Sebastianus, Hauptmann zu Rom.

In den folgenden Jahrzehnten genoß die Kirche der Ruhe. Aber am Wendepunkte des Jahrhunderts gab die Regierung der Kaiser Diokletianus und Maximianus Herkulius den Christen auf’s Neue Gelegenheit, auch in schwerer Pein dem Worte nachzuleben: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“ (Offb. 2, 10.). Der dritte Mitkaiser Carinus war den Christen günstig und hielt die Verfolgung auf. Als er aber am Rheine gestorben war, gewann der blutige Zorn der Feinde freien Raum. Es erschien ein Gebot, daß Jedermann den Götzen opfern sollte. Um dies zu erzwingen, wurden an Marktplätzen und Brunnen kleine Götzenbilder aufgestellt; wer kaufen und verkaufen oder Wasser schöpfen wollte, mußte diesen räuchern. Unter den Ersten, welche in Rom ihr Leben gewannen, indem sie es um Christi willen verloren, war derjenige, dessen Todestag die alten Urkunden mit dem des Fabianus, nur etwa vierzig Jahre später, zusammenfallen lassen. Er hieß Sebastianus. Das Glaubwürdigste, was sich über seine Geschichte auffinden läßt, ist etwa Folgendes.

Ein Mann aus Narbonne in Frankreich hatte eine Mailänderin zur Frau. Als er starb, zog die Witwe mit ihrem Söhnlein in die Heimath. Hier wuchs der junge Sebastianus kräftig auf. Er wurde ein Kriegsmann. Wie und wann er aber dem besten Feldherrn mit der Kreuzesfahne sich zugesagt habe, ob in den Jahren der Reife mit männlichem Beschluß, oder schon in der Kindheit durch mütterliche Zucht und Vermahnung zum Herrn, das ist uns verborgen. Genug, daß wir wissen, wie er seinen christlichen Lauf vollendete. Zu einer Zeit, in welcher die Verfolgung noch nicht allgemein oder wenigstens Mailand nicht von ihr betroffen war, ging Sebastianus nach Rom und trat in kaiserliche Dienste. Hier zeichnete er sich durch Besonnenheit und Treue so aus, daß er zum Hauptmann einer Schaar aus der kaiserlichen Leibwache ernannt wurde. Die Soldaten liebten ihn wie einen Vater. Der Waffenrock barg sein Christenthum. Jedoch nicht aus Liebe zur Welt hielt er dasselbe heimlich, sondern, wie der Erfolg bewies, nur um den gefangenen Christen seinen Glaubenstrost und hülfreichen Zuspruch nicht durch voreiliges Märtyrerthum zu entziehen. Das Licht konnte aber nicht lange unter dem Scheffel bleiben. Zwei Brüder, Marcus und Marcellianus, waren als Christen gefangen im Hause des obersten Schreibers, und sollten enthauptet werden. Ihr alter Vater Tranquillinus erbat von dem Richter eine Frist, um sie durch Bitten zu gewinnen. Nun stürmten alle ihre Angehörigen auf sie ein. Die Eltern, die Frauen, die Kinder und Freunde suchten ihre Herzen durch die zärtlichsten Vorstellungen zu bewegen, daß sie von ihrer Weigerung des Götzenopfers ablassen, und sich nicht unerbittlich der Liebe der Ihrigen rauben möchten. Schon fingen die Brüder an zu wanken. Da trat aus den Anwesenden Sebastianus hervor, und rief den Gefangenen zu: „Muth, ihr tapfern Kämpfer Christi! Ihr habt ja die Palme des siegreichen Bekenntnisses schon ergriffen; wollt ihr sie wieder fahren lassen? Der Feind liegt schon besiegt; wenn ihr ihm den Fuß vom Nacken nehmt, wird er nur grimmiger. Jene Weinenden selbst würden sich mit Euch freuen, wenn sie vom ewigen Leben ohne Leid und Tod wüßten, was ihr wißt. Sie würden sogar mit euch eilen. Was ist es doch um das treulose gegenwärtige Leben, welches alle seine Liebhaber hintergeht, ja sie in Lüste und Laster verstrickt? Es gibt dem Trunkenen seinen Rausch und lockt den Unkeuschen in den Schiffbruch seiner Scham. Es treibt den Dieb zum Raube und erfüllt den Zornigen mit Wuth. Es nimmt dem Weisen die Klugheit und dem Richter die Gerechtigkeit und den Sitten die Zucht. Um seinetwillen unterdrückt der Mächtige den Armen, plagt der Bösewicht den Unschuldigen und erwürgt der Räuber den Wandersmann. Nachdem aber dies unselige Leben im Fleisch die Fleischlichen in seine Dienstbarkeit gezwungen hat, übergibt es sie seinem Sohne, dem ewigen Tode. Mit solch einem Leben“, so fuhr Sebastianus zu den Freunden der Bekenner gewendet fort „wollt ihr eure Geliebten um das ewige betrügen? Was ihr ihnen in den Sinn geben wollt, ist nicht Freiheit sondern Untergang.“ Dann schilderte Sebastianus den entzückenden Frieden der ewigen Seligkeit und die Qual der ewigen Strafen; im Vergleich mit diesen sei das kurze Leiden des Märtyrerthums wie nichts zu achten. „Unsre Thränen lasset Freude werden. Wie können wir denn diejenigen als Sterbende beweinen, welche mit Christo ewig herrschen werden? Siehe, dies ist der Tag, an welchem der Feind überwunden wird, indem er zu überwinden sich dünken läßt. Unsere Augen werden aufgethan, und wir können mit dem Propheten singen: Er hat eine Grube gegraben und ausgeführet, und ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat“ (Ps. 7,16.). So sprach Sebastianus, mit dem Soldatenmantel bekleidet und umgürtet mit seinem Gürtel. Aber die Umstehenden meinten sein Antlitz von himmlischem Glanz umleuchtet zu sehen. Die Brüder waren gestärkt, die Verwandten erschüttert. Das muthige inbrünstige Zeugniß von Christi Wahrheit hatte sie besiegt. Sie ergaben sich dem Herrn. Auch Zoe, die Frau des obersten Schreibers, und endlich dieser selbst, wurden gewonnen. Der Kriegsmann hatte Frieden gesäet, und Gott das Gedeihen gegeben.

