Georg Major, geb. den 25. April 1502, kam für an den Hof Friedrich’s des Weisen, wo er auf churfürstliche Kosten unter den Capellknaben erzogen wurde. Schon 1521 erlangte er das academische Bürgerrecht. nachdem er zuerst, vorzugsweise unter Melanchthon, Philosophie studirt und die Magisterwürde erworben hatte, widmete er sich den theologischen Studien. Mit Eifer und Erfolg hörte er die öffentlichen Vorlesungen; aber am segensreichsten wurde ihm der Privatverkehr mit Luther und Melanchthon, die den strebsamen Jüngling liebten, ihre Controversen in seiner Gegenwart zu verhandeln sich nicht scheueten und seine wissbegierigen Fragen freundlich und eingehend beantworteten. Befriedigt in dieser Geistesgemeinschaft lebte Major in Wittenberg, lernend und wahrscheinlich auch lehrend, viele Jahre. 1528 verheirathete er sich mit Margarethe von Mochau und 1529 wurde er unter Luther’s Mitwirkung an Caspar Creutziger’s Stelle zum Rector der Magdeburgischen Schule ernannt. Bald wurde dies auf seinen Betrieb aus dem beschränkten Kloster der Augustiner in das geräumigere der Franziskaner verlegt, worüber letztere heftig grollten. Nach siebenjähriger treuer Wirksamkeit übernahm er die Superintendentur zu Eisleben und noch in demselben Jahre (1536) die Predigerstelle an der Schlosskirche und eine Professur zu Wittenberg. 1544 empfing er das theologische Doctordiplom und 1546 vertrat er die Protestanten auf dem, freilich fruchtlosen, Gespräche zu Regensburg. Im schmalkaldischen Kriege musste er mit seiner Gattinn und zehn Kindern aus Wittenberg fliehen und lange umherirren. Doch ungeachtet des eigenen Elends nahm er sich der Wittwe Luther’s thatkräftig an. In Verbindung mit Melanchthon geleitete er sie nach Braunschweig, das den Vertriebenen ein freundliches Asyl bot. Schon auf der Reise von Magdeburg nach Braunschweig hatten Luther’s Wittwe und Major’s Familie durch den Rath zu Helmstädt eine ansehnliche Unterstützung empfangen. Die gebeugte Katharina hatte ihre Hoffnung auf den König von Dänemark gesetzt und wünschte in dessen Ländern zu leben. Major war bereit, sie auch dahin zu führen und hatte sie schon bis Gifhorn, drei Stunden nördlich von Braunschweig, geleitet, als das erfreuliche Anschreiben, das allen entflohenen Wittenbergern willkommene und sichere Aufnahme verhiess, sie wie ihn zur Rückkehr nach Wittenberg veranlasste. Gegen Ende des Jahres (1547) wurde Major von den Herzögen Moritz und August zum Superintendenten in Magdeburg ernannt, genoss dort die belebende Gemeinschaft des Stifts-Coadjutors, Fürsten Georg von Anhalt, nahm aber schon im Februar des folgenden Jahres an der wiederhergestellten Universität sein altes Lehramt wieder ein. Mit Ausnahme des Jahres 1551, in welchem er als Superintendent den Mansfeldschen Kirchen vorstand, lebte er in Wittenberg bis an sein Ende. Seine Liebe zum Frieden brachte ihm grossen Unfrieden; trübe und stürmisch war sein Lebensabend. Im Triebe der Vermittelung vermochte er dem Leipziger Interim nicht zu widerstehen, und die bei der Berathung über dasselbe von Melanchthon ausgesprochene Proposition, dass gute Werke zur Seligkeit nothwendig seien, machte er zur Abwehr ärgerlicher Deutungen des Lutherthums zu der seinigen. In verschiedenen Schriften von den Gnesio-Lutheranern, vorzüglich von Amsdorff, angegriffen, erklärte er in seiner Erwiderung „auf des ehrenwürdigen Herrn Niclas von Amsdorff’s Schrift“ (Wittenberg 1552. 4.): „Das bekenne ich, dass ich also vormals gelehret und noch lehre und fürder alle mein Lebtag also lehren will, dass gute Werke zur Seligkeit nöthig sind, und sage öffentlich und mit klaren Worten, dass Niemand durch böse Werke selig werde, und dass auch Niemand ohne gute Werke selig werde, und sage mehr, dass wer anders lehret, auch ein Engel vom Himmel, der sei verflucht.“ Doch verwahrte er sich schon damals gegen Missverständnisse mit den Worten: „Dass, wiewohl wir also lehren, dass die Werke zur Seelen Seligkeit von Nöthen, dass dennoch solche gute Werke Das nicht wirken oder verdienen können oder mögen, dass uns die Sünde vergeben, die Gerechtigkeit zugerechnet, der heilige Geist und das ewige Leben gegeben werden; denn solche herrliche, himmlische Güter sind uns allein durch den Tod unseres einigen Mittlers und Heilands Jesu Christi erworben und müssen allein durch den Glauben empfangen werden. Dennoch müssen auch gute Werke, nicht als Verdienst, sondern als schuldiger Gehorsam gegen Gott vorhanden sein.