutsche Hülfe angewiesen: seine Gemahlin, Leopolds III, Markgrafen von Oesterreich aus dem Babenberger Haus, Tochter, war eine Halbschwester Conrads III, des ersten Hohenstaufen auf dem Kaiserthron: von der Uebermacht der Brüder vertrieben, mußte er den Schutz Friedrich Barbarossa’s anrufen: dessen Vermittelung verdankten seine Söhne die Wiedereinsetzung in das schlesische Erbe des Vaters. Der älteste von ihnen, Boleslav, der bei weiterer Theilung Nieder- und Mittelschlesien mit Breslau erhalten hatte, führte wieder eine deutsche Frau heim – die Tochter des Grafen Berengar von Sulzbach, die Schwägerin Conrads III. Man kennt den Einfluß der Frauen: wie so oft mit ihnen das Christenthum in die fürstlichen Paläste eingezogen ist, so hier deutsche Sprache und Ordnung, die nachmals gerade dort des in seine Reinheit wiederhergestellten Evangeliums treueste Verbündete sein sollten. Und gleich von Anfang an kamen sie in kirchlichem Gewande. Boleslav war es, der – 1175 – mit Berufung von Cisterciensern aus Pforta an der Saale den eigentlich entscheidenden Schritt gethan. Leubus war den Gästen zu ihrem schlesischen Stammsitz erwählt: die reichste Ausstattung ward dem neuen Kloster zu Theil; Entwilderung des Bodens, Ackerbau, Pflege des Gartens und des Neinbergs gehören zu den wesentlichen Gesichtspunkten dieses Ordens; Freiheit von vielen Lasten, welche die Eingeborenen zu tragen hatten und die Wohlthat der Autonomie waren den Deutschen, die das Kloster auf seinen Ländereien ansiedeln würde, zugesagt: wie natürlich, daß sie – von den deutschen Besitzungen und Verbindungen des Ordens her – zahlreich sich einfanden, Feld und Gemeinde die deutsche Einrichtung zu geben, und ringsum Alles zum Wetteifer aufzurufen.
Trefflich gedieh diese Saat unter dem Sohn und Nachfolger Boleslavs – Heinrich dem Bärtigen. Die für ihn erwählte Gemahlin war es, in der diese Ausgießung des deutschen und christlichen Geistes über Schlesien ihren großartigsten Ausdruck erhalten sollte – Hedwig aus dem Hause der Grafen von Andechs und Herzoge von Meran. Dies ein merkwürdiges Fürstengeschlecht. Die Forscher haben lange die Stätte gesucht, auf der sein Herzogstitel ruhte, bis man darüber eins geworden, daß er nicht von dem berufenen Punkte in Tyrol, sondern von einem Gebiet an der dalmatisch-albanesischen Küste stamme. Denn das ist eben das gleichsam Mährchenhafte an der Größe dieses Hauses, daß es von Burg Andechs am Ammersee in Ober-Bayern ausgegangen, binnen wenigen Menschenaltern mit den alten Beziehungen in den tyrolischen Thälern, mit bedeutendem Erbe und Amt in Bayern und Franken, Rechtstitel und Ansprüche im Königreich Ungarn, Besitz in Kärnthen und Istrien und weit von da, am andern Ende der damaligen kaiserlichen Oberhoheit, die Pfalzgrafschaft in Burgund zu verknüpfen, seine jüngeren Söhne hier zum goldenen Bischofsstuhl von Bamberg, dort zum Patriarchat von Aquileja zu erheben weiß. So recht eine von den Machtbildungen, die des räumlichen Mittelpunktes gleichsam noch nicht bedürftig, Dem, wie sich später der Staat und sein vom Haupt in die Glieder dringendes Wesen unter uns erhoben hat, völlig entgegengesetzt sind; in verjüngtem Maaße ein Abbild jener weithin erstreckten hohenstaufischen Waltung, mit deren Jahrhundert, der Regel nach auch in deren Bündniß, sie groß geworden war, um ziemlich gleichzeitig mit ihr wieder vom Schauplatz zu verschwinden. Kaum daß der Name der Andechse noch im Liede anklänge, wenn nicht die Dankbarkeit uns nöthigte, Dessen zu gedenken, worin sie Andern vorgearbeitet haben: ein ansehnlicher Theil der nachmaligen fränkischen Lande unseres Königshauses stammt von ihrem Erwerb: die Plassenburg bei dem Ausgang des meranischen Mannsstammes an eine der Erbtöchter gelangt, ist von da dann durch weiteren Vertrag den Zollern zugebracht worden.
