Jakob Sturm ist einer der edelsten und ehrenwerthesten Charaktere der Reformationszeit, er ist der Ruhm seiner Vaterstadt, eine Zierde des deutschen Adels und der evangelischen Kirche; er war ein Mann, ein Christ im schönsten Sinne des Worts voll Thatkraft, Einsicht und Klugheit, voll Glauben und weitreichender Liebe. Wir versuchen hier in der Kürze sein gesegnetes, vielbewegtes Leben zu schildern und bemerken nur noch, daß von manchen Schriftstellern, z. B. Teissier u. A. unser Jakob Sturm mit dessen Zeitgenossen, dem straßburgsschen Schulrector Johannes Sturm, von Sleida gebürtig, vielfach verwechselt worden.
Jakob Sturm gehörte einem alten straßburgischen, von Offenburg stammenden, Adelsgeschlecht an, das seine Ahnen bis auf die Zeiten Rudolphs von Habsburg hinauf führen konnte und dessen letzter Sprößling im Jahre 1640 starb, nachdem eine lange Reihe wackerer Männer ans dieser Familie die höhere Magistratur zu Straßburg geziert hatte. Aus der Ehe Martin Sturms von Sturmeck mit Odilia der Tochter des Alt-Ammeisters Peter Schott, des Schutzherrn Johann Geilers, entsprossen 4 Kinder, Friedrich, Jakob, Peter und Margaretha. Alle 4 Geschwister blieben unverehelicht. Die 3 Brüder bekleideten während vieler Jahre die höchsten ritterlichen Würden in ihrer Vaterstadt. Die Schwester trat in früher Jugend als Nonne in das Margarethen-Kloster ein, verließ es aber in der Reformationszeit wieder und alle 4 Geschwister lebten bis an ihren Tod bei einander in lieblichster Eintracht, im elterlichen Haus in der Brandgasse neben dem ehemaligen Mauerhof.
Jakob Sturm von Sturmeck wurde im Jahr 1489 zu Straßburg geboren. Die verständige, fromme, aber schon in ihrem 34sten . Jahr verstorbene Mutter leitete dessen erste Erziehung. Einen Theil seiner Kinderjahre und auch spätere Erholungstage brachte er auf dem väterlichen Schloß zu Breusch Liedersheim zu, einem zwei Stunden von Straßburg in lieblicher Gegend gelegenen Dorfe. Der berühmte Hausfreund der Eltern und Großeltern des jungen Sturm, Dr. Johann Geiler von Kaisersberg gab seinen gewichtigen Rath zu dessen Fortbildung und Jakob Wimpheling aus Schlettstadt, der Freund des Erasmus, der Kenner des classischen Alterthums und der heiligen Schrift, der Beförderer der wiederauflebenden Wissenschaften an den Ufern des Rheins, wurde von Heidelberg herbeigerufen, um der Lehrer und Führer des 10jährigen, hoffnungsreichen Jakob Sturm zu werden. Der vertraute Umgang mit dem tief religiösen, geistvollen Geiler und die treue Pflege des gelehrten und kindlich frommen Wimpheling, dessen tägliches Gebet war: „Du milter Jesu, biß gnädig mir armen Sünder, der ich des gemeinen Nutzens, der Einigkeit der Christen, der heiligen Geschrift, und daß die Jugend recht ufferzogen werd, ein Liebhaber bin,“ hatten entscheidenden Einfluß auf sein junges Gemüth. Diese Umgebungen so wie der Eifer mit dem er den Studien oblag, förderten in seinem reichbegabten Geist jenen nach Heiligung ringenden Glauben, der erst in den Grundsätzen und Bemühungen der Reformatoren seine volle Befriedigung fand. Wimpheling bezeugte seine achtungsvolle Liebe dem Zögling dadurch, daß er demselben mehrere seiner in Druck gegebenen Schriften in den Jahren 1501, 1506 und 1507 widmete und es ist in der That erstaunenswerth zu sehn, welche Fragen damals den Jüngling beschäftigten. Früh ergriff sein empfängliches Gemüth der Ernst des Lebens. Sturm bezeugte Lust in den geistlichen Stand zu treten und in ein Kloster zu gehn. Aber sein Lehrer Wimpheling, indem er ihm die Ehelosigkeit anpries, machte ihn aufmerksam auf die großen Gefahren, die auch im Klosterleben seiner Tugend drohen würden und wies ihn hin auf das edle Vorbild seines mütterlichen Großvaters Peter Schott und auf Dr. Johann Geiler, die mitten im Weltleben ein reichgesegnetes Wirken und unbescholtene Sitten sich bewahrten.
