„Die Wunden der mißhandelten Bekenner waren ebenso viele Münder, die mit den reformierten Glauben verkündigten, und ihr Blut war für mich ein Same der Wiedergeburt.“
Jean François Bion in seiner „Erzählung der Leiden, die man die Protestanten auf den Galeeren Frankreichs erdulden läßt“, 1708.
Es gibt nichts Zwingenderes in der Welt als das Beispiel und Vorbild eines Menschen, der für sich die Wahrheit, von der er ergriffen ist, einsetzt bis zum Letzten. Wo Christen ihrem Meister wirklich nachgefolgt sind, wurde das immer wieder lebendig. Wenn wir die Blätter der Leidensgeschichte unserer reformierten Schwesterkirche in Frankreich wenden aus der Zeit vor 250 Jahren, werden wir von nichts so gepackt wie von der Hingabe dieser Bekenner und Zeugen ihres Glaubens. Da sind die Dragoner des Sonnenkönigs, der in seinem Reiche nur einen Glauben dulden will, den Glauben Roms, in das Haus der Madame Chalmot in St-Maixemt eingedrungen, um diese Hugenottin, die so standhaft an ihrem Glauben festhält, zum Abfall mürbe zu machen. Sie müßte ja nichts anderes tun als vielleicht murmeln: Je me reunis – ich schließe mich wieder an. Aber als alles nichts fruchtet, die Zerstörung der schönsten Dinge in ihrem Hause, an denen so viele liebe Erinnerungen haften, als alle Drohungen und Vorstellungen nicht helfen da wird die hartnäckige Protestantin aufs Bett gefesselt – die rohen Soldknechte legen der Dulderin eine glühende Kohle auf die Hand und zwingen sie, sie festzuhalten, bis sie das Unservater gebetet hat. Und als sie es getan, ohne mit einer Wimper zu zucken, da will einer ihrer Peiniger das grausame Spiel wiederholen; nur will er diesmal das Unservater sprechen und zwar langsam, um die Qualen der Ärmsten zu verdreifachen. Aber auch in diese neue Probe ihrer Standhaftigkeit willigt die Tapfere schweigend ein. Aber jetzt ist in einem dritten Soldaten etwas aufgebrochen – ist’s die Scham über seine und seiner Kameraden Gewalttat gegenüber einer wehrlosen Frau? Ist’s die Bewunderung für ihre Kraft und Festigkeit? Er schlägt der Dulderin die Glut aus der Hand und eilt kleinlaut aus dem Gemache, und bestürzt folgen ihm die andern.
Man zählte das Jahr des Herrn 1703. Aus dem Hafen von Marseille stach die königliche Galeere „La Superbe“ in die See. Für das Auge des Unwissenden bot die „Superbe“, die Stolze, wohl einen herrlichen Anblick, wie sie mit mächtigen Segeln und flatternden Wimpeln, durch die Kraft von einigen hundert nervigen Männern bewegt, im flotten Gleichtakt der Ruderschläge in die Ferne fuhr. Doch die meisten der Leute, die am Ufer standen und das stolze Schiff am Horizonte untertauchen sahen, wußten es besser: eine Hölle schwimmt dort draußen auf dem Meere, in der Menschen ihre Brüder unsäglichen Leiden ausliefern. Eine Hölle? Und doch sagt ein französischer Geschichtsschreiber von den Galeeren, daß Gott bisher verborgen, auf ihnen sichtbar geworden sei, so daß man eigentlich alle Welt dahin hätte führen sollen.
