Columban

Bald nachdem die Irländer durch den heil. Patricius zum Christenthum bekehrt worden waren, erwachte unter den dortigen Mönchen ein wunderbares Sehnen, das Evangelium auszubreiten, und ließ sie in ihrer Heimath keine Ruhe finden. Zu diesen gehörte auch Columban, der gefeierte Lehrer des Gallus, geboren um 550 in der Provinz Leinster, erzogen und ausgebildet durch die Schätze des heiligen Worts und alle Mittel edlen Wissens, insbesondere auch durch die Schriften des classischen Alterthums, deren wirksame Kraft neben der Macht des Evangeliums in seinen nachmaligen ziemlich zahlreichen Schriften unverkennbar ist. Eingetreten auf den Rath einer ehrwürdigen Einsiedlerin in das, unter der Leitung des frommen und gelehrten Abts Comgall stehende, dreitausend Mönche umfassende, Kloster Bangor oder Bankor in Ulster, trieb ihn ein innerer Drang schon um 590, nach mühsam erlangter Zustimmung seiner Vorgesetzten, als Glaubensbote über das Meer nach Gallien zu gehen, wohin ihn zwölf seiner Brüder begleiteten. Von dorther hatten ja zuerst die irländischen Mönche sich ihre Kenntnisse geholt, und diese schienen nun also bestimmt zu sein, die Frucht derselben verbunden mit dem lebendigen Samen des Christenthums dankbar wieder dahin zurück zu bringen. Aber es herrschte hier eine verwilderte Zucht des sittlichen und kirchlichen Wesens; das steigerte jedoch den Eifer der Brüder um so mehr und entflammte ihre Gluth: die Menge derjenigen, die sich, dem Columban anschlossen und seiner Ordensregel unterwerfen wollten, ward bald sehr groß, die Tage des Martin von Tours schienen wiederkehren zu wollen. Der herrschenden Entartung setzte Columban mit seinen Genossen ein strenges und enthaltsames Leben voll Lauterkeit des Sinnes und Einfalt des Glaubens entgegen, so daß sich bald der Ruf der Heiligkeit um sie verbreitete. Der burgundische König Guntram lud sie ein, sich in seinem Gebiete niederzulassen, und nach dessen bald erfolgtem Tode setzte sein Nachfolger Childebert II. dieselbe Gunst gegen sie fort unter Verheißung königlicher Belohnungen. Columban sollte sich in einem Kloster niederlassen, das neben behaglicher Ruhe ihm großes Ansehen vor der Welt versprach. Aber er zog es vor, in demüthiger Selbstverleugnung das Kreuz Christi auf sich zu nehmen und ihm nachzufolgen. Er bauete sich also lieber auf den Ruinen eines alten Castells in einer öden Gegend des Vogesengebirges zu Anegray ein Kloster, verlegte jedoch bald, wie es scheint, seinen Sitz nach einem zweiten, Turovium oder Luxeuil, worauf die Errichtung noch anderer in der Nähe, sowie bei Besancon und im Juragebirge folgte. Die aus diesen Stiftungen gebildete Congregation, für welche Columban eine überaus strenge Ordnung entwarf, gewann bald den mächtigsten Einfluß und genoß eine allgemeine Verehrung; sie war fleißig und enthaltsam und schuf die unwirthbaren Strecken ihrer Ansiedelungen bald in blühende Felder um. Freilich fehlte es dabei an Arbeit und Mühe, Mangel und Entbehrung nicht; aber Columban war getrost in der Zuversicht des Psalmisten: Ich habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen oder seinen Samen nach Brod gehen. Und es hat ihn nicht getäuscht. Als sie einst drei Tage lang für einen kranken Bruder gebetet, hielt ein mit Lebensmitteln bepackter Reiter vor der Klosterpforte, gesendet von einem anderen Abte.