Hier in Franken, wo so große Interessen ihrer Familie zusammenstießen, zu Kloster Kitzingen am Main war Hedwig, die Tochter Herzog Bertholds III., erzogen worden: nach der besten Combination 1174 geboren, ward sie schon 1186, 12 Jahr alt – so war die damalige Fürstensitte – mit Heinrich vermählt: sie hat mit ihm 1201 den Herzogsthron bestiegen, und er hat sie 1238 als Wittwe zurückgelassen. Von sechs Kindern, drei Söhnen und drei Töchtern, die in dieser Ehe geboren worden, sind Boleslav, Agnes und Sophie schon früh wieder geschieden; auch Conrad ward mit jähem Tod – durch Sturz auf der Jagd – lange vor den Eltern abgerufen; Heinrich, der des Vaters alleiniger Erbe geworden, fiel nach nur drei Regierungsjahren auf jener der gesammten Christenheit unvergeßlichen Wahlstatt, in dem unglücklichen und doch rettenden Kampfe wider die mongolisch-tatarische Fluth (9ten April 1241). In den letzten Lebensjahren standen neben Hedwig nur die allein überbliebene Tochter Gertrud und die Schwiegertochter Anna aus dem böhmischen Königshaus, die erste im Nonnenschleier, die andere in fürstlicher Sorge, als Vormünderin der minderjährigen Söhne, der Mutter Vorbild nachzustreben bemüht. Hedwig selbst ist am 15. Oktober 1243, den Siebenzig also, die das Schriftwort uns zumißt, nahe, heimgegangen.
So weit nun die Mühe und Arbeit dieses Lebens sich nach Außen wenden, so weit es greifliche Erfolge haben und sehen sollte, wird es ganz durch eben die Richtungen bestimmt, die ihm schon in zarter Jugend diesen schlesischen Schauplatz angewiesen hatten. Gleich nach der Thronbesteigung beschließt das fürstliche Paar die Gründung eines Frauenklosters. Gerade dies, sagt Heinrich in der Urkunde, habe seinem Lande noch gefehlt. Trebnitz, nicht weit von der Hauptstadt, wird zum Sitz erkoren; der Herzog faßt für den Haushalt seiner Stiftung große Gesichtspunkte, Hedwig bestimmt ihr Heirathsgut dafür. Der im Jahre 1203 begonnene, 1219 zur Einweihung gediehene Bau hat 30,000 Mark gekostet. Hedwig scheint man bei allem Aufwand nicht rasch vorwärts gekommen zu sein: sie erwirkt bei ihrem Gemahl, daß, so lange der Bau dauert, kein zum Tode Verurtheilter dem Nachrichter übergeben wird: die Verbrecher sollen – nach der Anschauung der Zeit – durch Theilnahme an der gottgefälligen Arbeit von ihrer Sünde abbüßen und zugleich das Werk fördern. Man hatte sich auf tausend Bewohner eingerichtet und doch noch Raum und Mittel für stete Gastfreiheit gesichert: der wirklichen Klosterfrauen gab es in dem ersten Jahrhundert der Stiftung 100-120. Die Gründerinnen waren, was so deutlich Hedwigs Einfluß erkennen läßt, aus Bamberg herbeschieden worden: die Führerin der geistlichen Colonie ward die erste Aebtissin; ihr folgte eben Gertrud, die Tochter des Hauses im Regiment. – Indern man sich noch in der eigenen Zelle ausbaut, beginnt schon die große Thätigkeit für das Land. Von 1206 ist die erste Urkunde, die das Kloster zur Gründung deutscher Dörfer anweist: von dem nächsten Jahrzehnt an werden sie häufiger: sie bezeichnen Localitäten bald im Lebuser oder Schwiebusser Kreis, bald bei Löwenberg, bei Ohlau, bei Heinrichau, bei Münsterberg – so weit überhaupt die Waltung des Herzogs reicht: in dem einen Fall macht er der Aebtissin das Geschenk mit der Weisung, die Colonisation zu bewirken: in dem zweiten übernimmt er selbst Sorge und Aufwand dafür: in einem dritten ordnet er die Rechtslage der neuen Ansiedler, die schon Platz genommen haben. Auf Waldgrund bei Frankenstein, der, wie Gertrud selber sagt, bisher dem Kloster von keinem Ertrage gewesen, erhebt sich eine deutsche Pflanzung; gewiß mit gutem Recht gilt der Tradition die Kirche hier, wie an manchem andern Orte, als Hedwigs unmittelbare Wohlthat. – Leicht läßt sich dies Bild freudigen Wachsthums vervielfältigen. Leubus hat aus denselben