Wie es möglich war, daß Hölle und Himmel, Tod und Leben, Haß und Liebe auf dem engen Raum einer Galeere sich berühren konnten, soll uns der wackere Mann erzählen, der auf jener Galeere, die damals in See stach, den schweren Dienst des Seelsorgers übte. Er hieß Jean François Bion, war am 24. Juni 1668 in Dijon, also nahe der Schweizer Grenze, geboren und hatte zuerst als Priester in Ursy an der Code d’Or gedient, bis er aumonier oder Seelsorger auf der „Superbe“ wurde, wohl gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Ein menschlicher fühlender Seelsorger hätte der Mannschaft dieser Galeere nicht beschieden werden können. Wer war diese Mannschaft? Die 450 Männer, die zum Dienste des Ruderns bestimmt waren, setzten sich – und so war es mehr oder weniger auf jeder andern Galeere des Königs – zusammen aus sehr ungleichen Elementen: da waren einmal die Türken, die man auf den Sklavenmärkten der nordafrikanischen Küsten gekauft hatte, große, starke Leute, nur leicht mit einem Fußring an die Ruderbank gebunden. Von ihnen rühmt Bion, daß sie ihrem mohammedanischen Glauben treu ergeben und von großem Ernst erfüllt gegen die Gebote ihres Propheten waren, äußerst gewissenhaft in der Verwaltung der ihnen anvertrauten Güter, voll Liebe und Erbarmen gegen ihre Glaubensgenossen, denen sie in der Not mit rührender Hingabe beistanden. Auf dem Schiff ging ein Wort, die Türken wären dem Namen nach Barbaren, der Tat nach Christen; die Christen aber nur dem Namen nach Christen, in der Tat aber Barbaren …
Eine zweite Gruppe bildeten die Salzkäufer, arme Familienväter, die das Salzmonopol übertreten und in andern Provinzen wohlfeiles Salz gekauft hatten, um Weib und Kind wieder einmal das Kochen einer schmackhaften Suppe zu ermöglichen. Zu ihnen gesellten sich fahnenflüchtige Soldaten, denen der Kriegsdienst zu hart gewesen, und dann Verbrecher aller Art, Diebe und Mörder, die sich mit ihren Schandtaten brüsteten und endlich um des Glaubens willen Verfolgte, Reformierte, die auf der Flucht aus dem Lande nach mühseligen Wegen, vielleicht nur wenige Schritte vor der rettenden Grenze, noch in die Hände der Häscher gefallen waren oder die an einer verbotenen Versammlung der Eglise du desert, der Kirche der Wüste, irgendwo in einer Waldschlucht teilgenommen oder sich in die Reihen der Bauern aus den Cevennentälern gestellt hatten, die weder die Heimat noch den Glauben preisgeben, sondern beides behaupten und retten wollten …
In bunter Mischung wurden diese Menschen auf die Ruderbank der Galeeren geschmiedet, je ihrer fünf an ein Ruder, nur mit einer zwilchenen Kniehose bekleidet und einem großen Wollenhemd von roter Senge, und bei Regen oder Schnee mit einem Schultermäntelchen und einer roten Mütze auf dem geschorenen Haupte. „Um die Galeere in Gang zu bringen, müssen alle im selben Augenblicke aufstehen und mit hinter sich gebogenem Leibe sich wieder auf die Ruderbank niederlassen, so daß ihr Leib in ständiger Bewegung ist und ihre abgematteten und zerschlagenen Glieder mit beständigem Schweiß benetzt sind.