“ In einer 1552 gehaltenen und 1553 (Leipz. 4.) herausgegebenen Predigt „von St. Pauli und aller Menschen Bekehrung“ nimmt er zwar entschieden gegen die Papisten und das Augsburger Interim die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben in Schutz, giebt aber an verschiedenen Stellen, u.a. durch die nachfolgenden, seinen Gegnern zur Verketzerung Anlass: „Das ist nun der Grund dieser Proposition und Lehre, dass neuer Gehorsam oder gute Werke in den Gläubigen, so nun neu geboren und Kinder Gottes sind, darum nöthig sind, dass sie nicht durch Unglauben und böse Werke und durch Sünde wider das Gewissen und Seligkeit wieder verlieren und aus der Gnade, die sie durch den Glauben erlangen, wieder in Ungnade Gottes und aus dem Leben wieder in den Tod fallen.“ „Wenn ich sage, dass gute Werke den Gläubigen und Kindern Gottes nöthig sind, dass sie die erlangte Freiheit von Sünden und Tod nicht wieder verlieren, welche sie durch Christum haben, und der ausgetriebene böse Geist nicht wieder in sie fahre, und mit ihnen das Letzte ärger werde, denn das Erste, so beladen wir hiemit nicht der Gläubigen Geist und Gewissen, welches von allen Gesetzen befreiet, sondern beladen allein das Fleisch und den alten Adam und vermahnen ihn, dass er nicht geil und fürwitzig werde und nicht den Lüsten des Fleisches, sondern dem Geiste Gottes folge; lehren nicht, wie er gerecht, frei und selig werde, sondern wie er leben und sich halten soll, dass er die vorerlangten Güter, die er durch Glauben empfangen, nicht verliere, sondern im Glauben und guten Gewissen behalte.“ Besonders waren es Flacius, Gallus, Amsdorff und Wigand, die ihn des Abfalls von der reinen Lehre des Evangeliums beschuldigten und in vielen deutschen Kirchen ein wahres Zornfeuer gegen ihn anzündeten. Die geistlichen Ministerien zu Mansfeld, Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Magdeburg und später auch das zu Braunschweig erliessen öffentliche Declarationen gegen die Propositionen Major’s und bezeichneten sie als offenbaren Widerspruch gegen die Augsburgische Confession. Doch fehlte es auch nicht an Theologen, welche den Sinn derselben dahin verstanden, dass die guten Werke nicht als Verdienst, sondern als unausbleibliche Folge und Probe des selig machenden Glaubens betrachtet waren. Landgraf Philipp von Hessen urtheilte in einem Briefe an Johann Friedrich über die streitenden Parteien, „dass sie in den Reden ungleich sind und in der Substanz und Sinn einig.“ Die Wittenberger hielten den Satz nur für missverständlich, nicht für irrig, und Major behielt seine Professur. Er selbst behauptete fortwährend seine Übereinstimmung mit der Augsburgischen Confession; doch erklärte er in seinem „Artikel von der Justification“ (Wittenberg 1554. 4), „dieser Worte: gute Werke sind zur Seligkeit von Nöthen, von wegen der falschen Deutung nicht weiter zu gebrauchen, – wie ich mich denn deren Worte schon etliche Jahre enthalten.“ Auch unterschrieb er die von Jacob Andreä 1569 aufgesetzten Vereinigungsartikel. Dennoch blieben die Gnesio-Lutheraner, welche die Major’sche Proposition nicht interpretirt und aufgegeben, sondern cassirt wissen wollten, unbefriedigt, und erst die Concordienformel (Art. 4) endigte die mit grosser Erbitterung geführten Streitigkeiten (1577). Was Major während derselben gedacht und gelitten, spiegelt sich in seiner commonefactio historica (vom Jahre 1567), worin er u. A. sagt: „Weil mich die Flacianische Rotte wegen der Nothwendigkeit der Werke in dem Wiedergeborenen gräulich angeklagt und teuflisch durchgezogen hat, auch mich beschuldigt, als hätte ich gelehrt, dass die Werke zur Seligkeit nöthig seien in solchem Verstande, dass nach der papistischen und origenistischen Synekdoche die Werke mit dem Glauben die Vergebung der Sünde verdienen und eine Ursache der Rechtfertigung vor Gott seien: so bezeuge ich vor Gott, dass sie mir das höchste Unrecht thun und gethan haben, von welchem sie mir vor dem Richterstuhle des Sohnes Gottes Rechenschaft geben müssen, an welchen ich in diesem meinen höchsten Alter, als den gerechtesten Richter und Herzenskündiger, der in mein Inneres sieht, appellire. Ich habe