Die heilige Agnes, durch ihren Namen schon als die „unbefleckte“ und „jungfräuliche“ gepriesen, prangt unter den Blumen des Märtyrergartens Gottes als die weiße Lilie, und gewährt durch den grellen Gegensatz ihrer zarten Jugend und des blutigen Looses, das ihr, der dreizehnjährigen schon, während der Diocletianischen Verfolgung beschieden war, vor Andern einen eben so erhebenden als rührenden Anblick. Römerin von Geburt, einem edeln Geschlecht entsprossen, hatte sie aus den Verkündigungen der verachteten Nazarener nicht so bald den Herrn Jesum, und in Ihm den Sohn des lebendigen Gottes und einigen Heiland der Welt erkannt, als sie auch mit jener ungetheilten, feurigen Liebe sich Ihm hingab, die nichts mehr weiß noch wissen mag, als Ihn, und alle Herzen Ihm glaubt erobern zu müssen. Wirklich gelang es ihr, ihrer Gespielinnen und Gefreundeten Viele mit dem Odem ihrer heiligen Begeisterung erwärmend anzuhauchen und Christo zuzuführen. Was Wunder, daß darob des Satans Neid entbrannte? – Schien doch durch die Zartheit des Gefäßes, welches das Himmelslicht umschloß, dem letztern ein nur um so siegreicherer und ungehemmterer Durchbruch in die Nacht des Heidenthums ermöglicht. Wie fein jedoch der Arge seine Netze spinnen und wie scharf er seine Pfeile schleifen mochte, der Takt der Unschuld erweist sich im immer feiner, und undurchdringlich ist der Schild des Glaubens.
Es währte nicht lange, als auch Agnes die Wahrheit des apostolischen Wortes erfuhr, daß “ Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, Verfolgung leiden müssen.“ – Der Vorgesetzte der Stadt, Symphronius nennt ihn die Ueberlieferung, dem der stille aber mächtige Einfluß der jungen Bekennerin mehr und mehr ernste Besorgnisse für die Religion des Staates einzuflößen begann, stellte ihr endlich, nachdem alle Ueberredungskünste an der Klarheit ihres Geistes, wie an der Festigkeit ihres Glauben gescheitert waren, unter feierlicher Geltendmachung seiner ganzen Amtsgewalt die Wahl, entweder durch ein den Göttern, und, falls sie es vorziehe, immerhin nur der jungfräulichen Minerva, dargebrachtes Opfer dem Christenthum förmlich zu entsagen, oder sich auf das Loos einer öffentlichen Preisgebung gefaßt zu halten.
Mit dem Gleichmuth einer Seele, die in den Händen Dessen sich geborgen weiß, der den Seinen verheißen hat, daß er sie behüten wolle „wie einen Augapfel im Auge,“ entgegnete Agnes: „Kenntest du den Herrn, dem ich diene, du muthetest Solches mir nicht zu. Ich verkünde dir, daß mein Herr weder bis zum Rückfall zu deinen Götzen mich verlassen, noch zugeben wird, daß man meines Kranzes mich beraube!“ –
„So weihe ich dich denn der öffentlichen Entehrung,“ herrschte der Präfekt, und ertheilte Befehl, daß man die Störrige an der Ecke einer volkreichen Straße ausstelle. Also geschah’s. – Da stand sie denn wie ein stilles Opferlamm, aber getrost in Gott. Und siehe, die Menge wogte still und ehrfurchtsvoll wie an einer Heiligen an ihr vorüber, und Niemand fühlte sich auch nur versucht, einen verletzenden Blick ihr zuzuwerfen. Zuletzt erfrechte sich ein loser Bube, mit frevelm Ansinnen der Jungfräulichen sich zu nähern; aber nicht allein wich er vor dem Glanze der Unschuld, der wie ein himmlisches Lichtgewand die Holdselige umfloß, beschämt und verwirrt zurück, sondern wurde auch in demselben Augenblicke wie von einem ungesehenen Blitz getroffen, und stürzte geblendet und halbentseelt zu Boden. Die Ueberlieferung meldet, daß er in Folge der Fürbitte der Agnes Leben und Augenlicht wieder erhalten habe.