“ Die Haut ihrer Hände wird vom Rudern hart wie das Holz, das sie fassen. Nachts liegen sie eng zusammengepfercht; ein Brett von anderthalb Schuh Breite ist ihr Gelager. Von Durst, Hunger, Schweiß und Ungeziefer gequält, dürfen sie sich kaum rühren – vor allem jene nicht, die in der Nähe der Offiziere liegen, die sie mit der geringsten Bewegung ihrer Ketten aus dem Schlafe wecken würden, was mit heftigen Schlägen heimbezahlt würde. Wohl ist die leibliche Pflege durch königliche Fürsorge geordnet; morgens erhalten sie genügend und ziemlich guten Zwieback und eine mit etwas Öl gekochte Suppe, morgens und abends je ein Quärtlein Wein. Doch sind diese Speisen durch die Nachlässigkeit des Schiffskochs oft verdorben. Unerbittlich walten die Aufseher, die in einem Mittelgang der Galeere stehen, ihres Amtes, die Ärmsten, die nicht mit den andern den Takt halten können, mit greulichen Flüchen und Schwüren und noch greulicheren Schlägen wieder in den Gleichtakt zu zwingen. Wind und Wetter, Sonnenglut und Kälte, Regenschauer und Schnee sind sie ausgesetzt, denn nur selten kann des Sturms wegen ein großes Zelttuch über sie gespannt werden. Liegt die Galeere vor Anker, dann genießen die Türken die Freiheit, das Schiff zu verlassen und sich in der Stadt dies und jenes zu ihrem Unterhalt zu kaufen. Die einen basteln irgend etwas aus Holz, die andern stricken Strümpfe, die sie nur gegen Speise und Wein dem Schenkwirt verkaufen dürfen. Die, welche keine Handarbeit verstehen, entlausen ihren Kameraden die Kleider, um sich ein Almosen zu verdienen …
Für all diese Dinge des materiellen Lebens, die ja für die Galeerensträflinge so unendlich wichtig waren, hat der Seelsorger der „Superbe“, unser Jean François Bion, ein offenes Auge. Es bewegt und plagt ihn, zu sehen, wie gewissenlos der Schiffskoch mit Speis und Trank und den Medikamenten für die Kranken umgeht, wie elend er sie um die sauer ersparten und vielleicht heimlich ihnen geschenkten Rappen betrügt, mit denen sie sich einmal ein Stück Fleisch erstanden, das sie ihm zum Kochen übergeben.
Mit ganz besonderer Liebe aber ist der junge Seelsorger für die Kranken besorgt. Deren gab es jederzeit auf den Galeeren. Die großen Entbehrungen, die übermenschlichen Anstrengungen, die unbeschreiblichen hygienischen Verhältnisse öffneten allen möglichen Krankheiten Tür und Tor. Man legte die Kranken in die sogenannteVorderkammer, zuunterst im Schiff, in ein stockdunkles, niedriges Gemach. Auf Befehl des Königs war den Kranken und Genesenden eine besondere Kost vergönnt: täglich ein Pfund frisches Brot, ebensoviel Fleisch und vier Lot Reis – sofern sich das Geld dafür nicht in die Tasche des Kochs und anderer Betrüger verirrte. Bion hat selber die Krankensuppe versucht – allein es war nichts als warmes Wasser. Seine Vorstellungen beim Feldseher, dem Krankenwärter, und dem verantwortlichen Offizier fruchteten wenig – sie waren, bemerkt Bion, zwei Paar Hosen aus einem Tuch. Und genau so war’s auf den übrigen Galeeren bestellt, wie Bion von seinen Amtsbrüdern erfuhr, die, klüger als er, sich in diese Dinge nicht mischten.
Wollte Bion zu seinen Kranken, dann zog er, um sich gegen den Angriff der Läuse und Wanzen zu wappnen – dem Gestank war nicht beizukommen – einen Schlafrock über sich und kroch auf die Pritschen der Kranken, denn die Höhe vom Boden bis zur Diele des Gemachs maß nicht mehr denn drei Schuh. So hörte er, neben dem Kranken ausgestreckt, was ihm dieser von den Leiden und Nöten seiner Seele und seiner Vergangenheit vielleicht sterbend anvertraute; so schenkte er ihm den Trost der göttlichen Vergebung seiner Sünden – nachdem er selber in die Erkenntnis der allein rettenden Gnade Gottes in Jesus Christus hineingewachsen war; so lag er zwischen Sterbenden und Toten, zwischen Reumütigen und Verhärteten und waltete in allem Schmutz und Gestank dieser, Krankenkammer genannten, Verliese seines hohen Berufes als Tröster und Helfer der Seelen. Im Winter jener Fahrt Anno 1703 als das Schiff vor den italienischen Küsten lag, wuchs die Zahl der Kranken bisweilen auf sechzig.
