Nikolaus Ridley, Bischof von London.

Unter den Führern der Reformation in England giebt es Männer, welche der Zeit nach früher, der Geisteskraft und Gabe nach bedeutender, dem Erfolge nach siegreicher eingegriffen haben, als Ridley; aber es giebt keinen, welcher an Reinheit des Charakters, an Redlichkeit, Treue und Standhaftigkeit bis zum Märtyrertode ihn übertroffen hätte. Nikolaus Ridley wurde ums Jahr 1500 in Northumberland, der nördlichsten Grafschaft von England geboren. Als Knabe erlernte er die Elemente der alten Sprachen in der Stadt Newcastle am Tyne; er bezog dann die Universität Cambridge, der er sein Lebenlang eine ehrerbietige dankbare Liebe bewahrt hat. Seine geistige und geistliche Entwicklung scheint einen ganz allmähligen, stetigen Gang genommen zu haben, so daß wir keinen Moment der Erweckung bei ihm nachzuweisen vermögen. Er ist jederzeit ein geistreicher, tugendhafter, eifriger Freund der Wahrheit gewesen; aber nur Schritt vor Schritt ist ihm das volle Licht der Wahrheit aufgegangen. Als Studirender beschäftigte er sich auf Spaziergängen im Garten des Pembroke-Collegiums damit, die paulinischen Briefe, ja alle neutestamentlichen Briefe im Grundtext auswendig zu lernen. Angesichts des Todes hat er sich dessen noch gefreut und bezeugt, das sei ihm sein Lebenlang zu gute gekommen, und wenn auch mit der Zeit vieles seinem Gedächtniß entschwunden sein möge, so hoffe er doch den süßen Duft davon mit in den Himmel zu nehmen. Nach Vollendung seiner Studien begab er sich auf Reisen nach den Universitäten Paris und Löwen. Im Jahre 1529 kehrte er nach Cambridge zurück. Und da man seine Gelehrsamkeit und seinen Charakter allgemein achtete, so wurde er nach und nach zu verschiedenen akademischen Würden und zu mehreren Aemtern an der Universität befördert: er wurde Kaplan der Universität, 1533 Proctor (ein Amt der Aufsicht und Disciplin über die Studirenden), nachher Lector publicus. Zugleich war er Fellow eines „Collegiums,“ und 1540 wählte man ihn zum Vorstand des Pembroke-Collegiums; in demselben Jahr erlangte er auch die theologische Doctorwürde. Indessen beschränkte sich seine Thätigkeit nicht ausschließlich auf die Wissenschaft und die Universität. Im Jahre 1534 ließ Heinrich VIII., nachdem Papst Clemens VII. in der Ehesache des Königs gegen ihn entschieden hatte, alle geistlichen Körperschaften des Landes, insbesondere auch die Universitäten Oxford und Cambridge, zu Gutachten auffordern über die Frage: ob dem Papst laut der heiligen Schrift irgend eine größere Gerichtsbarkeit in England zustehe, als jedem andern ausländischen Bischof? An der Berathung über diese Frage innerhalb der Universität Cambridge betheiligte sich Ridley besonders eifrig, im Sinne einer Emancipation der anglikanischen Kirche von der Oberherrschaft des Papstes. Dadurch wurde er, wie es scheint, dem damaligen Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, näher bekannt. Dieser berief ihn zu sich, und übertrug ihm, um ihn in seiner Nähe zu haben, 1538 die Pfarrstelle zu Herne in Kent, nur einige Stunden von Canterbury entfernt; auf der Markung dieser Parochie stand damals ein Landsitz des Erzbischofs, den Cranmer häufig bewohnte.

 

Nun war Ridley Pfarrer und Seelsorger geworden, ohne darum seine Stellung an der Universität aufgeben zu müssen. Er predigte fleißig in seiner Pfarrkirche, und zwar in evangelischem Geiste; nur hielt er noch an der römischen Lehre von der Wandlung im Sakrament des Altars fest. Bis dahin schien Ridley ganz der Denkart seines Königs zugethan zu sein, welcher zwar die Oberherrschaft des Papstes über die Kirche von England abgeschüttelt, aber dafür sich selbst die Suprematie über die Landeskirche zugewandt hatte, die Bibel in der Landessprache verbreiten ließ, aber an der Messe mit aller Zähigkeit festhielt. Als aber der König das blutige Statut der 6 Artikel vom 28. Juli 1539 erließ, wodurch er unter Androhung der härtesten Strafen die Lehre von der Wandlung, die Kelchentziehung und die Privatmessen, die Ohrenbeichte und den Cölibat sanctionirte: scheute sich Ridley nicht, diese Maßregel offen und nachdrücklich zu misbilligen. Dessen ungeachtet traf ihn die Ungnade des Königs so wenig als seinen Gönner, den Erzbischof. Es war sein Glück, daß er noch an die Wandlung im Abendmahl glaubte und unverehelicht war. Cranmer ernannte ihn zu seinem Caplan und übertrug ihm eine Domherrnstelle im Kapitel von Canterbury. Theils der Umgang mit Cranmer, theils das Studium der Streitschrift von Ratramnus gegen Radberts Lehre von der Wandlung, theils fortgesetztes Schriftstudium, führten Ridley seit 1540 zu der Einsicht, daß es mit der Lehre von der Wandlung nichts sei. Immerhin trat er, so lange Heinrich VIII. auf dem Throne saß, nie maßgebend hervor.