Diese Thatsachen indeß vermochten die Erbitterung der Feinde so wenig zu beschwichtigen, daß sie vielmehr nur neues Oel in dies selbe gossen. „Hinweg mit der Zauberin! “ schrie die tobende Rotte um so ergrimmter, je mächtiger sich das Gefühl, besiegt zu sein, in ihnen geltend machte, und der Präfekt verurtheilte die Schuldlose als eine „Verächterin der Götter“ und „Verführerin des Volks“ zum Tode durch das Schwert. –
Der Henker naht. Freudig, als ging’s zu einem Ehrenthrone, wandelt sie zum Blutgerüste. – Der Dichter Prudentius, den wir aus seinem Lobgesange auf den heiligen Laurentius schon kennen, besang in seinem Buche „von den Siegeskränzen“ auch das Märtyrerthum der heiligen Agnes, und legt dieser in dem Momente, da der Mordstahl sich wider sie entblößte, folgende Werte in den Mund:
„Vor einem Werber, rauher Mann, wie Du,
Der mit dem Schwerte schreitet auf mich zu,
Der statt mit Salbenduft und Schmeichelwort
Mit finstrer Drohung mir sich naht zum Mord, –
Vor einem Solchen kommt kein Graun mich an,
Ja freudig will ich selber ihm mich nah’n.“.
Der Dichter fährt dann fort:
„Sie spricht’s, und während drauf zum Herrn sie fleht
In stillem, heißem, innigem Gebet,
Hält sie das Haupt gesenkt, damit es gleich
Empfange den ersehnten Todesstreich.“
Der schauerliche Streich erfolgte, und „Christus,“ – so sagt der heilige Ambrosius in seiner der Verherrlichung der heiligen Agnes gewidmeten Gedächtnißrede, – „Weihete sich die Jungfrau, schön geschmückt mit dem Rosenrothe ihres eigenen Blutes, in der zweenfachen Würde einer Bekennerin und einer geistlichen Braut.“ Prudentius singt von ihrem Tode also:
„Was sie gewünscht, erfüllt des Schergen Hand:
Es fällt der Streich, – Heil ihr! – sie überwand.
Schnell kam der Tod dem Todesschmerz zuvor.
Es ringt der Geist sich los und schwebt empor.
Sie sieht, wie Gottes Engel ihr sich nah’n
Und sie geleiten hoch auf lichter Bahn.
Sie schaut erstaunt den Erdkreis unter sich
Von Dunkel eingehüllt, – sein Glanz erblich!
Sie lächelt über allen Tand der Welt,
Und Alles, was der Sonne Strahl erhellt;
Was in der Dinge dunkelm Lauf entsteht,
Und in der Zeiten raschem Flug vergebt:
Tyrannen, Königreiche, Glanz und Pracht,
und Ehre, die den Thoren eitel macht;
Gold, Silber, was der Menge Gier erweckt,
Und oft das Herz mit Sünd‘ und Schuld befleckt;
Der Prachtgebäude stolze Herrlichkeit,
Der Prunkgewänder eitle Nichtigkeit;
Gefahren, Sorgen, Wünsche, Haß und Zorn,
Der Freude Rose mit des Schmerzes Dorn,
Des blassen Neides Fackel, deren Rauch
Die Hoffnung trübt, den Ruhm der Menschen auch;
Und, was der Uebel schrecklichstes: die Nacht
Des Heidenthums und seine finstre Macht.
Dies Alles sieht sie tief im Nebelmeer
Vergeh’n, und siegreich schreitet sie einher.
Ihr Fuß tritt auf des alten Drachen Haupt,
Der Alles, was der Erde Tand bestaubt,
Vergiftet und zuletzt mit jähem Riß;
Hinabstürzt in das Reich der Finsterniß.
Er liegt gebändigt vor ihr wie ein Lamm,
Und senkt des feuerspei’nden Hauptes Kamm,
Und hebt, besiegt, den Nacken nicht mehr auf.