Jeden Sonntag las Bion auf dem Hinterteil des Schiffes an erhöhter Stelle, daß ihn jedermann sehen konnte, die Messe nach dem Brauch seiner Kirche – und wohl lange auch im vollen Glauben an ihren Sinn und ihre Kraft. Es war im selben Jahre 1703, daß etliche Protestanten aus den Cevennen, wo sich die Reformierten gegen die Verfolgungen und Folterungen des grausamen Priesters Chayla erhoben hatten, und aus dem Languedoc auf die „Superbe“ übergeführt wurden. Am nächst folgenden Sonntag nach zelebrierter Messe überraschte der Aufseher der Galeere unseren Pfarrer Bion mit der Mitteilung, daß er den Hugenotten die „Bastonnade“ geben werde, weil sie beim Meßopfer weder ihr Haupt entblößt noch ihre Kniee gebeugt hätten. Bion hatte die Bastonnade noch nie selber mit angesehen, er wußte nur vom Hörensagen von ihrem Schrecken, und er legte sich drum für die mit dieser Strafe Bedrohten ins Mittel und bat um Aufschiebung, bis er mit ihnen geredet und sie vielleicht zum Nachgeben gebracht haben würde. Und nun drang er in die Männer, die ja auch seiner Seelsorge anvertraut waren, und ließ nicht ab, bald mit sanfter Zurede, mit Darreichung von Speisen, bald mit Warnungen, sie zu bereden, daß sie ihren Widerstand gegen die Messe aufgeben möchten, um der harten Mißhandlung zu entgehen. Ja er versuchte, sie mit der Waffe zu schlagen, die sie meist so trefflich zu führen wußten, mit der Berufung auf die Heilige Schrift. Paulus selber sage ja im Briefe an die Römer, daß, wer der weltlichen Obrigkeit widerstehe, der widerstehe Gott selber. Dabei gesteht Bion, daß er eigentlich mehr aus Erbarmen und menschlichem Mitgefühl, das die Natur uns gegen unseresgleichen einflößt, gehandelt, als aus dem Willen, sie wirklich zu überwinden.
Aber der Seelsorger, der aus seinem warmen Herzen keine Mördergrube machte, fand tapfere Streiter, die freundlich, aber bestimmt erwiderten: Der König sei wohl in Wahrheit Herr ihrer Leiber, aber niemals Herr ihrer Gewissen. Und am nächsten Sonntag – die Aufseher hatten ein scharfes Auge auf ihre Opfer – waren nur zwei, die ihre Kniee beugten; alle übrigen blieben fest und standhaft. Diese wurden dem Hauptmann verzeigt, der über sie die Bastonnade anordnete.
Bastonnade leitet sich ab von baton oder baston wie man damals schrieb, der Stecken. Ein biegsamer Stecken oder ein in Pech getauchter Strick mit zahlreichen Knoten bildete das Werkzeug, das ein starker Türke auf Befehl des Hauptmanns auf den entblößten, von vier andern Türken festgehaltenen Körper des zu Bestrafenden niedersausen ließ, zehnmal, zwanzigmal, fünfzigmal, wie es der Wut und der Grausamkeit der Peiniger gefiel. Dann warf man den Menschen, der dem Tode näher war als dem Leben, in jene Krankenkammer, wo der Feldscher die Wunden mit Essig und Salz behandelte, um der Eiterung vorzubeugen. Wenn Bion erzählt, daß während des Vollzugs dieser Strafe, die sich im Mittelgang des Schiffes abspielte, auch die schlimmsten Verbrecher ihre Augen von diesem Schauspiel abwenden und sich die ganze Mannschaft in dumpfes Schweigen hüllt – so spricht das mehr als alle Beschreibungen, gegen die sich die Feder sträubt. Nach vollzogener Strafe begab sich Bion in die Kammer, in die man die Geschlagenen gelegt hatte, unter dem Vorwand, die Kranken besuchen zu wollen. Der Feldseher war eben im Begriff, ihre Wunden zu untersuchen. Beim Anblick der Ärmsten vermochte Bion die Tränen nicht zurückzuhalten. Wie wohl sie kaum mehr eines Wortes fähig waren, dankten sie dem katholischen Seelsorger für die Güte, die er immer für sie empfunden.
