Johann Arnd

Welcher wahrhaft evangelische Christ im deutschen Lande kennte nicht den berühmten Verfasser des „Wahren Christenthums“ und des „Paradiesgärtleins“, den Cellischen General-Superintendenten, Johann Arndt, am Anfange des 17. Jahrhunderts? Geboren am Tage Johannis des Evangelisten, den 27. December 1555 zu Ballenstädt im Anhaltschen, erhielt er von seinem Vater, Jacobus Arndt (d. h. Adler), welcher daselbst als Pfarrer stand, den Vornamen Johannes. Früh schon wurde er in der Leidensschule geprüft, indem er im zehnten Jahre bereits seinen Vater durch den Tod verlor; indeß nahmen wohlwollende Freunde sich seiner an, und sorgten für seine fernere Erziehung und Ausbildung auf den Schulen zu Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg. Mit entschiedener Vorliebe neigte er sich zum Studium der Medicin und der Naturwissenschaften; eine heftige, lebensgefährliche Krankheit aber änderte plötzlich seine Lebensrichtung. Auf dem Krankenlager nehmlich gingen ihm ganz neue Blicke auf über das menschliche Herz und Leben, und er that das Gelübde, daß wenn ihn Gott wieder gesund machen würde, er fortan alle seine Gaben und Kräfte dem Studium der Theologie und dem Dienste der Kirche widmen wollte. Er genas und ward Theologe. Die Schriften des heiligen Bernhard, Tauler, Kempis und die deutsche Theologie gewährten ihm Trost, Erbauung und Geistesnahrung, wie bei Luther; in ihnen ging ihm, wie er sich selbst ausdrückt, das Licht der Besserung, der Andacht, der Heiligkeit und der geistlichen Weisheit auf. Vom 21. Jahre ab studirte er auf den Universitäten zu Helmstadt, Wittenberg, Straßburg und Basel, wo er zugleich seine früher eingesammelten medicinischen Kenntnisse bei dem berühmten Naturkundigen, Theodor Zwinger, noch zu erweitern suchte, auch schon mehrere Privatvorlesungen über Naturlehre, Sittenlehre und Rednerkunst hielt und mit großem Fleiß und Beifall den Brief an die Römer erklärte. Hier hätte er unfehlbar schon seinen Tod in den Fluthen des Rheins gefunden, wenn er, der des Schwimmens unkundig war, nicht von seinem Zögling, einem polnischen Baron, bei den Haaren herausgezogen und gerettet worden wäre. Im Jahre 1582, 27 Jahre alt, kehrte er nach seiner Heimath, Ballenstädt, zurück.

Nachdem er daselbst ein Jahr hindurch das Amt eines Schullehrers versehen und Erfahrungen mancherlei Art im Schulfach eingesammelt hatte, erhielt er seine erste Predigerstelle in dem nur wenige Stunden von dort entfernten Dorfe Badeborn 1583. Sieben Jahre verwaltete er treu und gewissenhaft sein Amt bei dieser seiner ersten Gemeinde, und wäre unstreitig noch länger dort geblieben, wenn nicht der Fürst Johann Georg mit Gewalt den Exorcismus in den Anhaltschen Kirchen hätte abschaffen und den reformirten Glauben einführen wollen. Arndt protestirte Gewissenshalber gegen diesen Eingriff des weltlichen Armes in die Heiligthümer der Kirche, ward am 21. September 1590 abgesetzt und Landes verwiesen. In demselben Augenblick aber erhielt er auch, durch Gottes wunderbare Vorsehung, zugleich zwei Vocationen, die eine nach Mannsfeld, die andere nach Quedlinburg. Er entschied sich für letztere, und wirkte hier volle neun Jahre in großem Segen, besonders 1598 (wo die Pest in der Stadt furchtbar wüthete, in dem einen Jahre gegen 3000 Menschen hinwegraffte), ward fleißig gehört, häufig von seinen dankbaren, ehemaligen Gemeindegliedem aus Ballenstädt und Badeborn besuche setzte sich jeder Lebensgefahr aus, tröstete, ermunterte, belehrte, ermahnte, wo und wie er wußte und konnte, und hatte, namentlich im Pestjahre, manchmal mit Studiren, Leichenpredigten und Beichtesitzen bis in die Nacht hinein zu thun. Dennoch fand er für alle diese Bemühungen und Anstrengungen nicht die wohlverdiente Anerkennung, ward im Gegentheil hart verläumdet, und dankte Gott, als er 1599 den Ruf nach Braunschweig erhielt und annehmen konnte.