niemals weder gemeint, noch gelehrt, dass die Werke einige Ursache der Rechtfertigung seien, sondern mit der stetigen Übereinstimmung der Schrift und der allgemeinen Kirche Christi habe ich dafür gehalten und gelehrt, dass die ganze Wohlthat der Erlösung und Seligmachung aus Gnaden geschehe, der Barmherzigkeit Gottes und dem Verdienst seines Sohnes, unseres einigen Heilandes Jesu Christi, zuzuschreiben sei und allein durch den Glauben angenommen werde. Ich habe aber deutlich bezeuget, dass ich diesen Satz: die Werke sind nöthig zur Seligkeit, hinfüro nicht mehr brauchen wolle, weil er mit seiner Zweideutigkeit Etliche gestossen. In diesem Bekenntniss will ich mit Gottes Hilfe leben und sterben, der ich schon den einen Fuss im Grabe habe, und mit diesem Gewissen will ich vor den Richterstuhl des Sohnes Gottes treten, welchem, weil er alle meine Gedanken und Werke weiss, auch bewusst ist, dass ich seiner Ehre und Gütigkeit Nichts jemals entzogen, sondern, dass es mir von meinen Feinden fälschlich Schuld gegeben worden.“
Ausser den Verfolgungen von Seiten der Theologen, welche ihn in innerster Seele angriffen, aber nicht brachen, hatte Major schwere häusliche Leiden zu erdulden. Zuerst starben ihm sechs Söhne, unter ihnen einer in Folge des Bisses von einem tollen Hunde; sodann mehre Enkel und zuletzt eine Tochter. Aber im tiefsten Schmerz sprach Major oft: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobet! Haben wir Gutes empfangen von Gott, und sollten das Böse nicht auch annehmen? Endlich wankte seine Gesundheit, und nach dreijährigem Krankenlager starb er im hohen Alter zu Wittenberg am 27. November 1574. Er wurde ehrenvoll in der Schlosskirche bestattet, und sein dortiges Grabmal enthält die Worte: „Er ruhet in Christo und hat dieses Lebens Arbeit, Sorgen, Schmerzen und Elend überstanden; was er gelebt hat, hat er im Glauben des Sohnes Gottes gelebt, der ihn geliebt und sich selbst für ihn dahin gegeben.“
Von Major’s Predigten rühmt Luther: „Mit der Schlosskirche steht’s also, dass die Leute ihn (Major) sehr gern hören; denn er lehrt sehr wohl, dass ihm die Stadt und Universität (so viel deren hineingehen) trefflich Zeugniss geben, ohne dass ich sonst wohl weiss, dass er geschickt ist und mit Fleiss der Sachen sich annimmt. Auch da er Doctor ward, schon die Leute anfingen zu klagen, er werde durch die Lection vom Predigen gerissen werden; denn ich auch selbst lieber wollte einen guten Prediger behalten, weder einen guten Leser“ (Brief an Churf. Joh. Friedrich, vom Neujahrstage 1545). Die von ihm erhaltenen Predigten tragen das Gepräge melanchthonischer Klarheit, Überzeugungskraft und Milde. Sie zerfallen in, zuweilen sehr zahlreiche, Artikel, die nicht ohne dialectische Virtuosität auseinandergehalten sind, auch ihren unverkennbaren Zusammenhang haben, aber nur selten durch ein ausgesprochenes Thema verknüpft werden.
Von Major’s Schriften sind bemerkenswerth: Annotationes ad psalmos Davidis. Argent. 1556. 8. Enarratio epistolae ad Ebraeos. Witeb. 1571. 8. Trostschrift sammt Auslegung Joh. III: Also hat Gott cet. Witeb. 1554. 8. De uno Deo et tribus personis. Witeb. 1569. 8. Vitae patrum Witeb. 1544. 8. Commonefactio historica de statu ejus temporis quod Evangelii lucem praecessit cet.; cui inserta est breviter confessio postrema D. G. Majoris de doctrina justificationis et bonorum operum. 1567 (opera, T. 1. p. 1199 seqq.). Bekenntniss von dem Artikel der Justification. Wittenb. 1559. 8. Wiederholung und endliche Erklärung der Bekenntniss D. Georg Majoris von dem Artikel der Justification. Wittenb. 1567. 4. Trostpredigt für alle betrübten Gewissen. Wittenb. 1542. 16. Zwo Predigten von zweierlei Gerechtigkeit des Gesetzes und Evangelii. Wittenb. 1550. 4. Dreizehn Predigten von den fürnehmsten Festen unseres Herrn Jesu Christi. Wittenb. 1563. 4. Leichpredigt auf Herzog Georg von Anhalt. Dessau 1553. 8. Oratio de principe Georgio in Anhalt recitata in renunciatione publici testimonii Henrici Stenii. Witeb. 1554. 12.
Siehe Adami Vitae. p. 223 seqq. Arnold’s Kirchen- und Ketzerhistorie. Th. 2. B. 16. Cap. 27. Schröckh’s Abbildungen und Lebensbeschreibungen berühmter Gelehrten. Dritte Sammlung. S. 251 ff.
Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856
Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856