Friedrich der Weise

Melanchthon, Philipp – Rede, gehalten bei dem Begräbniß des Kurfürsten Friedrich (des Weisen) von Sachsen.

1525.

Ich fühle, daß mir bei dieser allgemeinen Trauer, bei diesem tiefen Schmerze Aller, da wir theils den Hingang des weisesten Fürsten zu beweinen, theils den schmerzlichen Verlust, welchen der Staat durch sein Hinscheiden erlitten, zu beklagen, theils durch den Trost der Rede die Herzen der Hohen, oder auch des Volkes aufzurichten haben, nicht nur die nöthige Sammlung des Geistes gebricht, sondern auch meine Stimme selbst wird als Zeuginn meiner hohen Verpflichtung und Verehrung gegen ihn durch Wehmuth und Thränen gehemmt. Und in je höherem Grade die ausgezeichneten Tugenden dieses Fürsten die Ehre verdienen, mit welcher von jeher wohlgeordnete Staaten das Gedächtniß großer Männer gefeiert haben, desto mehr bekümmert es mich, daß ich, gerade jetzt, wo der Schmerz noch so neu ist, seine herrlichen Verdienste nicht gebührend zu preisen vermag. Denn wenn mich schon der Verlust des Staats, welchem bei diesen Unruhen, bei dieser Finsterniß die Weisheit dieses Mannes eben gleich dem Lichte Bedürfniß war, heftig bewegt, so muß meine eigene besondere Trauer den Schmerz nur vermehren. Denn da ich ihn, als er noch unter uns lebte, nicht nur wegen unzähliger Wohlthaten, die von ihm mir zu Theil wurden, verehrte, sondern auch wegen seiner hohen Vortrefflichkeit in hohem Grade bewunderte und liebte, so konnte es nicht anders sein, – der Tod eines solchen Mannes mußte mich mächtig erschüttern. Ich will daher, theils aus Mangel an Fähigkeit, theils von Schmerz befangen, nicht versuchen, seinen Vorzügen eine Lobrede zu halten, nur mit diesen Klagelauten und diesen Thränen will ich die dankbare Empfindung meines Herzens darlegen, damit man erkenne, daß sein edler Charakter mir Werth, meine Verpflichtung gegen ihn mir theuer gewesen.

Damit aber diese versammelte Menge um so besser sich bewußt werde, wie viel sie den Manen dieses Fürsten verdanke, will ich nur oberflächlich einige seiner Vorzüge berühren, und sie gleichsam nur aus der Ferne andeuten. Und wiewohl ich mir nicht anmaßen will, zu hoffen, daß meine Rede die Wehmuth und Trauer derer stillen werde, welche den Verlust, den der Staat durch diesen Trauerfall erlitten, in seiner ganzen Größe fühlen, so hoff ich doch, daß gerade das Gedächtniß jener Vorzüge die Bitterkeit unsrer Trauer mildern werde. Da die heilige Schrift lehrt, daß von Gott den Staaten Obrigkeiten verordnet, durch Seine Schickung Fürsten gegeben werden, so verdankt in der That diese Nation dem Himmel sehr viel, daß ihr ein solcher Fürst zu Theil geworden, der, wie ihn seine ursprüngliche natürliche Anlage nur zu friedlichen Bestrebungen, zu Menschenfreundlichkeit und Milde bestimmte, Nichts höher und heiliger achtete, als die Wohlfahrt seines Volkes. Mögen Andere alter Ahnentafeln und Ahnenbilder sich rühmen; obgleich Sachsens Fürsten auch diese Ehre in vollem Maße besitzen, so hatte doch Friedrich andere, größere Vorzüge: seine Regentenweisheit, seine ausgezeichnete Geistesgröße, Es irrt aber, wer da meint, nur durch Waffen und Gewalt möge ein Staat gesichert werden; weit mehr noch dienen dazu friedliche Bestrebungen: Gerechtigkeit, Mäßigung, Beharrlichkeit und Ausdauer, rege Sorgsamkeit für das allgemeine Wohl, Sorgfalt und Bedachtsamkeit, wenn es gilt, richterliche Aussprüche zu thun, und bürgerliche Streitigkeiten zu schlichten; Geduld, um auch die Verirrungen des Volks zu tragen, strenger Ernst in Züchtigung der Frevler, Milde, um die zu retten, welche noch verbesserlich sind. Wohl erregen kriegerische Tugenden die Bewunderung des großen Haufens in höherm Grade, und erscheinen ihm in glänzenderem Lichte; und mehr gilt ihm der Streiter in seiner Athletenstärke, als der sanfte friedliche Bürger. Die Tugenden des Friedens und des stillen Bürgerlebens gedeihen, wie anderes Gute auch, im Verborgenen, und entgehen dem Auge der Unerfahrnen. Darum achten sie es als ein geringes Lob, wenn man friedliche Gesinnungen und Bestrebungen an einem Manne rühmt. Meine Meinung aber ist, daß, mag man auf den Vortheil oder auf den menschlichen Charakter Rücksicht nehmen, friedliche Gesinnungen vor kriegerischen Bestrebungen weit den Vorzug verdienen, und ich kann nicht zugeben, daß man einem Augustus, diesem so friedliebenden, die öffentliche Ruhe begünstigenden Fürsten, jenen Antonius voranstelle, der, obwohl ein großer Feldherr, doch dem Staate verderblich war. Eben so hat den Griechen Alcibiades keinen größern Vortheil geschafft, als Solon; denn wenn Jener einen Krieg aus dem andern hervorrufend, sein Vaterland verwüstete, so hat Dieser dasselbe dadurch, daß er ihm Gesetze gab, und den Staat auf eine weise Verfassung gründete, mehr als Einmal vom Untergange gerettet. Zu solchen ersprießlichem, edlern Tugenden nun hat Gott unsern Friedrich geschaffen. Weßhalb er auch, als die ersten Stürme über Deutschland herein brachen, stets verhütete, daß seine Völker nicht von den Uebeln eines Krieges geängstiget wurden. Welchen Sieg mag man diesem zur Vergleichung gegenüber stellen, da so mannichfaltige Unruhen länger als 30 Jahre hindurch in Deutschland herrschten, da so oft gewaltsame Bewegungen sich erhoben, Viele ihm, wie es ja Regenten so oft erfahren, den Frieden mißgönnten, Viele ihn antrieben, die Waffen zu ergreifen! Traun! es war damals keine gewöhnliche Klugheit, keine gemeine Heldenkraft, den Unmuth, den Zorn zu überwinden, das Leben des Volks zu schonen, und durch Geld, weise Maßregeln und Unterhandlungen die feindliche Macht zu zersplittern! Man erzählt vom Perikles, er habe, als er die letzten Athemzüge gethan, und die umstehenden Freunde ihm seinen ruhmvollen Sieg gemeldet, gesprochen, dieser Ruhm gehöre nicht sowohl ihm, als vielmehr den Kriegern oder dem Kriegsglück; sein eigenthümlicher Ruhm sei der, daß nie ein Bürger um seinetwillen das Trauergewand angelegt habe; womit er sagen wollte, daß kein Bürger je von ihm seiner eigenen Ehre aufgeopfert worden. Unser Fürst jedoch nahm nicht nur wegen Privatbeleidigungen nie eine Rache, welche Jemand in Schaden gebracht hätte, sondern auch Krieg und offene Gewaltthätigkeit unterdrückte er durch seine Klugheit, ohne Bürgerblut. Er konnte mit größerem Rechte sagen:

