Hugo M’Kail.

Die unter König Karl II. von England gegen die treuen schottischen Presbyterianer begonnenen Verfolgungen, von denen bei Jacob Guthrie die Rede gewesen ist, nahmen bis zum Jahre 1666 einen immer gewaltthätigeren Charakter an, namentlich auch durch zahllose militairische Erpressungen und Mißhandlungen, die vorzugsweise diejenigen Theile von Schottland trafen, wo die Liebe zu der presbyterianischen Kirchenverfassung besonders tief in die Herzen des Volkes eingedrungen war, also sich dagegen sträubte, sie, die ihr als heilige Glaubenssache galt, gegen die von königlicher Willkür ihr aufgedrungene bischöfliche zu vertauschen.

Seit Jahren hatten die gläubigen Schotten, nachdem sie mit tiefem Schmerze genöthigt gewesen, ihre geliebten Pastoren vertreiben, sie in den Kerker oder in Verbannung wandern, und deren Stellen durch unwürdige Miethlinge einnehmen zu sehen, die Barbareien eines rohen Kriegsvolkes ohne Widerstand ertragen, fest an der Hoffnung haltend, daß der Schrei ihrer Unterdrückung nicht vergebens zum Himmel aufsteigen, und die Stunde ihrer Befreiung früher oder später schlagen werde; bis endlich im Herbst 1666 ein von königlichen Soldaten im Westen Schottlands verübter Act empörender Brutalität dem ruhigen Erdulden dieser unleidlichen Unbilden ein Ende machte, indem ein Theil des Landvolkes jener Gegend, unter Theilnahme einiger dortigen Gutsbesitzer, sich gegen die grausamen militairischen Peiniger erhob. Dieser Aufstand war jedoch von geringer Ausdehnung und von kurzer Dauer, da die große Mehrzahl, selbst der entschiedensten Presbyterianer, ihren Grundsätzen nach, jedem bewaffneten Widerstande durchaus abgeneigt war. Das Häuflein der Insurgenten ward daher in der Nähe von Edinburgh, wohin es, dort mehr Unterstützung hoffend, nachdem es feierlich den Covenant erneuert hatte, gezogen war, nach tapferer Gegenwehr von den königlichen Truppen überwältigt.

Mit der unnachsichtlichsten Strenge ward gegen Alle, die an diesem Aufstande Theil genommen hatten, oder dieser Theilnahme verdächtig waren, sowie gegen Alle, die nur den Insurgenten Obdach und Nahrung gegeben, oder auf irgend eine Weise mit ihnen in Verbindung gestanden hatten, verfahren und an einer großen Anzahl von ihnen die Todesstrafe vollstreckt.

Unter den so Bestraften befand sich auch Hugo M’Kail, ein junger Prediger, gelehrt, beredt und von der innigsten Frömmigkeit. Er war nur sehr kurze Zeit mit den Insurgenten zusammen gewesen, und hatte sie vor dem Tage des Gefechts, welches dem Aufstande ein Ende gemacht, verlassen, da er wegen körperlicher Schwäche zur Ertragung der Beschwerden unfähig war; aber er hatte früher sich veranlaßt gefunden, in einer Predigt von den Leiden, welche die wahre Kirche Christi zu allen Zeiten habe erdulden müssen, zu reden und dabei gesagt, daß sie und das Volk Gottes von einem Pharao auf dem Throne, einem Haman im Staate und einem Judas in der Kirche verfolgt worden wären; und ob: gleich er von diesen Bezeichnungen keine weitere Anwendung gemacht hatte, so war seine Aeußerung doch zu den Ohren des unbarmherzigsten Verfolgers der Presbyterianer, Erzbischofs Scharp, gelangt, der den „Judas in der Kirche“ auf sich beziehen zu müssen glaubte. M’Kail würde deshalb schon damals festgenommen sein, hätte er sich nicht durch Flucht der Verhaftung entzogen und eine Zeitlang an verschiedenen Orten verborgen aufgehalten.

