Es hat wenige Menschen gegeben, welche grosse Werke so glänzend und erfolgreich begonnen, so thätig und mühevoll ihr Leben lang daran gearbeitet, und unter so vieler Misskennung und innern Leiden geendet haben, als Philipp Schwarzerd.
Er war der Sohn bürgerlich wohlhabender Eltern, geboren 1497 zu Bretten. Aecht religiöse Erziehung und das leuchtende Vorbild seines Oheims Reuchlin waren die mächtigsten Eindrücke seiner frühesten Jugend. Da sein Vater, ein fürstlicher Waffenschmied, frühzeitig starb, fiel Melanchthons Erziehung an die Mutter, eine warmkatholische Frau, an ihren Vater, welcher Amtmann zu Bretten war, und an ihren Bruder, den grossen Reuchlin: alle drei widmeten sich ihm mit grösster Sorgfalt, denn seine Geistesgaben versprachen Ausserordentliches. Von der berühmten Pforzheimer Schule kam er schon im dreizehnten Jahre auf die Heidelberger Universität und wurde als ein früh gereifter junger Mann Hofmeister der jungen Grafen von Löwenstein. Im siebzehnten Jahre begann er zu Tübingen als Magister seine Vorlesungen und schrieb seine höchst ausgezeichnete griechische Grammatik. Auffallend ist es, wie häufig wir in jener Zeit solche ganz jugendliche Männer in den wichtigsten Berufen thätig finden. Humanistische Studien in ihrem ganzen Umfange, dazu Hebräisch, am liebsten Griechisch, die Evangelisten wie die Klassiker, waren Melanchthons Gebiet.
Auf Reuchlins Empfehlung erhielt er im Jahre 1518 die Professur der griechischen und hebräischen Sprache und Literatur im reich aufblühenden Wittenberg. Alle Humanisten sahen auf ihn als auf ihre glänzendste junge Kraft. Jetzt lernten er und der zwölf Jahre ältere Luther sich kennen, und beide geniale Männer wurden mit tiefer Hochachtung für einander erfüllt. Es war kurz vor der Leipziger Disputation mit Eck. Melanchthon begleitete Luther dorthin, wo Beide sich in all ihren Gaben zeigten. Melanchthon beugte sich vor Luthers Charakterstärke und sprühender Thatkraft, und Luther bewunderte seines Collegen unendliches Wissen und liebte dessen strömenden Geist und redliches herzliches Wesen. Es gab Keinen, der gleich so tief blickte, der über Luther mit wenigen milden klaren Worten so viele Gewalt hatte, als Melanchthon, und dieser wusste Keinen, der so gescheidt und starkherzig eine Sache anfing und zu Ende führte, als Luther.
Es begann nun Melanchthon’s glücklichste Zeit. Mehr als zweitausend Studenten drängten sich in seine Hörsäle, wenn er über Homer und des Paulus Briefe las. Des hochangesehenen Bürgermeisters Tochter machte ihm das Herz wonnevoll, und er führte sie heim. Ein Jahr darauf erschienen seine Loci theologici, das dogmatische Grundwerk des Protestantismus. Als Luther auf der Wartburg geborgen, war Melanchthon die Seele dessen, was er begonnen. Nur auf sein dringendes Begehren kehrte Luther nach Wittenberg zurück.
Jetzt machte Melanchthon eine Heise nach Schwaben, die geliebte Mutter wieder zu sehen und sich vor ihr zu rechtfertigen. Diese wollte ihn kaum wieder weglassen, denn ihre Seele war bedrängt, dass er sich in solche Religionsneuerungen stürze. Er aber war in seinem .Herzen überzeugt, dass er nur Rechtes wolle, und danach handelte er. Nach seiner Rückkehr betrieb er die sog. Kirchenvisitation, damit der verwirrte Zustand der sächsischen Gemeinden in eine einfache protetestantische Ordnung gebracht werde. Wie seine Loci communes das Hauptwerk für die protestantische Glaubenslehre, so wurde das Visitationsbüchlein, welches hauptsächlich von ihm herrührt, das Grundbuch der lutherischen Kirchenverfassung. Allein schon begann die Verbitterung seines Lebens. Er war den Strengen zu schonend und den Eiferern zu zweifelhaft: sie warfen ihm vor, er trage auf beiden Schultern. Er aber wollte nur mild und gerecht sein, und weil er sich dessen bewusst und zugleich ein politischer Kopf war, der die Schwächen und Folgen jedes Thuns leicht übersah, so wurde er durch Widerspruch leicht gereizt und heftig. Es ahnte ihm, welche schreckliche Leidenschaften das Vaterland und die Kirche verheeren könnten.
Zuvörderst that er nun Alles, was in seiner Macht stand, um den Bruch zwischen Luther und Zwingli zu verhüten, und da dieser erklärt war, ihn wieder auszufüllen. Er nahm sich der abwesenden Zwinglianer auf dem Speyrer Reichstage an und bewirkte endlich, dass auch wider ihre Verdammung protestirt wurde. Auf dem Marburger Religionsgespräch strömte ihm die Beredsamkeit aus der Seele, Zwingli war gerührt und bot die Hand zur Versöhnung, der zornige Luther stiess sie zurück. Vergebens suchte Melanchthon ihn zu überzeugen, dass die Schweizer nicht so Unrecht hätten.