 

Aber eine wesentliche Veränderung brachte in diese so selbstständig und glücklich sich entwickelnden Verhältnisse der Tod des burgundischen Königs Childebert. Nicht blos zerfiel das Reich in zwei Theile, sondern es sollte auch Columban bald genug in diese weltlichen Händel verwickelt werden. Die herrschsüchtige Großmutter Brunhild suchte den älteren Sohn Theoderich, der in Burgund folgte, vom Eingehen einer ehelichen Verbindung abzuhalten und verleitete ihn, um ihn zum Throne unfähig zu machen, zu allerlei Ausschweifungen. Columban führte ihn durch ernste Ermahnung zur Pflicht zurück; er weigerte sich, die unehelichen Kinder desselben zu segnen und das sündliche Verhältniß, dem sie entsprossen waren, anzuerkennen. Da entzündete sich der ganze Haß der in ihren tückischen Plänen gestörten Brunhild gegen die Congregation, deren strenge Zucht ohnehin bei den weltlich gesinnten Bischöfen und Großen leicht in Ungunst zu bringen war. Die Bedrängnisse und Gewaltthätigkeiten, die daraus folgten, besiegte Columban unter nicht geringen Gefahren mit standhaftem Muthe. Hierzu kam noch ein Streit über die Zeit der Osterfeier, der selbst vor den Papst gelangte. Columban wünschte sich für seine Person und seine Klöster dem mit Ueberzeugung vertheidigten, wenn auch vom nicänischen Concile verworfenen orientalischen Gebrauche anschließen zu dürfen, und entwickelte die ganze Freimüthigkeit seines christlichen Standpunkts, treu seinem Grundsatze „kühn zu sein in der Sache der Wahrheit, unüberwindlich dem Bösen.“ Brunhild wußte es dem irre geleiteten Enkel als eine Verletzung der schuldigen Ehrfurcht und Unterthänigkeit darzustellen, daß Columban dem Könige selbst den, freilich gewaltsamen, Eintritt in seine Klöster verwehrt habe. Plötzlich befahl ihm der König nach Irland zurückzukehren, ließ ihn gewaltsam und, ohne daß ihm die Begleitung seiner heimathlichen Genossen zugestanden wurde, aus dem Kloster wegführen und zu Schiffe bringen. Zuvor noch richtete Columban von Nantes aus ein Schreiben an seine Brüder, ermahnte sie zur Eintracht und Unterwürfigkeit, und ergab sich dann in das, was über ihn verhängt schien. Aber der Herr hatte es anders beschlossen. Die Hindernisse der Winde und Wellen wurden von den Schiffern als ein Zeichen des göttlichen Zorns über die Behandlung ihres unfreiwilligen Gefährten angesehen; und als sie deshalb ihn mit allen seinen Sachen ans Land gesetzt, konnten sie wunderbarer Weise sofort absegeln. Wie es in der klaren Absicht seiner nachlässigen Beaufsichtigung lag, entfloh er und kam zum Könige von Neustrien, Chlothar II., der ihn willkommen hieß und seinen Rath in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten benutzte. Derselbe versah ihn auch mit dem nöthigen Geleite zu einer Reise nach Italien durch das austrasische Gebiet des Königs Theodebert. Aber hier, wo ihm die Gunst des Fürsten und mächtiger Vasallen entgegenkam, wo bald die Menge seiner Anhänger und Schüler zusammenströmte, wurde er festgehalten und zur Errichtung einer neuen Verkündigungsstätte evangelischer Wahrheit veranlaßt. Er drang über den Rhein tief in das Gebiet der Alemannen hinein, fand in Bregenz einen christlichen Geistlichen Willimar, stürzte in Tuggen oberhalb des Zürichersees die Götzenaltäre und vernichtete die heidnischen Opfergebräuche. Unterstützt von seinem Schüler Gallus, suchte er alle noch übrig gebliebenen schwachen Spuren des Christenthums unter Alemannen und Sueven aus der früheren römischen oder aus der fränkischen Herrscherzeit auf und verkündete allenthalben die Botschaft des Heils. Aber auch diese friedliche Wirksamkeit störte der 612 ausgebrochene, von ihm im Geiste vorausgesehne Krieg. Theodebert unterlag bei Zülpich seinem älteren Bruder, gerieth in dessen Gefangenschaft und wurde von der unnatürlichen Großmutter ermordet. Aber nach dem bald darauf auch erfolgten Tode Theoderichs konnte sich dessen Sohn Sigebert nicht gegen Chlothar halten: das burgundische Reich ward gänzlich von Neustrien verschlungen.