Vor den Geheimen Rath gebracht, ward er über die Anstifter und Leiter der Insurrection befragt, und welche Verbindungen sie sowohl im Lande als außerhalb desselben gehabt hätten. Er erklärte seine gänzliche Unwissenheit über irgend eine solche Verbindung und bekannte offen, in wie fern er selbst an jenem Unternehmen Theil genommen habe. Das mit dem Namen der spanischen Stiefeln bezeichnete, damals häufig gegen die verfolgten Presbyterianer zur Anwendung gebrachte Marterwerkzeug ward ihm darauf mit der Erklärung vorgelegt, daß wenn er nicht bekenne, dasselbe sofort bei ihm zur Anwendung kommen solle. Feierlich betheuerte er auf’s Neue, daß er nichts mehr zu bekennen habe. Der Scharfrichter legte darauf sein Bein in den Marterstiefel und schritt zu seiner grausamen Arbeit. Nachdem ein heftiger Schlag den Keil hineingetrieben und das Bein gequetscht hatte, ward M’Kail auf’s Neue gedrängt zu bekennen; aber vergebens. Schlag auf Schlag folgte mit beträchtlichen Zwischenräumen, um die furchtbare Pein zu verlängern; aber mit christlicher Standhaftigkeit faßte der heldenmüthige Märtyrer seine Seele in Geduld. Sieben oder acht aufeinander folgende Schläge hatten das Fleisch und die Sehnen bis auf die Knochen gequetscht, als er, ohne ein Zeichen der Ungeduld oder Bitterkeit, nochmals feierlich vor dem Angesichte Gottes erklärte, daß er nichts mehr sagen könne, sollten auch alle Glieder seines Leibes dieselbe Marter erdulden, wie dieses arme Bein. Dennoch ward noch dreimal der Keil hineingetrieben, bis der Knochen selbst zerschmettert war, und eine heftige Ohnmacht ihm das Bewußtsein raubte. Er ward nach dem Kerker zurückgetragen, und, ungeachtet die Marquise von Douglas und die Herzogin von Hamilton sich dringend für ihn bei dem Statthalter und bei Scharp verwendet hatten, verurtheilt, wegen Theilnahme an der Insurrection und wegen Erneuerung des Covenants als Hochverräther auf dem Marktplatze zu Edinburgh gehängt zu werden.

Als er, nachdem dieses Erkenntnis ihm vom Geheimen Rathe verkündigt worden, wieder in sein Gefängnis zurückgeführt war, warf er sich auf die Kniee und betete mit großer Inbrunst für sich und die fünf Andern, welche mit ihm zu derselben Todesstrafe verurtheilt waren; worauf er zu einem ihn besuchenden Freunde sagte: „Welche große Freude, in wenigen Tagen das Antlitz Jesu Christi schauen zu können!“ und als er klagen hörte, daß er so jung, in einem Alter, wo er der Kirche Gottes noch so viel hätte nützen können, sterben müsse, sprach er: „Ein Tropfen meines Blutes kann durch Gottes Gnade Ihm mehr Herzen gewinnen, als die Predigten vieler Jahre vielleicht nicht vermocht hätten.“

Während seines Aufenthaltes im Gefängnisse bis zur Stunde seiner Hinrichtung war er, betend und Gott lobpreisend, zum Staunen aller Hörer, wunderbar erquickt, ja in einem Zustande heiliger Freude und himmlischen Friedens, die ihn keinen Augenblick verließen. Als man ihn fragte, wie es mit seinem zerschmetterten Beine stehe, antwortete er scherzend: „Die meinem Nacken bevorstehende Gefahr läßt mich mein Bein vergessen.“ Auch seine Leidensgenossen zu dieser Glaubensfreudigkeit zu ermuntern ließ er sich angelegen sein. Nach dem gemeinschaftlichen Abendessen las er ihnen aus der heil. Schrift vor, namentlich den 16. Psalm, und sagte dann: „Wir werden morgen Abend nicht mehr im Lande der Lebendigen den Herrn in seinem Worte vernehmen können, aber dort sein, wo das Lamm selbst unsre Schrift und das Licht sein wird, in dem wir wohnen, dort wo der lautere Strom des lebendigen Wassers von dem Stuhle Gottes und des Lammes fließt. Er schlief ruhig die Nacht und weckte am Morgen feinen Leidensgefährten Johann Wodrow mit den scherzenden Worten: „Auf! Johann, Ihr seid zu lange im Bette, wir beide sehen gar nicht aus wie Leute, die heute noch gehängt werden sollen, da wir so lange schlafen.“ Dann betete er mit großer Inbrunst, daß der Herr ihm und seinen Gefährten verleihen möchte, heute ein gutes Bekenntnis seiner Erbarmungen vor so vielen Zeugen abzulegen.

Als sie um zwei Uhr Nachmittags, den 22. December 1666, zum Richtplatze geführt wurden, sah M’Kail, wie Alle, die ihn von früher kannten, sich überzeugten, heiterer und ruhiger aus, wie je zuvor. Seine Erscheinung auf dem Wege erregte, wie der gleich zeitige Geschichtschreiber Kirkton erzählt, „Ein solches Wehklagen, als niemals zuvor in Schottland gesehen war; nicht eine trockene Wange war in der ganzen Straße oder an allen den zahllosen Fenstern des Marktplatzes.“ Die ausnehmende Jugendlichkeit und Zartheit seiner Gestalt, und die Anmuth und Ruhe seines Antlitzes ergriff Jeden, der ihn sah; – ein inniges Gefühl von Mitleid, vermischt mit Abscheu, durchdrang die Menge, und während Einige den Bischöfen fluchten, beteten Andre für den jugendlichen Märtyrer. Nachdem er auf dem Wege zum Richtplatze den 31. Psalm gesungen, betete er, auf demselben angekommen, mit solcher Kraft und Inbrunst, daß viele Anwesende bitterlich weinen mußten. Als er die Leiter ergriffen hatte, um hinauf zu steigen, rief er mit lauter Stimme: „Es kümmert mich nicht mehr, diese Leiter hinauf, und noch über dieselbe hinauszusteigen, als wenn ich zu meines Vaters Hause ginge“, und, sich an seine Leidensgenossen wendend: „Freunde, fürchtet euch nicht, jede Sprosse dieser Leiter ist eine Stufe näher zum Himmel.“

