Auf zwei verschiedenen Wegen sind die Stämme des deutschen Volkes zum Evangelium berufen worden, und je nachdem sie den einen oder den andern geführt wurden, ist ihr Leben und ihr Antheil an der großen Arbeit der Menschheit nach einem ewigen Rathschlusse bestimmt worden. Die einen haben das Christenthum für sich erobert, die andern sind von ihm erobert worden. Jenen Weg haben die Gothen, Franken und Alemannen betreten, auf dem andern sind die Sachsen aufgesucht worden. Jene stürmten hervor aus ihren alten Sitzen, getrieben von wilder Jugendkraft und ungebändigter Kampfeslust, durchbrachen die Grenzwehren der Römer, zerstörten die Castelle, eroberten die Städte, verwüsteten die Provinzen, und drangen ein bis in das Herz des Reiches. Da setzten sie sich fest, mitten unter der geschlagenen Bevölkerung römischer Sprache und Sitte, und fanden nicht allein eine neue Bildung, sondern aus den Trümmern der Städte erhob sich auch das Kreuz, das hier schon lange errichtet worden war, und zu seinen Füßen legten die Sieger ihre Waffen nieder. Ein höheres Gesetz hatten sie in ihrem dunkeln Drange vollzogen.
Andere Stämme sind durch das Evangelium erobert worden. Tiefe Wurzeln hatten die sächsischen Völker in die heimische Erde gesenkt, und gleich ihren alten Eichen schienen sie mit ihr verwachsen; im Dunkel ihrer heiligen Wälder, an den geheimnißvollen Quellen, an den Opferstätten, da verkehrten sie nach der Väter Sitte mit ihren Göttern. Voll harter Kraft waren sie, im Gefühle der Freiheit unbeugsam und nur schwer zu brechen. Große Wanderungen auf dem Festlande hatten sie nicht bestanden, und ihrer Natur gemäß ihre Grenzen nur langsam erweitert. Zuletzt hatten sie den uralten Stamm der Bructerer unterworfen und vertrieben, und waren im Westen bis zu den Ufern des Rheines gekommen, da wo sich die Issel von dem Strome trennt, und nach Süden hinab bis über die Mündungen der Lippe und Ruhr.
Dennoch hatte sich ein Theil von ihnen früh und ganz abgelöst; das waren die nördlichsten Stammgenossen, die Angelsachsen, die im fünften Jahrhundert über die See gegangen waren und ein großes Gebiet auf den britischen Inseln erobert hatten. In Irland aber bestand die Kirche Christi nach der Lehre, wie sie seit uralter Zeit aus dem Osten herübergebracht worden war. Dennoch empfingen die Angelsachsen sie nicht von dort, sondern aus Rom, aber wie ihre Nachbaren, die Iren, wurden sie durstige Hörer des Wortes; wie jene ergriff sie der Geist, alle Völker zu lehren, und ihnen die Taufe zu bringen aus dem Lebendigmachenden Geiste. Wie die Franken das Schwert der Eroberung führten, zuletzt und am gewaltigsten in Karl dem Großen, so brachten Angelsachsen und Iren die Lehre von dem neuen Leben den Völkern des deutschen Festlandes, das ihnen gegenüber lag auf der Ostseite der See. Da kamen die irischen Apostel herüber und verkündeten das Evangelium bei den Alemannen, so Columban, Gallus und Trudpert, und bei den Anwohnern des Mains Kilian; und die angelsächsischen bei den wilden Friesen an den Mündungen des Rheins. Ob auch der Samen oft auf steinigen Boden fiel, sie wurden nicht müde, hier zu predigen, Livin, Wilfried von York, Wiobert und endlich Willibrord.