„Es weiche der friedlichen Toga der Waffenrock.“

als Cicero, der die in Rom ausgebrochenen Bürgerunruhen mit den Waffen, und zwar härter als es die Sache erforderte, zur Rache zog. So wie ferner bei gefährlichen Stürmen ein Steuermann ohne die größte Vorsicht und äußerste Anstrengung sein Fahrzeug nicht retten mag, eben so ist es keines gewöhnlichen Geistes Werk, in so bedrängten Zeiten ein Land in Ruh‘ und Friede zu erhalten. Mögen auch mit Blut erkaufte Siege durch Trophäen und festliche Triumphzüge gefeiert werden; wie theuer muß uns das Andenken an solche Siege sein, wo lediglich durch die Klugheit und Sorgfalt unsers Fürsten die Kriege abgethan wurden! Möchte das Volk nur begreifen, welches Unheil, welche Zerstörung auch der glücklichste Krieg mit sich führt! Möcht‘ es nur die Vortheile des Friedens in der Nähe betrachten; – gewiß, es würde laut anerkennen, daß nichts Besseres, nichts Heilsameres, nichts Segensreicheres diesem Lande von Gott hätte verliehen werden können, als ein solcher Fürst, der so standhaft die Kriege vermied. Es sind aber diese seine Vorzüge nicht ohne rühmliche Anerkennung geblieben; denn da sein Volk sah, mit welcher Treue er das allgemeine Beste zu fördern bemüht war, liebte es ihn auch fast als Vater; in keinem Herzen kam der Argwohn der Härte oder der Ungerechtigkeit auf. So hat er denn erreicht, was Xenophon als das Schönste, ja als etwas Göttliches darstellt, – daß er „herrschte über solche, die willig ihm unterthan waren.“ Nichts Ruhmwürdigeres aber kann ein Fürst erreichen, als wenn ihm seine Unterthanen das Lob der Weisheit und Gerechtigkeit freiwillig entgegen bringen, und seinem Schutze empfohlen, ihre Wohlfahrt gesichert glauben. So hat er durch Gerechtigkeit und unermüdliche Sorge im Innern und nach Außen hin sein Land länger als dreißig Jahre in Frieden und Ruhe erhalten, und durch Gesetze, löbliche Anordnungen, Gebäude, sein Gebiet allenthalben geschmückt. Das von seinen Ahnen ihm vererbte Land zu cultiviren, und durch gemeinnützige Anstalten auszuzeichnen, schien ihm eines Fürsten würdiger, als die Gränzen des Reichs zum Nachtheile Vieler auszudehnen und zu erweitern. Und wie die Griechen sprichwörtlich sagten:

„wer Sparta’s Besitz gewonnen, der soll es schmücken;“

so ging die eifrigste Bestrebung seines Geistes dahin, wie ein Hausvater seinen Hausstand, so sein Land durchgängig zu einem blühenderen Wohlstande zu erheben.