Diese Ermahnungen des verehrten Meisters brachten Frucht. Sturm befolgte treu den vorgezeichneten Studienplan und an den Lebensgrundsätzen, welche Wimpheling mündlich und schriftlich ihm eingeprägt hatte, hielt er fest. In Begleitung seines Lehrers besuchte er die Hochschule zu Heidelberg, von der er aber in einem spätern Briefe urtheilt: sie sei in ihrem damaligen Zustand eher geeignet gewesen, Geist und Zeit zu verderben als ihnen Nutzen zu schaffen. Am Listen Juli 1504 wurde Jakob Sturm von Sturmeck in die Verzeichnisse der Universität zu Freiburg im Breisgau eingeschrieben. Hier ergab er sich dem Studium der Rechtswissenschaft; schon im folgenden Jahr erhielt er mit Matthäus Zell die Magisterwürde und hielt nun bis zu seinem Abgang von Freiburg 1508 öffentliche Vorlesungen. In Lüttich und in Paris setzte Sturm hierauf seine Studien fort; allenthalben bewahrte er sich dieselbe Reinheit des Charakters, denselben fleckenlosen Wandel. Im Jahr 1518 treffen wir Sturm wieder in seiner Vaterstadt als Mitglied des literarischen Vereins, den Wimpheling und Sebastian Brandt gestiftet hatten und leiteten. In einem Brief an diesen Verein nennt Erasmus unsern Sturm: „einen unvergleichlichen Jüngling, der durch seine Rechtlichkeit die Bilder der Ahnen verherrliche, durch den strengen Ernst seiner Sitten die Jugend ziere, dessen gründliches Wissen eine unglaubliche Bescheidenheit erhöhe.“ Bei seinem Eintritt in das bürgerliche Leben verlobte ihm der würdige Stättmeister Johannes Bock, aus einem der angesehensten Adelsgeschlechter, seine Tochter; allein sie starb als Braut und Sturm wurde so durch das Schicksal auf den von Wimpheling ihm empfohlnen Cölibat hingewiesen.
Im Jahr 1524 wurde Jakob Sturm zugleich mit seinem Bruder Peter, als Konstossler d. h. als Repräsentant des Adels, in den Rath gewählt und bereits im folgenden Jahre trat er, weil er in den Gefahren des Bauernkriegs sich durch Klugheit und Umsicht vielfaches Verdienst um den Staat erworben, in das beständige Regiment ein, zuerst in die Kammer der XV, dann 1526 in die wichtigere Kammer der XIII, welcher die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen war. Noch am Schlusse dieses nämlichen Jahrs wurde er bei Erneuerung des Regiments als Stättmeister erwählt, die höchste Adelswürde der freien Reichsstadt Straßburg, zu welcher er 13mal nach einander erhoben wurde durch freie Wahl. Diese rasche Beförderung in so frühem Alter war die Folge der allgemeinen Anerkennung seiner Talente und seiner Verdienste. Auch ließ der Magistrat in demselben Jahr eine Schaumünze mit Sturms Brustbild zu dessen Ehrengedächtniß prägen, mit der Umschrift: Victrix Fortunae Patientia.
