Nonna

Die fromme Nonna hatte sich lange bemüht, ihren Gemahl Gregorius, welcher einer nicht christlichen Religionssekte angehörte, für das Evangelium zu gewinnen. Oft betete sie mit heißen Thränen für sein Heil, drang in ihn mit langem Zureden und mit nachdrücklicher Rede, aber mehr als das Alles wirkte, wie Gregor von Nazianz, ihr Sohn, sagt: ihre im Leben sich bewährende Frömmigkeit und ihr anhaltendes Gebet. In allen äußerlichen Dingen ihrem Gatten nach dem Gesetz der Ehe unterthan, verstand sie es doch in wahrer Frömmigkeit seine Lehrerin und Führerin zu sein. Sie löste die schwere Aufgabe, eine höhere Bildung vornehmlich in der Erkenntnis göttlicher Dinge, und strenge Uebung der Andacht mit pünktlicher Sorge für ihr Hauswesen zu vereinigen. War sie im Hause thätig, so schien sie von den Uebungen der Frömmigkeit nichts zu wissen; beschäftigte sie sich mit Gott und seiner Verehrung, so schien ihr jedes irdische Geschäft fremd zu sein: sie war bei jedem ganz und ungetheilt. Erfahrungen hatten ihr unbegrenztes Vertrauen auf die Wirkungen des glaubensvollen Gebets eingeflößt. Sie war daher die fleißigste Beterin, und überwand durch das Gebet auch die tiefsten Empfindungen des Schmerzens über eigene und fremde Leiden. Sie hatte dadurch eine solche Gewalt über ihre Seele erlangt, daß sie bei allem Traurigen, was ihr begegnete, nie einen Klagelaut ausstieß, ehe sie Gott dafür gedankt hatte. Am wenigsten hielt sie es geziemend, Thränen zu vergießen, oder ein Trauerkleid anzulegen an den Tagen der Christlichen Festfreuden; so vollständig war sie durchdrungen von dem Gedanken: „eine gottliebende Seele müsse alles Menschliche dem Göttlichen unterordnen“. Wichtiger als die Uebungen der Andacht war ihr der thätige Gottesdienst: Unterstützung der Witwen und Waisen, Besuche der Armen und Kranken. Unerschöpflich war ihre Freigebigkeit, ja selbst in’s Uebermaß ausartend, so daß sie, wie ihr eigener Sohn erzählt, sagen konnte: „Sie könnte, wenn es anginge, sich selbst und ihre Kinder verkaufen, um das erlöste Geld den Armen zu geben.“ Ein tägliches Vorbild dieser Art konnte auf den ernsten, empfänglichen Sinn des Gatten nicht ohne Einfluß bleiben. Der immer fort anschlagende Wassertropfen mußte endlich den Felsen erhöhlen. Oft hatte Nonna ihn vergebens gebeten, mit ihr Ps. 122, V. 1. zu singen: „Ich freue mich des, daß mir geredet ist, daß wir werden in’s Haus des HErrn gehen.“ Einst träumte er nun, daß er diesen Vers mit seiner Frau sänge. Dieser Traum machte so großen Eindruck auf ihn, daß ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht ergriff, an dem beseligenden Leben seiner Frau theil zu nehmen, und diesen günstigen Eindruck wußte sie sogleich, wie sie ihn selbst als Wirkung des HErrn betrachtete, glücklich zu benützen, und der Erfolg ward, daß Gregor nicht nur ein Christ wurde, sondern nach einiger Zeit zum Bischof der Gemeinde Nazianz erwählt ward.

