Pietro Carnesecchi war im ersten Zehntel des sechszehnten Jahrhunderts aus vornehmer Familie in Florenz entsprossen. Seine Vorfahren hatten im Rathe der Republik ehrenvolle Stellen bekleidet. Da er schon frühzeitig vielversprechende Geistesgaben bekundete, so entschied er sich für das Studium der Wissenschaften und für den geistlichen Beruf. Seine Jugend fiel in die Blüthezeit des neubelebten Studiums der classischen Literatur in seinem Vaterlande. Unter seinen Lehrern wird auch Francisco Robertello genannt, der nacheinander in Lucca, Venedig, Bologna und Padua mit vielem Ruhme die griechische Sprache und Literatur lehrte. Carnesecchi widmete sich mit großer Begeisterung dem Studium der classischen Sprachen, und da er mit vielem Scharfsinn und mit einem sehr treuen Gedächtniß begabt war, so machte er darin solche Fortschritte, daß er bald seinen berühmten Lehrer namentlich in der Kunst und Gewandtheit der mündlichen und schriftlichen Darstellung übertraf.
Mit der bekannten florentinischen Familie von Medici war er von Jugend auf befreundet. Daher schloß er sich auch in Rom, wo er seine Studien beendigte, dem Cardinal Julius von Medici. mit besonderer Vorliebe an. Als dieser (1523) unter dem Namen Clemens VII. den päbstlichen Stuhl bestieg, ernannte er Carnesecchi zu seinem Secretär und beehrte ihn in der Folge mit dem Titel eines päbstlichen Protonotars. In dieser Stellung erwarb er sich das Zutrauen des Pabstes in einem so hohen Grade, daß ihm die Besorgung der wichtigsten Geschäfte übertragen wurde, und daß bald die Rede ging: „die Kirche werde mehr durch Carnesecchi als durch Clemens VII. regiert.“ Da Kunst und Wissenschaft von diesem Pabste mit mediceischer Freigebigkeit gepflegt und gefördert wurden, so war Rom damals der Sammelplatz der ausgezeichnetsten Geister Italiens. Unter diesen glänzte Carnesecchi, durch edle Gesinnung wie durch Geistesbildung gleich ausgezeichnet, als ein hellstrahlendes Licht.
Die Regierung Clemens‘ VII. fiel übrigens in eine für Italien wie für die römische Kirche sehr stürmische und verhängnisvolle Zeit, da Rom durch die kaiserlichen Truppen eingenommen und geplündert wurde (1527). In diesen Tagen des Unglücks ward mancher Bewohner Roms veranlaßt, über den Zusammenhang desselben mit den Sünden und Lastern, die am päbstlichen Hofe und in der heiligen Stadt im Schwange gingen, nachzudenken. „Warum werden über uns so große Drangsale verhängt?“ predigte im angefüllten Vatican der Bischof Staphylo von Sibari. „Warum werden wir von solchem Unglück heimgesucht? Weil alles Fleisch sich der Verderbniß überlassen hat, weil wir Bürger, nicht der heiligen Stadt Rom, sondern der verdorbenen Stadt Babylon sind.“ Gewiß gehörte auch Carnesecchi zu denjenigen, welche diese schweren Heimsuchungen unter einem ähnlichen ernsten Gesichtspunkte betrachteten. Diese Betrachtung erhielt damals bei ihm eine bestimmte Richtung durch die Bekanntschaft, die er mit dem edlen Gaspar Contarini machte, der als Gesandter der Republik Venedig in Rom weilte, und durch den Verein ernst gesinnter Männer, in den er durch denselben eingeführt wurde. Es herrschten in demselben diejenigen kirchlichen und religiösen Ansichten, als deren vorzüglichster Vertreter diesseits der Alpen Erasmus galt. Für Carnesecchi war der Beitritt zu diesem Vereine sehr folgerichtig, indem er dadurch in die reformatorische Strömung kam, durch die er unter Gottes Leitung immer tiefer in die Erkenntniß der Wahrheit eingeführt wurde. Uebrigens gewann er die Achtung und die Liebe der ausgezeichnetsten Mitglieder desselben. Sadolet rühmt ihn als einen jungen Mann, der durch Tugend und glänzende Eigenschaften sich