Jakob Sturm war der Mann, den die gnadenreiche Vorsehung als einen Führer und Schutzgeist in jenen großen und schwierigen Zeiten der Reformation, der Stadt Straßburg bestimmt hatte. Straßburg stand vornan in der Reihe der deutschen freien Reichsstädte. Seine Stimme war von großem Gewicht auf den Reichstagen. Straßburgs Bürger hatten sich fast einstimmig für die evangelische Lehre erklärt. Am 20sten Februar 1529 wurde durch einen feierlichen Beschluß die Messe abgeschafft. Schon früher war den Klosterleuten der Austritt frei gestellt worden. Es war vorauszusehen, daß solche Aenderungen die Stadt Straßburg in schwere Kämpfe verwickeln würden. Aber Sturm erhielt mit weiser und kräftiger Hand die innere Ruhe und die äußere Sicherheit der Vaterstadt; er hatte einen Hauptantheil an den wichtigsten Beschlüssen, welche der Magistrat in jener folgeschweren Zeit faßte, und seine Geistesklarheit und Tiefe blickt allenthalben durch. Seine amtlichen Vorträge und Bedächte (Rapporte) sind klar, bündig und abgerundet, einfach, ohne Ziererey. Ein ungemeines Gedächtniß und ein unerschöpflicher Vorrath an historischen Belegen unterstützten seine natürliche Rednergabe, welche auch äußerliche Vorzüge noch mehr hoben: eine deutliche, liebliche Aussprache, ein ebenmäßiger, wenn gleich nicht hoher Wuchs, ein freundliches, geistreiches, würdevolles Wesen, eine sanfte, ruhige Haltung und doch männliche Entschlossenheit und apostolischer Heldenmuth. Dazu kam noch sein biederer, offener Charakter, klug aber ohne Falsch, sein gewandter Blick, der leicht die verworrensten Verhältnisse durchschaute, seine unerschütterliche Ehrenhaftigkeit, die sich nie erniedrigte. Diese Eigenschaften machten Sturm zum Horte seiner Vaterstadt, seine Stimme galt wie keine sonst in den inneren Angelegenheiten Straßburgs und in den äußern Verhältnissen verschafften sie ihm die Achtung der Stände, der Fürsten und Könige. Die straßburgischen Gesandten und an deren Spitze Jakob Sturm, wurden auf den Reichstagen vorzugsweise als Stimmführer der evangelischen Parthei erwählt, und ihre Anträge drangen gar oft durch. Es kann hier nicht der Ort seyn, die einzelnen Verhandlungen, bei denen Sturm betheiligt war, näher zu charakterisiren. Sie sind zu sehr mit dem Ganzen der Zeitgeschichte verflochten, als daß dieses in der Kürze geschehen könnte. Nicht weniger als einundneunzigmal war Sturm Gesandter auf Reichstagen oder andern Zusammenkünften; auch auswärtige Sendungen an den französischen und englischen Hof wurden ihm anvertraut. In allen diesen Sendungen war die Sache der Religion beinahe immer die Hauptangelegenheit. Mit Ernst und Würde vertheidigte Sturm die Rechte des Gewissens und seiner Vaterstadt und so sehr er es verstand, die streitenden Partheien zu vermitteln und friedlicher Auskunft geneigt war, so hatte er doch auch den Muth auf schärfere Maaßregeln anzutragen, wo dies ihm nothwendig schien. Als Straßburg wegen seiner raschen Schritte im Reformationswerk auf dem Reichstag zu Speyer 1529 seiner Stimme bei den Reichsberathungen beraubt wurde, erklärte Sturm öffentlich, daß, so lange dies ungerechte Interdict bestehn würde, Straßburg nichts zu den allgemeinen Reichskosten beitragen würde. – Ueber die Aufhebung der Klöster in Straßburg wurde vom Bischof Klage geführt am kaiserlichen Hof. Bei einer Audienz setzte Kaiser Carl V. den straßburgischen Gesandten zu Rede wegen der erst kürzlich vorgenommenen Einziehung des Klosters der Karmeliter (Unsrer lieben Frauen Brüder). Sturm antwortete unbefangen: „Euer Majestät möge bedenken, daß so lange die Mönche Unsrer lieben Frauen Brüder waren, mochten wir sie wohl leiden, als sie aber unserer lieben Frauen Männer wurden, konnten wir sie weiter nicht dulden.“ Der ernste Kaiser lachte herzlich über solche naive Antwort und gab sich vorerst zufrieden. – Auf dem Convent von Schmalkalden 1532, wo vom Kaiser bedroht, die evangelischen Stände berathschlagten: ob man sich mit den Waffen gegen die ungerechten Angriffe des Reichsoberhauptes vertheidigen dürfe? war es vorzüglich Straßburg, das diese Frage bejahte und Sturm sprach bei diesem Anlaß jenen unveräußerlichen Grundsatz des Protestantismus aus: „Daß er in Glaubenssachen Niemand, auch den Kaiser nicht, als seinen Gesetzgeber anerkenne, sondern nur das Wort Gottes.“ Dennoch rieth Sturm in vertrauter Unterredung mit dem Landgrafen Philipp von Hessen, vorerst nur einige Hauptleute, mit Versprechen eines Wartgeldes, in Sold zu nehmen um durch diesen Anschein von Kriegsrüstungen den Kaiser zu milderen Gesinnungen zu bewegen, denn der Friede schien ihm für die junge evangelische Kirche unentbehrlich.
