Die reformirte Kirche ist oft als die Märtyrer- und Missionskirche bezeichnet worden. Man wird ihr diesen doppelten Ehrennamen nicht versagen können, wenn man an die Bluttaufe gedenkt, die sie in Frankreich und den Niederlanden erhalten hat, und an die großartigen geistigen Welteroberungspläne, mit denen sie in England und Schottland der ganzen evangelischen Kirche vorangegangen ist. Schon frühe brach sich die gereinigte Lehre der Reformation auch zu den romanischen Völkern, namentlich den Franzofen, Bahn; traf aber hier, wo die religiösen Neuerungen den weltlichen Machthabern zugleich die ernstesten politischen Bedenken erregten, auf harten Widerstand. Der König Franz I., der sich Anfangs der reformatorischen Bewegung nicht abgeneigt zeigte, gab allmählig unter den Einflüssen der Hierarchie der Besorgniß Raum, es könne die Erschütterung der kirchlichen Autorität mit der Zeit auch diejenige des Thrones zur Folge haben, und ließ darum je länger je mehr den päpstlichen Ketzerverfolgungen freien Lauf. Sein Sohn und Nachfolger Heinrich II. (1547-1559) trat mit gesteigerter Feindseligkeit in seine Fußtapfen. Die Scheiterhaufen erloschen seitdem nicht mehr im Reiche, und in Heinrichs Regierungszeit fiel auch das Martyrium der beiden Heldenbrüder Stephan und Dionysius Peloquin.
Die Peloquins gehörten einem alten angesehenen Geschlechte der Stadt Blois an. Stephan und Dionysius widmeten sich den Studien, und saßen beide in Genf zu den Füßen Calvins, der sie nicht allein in sein architektonisch vollendetes Lehrgebäude einführte, sondern auch ihr Herz zu fassen wußte, ihre Lebensgemeinschaft mit Christo vermittelte, und ihnen von seinem energischen und entschlossenen Geiste mittheilte. Durchdrungen von der evangelischen Wahrheit und erfaßt von dem Zuruf des Herrn: „Laßt euer Licht leuchten vor den Leuten“ bot zuerst der Aeltere, Stephan, mit offenem Bekenntniß den Ketzerrichtern seines Vaterlandes Trotz. Es gelang ihm, durch sein begeistertes und gründliches Zeugniß nicht Wenige von dem Irrthum ihres Weges zu bekehren, und er hatte sich von vornherein darauf gefaßt gemacht, daß dies ihm seine Freiheit und sein Leben kosten werde. Er war eben im Begriff, mehrere Gläubige aus Orleans nach Genf, wo er seinen Wohnsitz genommen hatte, zu geleiten, um dort auch sie an der Freude und dem Segen der persönlichen Bekanntschaft des Meisters Calvin Theil nehmen zu lassen, als er plötzlich von päpstischen Häschern überfallen, und gebunden nach Paris geschleppt wurde. Hier vor die Schranken der „brennenden Kammer“ gestellt, – so nämlich hieß im Munde des Volks der mit den gerichtlichen Untersuchungen gegen die Protestanten beauftragte Parlamentsausschuß, – legte er ein freudiges Bekenntniß seines evangelischen Glaubens ab, was aber zur Folge hatte, daß er zum Feuertode verurtheilt ward, nachdem man ihm vorher die Zunge ausgeschnitten habe. Mit der größten Standhaftigkeit erduldete er die unsägliche Marter. Sein Mund war zum Verstummen verdammt; aber laut redete und zeugte noch sein heiteres Auge und der milde Friedensglanz seines Angesichtes. Voll Bewunderung sah die umstehende Menge dem ebenso erhebenden als erschütternden Schauspiele zu, und sein Heldentod mußte der Reformation noch erfolgreicher Bahn brechen helfen als sein Leben.
Drei Jahre später stand Dionysius, sein jüngerer Bruder vor dem Blutgericht. Von diesem ist uns ausführlichere Kunde aufbehalten worden. Schon frühe fühlte sich sein zu frommer Beschaulichkeit neigendes Gemüth vom Klosterleben angezogen. Er folgte im dunkeln Drange und wurde Mönch. Aber auch bis in seine einsame Zelle hinein drangen Strahlen des um ihn her aufgehenden reformatorischen Lichtes. Mehr und mehr lernte er den Kern des Evangeliums von dem Schlinggewächs der römischen Satzungen unterscheiden, welche sich im Laufe der Jahrhunderte verdunkelnd und entstellend um denselben hergelegt hatten. Die ganze Wahrheit ging ihm erst auf, nachdem auch er dieselbe in den markigsten und unmißverständlichsten Worten von den gesalbten Lippen des großen Genfer Theologen hatte verkünden hören.