Hier könnt‘ ich auch erwähnen, welche unheilvolle Streitigkeiten unter andern Fürsten, wie viele Kriege er durch sein Ansehen beigelegt hat. Aber weder die Zeit, noch meine Kraft verstattet eine längere Rede; darf ich doch das Meiste dessen, was er gewirkt, als Euch bekannt voraussetzen, und wollt Ihr nur das bei Euch erwägen, so werdet Ihr finden, daß er mit der höchsten Weisheit, mit der größten Umsicht und Geschicklichkeit seinen Staat verwaltet, daß er seinem Lande sowohl, als auch den Nachbarländern als ein wahrhaft heilbringender Fürst sich bewährt hat. Das rechne ich ihm in der That zum größten und unbezweifeltsten Ruhme an, daß er so sehr den Frieden geschützt, daß er, sogar zum Kriege herausgefordert, dennoch desselben sich enthalten hat. Gewiß, kein Lob mag ersonnen werden, das einen Fürsten mehr verherrlichte! Aber auch himmlischen Ruhms ist er werth! Obgleich nämlich die Welt Thronen und Reiche meint mit Waffen und Gewalt schützen zu müssen; so preist Christus hingegen die Sanftmüthigen und Gelassenen selig und verheißt ihnen den Besitz des Erdreichs; und bald nachher nennt er die Friedfertigen Gottes Kinder. Doch waren ihm auch noch besondere herrliche Vorzüge eigenthümlich; so ein ganz vorzüglicher Eifer für die christliche Religion. Denn es war ihm der Gottesdienst während seines ganzen Lebens die heiligste Angelegenheit, und da in unsern Seiten eine große Verschiedenheit in religiösen Meinungen Statt fand, so ergriff er doch stets das Beste und das Sicherste. Und wenn früher statt der Religion nur päpstliche Satzungen, und einige von Menschen geordnete Gebräuche in den Kirchen gelehrt wurden, so erfüllte er streng und sorgfältig die sittlichen Forderungen, und das gerade deute ich als das Zeichen einer frommen Gesinnung. Weil er aber auch jene Gebräuche selbst für dienlich hielt, die Gemüther des großen Haufens für das Streben nach religiöser Erkenntniß zu gewinnen und dafür empfänglich zu machen, so gründete er Kirchen, ordnete Ceremonieen an, und berief allenthalben her Religionslehrer. Es ist mir aber auch kund geworden, daß er damals, als er das Verlangen nach einer reinern Darstellung des Christenthums tief empfand, oft mit gelehrten Männern über das Wesen und die Kraft der Religion sich unterredete. Welch‘ eine hohe, edle Gesinnung! Denn wahrlich! nicht gemeine Geister waren es, die sich’s zur Angelegenheit machten, ihre Betrachtung auf die Religion zu richten, und in das Wesen derselben einzudringen! Darin eben erkenn‘ ich die hohe Geisteskraft, die wahrhaft edle Gesinnung, die in ihm war, wenn ich erwäge, welch ein brennender Eifer ihn zur Erforschung der Religion getrieben. Und solch ein Eifer, fürwahr, ist eines Fürsten ganz vorzüglich würdig. Man erzählt, er sei oft unwillig geworden, wenn Jemand in Religionssachen menschliche Vernunftschlüsse geltend machen wollte; deßwegen, sprach er, weil kein so scharfsinniger Schluß aufgestellt werden könne, der nicht ebenfalls durch Spitzfindigkeit könne umgestoßen werden. Oft auch sagte er, daß er wünsche, Glaubenssachen möchten nur nach dem Worte Gottes beurtheilt. werden. Solche Ansichten trug er schon damals in sich, als die Religion durch mönchische Träumereien ganz verfinstert war. Als aber später die christliche Lehre geläutert zu werden begann, und gleichsam von Neuem auflebte, da richtete er seinen ganzen Geist darauf, sie vollkommner kennen zu lernen, um nicht ohne Grund Etwas anzunehmen, oder zu verdammen. Da er die Kraft der Religion kennen gelernt, ergriff er mit ganzer Seele das, was er zur Bildung des Herzens und zur Nahrung der Frömmigkeit für wirksam hielt. Mit den müßigen Streitigkeiten aber, welche die Erbauung nicht fördern, mochte er sich nicht befassen, und hütete sich sorgfältig, in Betreff öffentlicher Gebräuche, weil er sah, daß einige unlautere Menschen, alle öffentliche Zucht und Ordnung höhnend, unter dem Vorwande der evangelischen Freiheit gleichsam in wilde Thiers sich verwandelten, ohne Grund Etwas zu ändern, damit nicht die Einfältigen durch sein Beispiel zu sündigen verleitet würden. Denn hatte die Ueberzeugung, daß, wie es sich in der That auch verhält, eine öffentliche Aenderung der allgemeinen Weise gefahrvoll sei.

Indem er nun so, wie ich eben erwähnte, von der Religion dachte, und in seinen Ländern die reine Verkündigung derselben gestattete, mein Gott! welche Beharrlichkeit galt es da, welche Geistesstärke, den Feindseligkeiten gegenüber zu treten, die im päpstlichen Reiche loderten, die Blitzstrahlen der Päpste und die Drohungen der mächtigsten Könige zu besiegen, die Schmähungen des Volks und des Pfaffenhaufens, der aus der Religion ein Gewerbe machte, mit Gleichmuth zu ertragen! Dort hat er genugsam bewiesen, daß er Christum wahrhaft und von Herzen liebte, indem er Sein Zeichen sich aufbrennen ließ, und Sein Malzeichen an seinem Leibe trug, d. h. indem er nach Christi Beispiel sich selbst zerfleischen ließ. Denn jene Angriffe seiner Feinde, was waren sie Anderes, als eine unaufhörliche Marter? Welches Eremiten Fastenübungen und Nachtwachen getraust du dich wohl mit solchen Anfechtungen zu vergleichen? Wahrlich, Hiskias selbst ist nicht heftiger bedrängt worden, obwohl die Feinde Jerusalems Mauern eingeschlossen hielten. Auch unser Fürst sah mehr als Einmal Kriegsrüstungen gegen sich betreiben, und sich das Schwert gleichsam an die Kehle setzen. Aber in der Ueberzeugung, daß die Sache der Religion durch menschliche Kraft nicht aufrecht erhalten, noch vertheidigt werden möge, unternahm er nichts dagegen, sondern empfahl seine und seines Volkes Wohlfahrt dem Schutz Gottes. Und wie ein wackerer Held bei dem Dichter sagt:

„Was dich auch dränget, besiege durch Dulden jegliches Schicksal,“

so hat er durch Geduld, Gelassenheit und edle Mäßigung die Feindseligkeiten seiner Gegner, so viel er immer konnte, beschwichtigt. Es ist mir nicht vergönnt, diese Vorzüge umständlicher darzustellen. Darum übergehe ich jetzt, was die von ihm begründete Hochschule fühlt, wie ersprießlich und heilsam für den Staat wissenschaftliche Bildung ist, welche der gewöhnliche Fürstenhaufe ärger als Gift und Pest flieht. Ich schweige von der Sorgsamkeit und Treue, mit welcher er Freunde sich verband, wie er sie zu schützen, und, was auf dem Throne so schwer ist, sich zu erhalten wußte. Ich übergehe, mit welcher Umsicht er Gefahren entgegen ging, wie standhaft er sie trug. Ich sage Nichts über seine außerordentliche Leutseligkeit im häuslichen Umgange, Nichts davon, wie fein und zierlich sein Ausdruck, wie scharfsinnig sein Geist gewesen. Ich erwähne Nichts von seiner bewunderungswürdigen Kunst in der Verwaltung des Staatsvermögens, durch welche er vor Kurzem noch die drückende Theurung milderte. Dieß Alles mögt Ihr nur Euch vergegenwärtigen, alle seine Vorzüge und Verdienste Euch in das Gedächtniß zurückrufen, um Euch bewußt zu werden, welchen Dank wir zuerst Gott für einen solchen Fürsten, welchen Dank wir auch den Manen desselben schuldig sind; ja keine Zeit müsse aus unsern Herzen die Erinnerung an seine herrlichen Eigenschaften und Wohlthaten verwischen. Denn, o wir Beklagenswerthen! es hat das Vaterland nicht nur einen wohlthätigen, segensreich waltenden Fürsten und Bewahrer eines langen Friedens, sondern den Vater hat es verloren, von dem es mit Allem, was nützlich und gut, ausgestattet worden ist. Es erwarben sich einst göttliche Ehre die, so zuerst den Ackerbau lehrten: er aber hat Ackerbau, Erziehungs- und Unterrichtswesen, Handel und Gewerbe treulich geschirmt, indem er eine so große Reihe von Jahren hindurch den Frieden uns erhielt. Auch unsere wissenschaftlichen Anstalten haben ihren Mäcen verloren; denn besser als er wußte kein Fürst geistige Vorzüge zu schätzen und zu ehren. Ganz Deutschland hat in ihm das Haupt des Reichsrathes verloren; da war er die sicherste Schutzwehr für alle Rechtlichen und Guten; ihm zunächst brachten in jener großen Krisis Deutschlands alle Stände die oberste Würde entgegen; seine Weisheit, sein Ansehn erachtete man als tüchtig zur Verwaltung des Reichs; ihn pflegte man in verwickelten Angelegenheiten als ein Orakel um Rath zu befragen. Und diesen haben wir zu einer Zeit verloren, wo, wie jener Dichter spricht (Lucan. IV. 175.):

