Antonius

 

Im Leben des Einsiedlers Paul von Theben tritt uns die Bedeutung eines von der Welt zurückgezogenen, in Büßungen und Tugendübungen hingebrachten beschaulichen, der Selbstprüfung und Reinigung gewidmeten Lebens, wie das eigentümliche Gepräge, das ein solches denen aufdrückt, die es führen, schon deutlich entgegen. Dürfen wir ihn auch nicht für den Begründer des Einsiedlerlebens unter den Christen ansehen, das vielmehr durch gleiche Umstände hervorgerufen an mehreren Orten zugleich entsprang, so war er doch der erste christliche Eremit, der großen Ruhm gewann. Bedeutender ward durch einen weitreichenden Einfluß, namentlich auf Verbreitung des Einsiedlerlebens, der heilige Antonius, für welchen die katholische Kirche immer eine große Vorliebe gezeigt hat.

Gleichfalls wie Paulus ein Ägypter, stammte Antonius aus einer wohlhabenden und angesehenen Familie im Dorfe Roma im Gebiet der Stadt Heracleopolis, welche hart an der Grenze der Heptanomis gegen Thebais lag. Um’s Jahr 251 geboren, also in einer Zeit, da die christliche Religion fortwährend mit harten Bedrückungen und Verfolgungen zu kämpfen hatte, erhielt er im Schoße einer christlichen Familie eine fromme, aber nicht eine wissenschaftliche Erziehung; indessen scheint aus seinem späteren Leben hervorzugeben, dass er doch lesen und schreiben konnte. Er war aber nur der koptischen, nicht der griechischen Sprache mächtig, durch deren Besitz doch allein damals die Mittel wissenschaftlicher Bildung zu erlangen waren. In der Bibel war er aber wohl bewandert, mag er sie nun selbst gelesen, oder sich den Wortlaut ihrer wichtigsten Stellen bei wiederholtem Vorlesen eingeprägt haben. Die träumerisch grübelnde Natur des Knaben ließ ihn Alles, was er aufnahm, sich völlig aneignen; am liebsten folgte er aber seinen eigenen Gedanken und hielt sich von Kindern seines Alters uno namentlich von aller lärmenden Gesellschaft fern. Ein tiefes religiöses Bedürfnis trieb ihn aber früh zur Kirche, alle religiöse Anregung und Belehrung drückte sich seinem Herzen tief ein.

Kaum hatte er das zwanzigste Jahr erreicht, als der frühe Tod seiner Eltern ihm die Sorge für ein großes Hauswesen und eine viel jüngere Schwester aufnötigte; diese sagte aber seinem Wesen so wenig zu, dass er gewiss schon sehr bald daran dachte, sich derselben zu entledigen. Dazu konnte ihm die Betrachtung der Zustände der ersten Christengemeine in Jerusalem, wie die Apostelgeschichte sie darstellt, eine willkommene Anknüpfung darbieten; wiederholt hatte er wohl schon sehnsüchtig jener glücklichen Tage gedacht, da alle Einzelnen, ihr besonderes Eigentum der Gemeine hingebend, sich ganz und ungestört der Sorge für ihr ewiges Seelenheil widmen konnten. Oft hing er im Gotteshaus einsam weilend seinen frommen Gedanken nach. Nun geschah es einstmals, dass in demselben Augenblick, da er in die Gemeineversammlung trat, aus dem Evangelium vom reichen Jünglinge die Worte vorgelesen wurden: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach“ (Matth. 19,21.). Darin glaubte er einen göttlichen Ruf an sich gerichtet zu vernehmen; er ging hin und schenkte seine Güter den Bewohnern seines Dorfs, nur unter der Bedingung, dass er und seine Schwester von allen öffentlichen Lasten frei blieben. Für Letztere hatte er noch einiges Geld zurückbehalten; als er aber bald nachher die Ermahnung hörte, nicht für den andern Tag zu sorgen, gab er auch das noch hin und vertraute sie zur Erziehung einer Gesellschaft christlicher Jungfrauen. Er selbst aber lebte fortan in der Nähe seines Dorfes ganz einsam und höchst einfach, indem er nur Brot und Salz aß und Wasser dazu trank, nicht ohne sich zu schämen, dass sein unsterblicher Geist auch nur so viel bedürfe. Dies erwarb er sich durch seiner Hände Arbeit und schenkte den Armen, was er erübrigte. Hier wohnten damals in der Gegend mehrere Einsiedler, da die Sitte noch nicht aufgekommen war, dass sie sich in Wüsten zurückzuziehen pflegten. Diese besuchte er, stellte sich demütig unter sie und suchte (gleich den kunstfertigen Bienen von Allem sammelnd) ihre Vorzüge sich anzueignen: das fleißige Gebet des einen, das anhaltende Wachen des andern, die Unabhängigkeit von äuBeren Einflussen, die Geduld und Sanftmut, das Streben nach frommer Erkenntnis von noch anderen, von Allen ihre Liebe zu Christo und unter einander. So trachtete, er täglich vollkommner zu werden.