 

Columban zog über die Alpen nach der Lombardei, wo er sich zunächst bei Mailand niederließ, das Vertrauen des Königs Agilulf genoß und erwünschte Gelegenheit fand, den unter den Lombarden herrschenden Arianismus mit den Waffen des Geistes zu bekämpfen. Er gründete dann in einer hohen und einsamen Gegend der Apenninen, wo dicht an der Trebia die Trümmer einer alten Basilika des Petrus gezeigt wurden, das nachmals so berühmt gewordene und über alle burgundischen Anstalten dieser Congregation sich weit erhebende Kloster Bobbio, südlich von Pavia. Hier fand er die ersehnte Ruhe wieder, die freilich zugleich seine letzte irdische war; er sollte sie nicht lange mehr genießen, denn schon das Jahr 615 wird als sein Todesjahr bezeichnet. Aber Bobbio blieb eine Muster-Anstalt, deren Richtung maßgebend wurde und deren Segen unverkümmert fortdauerte durch lange Generationen. Sie wurde seine berühmteste Schöpfung und erwarb sich große Verdienste um die Pflege der Wissenschaften. Ihr wollte er treu bleiben und konnte daher auch der Einladung Chlothars zur Rückkehr nach Luxeuil nur mit einer angelegentlichen Empfehlung dieser Stiftung antworten. Zwar vereinigte sich sein Orden im 9. Jahrhundert mit dem der Benedictiner-Mönche, und im 12. Jahrhundert erlosch auch die letzte Spur von der Befolgung der Vorschriften Columbans: die Stiftung Benedicts brachte das römische Mönchthum zum vollkommenen Siege. Aber mit seinem Namen erlosch die Wirkung seines Geistes und der Segen seiner Arbeit nicht; man kann selbst sagen, sie sei noch in jener erneuerten prächtigen Schöpfung vom J. 1612 wieder aufgelebt, welche die alten Ordnungen herstellte und unter anderem auch die treffliche Ambrosius-Bibliothek in Mailand enthielt. Aber eben so schön als das Bild seiner äußeren Wirksamkeit ist der Spiegel seines inneren Lebens.

 

Columban gehörte zu jenen tiefen, geistlichen Naturen, in welchen das Leben Christi eine feste Wurzel schlägt. Das ist gerade so anziehend an ihm zu sehen, wie die tiefe Andacht eines stillen Gemüthes mit der mächtig nach außen hin wirkenden Kraft verbunden ist; das ist ein klarer Beweis, wie fest der Sinn in Gott gegründet, wie gesund die christliche Einfalt eines solchen Lebens ist. Oft ging er mit seiner Bibel tiefer in den Wald hinein, las und meditierte gehend oder ließ sich mit dem Buche auf einem hohlen Baumstamm nieder. An Sonn- und Festtagen zog er sich gern in Felsenhöhlen oder an andere einsame Plätze zurück und gab sich hier ganz dem Gebete und dem Nachdenken über göttliche Dinge hin. Sein Glaube und seine Frömmigkeit ruhten nicht auf Menschensatzungen, sondern rein auf dem Worte der heiligen Schrift; daraus zog er die Nahrung seines inneren Lebens, auf daß Christus in ihm eine Gestalt gewinne. Und diese unmittelbare Beziehung zu dem Herrn, der in seiner Kirche waltet und in seinen Gläubigen lebt, war die wesentlichste Erscheinung seines Charakters. Darum waren auch Selbstverleugnung, des muthige Hingabe und Gehorsam gegen den göttlichen Willen in Christo die Seele seines Lebens. „Der tritt die Welt zu Boden“, sagt er, „wer sich selbst überwindet. Keiner, der sich selbst schont, kann die Welt hassen. In seinem eigenen Inneren allein liebt oder haßt er die Welt. Keiner kann sich selbst absterben, wenn nicht Christus in ihm lebt. Wenn aber Christus in ihm ist, kann er nicht sich selbst leben. Lebe in Christo, damit Christus in dir lebe. Mit Gewalt müssen wir jetzt das Himmelreich an uns reißen, indem wir nicht nur von unseren Widersachern, sondern am heftigsten von uns selbst bekämpft werden. – Wenn du dich selbst besiegt hast, bist du der Sieger über Alle.“

 