Nicht wenig trug auch der Zeugentod seines Bruders zur Reife seines Entschlusses bei, ihm nach mit dem hochgehaltenen Panier des lauteren Evangeliums in’s Leben zurückzutreten. Dem Entschlusse folgte die That, Zur Beurkundung seiner Lossagung von der Kirche, in der er geboren war, ging er auf 1 Corinth. 7 gestützt, mit einer ihm geistesverwandten Jungfrau eine christliche Ehe ein, und widmete sich nun ganz dem freien Zeugenberufe unter seinen noch im alten Kirchenthume befangenen Landsleuten. Gleicherweise aber wie einst seinem Bruder Stephan, widerfuhr es ihm, daß er auf einer Rückfahrt aus Frankreich nach Genf, wohin auch er einigen weiblichen Glaubensgenossen, unter denen seine Schwester, das Geleite gab, sammt diesen verhaftet und zum geistlichen Verhör zunächst nach Villafranca abgeführt wurde. Für seine Begleiterinnen gelang es mit vieler Mühe und großen Kosten die Freilassung zu erwirken. Er selbst aber wurde, nachdem er vor seinem Richter zu Villafranca ein tapferes Bekenntniß abgelegt, zu weiteren Verhandlungen nach Lyon escortirt, und daselbst, bevor ihm das Urtheil gesprochen ward, mehrere Monate lang in engem Gewahrsam gehalten.
Von seinen Gefängnissen aus schrieb er an Verwandte und Freunde eine reiche Anzahl von Briefen, von denen nicht wenige als ein köstlicher Schatz auf uns gekommen sind. Sie stehn nach Inhalt und Form dem Schönsten und Erbaulichsten, das je aus gläubigen Herzen geflossen ist, ebenbürtig zur Seite. Die Erleuchtung, die sie beurkunden, überrascht uns nicht weniger, als die Innigkeit und Wärme, die sie athmen, uns rührt und wohlthut. In dem ersten dieser Briefe giebt er seinen Eltern, seinen Freunden und seiner Gattin zu Blois ausführliche Nachricht von dem Gange des Verhörs, welches er vor dem Inquisitoriate bestanden habe. Die Antworten, die er auf die ihm vorgelegten Fragen über Messe, Ohrenbeichte, Fegefeuer, Anrufung der Heiligen, Bilderdienst, Ansehn der heiligen Schrift, Autorität und Vollmacht des Papstes seinen Richtern gegeben, sind so schriftgemäß, kernigt, rund und treffend, daß man öfter meint, die Stimme eines der hohen Väter der Reformation selbst zu vernehmen. Zugleich erfahren wir aus jenem Schreiben, daß die Inquisitoren es so wenig an den reizendsten Lockungen, wie an den furchtbarsten Drohungen hatten fehlen lassen. „Sie gaben mir, berichtet er, auch viele glatte Worte und große Verheißungen, um mich von meiner Ueberzeugung abzuführen. Sie stellten mir die reichsten Pfründen in Aussicht und drangen in mich, daß ich meine Jugend bedenken möchte, um die es ja schade sei, daß sie sollte durch’s Feuer verzehrt werden. Ich aber entgegnete: O wie übel würde meine Seele verwahret sein, und in wie großer Gefahr würde sie stehn, wenn sie keinen andern und besseren Hüter und Handhaber hätte. Viel ein Anderes habe ich in der Schule meines Herrn Jesu Christi gelernt, der da sagt: Wer seine Seele erhalten will, der wird sie verlieren; wer sie aber verliert um meinetwillen, der wird sie erhalten zum ewigen Leben. Auch wurde mir versichert, dem Cardinal Tournon liege meine Wohlfahrt gar sehr am Herzen, und er verspreche mir ein neues Ordenskleid und einen ehrlichen Unterhalt in einem der besten und reichsten Klöster, wenn ich meinen Glauben verleugnen wolle. Darauf ich erwiederte: Ich habe mein schwarz Klosterkleid schon zu lange getragen, und begehre jetzt, mit dem weißen, unvergänglichen Kleide angethan zu werden, davon Offenb. Joh. im 6. Capitel Meldung geschehe.“