Sturms vermittelnde Thätigkeit fand in den damaligen straßburgischen Theologen, und besonders in deren Haupt, Martin Butzer, ihren Stützpunkt. Was jener auf politischem Wege suchte, erzielten diese auf dogmatischem Wege. Der unselige Abendmahlsstreit zwischen Luther und den Schweizern drohte der jungen Kirche frühen Untergang. Straßburg in der Mitte zwischen Sachsen und den Schweizern stehend, lief Gefahr von beiden verlassen zu werden. Sturm aus politischen Gründen, Butzer aus dogmatischen suchten den Frieden zu vermitteln. Durch die Besprechung zu Marburg 1529, wobei beide, Sturm und Butzer, anwesend waren, durch die Tetrapolitana 1530, durch das politische Anschließen an die fürstlich Augsburgische Confession 1532, durch die Wittenberger Concordia 1536, durch viel Hin- und Herreisen und Schreiben, aber ohne großen Erfolg. Das bittere Gezänk der Theologen über das heilige Abendmahl empörte und betrübte unsern Sturm so, daß er, der früher oft das heilige Sacrament empfing, nun eine Reihe von Jahren sich desselben enthielt.
Bei Kaiser Karl stand Sturm in hoher Achtung; dieses that sich auch dadurch kund, daß der Kaiser ihn nebst andern ausgezeichneten Männern, im Jahr 1541 als Abgeordneten ernannte, die zu Regensburg über die Beilegung der Religionszwistigkeiten berathen sollten. Ueberhaupt war Sturm von 1539 bis 1549 beinahe fortwährend auf Reisen, so daß er sein Stättmeisteramt in Straßburg fast nie persönlich versehen konnte; er hatte in diesem Zeitraum über 90 Reisen für die Stadt gethan und zusammengerechnet über neun Jahre außerhalb der Stadt zugebracht!
Noch gegen das Ende seiner politischen Laufbahn zeigte sich Sturm in seiner ganzen Größe. Nach dem so unglücklichen Anfang des schmalkaldischen Kriegs, sollte das Interim angenommen werden. Der siegreiche Kaiser forderte vor Allem Unterwerfung. Diese war aber von der evangelischen Bürgerschaft in Straßburg schwer zu erlangen. Hunderte umlagerten murrend und scheltend das Rathhaus, wo der Beschluß gefaßt werden sollte. Manche schüchterne Rathsherrn suchten aus der Versammlung zu entschlüpfen. Da trat Sturm an die Thüre des Rathsaales und ließ keinen hinaus bis der Beschluß der Unterwerfung gefaßt war und nun benutzte Sturm die Gunst des Kaisers, um die möglichst milden Bedingungen zu erlangen, was denn auch geschah. Statt in allen Kirchen der Stadt wurde das Interim nur in drei Stiftskirchen eingeführt; St. Thomä blieb den Evangelischen ungeschmälert durch einen feierlichen Vertrag. Noch im Jahr 1552 wurde Sturm, obwohl schon kränklich, von dem Magistrat beauftragt, den durchreisenden Kaiser bei dem Stadtthor und an der Spitze des Raths mit einer feierlichen Rede zu bewillkommnen; der auf ihm ruhenden kaiserlichen Gunst war die Wahl zu diesem Ehrenposten vornehmlich zuzuschreiben.
Bisher haben wir Sturm vornehmlich in seiner Hauptwirksamkeit, nämlich der politischen, betrachtet. Aber bei ihm ging das höhere geistige Interesse nicht im Weltmanne auf. Sturm blieb ein Freund der Wissenschaft sein ganzes Leben hindurch und die Errichtung von Schulen und Bildungsanstalten blieb eines seiner Lieblingsgeschäfte. Er war der erste unter den 1528 in dem evangelischen Straßburg neu eingesetzten Scholarchen oder Schulherrn. Er und Butzer beriethen sich über die zweckmäßigere Einrichtung der bisher vereinzelten Schulanstalten, er war es vornehmlich, der im Jahr 1538 die Gründung des noch jetzt blühenden, evangelischen Gymnasiums bewirkte und den ersten ruhmwürdigen Rector desselben, Johannes Sturm, von Paris hieherrief. Er war es, der zur Errichtung des ebenfalls noch bestehenden theologischen Studienstiftes für angehende Prediger, Stift St. Wilhelm genannt, im I. 1544 durch Rath und That auf das Kräftigste mitwirkte. Er war es, der durch einen Rathsbeschluß im Jahr 1531 die Gründung einer öffentlichen Bibliothek in Straßburg bewirkte und der den ersten Fonds dazu lieferte mit den seltensten Ausgaben der griechischen