Eine der edelsten Fürstinnen nicht bloß unserer Periode, sondern aller Zeiten, war unstreitig Dorothea Sibylla, Herzogin von Liegnitz und Brieg, geboren am 19. Oktober 1590. Ihr Vater war der Markgraf und Kurfürst Johann Georg von Brandenburg, und ihre Mutter Elisabeth eine Prinzessin von Anhalt. Nach dem Tode des Vaters bezog die Mutter den Witwensitz zu Crossen; sie sorgte für die Erziehung und Bildung ihrer Tochter, so weit sie irgend konnte; sie ließ dieselbe in fremden Sprachen und anderen nützlichen Dingen unterrichten und lehrte sie selbst die Frauenarbeiten, namentlich die Hauswirtschaft. 1610 verheiratete sich Dorothea mit dem Herzog Johann Christian von Liegnitz; sie drang alsbald auf Vereinfachung der Hofhaltung und auf Abtragung der fürstlichen Schulden, da es einem Landesfürsten mehr Ehre bringe, Schulden zu bezahlen, als einen zahlreichen Hofstaat und eine reiche Tafel zu halten. Sie hatte sechs Lehrjungfern aus armen adeligen Familien und sechs, welche nur Kost und Logis bezogen. Gegen alle war sie leutselig, aber auch strenge. So ließ sie einst eine Lehrjungfer mit Ruten züchtigen, weil dieselbe die unanständige Zudringlichkeit eines Junkers nicht ernstlich genug abgewiesen hatte. Auf Reinlichkeit und Ordnung sah sie bei ihrer Hofhaltung und selbst in andern Häusern; sie besuchte öfters früh Morgens die Bürgerfamilien der Stadt, und wenn sie das Zimmer nicht sauber und in Ordnung fand, kam sie nicht wieder. Überhaupt verkehrte sie mit Leuten jeglichen Standes ohne Stolz und doch ohne ihrer Würde etwas zu vergeben. Ihre Kleidung war so außerordentlich einfach, dass man in derselben die Fürstin nicht erkannte; sie trug für gewöhnlich ein graues, wollenes Kleid mit schwarzen Schnüren besetzt, darüber ein schwarzseidenes, mit Pelz gefüttertes und verbrämtes Mäntelchen. Nur bei festlichen Gelegenheiten erschien sie mit Geschmeide und Schmuck. Durchlauchtig wollte sie nicht genannt werden; sie sei nicht durchsichtig, und es möchte manchem regierendem Haupte übel stehen, wenn man es durchschauen könnte. Gnädige Frau möge man sie nennen, doch nicht ihr, sondern Gott zu Ehren. Sie durchwanderte mit ihren Jungfrauen Feld und Wald, um heilsame Kräuter zu suchen und die Mädchen mit den Giftpflanzen bekannt zu machen. Zu den Kranken in der Stadt und deren Umgebung kam sie mit Trost und Hilfe. Für die Kinder hatte sie gewöhnlich Zuckerwerk in der Tasche; darum riefen dieselben meistens von ferne: Die gute Dorel kommt.
Im Winter, besonders nach dem Abendessen, mussten sich die Jungfern an das Spinnrad setzen; das Gesponnene durften sie zu ihrer Ausstattung behalten; auch die niederen Hofmägde durften zu diesen Spinngesellschaften kommen, um zum Fleiß angetrieben zu werden und von der Unterhaltung etwas zu profitieren.
Die Jungfern mussten selbst die Betten machen, die Gemächer reinigen und Alles besorgen, was zur Hauswirtschaft gehörte. Die Herzogin sagte zu jeder, wenn sie an den Hof kam: „Meine Tochter! solche Arbeit musst du gründlich lernen, das wird dir frommen, wenn du selbst eine eheliche Hausfrau sein wirst; denn wie willst du dein Gesinde tadeln und strafen ob böser Arbeit, so du sie selbst nicht verstehst? Siehe, ich bin aus kurfürstlichem Stamme, und hab’s doch bei meiner Mutter selig zu meinem großen Nutzen und Frommen auch verrichten müssen.“
Hatten nun die Hofjungfern diese Dinge erlernt, so erhielten sie von der Fürstin ein goldenes Kettlein, am Hals zu tragen, woran ein Geldstück von der Größe eines doppelten ungarischen Dukatens hing; auf der einen Seite war das Bildnis der Herzogin, auf der andern ein Spinnrocken mit der Umschrift: „Bete und arbeite!“
Wenn eine von den Hofjungfern in den Ehestand trat, so wurde sie reichlich ausgestattet und feierlich zum Altar geführt; sie erhielt eine zweite Denkmünze, worauf das herzogliche Paar und das Schloss abgebildet war mit der Überschrift:
Gedenk‘ an uns und unsere Lehren,\\
Gott wolle deinen Wohlstand mehren!