Dann hielt er, auf der Leiter stehend, seine letzte Rede, in welcher er unter Anderm sagte: „Und jetzt gebe ich willig mein Leben hin für die Wahrheit und Sache Gottes, die Covenants und das Werk der Reformation, das einst als der Ruhm dieses Volkes betrachtet ward; nur der Wunsch, dieses zu vertheidigen und jene bittere Wurzel des Prälatenthumes auszurotten, ist es, was mich hieher geführt hat.“ Als er darauf seine anwesenden Freunde weinen sah, sprach er: „Weinet nicht, sondern betet und danket dem Herrn, der mich jetzt aufrecht hält, und mich bei diesem letzten Schritte meiner irdischen Wanderschaft nicht verlassen wird; denn mein Trost und Lohn ist Seine Verheißung: „Ich will den Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst“. (Off. 21, 6),“ und ich höre mir zurufen: „Der Geist und die Braut sprechen, komm!““ (Off. 22, 17); und zu Euch, meine Freunde, sage ich: Ich gehe zu meinem Vater und zu Eurem Vater, zu meinem Gott und zu Eurem Gott, zu meinem Könige und zu Eurem Könige, und zu den heiligen Aposteln und Märtyrern, und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zum himmlischen Jerusalem, und zu der Menge vieler Tausend Engel, und zur Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über Alle, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus Christus“ (Hebr. 12, 22). „Und ich sage Euch Allen Lebewohl; Er wird Euch ein besserer Tröster sein, als ich, und mich besser erquicken, als Ihr es vermögt. Lebt wohl, lebt wohl in dem Herrn!“ — Dann betete er noch einmal, und als sein Gesicht verbunden worden, um ihn hinabzustoßen, da riß er plötzlich das Tuch ab und rief: „Wenn Ihr Euch vielleicht wundern möget, in meinem Antlitze keine Entmuthigung wahrzunehmen, so will ich Euch den Grund davon sagen. Außer der Gerechtigkeit meiner Sache ist das mein Trost, was von Lazarus, als er starb, gesagt wird, daß die Engel seine Seele in Abraham’s Schoß trugen. Wie jetzt hier in diesem feierlichen Augenblicke ein Zusammenströmen des Volkes, ein Schafott, ein Galgen und viele Leute sind, die aus den Fenstern blicken, so ist dort eine größere und feierlichere Vorbereitung der Engel, um meine Seele in Christi Schoß zu tragen; und Er wird sie Seinem Vater darstellen, fleckenlos und rein durch Sein Blut, und dann werde ich immer mit dem Herrn sein.“ Darauf endigte er mit einem Aufschwunge christlicher Beredtsamkeit, der oft bewundert worden ist: „Und jetzt höre ich für immer auf zu sterblichen Geschöpfen zu reden und beginne mit Gott meinen Verkehr, der nun in Ewigkeit nicht aufhören wird. Lebt wohl, Vater und Mutter, Freunde und Verwandte! Lebe wohl, Welt und alle deine Freuden! Lebt wohl, Sonne, Mond und Sterne! – Willkommen Gott und Vater, Willkommen, süßer Jesus Christ, Du Mittler des neuen Bundes! Willkommen, gesegneter Geist der Gnade und Gott alles Trostes! Willkommen Herrlichkeit, willkommen ewiges Leben! Willkommen Tod! – Herr, in Deine Hände übergebe ich meinen Geist, denn Du hast meine Seele erlöset, Herr Gott der Wahrheit!“

„So verließ die Erde,“ sagt ein schottischer Geschichtschreiber, „eine der leuchtendsten, reinsten und heiligsten Seelen, die jemals eine bloß menschliche Gestalt belebten; ein frohlockender Märtyrer für Christi alleinige Herrschaft über Seine Kirche und für jenen heiligen Covenant, in welchem die Kirche Schottlands Treue und Gehorsam ihrem göttlichen und einzigen Haupte und Könige gelobt hatte. So lange es wahre schottische Presbyterianer geben wird, wird auch von ihnen der Name jenes jungen christlichen Märtyrers in der liebevollesten Erinnerung und glühendsten Bewunderung gehalten, und von der schottischen Kirche als einer der schönsten Juwelen betrachtet werden, die sie jemals zu des siegenden Erlösers Krone der Herrlichkeit hinzuzufügen gewürdigt ward.“

 

Karl Gustav von Rudloff in Niesky.