gleich auszeichne, und Bembo spricht von ihm nur in Ausdrücken wahrer Verehrung. Auch am Hofe Clemens‘ VII. stieg sein Ansehn immer mehr, indem er Allen als Vorbild der Pflichttreue und der Bescheidenheit vorleuchtete. Wiederholt soll ihm der Pabst die Cardinalswürde angetragen, er aber stets diese hohe Ehre bescheiden zurückgewiesen haben. Diese außerordentliche Bescheidenheit erwarb ihm das Lob aller Bessergesinnten, so daß aller Augen achtungsvoll auf ihn gerichtet waren. So kam es, daß er in seiner einflußreichen Stellung während der Regierung des Pabstes Clemens VII. keinen Neid erregt und nach dessen Tode keine Ungnade zu befürchten hatte. Indessen beschenkte ihn Clemens VII. vor seinem Tode mit den Einkünften zweier Abteien, von welchen die eine in Neapel und die andere in Frankreich lag. Das wurde für ihn die Veranlassung, sich gründlicher mit der evangelischen Wahrheit bekannt zu machen. Zunächst begab er sich nach Neapel, um der ihm geschenkten Abtei nahe zu sein. Als Carl V. bei seiner Rückkehr von Tunis im Winter 1535-1536 hier weilte, berief er ihn oft zu sich, indem er großen Gefallen an seiner vielseitigen gründlichen Bildung und an seinen Gesprächen fand. Dieser vertraute Verkehr zwischen dem Kaiser und dem früher so einflußreichen Protonotar Clemens‘ VII. erweckte bei Franz I. Verdacht, Carnesecchi möchte Carl V. die Pläne verrathen haben, die er seiner Zeit mit dem Pabste gegen denselben geschmiedet hatte. Obgleich dieser Verdacht ganz unbegründet war, so ward doch wegen desselben Carnesecchi der Einkünfte seiner Abtei in Frankreich beraubt. Dieses veranlaßte ihn nach Frankreich zu reisen, um sich womöglich die Vortheile der päbstlichen Schenkung zu sichern. Er konnte um so mehr auf einen guten Erfolg von seiner Reise hoffen, da er vom Herzog von Florenz an die Gemahlin des Kronprinzen Heinrich, die bekannte Catharina von Medici warm empfohlen war. Diese Empfehlung verschaffte ihm zwar beim Kronprinzen und bei seiner Gemahlin eine freundliche Aufnahme, vermochte aber nicht, die entrissenen Einkünfte ihm wieder zuzuwenden. Indessen blieb die Reise nicht ohne heilsame Folgen für sein inneres Leben, indem er auf derselben Gelegenheit hatte, die verfolgten Bekenner der evangelischen Lehre in ihrem sittlichen Lebensernste und in ihrem freudigen Leidensmuth näher kennen zu lernen und sich mit ihrer Glaubensrichtung bekannt zu machen. Die Eindrücke, die er davon empfangen, wurden in Neapel weiter genährt und zu einer entschiedenen Lebensrichtung ausgebildet. Hier traf er seinen Freund Flaminio, der in der Villa Caferta seine Gesundheit wieder erlangte. Bald schloß er sich mit Flaminio jenem außerordentlichen Mann an, von dem in den dreißiger Jahren des sechszehnten Jahrhunderts in Neapel eine wunderbare religiöse Erweckung ausging. Es war dieses Juan Valdez, der Stifter und Mittelpunkt der nach ihm genannten „seligen Gesellschaft“. Wenn Carnesecchi durch Contarini und seine Freunde auf denjenigen religiösen und kirchlichen Standpunkt geführt worden, auf dem ein Erasmus stehen blieb, so leitete ihn dagegen Valdez zu jenen Tiefen des Glaubenslebens, in welchen Luther den Frieden der Seele gefunden hatte, bevor er in den Kampf mit dem Pabstthum verwickelt wurde. Valdez und seine Freunde waren mehr einem beschaulichen Leben hingegeben, und indem sie die Notwendigkeit für jeden Einzelnen erkannten, sich durch den Glauben an Christum mit Gott zu versöhnen, vermieden sie jeden Kampf mit der bestehenden kirchlichen Einrichtung. Dabei herrschte in diesem Kreise eine gehobene poetische Stimmung, die namentlich auch in der Betrachtung der paradiesischen Natur ihre Nahrung fand.