Indessen schwebt sie höher noch hinauf:
Da schmückt der Herr mit einem Doppelkranz
Der jungfräulichen Martyrstirne Glanz:
Der eine beut ihr sechzigfachen Lohn
Für all das Leid, dem sie nunmehr entfloh’n,-
Und hundertfachen beut der andre dar
Im Reich des Lichts, in der Gerechten Schaar!“
Die Eltern der Agnes, durch sie dem Herrn zugeführt, wachten nachmals öfter ganze Nächte durch in wehmüthiger Erinnerungsfeier bei dem Hügel der Verklärten, und wurden daselbst einst, — so berichtet die kirchliche Sage, – eines lieblichen Gesichts gewürdigt. Eine Jungfrauenschaar in golddurchwirkten Lichtgewändern schwebte vor ihnen nieder, und unter den leuchtenden Gestalten erschien auch Agnes, ein weißes Lamm zu ihrer Seite. Als die überraschten Eltern zurückbeben wollten, redete Agnes mit holdem Ton sie also an: „Betrauert mich nicht länger als eine Todte; ihr seht ja, daß ich lebe. Freuet euch mit mir, und wünschet mir Glück, daß ich mit diesen Allen die Wohnungen des Lichts ererbte, und nun ewig Dem im Himmel vereinigt bin, den ich auf Erden von ganzem Herzen liebte.“ Sie sprach’s, und verschwand. Von da an ward es kirchlicher Brauch, die h. Agnes mit einem Lamm zur Seite abzubilden.
In der Mitte des vierten Jahrhunderts schmückte ein römischer Bischof das Grab der h. Agnes auf dem nach ihr genannten Gottesacker mit einer Marmorplatte. In der Nähe des Letztern wurde nicht lange nachher die Kirche St. Agnese erbaut, welche im Jahre 626 von Grund auf erneuert wurde, in dieser zweiten Gestalt aber bis heute erhalten blieb. Es werden in ihr am Feste der 5. Agnes, den 21. Januar, die Lämmer geweiht, die den Nonnen irgend eines Klosters zur Auferziehung übergeben, und aus deren Wolle dann die Pallien oder Amtsgewänder gewoben werden, welche die römisch-katholischen Patriarchen und Erzbischöfe von dem Papste erhalten.
Der der Agnes geweihten Kirchen und Klöster ist eine große Zahl. Unter den letzteren erwähnen wir nur dasjenige des Agnesberges bei Zwolle, dessen Geschichte Thomas von Kempen mit um so größerer Liebe beschrieben hat, mit je höherer Begeisterung er selbst die jungfräuliche Patronin vor vielen andern Heiligen verehrte und feierte.
Die H. Agnes veranschaulicht und besiegelt mit ihrem Vorbilde die Wahrheit des Herrnwortes. an den Apostel: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig;“ und steht im Heiligen-Chore der Kirche als Zeugin da für die Alles überwindende Macht des Glaubens auch im schwächsten Gefäße. Aus diesem Gesichtspunkt hat die Kirche von Alters her sie angeschaut und den Erlösten zum Trost- und Musterbilde aufgestellt. „Ihr Männer,“ ruft der ehrwürdige Altvater Ambrosius aus, „bewundert die Agnes; ihr Kinder verzagt nicht mehr, nachdem ihr sie gesehen; staunet sie an, ihr Vermählten; ihr Unvermählten eifert ihrem Vorbilde nach.“ – „Sehet einen Glauben hier,“ fährt er fort, „über die Jahre, eine Tugend über die Natur hinaus. Sie, die noch nicht weiß, was Sterben sei, ist schon bereit zum Sterben. Sie, die das Leben kaum gekostet, gibt es dahin, als hätte sie es schon erschöpft.“ – In einem Opfer habt ihr hier ein zweenfaches Märtyrerthum: das der Jungfräulichkeit und das des Glaubens. Wer ist des Lobes werther, als wer von allen gelobt werden kann und muß?“ So der heilige Ambrosius. Wir stimmen in seine Worte ein. Die heilige Agnes prangt als ein Stern lieblichsten Glanzes am Himmel nicht blos der römischen, sondern der allgemeinen christlichen Kirche.
F. W. Krummacher in Berlin.