 

Anders gestaltete es sich seit dem Tode König Heinrichs 28. Januar 1547: unter Eduard VI. wurde er mit an die Spitze des reformatorischen Kirchenregiments gestellt. Das hatte er dem Vertrauen Cranmers zu verdanken. Denn während der Minderjährigkeit des beim Tode seines Vaters noch nicht zehnjährigen Königs, war der Erzbischof ein Mitglied der Regentschaft, an deren Spitze der Herzog von Sommerset, ein Oheim des jungen Königs, stand. Bald nach seiner Krönung (20. Februar 1547) ernannte der König den Dr. Ridley zum Hofcaplan; noch im gleichen Jahr beförderte er ihn zum Bischof von Rochester, unweit London; und ehe drei Jahre vergangen waren, erhob er ihn (1. April 1550) auf den Bischofsstuhl der Hauptstadt selbst. Auf so hohen Posten gestellt hat Ridley, dem Erzbischof Thomas Cranmer zur Seite, bei den eingreifendsten Maßregeln der englischen Reformation mitgewirkt. Als Bischof hielt er es für seine erste und heiligste Pflicht, den ihm als Oberhirten anvertrauten Gemeinden das Evangelium zu predigen. Und so pflegte er denn jeden Sonntag und Feiertag bald da bald dort zu predigen. Und zu diesen Reisepredigten des Bischofs strömte das Volk in Schaaren herbei. In Rochester war sein Wirken zwar von kurzer Dauer, aber von gesegnetem Erfolg. Das evangelische Wesen kam durch ihn in guten Gang. Und als er anstatt des Bischofs Bonner, welcher dem Fortgang der Reformation entschlossenen Widerstand entgegengesetzt hatte, 1550 zum Bischof von London befördert wurde, war es sein eifrigstes Bemühen, die Gemeinden mit frommen evangelischen Pfarrern zu versorgen. Einer der ersten Prediger, die er ordinirte, war Johann Foxe, jener berühmte Geschichtschreiber der evangelischen Märtyrer. Aber weit über seinen jeweiligen Sprengel hinaus ging seine Einwirkung auf die Kirchenordnung des ganzen Landes. Von den heute noch maßgebenden Grundbüchern der anglikanischen Kirche: Homilienbuch, Kirchengebetbuch, 39 Artikel und Katechismus, sind die zwei ersten sicher von Dr. Ridley mit bearbeitet, während zum mindesten die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Grundlage der 42 Artikel von 1552 nicht ohne Ridley’s Beirath entworfen sein dürfte. Daß aber die zwölf Homilien des Homilienbuchs (1547) von Cranmer, Latimer und Ridley verfaßt worden sind, steht geschichtlich fest. Und der erste Entwurf zu dem liturgischen Handbuch Englands, (Book of Common Prayer) wurde von einer Commission ausgearbeitet, unter deren Mitgliedern Dr. Ridley eines der hervorragendsten gewesen ist. So hat er zu der gesammten Gottesdienst-Ordnung der anglikanischen Kirche gesetzgeberisch mitgewirkt, und einen Grund legen helfen, welcher heute noch in der Hauptsache unerschüttert steht.

 

Es ist der Mühe werth, den geistvollen, einflußreichen Mann nach seiner Persönlichkeit näher kennen zu lernen. Ridley war ein Mann von wohl proportionirtem Körperbau, von heiterer Gemüthsart, wohlwollendem Herzen, freundlich und gütig gegen Jedermann; nichts lag ihm ferner, als irgend eine Beleidigung oder Unbill, die ihm angethan sein mochte, nachzutragen, geschweige zu vergelten. Er ist sein Leben lang unverehelicht geblieben. Streng gegen sich selbst, hat er alle Selbstverleugnung geübt, Gebet und Betrachtung mit emsigem Fleiße getrieben. Jeden Morgen, sobald er angekleidet war, pflegte er eine halbe Stunde lang auf den Knieen zu beten. Hierauf begab er sich in sein Studierzimmer. Dann kam er zum Hausgottesdienst, welcher Tag für Tag gehalten wurde. Auf seinem Landsitz in Fulham bei London las er bei der Andacht selber einen Abschnitt aus der Bibel vor; wer lesen konnte, bekam ein Neues Testament in die Hand. Oft und viel las er seinen Hausgenossen den 51. Psalm vor, und führte eine energische Aufsicht über dieselben. Wie er selbst gottselig und tugendhaft war, so herrschte auch in seinem Hause Tugend und Gottesfurcht. Nach dem Gottesdienst ging es zum Mittagessen; er war dabei stets mäßig und nüchtern, besonnen und weise, zu Zeiten recht heiter. Nach der Mahlzeit setzte er sich ein Stündchen zur Unterhaltung oder zu einer Partie Schach hin. Hierauf zog er sich in das Arbeitszimmer zurück und blieb daselbst, falls nicht Personen zu empfangen oder auswärtige Geschäfte zu besorgen waren, bis Abends 5 Uhr. Dann ging er zum Gottesdienst, wie Vormittags; nun folgte das Abendessen, und nach einem Stündchen Erholung ging’s wieder an die Arbeit; und Nachts 11 Uhr legte er sich regelmäßig zu Bette, nachdem er zuvor, wie des Morgens, auf den Knieen gebetet hatte. Wenn der Bischof sich in Fulham befand, so schickte er vor dem Mittag- und Abendessen Tag für Tag in ein benachbartes Haus, mit den Worten: „holt meine Mutter Bonner!“ Die alte Frau war die Mutter des papistischen Vorgängers von Ridley, Edmund Bonner, welcher abgesetzt worden war und gefangen saß. Erschien Frau Bonner, so wurde sie so ehrerbietig und freundlich bewillkommt, als wäre sie die leibliche Mutter des Bischofs Ridley, und man wies ihr den Sitz am obern Ende der Tafel an. Das that Ridley aus besonderer Güte und herzlichem Mitleiden, damit die alte Frau keinen Mangel leiden möchte. Diese Wohlthat wurde ihm übel vergolten: als nach der Thronbesteigung der Königin Maria Ridley abgesetzt, und Bonner wieder Bischof von London geworden war, vertrieb er sofort die Schwester Ridley’s und deren Ehegatten, Georg Shipside, welcher ein bischöfliches Gut gepachtet hatte.