Jahren eine nicht minder zahlreiche Reihe von Gründungen. Bei einem Gastmahl gewann man Herzog Heinrich die Erlaubniß zur Stiftung von Kloster Heinrichau ab; ein in seinen Diensten zu Ansehn und Reichthum emporgekommener Mann übernahm die erste Ausstattung. Die ersten Mönche waren von Leubus: nicht lange hernach erhielt auch Camenz Sendlinge aus diesem Mutterkloster. Bei Naumburg am Bober wird die Augustiner-Propstei gegründet, die nachmals nach Sagan verlegt, in den ersten Tagen der Reformation an ihrer Spitze den Abt gesehen hat, der mit einem Stecken Herrschaft und Pfründe verließ, sich gläubig zu den Füßen des großen Augustinerbruders zu Wittenberg niederzusetzen. Indem man die alten, noch aus polnischer Zeit stammenden Stifter auf die Bahn dieser Kolonisation trieb, versäumte man nicht, sich der neuen Blüthen des kirchlichen Geistes, an denen das Zeitalter so reich war, zu versichern; auf Hedwigs Fürbitte wurden die Templer angesiedelt; ihnen folgen bald Johanniter; frühe Jünger Franzens von Assisi finden hieher ihren Weg; ein Schlesier macht unter Dominikus Guzmans Augen sein Noviziat zu Rom, um auch den Orden, der sich nach diesem Namen nennt, in seine Heimath zu verpflanzen. Daran schließen sich die Liebeswerke, deren die sich so eben in die Städte zusammendrängende Menge besonders bedarf: in Breslau wird das Spital zum heil. Geist gegründet. Den aussätzigen Frauen bereitet man ein Asyl bei Neumarkt; die Pflicht der Selbsterhaltung, die hier wie überall in unserer abendländischen Welt unbedingten Krieg gegen dies aus dem Orient eingeschleppte Uebel gebietet, weiß Hedwigs Liebe zu mildern: es gehört zu ihren Sorgen, jene Unglücklichen mehrmals in der Woche mit Lebensmitteln, Kleidern und Almosen zu bedenken.
Denn in Alle Dem ist ein Element Dessen, was wir in dem höchsten, vor jeder Mißdeutung sicheren Sinn Civilisation und Cultur nennen dürfen, und ein anderes, was Religion schlechthin, die Kraft des guten Geistes in ihrer Unbedingtheit zu heißen verdient. Es ist keine Frage, daß bei unserer Fürstin das erste Interesse seinen Platz hat, aber das andere ist es, das diese Seele wesentlich einnimmt. So ist Trebnitz von Anfang an zur Aufnahme auch solcher Jungfrauen bestimmt, die später in die Ehe treten sollen. Sie will es als Erziehungshaus in der Weise, die sie in der Heimath zu sehen gewohnt gewesen. Bezeichnend, daß sie eine Bekehrte aus dem Preußenvolk, die zu ihrem Hofe gehört, antreibt, die schöne, ja auch der Kirche dienende Kunst der Frauenklöster, die Goldstickerei zu erlernen, aber noch mehr charakteristisch, welche Mühe sie anwendet, eine hochbetagte Frau, die in dem niedern Dienste der Wäscherin bei ihr ist, das Gebet des Herrn zu lehren: sie läßt sie zehn Wochen hindurch auch des Nachts nicht von der Seite: aus dem Schlaf erwachend raunt sie der neben ihr Ruhenden die heiligen Worte in’s Ohr, sie dem schon schweren Gedächtniß um so sicherer einzuprägen. – Gebet ist ihr Leben: alle stillen Stunden, die ihr geschenkt sind, widmet sie dem einsamen Gespräch mit Gott. So lieb ihr hier das Kämmerlein, so sehr sie auch ihr häusliches Wesen von Gottes Wort erfüllt zu sehen wünscht – auch beim Mahl läßt sie sich Erbauliches lesen – so widerstrebt doch die Sitte der Fürsten und Vornehmen, sich das heilige Amt gleichsam in Haus und Gemach bringen zu lassen, ihrem Sinn. In härtester Winterzeit, im schlimmsten Wetter sieht man sie zur Frühmesse in der Kirche: sie will dann, daß kein Priester dem, worin sie seinen höchsten Beruf versteht, fehle, daß der Meßgesang von allen Altären wiederklinge. – Diese Inbrunst hat ihre Früchte. In der Kirche sieht man Hedwig nie ohne die Almosenschüssel: sie glaubt wie an ein Recht der Dürftigen, hier die Hülfe ihrer Freundin zu erwarten: immer dreizehn Arme sind auserwählt, ihrem Hofe zu