Philippine Welser

Doch finden wir einige Frauen niederen Standes in rechtmäßiger Ehe mit Fürsten verheiratet. Die bekannteste darunter ist Philippine Welser, eine Augsburger Patrizier-Tochter. Von ihrer Familie singt ein deutscher Dichter (Theodor Hell):

Rühmlich mit erworbenen Schätzen
Pranget das Geschlecht der Welser
Unter Augsburgs Edelbürgern,
Und es wehten seine Flaggen
Werbend in den fernen Meeren,
Und hin nach Venezuela
Ließ sie Karl der Fünfte segeln,
Dass sie dort die weite, reiche
Pfandverliehene Länderstrecke,
Mit der Waffen Macht besetzten;
Und es schifften sich die Deutschen,
Nahe an fünfhundert Männer,
Ein für diese Unternehmung;
Kamen, stritten, überwanden
In Amerikas Gefilden
Stolze Reich‘ am Meergestade.

Ein besonderes Kleinod dieser Familie war um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Philippine Welser((Die Welser gehörten damals zu den reichsten Familien Deutschlands. Bartholomäus Welser, zur Zeit Karls V., ließ acht ausgerüstete bewaffnete Schiffe auf dem Meere gehen und konnte dem Kaiser noch zwölf Tonnen Goldes leihen.)), geboren 1530, mit den herrlichsten Gaben des Geistes und Herzens ausgestattet. Im Herbste 1547 hielt der Kaiser einen Reichstag zu Augsburg, auf dem viele Fürsten versammelt waren; auch der jugendliche Neffe des Kaisers, Ferdinand, ein Sohn des Königs Ferdinand, befand sich unter den Anwesenden. Er sah die Perle von Augsburgs Töchtern und wurde von Liebe zu ihr gefesselt, so dass er seine Gefühle nicht verbergen konnte; auch fand er Gegenliebe. Wiewohl er den Zorn seines Vaters zu fürchten hatte, ließ er sich doch die schöne Augsburgerin, welche jede andere Verbindung verweigerte, 1550 durch priesterlichen Segen als Gattin vermählen. Der Vater war, wie der Kaiser, über die Missheirat höchst erzürnt. Ferdinand sollte verstoßen und enterbt werden, wenigstens musste er den Hof verlassen und durfte weder allein, noch mit seiner Gemahlin daselbst erscheinen. Häusliches Glück, gegründet auf innige, gegenseitige Liebe, entschädigte Beide. Wer Gelegenheit hatte, Philippine näher kennen zu lernen, musste sie lieb gewinnen; so tadellos hielt sie sich in jeder Beziehung. Selbst der erzürnte Schwiegervater konnte am Ende der Liebenswürdigkeit derselben nicht widerstehen. 1558, als Ferdinand, nun auf den Kaiserthron erhoben, sich zu Prag befand, überreichte ihm Philippine in verhüllter Gestalt fußfällig eine Bittschrift, in welcher, ohne Nennung der Namen, ihr Verhältnis geschildert wurde. Ferdinand bewunderte die Anmut, Sittsamkeit und Schönheit der Unbekannten, und da er erfuhr, wer sie wäre, verzieh er seinem Sohne und erkannte im September 1561 die Ehe als rechtsgültig an; doch sollten, die aus derselben entsprossenen Söhne nur Markgrafen von Burgau, nicht Erzherzöge von Österreich genannt werden; aber nach dem Aussterben des österreichischen Mannsstammes sollten sie in allen Erblanden – Böhmen und Ungarn ausgenommen – erbberechtigt sein. Vorerst bekam Ferdinand Tirol und Vorderösterreich zur Regierung übergeben. Er führte auf dem reizenden Ambras bei Innsbruck ein glückliches Leben, vom ganzen Volke mit seiner Gemahlin geehrt und geliebt. Beide sorgten auch für das Wohl ihrer Untertanen, namentlich in dem Hungerjahre 1570. Sie ließen eine Menge Getreide aufkaufen und billig wieder verkaufen. Philippine hatte eine eigene Kasse für arme und dürftige Leute und teilte fleißig und reichlich Almosen aus; auch zeigte sie eine große Liebe zu den Wissenschaften und Künsten. Sie starb 1580 zu Innsbruck in einem Alter von 50 Jahren. Ferdinand ehrte ihr Andenken dadurch, dass er eine Münze mit ihrem Bildnis und der Umschrift: Divinae Philippinae (der göttlichen Philippine) prägen ließ.

Maria von Preußen

Alle die genannten Fürstenfrauen waren in ebenbürtiger Ehe mit den regierenden Herren verbunden; es wurde mit Strenge auf die Ebenbürtigkeit bei fürstlichen Heiraten gesehen. Überhaupt suchte man den Unterschied der Stände aufrecht zu erhalten und geltend zu machen, und nicht jede fürstliche Dame konnte so ungehindert mit den niederen Ständen verkehren, als die gute Dorel, welche sich trotz ihrer Herablassung in fürstlichem Ansehen zu erhalten wusste. Anders war es bei Maria, der zweiten Gemahlin des Herzogs Albrecht von Preußen, welche sich in jugendlichem Alter mit dem schon bejahrten Fürsten vermählte. Der Adel hatte am Hofe eine solche Stellung eingenommen, dass er dadurch übermütig wurde. Selbst der jungen Fürstin legten die vornehmen Herren und Damen ihren hoffärtigen Sinn an den Tag, so dass sich dieselbe zurückgestoßen fühlen musste und sich mehr den bürgerlichen Familien näherte. Sie empfing bürgerliche Frauen an dem Hofe und ging vertraulich mit denselben um; auch näherte sie sich in ihrer Kleidung einigermaßen den Bürgerfrauen; so trug sie die Haube, die bei diesen gewöhnlich war.

Der Adel sah mit Verachtung und grimmigem Neide die ihm schimpflich dünkende Selbsterniedrigung der Herzogin. Als einstens Prinz Magnus von Dänemark, ein Verwandter der ersten Gemahlin Albrechts, nach Königsberg kam und an der herzoglichen Tafel speiste, tadelte er mit derben, beleidigenden Worten den Anzug der Herzogin. Nach dem Essen begab man sich zum Tanze und die Herzogin nahm lebhaften Anteil an demselben. Der dänische Prinz sprach auch jetzt sein Missfallen über die veränderten Hofsitten aus; der verletzte Anstand müsse wieder hergestellt werden; man müsse der Fürstin die Bürgermütze vom Kopfe tun. Der Hofmarschall warnte die Herzogin; dieselbe ließ sich aber nicht irre machen, sondern blieb unbefangen in der Gesellschaft. Plötzlich nahm ihr der rohe Gast mit Brutalität die Mütze vom Kopfe, so dass allgemeine Bestürzung und Verwirrung entstand, wobei die adeligen Herren und Damen ihre Schadenfreude kaum zu unterdrücken vermochten. Der Herzog unterließ es, seiner schwer beleidigten Gemahlin Genugtuung zu verschaffen. Es kam zu weiteren Verhandlungen, wobei die bürgerliche Partei gestürzt wurde und einige bürgerliche Räte mit dem Leben büßen mussten. Die Herzogin musste ihrem Hauptfeind, Truchsess von Waldhausen, eine Ehrenerklärung geben; sie zog sich in das Schloss zurück, ohne sich jemals wieder öffentlich zu zeigen.

Zwei Jahre lebte sie noch, sich mit Studien und literarischen Beschäftigungen die Zeit verkürzend. Nach dem Beispiel ihrer Mutter, Elisabeth von Braunschweig, schrieb sie für ihren Sohn 100 Vorschriften in deutscher Sprache nieder.

Luise Henriette, Kurfürstin von Brandenburg.

Die in der Überschrift genannte Fürstin ist geboren in Haag am 17. November 1627; sie war eine Tochter von Friedrich Heinrich, Fürst von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, und von dessen Gemahlin, Anna von Solms-Braunfels. Der Kurprinz Friedrich Wilhelm von Brandenburg lernte diese vortreffliche Prinzessin während eines längeren Aufenthaltes in den Niederlanden kennen; er warb um ihre Hand und vermählte sich mit derselben am 27. Dezember 1646. In der Tat besaß Luise Henriette alle Eigenschaften, die dazu dienen konnten, ihren Gatten glücklich zu machen. Sie war eine äußerst gebildete junge Dame und von ihrer Mutter angehalten, in der Haushaltung selbst Hand anzulegen und in sonstigen weiblichen Arbeiten sich eine große Geschicklichkeit zu erwerben. Zudem besaß sie eine nicht geringe Dichtergabe, und, was noch mehr in die Waagschale fiel, Herzensgüte und einen christlichen frommen Sinn.

Als sie 1648 ihren ersten Sohn gebar, dichtete sie das hübsche Lied, dessen Anfang lautet:

Gott, der Reichtum deiner Güte,
Dem ich Alles schuldig bin,
Ursacht, dass mir mein Gemüte
Gegen dir für Freude wallt.
Meinen Wohlstand, meine Zier
Dank‘ ich, Vater, einzig dir.
Du hast reichlich Leib und Leben,
Ehr‘ und Wohltat mir gegeben.

Wo sich hin mein‘ Augen wenden,
Was mein Herz bedenken kann,
Da erkenn‘ ich aller Enden,
Was du, Herr! an mir getan;
Berg‘ und Täler neigen sich,
Leut‘ und Länder ehren mich,
Wild und Wald samt tausend Flüssen,
Liegen da zu meinen Füßen.

Sollt ich solcher Gnaden wegen
Dir nicht danken, wie ich weiß,
Weil der Geist mein Herz wird regen,
Sollst du sein mein Lied und Preis,
Meine Freude, meine Kron‘
Und mein tausendfacher Lohn.
Was ich von dir werde singen,
Soll die Ewigkeit durchdringen.

Doch sollte die Mutterfreude der Fürstin nicht von langer Dauer sein. Die Kurfürstin suchte und fand Trost im Glauben an den Erlöser und in dieser Stimmung dichtete sie das bekannte Lied: Jesus, meine Zuversicht!

Es war ihr nun eine schwere Aufgabe gestellt, ihrem Gemahl behilflich zu sein, die Wunden des dreißigjährigen Krieges zu heilen und die in ihrem Wohlstand geschädigten Landesteile wieder zu heben. Sie suchte darum die erworbenen wirtschaftlichen Kenntnisse bestens zu verwerten. Ein Lieblingsaufenthalt war ihr das an der Havel gelegene Schloss Bözow, später Oranienburg genannt; hier legte sie einen großen Nutzgarten an; sie verschrieb aus Holland Gärtner und Landwirte, so wie die nötigen Geräte, um hier für die ganze Umgegend eine Musterwirtschaft einzurichten. Auch sorgte sie für die Wiederherstellung des Gottesdienstes, so wie des Unterrichts der Jugend. Wenn sie wegen Unwohlsein nicht in die Kirche gehen konnte, so wurde in ihrer Nähe gebetet und gesungen. Des Nachmittags wiederholte sie mit ihrem Hofgesinde die gehörte Predigt und wandte solche auf sich und die Anwesenden an. In der Bibel las sie einen Tag wie den andern; ihr Hofprediger und Seelsorger Stosch hatte die strenge Weisung, ihr alle Sünden und Schwachheiten unverhohlen vorzuhalten. Ihr bußfertiges Herz sprach sie in dem Liede aus:

Ich will von meiner Missetat
Zum Herren mich bekehren.

So eifrig sie dem reformirten Bekenntnisse ergeben war, so hatte sie doch kein Wohlgefallen an den damaligen Zänkereien der beiden Konfessionen, welche von den Geistlichen selbst in den Predigten geführt wurden. Sie bezeugte auch den Lutheranern herzliches Wohlwollen und stand mit lutherischen Liederdichtern, z. B. mit Paul Gerhard, in freundlichem Verkehr; es war nicht ihre Schuld, dass der Letztere von seinem Amte entfernt wurde. Jedermann hatte Zutritt zu ihr. Bisweilen entzog sie sich den Bissen von ihrem Munde, wie man zu sagen pflegt, um den Armen geben zu können, und sie war tief betrübt, wenn ihr die Mittel fehlten, zu helfen, wie sie gerne gewollt hätte.

Was sie für ihre Pflicht hielt, das zu tun, dafür war ihr kein Opfer zu schwer; darum bot sie ihrem Gemahl, wie sehr sie demselben auch in Liebe zugetan war, die Ehescheidung an, damit er sich eine andere Gemahlin nehmen könne, die ihn und das Land mit einem Thronerben erfreue. Der Kurfürst erwiderte nach kurzem Bedenken: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Da sie noch etwas weiter bemerken wollte, fiel er ihr in die Rede und sagte: „Was mich betrifft, so werde ich meinen Eid halten, und so es ihm dabei gefällt, mich und das Land zu strafen, so müssen wir’s uns gefallen lassen.“ Ihr Sehnen und Hoffen sollte nicht zu Schanden werden. Am 16. Februar 1655 gebar sie einen Thronerben. Es war ein Dienstag; darum gelobte sie zum Dank für die erwiesene Gnade, jeden Dienstag dem Herrn zu weihen, durch Fasten, Beichten, Beten, Predigt usw. Sie hielt das Gelübde bis zu ihrem Ende. Erst nach Sonnenuntergang pflegte sie ein mäßiges Mahl zu genießen.

Auch in weiteren Kreisen suchte sie für Hebung des vernachlässigten Gottesdienstes zu wirken. Auf ihre Veranlassung gab der als Tonsetzer berühmte Johann Crüger, welcher auch die Melodie zu dem Liede „Jesus meine Zuversicht“ komponiert hatte, ein Gesangbuch heraus, in welchem sich ihre eigenen Lieder befanden.

Ihre Dankbarkeit für die Geburt des Erbprinzen trieb sie auch dazu, eine Versorgungsanstalt für 24 vaterlose Kinder zu errichten. Selbst gegen treulose Diener verleugnete sie ihre Barmherzigkeit nicht. Da einstens einer derselben als Dieb entdeckt wurde, und der Kurfürst in seinem Zorne schwur, denselben hängen zu lassen, steckte sie dem Bedrohten heimlich einige Dukaten zu und verhalf ihm zur Flucht, indem sie erklärte: „Meinetwegen soll kein Menschenblut vergossen werden.“ Zucht und Mäßigkeit wurde bei der Hofhaltung strenge gehalten.

Einer der bevorzugten und begünstigten Hofcavaliere während der Regierung Georg Wilhelms, des Vaters von Friedrich Wilhelm, war H. von Burgsdorf, ein Mann nicht ohne Verdienst, aber im höchsten Grade dem Trunke ergeben. Das ging unter dem früheren Kurfürsten, aber bei der jetzigen Hofhaltung konnte sich der Mann nicht besonders wohl fühlen. Eines Tages sagte er zu dem Kurfürsten: Gnädigster Herr, ich weiß nicht, wie Sie leben. Bei Ihrem Herrn Vater ging es viel lustiger zu; es wurde viel tapferer herumgetrunken, da war dann und wann ein Schloss oder Dorf mit Trinken zu gewinnen, und ich weiß mich der Zeit noch zu erinnern, in welcher ich zehn Maß Wein bei einer Mahlzeit getrunken habe.“ Die Kurfürstin erwiderte: „Man hat schön gewirtschaftet; so viele Schlösser und Güter für das leidige Saufen zu verschenken.“ Sie ruhte nicht, bis der hochgestellte Mann sein Ehrenamt verlor und den Hof verlassen musste. In den Haushaltungsangelegenheiten war sie eine vortreffliche Wirtin und Rechnerin; durch weise Sparsamkeit wusste sie mit Wenigem viel zu leisten. Noch findet sich in der Bibliothek zu Berlin ein Haushaltungsbuch, in welchem sie die Ausgaben und sonstige Notizen in holländischer Sprache einzutragen pflegte. Doch konnte sie sich eben so wenig als der Kurfürst den Sitten der Zeit in Beziehung auf großen Aufwand ganz entziehen, so sehr es Beide wünschten. Allein in den Marställen von Cleve und Berlin wurden 130 Reit- und Kutschpferde für den Kurfürst und 38 für die Kurfürstin gehalten.