Wie weit Dionysius entfernt war, sich schwärmerisch zum Märtyrerthume zu drängen, erhellt aus einem andern an seine Freunde, seine Schwester, seine Gattin und seine Mutter, welche seine Gesinnung Heilten, gerichteten Briefe, worin er u. A. sagt: „Um Gottes Willen hütet euch vor der Meinung, daß unser Leben vom Glück und Ungefähr regieret werde. Wisset vielmehr, daß Gott alle Dinge regiere nach seiner Vorsehung und gnädigem Willen. Folget deswegen dem Berufe, dazu euch Gott berufen wird, ohne einige Furcht, und lasset euch daran genügen, daß ihr das ewige Leben habt, ob ihr gleich dies zeitliche Leben in die Schanze schlagen müsset. Dies schreibe ich nicht darum, daß sich einer unbedachtsamer Weise und muthwillig in Gefahr stürzen soll; sondern dagegen, wer hiezu berufen wird, der muß fürsichtig und einfältig sein, und mit großer Bescheidenheit wandeln, und von Weitem sehn die Gefahr, so einem begegnen möchte, wenn er unbedächtig in seinen Sachen handeln wollte. Doch muß man hierin keine Weltweisheit oder fleischliche Klugheit gebrauchen, sondern sich gänzlich und allein in den Schutz und Schirm unseres gütigen Gottes ergeben, mit gewisser Zuversicht, daß kein Haar von unserm Haupte fallen werde ohne seinen Willen.“
Dionysius schließt diesen Brief mit einem rührenden Lebewohl an alle die Seinen. Cr schreibt: „Gute Nacht alle, die ihr in meiner Mutter Haus wohnt. . . . Gott sei mein Zeuge, daß ich euch nicht zum Schein Gute Nacht sage. Auch sage ich es nicht gezwungen und gedrungen, sondern gern und freiwillig. Ich sage euch also Gute Nacht, daß ich von Herzen begehre, meinem himmlischen Vater Gehorsam zu leisten, ja, ich gebe euch also Gute Nacht, daß ich nunmehr zum himmlischen Erbgut geführt werde, und Alles, was irdisch ist, hinter mir lasse. Verwegen ist mein herzlich Begehren an euch, ihr wollet den gütigen Gott fleißig anrufen und bitten, daß er mir Gnade gebe, in seinem Gehorsam bis in den Tod zu beharren, damit ich der ewigen Herrlichkeit theilhaftig werde, die er verheißen hat allen denen, welche treu bleiben bis in den Tod. Und dasselbe im Namen Jesu Christi, unseres Herrn und einigen Heilandes, welchem sammt dem Vater und dem heil. Geist sei Lob, Preis, Macht und Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen.“
Mit unserm Dionysius zugleich sahen damals zu Lyon mehrere zur Erkenntniß der Wahrheit Gelangte in abgesonderten Kerkern ihrem Todesurtheil entgegen. Auch an diese richtete er Briefe, in denen er sie zur Beständigkeit ermahnte. Die vorgenannten fünf Studenten antworteten aus ihren Gefängnissen heraus mit einem herzlichen Danksagungsschreiben, worin es heißt: „Obwohl wir vom Satan und unsern Widersachern, seinen Gliedern gegenwärtig heftiger angefochten werden als je zuvor; obwohl wir nichts anderes als den Tod vor Augen sehen neben der äußersten Marter und dem Hohn und Spott der Welt: dennoch freuen wir uns und werden durch den heil, Geist getröstet mit unaussprechlicher Freude und dem Trost, welcher alle Angst und Traurigkeit verschlinget. Fürwahr, lieber Bruder, unsre Widersacher setzen uns hart zu. So betrübt sich auch unser Fleisch etlichermaßen, weil es ihm schwer fällt zu begreifen, daß das Leben im Tode, Segen im Fluch, Ehre und Herrlichkeit in der Schmach und Verachtung sei. Aber diese Anfechtung des Fleisches verschwindet wie ein Rauch vor dem Herrn, der mitten unter uns ist, uns zu schützen und zu bewahren.“