 

Mit der Prinzessin Maria kam Ridley noch vor ihrer Thronbesteigung in Berührung. Als Kaiser Karl V. sich bei Eduard VI. dafür verwendete, daß der Prinzessin, seiner Cousine, gestattet werden möchte, in ihrer Wohnung Messe halten zu lassen, war es Ridley, der nebst dem Erzbischof Cranmer das Gesuch bei dem jungen König eifrig befürwortete, vorderhand vergebens. Später machte er den Versuch, die Prinzessin zu bewegen, daß sie eine evangelische Predigt anhören möchte; ebenfalls ohne Erfolg.

 

Nachdem Eduard VI. am 6. Juli 1553 gestorben war, versuchte der englische Adel anfänglich, Lady Johanna Gray auf den Thron zu heben. Und am ersten Sonntag nach deren Krönung hielt Bischof Ridley, auf Befehl des Geheimen Raths, eine Predigt beim St. Paul’s-Kreuz auf dem Kirchhof der Kathedrale St. Paul’s. Er forderte die Zuhörer auf, sich zu freuen, daß sie eine protestantische Königin hätten, und ihr treu zu sein; denn Prinzessin Maria würde, wenn sie zum Thron gelangte, gewiß das Land ausländischer Gewalt unterwerfen, die bereits eingeführte evangelische Lehre beseitigen, und alles zerstören, was ihr Bruder mit vieler Mühe gepflanzt habe. Ja er erzählte öffentlich, daß die Prinzessin, als er kraft seines Amtes als ihr ordentlicher Bischof sich bemüht habe, sie zum evangelischen Glauben zu führen, ihm zwar im übrigen gnädig begegnet sei, aber in Sachen des Glaubens und der Lehre sich starr und hartnäckig gezeigt habe. Diese Aeußerung wird Niemand für eine taktvolle ausgeben. Und daß er überhaupt für Johanna Gray aufgetreten ist, deren Erhebung auf den Thron eine Verletzung des klaren Erbrechts der Prinzessin Maria war, ist ein offenbarer Mißgriff gewesen. Ridley hat auch sofort dafür gebüßt. Denn als nach wenigen Tagen, Dank dem durchschlagenden Rechtsgefühl des englischen Volks, Maria als Königin ausgerufen worden war, hat es ihm nichts geholfen, daß er nach ihrem damaligen Aufenthalt, dem Schloß Framlingham in Suffolk sich begab, um die Königin zu begrüßen: er wurde kalt und ungnädig empfangen, auf der Stelle verhaftet, aller seiner Würden entsetzt, auf ein hinkendes Pferd gesetzt, und als Gefangener nach London zurückgeführt, in den Tower. Sein papistischer Vorgänger, Edmund Bonner, wurde ohne Verzug wieder als Bischof von London eingesetzt. Uebrigens sind es keine politische, sondern lediglich religiöse Anschuldigungen gewesen, wegen deren ihm der Proceß gemacht wurde. Seine Gefangenschaft hat zwei Jahre und etliche Monate gedauert. Vom Ende Juli 1553 bis gegen Mitte März 1554 war er im Tower verhaftet.

 

Anfang März 1554 kam Befehl, die drei abgesetzten evangelischen Bischöfe, Cranmer, Latimer und Ridley, aus dem Tower in London nach Windsor zu schaffen. Und in den ersten Tagen des April wurden alle drei nach Oxford übergeführt, um dort mit Theologen von der römischen Partei zu disputiren. Man setzte sie anfangs in dem gemeinsamen Gefängniß ein, genannt Bocardo; aber schon nach einigen Tagen trennte man sie: Ridley erhielt bei dem Mayor der Stadt, Namens Irish, Hausarrest; er hatte es hier schlimmer, als seine beiden Freunde, weil, wie er in einem Briefe sich ausdrückt, in dem Hause, das sein Kerker war, die Frau den Mann regierte, obwohl er Mayor der Stadt war, eine abergläubische alte Frau, welche sich in besonderes Ansehen zu bringen hoffte, wenn man ihr nachsagen könne, sie habe ihn recht strenge gehütet. Am 14. April fand eine erste Vernehmung in der Universitätskirche (Marienkirche) statt. Hier hielten sämmtliche Commissare, 33 an der Zahl, Sitzung. Nachdem zuerst der gewesene Erzbischof vernommen worden war, wurde Dr. Ridley vorgeführt. Man legte ihm die gleichen drei Fragen vor, wie dem Erzbischof, nämlich:

 

– ob im Sakrament des Altars, kraft der von dem Priester gesprochenen Worte, der natürliche Leib Christi wahrhaftig gegenwärtig sei, oder nicht?

– ob nach der Consecration im Sakrament irgend eine andere Substanz als die des Leibes und Blutes Christi, vorhanden sei?

– ob die Messe ein Versöhnungsopfer sei für die Sünden der Lebendigen und Todten?