„Nachbarstädte, zerreißend die Bande der heil’gen Verträge,
Schwingen die Waffen, und ringsum wüthet der blutige Kriegsgott.“

Wenn nun zur Wiederherstellung des Friedens, zu Verbesserungen in Beziehung auf Gesetze und Religion sein Ansehen, seine Weisheit, seine geistige Größe mehr als je Bedürfniß wäre, so mag ich zwar dem Vaterlande keine unglückliche Zukunft verkünden; ich fürchte jedoch, Gott habe ihn in Seinem Zorne diesen Ländern entrissen, damit wir keinen Beschützer des allgemeinen Friedens ferner hatten. Durch viele außerordentliche Erscheinungen hat Gott Seinen Zorn schon kund gethan; es sind Mißgestalten geboren worden; es haben sich mehrere Sonnen gezeigt; man hat Regenbogen in der Nacht gesehen, den Schall der Heerpauke in den Lüften vernommen, so daß man wohl entweder den Untergang aller Dinge, oder einen ganz besondern Schlag für Deutschland befürchten möchte! Dazu kam der Tod Friedrichs, des einzigen Fürsten, durch dessen Rath die allgemeinen Uebel geheilt werden konnten! Und wir sollten Deinen Tod, o Friedrich! nicht beweinen? Und wir müßten unser Loos nicht beklagen, da uns ja nicht der Herrscher, sondern der Vater in der ungünstigsten Zeit entrissen ist! Das Vaterland hat seine Augen auf Deinen Bruder gewendet; wohl ist es überzeugt, seinem Schutze sicher sich anvertrauen zu dürfen. Aber meint doch auch Er, einen Theil von seinem Selbst verloren zu haben, da Du verblichen, sehnt sich nach Deiner Geistesgegenwart, nach Deiner Kraft in jeder bedrängten Lage. Dieser Senat auch, vom Schmerz und der Trauer des Landes tief ergriffen, und gewohnt, Deinem Winke und Deiner Stimme zu folgen, vermißt, wie das Heer in einer bedenklichen Schlacht seinen Führer, so Dich, das Haupt der öffentlichen Berathung.

Doch ich gebe zu sehr dem Schmerze mich hin! Warum sammle ich mich nicht vielmehr, und fasse das auf, was meine Wehmuth etwas zu lindern vermöchte? Es haben weise Männer über die Kürze des menschlichen Lebens, und über das allgemeine Loos derer, die geboren werden, viel disputirt, um die Gemüther zu gewöhnen, gemeinsame Uebel leichter zu ertragen. Das will ich jetzt nicht berühren. Denn ich glaube, daß Friedrich, wiewohl Vernunft und eine vielseitige Erfahrung ihm eine große Kraft zur Ertragung irdischen Ungemachs ausgebildet hatte, doch ein anderer viel kräftigerer Grund bewog, mit Unerschrockenheit dem Tode entgegen zu gehn. Denn er wußte aus der christlichen Lehre, daß der Tod von Gott dem Menschengeschlechte aufgelegt ist, nicht nur als Strafe der Sünde, was allerdings schmerzlich ist, sondern auch, und dieses ist der Frommen theuerste Hoffnung, um mit dem Tode die Sünde abzulegen, und die Reise nach der Ewigkeit zu beginnen, Ueberdieß ist auch sein zurückgelegtes Leben, und vor Allem jene Geistesgegenwart in seinen letzten Athemzügen, Beweis, daß er überzeugt war, Gott sorge für sein Heil. Denn außerdem, daß er sich in frommer Gesinnung durch das Mahl des Herrn und durch fromme Gebete gestärkt hat, so höre ich auch, er habe unmittelbar vor seinem Ende Einem, der ihm Trost zusprach, geantwortet: „Gott hat’s gegeben; Gott hat’s genommen: der Name des Herrn sei gepriesen!“ Welch‘ ein herrliches Wort! welche vortreffliche Vorstellung von Gott bezeugt es! Denn gewiß, wer die Gesinnung hat, daß er den Genuß dieses Erdenlichts für ein Geschenk Gottes hält, und glaubt, daß wir nicht nach blindem Zufall sterben, sondern nach dem Willen Gottes diesen Leib ausziehen, daß wir dieses Leben nicht allein ablegen, sondern es auch Gott übergeben, – der preist dann auch im letzten Augenblicke den Namen Gottes; der empfindet ohne Zweifel dann die Nähe Gottes als eines Hafens und sichern Zufluchtsortes aller Bedrängten. Der ungläubige Sinn weiß nicht, daß er das Leben von Gott empfangen hat; er meint ohne Ursach zu unterliegen; er hat bei diesem so großen Uebel keinen Trost und keine Hilfe. Zuletzt, wenn er von Allem verlassen sich sieht, verwünscht er wohl gar alles Göttliche. Dieser aber, indem er Gott selbst um Hilfe anflehte, und bat, daß Andere ihn mit ihrem Gebete unterstützen möchten, hat nicht einmal nur ausgesprochen, was seine Hoffnung sei, wie er sich so ganz auf Christum geworfen habe, und pries immer zwischen durch in dem innigsten, süßesten Lobe seinen Gott. Und als Jemand erinnerte, Gott sei den Bedrängten gnädig, da rief er mit lauter, freudiger Stimme dazwischen: „gewiß, dessen halt‘ ich mich beharrlich von meinem lieben Gott versichert.“ Außerdem bat er noch sehr, man möchte ihm vergeben, so er Jemand beleidigt, nannte auch die namentlich, gegen welche er glaubte Groll gehegt zu haben, um zu zeigen, er habe allen Haß abgelegt. Er ordnete in Betreff des Staates und seiner eignen Angelegenheiten noch Vieles an, mit derselben Lebendigkeit des Geistes, welche ihm bei voller Gesundheit eigen war, las Einiges selbst, diktirte viel, wobei er die Worte und Gedanken so stellte, daß man darin die frühere Gewandtheit seines Geistes wieder erkannte. Als er endlich Alles nach Wunsch in Ordnung gebracht hatte, verlosch er im sanftesten Tode, so daß es recht deutlich sich zeigte, wie seine Körperkraft durch Krankheiten schon längst gebrochen, sein Geist willig und gefaßt war, den letzten Akt seines Lebens zu schließen.