Nun blieben aber die schweren Versuchungen und Kämpfe nicht aus, welche bei solcher widernatürlichen Auflehnung gegen die von Gott eingesetzte Ordnung des äußern menschlichen Lebens selten fehlen, welche aber in damaliger Zeit nicht von verstecktem Stolz und zurückgedrängten Trieben, sondern von dem besonderen Hass des Teufels gegen einen solchen Gott besonders gefälligen Wandel in lauter Enthaltungen und geistlichen Übungen abgeleitet wurden. Durch eine lange Reihe von Jahren bin bis in’s Greisenalter ist Antonius Leben, wie der große Athanasius es uns (in einer den Grundlagen nach wohl echten Biographie) überliefert hat, mit Erzählungen von solchen, teilweise sehr abenteuerlichen Kämpfen angefüllt, welche gewiss oft Gebilde einer erhitzten Phantasie waren, und so betrachtet vielfach Blicke in das Innere des sonst echt christlichen Mannes tun lassen. Zuerst hielt ihm der Teufel die Bilder der aufgegebenen Güter und Annehmlichkeiten, seiner kleinen Schwester, seiner übrigen Familie vor, und erregte viel Staub böser Gedanken in seinem Herzen; dann entflammten sinnliche Bilder sein Inneres, ja, der Teufel erschien ihm sogar in Gestalt eines schönen Weibes, wie es so oft denen ergangen ist, welche gewaltsam Gottes Naturordnung durchbrechen wollen, um einer vermeintlich höheren, ja übermenschlichen Vollkommenheit nachzutrachten. Statt sie durch das Bewusstsein und die Übung eines himmlischen Berufs, durch positive begeisternde Gedanken und Gefühle zu verdrängen, wollen sie mit jenen Bildern kämpfen, durch immer gesteigerte äußere Strenge darüber Herr werden. Dadurch verkörpern sich dieselben gewissermaßen und nehmen immer mehr die Gestalt dämonischer Mächte an, erscheinen z. B. wie Löwen, Ungeheuer und andere Schreckbilder, denen gegenüber die erhitzte Phantasie jene Anstalten macht und Tätigkeiten aufbietet, durch welche Gepolter, Gebrüll und anderes Geräusch entsteht, das wieder den Eindruck der Sache steigert. Auch diese Probe bestand Antonius mit unerschütterlicher Standhaftigkeit und gewann zuletzt eine Heiterkeit, die wohltuend aus seinem Gesicht wiederstrahlte, und eine Gemütsruhe, die durch nichts zu erschüttern war, wie er denn auch nicht rau wie ein Wüstenbewohner, sondern wie ein gebildeter Mann in seinem Äußeren sich darstellte.

Dabei hat es weniger Interesse, im Einzelnen zu verfolgen, wie er sich, je mehr er Bewunderung erregte, in immer einsamere und wildere Wüsten zurückzog, wie er namentlich später in einer verfallenen Veste lebte, die voll war von Ungeziefer und wildem Getier, und wie er mit Dämonen in den verschiedensten Gestalten, die ihn bald mit List, bald mit Gewalt antasten wollten, siegreiche Kämpfe hatte, welche von Malern oft auf anziehende Weise sind dargestellt worden. Sein Siegel und seine sichere Mauer war der Glaube an den Herrn, der ihm auch wohl sichtlich nahte. Der Eindruck dieser seiner Glaubensfreudigkeit war so groß, dass auch in den tiefsten Einöden sich Rat und Hilfe Suchende bei ihm einfanden, denen er sie im Namen des Herrn Jesu Christi, oft auf wunderbare Weise, brachte. Athanasius erzählt eine Menge von Wundern, die durch ihn geschahen; von einer Dämonenaustreibung bei seiner Abreise aus Alexandrien war er selbst Augenzeuge, wie dieselbe auch nichts Unglaubliches hat, „da diese Art dem Fasten und Beten weicht.“ Er selbst hatte auch Gesichte und sah seine Zweifel oft durch göttliche Offenbarungen gelöst, die ihn, wenn auch nicht mit Paulus dem Apostel in den dritten Himmel, doch so zu sagen in die Vorhalle desselben versetzten.