 

Es galt lediglich der Lehre von der Messe und zwar sowohl dem Begriff der Wandlung als dem Begriff vom Meßopfer. Ridley antwortete, sobald ihm die Artikel vorgelesen worden waren, sie seien alle falsch und aus einer bittern Wurzel entsprungen. Seine Antworten waren scharf und gelehrt. Da er die römische Lehre von der Messe verneint hatte, so bot man ihm, wie seinen ehemaligen Amtsbrüdem, Disputationen darüber an. Ridley, wie auch Cranmer, nahm das Anerbieten an. Erst disputirte man mit Cranmer. Am 17. April kam die Reihe an Ridley. Er wurde in den theologischen Hörsaal geführt. Sein Hauptopponent war ein gewisser Dr. Richard Smith, während noch 13 andere Doctoren und Magister gegen ihn auftraten. Man hat ihm doch gestattet, zwei Schriftführer für sich zu wählen; der eine war Johann Jewel, später, unter Königin Elisabeth, Bischof von Salisbury. Seine Aufzeichnung ist die urkundliche Quelle dieser Disputation.

 

In Betreff des ersten Satzes (vgl. oben) bestritt Ridley mit ungemeinem Scharfsinn die römische Lehre von der Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl, als schriftwidrig, den Lehren der ältesten Väter widersprechend, und vielfachen Aberglauben begünstigend. Seine eigene Ueberzeugung sprach er dahin aus, daß das Sakrament nicht ein bloßes Zeichen des Leibes Christi, sondern die Gemeinschaft des Leibes Christi sei; sofern den gläubigen Communikanten die Gnade des Leibes Christi werde. Es war mit einem Wort die Calvinische Abendmahlslehre, zu der er sich bekannte. Bei Vertheidigung derselben legte er eine ungemeine Belesenheit in den Kirchenvätern an den Tag.

 

Den zweiten Satz (von der Wandlung) widerlegte er mit überlegener Dialektik, und bewies mit patristischer Gelehrsamkeit, daß im Sakrament des Altars auch nach der Consecration wirkliches Brod vorhanden sei. Den dritten Satz (vom Meßopfer) erklärte er für eine Beeinträchtigung des Versöhnungsblutes Christi. Nachdem er seine Ueberzeugung kaum hatte ungestört vorgetragen und begründen können, schloß er damit, daß er von dem unlängst gefällten ungerechten Urtheil über seine Person (die Absetzung betreffend) an einen, nach der englischen Kirchenverfassung competenten Richter appellirte; „sollte jedoch – fuhr er fort – diese Appellation auf Erden nicht gestattet werden, so nehme ich meine Zuflucht zu dem Urtheil des ewigen Richters, des allmächtigen Gottes, dessen gnadenvoller Gerechtigkeit ich mich und meine Sache gänzlich übergebe, nicht im geringsten zweifelnd an der Vertheidigung meines Fürsprechers und einigen Erlösers Jesu Christi, welchem mit dem ewigen Vater und dem heiligen Geiste, sei Ehre und Herrlichkeit jetzt und in Ewigkeit! Amen.“ Nun erst, nach dieser Darlegung seines Standpunktes, begann der eigentliche Disputationsakt, welcher höchst ausführlich und mehr als lebhaft geführt wurde. Denn Ridley versichert, er habe in seinem Leben noch nie eine so eitle und tumultuarische Verhandlung gesehen oder gehört, wie diese; er hätte es nicht für möglich gehalten, daß unter Männern, welche in England für kenntnißreich und gelehrt gelten, Personen sich finden würden, welche sich so frech und schamlos, so unordentlich und eitel benehmen würden. Aber am Schluß, als wäre ein ehrlicher Sieg erkämpft, forderte der Vorsitzende seine Genossen auf, den Triumpfruf anzustimmen: „Vicit veritas!“ Und das geschah denn auch.

 

Einige Tage darauf, am 20. April, hielten die Commissare wiederum eine Sitzung in der Marienkirche. Die drei Bischöfe wurden erst einzeln vorgeführt, um die Eröffnung zu vernehmen, daß sie in öffentlicher Disputation überwunden worden seien, und sich zu erklären, ob sie in Folge dessen widerrufen wollten oder nicht. Ridley verweigerte das kurz und bündig: er stehe zu dem was er gesagt habe. Hierauf wurden alle drei zusammen vorgerufen; man las ihnen das Urtheil vor, wonach sie für Häretiker erklärt und excommunicirt wurden. Hierauf äußerte sich zuerst der Erzbischof, sodann Ridley; er sagte: „obgleich ich nicht mehr zu eurer Gemeinschaft gehöre, so zweifle ich doch nicht, daß mein Name anderswo geschrieben ist, wohin dieser Urtheilsspruch uns früher senden wird, als wir nach dem Laufe der Natur hingekommen sein würden.“ Nun führte man jeden wieder in seine Haft zurück.

 

Nach mittelalterlichem Brauch hätte die Vollziehung der Sentenz nicht lange auf sich warten lassen: die kirchlichen Richter hatten die Verurtheilten nur noch dem weltlichen Arm zur Hinrichtung zu übergeben. Allein das ging jetzt noch nicht. Erst mußte die Gesetzgebung auf den früheren römischen Stand zurückgeführt werden. Dies geschah im November 1554 mit Hülfe des Parlaments. Hiemit wurden aber auch alle Schleusen der Verfolgung geöffnet. Daher ist erst das Jahr 1555 dasjenige gewesen, welches der Königin den Namen der „blutigen Maria“ zugezogen hat. So kam es, daß die Zeugen der evangelischen Wahrheit noch anderthalb Jahre lang im Gefängniß bleiben mußten, bei sicherer Aussicht auf den Märtyrertod.