Es hat ein ausgezeichneter Mann unter den Griechen geschrieben, die Philosophie sei die Vorbereitung zum Tode, und er setzt die höchste Weisheit darein, wenn man in der rechten Verfassung zum Tode und mit ihm vertraut sei. Doch ist wohl der in der besten Bereitschaft, welcher nach Christi Beispiel um des Evangelium willen, Vieles getragen hat. Wie oft und vielfach aber ist dieser unser Fürst um der Religion willen schon seit einigen Jahren angefochten und gemartert worden! Welche Bilder des Todes und des Verderbens mögen inzwischen seiner Seele vorgeschwebt haben! Weßhalb ich denn der Hoffnung bin, er sei auch zu diesem letzten Kampfe wohl vorbereitet gekommen. Darum aber, und weil er nur dabei gewonnen, indem er ein so mühevolles Leben abgelegt, wollen wir ihm vielmehr zu einem solchem Ende seines Lebens Glück wünschen, welches so viele Zeichen bietet, daß wir mit Recht glauben dürfen, er habe die Unsterblichkeit erlangt, und das Leben nicht verloren. Da er überdieß mit Ruhe und Ergebung abgeschieden ist, wollen auch wir dem Willen Gottes gelassen uns fügen, und vor Allem wünschen, daß, wenn wir einst abgerufen werden, eine ähnliche Todesweise auch uns zu Theil werde. – Laßt uns überzeugt sein, daß Friedrich glücklich gewesen, da er in seinem Leben eine so große Beständigkeit des Glücks erfahren, und seine Ruhe und Mäßigung bis zum letzten Athemzuge behauptet hat. Während seines ganzen Lebens hat der Himmel Frieden ihm verliehen, war sein Theil eine Gesinnung, welche bei der Staatsverwaltung, weil er stets sichere Maßregeln dem Kriege vorzog, nirgends vom Glück verlassen worden ist, und mit welcher er, wenn in Privatangelegenheiten etwas Widerwärtiges, wie ja alle menschliche Verhältnisse es bieten, ihm begegnete, durch Mäßigung und Beharrlichkeit dasselbe überwand. So war der Lauf seines Lebens so ruhig und glücklich, wie ihn andere Fürsten billig sich wünschen sollten. Laßt uns daher Gott danken, der ihm Schöpfer so vieles Glücks gewesen ist, und unserm Land‘ einen so segensreich waltenden, so glücklichen Fürsten geschenkt hat! Ich darf Euch nicht abhalten wollen, den schmerzlichen Schlag zu beklagen, welchen der Staat durch seinen Verlust erlitten. Aber dennoch fordere ich Euch auch bei dieser Trauer auf, daß Ihr Eurer Pflicht eingedenk, Euren Dank bezahlt für das reiche Maß von Segnungen, welches uns in diesem Fürsten zu Theil geworden ist; daß Ihr das Gedächtniß seiner Vorzüge tief in Eure Herzen prägt, und bedenkt, was Ihr für seine viele Arbeit und für so große, um Euretwillen ertragenen Mühseligkeiten auch seinen Manen schuldig seid! Ihr seid ihnen aber schuldig, vor Allem das Heil seiner Seele in frommen Gebeten Gott zu empfehlen; ferner, daß Ihr den edlen Fürsten, welche an seine Stelle treten, und bei diesem so bewegten Zustand ganz Europa’s die Pflicht, die allgemeine Wohlfahrt und Ruhe zu schützen, übernehmen, gewissenhafte Treue und Gehorsam beweiset. Das dürfen Friedrichs Manen für seine herrlichen Verdienste mit Recht als Dank fordern, und wo Ihr denselben nicht in seinem ganzen Umfange bezahlt, möchtet Ihr keine leichte Schuld auf Euch laden! Dann werdet Ihr nicht nur als undankbar gegen den hoch verdienten Friedrich, sondern auch als sündhaft vor Gott, dem Geber so großer Wohlthaten, welche Ihr unter seiner Herrschaft empfangen, und dem Stifter dieser neuen Regierung, erscheinen. Und gewiß, wer die Dankbarkeit gegen Gott verletzt, sündigt nicht ungestraft. Ich bitte aber zu Gott, Er wolle Friedrichs Seele nach Seiner Barmherzigkeit in Seinen Schutz nehmen und sie bewahren; Er wolle auch die neue Regierung des Bruders segnen, unser Land in diesen traurigen Zeiten beschirmen, und Euch den, die öffentliche Ruhe liebenden Sinn verleihen, daß Ihr Eure Fürsten nach dem Gebote Gottes mit aller Treue und Gewissenhaftigkeit verehret!

Philipp Melanchthon’s Werke
In einer auf den allgemeinen Gebrauch berechneten Auswahl
Herausgegeben von Dr. Friedrich August Koethe.
In sechs Theilen
Fünfter Theil
Leipzig:
F. A. Brockhaus.
1830