Wenn auch dieser Verein durch den Tod des Valdez (1540) und durch die Stürme der Inquisition, die nun gegen denselben losbrachen, sich auflösen mußte und zerstreut wurde, so reifte doch in demselben mancher Schüler des außerordentlichen Mannes zu einer entschiedenen Glaubens- und Lebensrichtung heran. Dieses war bei Carnesecchi der Fall. Zunächst begab sich derselbe nach Viterbo, wo er unter dem Schutze des Cardinals Poole mit einzelnen Mitgliedern der seligen Gesellschaft des Valdez wie mit Flaminio und mit der Marchesa de Pescara zusammentraf. Von hier ging Carnesecchi bald nach Padua, wo er sich bleibend niederließ. Hier, wie in Venedig und Treviso, bestanden evangelische Gemeinden, die sich in der Stille versammelten und aus dem Worte Gottes, sowie aus den Schriften der deutschen Reformatoren erbauten. Carnesecchi war nun in seiner evangelischen Ueberzeugung dahin gelangt, daß er sich diesen evangelischen Gemeinschaften anschloß. Bald nahm er vermöge seiner Bildung und seiner entschiedenen Glaubensrichtung eine hervorragende Stellung ein, so daß er neben Baldassare Altieri und dem Franciscanerprovincial Baldo Lupetino als eine der Säulen dieser mit einander eng verbundenen Gemeinden betrachtet wurde. Camerarius schreibt über ihn: „Vor Allem liebte er den Umgang mit frommen und rechtschaffenen Männern, mit welchen er die heilige Schrift las und sich über den Sinn derselben besprach. Die Armen unterstützte er häufig und reichlich mit Geld. Gelehrten und frommen Männern stand sein Haus immer offen.“ Uebereinstimmend damit meldet der papistische Annalist Laderchius in feindlicher Absicht: „Er nahm Apostaten in sein Haus auf und unterstützte Ketzer mit Geld. Namentlich ging er denjenigen mit Rath und Geld an die Hand, welche sich über die Berge flüchten wollten.“ Es zeugt von der Entschiedenheit seiner evangelischen Ueberzeugung, daß er so offen und so thatkräftig sich seiner neuen Glaubensbrüder annahm, indem er sich dadurch dem Hasse und der Verfolgungssucht der Römlinge aussetzte; denn die Inquisitionstribunale, durch Theatiner und Jesuiten geleitet, wütheten damals gegen die Evangelischen.
Auch Carnesecchi wurde 1546 bei Paul III. als Ketzer verklagt und von diesem brieflich nach Rom zur Verantwortung vorbeschieden. Allein einerseits bewies der Pabst eine rücksichtsvolle Milde gegen diesen ausgezeichneten Mann und anderseits wußte sich derselbe auch so geschickt zu verantworten, daß er von der gegen ihn geführten Klage der Ketzerei freigesprochen wurde. Die inquisitorischen Eiferer konnten aber nicht verschmerzen, daß ihnen dieses Opfer entrissen ward. Carnesecchi fand auch für gerathen, für eine Zeit lang seinen Verfolgern aus dem Wege zu gehen. Demnach reiste er wieder nach Frankreich, indem er jetzt nach dem Tode Franz‘ I. (1547) und nach der Thronbesteigung Heinrichs II. eher hoffen durfte, wieder in den Besitz der von Clemens VII. ihm geschenkten Abtei zu gelangen. Auf dieser Reise verweilte er längere Zeit am Hofe der Herzogin Margaretha von Savoyen, welche große Neigung zur evangelischen Lehre zeigte. In Frankreich wurde Carnesecchi am Hofe Heinrichs II. besonders von seiner Gemahlin Catharina von Medici sehr ehrenvoll aufgenommen. Dagegen fand er sich sehr schmerzlich berührt durch die grausamen Verfolgungen der Evangelischen, die vom königlichen Hause angeregt und geleitet wurden. Zugleich fühlte er sich erbaut und gestärkt durch den freudigen Glaubens- und Leidensmuth, den sie bis in den Tod bewiesen. Trotz seiner Stellung zum Hofe, von dem diese Verfolgungen ausgingen, pflegte er vertrauten Umgang mit den ausgezeichnetsten Mitgliedern der evangelischen Gemeinde. Namentlich gehörte auch Andreas Melanchthon, ein Verwandter des großen Lehrers Deutschlands, zu seinen vertrauten Freunden. Im Jahre 1552 kehrte Carnesecchi wieder nach Padua zurück, wo er in alter Weise