 

Diese Wartezeit benützte Ridley theils dazu, die Ungerechtigkeit des Verfahrens gegen seine Person ins Licht zu stellen und eine Revision des Prozesses anzustreben, theils dazu, seine Freunde und Glaubensgenossen zu trösten und zu stärken. Seine Briefe aus der Haft, welche meist lateinisch geschrieben wurden, zeugen alle von unerschütterlicher Festigkeit des Glaubens und Freudigkeit des Hoffens, so wie von innigster Liebe zu den Brüdern.

 

Sobald der Papst wieder seine frühere Gewalt über die englische Kirche erlangt hatte, ernannte er den Cardinal Reginald Pole zu seinem Legaten in England. Und dieser ertheilte drei Bischöfen: White von Lincoln, Brookes von Gloucester und Holyman von Bristol, Vollmacht, das Verfahren gegen Ridley und Latimer zum Ziel zu führen, d. h. sie entweder zum Widerruf zu bewegen oder als hartnäckige Ketzer dem weltlichen Arm zu übergeben. In Folge dessen wurde Ridley am 30. Sept. 1555 in den theologischen Hörsaal der Universität geführt. Da saßen die oben genannten Bischöfe als Commissare des Legaten; und ein Notar verlas die Vollmacht für dieselben. Anfangs war Ridley mit entblößtem Haupte ehrerbietig dagestanden; sobald er aber den Namen des Cardinals und des Papstes, als Vollmachtgebers, nennen hörte, setzte er seinen Hut auf, und hörte fortan mit bedecktem Haupte zu. Der Bischof von Lincoln hielt ihm deshalb vor, er habe es an der nöthigen Ehrerbietung gegen die hohen Vollmachtgeber fehlen lassen. Ridley aber erklärte unverholen, daß er seinen Richtern und dem Cardinal persönlich alle Verehrung bezeige, aber die angemaßte Suprematie des Papstes und alle Auktorität Pole’s als eines päpstlichen Legaten, vollständig ablehne. Und um nicht blos mit Worten, sondern auch mit der That gegen diese schriftwidrige Auktorität sich zu verwahren, habe er seinen Hut aufgesetzt; der wurde ihm auf Befehl des Bischofs durch einen Pedell der Universität abgenommen. Nun ermahnte ihn der Bischof, er möge doch widerrufen und in den Schooß der römischen Kirche zurückkehren. Allein Ridley erklärte in ausführlicher Rede, daß er dies nicht thun werde, denn die römische Kirche sei zwar eine Mutter anderer Kirchen, nicht aber das Oberhaupt aller übrigen Kirchen. Hieran knüpfte sich eine weitere Streitunterredung über den Begriff der Kirche und die Auktorität der römischen Kirche. Dann wurden ihm 5 Sätze vorgelesen, worin seine angeblichen Irrlehren in Betreff der Messe formulirt waren. Man wollte seine Erklärung darüber entgegennehmen, und diese gab er denn mit aller Klarheit und Entschlossenheit zu Protokoll. Hierauf entließ man ihn, gestattete ihm jedoch, seine Ansichten schriftlich aufzusetzen. Tags darauf, den 1. October 1555, wurde er in die Marienkirche geführt vor die Bischöfe als Commissare, während die ganze Universität und die Bürgerschaft zugegen war. Ridley beharrte auf seinen gestrigen Erklärungen, und begnügte sich damit, seine zu Hause geschriebene Antwort auf die vorgelegten Fragen zu überreichen. Dann hielt Bischof White von Lincoln eine Ansprache, worin er Ridley ermahnte, sich nicht auf seinen eigenen Verstand zu verlassen, sondern sich der Auktorität zu unterwerfen. Ridley aber versicherte, daß er in keiner Weise seinem eigenen Verstand vertraue; allein er sei vollständig überzeugt, die Religion, die er vertheidige, sei auf Gottes Wort gegründet; man möge ihm doch gestatten auseinanderzusetzen, warum er gewissenshalber die Auktorität des Papstes nicht zugeben könne. Der Bischof von Lincoln erwiderte, Ridley habe gebeten, nur drei Worte sprechen zu dürfen; er wolle ihm erlauben, 40 Worte zu sagen. Ridley fing nun an zu sprechen; aber kaum hatte er einen halben Satz geredet, als die beisitzenden Bischöfe riefen, die Zahl sei schon voll; und so wurde ihm Schweigen auferlegt. Jetzt sprach der Bischof von Lincoln: Ich sehe wohl, Herr Ridley, Ihr laßt uns nicht bei demjenigen Theil unseres Auftrags stehen bleiben, der uns so gar erwünscht gewesen wäre; Gott ist mein Zeuge, es ist mir leid um Euch! Darauf antwortete Ridley: „Ich glaube es gern, mein Lord; denn es wird eines Tages schwer auf Eurer Seele lasten!“ Nein! nicht so – erwiderte der Bischof – sondern es thut mir leid, solche Hartnäckigkeit bei Euch zu sehen. Aber da es nun einmal so steht, so müssen wir zu dem andern Theil unseres Auftrags schreiten. So höret denn! Und nun las er das Urtheil vor, durch welches Ridley für einen Ketzer erklärt, und verurtheilt wurde, der bischöflichen Würde und jeder kirchlichen Weihe entkleidet, excommunicirt, und zur Vollziehung gehöriger Strafe an die weltliche Macht ausgeliefert zu werden.