Friedrich der Weise

Friedrich der Weise

Dem Herzog Ernst von Sachsen, einem jener beiden Prinzen, die als Knaben so merkwürdiger Weise geraubt und befreit wurden, dem Stifter der sächsischen Ernestinischen Linie, ward am 14. Januar 1463 von seiner Gemahlin Elisabeth von Baiern ein Sohn geboren, der ihm 1486 in der Regierung seiner Landestheile, wie in der Kurwürde folgte. Friedrich hieß er, und sein besonnenes und friedsames, aber doch gleichmäßiges und festes Regiment, die Klarheit über das, was er konnte und wollte, hat ihm den Ehrennamen des Weisen eingetragen. Sein Verhalten in den mehr als staatsmännische Klugheit erfordernden großen Händeln, in die ihn Gott geführt, seine Stellung zu Luther und dem beginnenden Werke der Reformation, straft wenigstens das ehrende Zeugniß der vaterländischen Geschichte nicht Lügen. Und sollte bei manchem seiner Schritte auch etwas von berechnender Klugheit und Menschenfurcht zu spüren sein, nun so tritt doch um so klarer die göttliche Weisheit an’s Licht, welche dem berufnen Reformator einen Fürsten zur Seite stellte, der Gamaliels Rath folgend mehr zusah, als drein griff, zur gewaltsamen Unterdrückung der Wahrheit und des Wahrheitzeugen sich um keinen Preis bewegen ließ, aber auch nicht mit seinem weltlichen Arm ausrichten wollte, was allein durch die Macht des göttlichen Wortes geschehen konnte und sollte. „So viel als ich vermag“ war Friedrichs Wahlspruch, fürwahr, der Wahlspruch eines Weisen, und daß er demselben auch wirklich nachgelebt hat, über das Maaß seiner Erkenntniß und Kraft niemals hinausgegangen ist, achten wir als seinen besten Ruhm. Er hat gethan, was er konnte.

Von Friedrichs löblichem und friedlichem Regiment, das er in schöner Eintracht mit seinem jüngeren Bruder Johann (der Beständige zubenannt), welchem zu lieb er auch ehelos blieb, führte, und von seinem Ansehn im deutschen Reich, welches sich am meisten bei der Kaiserwahl im Jahre 1519 zeigte, ist in den Büchern deutscher Geschichte allenthalben zu lesen. Wir wollen hier nur etliche Züge seiner christlichen Regententugenden anschauen, um dann seine innere und äußere Stellung zur Reformation in’s Auge zu fassen.

Es war ihm ein Ernst mit seiner Regentenpflicht. An der Wand seines Schlafzimmers stand das homerische Wort geschrieben: „Einem, der für Land und Leute zu wachen hat, steht nicht zu, die ganze Nacht zu schlafen.“ Und darunter: „Dir ist dein Sparta zugetheilt worden, das schmücke.“ Darum begehrte er auch der Kaiserkrone nicht, die man ihm anbot. Luthers Schrift: „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ war ihm so wichtig, daß er sie besonders abschreiben und einbinden ließ, „damit er auch möchte sehen, was sein Stand sei vor Gott.“ Sein Regiment war ihm ein gottbefohlen Amt: „Lieber Thun – sprach er zu dem Ritter Friedrich von Thun, als dieser Urlaub von ihm begehrte – du siehst, daß Regieren ein schwer Ding ist, und ich bedarf dazu geschickter Leute, ich kann deiner nicht entbehren. Wiewohl es dein Alter nicht länger ertragen will, daß du zu Hofe seist, so mußt du doch Geduld haben, gleichwie ich auch muß geduldig sein. Denn wenn ich es nicht thun will und du auch nicht, wer will’s denn thun? Darum kann ich dich nicht von mir lassen.“ Doch gab er sich seinen Räthen nicht in die Hand: er hörte ihren Rath und that gleichwohl das Widerspiel, doch mit solcher Vernunft, daß sie nicht dawider reden konnten.

Den Lügnern war er besonders feind. Das Recht wußte er ohne Rechtsbüchergelehrsamkeit zu treffen. Er hatte übrigens manche Kenntnisse, um die sich die damaligen Fürsten nicht kümmerten, liebte die Wissenschaften, ehrte die Gelehrten, führte die Sprüche der Alten gern im Munde. Dagegen befahl er, daß im Reichskammergericht zu Speier, dem er eine Zeitlang vorstand, alle Verhandlungen in deutscher Sprache geführt würden, denn das Recht soll, wie Gottes Wort, dem Volke nicht in fremder Zunge gegeben werden. Er schrieb ungern Steuern aus (doch mußte ihm einst Luther wegen einer beschwerlichen Steuer Vorstellungen machen), hatte die armen Leute lieb und vermerkte es ungnädig, wenn die Herren vom Adel sie beschwerten. Wenn er sammelte, sammelte er nicht für sich, sondern für sein Land, darum hinterließ er einen großen Schatz und Vorrath, obwohl er an Bauten und sonst viel wendete, denn er war ein guter Haushalter und rechnete seinen Amtleuten scharf nach. Besonders hochangesehen ist er um seiner Friedensliebe willen. In seinem Lande, unter seiner Regierung kam keine Fehde auf. „Er konnte viel verdauen und ihm selbst steuern – sagt Luther von ihm – ob er gleich von Natur zornig war, aber er hielt an sich.“ Und dieß war nicht Furchtsamkeit und unritterlicher Sinn, denn er pflegte wohl zu sagen, wenn man seiner Geduld den Trotzigen gegenüber sich verwunderte: „Ich will nicht anheben, muß ich aber kriegen, so sollst du sehen, das Aufhören soll bei mir stehn;“ sondern das Leben seiner Unterthanen stand ihm hoch im Preis. Als ihm in seinen Streitigkeiten mit der Stadt Erfurt die Nachricht gebracht wurde, er brauche keine zehn Mann an Erfurt zu wagen, fragte er den Ueberbringer: „Wollt ihr einer der Zehn seyn?“ und als dieser mit den Achseln zuckte, fuhr er fort: „So ist einem jeden sein Leben lieb, und wüßte ich zehn Erfurte zu bekommen, so wollte ich nicht einen Mann daran wenden. Ihr rathet für meine Unterthanen nicht wohl!“