fortfuhr, die Evangelischen zu unterstützen und für die weitere Ausbreitung der evangelischen Lehre in Italien sich zu bethätigen. Kaum hatte aber der finstere Eiferer Giampietro Caraffa (1555) als Paul IV. den päbstlichen Stuhl bestiegen und den furchtbaren Michele Ghislieri zum Vorsteher des Inquisitions-Tribunals in Rom ernannt, so ward auch Carnesecchi zum Opfer desselben ausersehen. Ein Criminalprozeß wurde gegen ihn eingeleitet, und er sowohl in Rom als in Venedig vor das Inquisitionscollegium citirt. Namentlich ward gegen ihn geklagt, daß er sowohl mit Ketzern in Genf und Frankreich als mit ketzerischen Lehrern und Geistlichen in Italien correspondire. Carnesecchi gab den Vorladungen keine Folge und ließ die Termine verstreichen, ohne sich zu stellen. Darauf belegte ihn Paul IV. mit dem Interdicte und überlieferte ihn dadurch den weltlichen Gerichten, die ihn als ungehorsamen Ketzer bestrafen sollten. Aber der fanatische Papst starb (1559), ohne das von ihm ausersehene Opfer fallen zu sehen. An seinem Todestage verbrannte das römische Volk das Inquisitionsgebäude und zertrümmerte seine Bildsäule. Hierauf ward vorzüglich durch Verwendung des Herzogs Cosimo II. von Florenz Giovanni Angelo Medici von Mailand zum Pabste gewählt. Dieser widerrief das von seinem Vorgänger über Carnesecchi geschleuderte Interdict und sprach ihn von der Anklage der Ketzerei los. Ueber dieses Verfahren waren die Eiferer aufs Höchste empört. Mit Entrüstung meldet Laderchius, daß Carnesecchi auch durch diese ihm wiederfahrene Schonung sich nicht habe bewegen lassen, den Umgang mit erklärten Ketzern zu meiden, im Gegentheil habe er solche sogar zu seiner Tafel geladen. Auch habe er selbst an verschiedenen Orten in Italien ketzerische Lehren verbreitet. Dabei habe er behauptet, daß das Evangelium in Genf reiner verkündiget werde als in Rom von den römisch-katholischen Priestern. Daher habe er schon vielen Ketzern empfohlen, nach Genf oder nach anderen Gegenden, wo die lutherische Lehre verkündiget würde, auszuwandern, da sie dort nach den Forderungen ihrer Gewissen leben könnten. Von der heiligen römisch-katholischen Lehre behaupte er, daß sie verfälscht sei. In seinen Briefen habe er die Ketzer stets „unsere unschuldigen Brüder, Heilige, Freunde und Erwählte Gottes“ genannt. Daher mißbillige er auch aufs Höchste die Bestrafung derselben und behaupte, daß der plötzliche Tod des Königs Heinrich II. von Frankreich und die Verbrennung des Inquisitionsgebäudes am Todestage Pauls IV. gerechte Strafen Gottes für die Verfolgungen der Evangelischen seien. Mit den Ketzern in Rom, Neapel, Florenz habe er in ununterbrochenem Verkehre gestanden und das Buch „von der Wohlthat Christi“ habe er unter Belobung seines Inhaltes allenthalben verbreitet. So lange jedoch Pius IV. lebte, mußten sich die Eiferer auf solche Anklagen beschränken, ohne ihnen weiteren Nachdruck verschaffen zu können. Indessen fand Carnesecchi doch für besser, sich noch unter den Schutz des ihm befreundeten Herzogs Cosimo II. von Florenz zu begeben. Dieser nahm ihn sehr freundlich auf, ernannte ihn zu seinem Rathe und wies ihm eine Wohnung in seinem Palaste an. Indessen scheint Carnesecchi in Florenz sich nicht ganz sicher und wohl gefühlt zu haben, da er, wie aus seinen Briefen hervorgeht, mit dem Gedanken sich trug, nach Genf auszuwandern. Doch ward ihm keine Zeit mehr vergönnt zur Ausführung. Nach dem Tode Pius‘ IV. (1565) bestieg der Inquisitor Michele Ghislieri als Plus V. (1566) den päbstlichen Stuhl. Dieser hatte schon unter Paul IV. die Verdammung Carnesecchi’s betrieben und seither immer sein inquisitorisches Auge auf ihn gerichtet. Sobald er daher die Regierung angetreten, sandte er den 20. Juni 1566 den Cardinal Paceco, Magister des heiligen apostolischen Palastes mit einem Briefe an den Herzog nach Florenz, in welchem Se. Heiligkeit nach Entbietung des apostolischen Segens denselben bittet, „wegen einer Angelegenheit, welche den Gehorsam gegen die göttliche Majestät und gegen die katholische Kirche sehr nahe betrifft und die dem Pabste sehr am Herzen liege – dem Ueberbringer dieses Schreibens gleichen Glauben zu schenken, als wenn er selbst gegenwärtig wäre und mit ihm reden würde.