folgen; der Küchenmeister, der für die Bedürfnisse derselben zu sorgen hat, gilt als eine wichtige Person dieses Haushalts: die Herzogin will, daß diese Gäste vor allen andern ihre Speisung empfangen: sie läßt ihnen von der eignen Tafel das Beste reichen: den einzigen Apfel, der ihr einmal dargebracht werden kann, theilt sie mit diesem Gefolge. An Hofburg und Landhaus zieht kein Bedürftiger vorüber, ohne seine Gabe zu empfangen; Kleriker oder Solche, die zu heiligen Schwellen ziehen, die das Kreuz genommen haben, sind besonderer Gnade gewiß. – Verurteilten Verbrechern Verzeihung zu erwirken, gehört zu den Geschäften, die sie am liebsten bei ihrem Gemahl ausrichtet: auf ihren eigenen Gütern wohnt sie gern selbst dem Gericht bei, und läßt dann öfter statt Richter und Voigt einen ihrer Capelläne das Urtheil sprechen, auf daß es milder ausfiele: auf das Dringendste weist sie ihren Beamten an, die Insassen nicht mit zu hohen Abgiften zu beschweren. Geldbußen, deren sie schuldig geworden, trägt sie selbst an ihrer Statt. Es ist wie ein Vorausnehmen von Bestrebungen, die erst in viel jüngeren Tagen durchgedrungen, daß sie die armen Wöchnerinnen mit Liebesgaben aufsucht, daß sie die in Haft Befindlichen mit frischem Linnen versehen läßt, dafür sorgt, daß ihnen der Gebrauch des Lichts gestattet werde: auch die Widersacher ihres Gemahls sollten in der Nacht ihrer Kerker dieser Wohlthaten theilhaft werden. – Wie wird dann der milde, sanfte Sinn der Fürstin ihren Dienern gegenüber gerühmt! nie läßt sie sich, auch wo Grund zur Rüge ist, zu Zorn- und Scheltworten hinreißen. „Warum hast du das gethan? der Herr vergebe dir!“ ist ihre Rede an die Fehlenden. Den Diener, durch dessen Nachlässigkeit drei silberne Becher verloren gegangen sind und der nun bangen Herzens vor ihr steht, entläßt sie mit der Weisung, noch einmal und sorgfältiger zu suchen.
Die Heiligung des inneren Menschen, die schon aus alle diesem Bezeigen spricht – sie bewährt sich am sichersten da, wo über dies in Gott gefaßte Gemüth die Stunden schwerster Prüfung kommen. Als man ihr das verhängnißvolle Ende ihres Sohnes Conrad noch verbergen will, ihr bloß von seiner Erkrankung reden möchte – umsonst – sagt sie – spiegelt ihr mir vor, mich an sein Krankenbett zu rufen; ich weiß, daß ich zu seiner Gruft gehe: lange habe ich es im Geist gesehen. Bei dem Tode ihres Gemahls, da Alles ringsumher in Thränen zerfließt, bleibt gerade sie allein trockenen Auges. Wozu euer Jammer? ruft sie den Schwestern zu. Wer von Euch will gegen des Herrn Willen streiten? In Seiner Fürsorge ist unser Trost. Ja selbst bei dem härtesten Schlag, da zu jener Fluchtstätte von Krossen, wohin man vor den Tataren zurückgewichen, die Kunde von Heinrichs des Sohnes Tod dringt – auch da hat sie keinen Klagelaut. Die Hände zum Herrn erhoben spricht sie: „ich danke Dir Gott, daß Du mir diesen Sohn gegeben hast, der mich nie betrübt hat, der mir immer mit Liebe und Ehrfurcht begegnet ist. Gern hätte ich ihn noch bei mir auf Erden: aber ich preise ihn glücklich, daß er mit dem Opfer seines Blutes in Deinen Himmel eingegangen ist. Dir empfehle ich seine Seele.“
Wahrlich, so thut nur, wem das große Wort: „ich weiß, daß mein Erlöser lebt“, zur obersten aller Erfahrungen geworden ist. Redet aber Alles in diesem Bilde von dem Geheimniß dieses Trostes? Giebt es nicht Züge darin, die ein Irrewerden an dem Opfer, das ewiglich gilt, verrathen, die von dem alten Wahn der Feindschaft zwischen göttlichem und menschlichem Leben verdüstert sind? – Gewiß, wir möchten Hedwigs Biographen weniger ruhmredig über den Entschluß der Enthaltung finden, den die Gatten, nachdem sie in dem Kindersegen die Pflicht des Ehebetts erfüllt gesehen, öffentlich und unter kirchlichen Formen gefaßt haben und dem sie dann durch dreißig Jahre bis an ihr Ende