Dieß war der Fürst, an dessen redlichem Herzen und gelassenem Muthe alle arglistigen und gewaltthätigen Versuche, die beginnende Reformation im Keime zu ersticken, scheiterten. Wie kam es dazu? wie kam es, daß Friedrich so ganz andere Wege ging, als sein Nachbar und Vetter Herzog Georg? Es ist wahr, er war ein wahrhaft frommer Mann und Luthers evangelische Predigt kam den Bedürfnissen seines Herzens entgegen, aber er mußte gleich diesem vieles daran geben, davon er früher hochgehalten, und es für Schaden rechnen, um Christum zu gewinnen; denn seine Frömmigkeit, obgleich durchaus redlich, trug ganz das Gepräge seiner Zeit. „Aus sunder Innigkeit und Andacht“ machte er 1493 eine Fahrt nach Jerusalem und richtete vor deren Antritt „zu seiner Seelen Trost“ wohlthätige Stiftungen für arme Studirende auf. In seinem Geleit war ein Herzog von Baiern, ein Graf von Anhalt, viele Edelleute, auch der Maler Lucas Kranach und der gelehrte Martin Pollich von Melrichstadt. Am heiligen Grabe ließ er sich von Friedrich von Schaumburg zum Ritter schlagen. Dort im heiligen Lande fand auch seine Vorliebe für das Ansammeln von Reliquien reichliche Nahrung, und von dieser Reise her datirt sich besonders die reiche Sammlung, welche er, durch Ankäufe in allen Ländern vermehrt, in der von ihm erbauten Stifts- oder Allerheiligenkirche zu Wittenberg aufrichtete, deren einzelne Nummern die Summe von 5005 erreichten und bei deren Ausstellung jedem Anwesenden ein auf 1443 Jahr zu berechnender Ablaß zufloß. Dieses Stift lag aber auch dem Kurfürsten, der auf „Kirchen, Zierden, Heiligthum und Wallfahrten“ überhaupt so viel hielt, ganz besonders am Herzen, er zierte es mit Kleinodien, Ornaten und Heiligthümern, daß es ihm 200,000 Gulden gekostet haben soll; die Zahl der Personen des Stifts brachte er auf 80, nahe an 10,000 Messen wurden Jahr aus Jahr ein dort gelesen, der Verbrauch an Wachs stieg auf 36,000 Pfund. Und dieses ganze mühsam und mit so vielen Kosten zusammengebrachte Werk mußte Friedrich später als ein vergebliches erkennen und sich gefallen lassen, daß Luther das Stift um der dort noch länger fortbestehenden Stillmesse willen ein Bethaven nannte. Das mußte ein schweres Opfer sein, einen harten Kampf kosten. Zwar finden sich neben diesen Proben abergläubischer Frömmigkeit auch früher schon bei Friedrich Beweise, daß er Auge und Herz hatte für die lautere, evangelische Wahrheit. So wurde z. B. Luther ganz für ihn eingenommen durch einen Ausspruch, von dem Staupitz erzählt hatte: daß ihn nämlich die Predigten, welche aus Spitzfündigkeiten und Menschensatzungen beständen, sehr kalt ließen und unkräftig erschienen, weil sich nichts so Spitzfündiges aufbringen lasse, was nicht durch eine andere Spitzfindigkeit widerlegt werden könne. Die heilige Schrift allein sei es, die ohn all‘ unser Zuthun solch‘ eine Majestät und Kraft habe, daß sie bald alle Disputirkünste überwinde und uns zwinge zu bekennen: So hat nie ein Mensch geredet, hier ist Gottes Finger, denn sie redet gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten. Friedrich umgab sich auch mit Männern, an denen eine geläuterte Erkenntniß und wahre Herzensfrömmigkeit zu spüren war. Bei der Stiftung der Universität Wittenberg im J. 1502, an die er sein Bestes wendete und die er in genauen Zusammenhang mit der Stiftskirche setzte, nahm er den vorerwähnten Dr. Pollich, der schon in Leipzig der scholastischen Lehrweise Widerpart gehalten hatte, und den Dr. Staupitz, den geistlichen Vater Luthers, zu Hülfe, und wie dieser es war, der im J. 1509 Luthern der jungen Universität zuführte, so erkannte jener alsbald mit prophetischem Blicke an ihm den zukünftigen Reformator. Der Kurfürst aber hatte auch nicht entfernt daran gedacht, welch‘ eine neue Lehre von seiner an einem so armseligen Ort errichteten Universität ausgehn würde, als er bei deren Stiftung in der Confirmationsurkunde erklärte, er werde sammt allen umwohnenden Völkern sich dahin wenden als an ein Orakel, „so daß, wenn wir voll Zweifels gekommen, nach empfangenem Bescheid unserer Sache gewiß uns wieder entfernen.“ Als Luther durch seine Thesen über den Ablaß einen Funken hinwarf, an dem sich ein so gewaltig Feuer entzündete, wußte er selbst nicht was er that, Gott hatte es ihm geheißen und kein Mensch, am allerwenigsten der rücksichtsvolle Kurfürst von Sachsen, der übrigens Luthern persönlich immer ferne blieb, nur einmal ihn gesehn, nie mit ihm gesprochen hat. Mit Besorgniß sah er der Sache zu, fürchtend es möchten weitere Unruhen daraus entstehn, aber zu Gewaltmaaßregeln ließ er sich nicht bewegen, er that, was andere fromme Leute auch thaten, er gab Gott nach, las was geschrieben wurde, mit Fleiß, und wollte, was er als wahr erkannt hatte, nicht unterdrücken helfen. Von da ab kam der gottesfürchtige Kurfürst in den schweren Kampf, daß er von Außen immer mehr gedrängt wurde, die Sache zu dämpfen, und in demselben Maaße innerlich von deren Wahrheit und Gerechtigkeit überzeugt wurde. Insbesondere thaten Luthers Lehr- und Trostschriften seinem heilsbedürftigen Herzen überaus wohl. Unmöglich konnte ein so gottesfürchtiger Mann offenbar wider Gott streiten, aber die Sorge um den bedrohten gemeinen Frieden lag ihm doch auch hart an. Daher jenes zurückhaltende und behutsame Verhalten, welches leicht wie Schwäche aussehn kann. Nicht oft genug konnte er in seinen öffentlichen Schriften wiederholen, wie er sich noch nie unterstanden, Dr. Luthers Lehre und Schriften mit seinem Ansehn zu fördern oder zu vertheidigen, aber er pflegte auch hinzuzufügen, daß er ihn nicht unverhört und unüberwiesen überantworten könne, und daß seine Lehre von vielen Gelehrten und Verständigen für gottselig und christlich gehalten werde. Gegen Vertrautere ließ er sich wohl noch etwas weiter heraus, aber doch ging ihm Luther viel zu schnell vorwärts, als daß er gleich folgen konnte: hätte es in seiner Macht gestanden, so hätte er Luthers Lauf wohl gemäßigt, und einmal war es nahe daran, nicht daß er Luthern preis gab, wohl aber daß er ihn anderswo eine Zuflucht suchen ließ. Doch es blieb und auf des Cardinal Cajetan unziemliche Insinuationen gab der Kurfürst eine mannhafte Antwort, wie sie sein gutes Gewissen und ein ihm wohlanstehender deutscher Fürstenstolz ihm dictirte. Inzwischen änderten sich nicht blos die äußern Umstände in etwas, sondern Friedrich hatte auch schon zuviel von der Süßigkeit des Evangeliums geschmeckt, als daß des zweiten päpstlichen Legaten Miltiz glatte Worte und das hohe päpstliche Gunst- und Ehrengeschenk der geweiheten Rose ihn hätten umstimmen können.