Freilich konnte ihm, der herrschenden Rohheit gegenüber, wohl begegnen, daß die Demuth sich auf den falschen theokratischen Standpunkt des Gesetzes bisweilen zurückversetzte, als ob der Christ, der die Gnade der Wiedergeburt zu einem neuen Leben empfangen hat, noch unter den Pflegern und Vormündern stehe. Nach dieser Seite hin gab er zwar seinem Orden eine überaus strenge sittliche Regel, damit das Leben in demselben bei dem herrschenden Mangel an Zucht im Volke nicht auch verwildere. Indessen wollte er doch nimmermehr, daß die strenge Zucht eine unerträgliche Last werden solle, die alles Leben ersticke; vielmehr forderte er, daß Alles, auch was zunächst Aufgabe des Gesetzes war, durch den Geist hingebender Liebe zur Natur werde. Ehrwürdig erscheint dabei jedenfalls sein Streben, mitten im Kampfe mit der rohen Natur das Bedürfniß des inneren Menschen und das ewige Heil seiner Seele festzuhalten und jenen täglichen Kampf unter schwerer Arbeit und irdischer Sorge als Uebungsmittel der Selbstverleugnung, des dienenden Gehorsams und des Gottvertrauens zu benutzen. „Gott wird erkannt mit dem frommen Glauben eines reinen Herzens und nicht mit unreinem und eitlem Gerede. Willst du mit deinen Grübeleien den Unaussprechlichen erforschen, so wird die Weisheit noch ferner von dir sein als sie war; ergreifst du ihn hingegen mit dem Glauben, so wird die Weisheit vor deiner Thür stehen.“ Das letzte Ziel lag ihm nicht im Gesetze, sondern in der Gnade Gottes, die in Christo erschienen ist; das wahre Leben lag ihm in der Liebe zu dem, der uns zuerst geliebet hat. „Unser ganzes Leben ist wie die Wanderschaft eines einzigen Tages. Das Erste für uns ist, hienieden nichts zu lieben, sondern nur, was droben ist, zu lieben, nur nach dem, was droben ist, zu verlangen, nur auf das, was droben ist, zu sinnen, nur droben das Vaterland zu suchen, wo der Vater ist. – Die Liebe ist keine Arbeit, es ist vielmehr etwas Süßes, Heilsames, Gesundmachendes für das Herz. Wenn das Herz nicht an Sünden krank ist, so ist dessen Gesundheit die Liebe.“

 

Auf diesen Grundlagen eröffnet sich für uns denn auch der Einblick in den wahrhaft evangelischen Charakter seines Strebens; hier erscheint er voll kühnen Muthes und selbständiger Freiheit in einer für seine Zeit und Stellung großartigen Weise. In solchem Sinne hat er sich vor den römischen Bischöfen Gregor I. und Bonifaz IV. in ehrerbietiger Freimüthigkeit ausgesprochen. Wir wissen, daß verschiedene Streitigkeiten, auch noch am Ende seines Lebens die Veranlassung zu einer bedrohlichen Kirchenspaltung, sein ernst mahnendes Wort zum Frieden hervorriefen. „Das ist – spricht er zum Papste – der rechte Schlüsselträger des Himmelreichs, wer durch die wahre Erkenntniß ihn dem Würdigen öffnet und dem Unwürdigen schließt.“ Er wußte daher auch, daß der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, die Geburtsstätte wahrhaftigen Lebens sei. „Kehret schnell zur Eintracht zurück“, fährt er weiter fort, „und verfolgt nicht alte Streitigkeiten, sondern schweigt vielmehr und übergebt die Streitigkeit ewiger Vergessenheit. Ist etwas zweifelhaft, so stellet es der göttlichen Entscheidung anheim; was aber offenbar ist, worüber Menschen urtheilen können, darüber richtet recht ohne Ansehen der Person. Erkennet einander gegenseitig an, daß Freude sei im Himmel und auf Erden über euren Frieden und über eure Vereinigung. Ich weiß nicht, wie ein Christ mit dem Christen über den Glauben streiten kann. Was der rechtgläubige Christ, der auf die rechte Weise den Herrn preist, sagen mag, so wird der Andere Amen dazu sagen, weil beide an dasselbe glauben und dasselbe lieben.“

 

Und über dem Leben und Wirken Columbans erhebt sich in einfacher Wahrheit das Zeugniß der Schrift (Dan. 12, 3): Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.

 

Friedr. Lübker in Parchim.