treu geblieben sind: wir erließen ihm gern die Meldung, daß Hedwig von dem Beginn dieser neuen Lebensordnung aus Rücksicht auf den Leumund der Welt, dem Gemahl nie anders als vor Zeugen begegnet und selbst an seinem Krankenbett nur im Geleit der Schwiegertochter erschienen sei. Haben wir nicht gesehn, daß unserer Heldin Dinge zur Ehre Gottes gelangen, wie sie eben nur auf den Höhen des Lebens, vom Thron herab möglich sind? woher nun, wenn sie fürstliches und gottgefälliges Walten in diese lautere Harmonie zu bringen vermag, das Recht ihres Entschlusses, noch bei Lebzeiten des Gemahls den Hof zu verlassen und in die Einsamkeit von Kloster Trebnitz zu fliehen? Wir freuen uns ihrer Demuth, da sie auf dem Sterbebett das Verlangen ausspricht, auf dem gemeinen Kirchhof ohne alle Auszeichnung begraben zu werden; auch das ist vom Wesen der Kinder Gottes, daß sie, da sie mit jenem Wunsche nicht durchdringt, die Stätte in der Kirche wählt, wo ihre Enkel, die im Alter der Unschuld Heimgegangenen, ruhen: aber es bekundet wieder jene uns fremdartige und bedenkliche Sinnesweise, daß sie um Alles nicht die Gruft des Gemahls theilen will, von dem sie einmal durch ihr Gelübde getrennt sei. Wir begreifen an ihr, daß sie von früher Jugend an den Kleiderprunk gehaßt, daß man sie in prächtigem Kopfputz, in kostbarem Geschmeide nie gesehen, daß eine treue Dienerin sie an ihre vernachlässigte Kleidung erinnern muß: aber wir wenden uns von den Beschreibungen ab, die uns von dem härenen Untergewand, das sie getragen, von jenem knotigen Gürtel von Roßhaaren gemacht werden, der um ihren Leib geschlungen war, und als man ihn von ihrem schon in Fäulniß fallenden Fleisch loswinden mußte, sogleich durch einen anderen von derselben Qual ersetzt wurde. Wir haben nicht die Bewunderung und Ehrfurcht der Zeitgenossen vor jenen blutigen Spuren, die die tägliche Geißelung an ihrem Leibe hinterlassen, vor den Beulen und Wunden an Fuß und Hand, den Folgen jener unausgesetzten mühseligen Dienste, mit denen sie den Himmel erwerben will, den zu Säcken gewordenen Schwielen ihrer Kniee, den Zeugen ihres unablässigen Ringens im Gebet – und dennoch – könnten wir bloß mit achselzuckendem Mitleid daran vorübergehn? – Die Pünktlichkeit und Strenge des Weibes in den Dingen des Haushalts hat Hedwig auf ihre Fastenordnung übertragen. Drei Tage, darunter der Sonntag, haben das Vorrecht der Fisch- und Milchspeisen, zwei müssen sich mit trockener Zukost, die anderen zwei mit Wasser und Brod begnügen: mit weiblicher List weiß sie neben dem Gemahl in dem Glanz der fürstlichen Tafel das Geheimniß dieser Bußübung zu bewahren: sie scheint die Speisen zu Munde zu führen und bleibt doch ihrem Gelübde treu. Noch einer andern Region der Askese gehört es an, daß die Brosamen, die man von dem Tisch der Mönche und Nonnen sammelt, ihre liebste Speise bilden; Bettlerinnen empfangen diese Gabe an der Klosterpforte, und bringen sie um guten Lohn zu der Herzogin Thür: diese will den Hündlein Christi angehören, der Gnaden des Lazarus gewürdigt werden und zugleich ihre Verehrung vor Allem bezeugen, was mit den Brüdern und Schwestern, die der Welt entsagt haben, irgend in Berührung gekommen ist. „Die Speisen der Religiösen erscheinen ihr wie die Nahrung der Engel“ – sagt ihr Biograph. Sie selbst will den Schleier nicht nehmen: um so höher spannt sich ihre Verehrung vor den Männern und Frauen der Zelle: um so stärker drängt es sie, die Himmelsluft zu athmen, die sie von daher wehen glaubt. Hedwig küßt die Schemel, die den Nonnen in der Zelle, die Sitze, die ihnen im Chor dienen: sie küßt die Fußtapfen, die sie zurückgelassen, die Ruthen, mit denen sie ihre Bußdienste vollziehen, das unsauberste Tuch, an dem sie ihre Hände trocknen; sie netzt Auge und Wange mit dem Wasser, darin sie ihre Füße gewaschen haben!