Unter vielen Verhandlungen kam Luthers Sache endlich trotz des bereits gesprochnen päpstlichen Banns vor den Reichstag. Da hatte freilich der Kurfürst seine heimliche Freude daran, wie wohl der Pater Dr. Martinus redete vor Kaiser und Reichsständen, aber er war ihm doch „viel zu kühne,“ und ihn gegen des Kaisers Urtheil und Acht öffentlich zu schützen, erlaubte ihm sein Unterthanengewissen nicht. Aber eine heimliche Zuflucht auf der Wartburg konnte er ihm bereiten, sich daselbst eine Zeit zu enthalten. Daß Luther nicht länger dort blieb, daran waren die von Carlstadt erregten Wittenberger Unruhen und Melanchthons Rathlosigkeit Schuld. Aber obwohl es die Wittenberger dem Kurfürsten „zu wunderlich und mancherlei“ machten, daß er fürchtete „es würden soviel Secten daraus werden, daß männiglich irre darüber würde und Niemand wüßte, wer Koch oder Kellner wäre;“ so war er doch so weit gekommen, daß auch dieß ihn nicht mehr irre machen konnte. So demüthig als muthig erklärte er: „Das ist ein großer Handel und den ich als ein Laie nicht verstehe. Nun hat mein lieber Gott meinem Bruder und mir eine ziemliche Armuth gegeben. Wenn ich nun die Sachen verstünde, ehe ich wollte mit Wissen wider Gott handeln, ehe wollt ich einen Stab in meine Hand nehmen und davon gehn.“ Und als Luther von der Wartburg aus dem Kurfürsten Glück wünschte, daß Gott ihm, den er so lange Jahre nach Heiligthum in alle Länder habe bewerben lassen, jetzt ein ganzes Kreuz mit Nägeln, Speeren und Geißeln ohn alle Kost und Mühe zugeschickt habe; so antwortete der Kurfürst, daß, wenn er wüßte, daß solches das rechte Kreuz und Heiligthum von Gott sei, er kein Entsetzen davor trüge, weil Gott gesagt habe, sein Joch wäre süß und seine Bürde leicht. Er wolle, wenn er recht eigentlich und gründlich wüßte, was in dem Willen Gottes recht und gut wäre, für seine Person gern Alles darob leiden und dulden. Nur daß auch andere Leute sollten in Schaden und Beschwerung kommen würde ihm sehr beschwerlich fallen und darum wolle er nicht, daß Luther jetzt schon nach Wittenberg komme. Aber Luther kam doch und zeigte seine Abreise dem Kurfürsten in dem bekannten Briefe an, dessen Glaubenssinn und Heldenmuth so oft bewundert worden ist. Aber auf gerechter Wage wiegt kaum weniger schwer die ruhige Ergebenheit des gewissenhaften Fürsten, der sich in einem schweren Gedränge zwischen seiner Lehenstreue und Regentenpflicht einerseits und zwischen seiner Liebe zur erkannten Wahrheit andererseits befand. Doch die Versuchung ward dem treuen Manne nicht schwerer gemacht, als er sie tragen konnte. Die Sachen gingen ihren beschiedenen Weg weiter, wie wir wissen.

So kam das Jahr 1525 herbei und mit ihm der unselige Bauernaufstand. Friedrichs Regiment hatte an diesem Unglück ebensowenig Schuld als Luthers Lehre. Er war den Seinen immer ein milder Herr gewesen und sagte es frei heraus, daß man den armen Leuten zu solchem Aufruhr Ursach gegeben, sonderlich mit Verbietung des Worts Gottes, und er ermahnte noch seinen in den Kampf ziehenden Bruder, vorsichtig und nachgiebig zu Werke zu gehen. Er selbst lag damals schon auf seinem letzten Lager auf seinem Jagdschloß in Lochau: in die Nähe des Sterbenden kam der Kampf nicht, der Kurkreis blieb fast unberührt vom Aufruhr. Doch stellte er sich ernstlich die Gefahr vor, daß die Bauern Herr werden möchten, ohne jedoch davor zu erschrecken, denn ohne Gottes Willen werde es nicht geschehn. Es war der 5. Mai. Keiner seiner Verwandten war um ihn, nur seine Diener. Er sprach zu ihnen: „Lieben Kindlein, habe ich Einen von euch beleidiget, so bitte ich ihn, mir es um Gottes willen zu vergeben, wir Fürsten thun den armen Leuten mancherlei, das nicht taugt.“ Hierauf empfing er aus den Händen seines gewöhnlichen Beichtvaters, des Pfarrers von Herzberg, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Sein Secretair und Hofprediger Spalatin, mit dem er Tags zuvor noch über wichtige Dinge lange gesprochen hatte, hatte ihm eine Trostschrift zurückgelassen, die las er und wollte sie abermals lesen, als Spalatin hinzukam und sie zu Ende las. Dann machte er sein Testament, seine Kräfte sanken und er rief aus: „Ich kann nimmer.“ Er schlief so sanft ein, daß sein Arzt, Heinrich Stromer, ausrief: „Er war ein Sohn des Friedens und in Frieden ist er gestorben.“ Das waren auch Luthers Gedanken bei der Kunde von seinem Tode: „Es stehet sich an, – sprach er – als habe ihn Gott weggerückt, wie den König Josia, daß er solches Uebel in der Welt nicht sehe, weil er sein Lebelang ein friedsam, still, ruhig Regiment geführet hat, daß er billig Friederich geheißen.“ In der Schloßkirche zu Wittenberg, wo auch Luthers Gebeine ruhen, ward er begraben: neben lateinischen ertönten deutsche Gesänge an seinem Grabe. Dort sehen wir noch die edlen Züge in dem trefflichen Bildnisse, das Peter Vischer ihm gegossen: er hält wie im Leben das Reichsschwert fest in den Händen und über ihm steht der Wahlspruch, auf den jene drei großen sächsischen Fürsten sich stützten: Verbum Dei manet in aeternum. (Gottes Wort bleibt ewig.)

M. Meurer in Callenberg.

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874