Als sie mit den Friesen bekannt geworden waren, erkundeten sie hinter diesen im Osten die Altsachsen, härter noch als jene, schwerer zugänglich, weil sie mitten im Lande saßen und nur im Norden eine schmale und entlegene Seeküste hatten. Unter denen, in welchen der Eifer Widibrords und seiner Genossen ein gleiches Feuer entzündet hatte, waren zwei Geistliche eines und desselben Namens Ewald. Aber nicht nur gleich an Herkunft und Namen waren sie und eng mit einander verbunden, sie waren gleich im Glauben, gleich an Hingebung, gleich voll Feuer in den Kampf zu gehen, und beide hatten längere Zeit in Irland gelebt, um den Dienst der dortigen Kirche kennen zu lernen. Wie sie äußerlich sich unterschieden, der eine durch sein blondes Haupthaar und helle Gesichtsfarbe, der andere durch ein dunkles Antlitz und schwarzes Haar, so nannte man sie den weißen und den schwarzen Ewald; jener war der mildere, dieser der stärkere und in der Wissenschaft vom Worte Gottes der bewandertere. Zu ihnen gesellten sich andere Gefährten, darunter einer Namens Tilmon, edler Abkunft, früher ein Krieger, der mit ihnen jetzt in einen andern höhern Streit ziehen wollte. Von Friesland her überschritten sie den Rhein, und drangen muthig ein in das waldesdunkle Land, um ihm das Licht zu bringen.
Da sie auf keinerlei Hülfsmittel hoffen durften, führten sie außer dem nothwendigen Reisegeräth eine Kapelle mit sich, das heißt Alles was zum feierlichen Gottesdienste nöthig ist, die Gefäße und einen tragbaren Altar, überall wo sie den aufstellten, da war die sichtbare und wandernde Kirche, und sie hielten ihre Versammlung mit Gesang der Psalmen und Predigt alle Tage. Da strömten die sächsischen Gauinsassen herbei, um die Fremden zu sehen und ihre Rede zu hören, was sie in das Land brächten. Jene aber suchten Freunde zu gewinnen, und hofften besonders auf den Vorsteher des Gaues. Einen aber fanden die beiden Ewalde unter den Gaugenossen, der nahm sie gastfrei bei sich auf und versprach sie zu dem Gauvorsteher zu senden. Vorher ließen sie diesem verkünden, sie seien gekommen um einer heilbringenden Sache willen, die sie dem Volke und ihm mittheilen wollten.
Während die Ewalde noch des Bescheides harrten und fortfuhren in ihrer Predigt, da wurden die Gaugenossen wider sie erregt, weil sie von einem neuen Glauben hörten und von dem Sturze ihrer alten Götter, deren Dienst sie von den Vätern ererbt hatten. Auch fürchteten sie, der Gauvorsteher könne der neuen Lehre Gehör geben und ihm die übrigen folgen; darum beschlossen sie eine rasche That, bevor dieser herbeikomme. Beim Gottesdienste überfielen sie plötzlich die Glaubensboten und die mit ihnen versammelt waren; mit einem Schwertschlage tödteten sie den weißen Ewald, der schwarzen nahmen sie gefangen, zerbrachen ihm die Glieder und ließen ihn qualvoll sterben unter ihren Händen; die Leichen warfen sie in den Rheinstrom. Die andern Gefährten wurden zerstreut und entflohen; zu spät kam der Gauvorsteher um die That zu hindern, nur die Thäter vermochte er noch zu strafen. Die Sage aber fügt hinzu, jenem Tilmon sei es durch ein Traumgesicht verkündet worden, an welcher Stelle des Rheines die Leichen zu finden seien, kenntlich durch eine Feuersäule, die sich über ihnen erhebe. Da sie aber endlich gefunden waren, führte Pippin, der Majordomus der Franken, sie in feierlichem Zuge nach Köln, und setzte sie daselbst bei.
Wo die That geschehen sei, unfern des niederrheinischen Ufers, ist nicht mehr zu bestimmen; die Sage, eingedenk des Wassers, das sprudelt in Ewigkeit, welches die Ewalde dem Sachsenvolke zu bringen hofften, berichtet von einem Lebendigen Quell, der an jener Stelle aus der Tiefe hervorgebrochen sei und das Land ringsumher getränkt habe. Haben sie auch nicht den Quell selbst aufdecken können, doch haben sie zuerst die harte Erdrinde zu öffnen gesucht. Ihr Tag war der 3. October, wahrscheinlich des Jahres 693.
R. Köpke in Berlin.