Classiker von Aldus Manutius in Venedig; die Kleinode tragen noch sein Wappen, den Schwan, mit der Aufschrift: Studiosae juventuti sac. Sturm. Er war es, der nützliche gelehrte Arbeiten gern förderte, der den berühmten Geschichtschreiber der deutschen Reformation, Johann Sleidan, vermochte, sein monumentales Werk über die erste Geschichte der wiedergebornen Kirche zu vollenden, ihm wichtige Beiträge dazu lieferte und an der Abfassung half. Ja, Sturm hatte den großartigen Plan zu einer vollkommenen Akademie entworfen, „welche auf gemeine Kosten aller protestirenden Stände aufzurichten wäre, in welcher aus allen Religionen, auch aus den Papisten, gelehrte und vortreffliche Männer, die alle Völker mit Lehr und Geschicklichkeit übertreffen und deren Ansehn Niemand könnte verachten, berufen würden.“ –
Jakob Sturm war nie krank gewesen. Aber seit 1552 nahten sich ihm die Vorboten des Alters. Er litt an einem zehrenden, viertägig wiederkehrenden Fieber. Im folgenden Spätjahr wurden die Krankheitssymptome ängstigender. Friedrich, Peter und Margaretha Sturm, die Geschwister, warteten seiner mit treuester Pflege. Diese hielten für nothwendig, am 30. October einen Geistlichen zu dem Todtkranken zu berufen. Es war Dr. Johann Marbach, damals Domprediger und wegen des Interims nicht im Münster, zu welcher Gemeinde Sturm gehörte, sondern in der Predigerkirche; Marbach aber war kein Geistesfreund Sturms. Marbach erzählt in seinem Tagebuch über diese Zusammenkunft Folgendes: „den 30. Octobris 1553 Morgens um vier. Uhr bin ich erfordert worden zu Hrn. Jakob Sturm. Als ich zu ihm kam, lag er bereits im Todeskampf und wiewohl ihm die Red entgangen, so war er doch noch bei gutem Verstand, also daß er auf alle Spruch, so ich ihm aus Gottes Wort recitirte, ja sprach auch mit zusammengeschlagenen Händen mit uns betete und zuletzt verständlich Amen sagte. Solches währte bis uff sechs Uhr und ohngefähr ein halb Viertel darnach sprach ich zu ihm: Herr, wollt ihr noch ein Spruch uß Gottes Wort hören? da that er seine Augen gegen mir auf und sah mich an, indem ich nun die Wort Joh. 3, 17, 18 betete, that er die Augen wieder zu und den Mund uff und ist in zweien Athmen verschieden, ohne alle der Natur weitere Bewegniß.“ Er hatte ein Alter von beinahe 64 Jahren erreicht.
Jakob Sturms Abscheiden war ein allgemeines Leid für die ganze Bürgerschaft. Am folgenden Tag den 31. October um ein Uhr Nachmittags hatte das Leichenbegängniß Statt. Das ganze Regiment, die Geistlichkeit, die Studirenden, der Adel und eine unübersehbare Reihe von Bürgern gaben der Leiche das Geleite nach dem Friedhof „Gott Litten“ genannt (zu den guten Leuten oder St. Helena). Dr. Marbach hielt die Leichenpredigt über Philipper 1, 21: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“
Was Straßburg an Jakob Sturm verloren, das zeigten die von jetzt an auftauchenden leidenschaftlichen, theologischen Partheihändel. Sturms Friedensgeist und Ansehn fehlte leider. Johannes Sturm, der Schulrector, hat dem hohen Entschlafenen ein würdiges Denkmal gesetzet in seiner 1553 erschienenen Trostschrift an den Magistrat über Jakob Sturms Hinscheiden. Sleidan, De Thou, Bayle, Teissier, Adam, Pantaleon u. viele Andre verkündigten Sturms Verdienste. Die Vorsteher des Gymnasiums, außer Ich. Sturm, Jeremias Jakob Oberlin 1805, Carl Maximilian Fritz 1817, haben bei verschiedenen Anlässen Sturms Ehrengedächtniß erneuert. Sein Standbild befindet sich auf der von ihm gestifteten Stadtbibliothek, von einem geschickten Künstler, vielleicht von Baldung Grün gemalt. Im Jahr 1776 hatte die Gesellschaft der Philanthropen zu Straßburg einen Preis ausgesetzt für eine Ausarbeitung seines Lebens, aber die Preisfrage wurde nicht gelöst. Auf dem Guttenbergs Denkmal steht auch Sturms Gestalt, aber ein seiner würdiges Monument hat Jakob Sturm noch nicht erhalten.
T. W. Röhrich in Straßburg
Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862