Dieselbe Nonna eilte mit ihrem Erstgebornen, dem nachher berühmten Kirchenlehrer Gregor von Nazianz, sobald sie konnte, in die Kirche, weihte ihn Gott, daß sein Leben der Religion besonders dienen möge, und legte als Zeichen der Weihung, wie damals in solchen Fällen zu geschehen pflegte, ein Evangelienbuch in die Hand des Kindes. Die Erinnerung an diese erste Weihe machte auf das Gemüth Gregors wiederholt die gesegnetsten Eindrücke. Als Jüngling war er auf stürmischer See dem Schiffbruche nahe, und es schmerzte ihn besonders, daß er ungetauft sterben sollte. Da betete er mit heißen Thränen, daß Gott sein Leben Ihm zum Dienste erhalten möge. Und da er dann sein Gebet erhört sah, betrachtete er dies als eine zweite Weihe, als eine neue Verpflichtung zu einem ganz Gott geweihten Leben. Der Sohn, der nie ohne Gefühl der innigsten Dankbarkeit, besonders wegen des von ihr empfangenen Segens für das höhere Leben, an die Mutter Nonna zurückdachte, schilderte sie mit folgenden Zügen: „Nie besuchte sie das Theater; wenn sie gleich tiefe Empfindungen hatte, und selbst die Leiben Anderer tief empfand, ließ sie doch keine plötzliche Trauerempfindung auf solche Weise ihrer Seele sich bemeistern, daß sie nicht bei Allem, was ihr begegnete, zuerst Gott gedankt hätte. Bei Allem, was sie auch Trauriges betreffen mochte, faßte sie ihre Seele in Geduld und Ergebung, nie legte sie an einem Festtage ein Trauergewand an, denn immer wurde bei ihr das Menschliche von dem Göttlichen überwogen, die religiösen Gefühle siegten bei ihr über alle anderen, die Heilsangelegenheiten der ganzen Menschheit bewegten ihr Herz noch tiefer, als alles Persönliche. Mit ehrfurchtsvoller Andacht erschien sie in der Kirche; betend in der Kirche fand sie ihren Tod.“

Die Wirkung dieser christlichen Erziehung der frommen Nonna zeigte sich, wie bei Gregor, so auch bei ihrem zweiten Sohne Cäsarius. Zwar nahm er einen andern Lebensgang als Gregor; er wurde mehr in die Zerstreuungen des Weltlebens hineingeworfen; er erhielt alle kaiserlicher Leibarzt einen angesehenen Platz am Hofe zu Constantinopel. Er blieb sogar am Hofe, als der Kaiser Julian zur Regierung kam. Dieser dem Christenthume so feindselige Fürst, der alle ausgezeichneten Talente gern der christlichen Kirche entzog und für das Heidenthum gewann, wandte auch bei Cäsarius alle Arten der Ueberredungskunst und Versprechungen an. Schon war die Familie in der größten Besorgnis seinetwegen. Der Mutter mußte man Alles zu verbergen suchen, weil man wohl wußte, daß ihr frommes Gemüth hier auf das Empfindlichste verletzt werden konnte. Aber auch Cäsarius hielt den Glauben für die Perle, für die man alles Andere verkaufen müsse, und er verließ den Hof des Kaisers, um an der Gunst des Allerhöchsten nicht Schaden zu leiden. Als er, nach dem Tode dieses Kaisers, wieder zum Hofleben zurückgekehrt war, brachte eine merkwürdige Fügung eine neue Erweckung in ihm hervor. Bei einem Erdbeben, welches die Stadt Nicäa in Bithynien verheerte, wo er ein ansehnliches Amt bekleidete, wurde er unter den Trümmern seines Hauses begraben; doch wurde er gesund wieder hervorgezogen. Da regte sich in ihm Reue über sein früheres Leben, und er that das Gelübde, ganz von Neuem und zwar mit aller Strenge Gott zu dienen. Die Taufe, die man damals auf das Ende des Lebens aufzuschieben pflegte, war für ihn der Anfangspunkt eines neuen Abschnitte seines nun mit höherem Ernste erfüllten Lebens. Doch konnte er wenig von seinen neuen Vorsätzen in dem irdischen Leben ausführen, denn bald wurde er zum ewigen Leben abgerufen. „Ich vermache Alles, was ich habe, den Armen“, waren seine letzten Worte.

Auch an ihrer Tochter Gergenia erlebte die fromme Nonna hohe Freude: denn auch diese trat in ihre gottseligen Fußstapfen, sie hielt nicht allein ihren Mann von Sünden ab, sondern erzog auch ihre Kinde und Neffen in der Furcht Gottes. So lang sie lebte, ging sie ihnen mit dem Muster eines gottseligen Lebens voran, und als sie starb, gingen ihre letzten Erinnerungen darauf hin, daß sie sollten Gott fürchten und in Seinen Wegen wandeln. Es hatte aber ihre Frömmigkeit einen um so höheren Werth, da sie es nicht sowohl auf äußerliche Frömmigkeit anlegte, als vielmehr auf wahrhaftige innerliche Gottseligkeit, und vor Allem bemüht war, demjenigen zu gefallen, der in das Verborgene siehet.