In die eigentlichen Staatsangelegenheiten mischte sich die Kurfürstin nicht, wenigstens übte sie nie verderblichen Einfluss aus, wenn auch der Kurfürst öfters zu ihr kam, um bei ihr Rat zu holen. Da die preußischen Stände nach dem Frieden von Oliva hartnäckig die Huldigung verweigerten, hoffte der Kurfürst, dass seine und seiner Gemahlin persönliche Anwesenheit dieselben zum Nachgeben bewegen werde. So war es auch und zwar nicht zum geringeren Teil in Folge des freundlichen und doch würdevollen Auftretens der Kurfürstin.

Mit aller Sorgfalt der treuesten Mutterliebe bekümmerte sich die Kurfürstin um die Erziehung der Kinder, die ihr Gott der Herr am Leben gelassen hatte. Sie schrieb deshalb, wenn sie nicht selbst zugegen war, an den Oberhofmeister derselben, den Grafen Schwerin, und legte auch hierbei ihre fromme Gesinnung an den Tag. „Sie können sich denken,“ heißt es in einem solchen Briefe, „mit welcher Freude ich meinen Kindern entgegen sehe. Gott vergelte Ihnen zwiefältig die Fürsorge, die Sie ihnen widmen. Ich weiß wohl, dass die Kinder nicht ohne Fehler sein können. Der Kurfürst und ich haben Gott dafür gedankt, dass der Kurprinz zu Landsberg so schön von der Religion gesprochen hat; ich sehe, dass Sie ihn gut anhalten, Gott zu fürchten. Ich glaubte nicht, dass er hierin so viel wüsste; ich hoffe auch, Gott wird ihm den heiligen Geist geben, und ihn stets auf seinen Wegen wandeln lassen. Kurz, es liegt Alles daran, dass das Herz wohl gegründet ist; Alles Andere ist eitel.“.

Das ganze Leben der Kurfürstin fiel in eine vielbewegte, trübe Zeit. 1650, also bald nach dem 30jährigen Kriege, wurde ihr Gemahl genötigt, sich mit den Schweden zu verbinden und gegen seinen Lehnsherrn, den König von Polen, zu Felde zu ziehen. In Folge davon fielen die Polen ins Land, sie brannten 13 Städte nieder und ermordeten 30.000 Einwohner grausamer Weise. Auch später, da dieser Krieg 1660 durch den Frieden von Oliva beendigt war, wurde der Kurfürst in den Kampf mit den Franzosen verwickelt und gezwungen, gegen die Schweden die Waffen zu ergreifen. Die Kurfürstin setzte in allen Leiden und Heimsuchungen ihre Zuversicht auf den Herrn. Sie äußerte: „Wenn Jesus noch auf Erden ginge, ich wollte mich noch mehr demütigen, noch mehr ihm anhängen als das kananäische Weiblein. Was ich aber auf leibliche Weise nicht tun kann, das will ich im Geiste und im Herzen tun, in gewisser Zuversicht, dass er auch im Stande der Herrlichkeit ein solcher Hoherpriester und Heiland sei, der Mitleid haben kann und hilft.“

Die Kurfürstin war immer auf den Tod gefasst und sah demselben mit Ruhe und gottesfürchtigem Sinne entgegen; sie starb am 18. Juni 1667, nachdem sie ihrem Gatten sechs Kinder geboren hatte, wovon bei ihrem Tode noch drei Prinzen am Leben waren. Der Kurfürst soll öfters ausgerufen haben: „O Luise, wie vermisse ich dich!“

Er heiratete zum zweiten Mal Sophia Dorothea von Holstein-Glücksburg, Witwe des Herzogs Christian Ludwig von Lüneburg-Celle. Man sagt von derselben, sie sei eine treue Gattin, eine zärtliche Mutter, eine grausame Stiefmutter und eine unbarmherzige Fürstin gewesen, also gewiss keine ganz würdige Nachfolgerin der Verstorbenen.

Amalie Elisabeth von Hessen.

Aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges haben wir über eine Fürstin zu berichten, welche in dieser bösen, betrübten Zeit mit männlichem Mut und seltener Charakterstärke, so wie mit bewunderungswürdiger. Einsicht den Herrscherstab führte, und sich eine rühmliche Stelle in der Geschichte ihres Landes erworben hat. Wir meinen Amalie Elisabeth, Landgräfin von Hessen-Kassel, eine Tochter des Grafen Ludwig II. von Hanau-Münzenberg, geboren 1602. Sie hatte in ihren jüngeren Jahren eine ausgezeichnete Bildung empfangen und besaß vorzügliche Sprachkenntnisse, im Französischen sogar fast eine gleiche Fertigkeit wie in der Muttersprache. In ihrem siebzehnten Jahre verheiratete sie sich mit dem Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel. Ein gleichzeitiger französischer Schriftsteller äußert über dieselbe: Diese Fürstin war geboren zur Ehre und Zierde ihres Jahrhunderts, und man konnte von ihr sagen, dass sie durch ein Männerherz die weiblichen Schwachheiten vertilgt habe. Ein solches Zusammentreffen von Tugenden hat man nie gesehen; sie besaß die eines großen Feldherrn, um eine Armee zu kommandieren, die eines großen Staatsmannes, um ihre Länder wohl zu regieren, und die ihres eigenen Geschlechtes. Bei ihr war Alles wohl zusammengefügt, dass Eins Schimmer und Glanz auf das Andere warf. Was die Regierung ihres Landes angeht, so hat zu keiner Zeit Jemand mit so viel Vernunft, Mäßigung und Gerechtigkeit regiert; sie war die Liebe und das Vergnügen der Völker, und obgleich diese außerordentlich während des unglücklichen Krieges gelitten hatten, so hat man nie die geringste Klage aus ihrem Munde gehört, und alle Nachbarn beneideten sie um ihr Schicksal. Ihr Gemahl hatte sich aus Liebe zur evangelischen Kirche, und, was wir nicht leugnen wollen, auch aus persönlichem Interesse an den Schwedenkönig Gustav Adolf angeschlossen, als dieser nach Deutschland kam. Er hatte nämlich Streit mit seinem Vetter Georg II. von Hessen-Darmstadt wegen einer Erbschaftsangelegenheit, und das Reichskammergericht hatte einen für den Letzteren günstigen Bescheid gegeben. Ein Vergleich schien im Jahre 1627 dem Streite ein Ende zu machen; aber das berüchtigte Restitutionsedikt von 1629 machte den Stand der Dinge wieder misslich für den Landgrafen Wilhelm. Darum glaubte dieser durch ein Bündnis mit dem Schwedenkönig für die Sache der evangelischen Kirche und für sich selbst zu sorgen. Er blieb auch diesem Bündnis treu, als Gustav Adolf fiel und die Nördlinger Schlacht für die Schweden verloren ging. 1636 wurde der Landgraf durch den Kaiser in die Reichsacht erklärt; mit der Verwaltung des Landes wurde sein Vetter Georg II. beauftragt. Die Bewohner hatten durch die kaiserliche Soldateska unendlich viel zu Leiden; 15 Städte, 47 adelige Wohnsitze und gegen 300 Dörfer, von welchen letzteren viele nicht wieder aufgebaut worden sind, wurden zerstört und es schien, als ob ganz Hessen ein Schutthaufen werden solle. In dieser Zeit starb am 21. September 1637 zu Leer in Ostfriesland der Landgraf Wilhelm, erst 36 Jahre alt. Er hatte schon früher für diesen Fall seine Gemahlin als Regentin bestimmt. Diese erklärte vor den versammelten Landständen, sie werde mütterlich für ihr Land wie für ihre Kinder sorgen; das habe sie fest beschlossen und Niemand solle sie daran hindern. Sie brachte noch in demselben Jahre 20,000 Mann auf die Beine, um für die Sache ihres Verbündeten einzustehen und ihrem Vetter Georg von Darmstadt wieder zu entreißen, was dieser von Hessen-Kassel im Besitz hatte. Natürlich handelte sie bei allen ihren Kriegsunternehmungen, die von ihrem Feldherrn Melander geleitet und ausgeführt wurden, nur in Übereinstimmung mit den Schweden und besonders mit Bernhard von Weimar, der ihr persönlich zugetan war und entschlossen gewesen sein soll, sie zu heiraten. Sein plötzlich erfolgter Tod machte diesem Projekte ein Ende. Aber auch alleinstehend und selbst von ihrem bisherigen Feldherrn Melander, der zu den Kaiserlichen übergetreten war, verlassen, hielt sich die Landgräfin in einer Weise, dass die Schweden beim Friedensschlusse erklärten: „Man muss etwas tun für eine Fürstin, wie die Landgräfin ist; darum, meine Herren! überwinden Sie sich selbst und suchen Sie diese Fürstin zu befriedigen.“ Nur darin wollten die französischen Gesandten nicht willigen, dass katholische Landesteile unter deren Herrschaft gelangten. „Lieber ein protestantisches Königreich, als ein katholisches Dorf,“ sagten sie. In Folge davon war Amalie so glücklich, nicht allein ihr ganzes Land unversehrt zu erhalten, sondern auch einzelne Teile, wie die Abtei Hersfeld u. a. m., dazu zu bekommen.

Die letzten Jahre ihres Lebens wollte die Fürstin in Ruhe verbringen; sie übergab die Regierung ihrem von ihr selbst erzogenen, heißgeliebten Sohn. Ihr vielbewegtes, unruhiges Leben hatte ihre Kraft und ihre Gesundheit gebrochen; sie starb am 8. August 1651 im 50. Jahre ihres Lebens.

Wie sie sich auch bei einer Hiobspost stark zu halten wusste, zeigt folgende Tatsache: Im Jahre 1646 belagerte ihre Armee die Stadt Paderborn; diese erhielt Hilfe und die Hessen mussten sich mit Verlust zurückziehen. Als diese Nachricht einlief, saß die Landgräfin gerade bei der Mittagstafel; sie las den Brief und legte ihn wieder ruhig zusammen mit den Worten: „Das ist eine schlimme Nachricht; doch man muss das Unglück auch ertragen und im Glück nicht übermütig werden.“ Darauf sprach sie fort, als ob nichts vorgefallen wäre. Nach aufgehobener Tafel versammelte sie ihre Räte und beratschlagte mit denselben, was unter den obwaltenden Umständen zu tun sei. Sie war äußerst vorsichtig und geschickt in diplomatischen Unterhandlungen, so dass der dänische Gesandte seinem Könige meldete: er habe Amalie nach Art der alten Orakel zweideutig gefunden, dass kaum herauszubringen sei, was der König von ihrer Zuneigung zu erwarten habe. In dem geheimen Staatsrat führte sie selbst den Vorsitz und prüfte Alles aufs genaueste, was zur Prüfung vorlag; sie las alle Verfügungen, welche sie unterschreiben sollte, sorgfältig, und arbeitete oft bis in die Mitternacht, um zu erledigen, was zu erledigen war. Mit unerschütterlicher Treue hing sie an der evangelischen Lehre, und sie äußerte oft: Lieber wolle sie mit ihren Kindern davongehen, als von der wahren Lehre abweichen. Bei den Friedensverhandlungen arbeitete sie darauf hin, dass neben den Lutheranern die Reformirten freie Religionsübung erhielten.

Körperliche Schmerzen ertrug sie mit fast mehr als männlicher Standhaftigkeit. In den letzten Jahren bekam sie ein Übel an einem Bein, deshalb musste sie sich schmerzlichen chirurgischen Operationen unterwerfen. Sie reiste nach Heidelberg und zeigte solche Selbstüberwindung, dass sie dem Arzte zurief, er solle nur zuschneiden, unbekümmert um ihre Schmerzen, wenn er es für vorteilhaft halte. Da sie nicht in einem Wagen fahren konnte, schiffte sie auf dem Neckar, Rhein und Main bis Höchst a. M., von wo aus sie auf einem besonderen Reisestuhl bis Kassel getragen wurde. Sie ließ sich noch am Sonntage vor ihrem Tode in die Kirche tragen, und sagte hierauf zu dem Hofprediger, wenn sie sich auch als eine Sünderin erkenne, so vertraue sie doch auf Gottes Gnade in Christo. In der Martinskirche, wo sie begraben war, wurde auf ihren Befehl eine Tafel zu ihrem Gedächtnis angebracht mit der Inschrift: Amal. Elis., Landgräfin von Hessen; zur Ehre des höchsten Gottes lasse ich Euch dieses Zeichen und Ausdruck meines Wohlwollens zurück, weil die wahre Liebe sich bildlich nicht darstellen lässt, die ich gegen Euch im Herzen trage. Lebt glücklich, sendet Eure Gebete zum Himmel für das Wohl Euerer Fürsten, damit unter ihrer gerechten Regierung Euch nichts fehle zu einem glücklichen Leben. Das wolle Gott geben.“

Die gute Dorel

Eine der edelsten Fürstinnen nicht bloß unserer Periode, sondern aller Zeiten, war unstreitig Dorothea Sibylla, Herzogin von Liegnitz und Brieg, geboren am 19. Oktober 1590. Ihr Vater war der Markgraf und Kurfürst Johann Georg von Brandenburg, und ihre Mutter Elisabeth eine Prinzessin von Anhalt. Nach dem Tode des Vaters bezog die Mutter den Witwensitz zu Crossen; sie sorgte für die Erziehung und Bildung ihrer Tochter, so weit sie irgend konnte; sie ließ dieselbe in fremden Sprachen und anderen nützlichen Dingen unterrichten und lehrte sie selbst die Frauenarbeiten, namentlich die Hauswirtschaft. 1610 verheiratete sich Dorothea mit dem Herzog Johann Christian von Liegnitz; sie drang alsbald auf Vereinfachung der Hofhaltung und auf Abtragung der fürstlichen Schulden, da es einem Landesfürsten mehr Ehre bringe, Schulden zu bezahlen, als einen zahlreichen Hofstaat und eine reiche Tafel zu halten. Sie hatte sechs Lehrjungfern aus armen adeligen Familien und sechs, welche nur Kost und Logis bezogen. Gegen alle war sie leutselig, aber auch strenge. So ließ sie einst eine Lehrjungfer mit Ruten züchtigen, weil dieselbe die unanständige Zudringlichkeit eines Junkers nicht ernstlich genug abgewiesen hatte. Auf Reinlichkeit und Ordnung sah sie bei ihrer Hofhaltung und selbst in andern Häusern; sie besuchte öfters früh Morgens die Bürgerfamilien der Stadt, und wenn sie das Zimmer nicht sauber und in Ordnung fand, kam sie nicht wieder. Überhaupt verkehrte sie mit Leuten jeglichen Standes ohne Stolz und doch ohne ihrer Würde etwas zu vergeben. Ihre Kleidung war so außerordentlich einfach, dass man in derselben die Fürstin nicht erkannte; sie trug für gewöhnlich ein graues, wollenes Kleid mit schwarzen Schnüren besetzt, darüber ein schwarzseidenes, mit Pelz gefüttertes und verbrämtes Mäntelchen. Nur bei festlichen Gelegenheiten erschien sie mit Geschmeide und Schmuck. Durchlauchtig wollte sie nicht genannt werden; sie sei nicht durchsichtig, und es möchte manchem regierendem Haupte übel stehen, wenn man es durchschauen könnte. Gnädige Frau möge man sie nennen, doch nicht ihr, sondern Gott zu Ehren. Sie durchwanderte mit ihren Jungfrauen Feld und Wald, um heilsame Kräuter zu suchen und die Mädchen mit den Giftpflanzen bekannt zu machen. Zu den Kranken in der Stadt und deren Umgebung kam sie mit Trost und Hilfe. Für die Kinder hatte sie gewöhnlich Zuckerwerk in der Tasche; darum riefen dieselben meistens von ferne: Die gute Dorel kommt.