 

Hierauf wurde Ridley wieder in seine Haft abgeführt. Nun sah er dem Ende, dessen Bevorstehen schon seit vollen zwei Jahren ihm klar vor der Seele stand, in allernächster Zeit entgegen. Er benützte die ihm gewährte Frist, um allen Freunden und Glaubensgenossen noch die letzten Abschiedsgrüße und Ermahnungen zu sagen. In diese Zeit fällt ohne Zweifel auch die Abfassung jenes herrlichen Schreibens, welches wir schon von vorn herein als eine Art Selbstbiographie benützt haben. Dieses Abschiedsschreiben beginnt folgendermaßen: „Wenn ein Mann eine weite Reise vor hat und von seinen vertrauten Freunden scheiden will, so wünscht er natürlich, vor der Abreise seinen Freunden Lebewohl zu sagen. So wünsche auch ich, der ich jetzt täglich meiner Abberufung von euch, ihr herzlich geliebten Brüder und Schwestern in unserm Heiland, entgegensehe, euch allen, so gut ich jetzt eben kann, Lebewohl zu sagen.“ Und nun sagt er zuerst seinen Verwandten Lebewohl. Allen spendet er Dank, Trost und Ermahnung, Warnung, je nach Umständen. Dann verabschiedet er sich von allen seinen Landsleuten und ermahnt sie zur Treue gegen das Evangelium, und zu ritterlichem Kampfe für die Wahrheit. In einer später geschriebenen Fortsetzung sagt er der Universität Cambridge, dann seiner ersten Pfarrgemeinde, Herne in Kent, der Kathedrale von Canterbury, seinem ersten Bischofssitz, Rochester, dann dem Bisthum London Lebewohl. Erschütternd ist seine Ansprache an den „gottlosen und blutigen Stuhl“ von London (unter Bischof Bonner), dem er weissagend ein Wehe! zuruft, statt eines Lebewohls. Desto freundlicher und tröstlicher redet er zu den „still trauernden Seelen“ in der Hauptstadt und zu den wackern gottesfürchtigen Bürgern, Aldermännern und Mayors, unter denen er mehrere mit Namen nennt und dankbar rühmt. Endlich gedenkt er des Umstandes, daß er als Bischof Mitglied des Oberhauses gewesen ist, und wendet sich demgemäß an die weltlichen Lords des Reichs, macht sie verantwortlich für die Begünstigung Roms und seiner „antichristlichen“ Gesetze und hält ihnen die Rechenschaft vor, welche sie dem ewigen Richter unausbleiblich ablegen würden. – Nicht minder beweglich ist ein zweiter Abschiedsbrief, gerichtet an alle diejenigen, „welche um des Evangeliums Christi willen gefangen oder des Landes verwiesen sind;“ ein geistvolles Schreiben, voll Freudigkeit und Heldenmuth angesichts des Todes um Christi willen. Am 1. October 1555 war das Urtheil gesprochen worden; 14 Tage darauf, am 15. October, erschien Dr. Brookes, Bischof von Gloucester, der damals als Commissar fungirt hatte, mit dem Vicekanzler von Oxford und einigen andern Häuptern der Universität, in dem Hause des Mayors der Stadt, Irish, wo Dr. Ridley sich in Haft befand. Der Commissar bot ihm noch einmal Namens der Königin Begnadigung an, falls er widerrufen wollte. Diese Zumuthung wies Ridley kurz und bündig ab. Da schritt der Bischof dazu, ihn seiner priesterlichen Würde zu entkleiden, denn Bischof sei er schon nicht mehr. Und da Ridley sich beharrlich weigerte, das Chorhemd und die übrigen Meßgewänder anzulegen, so wurden ihm diese Gewänder von Andern umgehängt. Als ihm hierauf ein Stück um das andere unter den üblichen Formeln abgenommen wurde, redete er immer dagegen, z. B. da sie ihm ein Buch in die Hand gaben, und dabei vorlasen: „wir nehmen dir das Amt der Predigt des Evangeliums“ u. s. w., antwortete er mit einem tiefen Seufzer und einem Blick zum Himmel: „O Herr Gott, vergieb ihnen diese Gottlosigkeit.“ Als die Ceremonie vorüber war, und Dr. Brookes ihm kein Wort mehr gestatten wollte, sagte Ridley: „was bleibt mir übrig, da ihr mich nicht hören wollt, als Geduld? So befehle ich denn die Sache meinem himmlischen Vater; der wird bessern, was übel gethan ist, sobald es ihm gefällt.“ Doch übernahm es der Bischof, ein Gnadengesuch Ridley’s der Königin vorzulegen, worin er für mehrere Pächter von Grundstücken des Londoner Bisthums, mit denen er Verträge abgeschlossen hatte, sich verwendete; unter diesen Pächtern befand sich sein eigener Schwager. Hierauf rief Dr. Brookes die Gerichtsdiener, und übergab ihnen Ridley mit dem Befehl, ihn mit Niemand verkehren zu lassen, und ihn, nach erhaltener Weisung zum Hinrichtungsplatz zu bringen. Da brach Ridley in die Worte aus: „Gott, ich danke dir, und zu deinem Preise sei es gesagt, daß Keiner von euch allen mir irgend ein Vergehen zur Last legen kann!“ Brookes entgegnete, er spiele den stolzen Pharisäer und erhebe sich selbst. Darauf Ridley: „Nein, nein, nein! Ich bekenne, daß ich ein armer elender Sünder bin, der Gottes Hülfe und Erbarmung recht nöthig hat, und täglich darum bittet und ruft; deswegen bitte ich euch, habt keine solche Meinung von mir!“ Und so gingen die Gegner hinweg.

