Antonius Corvinus, geb. den 11. April 1501 zu Warburg im Stifte Paderborn, trat früh in den Cisterzienserorden, wurde Mönch zu Riddagshausen unter dem Abte Hermann IV., bald darauf aber in Loccum. Hier ward er – nach seinem eigenen Ausdrucke – wie ein lutherscher Bube vom Abte verjagt (1522). In Wittenberg, wohin er sich bald darauf begab, genoss er nicht bloss den Unterricht, sondern auch die vertraute Freundschaft Luther’s und Melanchthon’s. 1526 wurde er vom Landgrafen Philipp dem Grossmüthigen nach Marburg berufen, wo er im folgenden Jahre die Universität begründen half, dessen grösste literarische Zierde er selber ward. 1528 ging er mit Genehmigung des Landgrafen nach Goslar, das neue Kirchenwesen daselbst zu ordnen, übernahm das Predigtamt an der Stephanskirche, kehrte aber ohne erfreuliche Erfahrungen 1532 nach Marburg zur Professur zurück, machte von hier aus verschiedene reformatorische Reisen, u.a. nach Schmalkalden, wo er die Artikel mitunterschrieb, und folgte 1538 einem Rufe zum Prediger nach Witzenhausen. In demselben Jahre hatte Elisabeth, Herzogs Erich I. von Calenberg Gemahlin, den evangelischen Lehrbegriff angenommen. Auf ihre Bitte erlangte sie vom Landgrafen, dass Corvinus von Zeit zu Zeit nach Münden zu ihrer Unterweisung reisen und bei der Reformation des Landes thätig sein dürfte. Schon 1538 führte er das Luthertum in Nordheim ein. Als er im folgenden Jahre nach Münden kam, wurde dem katholischen Erich, der eben im Begriff stand, nach Hagenau zu reisen, die Ankunft Corvinus‘ gemeldet. man vermuthete, der Herzog werde ihn abweisen; aber es erfolgte die Antwort: „Weil sie (Elisabeth) uns in unserem Glauben nicht hindert, so wollen wir sie auch in ihrem Glauben ungehindert und unbetrübet lassen.“
Nach Erich’s Tode ernannte Elisabeth Corvinus zum Generalsuperintendenten des Fürstenthums Calenberg mit dem Pastorate Pattensen und liess durch ihn die ganze Landeskirche reformiren. Corvinus verfasste 1542 in ihrem Namen eine Kirchenordnung in hochdeutscher Sprache, die er aber in Rücksicht auf die meisten Pfarrherren, welche sie vorgeblich nicht verstanden, 1544 ins Niedersächsische übersetzen musste. Die Verpflichtung der Landesgeistlichket auf die neue Ordnung erfolgte auf der Synode zu Pattensen, den 15. Juli 1544.
Erich der Jüngere wurde von seiner Mutter während ihrer vormundschaftlichen Regierung und seinem Hofmeister Kuno von Bardeleben im lutherischen Glauben erzogen. Jene schrieb eigenhändig einen „Unterricht an ihren lieben Sohn Erich“ voll heilsamer Regeln für sein künftiges Regentenamt. Auch schien die Saat des Evangeliums in dem Herzen des Prinzen aufzugehen, und Corvinus unterliess nicht, sie zu begiessen. Luther hatte den sechszehnjährigen Jüngling in Wittenberg kennen gelernt, wo er bei einer Durchreise der Herzogin und ihres Sohnes zur Tafel gezogen war. Der tiefblickende Psycholog schrieb an Corvinus folgenden Brief: „Lieber Corvine, wir haben allhier mit herzlicher Freude euren jungen, wohl erzogenen Fürsten christlich Bekenntniss angeht, das wir uns durchaus wohl gefallen lassen. Gott, der Vater aller Gnaden, wolle in allen Fürstenhäusern, in unserm vielgeliebten Vaterlande, die jungen Herrschaften in solcher christlicher Auferziehung erleuchten und erhalten. Der Teufel aber ist listig und überaus geschwinde, so sind unsere Geistliche, Bischöfe und Prälaten und alle gottlose Fürsten der christlichen, wahren Religion und unsere Feinde, durch welcher Autorität viel christlicher Herzen abgewendet und verführet werden. Derohalben wollet mit Beten und Vermahnen immer für und für anhalten; denn man sich befürchten muss, wo der junge Fürst mit unserem Widersachern viel Gemeinschaft haben würde, durch derselben grosses Ansehn er leichtlich zum Abfall konnte getrieben werden. Das hab‘ ich euch zu diesem Mal nicht verhalten wollen. Betet, betet ohne Aufhören; denn die Kirche stehet jetzt in grosser Gefahr; Christus, das Haupt, wolle aufsehen und den Winden und Bälgen Einhalt thun. Amen. Demselbigen thun wir euch befehlen. Datum Wittenberg, anno 1544.“