Im Winter, besonders nach dem Abendessen, mussten sich die Jungfern an das Spinnrad setzen; das Gesponnene durften sie zu ihrer Ausstattung behalten; auch die niederen Hofmägde durften zu diesen Spinngesellschaften kommen, um zum Fleiß angetrieben zu werden und von der Unterhaltung etwas zu profitieren.

Die Jungfern mussten selbst die Betten machen, die Gemächer reinigen und Alles besorgen, was zur Hauswirtschaft gehörte. Die Herzogin sagte zu jeder, wenn sie an den Hof kam: „Meine Tochter! solche Arbeit musst du gründlich lernen, das wird dir frommen, wenn du selbst eine eheliche Hausfrau sein wirst; denn wie willst du dein Gesinde tadeln und strafen ob böser Arbeit, so du sie selbst nicht verstehst? Siehe, ich bin aus kurfürstlichem Stamme, und hab’s doch bei meiner Mutter selig zu meinem großen Nutzen und Frommen auch verrichten müssen.“

Hatten nun die Hofjungfern diese Dinge erlernt, so erhielten sie von der Fürstin ein goldenes Kettlein, am Hals zu tragen, woran ein Geldstück von der Größe eines doppelten ungarischen Dukatens hing; auf der einen Seite war das Bildnis der Herzogin, auf der andern ein Spinnrocken mit der Umschrift: „Bete und arbeite!“

Wenn eine von den Hofjungfern in den Ehestand trat, so wurde sie reichlich ausgestattet und feierlich zum Altar geführt; sie erhielt eine zweite Denkmünze, worauf das herzogliche Paar und das Schloss abgebildet war mit der Überschrift:

Gedenk‘ an uns und unsere Lehren,\\
Gott wolle deinen Wohlstand mehren!

Jede Bürgerstochter, welche sich ehrbar und gottesfürchtig gehalten hatte, erhielt von der Herzogin einen von ihr selbst gefertigten Strauß von künstlichen Blumen, in welchen der Name der Braut mit goldenen Buchstaben genäht war. Wollte die Fürstin einer Stadtjungfer eine besondere Ehre erweisen, so schickte sie derselben einen Pelz, den sie selbst getragen hatte. Diesen musste die Braut während der Trauung anziehen und dann zurückgeben. Eine solche Frau hatte ihre Lebenszeit den Vorzug vor den übrigen Bürgersfrauen, die Ratsfrauen ausgenommen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Dorothea den Stadt- und Landschulen; sie besuchte dieselben oft unversehens und prüfte die Kinder; die fleißigen beschenkte sie mit einem harten Taler. Der Herzog pflegte sie öfters seinen Konsistorial- und Schulrat zu nennen. Ebenso war die Armenpflege der Gegenstand ihrer besonderen Sorgfalt; sie veröffentlichte eine besondere Armenordnung. Arbeitsfähige Personen sollten zur Arbeit angehalten werden, andere genügende Unterstützung aus der Stadtkasse und durch Privatwohltätigkeit erhalten. Ehrsame Bürger mussten sich in der Stadt und auf dem Lande nach den Hilfsbedürftigen und Notleidenden erkundigen.

In der Arzneikunde für Menschen und Vieh war Dorel wohlerfahren; sie eiferte gegen ausländische und zusammengesetzte Mittel; jedes Land bringe seine eigenen Heilkräfte hervor. Namentlich sprach sie sich gegen die damals in den Apotheken viel gebrauchten Mumien aus.

Eifriges Gebet zu Gott, festes Vertrauen auf dessen Hilfe, Mäßigkeit und Bewegung sei besser als alle Apotheken. In ihren sanitätlichen Bestrebungen wurde sie von der Mutter Grethe unterstützt, einer Hebamme aus edlem Geschlecht. In Gemeinschaft mit derselben schrieb sie eine Gesundheitslehre, besonders für Frauen; darin bekämpfte sie den unbesonnenen Gebrauch von hitzigen Getränken, besonders von Branntwein. Diese Unterweisung wurde in allen Gemeinden unentgeltlich ausgegeben.

In der heiligen Schrift war die Herzogin ungemein bewandert, indem sie sich täglich mit dem Lesen derselben beschäftigte; namentlich wusste sie alle Trostsprüche auswendig. Den Gottesdienst versäumte sie niemals, wenn sie nicht absolut gehindert war; wiewohl selbst reformirter Konfession, besuchte sie doch öfters die lutherische Kirche.. Das heilige Abendmahl genoss sie alle Vierteljahr mit ihrem ganzen Hofstaat. Sie eiferte für den wahren Christenglauben ohne Konfessionelle Unduldsamkeit. Aber eben so sehr wirkte sie dem Aberglauben ihrer Zeit, besonders dem Hexenglauben, entgegen. Einem Geistlichen, der sich für die Möglichkeit der Hexerei und Zauberei ausgesprochen hatte, ließ sie einen ernstlichen Verweis zugehen, mit der Drohung ernsterer Maßregeln, wenn er sich mehr dergleichen erlaube.

Bei allem sittlichen Ernst, den sie niemals verleugnete, war sie mitunter selbst zu lustigen Streichen geneigt, namentlich wenn sie zu Hochzeiten und Kindtaufen geladen war; sie ermunterte die Gäste zum Gesang, lehrte die Leute allerlei harmlose Spiele u. dergl. Als sie sich einstens in der Schule mit einem Kinde sehr freundlich unterhielt und die Frage an dasselbe richtete, wer sie wäre, antwortete dieses unbefangen: „Die gute Dorel.“ Einer der Anwesenden wollte das Kind entschuldigen, indem er sagte, dass dasselbe diesen Namen von andern Leuten gehört habe. Darauf bemerkte die Herzogin, das wäre ihr der liebste Name, den sie erhalten könne; sie wolle keinen andern.

Ihr eheliches Leben war ein Vorbild für alle ihre Untertanen, ohne Hader und Zwietracht; sie mischte sich nicht unberufen in die Regierungsangelegenheiten; doch fasste der Herzog nicht leicht einen wichtigen Beschluss, ohne ihren Rat zu hören. Reiste er außer Land, so übergab er ihr die Regierung. Die herzoglichen Kinder wurden in Kost und Kleidung einfach gehalten, damit sie nicht üppig und übermütig würden, sondern schmecken lernten, wie Leute geringen Standes leben müssten. Schon in ihrem 35. Jahre, am 19. März 1625, ging sie ein in die Wohnung der Seligen. Gewiss! sie verdiente den Leichentext Offenb. Joh. 14, 13: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben; denn sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ Auch die Katholiken nahmen zahlreich an der Leichenfeier Teil, so dass der katholische Geistliche einen Gottesdienst für dieselben hielt, und äußerte: Wenn die Calvinisten einen Papst hätten, so hätte derselbe nichts Eiligeres zu tun, als die verstorbene Herzogin unter die Heiligen zu versetzen.

Mutter Anna von Sachsen

Anna von Sachsen, auch Mutter Anna genannt, war die Tochter des Königs Christian III. von Dänemark, geboren 1531 und 1548 vermählt mit dem nachherigen Kurfürsten August von Sachsen. Die Hochzeit wurde mit ungewöhnlicher Pracht und verschwenderischem Aufwand gefeiert. Unter Anderem war ein Türkenschloss auf der Elbe errichtet, das von einer kostbar orientalisch gekleideten Mannschaft verteidigt und von eben so prächtig gekleideten Kämpfern angegriffen wurde, bis es den Letzteren gelang, dasselbe durch Feuer zu zerstören. Dabei ergötzte Feuerwerk jeglicher Art die Zuschauer. Anna zeigte recht achtbare Eigenschaften; sie stand 37 Jahre lang ihrem Gatten zur Seite und war während dieser Zeit nur wenige Wochen von demselben entfernt. Ihre Ehe wurde mit 15 Kindern gesegnet, von denen jedoch 11 frühe wieder starben. Sie übte einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Regierungsgeschäfte aus, doch meistens einen wohltätigen, namentlich was das Finanzwesen betrifft. Besonders unterstützte sie ihren Gemahl, wo es galt, den Wohlstand des Volkes zu fördern. August ließ sich die Hebung des Obstbaues angelegen sein; er schrieb deshalb „Künstliches Obst- und Gartenbüchlein“ und gab den Befehl, dass jedes junge Ehepaar im ersten Jahre zwei Obstbäume pflanzen müsse, Er führte auf seinen Reisen stets ausgesuchte Obstkerne bei sich, um sie den Landleuten zu geben. Meistens teilte Anna dieselben aus; auch war sie ihrem Gemahl bei der Abfassung der erwähnten Schrift behilflich. Bei der Bewirtschaftung der kurfürstlichen Domänen griff die hohe Frau mit höchst eigener Hand zu; sie nahm sich mit Rat und Tat des Kleinsten an und brauchte mitunter selbst Hacken und Spaten. Der Kurfürst nahm aus Liebe zu seinen Glaubensgenossen und um die Industrie in seinem Lande zu heben, eine große Anzahl aus ihrer Heimat vertriebener evangelischer Niederländer auf. Anna bot hierzu in jeder Beziehung hilfreiche Hand.

Vornehmlich war sie auf dem Ostravorwerk bei Dresden eine geschäftige Martha; sie ging im Sommer oft zu Fuß nach Ostra, um daselbst mit eigener Hand Butter für ihren Gemahl zu waschen und zu falzen. Charakteristisch ist folgende, auch dichterisch bearbeitete Erzählung. Einst an einem heißen Sommertage kam der Kurfürst nach dem genannten Vorwerk und bat die Magd um einen Trunk Milch. Er erhielt solche, aber, weil er nicht erkannt wurde, keine von der besten. Der Kurfürst leerte, durstig, wie er war, das Glas, bemerkte aber, dass die Milch nicht besonders gut gewesen sei. Die Magd, etwas beleidigt, erwidert: „Ja, wenn der alte Brummbär – damit meinte sie die Kurfürstin – uns nicht immer die beste Milch nähme, dann könnte man hier bessere haben.“ Ohne sich zu erkennen zu geben, ging der Kurfürst von dannen und erzählte den Vorfall seiner Gemahlin. Diese ließ die Magd vor sich kommen und schalt sie wegen ihrer rohen Äußerung, sagte aber nicht, wer der Gast gewesen sei. Da erwiderte die Magd: Hätte sie gewusst, dass sie einem solchen Schlingel, der Alles ausplaudere, Milch gegeben habe, dann hätte sie gewiss Nichts gesagt. Der Kurfürst, welcher hinter der Tür dieser Unterredung zuhörte, konnte das Lachen nicht unterdrücken; er trat hervor und sagte zu seiner Gemahlin:

„Drum tragen wir in stiller Ruh,\\
Den Brummbär ich, den Schlingel du!“

Wir wollen nicht entscheiden, ob die Erzählung bis ins Einzelne Wahrheit enthält; sie ist bezeichnend für das, was das Volk seiner Kurfürstin zutraute. Darum erwähnen wir auch der gewiss falschen Sage, dass Anna selbst von den Produkten des Vorwerks auf dem Markte verkauft habe.

Bekannt ist die Kurfürstin durch ihre Beschäftigung mit chemischen Arbeiten; sie hatte ein großes chemisches Laboratorium, in welchem vier Öfen standen. Während ihr Mann in Alchemie die Fabrikation des Goldes erstrebte, suchte sie heilsame Medikamente zu entdecken. 1579 entdeckte sie ein weißes Magenpflaster, wovon man in der Hofapotheke zu Dresden noch lange Proben aufbewahrte. Sic führte auf ihren Reisen selbstverfertigte Medikamente bei sich und verteilte solche unentgeltlich. Auch im Gebrauche des Stickrahmens, sowie der Spindel und Nadel war die Kurfürstin wohlerfahren und unermüdlich tätig; noch jetzt wird in der Kunstkammer zu Dresden ihr Arbeits- und Reisegerät aufbewahrt.

In anderer Beziehung können wir derselben weniger Beifall zollen. Sie bestärkte ihren Gemahl in der Härte gegen den gefangenen Herzog Johann Friedrich. Auch soll sie in ähnlicher Weise mitgewirkt haben, dass der Kurfürst mit unerbittlicher Strenge gegen die Professoren, Geistlichen und Beamten verfuhr, welche vom reinen Luthertum abgewichen waren und sich zum Calvinismus geneigt hatten (Kryptocalvinisten). Anna unterlag 1585 der Pest, welche mehrere Jahre hindurch in Dresden furchtbar wütete.

Elisabeth von Thüringen

Bekannter noch ist die Tochter der oben erwähnten Maria von der Pfalz, Elisabeth, die Gemahlin Johann Friedrich II., oder des Mittleren, von Sachsen; sie ist geboren am 30. Juni 1540 zu Birkenfeld. Von Kindheit an in Gottesfurcht und Frömmigkeit erzogen, blieb sie ihr Leben lang, auch im größten Leiden, das Muster einer gottseligen Fürstin. Sie war, da sie in ihrem achtzehnten Jahre ihrem Gemahl nach Weimar folgte, gar bald eine Landesmutter im wahrsten Sinne des Wortes, welche durch ihre Freundlichkeit und Leutseligkeit die Herzen Aller, die mit ihr in Berührung kamen, zu gewinnen wusste. Leider konnte sie ihren Gemahl nicht abhalten, dass sich derselbe mit dem unruhigen Ritter Wilhelm von Grumbach verband. Es wurde deshalb die Reichsacht über die Verbündeten ausgesprochen und der Kurfürst August von Sachsen mit der Vollstreckung des Urteils beauftragt. Gotha, die Residenz des Herzogs, wurde erobert, und der Herzog als Gefangener nach Wienerisch-Neustadt abgeführt, während Grumbach mit einigen Genossen unter großen Martern gevierteilt wurde. Elisabeth konnte nur mit Gewalt aus den Armen des fest umschlungenen Gatten weggerissen werden. Sie befand sich von nun an in einer höchst traurigen Lage; zur Bezahlung der Kriegsschulden musste sie alle ihre Kleinode hergeben, und sah, fast von allen Mitteln entblößt, mit ihren drei unmündigen Kindern einer traurigen Zukunft entgegen. Sie nahm ihre Zuflucht zu ihrer Schwiegermutter Sibylla, welche in ähnlicher Lage wie sie gewesen war. Sie wendete alle ihre Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Kinder, welche sie durch Wort und Beispiel zur Gottesfurcht anhielt. Täglich versammelte sie dieselben, so wie die übrigen Hausgenossen, zum Gebet und Hausgottesdienst. Aber die Geldnot blieb nach wie vor. Elisabeth konnte manchmal den Bringerlohn für die erhaltenen Briefe nicht bezahlen. 1568 zog sie nach Eisenach in den ihr zugesprochenen Zollhof, hatte aber immer noch mit Mangel und Not zu kämpfen. Wohl hätte sie unter solchen Umständen selbst eines Trösters bedurft; aber sie unterließ es nicht, in zahlreichen Briefen fort und fort ihrem Gemahl Mut und Trost einzusprechen. Beispielsweise: „Herzlich gerne wollte ich bei Ew. Liebden sein und dieselben in schwerem Kreuz und Leid trösten, wenn es Gottes Wille wäre. Ich habe die Zeit nicht viel trockene Augen gehabt. Ich will zu Gott flehen, seine göttliche Allmacht soll Ew. Liebden ferner in Geduld erhalten, und es mit uns schicken nach seinem väterlichen Willen, wie es uns gut und nützlich ist. Ich will Alles für Ew. Liebden hergeben, was ich habe, und sollt‘ ich betteln gehen, da ich wohl erfahren habe, wie es einer Frau geht, die ihren Herrn nicht bei sich hat.“

Dabei überschickte sie ihrem Gemahl, so oft sie konnte, ein Labsal, bald ein Trostbüchlein, das ihr selbst tröstlich gewesen, bald Tücher und Hemden, die sie genäht, bald Quittensaft, den sie selbst bereitet hatte, bald Coburger Bier usw.