“ Paceco erschien gerade in dem Augenblicke bei Cosimo, als dieser mit seinem Gastfreunde Carnesecchi zu Tische saß. Die Dringlichkeit der Sache bewog ihn, augenblicklich demselben Gehör zu schenken. Nachdem Cosimo aus dem Munde des Cardinals das Verlangen des Pabstes vernommen, daß Carnesecchi dem Inquisitionstribunale ausgeliefert werden solle, ließ er ihn sofort mit treuloser Verletzung des Gastrechts und der Freundespflicht durch die Schergen der Inquisition fesseln und nach Rom abführen. „Wenn Se. Heiligkeit“, sprach er zu Paceco, „um solcher Ursache willen (was Gott verhüten wolle) selbst meinen eigenen Sohn auszuliefern befehlen müßte, so würde ich keinen Augenblick zögern, ihn fesseln und ausliefern zu lassen.“ Pius V. beeilte sich durch seinen Cardinalsecretär dem Herzoge wegen seines pünktlichen Gehorsams seinen Dank abstatten zu lassen und zu versichern, er werde dieses Dienstes stets eingedenk sein. In der That vergalt der Pabst die treulose Handlung auf glänzende Weise, indem er ihn 1569 zum Großherzoge der unter dem Namen Toscana vereinigten Gebiete von Florenz und Siena erhob.
In Rom wurde der Prozeß gegen Carnesecchi sogleich eingeleitet und aus seinen Schriften, Briefen und Reden vier und dreißig Artikel zusammen gestellt, die ihn der Ketzerei überweisen sollten. Wir wollen hier die wichtigsten derselben hervorheben: „Die Rechtfertigung, sowie die Versicherung der Gnade wird uns allein aus dem Glauben zu theil. Unsere Werke verdienen nicht die Seligkeit, dieweil wir allein durch den Glauben gerechtfertigt und selig werden. Der gerechtfertigte und begnadigte Christ muß aber nothwendig Gutes wirken. Von Natur und vor Erlangung der Gnade ist unser Wille nur zum Bösen geneigt. Ohne besondere Gnade Gottes ist es z. B. unmöglich das Gebot: „laß dich nicht gelüsten“ vollkommen zu erfüllen. Man darf und soll nur dem in der heiligen Schrift überlieferten Worte Gottes unbedingt Glauben schenken. Nicht alle allgemeinen Concilien waren im Geiste Gottes versammelt; daher sind wir auch nicht verpflichtet, allen ihren Beschlüssen unbedingt Glauben zu schenken. Es giebt nur zwei Sacramente, die heilige Taufe und das heilige Abendmahl; die Priesterweihe ist nur die apostolische Handauflegung, die Firmelung die Erneuerung und Bestätigung des Taufgelübdes; die Beichte aber ist weder von Christo eingesetzt, noch sonst im Worte Gottes begründet. Die Bußwerke, welche die Kirche vorschreibt, sind überflüssig, indem das Verdienst Christi vollkommen genügt zur Versöhnung der ganzen Welt. Der Ablaß ist eine Erfindung des Pabstes und gründet sich auf kein Zeugniß der heiligen Schrift. Das Dasein des Fegefeuers ist ungewiß, überdieß ist dasselbe ganz überflüssig, da Christi Blut die alleinige und vollkommene Reinigung ist für unsere Sünden. Die Messe ist kein Sühnopfer, sondern ein Wiedergedächtniß des Leidens Christi und dient zur Wiederbelebung des Glaubens, durch welchen wir Vergebung der Sünden erlangen. Der Pabst ist nur der Bischof von Rom und hat sich daher größere Gewalt angemaßt, als ihm von Gott verliehen worden. Die Uebertretung der Fastengebote ist keine Sünde. Es ist auch keine Sünde, verbotene Bücher der sogenannten Ketzer zurückzubehalten und sie zu lesen. Die Anrufung der Heiligen ist überflüssig, da Christus der alleinige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist.“ Endlich schreibt Laderchius, habe er alle Ketzereien geglaubt und bekannt, die im Buche „von der Wohlthat Christi“ enthalten sind und die von Valdez gelehrt worden.