 

Den nächsten Tag sollte er den schrecklichen Feuertod erleiden. Aber er sah demselben nicht blos gelassen, sondern sogar freudig entgegen. Beim Abendessen war er so heiter gestimmt wie nur je in seinem Leben. Er lud seine Wirthin, Frau Irish, und alle andern, die mit ihm zu Tische saßen, auf den morgenden Tag „zu seiner Hochzeit“ ein. Als er vom Tische aufstand, erbot sich sein Schwager, die ganze Nacht bei ihm zu wachen. Ridley aber erwiderte: „Nein, nein, das sollst du nicht! Denn ich habe im Sinn, zu Bette zu gehen, und, so Gott will, so ruhig zu schlafen, als je in meinem Leben.“ Am 16. October 1555 wurden Ridley und Latimer nach dem dazu bestimmten Platze geführt. Es war an der Nordseite von Oxford, in einem Stadtgraben, Balliol-College gegenüber. Ridley ging zwischen dem Mayor und einem Aldermann der Stadt. Als man in die Nähe des Gefängnisses Bocardo kam, blickte Ridley zu den Fenstern auf, wo Cranmer gefangensaß, konnte aber seiner nicht ansichtig werden. Dafür erblickte er seinen Freund Latimer, der in einiger Entfernung hinter ihm drein geführt wurde. Ridley rief ihm zu: „O, seid ihr auch da?“ Latimer erwiderte: „Ja wohl, ich folge euch, so schnell ich kann!“ Sobald Ridley auf dem Platz angekommen war, hob er mit eifriger Geberde beide Hände empor und schaute gen Himmel. Und da kurz darauf Latimer heranschritt, lief er mit wunderbar heiterer Miene ihm entgegen, umarmte und küßte ihn mit den Worten: „Seid gutes Muths, mein Bruder! Gott wird entweder die Wuth der Flamme lindern, oder uns stärken, sie zu ertragen.“ Nun ging er auf den Pfahl zu, kniete daran nieder, küßte ihn und betete inbrünstig, was auch Latimer that; dann standen sie auf und redeten einen Augenblick mit einander. Ueblichermaßen ging der Verbrennung eine Predigt vorher; diese hielt derselbe Dr. Smith, der am 17. April 1554 mit Ridley disputirt hatte, über den Text: „Wenn ich meinen Leib brennen ließe, und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze“, 1. Cor. 13,3. Die Predigt, so kurz sie war, strotzte doch von Schmähungen gegen die beiden Männer als angebliche Ketzer, und ermahnte sie zum Widerruf. Bei jeder Stelle dieser Art erhoben sie Augen und Hände zum Himmel, als riefen sie Gott zum Zeugen für die von ihnen erkannte Wahrheit an. Als die Predigt geschlossen war, bat Ridley nebst Latimer knieend den Commandirenden Lord Williams und die andern Commissare, einige Worte erwidern zu dürfen. Dies wollte man ihm aber einzig nur unter der Bedingung gestatten, daß er widerrufe. „Gut, antwortete Ridley, so lange noch ein Odem in meinem Leibe ist, werde ich meinen Herrn Christum und seine erkannte Wahrheit nie verleugnen. Gottes Wille geschehe an mir!“ Hiermit stand er auf und rief laut: „Wohlan denn, so befehle ich unsere Sache dem allmächtigen Gott, der Alle ohne Ansehen der Person richten wird!“ Sofort wurde Befehl ertheilt, daß sie sich bereit machen sollten. Ridley gab Rock und Kragen seinem Schwager Shipside; sonstige Kleinigkeiten vertheilte er unter die Umstehenden; wer auch nur ein kleines Fleckchen oder einen Knopf von seinen Kleidern erlangen konnte, schätzte sich glücklich. Sobald er sich bis auf das Hemd entkleidet hatte, trat er auf einen Stein neben dem Pfahl, hob seine Hände auf und betete: „O himmlischer Vater, ich danke dir von ganzem Herzen, daß du mich berufen hast, dein Bekenner bis zum Tode zu sein! Ich bitte dich, Herr Gott, erbarme dich dieses Königreichs England, und erlöse es von allen seinen Feinden!“ Dann wurde er nebst Latimer mit einer Kette an den Pfahl angeschmiedet. Hierauf brachte ihm sein Schwager ein Säckchen, das er ihm um den Hals binden wollte. Ridley fragte, was es sei; und als er hörte, es sei Schießpulver, erwiderte er: „Ich nehme es als von Gott gesendet an; aber wenn du noch mehr hast, so bring‘ es meinem Bruder (Latimer), aber schnell, damit du nicht zu spät kommest.“ Inzwischen bat Ridley den Lord Williams um Verwendung für seine Schwester und die anderen Pächter von bischöflichen Gütern und bezeugte zugleich, es gebe sonst nichts in der Welt, was sein Gewissen beunruhige. So sehr war seine Seele bis zum letzten Hauch nur mit dem Wohl Anderer beschäftigt. Jetzt brachte man ein brennendes Reisbüschel, und legte es zu Ridley’s Füßen nieder, worauf Latimer ihm sagte: „Seid getrost, Herr Ridley, und seid ein Mann! wir werden heute mit Gottes Gnade ein Licht in England anzünden, das, wie ich zuversichtlich hoffe, nicht wieder ausgelöscht werden wird!“ Als nun das Feuer gegen ihn aufloderte, rief Ridley mit außerordentlich lauter Stimme: In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum: Domine, recipe spiritum meum! Das letztere wiederholte er noch mehrmals englisch: „Herr, nimm meinen Geist auf!“ Latimer starb nach kurzer Todespein. Desto länger dauerte Ridley’s Qual, weil die Flammen zu langsam an ihn gelangten, und seine Füße verbrannten, ehe der Oberleib vom Feuer berührt wurde. Daher rief er bald die Gebetsworte: „Herr, erbarme dich meiner!“ bald die Bitte an die Gerichtsdiener: „laßt doch das Feuer an mich kommen, ich kann so nicht verbrennen!“ Endlich half ein Diener nach, so daß das Feuer hell aufflammte und das Schießpulver entzündete; hierauf sank der Märtyrer zusammen; sein Oberleib fiel zu Latimers Füßen nieder. Hunderte von Zuschauern ergossen sich in die bittersten Thränen, als sie den qualvollen Tod Ridley’s schauten und Männer von so viel Wissenschaft, Frömmigkeit, Tugend und Würde vom Feuer verzehrt sahen. Aber dieses Feuer war in der That ein Licht, für England angezündet, das nicht mehr zu löschen war. Im Jahr 1840 wurde gegenüber dem Platz, wo am 16. October 1555 Ridley und Latimer, und fünf Monate später, am 21. März 1556, Cranmer verbrannt worden, ein würdiges „Märtyrer-Denkmal“ errichtet. Aber jeder treue evangelische Christ schuldet Männern wie Ridley dankbares Andenken.