Unermüdlich war auch das treue Weib, beim Kaiser, beim Kurfürsten August und bei anderen Fürsten, wo sie konnte, Fürbitte für die Begnadigung ihres Gemahls einzulegen. Alles umsonst, wiewohl sie dabei von ihrem Vater und ihrer Mutter unterstützt wurde. Nicht einmal die Erlaubnis, den Gefangenen zu besuchen, konnte sie sich erwirken. Nur das erreichte sie durch einen Reichstagsbeschluss, dass ihre Söhne wieder in das väterliche Erbe eingesetzt werden sollten. Endlich, 1572, wurde ihr auf ihr persönliches Bitten in Wien gestattet, zu ihrem Gemahl zu gehen; sie fand diesen in engem Gewahrsam und brachte es mit Mühe dahin, dass demselben einige Erleichterung gewährt wurde. Bald überzeugte sie sich, dass ihre Gegenwart für den Gefangenen fast unentbehrlich wäre. Darum hielt sie an mit Bitten und Flehen, bis der Kaiser es gestattete, dass sie die Gefangenschaft ihres Gemahls als treue Lebens- und Leidensgefährtin teile, und so blich sie 22 Jahre lang, bis an ihren Tod, im Kerker, ohne jemals ihre hingebende Selbstverleugnung zu bereuen. Nichts versäumte sie, was dazu dienen konnte, den Gefangenen ruhiger zu stimmen. Sie las demselben aus der Bibel, besonders aus den Psalmen, vor, und bewog ihn, den ersten Psalm aus dem Hebräischen, das er verstand, in die deutsche Sprache zu übersetzen. Dabei ließ sie ihre Kinder nicht aus dem Auge; sie korrespondierte häufig mit denselben, ermahnte sie, Gott vor Augen und im Herzen zu haben, sich das Lernen angelegen sein zu lassen, und unermüdlich um die Befreiung ihres Vaters zu bitten. Ihr ältester Sohn starb während ihrer Abwesenheit als neunjähriger Knabe.

Wenn sie einmal ihren Gemahl für kurze Zeit verließ, so geschah es in dessen Interesse, meistens, um wiederholt Fürbitte für denselben vorzubringen. Aber weder der Tod des Kaisers Maximilian II. 1576, noch die Verlobung ihres Sohnes Johann Kasimir mit der jüngsten Tochter des Kurfürsten August, des heftigsten Gegners von Johann Friedrich, verwirklichten ihre Hoffnungen. Nicht einmal der Tod von August selbst führte zu diesem erstrebten Ziele.

Dessen ungeachtet verließ Elisabeth ihren Gatten nicht. Nur zwei Mal, nämlich 1578 und 1583, besuchte sie ihre heißgeliebten Kinder. Noch wurden ihre Leiden dadurch vergrößert, dass ihr Sohn Kasimir, da er in den Besitz des väterlichen Erbes gekommen war, die auf ihn gestellte Hoffnung nicht erfüllte; er gewährte den Eltern die Unterstützung nicht, welche dieselben so sehr bedurften. Doch suchte Elisabeth das gute Vernehmen zwischen Vater und Sohn zu erhalten und jeden weiteren Zwiespalt zu verhüten. Ihr Gottvertrauen blieb unerschütterlich, wie ihr tägliches Gebet beweist: „Ich weiß, mein Gott, du wirst mich nicht verlassen, und sollte deine Hilfe erst angehen in der Stunde des Todes.“ Wie sich der Herzog die fünf Buchstaben: A. E. I. O. V. („allein Evangelium ist ohne Verlust“) zum Wahlspruche erwählt hatte, so erwählte sich Elisabeth vier H. („Hilf Herr, himmlischer Hort.“)

Ihre Leiden nahmen erst mit ihrem Tode ein Ende. Schmerzlich war ihr der Tod ihrer treuen Schwester, Dorothea Susanna, Witwe des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen, ihr ähnlich in liebevoller Tätigkeit für ihre Untertanen, besonders die Armen. Noch mehr wurde sie betrübt über die unglückliche Ehe ihres Sohnes Kasimir mit Anna von Sachsen, die wegen wiederholter Untreue von ihrem Gemahl musste verstoßen werden. Elisabeth forderte ihren Sohn auf, er solle sich durch das Hauskreuz zu Gott und seinen Eltern zurückführen lassen. 1594 mehrten sich bei der edlen Frau die Zeichen des nahenden Todes; sie beschwor ihre Diener, sie möchten ihre Sorgfalt bei dem Herzog verdoppeln, und ihm das zu werden suchen, was sie ihm zu sein bemüht gewesen wäre. Sie starb am 8. Oktober 1594 in einem Alter von 54 Jahren. Ihre Leiche sollte zu Coburg bestattet werden, wozu auch der Kaiser die Erlaubnis gab, aber die Gläubiger konnten erst durch das wiederholte Versprechen, bald Zahlung zu empfangen, zur Freigebung der Leiche bewogen werden. Ihr Gemahl folgte ihr am 9. Mai 1595 nach 28jähriger Gefangenschaft in die Ewigkeit.

Elisabeth wurde in der Moritzkirche zu Gotha beigesetzt. Der Leichenpredigt lag ihr Lieblingsspruch zu Grunde((Ps. 73,24)): „Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an.“ Über ihrem Grabe findet sich eine einfache Tafel mit der Aufschrift: „Sie war ein sonderliches Exempel ehelicher Liebe und Treue gegen ihren Gemahl, welchem sie ins Elend folgte, und half ihm tragen und lindern.“

Sibylla von Sachsen

Sibylla war die Gemahlin des unglücklichen Johann Friedrich von Sachsen, Tochter des Herzogs Johann III. von Cleve, geboren 1512. Als ihr Gemahl in der Schlacht bei Mühlberg gefangen genommen wurde, begab sie sich in das kaiserliche Lager, um durch einen Fußfall dessen Freilassung zu erflehen. Alle ihre Bitten waren umsonst. Sie legte nun während der fünfjährigen Gefangenschaft des Kurfürsten die Trauerkleider nicht ab; um denselben unterstützen zu können, verkaufte sie ihre Kleinodien. Täglich hielt sie mit ihrem Hofgesinde in der Kirche eine Betstunde und drei Mal mussten die Schulkinder in der Schlosskirche zu Weimar die Litanei für die Erlösung ihres „besten Herrn“ singen. Ihr Gemach war wenig von dem einer einfachen Beamtenfrau unterschieden. Gebetbuch, Bibel, Spinnrocken, Nähapparat, bildeten einen integrierenden Teil ihres Hausrates. Sie äußerte öfters, sie glaube gewiss, dass sie nicht eher sterben würde, bis sie ihren befreiten Gemahl wieder gesehen habe. Am 10. September 1552 konnte sie dem Kurfürsten mit ihrem älteren Sohne in Coburg entgegen gehen, zum ersten Mal wieder nach Ablegung der Trauerkleider in festlichem Schmucke. Die Freude des Wiedersehens wirkte so gewaltig auf sie ein, dass sie in Ohnmacht fiel, als sie den lange Entbehrten wieder in ihre Arme schloss. Ihre Lebenskraft war gebrochen; sie kränkelte von nun an. Täglich ließ sie sich während ihrer Krankheit aus der Bibel vorlesen und hörte gerne eine erbauliche Erklärung derselben. Die Psalmen soll sie ganz auswendig gewusst haben. „Alles in Ehren,“ war ihr Wahlspruch. Als ihre Sterbestunde schlug, rief sie: „Ach! lieber Gott! willst du nicht bald kommen?“ Ihr letzter Trost war der Spruch: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren wären, sondern das ewige Leben haben.“ Sie starb am 21. Februar 1554. Der Kurfürst erkannte es wohl und sprach es auch nach ihrem Tode aus, welche große Gabe der liebe Gott ihm in der „liebsten Gemahlin“ gegeben habe. Obwohl von königlichem Stamme entsprossen, habe sie sich ihm als eine dienstwillige, treue, gehorsame Gehilfin gezeigt.

Die Pfalzgräfin Maria.

Dieselbe ist geboren 1519, eine Tochter des Markgrafen Kasimir von Brandenburg-Culmbach, Schwester des unruhigen Abenteurers Albrecht von Brandenburg. Ihre Mutter starb frühe, und ihr Vater wurde als Geisteskranker auf der Plassenburg festgehalten. Maria erhielt ihre Erziehung unter der Obhut ihres Oheims, Georg von Ansbach. Sie lernte nicht mehr und nicht weniger als ihre meisten Standesgenossen: Religion, Lesen, Schreiben, vielleicht auch Rechnen; dabei wurde sie in der Haushaltung unterwiesen und geübt; besonders erwarb sie sich in der Kochkunst große Geschicklichkeit, ebenso in weiblichen Handarbeiten, Stricken, Nähen, so wie in künstlichen Stickereien. Später heiratete sie den Pfalzgrafen Friedrich von Simmern, dessen Vater, Johann, der katholischen Lehre zugetan blieb, während sich das junge Paar für die Reformation entschied. Hierdurch entstand ein Zwiespalt zwischen diesem und dem Vater, so dass dieser jegliche Unterstützung verweigerte, auch wenn die Not bei der Hofhaltung seines Sohnes einkehrte. Maria musste ihren Vetter in Ansbach, so leid es ihr tat, öfters um Unterstützung ansprechen. So schreibt sie einmal: „Denn ich in großen Nöten gesteckt bin, habe auch wahrlich jetzt wieder 200 Taler leihen müssen, habe nichts Anderes zu meiner lieben Schwester, der Markgräfin von Baden, Zehrung gehabt. Gott weiß, wo ich’s noch überkomme, dass ich’s bezahle; man will mir nicht länger borgen, denn bis auf Johannis des Täufers Tag des Jahres 1553.“

Diese drückende Lage änderte sich, als ihr Gemahl 1556 seinem Vater in Simmern und 1559 seinem Vetter Otto Heinrich in der Regierung der Kurpfalz nachfolgte. In beiden Territorien führte er die Reformation ein; doch herrschte gerade in dieser Beziehung nicht völlige Übereinstimmung zwischen ihm und seiner Gemahlin. Friedrich neigte sich zu calvinischen, wenigstens melanchthonischen Ansichten, während Maria am strengen Luthertum festhielt. Nicht selten stritt sie mit dem Kurfürsten über die Abendmahlslehre. Sie äußerte öfters: „Wenn alle seine Prädikanten daständen, so sollten dieselben sie nicht von ihrem Bekenntnis abbringen.“ Sie überzeugte sich wohl immer mehr, dass das Herz ihres Gemahls gut sei; aber der Gedanke, dass derselbe immer mehr verführt würde, da der Teufel umherschleiche wie ein brüllender Löwe, lässt ihr keine Ruhe. Friedrich nahm es ernst mit der Religion; er forschte Tag und Nacht in der Bibel und besprach sich mit verschiedenen Gottesgelehrten. Je mehr die strengen Lutheraner eiferten, desto ernstlicher forderte er von seinen Geistlichen, dass sie sich, bis durch Gottes Hilfe der Streit endlich geschlichtet würde, beim Abendmahl keiner anderen Formel bedienten, als der Augsburgischen Konfession.

Endlich ordnete er das Kirchenwesen entschieden nach reformirten Grundsätzen. Er ließ den bekannten Heidelberger Katechismus abfassen und einführen. Maria wurde es schwer, ihrem Gemahl auf dem betretenen Wege zu folgen. Doch blieb das Verhältnis Beider im Ganzen ein inniges und zärtliches; ja sie fand sich immer mehr in das reformirte Kirchenwesen, wenn sie auch ihrem lutherischen Glauben niemals untreu wurde.

Ihre beiden Töchter verheirateten sich mit den beiden Söhnen des unglücklichen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Ihr mütterliches Herz begleitete dieselben in ihre neuen Verhältnisse; sie freute sich über das Gedeihen ihrer Enkel. Mit Hilfe ihres Gemahls, der in Krankheiten ungemein bewandert ist, weiß sie Rat in Krankheitsfällen; sie schickt ihren Enkeln Geschenke usw. Darum wurde sie auf das tiefste betrübt, als ihr Schwiegersohn, Johann Friedrich II., der Gemahl ihrer Tochter Elisabeth, sich in die Grumbachischen Händel trotz aller Warnungen einließ, so dass derselbe Land und Freiheit verlor. Sie schrieb, als sie diese Hiobspost erhielt, an ihre Tochter: „Ich will Dich nicht lassen, so lange ich einen Heller oder Pfennig habe. Iss und trink, so gut ich’s habe. Denn Du weißt, mein Herz, wie es allewege mit Dir gewesen, so soll es, so Gott will, bleiben, so lange ich lebe. Ich kann Dir Nichts mehr schreiben; es ist mir das Schreiben sauer geworden.“ Vergebens wendete sie sich an die Kurfürstin Anna von Sachsen, Gemahlin des Kurfürsten August, und an andere Fürstinnen; sie vermochte dem Schwiegersohne seine Freiheit nicht wieder zu verschaffen. Am 31. Oktober 1567 erlöste sie der Tod von ihren Leiden. Sie starb mit herzlichem, sehnsüchtigem Verlangen nach dem ewigen Leben. Drei Tage nach ihrem Tode schrieb ihr Gemahl an die älteste Tochter, und gab die Hoffnung zu erkennen, dass sie selig entschlafen sei; sie sei ihm eine liebende Gattin gewesen und habe ihm seine Sorgen erleichtert. Auch die Untertanen gedachten ihrer als einer liebenden Landesmutter und einer unermüdlichen Wohltäterin der Armen. Ihr Andenken blieb als das einer Gerechten in Segen.

Luise Scheppler, die Pfarrmagd im Steinthale

Erstes Kapitel. – Der Diensteintritt.