„Ich wollte sie trösten“, erzählt er, „aber ich bedurfte weit mehr des Trostes als sie selber, denn Gott war ihre Stütze und wappnete sie mit einer wahrhaft christlichen Standhaftigkeit und Geduld. Nie hörte man sie unter allen Rufen, die man der Natur nicht verwehren kann, ein Wort der Ungeduld oder einen Fluch ausstoßen. Der ewige Gott war ihre Zuversicht, und zu ihm allein riefen sie um Hilfe. Ich konnte sie täglich besuchen, und alle Tage warf mir mein Herz beim Anblick ihrer Geduld im äußersten Elend meine Verstocktheit vor und mein Verharren in einer Religion, in der ich schon lange viele Irrtümer wahrnahm und vor allem eine Grausamkeit, die dem Wesen der Kirche Jesu Christi widerspricht. Schließlich wurden ihre Wunden ebenso viele Stimmen, die mir den reformierten Glauben verkündigten, und ihr Blut wurde für mich ein Same der Wiedergeburt.“
Wann dieser Same aufging, können wir auf Jahr und Tag nicht sagen. Es mag Bion noch manchen inneren Kampf gekostet haben, bis er zum letzten Schritt entschlossen war. Nach dem Feldzug von 1704 begab sich Bion nach Versailles zum Minister der Marine, den er über die Betrügereien unterrichtete, deren sich die Verwalter der Galeeren durch die Verschleuderung der für die Sträflinge bestimmten Medikamente und Speisen schuldig machten. Er zeigte den hohen Herren auch das sicherste Mittel, das man gegen diesen Mißbrauch anwenden müßte und das dessen Wiederkehr unfehlbar verhindern würde. Diese Vorschläge wurden für gut befunden, ja sogar mit Weisungen übereinstimmend, die vom Hof ergangen waren. Der Herr Minister versicherte Bion seines Vertrauens; der König gewährte ihm gütigst ein Gnadengeschenk. Die Weisung jedoch, die dem Mißbrauch hätte steuern sollen blieb in der Schublade des Generalkassiers der Galeeren liegen mit dem Empfangsschein für jenes königliche Geschenk an den menschlich fühlenden, klugen und initiativen Seelsorger. Schließlich nahm er Urlaub als Seelsorger der „Superbe“ und verließ mit guten Zeugnissen seiner Vorgesetzten und einer Belohnung des Königs einen Dienst, den weiter zu leisten ihm das Gewissen verbot. Im Jahre 1707 floh er aus dem Land und kam arm und entblößt nach Genf, wir wissen nicht, auf welchen Wegen und unter was für Mühen und Nöten. Genf erwies sich auch ihm gegenüber hilfreich. Mit neuen Kleidern und fünfzehn Florinen verhalf es ihm zur Reise nach England. Hier leitete Bion anfänglich eine Schule und diente nach seinem öffentlichen Übertritt zur anglikanischen Kirche der französischen Gemeinde der Vorstadt Chelsea als Pfarrer. Hier schrieb er 1708 seine „Erzählung der Leiden, die man die Protestanten, die auf den Galeeren Frankreichs sind, erdulden läßt“. Er widmete sie der Königin Anna, in der Hoffnung, daß sie das Gewicht ihrer Autorität und Macht einsetze zur Befreiung der Verfolgten.