 

Gotthard Lechler in Leipzig.

 

 

 

Johann Georg Müller – Noch einige Erzählungen vom Tode Protestantischer Märtyrer

Als Johann de Backer, ein 27jähriger Jüngling, dafür daß er (und er war ein Priester!) das Evangelium gepredigt, den Ablaß und den Cölibat verworfen und selbst geheirathet hatte, im Haag (1525) zum Scheiterhaufen geführt wurde, und im Vorbeigang neben dem Gefängniß seinen übrigen daselbst eingekerkerten Freunden zurufte, Muth zum Tode für das Evangelium zu fassen, stimmten diese freudigjubelnd die Hymnen an: Te Deum laudamus – O beata Martyrum solemnia! und fuhren damit fort, bis er, für seine Mörder gleich dem Stephanus betend, seinen Geist in den Flammen aufgab. Sein Tod machte so viel Eindruck auf die Zuschauer, daß die Inquisitoren es nicht rathsam fanden, das Trauerspiel an den übrigen Verhafteten zu wiederholen.

1532 wurden in Limburg sechs Personen aus Einem Hause, Vater, Mutter, zwo Töchter und ihre Männer auf einmal lebendig verbrannt. Auf ihrem Todeswege und im Feuer sangen sie einmüthig Psalmen und Lobgesänge bis auf ihren letzten Athemzug.

Als 1555 Ridley, Bischof von London, und Hugh Latimer, Bischof von Worcester, beide durch Wissenschaft und Tugend berühmt, in Oxford zusammen verbrannt wurden, rief Latimer, da er an den Pfahl gebunden wurde, Ridley zu: „Sey gutes Muthes, Bruder, wir werden dieses Tages eine Fackel für England anzünden, die, wie ich zu Gott hoffe, nie mehr auslöschen soll.

Sanders wurde in Coventry verbrannt. Die angebotene Gnade verwarf er auf die geforderten Bedingnisse, umarmte den Pfahl, und sagte: „Willkommen, Kreuz Christi! willkommen, ewiges Leben!

Hunter, ein 19jähriger Jüngling, entfloh der Verfolgung. Sein Vater wurde arretirt und mit dem Aeußersten bedroht, wenn er den Sohn nicht stellte. Dieser, da er es vernahm, stellte sich freiwillig, und wurde von dem barbarischen Ketzerrichter Bonner lebendig verbrannt.

Auch in den Schweizerischen Cantons floß das Blut der Bekenner der Evangelischen Lehre (Nachrichten hiervon s. in Ulrichs Miscell. Tigur. Vol. II. 1ff. in Füßlings Beiträgen II, 31.36.IV.56 und Hottingeri H.E. IX. 174-333.) 1528 wollte der Abbt zu S. Lucien bei Chur in Bündten durch ein allgemeines Blutbad alle Reformirten in der Stadt auf einmal umbringen, wurde aber verrathen und hingerichtet.

Doch genug. Wer wollte alle, oder auch nur die merkwürdigsten Schlachtopfer nennen, die den, vom Blut der Bekenner trunkenen, Bigotismus aufgeopfert wurden!

Geddes sah zu Lissabon einen, der Religion wegen, zum Tode führen, der seit einigen Jahren nie aus dem Gefängniß gekommen war. Als er zum erstenmal wieder die Sonne sah, rief er mit Entzückung aus: „Kann man dieses herrliche Gestirn ansehen und noch andere Wesen anbeten, als Den, der es geschaffen hat!“ Sogleich wurde ihm ein Bengel in den Mund gestoßen, damit er nicht mehr reden konnte.

Dem berühmten Marschall Schomberg nahm die Inquisition eine deutsche Bibel weg, die er als ein Geschenk seines Großvaters mit Thränen beklagte, aber ungeachtet der dringendsten Bitten nicht mehr zurückerhalten konnte.

Reliquien alter Zeiten, Sitten und Meinungen
Vierter Theil, enthaltend Denkwürdigkeiten aus der Geschichte der Reformation
Herausgegeben von Johann Georg Müller
Leipzig, bei Johann Friedrich Hartknoch
1806