Es will heutzutage viel aus dem Leime gehen, was bis dahin noch leidlich zusammengehalten hat. An Staat und Kirche reißt’s, in Kirche und Schule wankt’s, mit Eltern und Kindern will’s nicht recht gehen, und mit Herr und Knecht, mit Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist’s vollends aus in heuriger Zeit. Aber auch mit Frau und Magd will’s nicht gehen. Die Klage ist freilich alt und reicht hinauf bis zu der Ahnherrin der Mägde, der Hagar, die sich nicht wollte demütigen unter die Hand ihrer Herrin, Sarai. Seitdem ist’s aber schlimmer geworden, und nicht jede Magd, die ihrer Herrschaft trotzig entfloh, hat den Engel gefunden, der sie frug: „Hagar, wo kommst du her und wo willst du hin?“ Das erste Hauskreuz junger Eheleute ist heutzutage das Dienstbotenkreuz; und die Tochter könnte ihrer „Mama“ ganze Seiten lang klagen, wie schlecht sie gefahren; und ist man einmal etliche und mehr Jahre im Ehestande, da können manche Frauen eine ganze Bildergalerie der verschiedensten Mägde aufführen, mit denen sie’s probiert: alte und junge, gescheite und dumme, flinke und langsame, ehrliche und verstohlene usw. Das gibt denn Stoff zur Unterhaltung, und selbst bei mancher „gebildeten“ Frau muss man sich in Acht nehmen, nicht von ferne her an dies Thema anzustreifen; denn dann geht das Mund- und Herzschlösslein auf, und die Rede quillt wie sprudelndes Wasser, und man meint den weiland Demosthenes zu hören. Bei all der mannigfachen Not mit den Mägden kann ich’s begreifen, wenn einst eine liebe Frau sagte: „Wenn sie sich wegen nichts Anderem auf den Himmel freute, so sei ihr das schon genug, sich zu freuen, dass es im Himmel keine Mägde mehr gebe.“. Aber aber! Wie lautet’s von der andern Seite? Da heißt’s von den Herrschaften: „Euer Ruhm ist auch nicht fein“. Kommt man durch eine süddeutsche Stadt am Röhrbrunnen vorbei, der aus den zwölf Röhren, mit Löwenköpfen geziert, das Wasser in den Kübel speit, da sieht man die Kübel längst überlaufen, aber die Inhaberinnen derselben stehen derweilen zusammen, und aus den zwölf Röhrbrunnen der Köpfe ergießt sich auch das Wasser der Rede, und über wen? Über die Herrschaften. Da weiß die Eine zu sagen von einer geizigen, die Andere von einer launigen, die Dritte von einer hungrigen usw.; sie klagen über harte Behandlung, schlechten Lohn und wie es heutzutage nicht auszuhalten wäre bei der Hoffart der Herrschaften, und vielleicht ist auch eine unter der Gesellschaft, die da meint, das Schönste im Himmel sei das: dass es keine Herrschaften mehr gebe. Wo fehlt’s? An allen beiden fehlt’s. Der eine zerbricht den Topf, der andere den Deckel, und der ist manchmal so groß wie der Topf. Jeder sucht die Schuld am Andern, und die Wenigsten in sich. Es wird noch schlimmer werden, wenn’s nicht anders wird. Es ist freilich schwer, Dienstboten zu haben; nie allein und unbewacht im Heiligtum des Hauses zu sein, seine Kinder in der Gesellschaft oft roher Leute zu wissen aber es ist auch schwer, Dienstbote zu sein, immer im Dienste Anderer zu stehen, von Vielen befohlen und kommandiert zu werden, oft keinen stillen Augenblick am Tage, ja nicht einmal am Sonntage für sich zu haben. Das sollten Beide, der da herrscht und der da dient, bedenken, und suchen sich gegenseitig zum Segen zu sein in diesem Verhältnisse, das eben ein notwendiges Übel ist. Da könnte ja viel Gutes geschafft werden für Zeit und Ewigkeit, und der klaffende Abgrund, der sich zwischen Beiden auftun will, doch in manchem Hause überbrückt werden, wenn Herrschaft und Dienstboten durch ein anderes Band zusammengebunden sind, als durch den silbernen Strick von ein paar Talern.

In diesen Blättern soll nun von einer Magd erzählt werden, die eine rechte Magd war, deren großer Schmerz es gewesen, dass man einst im Himmel keine Mägde mehr brauche, weil ihr Dienen Freude und Wonne war; und zugleich hört die Leserin von einer Herrschaft, wie man sie auch nicht auf der Landstraße trifft. Mögen denn Beide, Frau und Magd, ihre Lektion daraus lernen, dann wird’s auch in ihrem Hause wohl stehen, wie im Hause Oberlins, dessen treue Magd Luise Scheppler war.

Die Geschichte unserer Pfarrmagd führt uns nicht sehr weit von der Pfarrfrau, unserer Catharina Zellin, weg. Fährt man doch über Straßburg nach dem Steinthal. Hat der Schwager gute Pferde und gut gefüttert, so ist man in 6-7 Stunden droben. Es ist noch kein Jahrhundert her, da krähte kein Hahn nach dem Tal, und wenn in der nächsten Nähe von ihm die Rede war, so schauerte es die Leute, wenn sie an das kalte Feld da droben dachten, das fast zum Spott „Feuerfeld“ hieß, und Jeder segnete sich, Bürger der Stadt zu sein und kein Einwohner des armseligen Tales. Der dreißigjährige Krieg, die Pest und anderes Elend hatten dazu noch gewütet, so dass man im Jahre 1700 stundenweit gehen konnte in den dichten, dunkeln Wäldern, ohne einen Menschen anzutreffen. Und traf man sie und erzählte davon, so glaubte man die Erzählungen eines Missionars aus Grönland oder aus Afrika zu hören, aber nicht von einem christlichen Volke. Von Holzäpfeln und wilden Birnen sich nährend, auch von Gras in Milch gekocht, wohnten sie in elenden Hütten; und die geistliche Nahrung war auch nicht besser. Wenig Erkenntnis Gottes, nicht einmal Kenntnis der Sprache und der Buchstaben, dagegen viel Rohheit, Streit und Zank war da anzutreffen. Wenn jetzt das Steinthal ein Ort ist, von dessen Glauben und Liebe, Zucht und Ordnung, Wohlstand und Bildung man in aller Welt sagt; wie dort aus einer Wüste ein schöner Garten geworden, eine Hütte Gottes bei den Menschen, so ist das der Wundermacht und Kraft des Evangeliums zu danken, das aus Nichts Etwas macht, und das Unedle vor der Welt erwählt und das Schwache, um zu Schanden zu machen, was stark ist. Aber der HErr hat sein Wort lebendigen Zeugen anvertraut und will seine Himmelskräfte niederlegen in ein schwaches Menschengefäß und durch das seine Dinge hinausführen. So war es der Pfarrer Johann Friedrich Oberlin, der der Apostel des Steinthal genannt zu werden verdient. Die vor ihm kamen, waren zumeist Mietlinge gewesen, die ihre Stelle als Strafstelle ansahen, aus der sie so schnell wie möglich sich wieder davon zu machen suchten. Nur der unmittelbare Vorgänger Oberlins, der edle treffliche Stuber, war ein treuer Hirte und Mann nach dem Herzen Gottes. Er kam im Jahre 1750 ins Steinthal und traf es in dem oben geschilderten Zustande. Als er nach dem Lehrer frug, wies man ihn zu einem abgezehrten Greis, der im Bette lag. „Seid ihr der Schullehrer?“ frug der Pfarrer. „Ja wohl, Herr Pfarrer.“ „Was lehrt ihr denn eure Kinder?“ „Nichts.“ „Warum denn nicht?“ „Lieber Herr Pfarrer, ich weiß selber nichts.“ „Wie hat man euch aber zum Schullehrer machen können, da ihr nichts wisst?“ „Ach sehen Sie, ich war viele Jahre Schweinhirt, und da ich dazu zu alt und schwach bin, hat man mich abgesetzt und mir aufgetragen, die Kinder zu hüten.“ Stuber suchte an seinem Teile Licht und Leben zu bringen; er war der Erste, der in dieser geistigen Wildnis auszuroden anfing. Siebenzehn Jahre lang stand der Hirte in seiner Gemeinde; denn als er nach sechs Jahren in eine andere Gemeinde mit besserem Einkommen abberufen ward, überkam ihn nach vier Jahren ein unbesiegliches Heimweh nach seinem armen Tale, so dass er die Stelle aufgab und wieder hinaufwanderte und noch elf Jahre wirkte, bis seine erschütterte Gesundheit ihn von den Bergen in die Stadt zwang. Aber er konnte sich nicht entschließen, seine Stelle zu verlassen, bevor er nicht eines guten Nachfahrs sicher war. Von dem Kandidaten Oberlin in Straßburg hatte er schon Manches gehört. Er suchte ihn also auf. Drei Treppen hoch, in einem Dachkämmerlein saß der junge Mann. Ein schmales Bett, dessen Vorhänge aus Papier waren, ein armseliger Tisch zierten das Stüblein. Der aber drin sitzt, leidet just an Zahnweh. „Was ist denn das für ein eisernes Pfännchen, das dort über eurem Tische hängt?“ „Das ist meine Küche“, sagte Oberlin. „Ich esse zu Mittag bei meinen Eltern, die erlauben mir, ein Stück Brot in der Tasche mit nach Hause zu nehmen. Abends um acht Uhr lege ich’s dann ins Pfännchen, gieße Wasser drauf, streue Salz drüber und stelle die Lampe drunter, und studiere dann an deren Schein bis zehn oder elf Uhr. Kommt mich der Hunger an, dann esse ich meine selbstgemachte Brotsuppe, die mir besser schmeckt, als die besten Leckerbissen.“

„Sie sind mein Mann“, ruft Stuber aus, „so einen muss ich fürs Steinthal haben.“ Er war 27 Jahre alt, als er dem Rufe nach Waldbach, den Keiner sonst annehmen wollte, folgte. Es war im Jahre 1767 am 30. März.

Was Stuber begonnen, wuchs unter der Hand Oberlins, der mit bewunderungswerter Aufopferung, Weisheit und Energie zu Werke ging. Mit eigener Hand fing er an, die Chausseen herzurichten, lehrte den Ackerbau, baute Brücken, pflanzte und veredelte Bäume, richtete die Armen- und Krankenpflege ein, gründete die Sparkassen, war Bauer, Arzt, Krankenwärter, vor Allem aber der geistliche Hirte, Alles in einer Person. Will Jemand von ihm mehr lesen, der findet in dem ausgezeichneten Büchlein des Pfarrers Bodemann (Stuttgart bei Steinkopf) das köstliche Leben erzählt. – Aber wo die Arbeit angegriffen wird, da wächst sie auch unter den Händen; je mehr man ein Auge für die Not hat, desto mehr schärft es sich, und je größer die Liebe ist, desto erfinderischer wird sie. Oberlin sah, dass er die große Arbeit nicht allein bewältigen könne, und merkte, dass es auch hier hieß: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, aber erkannte, dass die Gehilfin ihm zugeführt werden und wenn je Einer, so er von seinem Gotte sie erhalten müsse. Denn ins Steinthal zu gehen und dem Steinthaler Pfarrer die Hand zu reichen, das konnte nicht Jede. Sie wird ihm auch gezeigt. Es war eine weitlose1entfernte Verwandte, die zum Besuche auch ins Steinthal gekommen war. Im Gebet bekommt Oberlin, der vorher durchaus keine Neigung zu dem Mädchen hatte, weil er sie für zu großstädtisch hielt, die Gewissheit, dass die Jungfer Magdalene Witter die richtige sei. Nach der Predigt, in welcher auch sie gegenwärtig war, mit ihrer Schwester, ging Oberlin in seine Studierstube, ringt noch einmal und spricht zu seinem Gott: Ist es denn Dein heiliger Wille, dass ich um Magdalene werbe, so gib mir diesen auch daran zu erkennen, dass die Jungfer sogleich und ohne Rückhalt zu meinem Antrag „Ja“ sagt. Er geht in die Laube im Garten, tritt vor sie hin und sagt: „Liebe Jungfer Witter! Ich habe sie schon mehrere Male erröten gemacht, neulich sogar in der Kirche zu Waldbach, da ich gegen den vornehmen Kleiderstaat predigte. Jetzt will ich Sie aber noch mehr erröten machen. Denn ich frage Sie, wollen Sie mir diesen noch wüsten Garten Gottes, das Steinthal, als meine treue Gehilfin anbauen helfen, mich nie durch Verwendung ihrer hohen Anverwandten von meiner armen Gemeinde an ein einträglicheres Amt verlocken, wollen Sie mit einem Worte, dem armen Pfarrer im Steinthal Ihre Hand reichen, so sagen Sie ohne Rückhalt: „Ja“ und schlagen Sie hier in meine Hand.“ Jungfer Magdalene steht sofort auf, hält die eine Hand vors Gesicht, reicht die andere ihm dar, und der Bund war geschlossen. Die treueste Gattin war sein eigen geworden, die bald die Mutter des Steinthals ward. Sie durchwanderte die Hütten der Elenden, brachte Speise und Arznei den Kranken und Kleider für die Nackten. Auf diesen Gängen begleitete die Pfarrfrau ein kleines Bauernmädchen, ein armes Kind aus Bellefosse, einem Filiale von Waldbach, eine Konfirmandin Oberlins, geboren am 4. November 1763. Ob auch die nackten Füße bluteten, wenn es über Wurzeln und Steine ging, sie klagte nicht und war überfroh, wenn sie an der Seite der Pfarrfrau einhergehen durfte. Da hörte sie denn unterwegs herrliche Dinge aus dem Munde der lieben Frau von der Liebe Christi, der arm ward, damit wir durch seine Armut reich würden. Die Augen hingen ihr oft schwer voll Tränen der Freude. Sie hatte einen lebendigen, forschenden Geist und dabei nur einen Herzenswunsch: in das Haus Oberlins zu kommen, um immer an der Seite der herrlichen Frau und ihres Mannes zu sein und sich satt hören und satt lernen zu können. Ihr sehnlichster Wunsch ging auch in Erfüllung. Oberlin hatte die trefflichen Seiten des kleinen barfüßigen Kindes mit seinem Meisterblicke erkannt, und so erlaubte er ihr, im fünfzehnten Jahre in seinen Dienst und sein Haus als Magd einzutreten. Dieser Diensteintritt wurde entscheidend für sie, nicht bloß für diese Zeit.

Zweites Kapitel. – Die Dienstführung und Dienstarbeit.

Es hat schon manche Herrschaft ein armes Mädchen vom Lande genommen von 15 oder 16 Jahren und sich’s dabei ausgemalt, wie sie das Mädchen dann hübsch für sich „ziehen“ wollte, so ganz, wie mans gerne hätte und alle möglichen Tugenden ihm anlernen und alle Fehler an ihr ausroden, dieweil sie noch jung wäre. Aber das ist auch ein Turmbau, dessen Kosten vorher überschlagen werden müssen. Einmal verlangt das viel Liebe und Geduld von Seiten der „gnädigen“ Herrschaft und noch viel Weisheit oben drein. Denn es lässt sich eben ein Mensch nicht dressieren, wie man einen verständigen Pudel zum Apportieren und anderen Kunststücken erziehen kann. Man klopft Einen die Tugenden so wenig ein, als man Einem die Fehler wie den Staub aus dem Rocke klopft. Und dazu, wenn’s nur aus der Selbstliebe, auf deutsch aus dem Egoismus, herausgeschieht, da merkt das Mägdlein bald die Absicht und wird verstimmt, wie andere Menschenkinder auch. Es gehört mehr dazu, als was man in den roteingebundenen Büchern studieren kann. Sodann aber gehört auch ein Dienstmägdlein dazu, die noch etwas mehr hat, als ihre 15 oder 16 Jahre und gerade Glieder. Hat sie nicht etwas von dem gelernt, was es heißt, „in dem Herrn“ dienen, so wird’s unter 100mal 90mal schlimm gehen. Denn haben die Mägdlein das Ihre gelernt und sind aus dem Staub und dem Gröbsten heraus und etwas poliert und hergerichtet, dann hält die Dankbarkeit nicht lange an. Kommt ein besserer Antrag, dann wollen sie sich verändern, und die Herrschaft hat das Lehrgeld für eine andere Herrschaft bezahlt.

