Paul Eber, ein berühmter Schüler Luthers und Melanchthons, war dem Leibe nach ein gar schwaches Männchen, wenig Körper, aber viel Geist. Er war auch von Hause aus sehr arm und aus geringem Stande. Sein Vater war ein Schneider zu Kitzingen in Franken, ein ehrsamer Bürgersmann. Am 8. November 1511 um 1 Uhr nach Mitternacht wurde ihm dieser Sohn geboren, sechs Jahre vor dem Anfang der Reformation. Er bemerkte bald an dem Knaben gute Fähigkeiten und Trieb zum Lernen: deshalb schickte er ihn in seinem zwölften Jahre nach Ansbach, wo eine gute Schule war, und gab ihn einem dortigen Bürger, Namens Paulus Rothala, in die Pflege. In der Schule ging es gut: aber nach Jahr und Tag wurde der kleine Paul kränklich und der Hauswirth bat den Vater ihn heimzuholen: die Mutter war ihm inzwischen gestorben. Der Vater schickte seinen ältesten Sohn Johannes ab, befahl ihm in Ansbach ein Fuhrwerk zu miethen und den schwächlichen Bruder nach Hause zu bringen. Johannes sah, daß der Kleine leidlich munter war und mochte das Geld sparen wollen: er machte sich mit ihm zu Fuße auf den Weg. Paul wird müde und sein Bruder freut sich, als er auf der Straße einen Fleischer findet, der ihm erlaubt, den kleinen Wandrer auf sein Pferd zu setzen: der Fleischer und Johannes gehen sachte nach. Plötzlich wird das Pferd scheu, sucht das Weite über Stock und Stein und schleift den schwachen Reiter fast eine Viertelmeile weit. Doch war außer einer leichten Kopfwunde an ihm keine äußerliche Verletzung zu bemerken und Paul ließ sich von seinem Bruder, der des Vaters Zorn fürchtete, überreden, den ganzen Unfall zu verschweigen und die Kopfwunde fälschlich dadurch zu erklären, daß er in der Nachtherberge über die Schwelle gestolpert und gefallen sei. Das war so eine beliebte Nothlüge, dergleichen leider seit Adams Fall täglich vorkommen. So wurde der Schaden, den Paul innerlich erlitten, verheimlicht, bis er unheilbar war, und die Folge ist gewesen, daß sein Wachsthum gehemmt wurde und er für sein ganzes Leben eine kleine, höckerige und gebrechliche Gestalt behielt. Nun mußte der kranke Knabe ein ganzes Jahr im väterlichen Hause bleiben, um wieder zu einigen Kräften zu kommen, und das war gerade die unglückliche Zeit des Bauernkriegs. Unterdessen war in Nürnberg seit 1522 das Evangelium gepredigt und die Reformation begonnen worden: und bei Gelegenheit einer Hochzeit, an der Pauls Vater dort Theil nahm, hörte er auch die daselbst neu eingerichtete Schule rühmen und beschloß seinen Sohn derselben anzuvertrauen; an welcher Melanchthons Freund, Joachim Camerarius, damals ein junger Mann von 27 Jahren, Rector war. Paul wurde Einer seiner liebsten und tüchtigsten Schüler und ging im Jahre 1532 nach Wittenberg, wo er Melanchthons und Luthers Unterricht genießen sollte. Er wurde mit allen trefflichen Jünglingen, die sich um diese beiden Helden vereinigten, befreundet, war aber nicht eine lutherische, sondern eine melanchthonsche Natur, sinnig, friedsam, sein und sehr wißbegierig: aber der Kampf und Streit betrübte ihn und es war ihm auch nicht gegeben, so leicht zu einer felsenfesten Gewißheit der Ueberzeugung in Glaubenssachen zu kommen, weil er jede Sache gern von allen Seiten ansah und es ihm Ueberwindung kostete, den Verstand gefangen zu nehmen unter den Gehorsam des Glaubens. Er war zum Lehrer und Erzieher geschaffen, zum Helden und Reformator nicht. Als er im J. 1536 seine Studien vollendet hatte, und Magister worden war, zog ihn Melanchthon ganz in sein Vertrauen, theilte ihm alle seine Geheimnisse mit und brauchte ihn wegen seiner zierlichen Handschrift als seinen Schreiber, zu welchem Dienst der bescheidene Paul Eber seinem theuren Lehrer und Freund sehr willig sich hingab.