Später kamen die Angeklagten mit den Ihrigen in die Gewalt des obersten Befehlshabers der Stadt, Namens Chromatius. Als der greise Tranquillinus vor diesen gebracht und von ihm gefragt wurde, ob er nicht wisse, welche Martern die Kaiser drohten? antwortete er: „Wenn man von wüthenden Hunden umgeben ist, und von ihnen angefallen und gebissen wird, kann man alsdann wohl aus seiner Seele verlieren, daß man ein vernünftiger Mensch ist, jene aber Hunde, unvernünftig und rasend? So können die Kaiser zwar gegen uns toben und uns zu Tode bringen, doch nie aus unseren Herzen die Ueberzeugung reißen, mit welcher wir an Jesum Christum unsern Schöpfer und Heiland glauben und uns dessen freuen.“

Auch Chromatius wurde gläubig. In seinem Hause versammelten sich fortan die Christen. Sein Ansehen deckte sie eine Zeit lang. Doch um so gefährlicher wurde bald der Eifer des Verdachts. Nach Niederlegung seines Amtes zog er sich auf sein Landgut in Campanien zurück, und nahm viele Christen mit sich, deren Glaube noch zu jung und unreif war, um den drohenden Schrecknissen Trotz zu bieten. Zwischen Sebastianus und dem Presbyter Polycarpus erhob sich ein christlicher Wettstreit, wer von beiden in der Stadt bleiben und der Siegespalme entgegen gehen dürfe. Der Bischof Cajus entschied, die Gemeinde solle nicht beider beraubt werden, sondern nur Sebastianus mit ihm bleiben, der Andere aber unter den Ausgewanderten sein Amt üben. Nun hatte Gott dem Häuflein der Zurückbleibenden wieder eine Zufluchtsstätte für ihre Versammlungen bereitet. Einer von den kaiserlichen Kämmerlingen Namens Castulus, der auf dem Palatinischen Hügel mitten am kaiserlichen Hofe wohnte, war ein entschiedener Christ. Amt und Wohnung ließ keinen Argwohn aufkommen. Er nahm die Brüder Bei sich auf, und verbarg ihren Gottesdienst in den obersten Kammern des Palastes. Dorthin kamen von Zeit zu Zeit einzelne Männer und Frauen aus der Stadt, welche das Heil suchten. Den bewährtesten unter den Gläubigen wurden vom Bischofe die erledigten Aemter ertheilt. Von Sebastianus wird berichtet, daß schon er den nach einigen Jahrhunderten öfter wiederkehrenden Titel, „Vertheidiger der Kirche“ empfangen habe.

Jedoch endlich ergriff die Flamme der feindlichen Wuth auch diese Hütte Gottes bei den Menschenkindern. Einer nach dem andern von den standhaften Jüngern des Herrn wurde getödtet. Der Tiberfluß, das Meer, oder verschüttete Sandgruben nahmen die Leichen auf, welche der Haß vor der Liebe verbergen wollte. Sebastianus durch seine weltliche Stellung lange gesichert, wurde endlich vom Richter bei dem Kaiser verklagt. Diokletian forderte ihn vor sich, und sprach zu ihm: Ich habe dich immer unter den Ersten meines Gefolges geehrt; und nun hast du so lange schon heimlich gegen mein Wohl die Götter beleidigt?“ Sebastianus aber antwortete: „Für dein Wohl, o Kaiser, habe ich immer Christum angerufen, und für den guten Bestand des Römischen Reiches immer den angebetet, der im Himmel ist. Denn ich erwägete, daß von Steinen Hülfe erbitten, etwas ganz Unsinniges und Nichtiges ist.“ Da wurde der Kaiser zornig, und beschloss, den kühnen Mann recht zum Hohne seines bisher ehrenvollen Standes sterben zu lassen. Er befahl, man solle Sebastianus auf ein offenes Feld führen, ihn anbinden und wie nach einer Zielscheibe mit Pfeilen nach ihm schießen. Zahllose Geschosse durchbohrten ihn, und starrten aus den blutenden Gliedern hervor. Ob keinem von denen, welche ihren Bogen auf den einst geachteten Führer spannten, die Hände zitterten?

Sebastianus Leichnam wurde mit Haken in die große Kloake geschleppt, welche seit Jahrhunderten den schlammigen Unrath Roms unter den Füßen des täglichen Getümmels dem Flusse zuschwemmte. Bei Nacht kam eine Christin, Lucina, mit ihren Dienern, hob ihn auf und, brachte ihn in die Katakomben. Dort wird in einer kleinen Kapelle unter dem Boden der Kirche, die seinen Namen trägt, noch jetzt sein Gedächtniß gefeiert. Er hat einen guten Kampf gekämpft. Seinen rüstigen Muth stellen die Maler in jugendlichen Formen dar. Nur ein altes Mosaikbild in einer Kirche am Aventinischen Hügel zeigt den bärtigen Mann. Die Christenheit hat sein Leben theils vergessen, theils durch Fabeln entstellen lassen. Es ist mit Christo verborgen in Gott.

S. Heing in Rom.