Bion will nur das schildern, was er als Augenzeuge auf der „Superbe“ erlebt hat, „was seine Augen gesehen und seine Hände berührt haben“. Die Liebe zur reformierten Religion, die er nunmehr bekennt, bewahrt ihn vor aller Übertreibung. „Ich hielte mich für unwürdig, unter ihrer Fahne zu gehen, wenn ich mich von der reinen Wahrheit entfernte.“ Um 1709 begab sich Bion nach Holland, wo er Prediger einer englischen Gemeinde wurde. Hier ließ er eine zweite Ausgabe seines Büchleins drucken, nachdem schon 1708 zu London eine englische und zu Berlin eine deutsche Übersetzung erschienen waren. Bion verfaßte auch eine Schrift über die Vorsehung, die sich ihm ja in seinem eigenen Leben so wunderbar und überwältigend erwiesen hatte. Wie sich der Abend seines Lebens gestaltet, wann und wo er seine Seele seinem Schöpfer wieder zurückgegeben hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Doch ist er nicht vor 1741 gestorben. Jean François Bion erlebte die Freude, daß die englische Königin nach dem Frieden zu Utrecht die Befreiung von 180 Reformierten von den Galeeren erreichte.
Die Namen der Tapferen, die durch ihre Standhaftigkeit seine Befreiung zum Leben eines im Glauben an Gottes Gnade fröhlichen Christen herbeiführten, hat Bion aus Rücksicht auf ihre Sicherheit verschwiegen. Die Forscher, die sich mit so viel Liebe in die Geschichte der Heldenzeit des französischen Protestantismus vertieft, nennen uns die Namen jener Bekenner: Jacques Vigne aus dem Marktstädtchen Nyons in der Dauphine: 1689 zu den Galeeren verurteilt, 1699 entblößten Hauptes an einen Masten des Schiffes gebunden, um sich die Messe ansehen zu müssen, doch 1700 vom Major des Schiffs selber geschlagen, weil er immer noch hartnäckig, will sagen standhaft blieb, 1713 endlich nach 24 Jahren Galeerendienst entlassen und aus Frankreich verbannt! François Courteserre aus Uzes am Eingang der Cevennen: 1698 mit 101 Protestanten, die einem Gottesdienst bei Organe beigewohnt, zu lebenslänglichem Galeerendienst verurteilt, Leidensgefährte von Vigne, 1713 befreit, flieht in die Schweiz nach Morges und Basel nach 15 Jahren Galeeren. Jacques Bruzin von Lussan bei Uzes Leidensgefährte von Courteserre, 1713 befreit. Antoine Andre von Alais: seit 1703 auf der „Superbe“; erlitt die Bastonnade mit der gleichen Standhaftigkeit wie sein Gefährte Bruzin. Mars Antoine Capdur, ein Cevenole: 1689 verurteilt; nach den ersten Schlägen gab er nach, lüpfte ein- oder zweimal seine Mütze während der Messe, ertrug dann aber reuevoll und tapfer grausame Schläge; er sei bereit zur Strafe, denn er habe nur ein Leben für die Liebe seines Erlösers zu verlieren. 1713 schlug auch ihm die Stunde der Freilassung; er stand damals im 60. Lebensjahre und hatte 24 Jahre auf den Galeeren gelitten! Denys Ustain aus dem Languedoc: Papist von Geburt, wegen Teilnahme an einer verbotenen Versammlung in der „Wüste“ verurteilt; litt tapfer alle Schläge, gleich seinem Freunde André ein schlichter Mann, bisher des Lesens unkundig. „Aber es ist“, so schreibt ein galérien aus Marseille am 26. Oktober 1703, „nicht die Wissenschaft, noch sind es die andern menschlichen Tugenden, die in den Prüfungen Halt geben, sondern die Kraft und Stärke des Heiligen Geistes, der weht, wo er will!“