Er bestimmte sich zum Lehrer an der Universität Wittenberg, der er bis an seinen Tod treu geblieben ist. Im J. 1541 verheirathete er sich auf Melanchthons Betrieb mit einer frommen Jungfrau aus Leipzig, Helena Küffner, mit der er in sehr glücklicher Ehe Vater von dreizehn Kindern wurde, von denen jedoch nur vier ihn überlebten. Als im Schmalkaldischen Kriege nach Luthers Tode Wittenberg bedroht wurde und die Lehrer und Studenten fast alle die Stadt verlassen hatten, blieb Paul Eber zurück und beschützte, so gut es ging, Melanchthons Haus gegen die Räubereien der kaiserlichen Kriegsknechte. Ein ganzes Jahr lang vom November 1546 bis zum November 1547 war des Krieges wegen der akademische Unterricht ausgesetzt.
Im Jahre 1557 erhielt er eine theologische Professur und wurde zugleich Prediger an der Schloßkirche: nach Bugenhagens Tode trat er an dessen Stelle und wurde also der zweite evangelische Stadtpfarrer und General-Superintendent des Kurfürstenthums Sachsen. Universität und Rath hatten ihn einstimmig gewählt und am 15. August 1558 den Kurfürst August um seine Bestätigung gebeten, wobei sie unter Anderm sagen: „Und sind unser aller Stimmen ohne alles Practiciren einträchtig gewesen, daß keine andere Person von Jemand nominirt ist: denn wir alle wissen, daß er gottesfürchtig ist und einen rechten Verstand hat christlicher Lehre, und ist allezeit in gemeiner Confession der Kirchen dieser Lande geblieben, ist verständig und friedliebend. Wiewohl nun gedachter M. Paulus Eberus sich entschuldigt und viel Ursachen fürgewandt von der großen Last dieses Amts, hat darüber seines Leibes Schwachheit angezogen, die wir alle wissen, und wir gern sein verschont hätten: so haben wir doch keine andere Person nach Gelegenheit dieser Zeit ihm vorzuziehen bedenken können, haben also guter christlicher Meinung aus keinem Privataffect angehalten und gebeten, daß er bewilligen wollte.“ Mit großer Bescheidenheit nahm er endlich am 7. December 1559 auch die theologische Doctorwürde an und, nachdem Melanchthon am 19. April 1560 das Irdische gesegnet, mußte er, obwohl mit Zittern und Zagen, an die Spitze der Wittenberger Theologen treten und von nun an alle die Streiche leiden, die von den streitbaren Gegnern früher auf des milden Melanchthons Haupt geführt worden waren. Denn er gehörte selbst zu denjenigen Gottesgelehrten, in welchen bei frommem Sinn die Glaubenserkenntniß nur nach und nach zur höchsten Fülle und Gewißheit aufwächst und die es daher auch nur für verderblich hatten können, wenn Anderen die schärfsten Spitzen der evangelischen Lehre aufgezwungen und aufgeschreckt werden sollen, statt die Frucht der Erkenntniß unter der Zucht des heiligen Geistes still reifen zu lassen. Luther hatte vor seinem Tode wohl geahnet, welcher hohe Beruf einst auf Ebers Schultern ruhen würde, vielleicht aber auch gefürchtet, daß er ihm nicht ganz gewachsen sein möchte. Er hatte um die Zeit seines letzten Geburtstages, den er erlebte, die Freunde Bugenhagen, Melanchthon, Cruciger, Major und Paul Eber um sich versammelt und nach gehaltener Mahlzeit, ehe sie weggingen, ernste Worte an sie gerichtet. „So lange ich lebe – hatte er gesagt – hat es, so Gott will, keine Gefahr, und wird in Deutschland Friede bleiben: aber wenn ich todt bin, dann betet: ja dann wirds noth thun zu beten und unsre Kinder werden zum Speer greifen müssen: es wird schlimm mit Deutschland stehen. Das tridentinische Concil zürnt uns sehr und meint es böse mit uns: darum bittet, bittet fleißig nach meinem Tode.“ Dann wandte er sich an Eber und sprach: „Du heißest Paulus; nun so werde ein Paulus und suche standhaft die Lehre zu erhalten und zu schützen, die Paulus gelehrt hat.“