Wichtig ward er für die ganze christliche Kirche dadurch, dass er, ohne es zu beabsichtigen, der Stifter des sogenannten Mönchstums wurde, indem sein Beispiel viele Nacheiferung erweckte und sich überall Jünger um ihn sammelten, welche dann diese „philosophische Lebensweise“ weiter verbreiteten, wenngleich erst ein anderer Ägypter, Pachomius, der unabhängig von ihm einen ähnlichen Weg ging, derselben Regel und Gestalt im eigentlichen Klosterleben gab. Die große Wirkung, welche die Unabhängigkeit dieser Männer von dem, was sonst die Welt reizt oder schreckt, behauptete, gab ihnen, namentlich unter ungebildeten Völkern, eine große Macht, und sie sind in der Hand der Vorsehung ein höchst wirksames Mittel der Verbreitung des Gottesreiches und der Gesittung geworden, sie haben Wildnisse urbar gemacht, die nur durch ihre Entsagung der Kultur gewonnen werden konnten – auf dem Gebiete des äußeren sinnlichen, wie des sittlichen und religiösen Lebens. Das darf auch von dem nicht vergessen werden, der die wüsten Ausartungen im höchsten Grad verabscheut, welche im Klosterleben der werkheiligen katholischen Kirche hervorgetreten sind.

Jene Macht zeigt sich schon in Antonius Leben. In seinem 60sten Lebensjahr lockte ihn eine blutige Verfolgung, die Kaiser Maximin 311 über Ägypten verhängte, nach Alexandrien, wohin er gefangene Christen aus Oberägypten mit andern Einsiedlern begleitete, um sie zu versorgen und zu verpflegen. Seine Erscheinung machte dort großen Eindruck; aber trotzdem und obgleich er unter allen Mönchen allein dem Befehl des Statthalters, dass sie alle die Stadt verlassen sollten, nicht gehorchte, ja beim Verhör der christlichen Glaubenszeugen in glänzend weißem Gewand anwesend war, so dass er bemerkt werden musste, fand er hier nicht den ersehnten Märtyrertod, den aufzusuchen seine Grundsätze ihm nicht erlaubten; wahrscheinlich fürchtete der Statthalter, der Eindruck seines standhaften Märtyrertums möchte ein zu mächtiger werden und schonte ihn deshalb. Kurz, er durfte in seine Einsamkeit zurückkehren, zog aber mit Sarazenen in noch entlegenere Gegenden, um sich den immer mehr Zudringenden zu entziehen und seine Einsamkeit zu bewahren, weil „ein Einsiedler so wenig außerhalb der Einöde leben könne, wie ein Fisch außerhalb des Wassers.“ Doch kam er von jetzt an dann und wann nach Alexandrien, um entweder Bedrückte zu schützen und zu trösten oder Ketzereien zu bekämpfen. So erschien er als ein hochbetagter Greis in den Arianischen Streitigkeiten, wohl nicht, wie man gewöhnlich annimmt, im Anfang derselben, sondern, wie aus der Form seiner Bekämpfung hervorzugeben scheint, wohl erst unter Constantius, vielleicht um 340, da der Arianismus durch weltliche Macht begünstigt wurde. Er wirkte hier mit solchem Erfolg schon durch seine Erscheinung, dass in den wenigen Tagen seines Aufenthalts daselbst mehr Heiden zum Christentum bekehrt wurden, als sonst in einem Jahr. Er war aber auch nicht nur von großer Glaubensstärke, sondern auch ausgezeichnet durch Geisteskraft und Geistesgegenwart. Dies zeigte er namentlich Solchen gegenüber, die kamen, ihn zu verspotten. So fragten ihn einst heidnische Philosophen, wie er doch allein ohne den Trost von Büchern bestehen könne; darauf antwortete er: Sein Buch sei die Natur der Dinge, worin er das Wort Gottes lesen könne, so oft es ihm gefiele. Auch tat er die Gegenfrage: ob der Verstand für älter zu halten, oder die Gelehrsamkeit? und als ihm geantwortet wurde ersterer, sprach er: „So braucht, wer einen gesunden Verstand hat, keine Gelehrsamkeit.“ Sie gingen weg, indem sie eine solche Einsicht in einem ungelehrten Manne bewunderten. Wenn ihn solche mit der Torheit des Kreuzes verspotten wollten, antwortete er ihnen mit Nachweisung des ungereimten und unsittlichen Inhalts der heidnischen Fabeln. Dann kam er zu der entscheidenden Frage: was in der Überzeugung vorangehe, unmittelbarer, aus Erfahrung geschöpfter Glaube oder Vernunftbeweis. Da sie zugaben: ersterer, wies er darauf hin, wie das ganze Christentum sich auf einen solchen Glauben an Christum gründe. Die Folge sei, dass das überall gepriesene Heidentum immer mehr zu Grunde gebe, das geschmähte und verspottete Christentum über Aberglauben und Weisheit desselben den Sieg davontrage. Dann bewies er faktisch des Kreuzes Kraft durch Austreibung der Teufel aus einigen Besessenen. Mit Sokratischer Feinheit ging er zu Werke, da ihm ein paar griechische Philosophen nahten, um sich an ihm zu reiben. „Warum habt ihr, weisen Männer, euch zu mir, einem Toren, herbemüht?“ Da sie sagten, dass er keinesweges ein Tor, sondern ein sehr einsichtsvoller Mann sei, sprach er: wenn ihr mich dafür anerkennt, so werdet doch wie ich; denn das Gute soll man nachahmen, und wäre ich zu euch gekommen, würde ich euch wohl nachgeahmt haben. So aber bin ein Christ. Verwundert über ihn begaben sich jene weg.