Acht Wochen vor seiner Hinrichtung schrieb er seiner Hausfrau Johanna: „Ich glaubte nicht, daß ich noch Gelegenheit haben würde, euch auf euer letztes Schreiben zu antworten, dadurch ich höchlich getröstet worden bin und will mich damit trösten, so lange ich noch auf Erden lebe wegen der großen Gnade, die euch Gott erzeiget, indem ihr euch gänzlich seiner Vorsehung und seinem gnädigen Willen ergebet, und daß ihr dieser elenden Welt also abgesagt habt, daß ihr erkennet, wie es jetzt Weinenszeit sei, während die Welt sich freut. Ach meine liebe Schwester und gute Freundin, ich preise meinen Gott, daß ihr mehr Ursache habt zu bedenken die großen Wohlthaten, die der Herr mir und euch erzeiget hat, als euch zu erinnern und zu vermahnen. Gewiß ist es wahr, wie ihr mir schreibet, daß wir uns in der Anfechtung und Trübsal freuen sollen, denn dies ist auch ein gewisses Zeugniß, daß euch Gott lieb habe und daß ihr sein Kind seid. Denn wenn wir ohne Züchtigung sind, so sind wir nicht mehr Kinder. Ich danke meinem Gott, daß ihr diese Dinge besser versteht, als ich euch davon schreiben kann. Daß ihr mir auch schreibt, mein letztes Schreiben sei euch recht gekommen, dieweil ihr daraus ersehen habt, mein Abschied sei nun nicht mehr ferne, zweifle ich wohl nicht, liebe Schwester, es habe euch nach dem Fleisch dasselbe wohl einigermaßen betrübet; aber wenn ihr betrachtet, was für ein Erbgut mir bereitet ist, nachdem ich ein wenig werde gelitten haben, so werdet ihr Ursache finden, euch über alle Maßen zu erfreuen und zu trösten. Wir haben ja ein Verlangen nach dem Vaterlande, das im Himmel ist. Das soll euch trösten, wenn ihr diesen Brief leset, welchen ihr, wie ich hoffe, erst dann empfangen werdet, wenn ich schon bei meinem Gott und Herrn bin, der so treulich für uns sorget, daß auch nicht ein Härlein von unserm Haupte fallen kann. Er hat gesagt: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Und dies ist der Sieg, damit ich die Welt zu überwinden gedenke, nämlich der Glaube, durch welchen mich der Herr so gewaltig stärket, daß ich gewiß bin, es werde weder Verfolgung noch Marter noch Tod von ihm mich scheiden. Derselbe gütige Gott wolle euch weiter in seinem Gehorsam erhalten, auf daß er in und durch uns beide im Leben und im Tod gepriesen werde.“
Unter den zahlreichen Trost- und Ermuthigungsbriefen, welche de n Gefangenen zu Lyon und namentlich dem Peloquin von gleichgesinnten Brüdern aus der Nähe und Ferne, u. a. von Viret aus Lausanne, zugingen, befindet sich auch einer von Calvin. Er ist zunächst an Dionysius und dessen damaligen lieben Kerkergenossen, Ludwig von Marsac gerichtet, welche ihn in einem ehrfurchtsvollen und brüderlichen Schreiben um seine Fürbitte gebeten hatten. Calvin freute sich mit Dank zum Herrn ihres unerschütterlichen Glaubensmuthes, und ebenso des guten Bekenntnisses, welches einer ihrer Mitgefangenen, Michael Gerard abgelegt habe. Doch glaubte er letzterem Weisung geben zu müssen, wie er, falls er noch einmal zur Verantwortung gezogen werden sollte, noch siegreicher seinen Glauben vertreten könne. Er schreibt: „Da Michael gefragt ward, ob nicht der Leib Jesu Christi unter der Gestalt des Brodes sei, hat er geantwortet: Nein. Und da man gefragt, warum? hat er gesagt: Es sei eine Lästerung, durch welche der Tod Jesu Christi zu nichte gemacht würde. Da hätte er nun zweierlei in der Messe ausdrücklich verwerfen sollen, nemlich die Abgötterei, daß sie aus einem Bissen Brodes einen Abgott machen, und denselben nicht anders, als Gott anbeten; und dann, daß sie ein Opfer daraus machen, die Menschen mit Gott zu versöhnen, da doch Christus mit einem Opfer in Ewigkeit vollendet hat, die da geheiligt werden. Zudem hätte er wohl in dem ersten Artikel sagen mögen, er glaube, daß wir theilhaftig würden des Leibes und Blutes Jesu Christi, nur also, daß wir durch den Glauben unsere Herzen gen Himmel erheben. – Da er gefragt ward, ob die Jungfrau Maria und die Heiligen für uns bitten, hat er geantwortet, daß nur ein einiger Fürsprecher und Anwalt sei, nemlich Jesus Christus. Wohl ist dies die Wahrheit; doch hätte er billig sollen hinzufügen, daß den Todten nicht