Nach einer kurzen Erläuterung bekannte er sich auch freimüthig zu den ihm zur Last gelegten Glaubensartikeln. Ueberhaupt bewies er, wie es sich aus Briefen von seinen Glaubensgenossen in Rom ergiebt, große Standhaftigkeit während seiner langen Gefangenschaft. Auch Laderchius bezeugt solches in folgender Weise: „Sein verhärtetes Herz und seine unbeschnittenen Ohren verweigerten jede Unterwerfung unter die Nothwendigkeit; alle im Interesse der Freiheit wiederholt ertheilten Winke und Fristen machte er nutzlos und blieb taub für jede Vorstellung seine Irrthümer abzuschwören und in den Schooß der wahren Kirche zurückzukehren, was doch der Pabst sehnlichst wünschte.“ Offenbar hoffte der Pabst, daß Carnesecchi die bekannten evangelischen Grundsätze widerrufe, um der Welt den Sieg der Kirche über diesen ausgezeichneten Ketzer in prunkvoller Weise verkündigen zu können. Derselbe wäre dann wohl zu einer gewöhnlichen Todesstrafe oder zu ewiger Gefangenschaft in den Kerkern der Inquisition begnadigt worden. Aber Carnesecchi gewährte ihm nicht die Freude dieses Triumphes. Mit ungebrochenem Glaubensmuthe trotzte er allen Versuchungen, durch die man ihn zum Widerrufe verlocken wollte und ertrug die Qualen der Folter, denen man ihn aussetzte. Cosimo scheint in der Folge, wie Judas Ischarioth, den Verrath an dem Freunde, der mit ihm zu Tische saß, bereut zu haben. Daher verwandte er sich durch seinen Gesandten Averardo Serritori bei Pius V. um Begnadigung Carnesecchi’s. Allein der Pabst erwiederte: „Wenn es sich um einen Mann handelte, der zehnfachen Mord begangen, so wollt ich gern seine Begnadigung Eurem Herrn gewähren; aber für Carnesecchi vermag ich nichts mehr zu thun. Sein Schicksal liegt in den Händen der Inquisitoren.“ Endlich wurde nach einer mehr als fünfzehn Monate dauernden Gefangenschaft das Todesurtheil über diesen herrlichen evangelischen Mann gefällt und den 3. October 1567 auf einem Blutgerüste, das man auf der Brücke San-Angelo errichtet hatte, öffentlich vollzogen. In Berücksichtigung des hohen Ranges, den er in der Kirche eingenommen, wurde er zuerst enthauptet und sein Leichnam dann den Flammen übergeben. Bis zum letzten Augenblicke benahm er sich standhaft und mit würdevoller Ergebung in den Willen Gottes.
Mit der Hinrichtung dieses Gerechten gab sich die Verfolgungswuth der Römlinge noch nicht zufrieden. So lange sein Name in den Schriftwerken der Besten seiner Zeitgenossen in ungetrübtem Glanze strahlte, zeugte er auch gegen ihre schwarze That. Daher ging nun ihr Bestreben dahin, diesen verhaßten Namen aus allen Schriftwerken und aus dem Gedächtnisse der Menschen auszutilgen. Der berühmte Muret wollte ein Werk herausgeben, in welchem ein Gedicht zu Ehren Carnesecchi‘ s enthalten war; allein er mußte dasselbe unterdrücken. Ein anderer, ein Freund und Gevatter Carnesecchi‘ s, mußte in einer Briefsammlung, die er herausgab, diesen Namen mit Pero ersetzen. In einer Zueignung einer von ihm besorgten Ausgabe der Werke Salust’s an den Cardinal Trivulzi hatte er früher sich also vernehmen lassen: „Pietro Carnesecchi, Protonotarius, ein äußerst achtungswerther Mann, ebenso ausgezeichnet durch seine Tugenden als durch seine Kenntnisse über alle Menschen erhaben.“ Aus einer späteren Ausgabe mußte diese Stelle verschwinden. Diese Verfolgungswuth der Römlinge gegen den verhaßten Namen würde in uns wegen ihrer Machtlosigkeit nur Mitleiden erwecken, wenn sie uns nicht einen Blick in ihr schaudererregendes Treiben zur Unterdrückung der Wahrheit gewährte. Wir aber wissen, daß der Name des Gerechten und Frommen ewiglich bleibet. (Offenb. 3, 5.)
So möge auch diese kurze Zeichnung des Lebensbildes dieses Jüngers Christi dazu beitragen, daß sein Name in der evangelischen Kirche in Ehren gehalten werde!
R. Christoffel in Wintersingen bei Basel.
Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874