Wagen wir dergleichen zu glauben, und wenn wir es wagen, wie es verstehen und wozu das Andenken daran erneuen? Die Legende stellt an uns diese Fragen: versuchen wir aus dem großen Buche der Geschichte die Antwort zu geben. Wir sahen Hedwig in die große Entwickelung aufgenommen, durch die Schlesien ein deutsches Land geworden: Wer dürfte glauben, daß dergleichen ohne tiefe Kämpfe sich vollzieht? Schon Heinrichs des Bärtigen elterliches Haus war von diesem Gegensatz erfüllt. Er selbst war der Sohn Boleslavs l. von der deutschen Gemahlin; ein älterer von einer slavischen Mutter geborner Bruder erhob sich, um den Einfluß jener zu brechen und ihre Kinder von der Nachfolge auszuschließen zu strafloser, zuletzt – schlimm genug zu berichten – mit dem Bisthum Breslau in fürstlicher Ausstattung belohnter Empörung. Das waren die Eindrücke, unter denen Hedwig das Land betrat, die das erste Jahrzehent ihres Lebens dort einnahmen. Als man den Thron bestiegen, die eigenen Söhne heranwuchsen, wiederholt sich unter ihnen der hier in den Dingen selbst wurzelnde Conflict; Heinrich ist für die Deutschen, Conrad für die Polen. Umsonst, daß der Vater durch eine frühzeitige Landestheilung dem Schlimmsten zuvorzukommen gesucht hat. Der Bruderkrieg entzündet sich: die Aeltern müssen ihm unthätig und rathlos zusehen: höchst bezeichnend, daß Hedwig sich in Heinrichs, der Vater sich in Conrads Gebiet begiebt. Als dann Conrad überwunden, mit seinem nun zwiefach erschütternden Tode die alleinige Erbfolge Heinrichs II. und damit der Fortgang der deutschen Interessen für dies Schlesien gesichert ist, des alten Zündstoffs bleibt doch genug. Denn im Grunde genommen ist es die Frage der Nationalitäten, die bald mit dem Streit über die Oberhoheit, bald mit den Händeln gemeiner Tücke und Habsucht verschürzt, das dämonische Gelüst dieser piastischen Brüder und Vettern, sich und ihr Volk zu verderben, zu immer neuen entsetzlichen Ausbrüchen treibt. Einmal inmitten dieser Verwickelungen ist Hedwigs Gemahl schon in des Meuchelmörders Hand gegeben; ein deutscher Getreuer deckt seinen Leib und rettet mit dem Opfer des eigenen Lebens das des Herrn; schwer verwundet entkommt dieser nach Haus. Zwei Jahre darauf wird er nach Siegen auf dem Schlachtfeld durch verrätherischen Ueberfall von Conrad von Masovien gefangen genommen; schon hat der Sohn gerüstet den Vater zu befreien, als Hedwig (1229) sich aufmacht die Lösung und wenigstens für die nächste Zeit den Frieden zu bewirken. Als dann die Männer geschieden sind, wie bange wird es der Großmutter bei dem Anblick des heranwachsenden Geschlechts: sie ahnt von dem Enkel Verderben, und vielleicht hat sie nur zu gut in dem Herzen des sich eben entfaltenden Jünglings gelesen: nicht lange hatte sie die Augen geschlossen – und das Land war durch Boleslavs II. wildes Wesen hart an den Rand des Abgrunds gebracht.
Das ist bei allen Erfolgen dieses Menschenalters, für die die Nachwelt dankbar sein muß, der Anblick daheim. – Doch wir haben noch andere Vorhänge zu lüften. Wir lernten oben Gertrud die Aebtissin kennen. War sie von Anfang an dem geistlichen Stande bestimmt? Mit Nichten: durch große, weltbekannte Geschicke ward sie dafür geweiht. Sie war die fürstliche Braut, um die Otto von Wittelsbach freite. Mag nun auch die Geschichte von dem Uriasbrief König Philipps vor der Kritik nicht bestehen, eben dann wird – wie immer, wenn man der Geschichte das Kleid wohlfeiler Erfindung auszieht, – das Ereigniß nach unserer Seite noch bedeutender, dann vernichtet sich nicht ein unwürdiger Bewerber, sondern das einfache Wort der Chronik, daß Otto, als er den Mord beging, der Verlobte Gertruds gewesen, behält Recht, und dies Fürstenhaus erhält die Kunde, daß der Mann, der ihm schon mit schwer wiegenden Banden für das Leben angeschlossen ist, plötzlich den Fluch der furchtbarsten Blutschuld auf sein Haupt geladen hat. Man kennt die Scene dieses Mordes. Den einen Bruder unserer Hedwig, den Herzog Otto von Meran hat der König zum Ehebund mit der eigenen Nichte an den Altar geführt; er ruht von der Feststunde, da der Mörder eindringt, dessen Anstifter und Gehülfen Bischof Ekbert von Bamberg und Markgraf Heinrich von Istrien – zwei andere Brüder Hedwigs – sind. In der bischöflichen Pfalz geschah der Mord des geistlichen Hirten, der an ihm zum Hochverräther ward, Gastfreund war der König gewesen. Nie hat der Makel der Mitschuld von beiden Brüdern abgewaschen werden können: mit der Ausführung des Achtspruchs, der den Flüchtigen auf der Ferse folgte, sank die Stammburg ihres Hauses in Trümmer; ihre später erfolgte Wiederherstellung