Dass die Pfarrfrau im Steinthal und ihr Mann das 15jährige Kind genommen, das haben sie um Christi willen getan, und drum ist’s gut gegangen, und der kleinen Luise war’s auch um etwas Anderes zu tun, als um ein paar Franken, und darum ist dies Experiment gut eingeschlagen. Luise musste alles lernen, denn sie verstand nichts, und das wusste sie auch, dass sie nichts verstand. Das ist aber alles Lernens Anfang, und ist schon eine Weisheit von dem Griechen Socrates her, der wusste, dass er nichts weiß. Sie schaute mit ihren klaren Augen auf die Hände ihrer Frau und lernt die häuslichen Arbeiten. Nebenher aber setzte sich die Pfarrfrau zu ihr und lehrt sie lesen und schreiben. Kaum hatte sie einen Begriff von den Buchstaben, so stand sie in aller Frühe des Morgens auf, ihre Bibel zu nehmen und ihren Katechismus, um drin zu lernen, und für den ganzen Tag gewappnet zu sein. Ist doch ein Mensch, der ohne Gottes Wort aufsteht und in den Tag geht, wie ein Mensch, der unbewaffnet dem Feind entgegenläuft. Sie hatte einen tiefen Eindruck davon, wie viel ihr nach außen und innen fehle, und trauerte darüber, dass sie ihre 15 ersten Lebensjahre in so schrecklicher Unwissenheit dahin gebracht und konnte es der Pfarrfrau nicht genug danken, dass sie sich so viel Mühe mit ihr gab. Und daneben wusste sie und hörte es alle Tage von dem Papa Oberlin, der so kindlich beten konnte, dass die Himmelstür auch für die Dienstmägdlein offen sei und sie nur kommen dürfe und bitten. War ihr etwas zu schwer zum Fassen und Begreifen, da trug sie’s hinauf in ihr Kämmerlein und petitionierte2eine Bittschrift einreichen beim lieben Gott, der ja doch Alles könne, und darum auch ihr Verstand geben möchte.

Die Kinder im Pfarrhaus liebten sie sehr, denn sie konnte wie ein Kind mit ihnen spielen und verkehren; auch für die Not der Gemeinde hatte das Mädchen einen natürlichen Scharfblick; Papa Oberlin erfuhr gar manche Not und manchen Schaden durch sie, da sie ein Kind aus dem Volke war. Er nahm sie öfters mit auf seinen Besuchen, schickte durch sie Gaben und forschte später, welches ihre Art mit den Armen und Kranken war. Immer mehr wurde ihm klar, dass er an ihr nicht bloß eine Magd für sein Haus, sondern eine Helferin für die Gemeinde und sein Amt gewonnen hatte. Das merkte er besonders an ihrem Umgange mit den Kindern der Gemeinde. dem Pfarrhaus lagen eine Menge Nachbarskinder faullenzend herum, die nichts anders wollten, als dem Papa Oberlin nachlaufen und ihm die Hand küssen. Oberlin hatte auch an diese Kinder gedacht. In seinem Hause druckte er auf einer kleinen. Handpresse Bibelsprüche in seinen freien Stunden, die er dann den Kindern schenkte. Das reizte ihren Fleiß und ihre Neugier, denn sie konnten nicht lesen. Luise kam heraus, setzte sich zu ihnen ins Gras und lehrte sie an diesen Sprüchen lesen. Das ging alles gut im Frühling und im Sommer; aber im Winter drohte die Schar zu verlaufen. Oberlin gab seine Scheune her, Luise nahm die Kinder mit und lehrte die Mädchen, wenn sie freie Zeit hatte, stricken und nähen. Oberlin merkte das Lehrtalent seiner Magd; die häuslichen Arbeiten verstand sie vollkommen, und so gedachte er sie zu verwenden als Lehrerin in seinen Strick- und Nähschulen, die er bereits in den fünf Gemeinden seines Kirchspiels eingerichtet hatte. Oberlin wusste nur zu gut, dass ein veredelnder Einfluss auf seine rohen Steinthaler vornehmlich von einer besseren Erziehung des weiblichen Geschlechts abhänge. Das ging freilich ohne Widerspruch her, denn zum Bessern müssen die meisten Leute gezwungen werden. „Will man denn Mamsells aus den Mädchen machen“, schrien die Eltern, als sie hörten, ihre Kinder sollten Wolle und Baumwolle spinnen. Der Widerspruch hörte erst auf, als die Pfarrfrau selbst anfing, Wolle zu spinnen. Die Strickschulen waren schon im Gange, und Luise versah mit der anderen Lehrerin ihre Schule.

Allein sie sah bald, dass es im Steinthale noch an Anderem fehle. Ihre Mädchen in der Schule waren bereits erwachsen, aber wer nahm sich der kleinen Kinder von zwei Jahren an? Die Eltern fort in Feld und Wald zur Arbeit, so konnten die kleinen Kinder nur an Geist und Körper verwahrlosen. Luise sann und sann, ob nicht die Möglichkeit wäre, von ganz früh an ein besseres Geschlecht heraufzuziehen. Da nahm sie neben den größern Kindern auch einmal eine Zahl kleiner und kleinster Kinder in mütterlicher Pflege, reinigte sie zuerst und setzte sie dann in Reih‘ und Glied, erzählte ihnen eine kleine Geschichte, sang ihnen vor, spielte mit ihnen, zeigte ihnen Bilder – kurz, das Steinthaler Bauermädchen tat, was jetzt unsere studierten Kinderpflegerinnen tun. Oberlin sah ihr zu und ergriff diesen Gedanken der Kinderpflege mit größtem Feuer und Energie. Bald waren lichte Säle eingerichtet zur unentgeltlichen Aufnahme der Kinder vom 3ten bis zum 7ten Jahre. Oberlin sorgte für Bilder. Das finden wir jetzt ganz natürlich, dass man sich so der Kinder auf dem Lande und in großen Fabrikstädten annimmt aber die Erfindung dieser Kleinkinderpflegen (salles d’asyle), die jetzt über England, Frankreich und Deutschland verbreitet sind, gebührt dem einfachen Bauermägdlein von Bellefosse.

Sie blieb bei ihrem Werke, und bis zu ihrem Tode hatte sie täglich gegen hundert kleine Kinder um sich. Ich sage das deshalb, weil Manche Lust am Erfinden und Einrichten haben, aber dann die eigentliche Arbeit Anderen überlassen und Fortführen ihre Sache nicht ist. Durch achtundfünfzig Jahre war sie die geschickteste unter den Vorsteherinnen, trotz all ihrer sonstigen Arbeit. Keine konnte so wie sie erzählen, so fasslich und zum Verstehen, und keine die Augen der Kinder so glänzen machen, wenn vom Heiland erzählt ward, wie sie. Ihr war das Sein unter den Kleinsten ihre eigentliche Lust, da war’s ihr am wohlsten, weil sie glaubte, dass da am meisten Engel mit gegenwärtig seien. Wiewohl sie die eigentliche Erfinderin und das Haupt dieser Schule war, stellte sie sich doch in ihrem bescheidenem Sinne als eine Unterlehrerin neben und unter die Anderen, weil ihr die Arbeit im Hause noch oblag.

Im Jahre 1783, den 17. Januar, sollte ein schwerer Schlag das Steinthaler Pfarrhaus und auch Luise treffen. Vom Anfang seiner Verheiratung hatte Oberlin eine kaum zu bekämpfende Ahnung des frühen Verlassens seiner Gattin. Schon bei der Geburt des ersten Kindes, das in Straßburg zur Welt kam, bat er: „Ach mein Gott, gib‘ mir nur Kartoffelschalen, aber erhalt‘ meine Frau am Leben.“ Mit ängstlicher Spannung wartet er auf Nachrichten. Aber seine Ahnung sollte später erfüllt werden. Unvorhergesehen, ohne krank zu sein, sagte sie des Abends an obigem Tage: „Der Herr, mein Gott, hat mir in dir, lieber Mann, Wort gehalten. Er hat mir versprochen, dass er mich sein Heil finden lassen werde, und in der Tat, er hat es mich finden lassen. Du bist es, dem ich die Kenntnisse verdanke, die ich vom Himmel habe, und von Alle dem, was uns nach dem Tode erwartet. Ich danke dir, lieber Mann, und erkenne in dir die Treue meines lieben Gottes.“ Hierüber wurde es 10 Uhr sie küssten sich und wünschten sich gute Nacht, und Magdalene zog sich zurück zu ihrem kleinen acht Wochen alten Säugling. Dann ging sie noch (das sah Luise) zu jedem ihrer Kinder und legte jedem die Hand aufs Haupt.

Gegen sechs Uhr Morgens kam Luise, weckte Oberlin mit den Worten: „Herr, die Frau ist krank;“ kurz darauf kam sie wieder und sagte: „Herr, die Frau ist sehr krank.“ Eilends sprang Oberlin aus dem Bette und hörte seine Frau die Worte sagen: Herr Jesus, befreie mich von dieser entsetzlichen Pein.“ Ein kurzes Zucken, ein Geräusch in der Brust und der Atem stand still; das Leben war entflohen. Oberlins Schmerz war unsäglich. „Derselbe Gott“, so schrieb er, „der diesen entsetzlichen Schlag über mich verhängt hatte, behandelte mich nachher mit der größten Güte, wie einen Kranken beim Phantasieren, den man nach und nach wieder zur Vernunft zu bringen sucht.“

Sieben Kinder hatte die treue Mutter hinterlassen, von dem das letzte noch ein Säugling war. Die Pflege, Sorge und Erziehung derselben fiel nun Luise zu. Hier entwickelte sie ihr ganzes Herz, ihre ganze Weisheit. Mit der zärtlichsten Liebe hingen die Kinder ihr an; das Hauswesen hielt sie musterhaft im Stande, das so leicht bei solchen schmerzlichen Fällen schwere Not leidet; alle kleine Sorgen und Unannehmlichkeiten nahm sie ihrem geliebten Pfarrer ab. Sie hatte während ihrer Dienstzeit mehrere vorteilhafte Anträge erhalten, aber sie lehnte sie entschieden ab, sie wollte Dienerin bleiben im Hause Oberlins. Nebenher ging aber immer noch das Amt einer Unterlehrerin an der Kinderschule in Waldbach und die Sorge für Heranbildung einer Lehrerin. Sie hielt in den Dörfern Umgang und Visitation in den Schulen, und feuerte die Lehrerinnen und Kinder an; ging zu den Kranken, wachte bei ihnen, suchte die hilflosen Kinder auf. – Die schwere Zeit der Revolution kam und berührte auch das stille Steinthal; der öffentliche Gottesdienst ward verboten, das spärliche Einkommen Oberlins hörte auf, aber die Magd teilte Leid und Sorge. Nicht nur, dass sie all ihr Erspartes für Schulen und Armen ausgegeben, sie verweigerte auch nach Frau Oberlins Tod irgend einen Lohn für ihre Dienste anzunehmen. Oberlin protestierte dagegen, aber Luise wurde zuletzt aufs Tiefste betrübt und schrieb ihm zu Neujahr 1793 nachstehenden Brief:

„Neujahr 1793. Lieber und zärtlicher Vater!

Erlauben Sie mir, dass mit dem Beginne des Jahres ich von Ihnen eine Gnade begehre, nach welcher ich schon lange trachte. Da ich nun ganz frei stehe, das heißt, da ich meinen Vater und dessen Schulden nicht mehr zu tragen habe, so bitte ich Sie, lieber Vater, versagen Sie mir die Gnade nicht, mich ganz zu Ihrem Kinde anzunehmen; geben Sie mir nicht den geringsten Lohn in Zukunft. Da Sie mich in Allem wie Ihr Kind halten, so wünsche ich es auch in dieser Hinsicht zu sein; ich brauche wenig zu meinem körperlichen Unterhalte; was einige kleinere Ausgaben verursachen könnte, sind Kleider, Strümpfe und Holzschuhe, und wenn ich solche bedarf, so werde ich es Ihnen sagen wie ein Kind seinem Vater. O, ich bitte Sie, lieber Vater, gewähren Sie mir diese Gnade und sehen Sie mich an als Ihr Ihnen treu ergebenes Kind.

Luise.“

Oberlin wollte in diesen Vorschlag, Luisen keine Entschädigung für ihre treu geleisteten Dienste geben zu sollen, durchaus nicht eingehen und glaubte eine List anwenden zu dürfen, um ihr doch von Zeit zu Zeit einiges Geld beizubringen. Er ließ in dieser Absicht, als von einem Freunde in Straßburg kommend, durch den Postwagen ein Geldpaket an Luisens Adresse senden. Doch diese erriet leicht den Hergang der Sache, nahm das Geld durchaus nicht an, und drückte in einem zweiten Briefe gegen ihren Herrn nochmals ihre innersten Gefühle aus. Er lautete also:

„Lieber Vater!

So wollen Sie mir also das einzige Vergnügen, das ich noch hatte, nehmen, das, Ihnen meine schwachen Dienste anzubieten, ohne. Bezahlung dafür zu nehmen. Ich wäre demnach weit von dem Ziele entfernt, das ich mir vorgesetzt habe, wenn ich noch ferner Lohn von Ihnen annehmen sollte, was mir jedesmal, wenn es geschah, das Herz bluten machte. O, dieses macht mir viele Mühe! Aber es scheint mir, lieber Vater, dass Sie nicht verstehen, was ich für Sie fühle, auch bin ich nicht im Stande, es Ihnen auszudrücken. Es ist doch hart, von Herzen zu lieben, ohne es durch die Tat zeigen zu dürfen. Ich bin mit sehr beklommenen Herzen Ihre sehr anhängige Luise.“

Von nun an wurde sie ganz und völlig als Kind im Hause angesehen. Ihre treue Hilfe ging neben ihrem Vater Oberlin wie ein sorgender Engel her.

Als Oberlin im Jahre 1811 von einer schweren Krankheit befallen wurde, die aller Kunst der Ärzte trotzend, sich steigerte, bis Gottes Barmherzigkeit allein handelte und den Pfarrkindern einen starken Beweis von der Wirksamkeit eines inbrünstigen Gebets gab – da wachte Luise Tag und Nacht um das teure Leben ihres Vaters. Im Jahre 1816 kam das schreckliche Hungerjahr, das auf dem Steinthale besonders schwer lastete eine einzige Kartoffel kostete fünf Pfennige, das Brot unerschwinglich teuer – da war’s Luise wieder, die mit ihrem durch die Liebe geschärften Auge auf Mittel zur Abhilfe sann.

Im Jahre darauf traf Oberlin ein neuer Verlust. Sein Sohn Heinrich, der Älteste, auf welchen des Vaters Geist übergegangen war und der zu großen Hoffnungen berechtigte, starb im blühendsten Alter. Immer einsamer wurde Oberlins Weg, immer armer in der Welt und reicher im Himmel. Aber Luise war auch hier die glaubensstarke Trösterin. „Heinrich ist glücklich,“ schrieb sie vierzehn Tage nachher, wir haben Kunde davon.“

Luise sollte aber bald noch ärmer werden. Ihr teurer Papa Oberlin stand schon im 86sten Jahre, müde und heimwehkrank. Schon mehrere Jahre zuvor hatte der geistverwandte Jung Stilling ihm ins Stammbuch geschrieben: „An den Prediger der Gerechtigkeit in der vogesischen Wüste! Leide du als ein guter Streiter Jesu Christi. Bald kommt’s zum Siege! Dann umarmen wir uns als Verklärte und freuen uns, so viel gelitten zu haben, freuen uns aber auch, dass uns so viel vergeben ist.“ Das Frühjahr 1826 sollte den Patriarchen ausspannen. Es war am 26. Mai, am Sonntage. Ein Fieberschauer überfiel ihn mit Ohnmacht und Bewusstlosigkeit, die die Tage durch abwechselnd mit lichten Augenblicken anhielten. Den Donnerstag, den ersten Juni, Morgens sechs Uhr, als sein alter Freund Legrand an sein Bette trat, sammelte er den Rest seiner Kräfte, zog mit seinen halberstarrten Händen das Käpplein vom silberweißen Haupt, faltete die Hände und blickte unverwandt nach oben. Sein Angesicht war wie eines Engels Angesicht. Bald darauf schloss er die Augen, und kurz vor elf Uhr war der treue Knecht daheim bei seinem Herrn. Tiefe Stille um sein Bett her, leises Weinen der Kinder, aber hinein in die Stille tönt eine jauchende Stimme: „O hochbeglückter Tag, o lang ersehnte Stunde!“ Es war das Triumphlied der Seele, die nebst den Kindern am meisten Ursache gehabt, den Verlust zu beweinen: unsere Luise. Sie war hingenommen von diesem Heimgang, ihr stand nur das Glück ihres Vaters vor Augen, seine Freude, nicht ihre Trauer. Sie gedachte des Wortes des Herrn, das ja auch uns beim seligen Heimgang der Unsern gilt: „Hättet ihr mich lieb, ihr würdet euch freuen, dass ich gesagt habe, ich gehe zum Vater.“ Sie hatten ihren Papa Oberlin selbst lieb, nicht sich in ihm wie wir so oft bei den Unseren tun, darum hat sie ihn nicht aufgehalten, auf die große selige Heimreise zu gehen, sondern war nur voll Freude, dass er sie antreten durfte. Das mag wohl Liebe heißen. Mit welchen Augen mochte sie den unabsehbaren Leichenzug begleiten, der sich zwei Tage darauf durch das Tal gen Fonday wand?