Hier wirkte er wieder neun Jahre und hatte schwere Zeiten bürgerlicher Unruhen und wiederholter Belagerungen der Stadt durch den Herzog Heinrich Julius durchzumachen. Im Jahre 1605, in Arndt’s fünfzigstem Lebensjahr, erschien sein erstes Buch vom wahren Christentum, aus von ihm gehaltenen Wochenpredigten zusammengestellt, gewissermaßen das erste Erbauungsbuch der evangelischen Kirche. Theils aus Neid über Arndt’s gesegnete Wirksamkeit, theils weil in dem Buche mehrere Ausdrücke der früheren Mystiker vorkamen, griffen ihn seine Amtsbrüder, namentlich sein eigner College, als Schwärmer und Ketzer, auf und unter der Kanzel an, und verbitterten ihm dermaßen das Leben, daß die folgenden Jahre ihm rechte Kreuz- und Kampfjahre waren, und er schon daran dachte, sich in’s Privatleben zurückzuziehen und sein Amt niederzulegen, um nur Ruhe zu finden. Glücklicherweise war das nicht nöthig. Der Ruf nach Eisleben 1608 machte diesen Streitigkeiten vorläufig ein Ende. Inzwischen hatte das erste Buch vom wahren Christenthum außerhalb Braunschweigs bereits so viel Absatz, Anerkennung und Lob gefunden, daß der Wunsch nach Fortsetzung des herrlichen Werkes immer lauter und allgemeiner sich aussprach, und 1609 Arndt sich bewegen ließ, noch drei Bücher herauszugeben, jedes unter einem besondern Titel; das erste hieß das Buch der heiligen Schrift, das zweite das Buch des Lebens, das dritte das Buch des Gewissens, das vierte das Buch der Natur. Das Grundthema aller Bücher war: Christus in uns, fußend auf dem Christus für uns. Auch in Eisleben hatte Arndt 1610 eine schwere Pestzeit durchzuleben und schon sein Testament gemacht; Gott aber bewahrte ihn vor der ansteckenden Krankheit, denn Er hatte noch Größeres mit ihm im Sinn; im Jahre 1611 berief ihn der Herzog Christian zum General-Superintendenten des Fürstenthums Lüneburg nach Celle. Hier begann Arndt’s letzte und umfassendste Wirksamkeit. Wichtig ist diese Zeit namentlich durch die General-Kirchenvisitation, welche er 1615 in sämmtlichen Kirchen des Fürstenthums veranstaltete; eine völlig neue, aber erfolgreiche Erscheinung: die von Arndt entworfenen Protocolle und Berichte nahm der Herzog selbst zur Hand, und traf danach die nöthigen Verbesserungen zum Besten der Kirche. Hier gab Arndt seine Predigten heraus über die Evangelien, über den ganzen Psalter und über Luther’s Katechismus. Hier feierte er 1617 das Reformationsjubiläum der evangelischen Kirche. Hier ließ er die deutsche Theologie und eine Uebersetzung des Thomas v. Kempis erscheinen. Sein bloßer Name reichte hin, um alle diese Bücher zu empfehlen und ihnen großen Eingang zu bahnen. Hier entwarf er 1619 eine neue Kirchenordnung, viel vollständiger und umfassender, als die frühere. Hier hielt er am 3. Mai 1621 seine letzte Predigt über die Worte: „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten, sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen, und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“ (Ps. 126, 5. 6.) Als er erschöpft nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: „Ich habe jetzt meine Leichpredigt gethan.“ Ein hitziges Fieber warf ihn auf’s Krankenlager, von welchem er nicht wieder aufstehen sollte; von Tag zu Tag schwanden seine Kräfte immer mehr: am 9. Mai genoß er nochmals das heilige Abendmahl, und am 11. Mai ging er Nachts um halb 12 Uhr ein zu seines Herrn Freuden, im 66sten Jahre seines Alters, nachdem er vorher noch aus dem 143sten Psalm gebetet: „Herr, gehe nicht in’s Gericht mit Deinem Knecht :c.“; bald darauf in die Worte ausgebrochen: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als die des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit; jetzt habe ich sie gesehen; ei, welch‘ eine Herrlichkeit ist das! Die Herrlichkeit ist es, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz kommen ist; diese Herrlichkeit habe ich gesehen;“ und um 9 Uhr zuletzt noch gesagt: „Nun habe ich überwunden!“ –

Seine Lebenslosung war: „Christus hat viele Diener, aber wenig Nachfolger.“ Seine Gemeinden und Zeitgenossen rühmen seine Freundlichkeit und Dienstfertigkeit, seine Demuth und Wohlthätigkeit, seine Geduld und Nachgiebigkeit, wo er eines Bessern überzeugt wurde, und vor allem seinen Gebetsgeist, der im Paradiesgärtlein Worte gewinnt und den er unter seinen vielen bittern Leiden und Angriffen gelernt und geübt hatte. Sein Hauptwerk aber, das ihn allein schon unsterblich gemacht hat, ist und bleibt sein wahres Christenthum. Fast in alle Sprachen der Welt ist es übersetzt worden, und nicht zu zählen sind die verschiedenen Ausgaben und Auflagen, welche es erlebt hat. Sehr gern hat er über dasselbe gepredigt, Dr. Beyer in Jena hat darüber Vorlesungen gehalten. M. Justus Siber nannte Joh. Arndt den heiligsten Theologen und sagt: „der heilige Geist hat selbst durch diesen göttlichen Mann gebetet und geschrieben,“ und Bengel erklärt ihn für den Engel, der nach Offenbar. 14, 6 durch die Mitte des Himmels flog und das ewige Evangelium verkündete. Zwei Jahrhunderte haben bereits sein Lob geredet in dem alten Verse:

Er soll, er soll Johannes heißen!
Denn seine Seel‘ ist gnadenvoll.
Die Welt mag ihn mit Schmähen schmeißen
Und auf ihn schütten Gall‘ und Groll!
So bleibt er doch ohn‘ allen Streit
Der größte Adler seiner Zeit.