in Besitz und Würden beruhte mehr auf den Wechseln der Parteibildung im Reiche, als auf einer besseren Ueberzeugung von ihrer Unschuld. Eine von Hedwigs Schwestern, Gertrud war an Andreas II. von Ungarn verheirathet – eine Frau männlichen Geistes, die Zügel des Reichs, die den ohnmächtigen Händen ihres Gemahls entsanken, festzuhalten entschlossen: auch sie unterstützte das deutsche Element dem magyarischen gegenüber. Diese ihre Stellung zu Volk und Regiment war es wahrscheinlich, was das Schwert des Meuchelmörders gegen sie waffnete (1213); doch hat sich an ihr gräßliches Ende bei den Ungarn die Tradition ansetzen können, daß sie den Frevel begünstigt habe, den einer ihrer Brüder an dem Weibe des Mörders, eines der Großen des Reichs begangen, und daß sie also das Opfer gerechter Rache geworden sei. Urkundlich wird ihr Bruder Berthold, den wir in mächtiger – auch wiederum geistlicher – Stellung neben ihr kennen, angeklagt, bei seiner wohl durch ihre Ermordung veranlaßten Entfernung aus dem ungarischen Reich sich auch die Schätze der Schwester widerrechtlich angeeignet zu haben. Wir wissen noch von einer andern Schwester Hedwigs – es war ein glänzender Tag (Juni 1196), da König Philipp August zu Compiegne Agnes von Meran als seine Braut empfing: wie beugte sich Alles vor ihrer Schönheit: wie bewundert man ihre Haltung zu Roß: der Mönch von St. Denys, der diese Geschichten erzählt, kann nicht unterlassen, von ihrem schönen Fuß, ihrer zarten Hand zu sprechen: die Söhne von Nevers und Montreuil nehmen ihre Farben: im Geräusch der Jagd wie des Turniers ist sie der Mittelpunkt aller Lust. Aber in wie schwere Schuld ist ihr kurzes Glück verstrickt! Um sie freilich bat die Krone Frankreichs in aller Form geworben: sie weiß sich nicht anders als des Königs Gemahlin. Aber Philipp August hatte kein Recht zu dieser Ehe; er hat die rechtmäßige Gemahlin unter trügerischem Vorwand verstoßen, und Agnes muß sich von Papst Innocenz laut eine Ehebrecherin schelten lassen. Unter der Geißel des Interdicts stellt der König die erste Ehe wieder her, und verweist Agnes nach Schloß Poissy: hier ist sie, gebrochenen Herzens, im Jahr 1201 gestorben.
Verstehen wir nun die Wetter, die über Hedwig daher gehen, den Druck, mit dem die aus Schuld und Verhängniß zusammengewobenen Geschicke dieser Fürstenhäuser auf diesem zarten Herzen gelastet haben mögen? Wir haben es mit einer nach Christi Vorbild ringenden und doch zur Klarheit Seines Antlitzes nicht durchgedrungenen Seele zu thun. Darf es nicht das Geheimniß jener Bußdienste gewesen sein, dies Leben darbringen zu wollen als Opfer für die Missethaten der Blutsgemeinde? Es ist dies recht eigentlich die Signatur des Mittelalters, daß Tugend und Laster, Großthat und Unthat in gigantischen Maaßen einander entgegentreten, Welt und Kirche durch eine unermeßliche Kluft getrennt erscheinen. Dies meranische Haus scheint mehr als einmal berufen, die ganze Wucht dieser Gegensätze an sich und seinen Schicksalen zu erfahren und für Mit- und Nachwelt zur Darstellung zu bringen. Erinnere man sich, daß die Tochter Gertruds der Ungarnkönigin die heilige Elisabeth war. Viel jünger als die Mutterschwester scheint sie dem Beispiel dieser zu folgen, und doch geht sie ihr wieder in der Vollendung und in hohem Nachruhm bei der Christenheit voran. Wie sich ja leicht erkennen läßt, sind die Ueberlieferungen von Beiden in manchem Punkte verwandt. Auf den ersten Blick könnte uns der Argwohn beschleichen, daß wir hier die Abwandelung derselben Formel in zwei Exempeln vor uns hätten; so wie wir näher herzutreten, zeigt sich uns die durchgreifende Verschiedenheit individueller Gestalten, die einander erklären und ergänzen und deren jede die Wahrheit der andern erhärtet; zwei Zweige von demselben Baum genommen, über alle räumliche Ferne hinaus in einer Art Sympathie des Wachsthums und doch jeder von seiner Sonne abhängig. Bei Elisabeth drängt sich Alles zu enger Bühne zusammen und läuft deshalb auch schneller ab: der zartesten Selbstverleugnung tritt in Heinrich Raspe die roheste Selbstsucht unmittelbar gegenüber: auch die Ascetik ist hier nicht Selbstgespräch der kämpfenden Seele, sondern Zwiesprach der Heiligen mit dem strengen Meister, Conrad von Marburg. So hat Elisabeths Bild mehr dramatischen Reiz; Hedwig aber, in dem Conflikt zweier großer Volksthümlichkeiten webend, zwischen den glücklichen Fortgang der abendländischen Cultur und eine der größten Gefahren, die diese jemals bedroht haben, den Erguß von Dschingischan’s Horden, gestellt – ist, daß wir das Wort wagen, von höheren geschichtlichen Gnaden.