Wer möchte es nicht begreiflich finden, wenn von nun an auch ihr durch Mühe, Not und Entbehrung geschwächter Körper zusammengebrochen wäre, wenn sie ein Heimweh ergriffen hätte, von dem sie verzehrt worden wäre. Wenn sie sich nun überflüssig vorgekommen, nachdem ihr treuester Freund, ihr Berater und der Gegenstand ihrer Sorge daheim bei dem Herrn war? Aber so stand’s in Luisens starker Seele nicht geschrieben. Der Diener geht, aber der Herr bleibt. Sie diente dem Herrn in Oberlin, und der Herr stirbt nicht, noch der Dienst an den Seinen.

Oberlin hatte ihr in dem Testament, von dem wir gleich hören werden, ein gleiches Erbteil wie seinen Kindern vermacht. Aber sie nahm es nicht an; sie wollte das ohnehin kleine Erbe nicht schmälern. Sie bat sich aus dem Nachlasse Oberlins nur Eines aus: ihrem Namen fortan den ihres geistlichen Vaters beifügen zu dürfen und an seiner Seite begraben zu werden. Sie blieb im Pfarrhause zu Waldbach, als bestes Vermächtnis Oberlins, als der Schwiegersohn desselben sein Nachfolger ward. Mit dem Tode Oberlins aber schienen ihre Kräfte sich aufs Neue zu beleben; es war, als hätte er ihr nicht seinen Namen bloß, sondern auch seinen Geist zwiefältig hinterlassen. Sie hatte in den Abschiedsstunden Oberlins viel empfangen.

Mit neuer Kraft griff sie die hinterlassene Arbeit an. Ihre Kinderschulen mit ihren Pflegerinnen und den vielen Hunderten von Kindern hatten nun doppeltes Recht an sie. Ihre Patenkinder, deren sie nicht weniger als siebenundachtzig hatte, lagen ihr sehr am Herzen. Sie war keine von den Taufpaten, die ihr Amt mit einem silbernen Löffel und ein paar Worten abmachen. Sie schrieb jedem Kinde Patenbriefe, die noch heute als ein Familienheiligtum bewahrt werden, betete fleißig für die Kinder. Sie wusste, dass diese Kinder ein Anrecht an sie als eine zweite Mutter hatten. Die Pflege der Kranken und Armen ging fort; wiewohl schon im 63sten Jahre stehend, war sie Helferin, Arzt und Seelsorgerin zu jeder Tageszeit und Nachtstunde, und dabei immer fröhlichen und heiteren Geistes. Dabei hatte sie die Oberlinsche Stiftung zur Unterhaltung der Aufseherinen, welche zweimal in der Woche die Dörfer des Steinthals zu besuchen haben, zu verwalten, wie auch die gestiftete Leihkasse, deren gesegnete Errichtung vornehmlich auch ihr Werk war.

Ihr Lebensabend brach stark herein. Aber er sollte noch vergoldet werden, von einer Anerkennung, die freilich die demütige Magd nicht begehrt, die aber die ehrt, die sie ihr zu Teil werden ließen. Ehe wir daher von ihrem Dienstaustritt hören, hören wir noch von dem, über sie ausgestellten Dienst-Zeugnisse.

Drittes Kapitel. – Das Dienstzeugnis.

Oberlin hatte bei seinem Heimgange seinen Kindern ein versiegeltes Schreiben hinterlassen, dessen Inhalt hier folgt. Es ist datiert vom 2. August 1811, also wohl aus den Tagen jener zweiten schweren Krankheit Oberlins und befindet sich jetzt im Original in den Archiven des evangel. Consistorii zu Straßburg.

„Meine teuersten Kinder!

Indem ich Euch verlasse, vermache ich Euch meine treue Dienerin, die Euch erzogen hat die unermüdliche Luise. Die Dienste, die sie unserer Familie geleistet hat, sind unzählig. Eure gute Mama nahm sie, noch ehe sie das fünfzehnte Jahr erreicht hatte, zu sich. Aber schon zu jener Zeit erwies sie sich durch ihre Fähigkeiten, ihren Eifer und Fleiß als höchst brauchbar. Nach dem frühzeitigen Tode Eurer lieben Mutter wurde sie Euch eine treue Wärterin, sorgsame Lehrerin und eine zärtlich liebende Mutter, kurz Alles, und Alles zusammen aufs beste.

Ihr Eifer erstreckte sich noch weiter. Eine wahre Jüngerin des Herrn ging sie in alle umliegenden Dörfer, wohin ich sie sandte, die Kinder um sich zu sammeln, sie im Willen Gottes zu unterweisen, sie geistliche Lieder singen zu lehren, ihre Aufmerksamkeit auf die wunderbaren Werke des allmächtigen und gnädigen Gottes in der Natur zu lenken, mit ihnen zu beten, und ihnen alle die Kenntnisse mitzuteilen, die sie durch mich und Eure gute Mama erlangt hatte. Dies Alles war aber nicht das Werk eines Augenblickes, und die zahllosen Schwierigkeiten, die sich ihren heiligen Bestrebungen entgegensetzten, würden tausend Andere zurückgeschreckt und entmutigt haben. Einerseits war der wilde unbändige Charakter der Kinder zu bewältigen, andererseits das Patois3Mundart, Sprechweise der Landbevölkerung auszurotten. Um sich den Kindern verständlich zu machen, musste sie zwar mit ihnen in ihrer Sprache reden, aber dann alles Gesagte wieder ins Französische übersetzen. Eine dritte Schwierigkeit boten dann die Wege dar. Allein weder Felsen noch Gewässer, weder Stürme noch Regengüsse, weder Hagel noch Kälte, weder Schneefall noch, eingeschneite Wege nichts hielt sie zurück. Und wenn sie Abends erschöpft, durchnässt und vor Kälte erstarrt zurückkam, besorgte sie doch noch meine Kinder und mein Hauswesen mit gewohnter Sorgfalt. So opferte sie meinem Dienste und dem Dienste Gottes nicht nur ihre Zeit und ihre Gaben, sondern auch noch ihre eigene Person und ihre Gesundheit.

Gegenwärtig, und zwar seit mehreren Jahren, ist ihr Körper ganz zerstört, teils durch die übergroßen Anstrengungen, teils weil sie allzu oft und plötzlich aus der Kälte in die Wärme und aus der Wärme in die Kälte überging und oft bis an die Hüfte im Schnee watete, wobei manchmal ihre durchnässten und dann gefrornen Kleider beim Gehen ihre Kniee bis aufs Blut verwundeten. Ihre Brust, ihr Magen, kurz Alles an ihr ist zerstört, und sie kann jetzt fast nichts mehr ertragen.

Ihr werdet vielleicht sagen, dass sie hierfür durch den guten Lohn, den ich ihr gegeben, entschädigt wurde. Nein, liebe Kinder, nein! Wisst, dass seit dem Tode Eurer lieben Mama ich sie niemals bewegen konnte, den geringsten Lohn für ihre Dienstleistungen anzunehmen. Sie verwendete das Pachtgeld von ihrem kleinen Erbgute zu wohltätigen Zwecken und nahm nur als Geschenk zuweilen ein Kleidungsstück von mir und meinem Vorrate an, den ich doch ihrer Sparsamkeit und Treue verdanke. Urteilt selbst, liebe Kinder, welche Schuld Ihr gegen sie um der Euch und mir geleisteten Dienste willen abzutragen habt, und wie wenig Ihr jemals im Stande sein werdet, sie völlig heimzuzahlen. Eure Krankheiten und Schmerzen, so wie die meinigen, wie viele schlaflose Nächte, wie viele Angst und Sorge haben sie derselben nicht gekostet.

Noch einmal, ich vermache sie Euch. Ihr werdet durch Eure Aufmerksamkeit und Sorgfalt, mit der Ihr Euch ihrer annehmt, beweisen, ob Ihr den letzten Willen eines Vaters ehrt, der stets bemüht war, Euch die Gefühle der Dankbarkeit und Wohltätigkeit einzuflößen. Doch ja, ja, Ihr werdet meine Wünsche erfüllen, Ihr werdet Eurerseits, Alle insgemein und Jedes insbesondere, das für sie sein, was sie für Euch war, so weit es Eure Mittel und die Umstände gestatten.

Ich befehle Euch Gott und dem Worte seiner Gnade, meine lieben Kinder. Euer Papa J. F. Oberlin.“

Dies Zeugnis Oberlins, dem sie täglich unter den Augen wandelte, wiegt freilich hundert andere Zeugnisse auf. Aber es konnte nicht fehlen, dass nicht auch Anderer Augen auf das schlichte, treue Mädchen von Bellefosse fielen. Es war einst durch einen Grafen von Monthyon ein Tugendpreis gestiftet worden, welcher durch die französische Akademie in Paris verteilt werden sollte. Luise sollte als Preisträgerin vorgeschlagen werden. In dem Berichte über sie hatten die Pfarrer im Steinthal und der Fabrikherr Legrand über sie gesagt: „Indem wir Ihnen Luise Scheppler aus Bellefosse bezeichnen, haben wir Ihnen keine einzelnen bemerkenswerten Züge zu schildern, wohl aber ein ganzes, dem Dienste aller christlichen Tugenden gewidmetes Leben.“

Das Urteil und Zeugnis des General-Consistoriums und Direktoriums lautete:

„Das Directorium und General-Consistorium der Augsburger Konfession bezeugt, dass die in dem Bericht über Luise Scheppler angeführten Tatsachen allgemein bekannt sind. Dieses außerordentliche weibliche Wesen hat im Verlaufe von 47 Jahren, die sie dem Unterrichte der Jugend und dem Troste der Unglücklichen widmete, ausgezeichnete Eigenschaften entwickelt; ihre Frömmigkeit, ihre Tugenden und ihr für das Menschenwohl unermüdlicher Eifer werden in der Gegend, welche die Vorsehung ihrer Tätigkeit angewiesen hat, in stetem Andenken bleiben.

Straßburg, den 10. März 1829.
Der Präsident des General-Consistoriums und Directoriums. Graf Türkheim.“

Noch ehrender aber ist, was der berühmte Gelehrte Baron Cuvier zu ihrem Ruhme sagte. Nachdem er sich in längerer Rede über den Zweck des Tugendpreises, seine Zweckmäßigkeit und Berechtigung ergangen und gezeigt hatte, wie es wohl der Sinn des edlen Stifters gewesen, durch die Darreichung des Preises den Gefrönten damit neue Hilfsquellen zur neuen Betätigung der Liebe zu reichen, schloss er: „Ich weiß nicht, ob Jungfrau Scheppler schon in Kenntnis gesetzt ist, dass die Akademie ihr den Preis zuerkannt hat, aber das ist gewiss, dass sie ihn nicht annimmt, da Alle, welche sie kennen, schon vorher wissen, welchen Gebrauch sie davon machen wird.“

Er hatte sich nicht getäuscht. In welchem Sinne sie denselben annahm, hören wir aus dem Briefe an Madame Treuttel in Paris, die ihr eine Abschrift der Urkunde übersandt hatte, wonach sie den großen Tugendpreis von 5000 Francs erhielt.

„Hochgeehrteste und teuerste Frau!

Ich ergreife die Feder, um auf Ihr gütiges Schreiben vom 18. August d. J. zu antworten. Ja, teure Madame, ich bin erstaunt über die barmherzige Hand Gottes, die sich so gnädig über mich ausgebreitet. Niemals, nein, niemals bin ich meiner selbst wegen darauf gesteuert, Glücksgüter zu besitzen; aber oft, o wie oft! habe ich mich danach gesehnt, im Stande zu sein, die Lage derer zu erleichtern, die in Armut und Elend schmachten. Dieser großmütige Zuschutz wird mich in den Stand sehen, viele Bedürftige zu unterstützen. Zuerst eine arme Witwe, deren Kartoffelernte missraten, und der es selbst bei der äußersten Sparsamkeit unmöglich ist, die Miete für ihre Hütte zu bezahlen, die überdies notwendig ausgebessert werden muss. „An wen soll ich mich wenden?“ hatte sie mich oft, in Tränen ausbrechend, gefragt; ich muss meine Hütte verlassen. O, wenn der teure Papa noch am Leben wäre!“ „Der allmächtige Vater ist nicht tot“, pflegte ich ihr zu entgegnen, und er ist reich an Mitteln und kann all‘ unsere Not wenden.“ Sie sehen, teure Frau, dass, nachdem ich so manches Jahr die Gehilfin und Almosenpflegerin unsers ehrwürdigen Papas war, ich nicht unempfindlich für die Bedürfnisse meiner Mitmenschen geworden, sondern wahrhaft dankbar bin, dass mein teurer Heiland mir am Ende meines Lebens noch die Freude vorbehalten hat, denselben Hilfe leisten zu können. teure Frau, 5000 Franken, das ist viel, ja, das ist viel; allein Sie sehen, dass ich noch einmal so viel verwenden könnte rc.“

Sie fügt dem Kapital noch von dem Eigenen hinzu, um es für wohltätige Zwecke zu verwenden. Da hätte man doch manch anderes Menschen-, ja vielleicht auch Christenkind den Kopf in die Höhe gehoben bei solcher Anerkennung. Aber sie war wie die volle Ähre, die ihr Haupt beugt und senkt. Je begnadigter, desto demütiger. Als auf Veranlassung der Zuerkennung des Tugendpreises der „Niederländische Kurier“ vom 6. September 1829 Veranlassung genommen, der Einrichtung der Kleinkinderschulen Erwähnung zu tun, und dabei u. A. zu sagen: „Die Ehre einer Idee, die schon so reichliche Früchte getragen hat, und bald überall eingeführt sein wird, gebührt ganz allein der Luise Scheppler, einer armen Bäuerin aus Bellefosse; sie hat dieser Idee ihr kleines Vermögen, ja noch mehr, ihre Jugend und Gesundheit geopfert.“

Kaum hatte Luise diesen Artikel gelesen, als sie sofort an das Exemplar dieser Zeitung, das in Waldbach zirkulierte, ein Papier mit folgenden Zeilen heftete: „Ich bitte die Leser dieses Artikels in Erwägung zu ziehen, dass diese Ehre der seligen Frau Pfarrer Oberlin gebührt, welche ihre Augen auf mich warf und mich in ihre Dienste nahm; dass hauptsächlich ihr Beispiel und ihre Ermahnungen mir den Sinn fürs Schöne und Gute, sowie die Liebe zur Tugend und die Ergebenheit gegen meinen Herrn und Heiland eingeflößt haben, und dass unser würdiger Pfarrer und Papa Oberlin lange Zeit damit umging, Vorsteherinnen zu bilden, um sodann die Jugend durch sie unterrichten zu lassen und dass, als es endlich zur Ausführung kam, ich nicht einmal eine der ersten gewesen bin, denen dieses eben so wichtige, als nützliche Geschäft übertragen wurde. Also Ehre und Ruhm dem Herrn, unserm Gott, dem Urheber und der Quelle aller Tugenden, Dank und Anerkennung unserm lieben und verehrten, selig verstorbenen Pfarrer und Papa und seiner tugendhaften Gattin. Mir aber Beschämung!“

So war sie was sie war ganz; und eben diesem ganzen Leben galt dies Ehrenzeugnis. Es ist etwas Anderes in begeisternder Zeit aus begeistertem Herzen eine große, begeisterte Tat zu tun und ein Anderes ist’s, ein 73jähriges Leben hinzubringen im stillen verborgenen Dienst, in täglicher Überwindung und Selbstverleugnung, in Heiligung des Sinnes, in Werken, die Niemand sieht, als der ins Verborgene blickt. So durfte sie mit Ehren gekrönt, aber von dem Herrn ihre wahre Ehre erwartend, eingehen zur Ruhe.