Auf dem entscheidenden Reichstage 1530 war es Melanchthon, der mit höchster Mässigung, aber mit Bestimmtheit die 21 Glaubensartikel der Protestanten verfasste, – das Augsburger Bekenntniss, – und die Apologie derselben, als von Seite der Altgläubigen eine Refutation erlassen wurde. Seine vorzüglichste Absicht war, zu zeigen, dass man nicht von der Kirche abfallen, sondern sie nur von Missbräuchen reinigen wolle. Jetzt stand Melanchthon auf seiner Höhe. Vom deutschen Reichstage, welcher damals der Heerd der europäischen Politik, war des Melanchthon Stimme über alle Länder erschallt. Rasch nacheinander riefen ihn König Franz I. nach Paris, König Heinrich VIII. nach London, dass er ihrer Länder religiöse Angelegenheiten in Ordnung bringe. Jedoch Melanchthon durchschaute den englischen Despoten und hatte wenig Lust zu ihm, nach Frankreich zu gehen aber verbot ihm sein Kurfürst in harten Ausdrücken, welche merken liessen, er sei der Hinneigung zur katholischen Kirche verdächtig.
Von jetzt an sprossten Dornen und Disteln, wohin Melanchthon seinen Fuss setzte. Er war einer der edlen Menschen, die vermöge ihres Rechtssinnes und hellen Einsicht nicht anders können, als das Recht auf beiden Seiten anzuerkennen, und welche ihr prophetischer Sinn ewig antreibt, das kommende Unheil durch Versöhnung der Parteien zu verhüten. Da hageln Vorwürfe hier und dort auf sie nieder. Wo sie herzlich zusprechen, begegnet ihnen Hohn und Gelächter, und „wo sie nichts heisser ersehnen, als nur etwas Vertrauen, umgiebt sie überall finsteres Misstrauen. Den liebsten Freunden werden sie verdächtig. Es giebt Keinen, der lange diese Kämpfe aushält.
So wollte auch Melanchthon Anwalt von zwei Parteien zugleich sein, und von Beiden hatte er Rohheit und Geisselschläge zu erdulden. Er sah bereits die Flammen des Bürgerkriegs in Deutschland aufsteigen, und sein Gewissen schreckte zurück vor einem Riss, der unheilbar .die Christenheit zerklüften solle. Schon auf dem Augsburger Reichstage hatte man sich in den Glaubenssätzen wieder genähert, aber der Hass und Zwiespalt steckte in dem, was zur Liturgie und Verfassung der Kirche gehörte. Melanchthon suchte nun fort und fort nach neuen Religionsgesprächen: sie wurden hintertrieben, oder fruchteten Nichts. Luther dagegen kehrte immer schroffer die Gegensätze hervor. Melanchthon’s Körper brach unter den Leiden der Seele, kaum geheilt wollte er nach Hagenau zum neuen Sühneversuch, unterwegs in Weimar blieb er liegen, und die Aerzte gaben ihn auf. Da eilte Luther ihm nach und durch die Kraft seines Gemüths und Glaubens riss er dem Tode den Freund gleichsam aus den Armen. Dass sie dem hessischen Fürsten die Doppelehe zugestanden, das war es besonders, was Luther wieder und wieder Melanchthon als recht und nothwendig beweisen musste. Endlich auf dem grossen Religionsgespräch zu Regensburg einigten sich Melanchthon, der Legat Contarini, der Bischof Pflug und andere angesehene Männer beider Parteien in den wichtigsten Sachen. Allein Luther sowohl als die römische Curie wollten keine Versöhnung. Der schmalkaldische Krieg folgte.
Nach Luther’s Tode war Melanchthon die Säule der lutherischen Partei, aber diese Säule umwandelte bei Tag und Nacht Hass und Verdächtigung. Er hatte mit Kurfürst Moritz das Leipziger Interim zu Stande gebracht, welches eine Grundlage der Aussöhnung zwischen Katholiken und Protestanten geben konnte. Er vermochte die streng lutherische Ansicht von der Rechtfertigungslehre nicht zu theilen; er vermochte es nicht, dem Menschen den freien Willen abzusprechen; er redete immer noch der Aussöhnung mit den Schweizern das Wort. Das waren Alles schreckliche Verbrechen. Er zog, verfolgt vom Religionsgezänke, von einem Wohnsitz zum andern, von Wittenberg nach Marburg, von da nach Weimar, nach Jena, nach Leipzig, er wollte zur Kirchenversammlung nach Trient, er wanderte wieder nach Torgau, er war auf den Religionsgesprächen zu Naumburg, Nürnberg, Worms. Immer suchte er die Parteien zu einigen und hatte selbst keinen Frieden mehr. Auf seinem Todtenbette, im Frühjahr 1560, schrieb er noch eifrig, um was er glaubte und ersehnte, dem deutschen Volke an’s Herz zu legen: er brachte die Schrift nicht mehr zu Ende. Sein letzter Seufzer war: Einigkeit der Kirchen.
Historische und biographische Erläuterungen zu Wilhelm von Kaulbach's Zeitalter der Reformation von Franz Löher Stuttgart Verlag von Friedrich Bruckmann 1863