Im J. 1546 übernahm Erich der Jüngere die Regierung. Noch einmal nahm er in Münden das heilige Abendmahl in beiderlei Gestalt und erklärte in der Sakristei gegen den Prediger Caspar Coltemann, „er wolle bei dem Evangelio aufsetzen, was er in dem Wamms stecken hätte.“ Corvinus deutete diese Äußerung, wie sie gewiss augenblicklich gemeint war, von dem Leben, das der Herzog für seinen Glauben hinzugeben bereit sei. Aber der Casseler Prediger Dionysius Melander fand eine andere Interpretation: „Ach, mein Corvinus“ – sagte er – „rühmet nicht so sehr; vielleicht hat der gute Herr ein Schnupftuch in dem Wamms gehabt, das will er bei dem Evangelio aufsetzen.“ Der Verdacht war leider nicht ungegründet. Erich trat in kaiserliche Dienste, und enge Bande knüpften ihn bald an die katholischen Fürsten und Bischöfe. Zu Regensburg ging er 1547 zum Katholizismus über, und jetzt wurde er zum erklärten Werkzeuge gegen die evangelischen Stände vom Kaiser gebraucht. Als er zum ersten Male wieder in sein Land zurückkehrte, besuchte er sogar seine Mutter nicht, sondern zog ohne Aufenthalt durch Münden nach Hilvardshausen und von da nach dem Kloster Bursfelde. Der dortige Abt, Johann Trepper, hatte kurz zuvor nur zögernd zum Lutherthume sich bequemt und die von Corvinus und Mörlin verfasste Widerlegung des Interim erst unterschrieben, als Corvin ihm mit den Worten zusetzte:
Herr Abt von Bursfelde,
Hier gilt kein Gelde;
Es gilt die Seel‘, dazu die Haut:
Schreibt unter, so werdet Ihr Christi Braut.
Die Ankunft des Herzogs bewog ihn, sich sofort dem Papstthume wieder in die Arme zu werfen. – Das Interim wurde jetzt mit Gewalt durchgesetzt. Viele lutherische Prediger gaben nach, andere, die sich weigerten, wie die Göttinger, wurden abgesetzt. Corvinus, der Hauptwidersacher des Interim, wurde auf herzoglichen Befehl durch den Amtmann von Calenberg des Nachts zu Pattensen verhaftet und am 1. November 1549 in den feuchten Kerker des Calenberges geworfen. Seine ausgezeichnete Bibliothek ward von den spanischen und brabantischen Soldaten, welche Erich’s Gefolge bildeten, zum Theil verbrannt, der aber durch das Einschreiten des Erzbischofes Christoph von Bremen gerettete Rest nachher vom Magistrate zu Hannover angekauft und aufbewahrt.
Über drei Jahre lang schmachtete Corvinus im dumpfen Kerker, angewiesen auf de innerste Meditation. Selbst Papier und Tinte waren ihm verweigert. Nur unterbrochen wurde seine tiefe Ruhe von den höhnischen Reden der spanischen Soldaten und von den Trostsprüchen eines Freundes, des Predigers zu Neustadt am Rübenberge, Friedrich Dedekind, der häufig den fünf Meilen langen Weg nicht scheute, um vor dem Kerker mit ihm zu reden.
Endlich wurde die Politik in der Hand des Herrn zu einem Mittel der Befreiung seines Knechtes. In dem Kriege des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, auf dessen Seite Erich stand, gegen Heinrich den Jüngeren von Braunschweig war die Bundesgenossenschaft der Hansestädte dringender Wunsch. Diesen aber war die Feindschaft Erich’s gegen die Augsburgische Confession und ins Besondere die Gefangenschaft Corvin’s ein Dorn im Auge. Als Solches dem Herzoge Erich zu Gemüth geführt war, hielt ihn Elisabeth für vorbereitet genug, ihre sanften Bitten für Corvinus vortragen zu hören und günstig aufzunehmen. Sie fand Gewährung. Corvinus wurde bald nach dem Feste der heil. drei Könige im J. 1553 aus seinem Kerker entlassen. Die Kleider waren ihm vom Leibe gefault, seine Gesundheit war zerrüttet. Er lebte nach seiner Befreiung noch drei Monate zu Hannover und starb daselbst am 5. April 1553. Acht Prediger trugen ihn in die St. Jakobi-Kirche zu seiner Gruft. „Als man ihn“ – so berichtet die Braunschweig-lüneburgische Chronik – „zur Erde bestatten wollen, und mit allen Glocken geläutet worden, hat Herzog Erich in seinem Quartier einen seiner Junker gefragt, was das viele Läuten bedeuten sollte? Hat derselbe S.F.G. geantwortet, dass man Corvinum begraben würde. Da sollen S.F.G. die Augen übergegangen, darauf aus der Stube in die Kammer getreten und über eine Stunde darin geblieben sein.“