Als er, 105 Jahre alt, seinen Tod herannahen fühlte – er starb 356 – sorgte er noch dafür, dass sein Leichnam verborgen bliebe, damit er nicht nach ägyptischer Art einbalsamiert und irgendwo im Haus bewahrt würde. Die beiden vertrautesten Schüler, welche in den letzten Jahren um ihn gewesen, mussten ihn begraben und bewahrten das Geheimnis treulich. Dennoch meinte man zwei Jahrhunderte später seinen Leichnam aufgefunden zu haben, der im 10ten Jahrhunderte nach Vienne in Frankreich gebracht wurde; seitdem ward in der Römischen Kirche bei ihm, der so angelegentlich überall auf Jesum, seinen Herrn und Meister, hingewiesen hatte, wo es die Forderung von Wundern galt, Hilfe gegen Krankheiten aller Art gesucht, namentlich das sogenannte Feuer des heiligen Antonius, eine furchtbare, im Mittelalter einmal herrschende Seuche, bei der die Glieber abfaulten oder abtrockneten.

Ohne ihm aber beizulegen, was er nicht war, dürfen wir doch in ihm einen edlen, wahrhaft frommen und selbstverleugnenden Christen sehen, dessen Ermahnung an seine Mönche, wie Athanasius uns dieselbe mitteilt, beweist, dass die Erfahrungen seines Lebens nicht ungenutzt an ihm vorübergegangen sind. Er sagt darüber in jener Rede unter Anderm (nach Neanders freier, aber treuer Übersetzung):

„Mögen wir uns nur keine Schreckbilder von bösen Geistern vormalen, mögen wir uns nicht betrüben, als wenn wir verloren wären. Lasst uns vielmehr immer getrost und freudig sein als Erlöste, und lasst uns eingedenk sein, dass der Herr mit uns ist, der sie besiegt und zu nichte gemacht hat. Lasst uns immer daran denken, dass, wenn der Herr mit uns ist, die Feinde uns nichts tun können. Die bösen Geister erscheinen uns verschieden nach den verschiedenen Gemütszuständen, welche sie bei uns vorfinden. Finden sie uns feige, so vermehren sie unsere Furcht durch die Schreckbilder, welche sie in uns erregen, und in diesen quält sich dann die unglückliche Seele. Finden sie uns aber freudig in dem Herrn, mit der Betrachtung der zukünftigen Güter und der Dinge des Herrn beschäftigt, daran denken, dass Alles in der Hand des Herrn ist, und dass kein böser Geist gegen den Christen etwas vermag, so wenden sie sich beschämt hinweg von der Seele, welche sie durch solche Gedanken verwahrt sehen.“

Darum verbot er auch denen, die sich unter seiner Leitung zu Einsiedlern oder Mönchen, d. h. Einsamen, ausbildeten, den Müßiggang. Sie sollten ihre Zeit, wie er es auch selbst tat, mit Handarbeiten, geistlichen Übungen, seelsorgerischer Tätigkeit, frommer Selbstbetrachtung usw. ausfüllen. Für solche, die nicht den entschiedenen Beruf für ein beschauliches Leben haben, ist die Gefahr immer groß, in leere Stumpfheit oder in hochmütige Selbstbespiegelung zu verfallen; vor beiden schützte den Antonius ein echt christlicher Sinn und die durch denselben verklärte Eigentümlichkeit einer beschaulichen Natur. Sein berühmtester Schüler war Hilarion.

L. Pelt in Remnis bei Greifswald.