Unser Paulus suchte unter viel Arbeiten, Leiden und Kämpfen treulich dieser Mahnung nachzuleben bis an seinen Tod, der den 10. December 1569 erfolgte. Vorher hatte er viel Hauskreuz gehabt, nach einander mehrere Glieder seiner Familie und zuletzt am 22. Juni desselben Jahres seine treue Lebensgefährtin verloren. Ihr Andenken wird noch durch Ebers schönes Neujahrslied erhalten, das anhebt: „Helft mir Gott’s Güte preisen, ihr lieben Kindelein.“ Denn die ersten Buchstaben jedes der sechs Verse bilden zusammen den Namen Helena, den seine Gattin und Eine seiner Töchter geführt hat. Er hat sieben geistliche Lieder gedichtet, unter denen das herrliche Lied: „Wenn wir in höchsten Nöthen seyn“ noch gesungen wird und der leidenden Kirche immer erhalten zu werden verdient. Unter seinen Schriften ist auch ein historischer Kalender, den er zuerst 1550 lateinisch herausgegeben hat und der so großen Beifall fand, daß noch im Jahre 1582 auch eine deutsche Uebersetzung desselben von seinen Söhnen Johannes und Martin besorgt worden ist. Man erkennt an diesem Unternehmen den Mann, der wohl wußte, welches die Bedürfnisse des evangelischen Volkes sind: aber die unseligen Streitigkeiten, die kein Ende nehmen wollten, haben die weitere Fortbildung solcher Anfange verhindert und nun erst nach dreihundert Jahren ist dieser Gedanke endlich wieder aufgenommen worden, aber im Wesentlichen ganz so, wie er ihn schon gefaßt hatte.
Paul Eber bildet mit mehreren anderen trefflichen Gottesmännern den Uebergang von den Reformatoren zu der zweiten Generation evangelischer Gottesgelehrten, welche berufen waren, die neu empfangenen Segnungen des apostolischen Geistes zu erhalten, auszubilden, und auf die Nachwelt fortzupflanzen. Ein nicht so kühnes und glänzendes, aber ein sehr mühevolles und verdienstliches Geschäft! Denn alles Unkraut, das Satan heimlich unter den Waizen gestreut oder dessen Same von alter Zeit her im Lande geblieben war, das ging nun auf und drohte den Waizen zu ersticken. War es doch der christlichen Kirche nach der Apostel Zeiten nicht besser ergangen und sie hat ein Jahrhundert gebraucht, um die feindlichen Elemente zu überwinden.
Ebers hinterlassene vier Kinder haben ihrem Vater in der Stadtkirche zu Wittenberg, wo er eilf Jahre das Wort Gottes verkündigt hat, ein Denkmal gesetzt, das jetzt zwar von seiner Stelle entfernt worden, aber doch noch erhalten ist und um so mehr erhalten werden muß, weil es zugleich ein sinniges Denkmal der Reformation ist. Es stellt den Weinberg Christi dar, aber in zwei Abtheilungen: auf der Seite, die dem Beschauer zur Linken ist, sind die Papisten dargestellt, die den Weinberg jämmerlich verwüsten, die Weinstöcke ausreißen, den Zaun zerbrechen, den Brunnen verschütten: auf der andern Seite sieht man die Reformatoren mit ihren Gehülfen, wie sie im Schweiße ihres Angesichts den Weinberg treulich anbauen und man erkennt zum Theil ihre wohlgetroffenen Bildnisse. Da ist Luther, der mit Karst und Hacke das Wüste umreutet, Melanchthon, der mit Johann Förster Wasser aus dem Brunnen fördert, Bugenhagen und Cruciger, die Pfähle einschlagen, Paul Eber, der Reben anbindet. Aus der weit geöffneten Pforte links kommt der Pabst mit Cardinälen, Bischöfen, Aebten in stolzem Zuge einhergeschritten, um den verdienten Lohn zu empfangen und der Herr Christus als Schaffner (Matth. 20, 8.) drückt ihm seinen Groschen in die Hand. Rechts kniet Paul Eber mit seinen Kindern, der Gnade des Herrn sich befehlend. Die Stätte, wo Ebers Gebeine ruhen, hat ehemals ein Stein mit einer ausführlichen Aufschrift in lateinischer Sprache bedeckt, wozu auch ein Distichon gehörte, dem als Uebersetzung folgender deutscher Reim beigefügt war:
Pauli Ebern Körperlein
Ruhet sanfft unter diesem Stein:
Bei Leben war die Arbeit sein,
Jedermann guts thun, lehren rein.
E. Schmieder in Wittenberg.
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862