Solche Erscheinungen nun haben auch für unsere Tage einen hohen Werth. Sie belehren über Beides: die Nothwendigkeit der Reformation und das Ungemeine ihrer Aufgabe. Wir sehen noch einmal die Gefangenen Zions der Befreiung warten, wir hören noch einmal flehende Stimmen wie jene des alten Bundes: aber wir empfinden auch, daß es kein Geringes um den Glauben ist, der leisten soll, was die Dienste dieser Inbrunst, die Werke dieser Weltentsagung nicht zu leisten vermochten. Das Eine erfüllt uns mit Dankgefühl gegen Gott, der uns aus der Finsterniß zum Licht geführt und uns von der Arbeit, damit die irdischen Zeiten Sein Reich vorbereiten sollen, ein höheres und freudigeres Tagewerk anvertraut hat. Das Andere mahnt uns zu demüthigem Bekenntniß der schweren Verirrungen, denen eben unser Weg und unser Ziel uns aussetzt, und von denen unsere Geschlechter wahrlich nicht frei geblieben sind.
Wie nun Hedwig dem Christenthum des Mittelalters, der Römischen Kirche unauflöslich verknüpft ist, so kann sie auch des Wunders nicht entbehren: es dringt schon in ihr Leben ein; es umgiebt ihren Sarkophag. Dem Zeugniß der Wunder folgt die Heiligsprechung durch Papst Clemens IV. 25. März 1267. – Evangelische Christen, brauchen wir uns nicht daran zu erinnern, daß wir von Niemandes Vollmacht selig zu sprechen oder zu verdammen wissen: uns genügt, wenn wir schüchtern und doch mit Zuversicht sagen dürfen, „daß ihr die Krone der Gerechtigkeit beigelegt ist, die der Herr der gerechte Richter an jenem Tage Allen geben wird, die Seine Erscheinung lieb haben.“ Aber seine geschichtliche Bedeutung dürfen wir jenem Akt der Canonisation doch nicht aberkennen. Hedwig ward damit die Patronin des schlesischen Katholicismus. Als Stammmutter der Piasten von Niederschlesien zugleich zu den Ahnen des preußischen Königshauses zählend, galt sie nach der preußischen Eroberung als die natürliche Vermittlerin zwischen der neuen Dynastie und den Katholiken des Landes, die im Bewußtsein der schweren Schuld, welche ihre Kirche gegen die evangelischen Mitbrüder auf sich geladen hatte, eine solche Fürsprecherin gern anriefen. Auch die Denkweise des 18. Jahrhunderts hatte die Achtung vor derlei schirmherrlichen Rechten nicht ganz verloren: in den Kreisen des Philosophen von Sanssouci stellte man wohl im Scherz und doch mit gutem Sinn Hedwig dem wie bekannt zu gutem Theil auf Trug beruhenden erst mit der katholischen Restauration des 17. Jahrhunderts eingedrungenen Ansehn des heil. Nepomuk entgegen: man sah in diesem Oestreichs Mann, und preist sie als Vorkämpferin der Preußen. Im Zusammenhange damit ist es, daß als der katholischen Kirche die nach Maaßgabe der Zeiten ungemeine Gunst zu Theil ward, an dem stattlichsten Platze der preußischen Hauptstadt ein Gotteshaus errichten zu dürfen, dies der heil. Hedwig geweiht ward. So hat die Heilige ihren Sitz inmitten unserer Königsschlösser bekommen – ein Symbol des unvergleichlichen Dienstes, den diese Monarchie an der Versöhnung der Zeitalter der Kirche hat, und eine Hinweisung auf die Früchte, die sie einst mit den Tagen des großen Gottesfriedens heimbringen wird.
Siegfried Hirsch in Berlin
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862