Viertes Kapitel. – Der Dienstaustritt.

Sie war längst gerüstet und hatte den Bündel geschnürt zur großen Reise. Ihr Testament war fertig; sie hatte noch über die 5000 Franken und den Rest ihres kleinen Vermögens zu Gunsten wohltätiger Stiftungen verfügt. Ihr Leichenhemd hatte sie sich selbst schon längst genäht. Sie stand an dem Schlagbaum der siebenzig und achtzig, davon Mose, der Mann Gottes, im 90sten Psalm singt; in ihrem Heiland hatte sie Vergebung und Frieden so konnte der Tod kommen. Der kam auch, aber es war keiner. Sie schlief 74 Jahre alt, sanft und süß ein, wie ein Kind in Mutterarmen. Es war am 25. Juli 1837. 58 Jahre lang war sie Magd gewesen. Nun durfte sie ihr Jubiläum droben feiern. Nach ihrem Wunsch wurde sie zu Häupten ihres Papa Oberlin bestattet. Auf den Armen des eisernen Kreuzes steht: Luise Scheppler. Ihr Grabstein hat Joh. 17, 10 zur Umschrift: „Alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, ist mein, und ich bin in ihnen verklärt.“

Die Inschrift aber lautet:

„Hier ruhen die sterblichen Gebeine der Luise Scheppler, geboren zu Bellefosse den 4. November 1763, gestorben zu Waldbach den 25. Juni 1837. Eine treue Magd und Gehilfin des Papa Oberlin, eine christlich demütige Führerin der Jugend, seit dem Jahre 1779.“

Da ward noch einmal erlebt, was zu Joppe geschah an Tabeas Sarge: viele Arme und Witwen weinten, die sie getröstet, denen sie Kleider und Felle gemacht. Besonders ergreifend war der Brief, das Abschiedsschreiben, von dem sie gewünscht hatte, es möchte der Gemeinde nach ihrem Tode am Begräbnistage vorgelesen werden. Es lautet:

„Seit einiger Zeit habe ich eine Ahnung, dass bald der Herr mich von dieser Welt abrufen wird; daher habe ich beschlossen, hier meine letzten Wünsche niederzuschreiben.

Seit vielen Jahren schon habe ich zu meinem Leichentext die Worte unsers lieben Erlösers gewählt Luk. 17, 10: „Wenn ihr Alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Ich bitte unsern lieben Herrn Pfarrer, sich daran zu halten und kein Wort des Lobes über meinen Lebenslauf zu sagen. Denn Paulus sagt 1 Kor. 4,7: Was hast du, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich, als der es nicht empfangen hätte?“

Gott also, Seiner Ehre, Seiner Macht, soll Alles zugeschrieben werden, was wir durch Seine Gnade empfangen haben. Denn was sind wir ohne den Beistand Seines Geistes? Wie sollten wir uns loben und rühmen, da ja Alles, was wir vermögen, was wir besitzen, unser ganzes Leben ein Geschenk der Gnade Gottes ist, und ich kann nur mit dem Zöllner ausrufen: „Gott, sei mir Sünder gnädig, und nimm mich an durch deine Barmherzigkeit.“

Ich sage Lebewohl allen meinen Wohltätern und Wohltäterinnen; der Herr segne sie und lohne ihnen in der Ewigkeit für das Gute, das sie an mir getan, und für die Sorgfalt, die sie mir erwiesen haben.

Ich sage Lebewohl allen unseren Freunden und Freundinnen, allen unseren Nachbarn; ich danke ihnen für die Gefälligkeiten, die sie mir immer erzeigt haben, allen meinen Neffen und Nichten; ich bitte sie, das Leben in Christo zu suchen; allen meinen Paten sage ich Lebewohl bis zum großen Wiedersehen, wo ich sie in der glückseligen Ewigkeit wieder zu finden wünsche.

Und Ihr, meine lieben Kinder aus der Strickschule in Waldbach und in der ganzen Gemeine, Euch sage ich Lebewohl; ich verlasse. Euch, aber körperlich nur; denn ich werde fortfahren, den Herrn zu bitten, Euch zu segnen und Euch alle zu sich zu ziehen. Denkt oft an Eure Luise, die Euch sehr geliebt hat. Ich werde fortfahren, den Herrn zu bitten, Euch für die Person, die mich ersetzen wird, dieselbe Liebe, dieselbe Ehrfurcht und denselben Gehorsam einzuflößen, die Ihr mir erwiesen habt. Ja, tut es, liebe Kinder; ich werde mich in der Ewigkeit dessen freuen.

Lebe wohl zuletzt, du ganze Gemeine! O wie gern möchte ich unserm seligen Pfarrer und Vater, wenn ich ihn dort sehe, gute Nachrichten bringen können von seiner Gemeine, die seinem Herzen so teuer war. Aber ach! …. O Herr Jesu, der Du gekommen bist, zu suchen, was da verloren ist, führe durch Deine Gnade und Deine unendliche Barmherzigkeit alle verirrten Schafe unserer Gemeine zurück; erweiche die Herzen; nimm weg diesen traurigen Leichtsinn und diese Gleichgültigkeit gegen Dein Wort und Deinen Unterricht!

Führe, o führe, Herr Jesu, führe zum Leben alle lebendig Toten unsrer Gemeine. Amen! Amen!

Und Ihr, liebe Freundinnen, Vorsteherinnen, jetzt, da ich Euch verlasse bis zum großen Wiedersehen, möchte ich Euch bitten die Geduld nicht zu verlieren, sondern Euren Mut, Euren Eifer und Eure Treue zu verdoppeln, um dieser jungen Herde den Weg der Weisheit und der Tugend zu weisen, diese zarte Jugend zu unserm guten Erlöser, dem großen Kinderfreunde, hinzuleiten. Sucht ihnen besonders Abscheu gegen die Lüge, das Fluchen, den Ungehorsam und die Laster und Sünden aller Art einzuflößen.

O liebe Freunde, Ihr Alle, die Ihr berufen seid zum Unterrichte der Jugend, der Herr hat Euch ein edles und mühsames Amt auferlegt, möchtet Ihr es versehen zu Seiner Ehre und Seinem Preise bis zur Zeit der Ernte.“

Ein Enkel Oberlins aber rief ihr am Sarge die Worte nach:

„Meine Brüder! Ich trete an diesem Tage unter Euch, um eine Pflicht kindlicher Ergebenheit gegen unsere gute, teure Luise zu erfüllen. Sie ist nun eingegangen zur Ruhe, nach welcher ihre Seele Verlangen trug. Sie schaut nun Den, den sie liebte und an den sie glaubte, sie schaut nun mit heiligem Entzücken den Heiland, der sie mit seinem teuern Blute erkauft hat. Wir sind heute hier nicht beisammen, ihren Verlust zu beklagen, sondern uns an ihrer Freude zu erfreuen.

Sie ist selig! Niemals konnten diese Worte mit bestimmterer Zuversicht ausgesprochen werden; und gewiss ist Keiner unter uns, der nicht ausrufen möchte: Lass mich den Tod dieser Gerechten sterben. Aber hüten wir uns, über die Ursache ihrer Seligkeit uns zu täuschen, oder unsere Hoffnung auf einen falschen Grund zu bauen. Haben wir Acht, dass wir nicht dem Geschöpf die Ehre geben, die einzig dem Schöpfer und dem gnädigen Erlöser unserer Seelen gebührt. Lassen wir uns nicht so sehr durch die Werke blenden, dass wir darüber Den vergessen, der allein das Wollen und Vollbringen geben kann. Unsere teure Hingeschiedene trüge wenigstens nicht die Schuld eines so traurigen Irrtums. Ich rufe hierfür zu Zeugen auf alle diejenigen, welche sie gekannt haben. Ihr wisset, dass sie niemals duldete, dem Herrn die Ehre zu entziehen, die ihm allein gebührt.

Ihr wisst, dass sie sich niemals eines Andern, als ihrer Schwachheit rühmte, und nie sich schämte, ihre Mängel und Fehler einzugestehen, und dass sie alles Gute, das zu tun ihr vergönnt war, nur der Gnade Jesu Christi zuschrieb.

Lasst uns daher bei diesem Grabe Christum preisen, gleichwie er durch das Leben dieser unsrer vielgeliebten Schwester und Mutter gepriesen ward. Sie war freilich eine Sünderin, gleich wie wir. Gleich uns ermangelte sie alles Ruhmes vor Gott; allein sie hatte vernommen die frohe Botschaft, dass Jesus Christus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, und sie nahm diese Botschaft mit Freude und Zuversicht auf. Sie hatte sich ihrem Erlöser zu Füßen geworfen mit dem tiefen Gefühle ihrer Sündhaftigkeit und geistigen Armut. Darum hatte sie Gnade gefunden; darum rief der Herr, der von Herzen sanft und demütig ist, ihr zu: Stehe auf, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben. Darum ward sie bekleidet mit dem Rocke der Gerechtigkeit und würdig befunden, vom Tode zum Leben einzugehen.

Ihre Werke, ihr reines und heiliges Leben, ihre viel erprobte Hingebung, ihre Liebe, ihr Eifer waren nur die Frucht, nicht den Grund ihrer Erlösung, eine zweite aus der ersten sich ergebenden Gnade, das Siegel, das der Herr den Seinigen aufdrückt, zur Unterscheidung von denen, die ohne wahren Glauben nur mit dem Munde und mit den Lippen ihm dienen, während ihr Herz fern von ihm ist.

Obwohl wir, meine Brüder, arme unwürdige Sünder sind, so könnten wir doch dasselbe leisten, was die Entschlafene geleistet hat, wenn wir nur den nämlichen Glauben, das nämliche Vertrauen zu dem Erlöser, die nämliche Demut hätten. Wenn wir so weit hinter ihr zurückstehen, so hat dies nicht darin seinen Grund, weil wir etwa weniger natürliche Kräfte haben, oder weil uns Gottes Hilfe fehle; sondern weil wir nicht genug durchdrungen sind von unserer eigenen Untauglichkeit und Unwürdigkeit; weil wir nicht klein genug sind in unseren Augen, und uns demzufolge nicht mit genug Hingebung zum Fuße des Kreuzes werfen. Wir glauben wohl, aber wir glauben mehr mit dem Gedächtnis und mit dem Verstand, als mit dem Herzen. Wir suchen wohl den Herrn, aber wir ergreifen ihn nicht, wie der Schiffbrüchige sich an das Brett klammert. Wir erfassen nicht seine Hand wie der, welcher fühlt, dass er ohne sie in den Abgrund sinkt. Wir lieben wohl Christum, aber ach! unsere Liebe zu ihm ist so kalt, so eisig, so zurückhaltend, so äußerlich, allezeit voll Besorgnis, zu viel zu tun, während wir für viele andere Dinge voll Eifer und Begierde sind.

Muss uns, meine Brüder, nicht das Beispiel unsrer guten Luise beschämen und demütigen? Sie ist zwar nicht mehr unter uns, diese gläubig-fromme Magd Gottes, deren Anblick schon erbaute und deren Worte alle eine lebendige Predigt des Heilands waren, aber wir besitzen etwas Besseres als ihre Person. Wir dürfen nur zu der lebendigen Quelle gehen, woraus sie selber Alles schöpfte, was wir an ihr bewundern und lieben. Hat nicht der Herr verheißen, bei den Seinigen bis an der Welt Ende zu sein? Erbietet er sich nicht, uns täglich nehmen zu lassen aus seiner Fülle Gnade um Gnade? Der huldvolle Erlöser wartet nicht ab, bis wir zu ihm kommen, er klopft selber an die Tür unserer Herzen und bittet uns, das Lösegeld anzunehmen, das er bezahlt hat, uns die Kindschaft damit zu erwerben. Lasst uns seine Stimme nicht verachten. Lasst uns seine barmherzigen Arme nicht vergebens nach uns ausstrecken. Lasst uns die Früchte seines Leidens und Sterbens nicht mit Füßen treten. Wir haben ihm zum Ersatz für sein teures Blut, womit er uns erkauft hat, nur ein von Sünden beflecktes Herz anzubieten, und wir sollten zögern, diesen glückseligen Tausch einzugehen, und nicht eifern, uns von ihm ein durch sein Blut gereinigtes und durch seinen Geist geheiligtes und zu seinem Bilde verklärtes Herz geben zu lassen?

Wir sehen in dieser von Gott so hochgesegneten Gegend so viele auffallende Beweise der Gegenwart Gottes, so viele Wunder seiner Gnade, so manches strahlende Zeugnis seiner auf das Herz des Sünders so wirksamen Macht, sollen wir vergeblich Zeugen so großer Dinge gewesen sein? Sollen wir nicht den heiligen Wink in uns fühlen, uns unter das Volk Gottes einzureihen, und unter die Zahl der Gerechten und Auserwählten zu gehören, die ihre Kleider im Blute des Lammes gewaschen haben?

Sollten wir, die wir die große Lücke beklagen, die der Tod unserer guten Luise unter uns zurücklässt, nicht den Herrn bitten, in uns sich neue Werkzeuge seiner Barmherzigkeit zu erwecken, und über Jeden unter uns ein reiches Maß jenes Geistes auszugießen, den er über seine demütige Magd ausgegossen hat? Gott! mit dem tiefsten Gefühle unsrer eignen Unwürdigkeit, unsres gänzlichen Verderbens, unserer verzweifelten Entfremdung von dir, rufen wir zu dir: Habe Erbarmen mit uns. Wenn du willst, so werden wir gereinigt; wenn du willst, so sehen unsere Augen, so wandeln unsere Füße den Weg deiner Gebote, und unser Mund öffnet sich zum Ruhme deines herrlichen Namens, und unsere Worte preisen dich. Dir ist nichts unmöglich, o unser Gott; so hauche denn mit deinem Odem diese Totengebeine an, siege über den Widerstand unserer Seelen, und gib, dass hier und überall sich jedes Knie beuge im Namen deines vielgeliebten Sohnes, und dass hier und überall alle Zungen bekennen, dass Jesus der Herr sei, zu seinem Ruhme und zum Heile Aller! Ihm aber, der uns zuerst geliebt hat, der uns erlöste durch sein Blut, sei Lob und Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!“ Ich schließe.

Über dem Grabe des größten Mannes, des größten Helden kann nichts Größeres gesagt werden, als über dem Grabe dieser demütigen, frommen Magd:

„Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen.“

Mögen denn diese beiden Bilder, Pfarrfrau und Pfarrmagd, an den Häusern, vornehmlich auch an Pfarrhäusern, anklopfen und freundlichen Einlass erhalten. Wer aber von uns zum wunderschönen Straßburg zieht und dort in St. Laurentius‘ Kapelle im Münster steht, der gedenke an Frau Catharina Zell; und wer hinaufgeht ins raue Steinthal und dort zu Fouday an dem Grabe Oberlins steht, der weile auch ein wenig am Grabe der Luise Scheppler und gedenke des Wortes:

„Welcher Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach!“