Jede Bürgerstochter, welche sich ehrbar und gottesfürchtig gehalten hatte, erhielt von der Herzogin einen von ihr selbst gefertigten Strauß von künstlichen Blumen, in welchen der Name der Braut mit goldenen Buchstaben genäht war. Wollte die Fürstin einer Stadtjungfer eine besondere Ehre erweisen, so schickte sie derselben einen Pelz, den sie selbst getragen hatte. Diesen musste die Braut während der Trauung anziehen und dann zurückgeben. Eine solche Frau hatte ihre Lebenszeit den Vorzug vor den übrigen Bürgersfrauen, die Ratsfrauen ausgenommen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Dorothea den Stadt- und Landschulen; sie besuchte dieselben oft unversehens und prüfte die Kinder; die fleißigen beschenkte sie mit einem harten Taler. Der Herzog pflegte sie öfters seinen Konsistorial- und Schulrat zu nennen. Ebenso war die Armenpflege der Gegenstand ihrer besonderen Sorgfalt; sie veröffentlichte eine besondere Armenordnung. Arbeitsfähige Personen sollten zur Arbeit angehalten werden, andere genügende Unterstützung aus der Stadtkasse und durch Privatwohltätigkeit erhalten. Ehrsame Bürger mussten sich in der Stadt und auf dem Lande nach den Hilfsbedürftigen und Notleidenden erkundigen.
In der Arzneikunde für Menschen und Vieh war Dorel wohlerfahren; sie eiferte gegen ausländische und zusammengesetzte Mittel; jedes Land bringe seine eigenen Heilkräfte hervor. Namentlich sprach sie sich gegen die damals in den Apotheken viel gebrauchten Mumien aus.
Eifriges Gebet zu Gott, festes Vertrauen auf dessen Hilfe, Mäßigkeit und Bewegung sei besser als alle Apotheken. In ihren sanitätlichen Bestrebungen wurde sie von der Mutter Grethe unterstützt, einer Hebamme aus edlem Geschlecht. In Gemeinschaft mit derselben schrieb sie eine Gesundheitslehre, besonders für Frauen; darin bekämpfte sie den unbesonnenen Gebrauch von hitzigen Getränken, besonders von Branntwein. Diese Unterweisung wurde in allen Gemeinden unentgeltlich ausgegeben.
In der heiligen Schrift war die Herzogin ungemein bewandert, indem sie sich täglich mit dem Lesen derselben beschäftigte; namentlich wusste sie alle Trostsprüche auswendig. Den Gottesdienst versäumte sie niemals, wenn sie nicht absolut gehindert war; wiewohl selbst reformirter Konfession, besuchte sie doch öfters die lutherische Kirche.. Das heilige Abendmahl genoss sie alle Vierteljahr mit ihrem ganzen Hofstaat. Sie eiferte für den wahren Christenglauben ohne Konfessionelle Unduldsamkeit. Aber eben so sehr wirkte sie dem Aberglauben ihrer Zeit, besonders dem Hexenglauben, entgegen. Einem Geistlichen, der sich für die Möglichkeit der Hexerei und Zauberei ausgesprochen hatte, ließ sie einen ernstlichen Verweis zugehen, mit der Drohung ernsterer Maßregeln, wenn er sich mehr dergleichen erlaube.
Bei allem sittlichen Ernst, den sie niemals verleugnete, war sie mitunter selbst zu lustigen Streichen geneigt, namentlich wenn sie zu Hochzeiten und Kindtaufen geladen war; sie ermunterte die Gäste zum Gesang, lehrte die Leute allerlei harmlose Spiele u. dergl. Als sie sich einstens in der Schule mit einem Kinde sehr freundlich unterhielt und die Frage an dasselbe richtete, wer sie wäre, antwortete dieses unbefangen: „Die gute Dorel.“ Einer der Anwesenden wollte das Kind entschuldigen, indem er sagte, dass dasselbe diesen Namen von andern Leuten gehört habe. Darauf bemerkte die Herzogin, das wäre ihr der liebste Name, den sie erhalten könne; sie wolle keinen andern.
Ihr eheliches Leben war ein Vorbild für alle ihre Untertanen, ohne Hader und Zwietracht; sie mischte sich nicht unberufen in die Regierungsangelegenheiten; doch fasste der Herzog nicht leicht einen wichtigen Beschluss, ohne ihren Rat zu hören. Reiste er außer Land, so übergab er ihr die Regierung. Die herzoglichen Kinder wurden in Kost und Kleidung einfach gehalten, damit sie nicht üppig und übermütig würden, sondern schmecken lernten, wie Leute geringen Standes leben müssten. Schon in ihrem 35. Jahre, am 19. März 1625, ging sie ein in die Wohnung der Seligen. Gewiss! sie verdiente den Leichentext Offenb. Joh. 14, 13: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben; denn sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ Auch die Katholiken nahmen zahlreich an der Leichenfeier Teil, so dass der katholische Geistliche einen Gottesdienst für dieselben hielt, und äußerte: Wenn die Calvinisten einen Papst hätten, so hätte derselbe nichts Eiligeres zu tun, als die verstorbene Herzogin unter die Heiligen zu versetzen.