befohlen sei, für Andre zu bitten, gleichwie Gott geboten hat, daß die lebenden Christen in dieser Welt für einander bitten sollen, und daß niemand, als Gott allein im Namen Jesu Christi angerufen werde. – Da man den Michael fragte um den freien Willen, hat er zum Beweis, daß wir zu allem Guten untüchtig sind, sich auf den Ausspruch Römer 7 berufen: Das Gute, das ich will, das thue ich nicht u. s, w. Nun aber ist gewiß, daß der Apostel dort nicht redet von den Ungläubigen, die der Gnade Gottes gänzlich beraubt sind, sondern von sich selbst und andern Gläubigen, denen Gott schon die Gnade verliehen hat, daß sie nach dem Guten streben; deshalb hätte Michael sollen sagen, wo die Gläubigen befinden, daß ihre Natur dem Willen Gottes noch zuwider ist, was soll es denn mit denen werden, in denen nichts als Sünde und Widerspenstigkeit. – Befragt über die Gelübde hat er gesagt, alle unsere Verheißungen seien nichts denn Lügen. Da hätte er sagen sollen, daß uns nicht gebühre, etwas zu geloben außer dem was Gott in seinem Worte zugelassen hat, und daß viel Gelübde der Mönche und Priester nicht anderes seien, denn eine Verfälschung des wahren Gottesdienstes. – Endlich, gleichwie wir in diesem Leben mitten im Tode sind, also müsset ihr lernen und dessen gewiß und versichert sein, daß ihr mitten im Tode das Leben habt, in welchem wir sehen, daß wir nicht unsers Gefallens leben und uns selbst regieren müssen, wenn wir dem Herrn Christo recht nachfolgen wollen.“ Calvin schließt dann seinen Sendbrief mit ermuthigenden Zusprüchen, herzlichen Segenswünschen und mit Grüßen der Genfer Brüder. Der Brief ist datirt vom 22. August 1553.
Am 4. September desselben Jahres, es war ein Sonntag, ward Dionysius, nachdem er zehn Monate lang hinter Schloß und Riegel geschmachtet, urplötzlich um drei Uhr Morgens aus seinem Kerker herausgeholt, und wieder von Lyon gen Villafranca gebracht. Tags darauf wurde ihm endlich in feierlicher Weise als einem Erzketzer das Urtheil gesprochen. Es lautete auf Feuertod. Mit heiterem Gleichmut!) nahm er es hin und kehrte dann mit dem Bannfluch der Kirche belegt in das Gefängniß zurück. Acht Tage später am 11. September wurde das schauerliche Bluturtheil vollstreckt. Langsam leckte die Anfangs zur Mehrung und Verstärkung seiner Martern absichtlich etwas gedämpfte Gluth zu seinem Körper auf. Als dieser schon zur Hälfte verbrannt war, fuhr er noch fort, mit aufgehobenen Händen und lauter Stimme den Namen seines Gottes anzurufen und zu preisen, bis ihm die Sprache versagte, und er im Frieden des Herrn sein Haupt neigte. Voll Bewunderung, ja theilweise in eine Art von Andacht versunken stand das Volk um die Richtstätte her. Es schien zu ahnen, daß der Scheiterhaufen nur ein heiliger Altar und der darauf Sterbende ein Opfer sei „Gott zum süßen Geruch“.
Peloquin, der heldenmüthige Vorläufer vieler Tausende seiner Landsleute auf der blutigen Märtyrerbahn, lebt, obwohl er gestorben ist, noch heute nach dreihundert Jahren dem Geiste nach in dem gläubigen Theil der reformirten Kirche Frankreichs fort. Seine unbedingte Beugung unter Gottes Wort, sein freudiger Bekennermuth, seine durch nichts zu erschütternde Treue gegen die erkannte Wahrheit sind bis zur Stunde hervorstechende Charakterzüge französischer Christen. Möge dieses köstliche Erbtheil ein unvergängliches sein, und auch eine Zeit überdauern, in der, wie in der gegenwärtigen, anderwärts Glaubensentschiedenheit und Ganzheit der Gesinnung so seltene Perlen geworden sind. Mit diesem Wunsche schließen wir die kurze Nachricht über das Leben und das Gott preisende Ende des edlen französischen Bruderpaars Stephan und Dionysius Peloquin.
Fr. W. Krummacher in Potsdam.